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Burnout, Depression und körperliche Folgen
Prof. Dr. med. Roland von Känel Chefarzt Psychosomatische Medizin, Klinik Barmelweid AG
3. Seeklinik Brunnen Symposium"Neuronale und andere Netzwerke" 8. Juni 2017
Die «Burnout-Epidemie»
Trifft eher zu = 21 %Trifft völlig zu = 4%
Überdurchschnittlich häufig im Erziehungs-, Sozial- und Gesundheitswesen.
als Indiz für Burnout-gefährdete Personen
ein Viertel!
„Gefühl im letzten Jahr bei der Arbeit emotional verbraucht zu sein?“
SECO Studie 2010 (Schweiz), 1’000 Befragte:
Burnout – ein kontroverses „Krankheitsbild“
1. Nach ICD-10 keine Krankheit
� Z 73.0 = Burnout Syndrom
� Störungsgruppe Z = Faktoren, die den Gesundheitszustand
beeinflussen und zur Inanspruchnahme von Gesundheits-
diensten führen
� Störungsgruppe Z 73 = Probleme mit der Lebensbewältigung
2. Das Arbeitsumfeld trägt die alleinige Schuld
3. Uncharakteristische Symptome, werden teilw. vorschnell mit dem Burnout-Etikett gelabellt
von Känel, Praxis 2008 Bauer et al, Psychother Psychosom Med Psychol 2003
Burnout: ein Risikozustand für die Entwicklung von psychischen und körperlichen Krankheiten im Kontext von Arbeitsüberlastung
Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde 2012
KoronareHerzkrankheit / Myokardinfarkt
Herz-Kreislauf-Krankheiten
Zahlenbroschüre 2012 der Schweizerischen Herzstiftung: www.swissheart.ch
• Häufigste Todesursache in industrialisierten Ländern, inkl. der Schweiz
• CH 2009: 36% der Todesfälle in der Gesamtbevölkerung
- Koronare Herzkrankheit (inkl. Herzinfarkt): 14%
- andere Herzkrankheiten (v.a. Herzinsuffizienz): 9%
- Hirnschlag: 6%
- weitere (v.a. Hypertonie): 7%
Burnout messen: Maslach Burnout Inventar-General Survey
Maslach et al, 1996
von Känel, Klinikarzt 2016
Praktische Einschätzung der Burnout-Wahrscheinlichkeit bei Ärztinnen und Ärzten mit 2 Einzelfragen (MBI-HSS):
"Ich fühle mich durch meine Arbeit ausgebrannt"
r=0.76-0.83 mit EE Skala minus dieses Item
niemals, ein paar mal im Jahr, monatlich, ein paar Mal im Monat,
wöchentlich, ein paar Mal in der Woche, täglich
Likelihood ratio für hohe emotionale Erschöpfung: 6, 38, 42
"Ich bin abgestumpfter gegenüber den Menschen geworden seitdem ich in diesem Beruf arbeite."
r=0.61-0.72 mit DP Skala minus dieses Item
Likelihood ratio für hohe Depersonalisation: 16, 37, 27
Für alle Gruppen ähnlich (USA): 2,248 Medizinstudenten, 333 Assistenzärzte Innere Medizin, 465 Fachärzte Innere Medizin, 7,905 praktizierende Chirurgen.
West et al, J Gen Intern Med 2009
www.burnoutprotector.com
Kontext Psychokardiologie: «Vitale» Erschöpfung
• Fühlen Sie sich oft müde?
• Haben Sie oft Probleme einzuschlafen?
• Wachen Sie nachts öfter auf?
• Fühlen Sie sich ausgelaugt?
• Fühlen Sie sich in letzter Zeit lustloser als früher?
• Irritieren Sie Kleinigkeiten in letzter Zeit mehr als früher?
• Haben Sie manchmal das Gefühl: „Meine Batterien sind leer?“
• Fühlen Sie sich entmutigt?
• Wachen Sie manchmal erschöpft oder ermüdet auf?
Maastricht Vital Exhaustion Questionnaire (Short Form)
Melamed et al, Psychol Bull 2006; Appels, Patient Educ Couns 2004; Schnorpfeil et al, Int Arch Occup Environ Health 2002; Kopp et al, Psychosom Med 1998
"Erschöpfungszustände unter einem Hut": From Vitality to Vital Exhaustion
and Other States of “Tense Tiredness”: A New Biopsychosocial Risk Domain
Rozanski & Cohen, Psychosom Med 2017
Gegenüberstellung: Beschwerden Burnout vs. Depression
Burnout Syndrom (MBI)
• Emotionale Erschöpfung
• Depersonalisation, Distanzierung, Entfremdung, Zynismus
• Reduzierte Leistungsfähigkeit bei der Arbeit
Depression (ICD-10)
• Depressive Stimmung
• Verlust von Interesse od. Freude
• Erhöhte Ermüdbarkeit
• Verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit
• Vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen
• Schuldgefühle und Gefühle der Wertlosigkeit
• Verminderter Appetit
• Schlafstörungen
• Suizidgedanken od. -handlungen
• Negative Zukunftsaussichten
Mind. 2 dieser Symptome!Depressiver Affekt und Anhedonie gehören nicht dazu!
Burnout und Depression:Überlappung, aber nicht dasselbe!
• Studie aus Finnland mit über 3‘000 Angestellten im Alter zw. 30 und 64 Jahren
• Burnout Fragebogen (MBI) und Psychiatrisches Interview gem. DSM-IV Kriterien
• Eine klinische Depression fand sich bei
- 53% der Individuen mit schwerem Burnout
- 20% der Individuen mit leichtem Burnout
- 7% der Individuen ohne Burnout
Ahola et al, J Affect Disord 2005
Korrelationen zwischen Burnout-Symptomatikund depressiver Symptomatik bei 279 stationären Männern und Frauen im Alter zw. 26 und 68 Jahren
BSI BDI HADS_D
MBI_totalKorrelation (Pearson) ,230** ,231** ,211**
Signifikanz (2-seitig) ,000 ,000 ,000
N 278 279 279
Schwarzkopf, Straus, Porschke, Znoj, von Känel (submitted)
Erklärte Varianz <10%
Anamnestische Hinweise für eine Abgrenzung im klinischen Alltag von Burnout vs. Depression
• Was würden Sie tun, wenn Sie nicht so erschöpft wären?
Habe 100 Pläne vs. Schulterzucken
• Warum gehen Sie nicht mehr unter Leute?
Zu starke Ermüdung, muss büssen vs. keine Lust dazu, sagt mir nichts, Schamgefühle
• Warum sind Sie körperlich nicht mehr aktiv?
Würde gerne, ermüde aber zu rasch vs. es ist mir alles zu viel, kann mich nicht motivieren dazu
Neurobiologische, neuroendokrine und autonome Unterschiede: Teilw. Ausdruck der Krankheitsdauer?
Burnout
• Eher Hypokortisolismus
• Teilw. erhöhte Herzraten-Variaibilität
• Höhere BDNF-Werte
• Keine morphologischen Veränderungen im Hippocampus
Depression
• Eher Hyperkortisolismus
• Eindeutig verminderte Herzraten-Variabilität
• Tiefere BDNF-Werte
• geschrumpfter Hippocampus
Melamed et al, Psychol Bull 2006 Orosz et al, Neurosci Biobehav Rev 2017
Kardiovaskulär-revelante Veränderungen und Komorbiditäten bei Burnout / vitaler Erschöpfung
• Erhöhtes Herzinfarktrisiko / erhöhte Gesamtsterblichkeit
• Hypertonie, Adipositas, Diabetes, Dyslipidämie
• “Ausgebrannte” Kortisolachse (Hypokortisolämie)
• Funktionelle Diskonnektivität zw. Amygdala und mPFC (reduzierte Hemmung der limbischen Stressantwort)
• Reduzierte parasympathische/vagale Aktivität
• Aktivierte Blutgerinnung
• Erhöhte inflammatorische Aktivität
• Schlafstörungen (PSG: vermind. SWS)
• Depression, Angstkrankheiten, Alkoholmissbrauch
de Vente et al, BioMed Res Int 2015; Grossi et al, Scand J Psychol 2015; Jovanovic et al, Neuroimage 2011; Ahola et al, J Psychosom Res 2010; Kitaoka-Highashiguchi et al, J Occup Healt, 2009; von Känel et al, J Psychosom Res 2008; Kudielka, Bellingrath & von Känel. Stress 2008; Kudielka, von Känel et al, Biol Psychol 2006; Melamed et al, Psychol Bull 2006;
Söderström et al, Sleep 2004; Cunradi et al, Addict Behav 2003; von Känel et al, Ital Heart J 2003;
Depression als Risikofaktor für schlechte Prognose nach Herzinfarkt
Keine Hinweis für Publikationsbias. Stabile Befunde über die letzten 25 Jahre.
29 Studien, ≈ 17’000 MI Patienten, Depression innerhalb der ersten 3 Monate nach MI erfasst, FUP max. 24 Monate
Meijer et al, Gen Hosp Psychiatry 2011
Depression und neuroendokrin-immunologische Befunde mit Implikationen für KHK
von Känel R. Kardiovaskuläre Krankheiten. In: Ehlert U, von Känel R (Eds.): Psychoendokrinologie und Psychoimmunologie. Springer-Verlag: Berlin-Heidelberg; 2011, pp. 267-292.
Aktuelles Verständnis der Abgrenzung
• Burnout und Depression sollen von einander abgegrenzt werden.
• Patienten können komorbid ein Burnout und eine Depression haben - mittelgradige depressive Episode ICD-10 F32.1 - Z 73.0 Burnout-Syndrom - Z 55 Probleme in Verbindung mit Berufstätigkeit
• Burnout kann - muss aber nicht - in eine Depression als eine mögliche Folgekrankheit von übermässiger Arbeitsbelastung münden.
• Liegt eine Depression vor, soll Burnout nicht als ein "beschönigendes" Label für Depression verwendet werden („Depression des Starken“).
• Liegt Burnout vor, aber kein depressiver Affekt und keine Anhedonie, soll der Patient nicht für depressiv erklärt werden.
• Die Abgrenzung hat therapeutische Konsequenzen (z.B. ungenügendes Ansprechen von Burnout-Fatigue auf Antidepressiva)
von Känel, Praxis 2008 & Klinikarzt 2016; DGPPN 2012
Sieben „toxische“ Faktoren für Stress am Arbeitsplatz erhöhen das Risiko für Burnout und KHK:
• Zu hohe Anforderungen
• Zu geringer Handlungsspielraum
• Zu wenig Belohnung und Anerkennung
• Zu wenig soziale Unterstützung
• Ungerechte Behandlung
• Wertekonflikte
• Persönlichkeitseigenschaften*
�
Burnout
Burnout als Mediator?
*Übersteigerte Verausgabungsbereitschaft, Perfektionismus, Neurotizismus, Narzissmus
• 25 prospektive Studien (1-5 Jahre FU) oder Fall-Kontrollstudien in Europa, USA, Australien/NZL
• Grad 3 Evidenz: Viel Kontrolle + wenig EE, wenig Unterstützung am Arbeitsplatz + viel EE.
• Grad 2 Evidenz: Viel EE + wenig Gerechtigkeit, hohe Anforderungen, wenig Belohnung, wenig Unterstützung durch Vorgesetzte, viel Arbeitsplatzunsicherheit
• DP ebenfalls mit den meisten Faktoren assoziiert.
• Wenig PL nur mit wenig Belohnung assoziiert.
Körperliche Krankheiten und Beschwerden als Folge von Arbeitsstress
von Känel R. Stressbedingte Krankheiten und deren körperlichen Symptome. In Becker P. (Hrsg.). Executive Health – Gesundheit als Führungsaufgabe. Springer Gabler, 2015.
Psychobiologisches Modell: Wie Arbeitsstress, Erschöpfung / Burnout und körperlichen Krankheiten zusammenhängen
von Känel, Klinikarzt 2016
Quizfrage: Was könnte den Präsidenten der Grünliberalen Partei Schweiz zu
dieser Einsicht gebracht haben?
"Schützt sein Herz jetzt besser: Bäumle führt nach Herzinfarkt akribisch Buch über Energiebilanz"
Nach dem "Schuss vor den Bug" will er:
1. mehr Sport treiben
2. sich entspannen
3. gelassener reagieren
4. gezielt Ruheoasen frei halten
5. nicht mehr 24 Stunden erreichbar sein
"Ves gibt nur noch mageres Rindersteak und Rotwein."
Aargauer Zeitung, 6.4.14 & Tagesanzeiger, 2.4.14
Job strain (high demands and low control) as a risk factor for coronary heart disease: a collaborative meta-analysis of individual participant data
13 europäische Kohortenstudien (1985-2006), 15% hatten Stress, 7.5 J FU
Kivimäki et al, Lancet 2012
Long working hours and risk of coronary heart disease and stroke: a systematic review and meta-analysis of published and unpublished data for 603'838 individuals
Kivimäki et al, Lancet 2015
Sensitivitätsanalysen: unabhängig von Gesundheitsverhalten (BMI, Rauchen, körperliche Aktivität, Alkoholkonsum), Publikationsstatus, Region (USA, Europa), Outcome / Exposure Assessment
Mittlerer Follow-up ~ 8 J
Work stress and a 1.6-fold increased relative risk of recurrent coronary heart disease events: A systematic review and meta-analysis
High demand: 1.42 (95% CI: 1.02-1.99)Low control: 1.04 (95% CI: 1.44-1.99)High effort: 1.17 (95% CI: 0.59-2.34)Low reward: 1.77 (95% CI: 1.16-2.71) Li et al,
Int J Occup Med Environ Health 2015
Total 4 Studienn=1’778, 399 erneute KHK EreignisseFollow-up: 4.0-8.5 J
Burnout und KHK nach mittlerem Follow-up von 3.4 Jahren
≈ 9‘000 gesunde Arbeitnehmende, 19-67 jährigErstmalige KHK: AMI, diagnostizierte KHK / AP „High burnout“ = oberes Quintil für Burnout Symptome Toker et al, Psychosom Med 2012
Finnish Health 2000 Study
3’368 Frauen und Männer
Mittleres Alter 45 Jahre
89% in permanenter Anstellung
Maslach Burnout Inventar
-Erschöpfung -Deprsonalisation -Leistungsfähigkeit
Klinische Untersuchung(inkl. Anamese, Labor, apparativ)
Burnout und körperliche Krankheiten
Honkonen et al, J Psychosom Res 2006
Burnout Symptome und Allostatische Last
• 30 arbeitstätige Männer und Frauen
• Allostatic Load Index: Alle Biomarker im oberen (z.B. SBD) bzw. unteren Quartil (z.B. HDL-C) der Referenzwerte erhalten einen Punkt (score 0-15)
• AL Index und MBI Totalscore: p=0.006 (sig. für EE, aber nicht für DP und LA).
Juster et al, Psychoneuroendocrinology 2011
Burnout und pro-inflammatorischer Zustand bei Lehr/innen
von Känel et al, J Psychosom Res 2008
r=-.17, p=.032
r=.17, p=.026
Vitale Erschöpfung als Prädiktor für Erstinfarkt bei 3,877 Männern (39-65 Jahre) nach einem Follow-up von 4.3 Jahren.
Appels & Mulder, Eur Heart J 1988
Vitale Erschöpfung als Prädiktor für erneutes kardiales Ereignis bei Männer mit PTCA nach einem Follow-up von 1.5 Jahren.
Appels et al, Eur Heart J 1995
Vitale Erschöpfung als Risikofaktor für KHK
Meta-Analyse: Vitale Erschöpfung und kardiovaskuläres Ereignis: n = 107'175; mittlerer FU = 6 J (range 1-12 J)
Cohen et al, Am J Cardiol 2017
Keine signifikanten Effekte für - Geschlecht - Publikationsjahr - Länge des FUs
4 Studien zeigten erhöhtes RR für Gesamtsterblichkeit:1.48, 95% CI 1.28-1.72, p <0.001
Rangierung der Wichtigkeit kardiovaskulärer RF für die Vorhersage von fatalen/nicht-fatalen KHK-Ereignissen bei Männern und Frauen
Copenhagen City Heart Study:3’714 M, 5’168 F / ohne HKL-KrankheitFollow-up 21.5 J, 1’731 KHK EreignisseSchnohr et al, Eur Heart J 2015
Erschöpfte
Biol Psychol 2006
?
Erschöpfung und verminderte Herzratenerholung 1 min nach submaximaler Ergometerbelastung bei CHI (LVEF ≤40%).
Kontrolliert für Alter, Geschlecht, LVEF, maximale Leistungsfähigkeit (Watt) von Känel et al, J Cardiol 2009
p<0.03
Vitale Erschöpfung und erhöhte Fibrinogen-Spiegel bei Lehrer/innen (n=150)
Kudielka, Bellingrath, von Känel. Stress 2008
Take Home Messages
• Arbeitsstress, Burnout und vitale Erschöpfung sind mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko assoziiert.
• Dies gilt sowohl für erstmalige als auch für rezidivierende (v.a. koronare) Ereignisse.
• Plausible psychobiologische Mechanismen und gesundheitsrelevantes Verhalten, sowie allfällige Komorbiditäten (z.B. Depression), vermitteln diesen Zusammenhang.
• Reduktion von Stress am Arbeitsplatz, Therapie von Burnout und Erschöpfung als Primär- und Sekundärprävention von Herz-Kreislaufkrankheiten?