2005 09 08 leeb risikofaktor mensch

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Page 1: 2005 09 08 leeb risikofaktor mensch

Risikofaktor Mensch

Christian H. Leebholistic business [email protected]

8. September 2005

Sicherlich haben Sie das auch schon gehört oder gelesen: „der Mensch ist der Risikofaktor“. Oder „Je sicherer technische Systeme werden, desto mehr wird der Mensch zu einem zentralen Risikofaktor“ oder „Die Kette bricht immer dort, wo ihr schwächstes Glied ist – und das ist in der Regel der Mensch“ und so weiter und so fort.

Da kommen für mich gleich ein paar Fragen hoch:

Also, der Reihe nach:In einer ersten Reaktion denke ich mir: Ja, genau, das sehe ich auch so. Ja, das stimmt. Klar, niemand von uns ist vollkommen. Vieles würde sehr gut funktionieren, wenn wir Menschen nur keine Fehler machen würden. Wenn Menschen Fehler machen, nennen wir das auch „menschliches Versagen“.

Aber gleich darauf stellt sich Unbehagen bei mir ein. Und mittlerweile ist es mir auch klar, warum. Genau diese meine Gedanken möchte ich nun kundtun und Sie einladen, darüber nachzudenken, Ihre eigene Meinung zu bilden und – wenn Sie wollen – mit mir in Kontakt zu treten ([email protected]).

Was heisst eigentlich Risiko?Was ist ein Risikofaktor?Kann ein Mensch Risikofaktor sein?

Was heißt „Risiko“?1.Es ist schon erstaunlich, wie wenig klar der Begriff „Risiko“ wirklich ist.●

Fragen Sie in Ihrem Freundes- und Bekanntenkreis, was sie unter Risiko verstehen. Sie werden unterschiedlichste Antworten bekommen.

a.

Interviewen Sie Manager, Techniker, Meinungsforscher, Politiker, Arbeiter, usw., was für sie Risiko bedeutet. Sie werden unterschiedlichste Antworten bekommen.

b.

Fragen Sie Leute in unterschiedlichen Situationen: in ihrem Haus, am Berg, unter Wasser, in der Luft, etc., was für sie Risiko ist. Sie werden unterschiedlichste Antworten bekommen.

c.

Risiko und die Beurteilung, was Risiko ist, ist wohl sehr subjektiv und kontextsensitiv, d.h. es kommt auf den Typus Mensch an und auf die konkrete Situation.

Vielfach wird uns allen aber suggeriert, als gäbe es „das Risiko“ schlechthin. Ein absolutes, fixes Risiko. Und das stimmt natürlich nicht.

Was heißt „Risikofaktor“?2.

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Was heißt „Risikofaktor“?2.

Ein Risikofaktor ist etwas, das als Bestandteil eines Risikos gesehen werden kann. Zumindest verstehe ich das unter einem Faktor. Gleichzeitig drängt sich in mir auf, dass ein Faktor ein Teil einer sehr komplexen mathematischen Berechnung ist.

Ich bekomme also das Gefühl, eine Risikoberechnung ist eine mathematisch komplexe Formel, die viele Parameter und eben Faktoren hat, die man mit konkreten Zahlen füttern kann und die eineindeutig einen Risikograd auswirft. Faktor A mal Eintrittswahrscheinlichkeit x plus Faktor B mal Eintrittswahrscheinlichkeit y usw.

Nun: ich sehe hier zwei fundamentale Probleme:●Wie bekommen Sie jemals die subjektive Einschätzung in die Risikoberechnung? Welchen Faktor wollen Sie da nehmen? Wie schätzen Sie die Eintrittswahrscheinlichkeit?

a.

Das viel entscheidendere Problem sehe ich aber darin, dass wir so tun, als hätten wir eine linear-kausale Welt, in der sich noch so komplexe Sachverhalte auf ein mathematisches System reduzieren lasse, das aus den Eingangsparametern die Lösung berechnet.

b.

Ich denke also, dass es den Risikofaktor als isolierte Einheit schlicht und ergreifend nicht gibt. Dies bedeutet aber andrerseits nicht, dass es Dinge gibt, die kein Risiko bergen oder kein Risiko auslösen oder kein Risiko verstärken. Ich meine nur, dass dies wiederum sehr viel mit Subjektivität zu tun hat.

Was heißt „Risikofaktor Mensch“?3.Jetzt wird es aber so richtig spannend. Überlegen Sie sich bitte, was diese einfachen zwei Vokabeln bedeuten! Sehen Sie, welche Ungeheuerlichkeit darin liegt?

Wenn ich also annehme, es gibt ein absolutes Risiko und verschiedene Faktoren für Risiko-Berechung und –Bewertung, dann kommt man aus diesem Weltbild heraus natürlich auf die Idee, dass einer dieser Faktoren der Mensch selbst ist: Ein Mensch, der einen Fehler macht, ist ein Risikofaktor.

Bei genauerem Hinsehen verfolgt uns aber auch hier eine scheinbare Objektivität: wer entscheidet denn, was ein Fehler ist und was nicht? Ein Fehler ist etwas, das in Bezug auf etwas anderes schlecht ist. Wer definiert das „andere“? wer definiert „schlecht“? Sie sehen schon: auch hier wimmelt es nur von Subjektivitäten.

Aber selbst wenn ich nun hypothetisch annehme, es gibt so etwas wie ein absolutes Risiko und ein Faktor darin sei der Mensch, so gibt es auch hier aus meiner Sicht unüberbrückbare Probleme:

Wer beurteilt den einzelnen Menschen, der scheinbar absolut gesehen, ein Risikofaktor sein soll? In welcher Rolle sind wir denn da? Sind wir Gott oder Gott-Ähnlich, dass wir berechtigterweise so ein Urteil abgeben dürfen?

a.

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berechtigterweise so ein Urteil abgeben dürfen? Auch wenn Sie nicht an Gott glauben, was will uns so ein Mensch sagen, der behauptet, der Mensch sei ein Risikofaktor? Ist er auch ein Risikofaktor? (Er ist ja auch ein Mensch – oder?) Oder ist er kein Mensch – was ist er dann? Sie sehen: das geht sich nicht aus…

Ich denke, dass es den „Risikofaktor Mensch“ nicht gibt. Akzeptieren wir, dass die Welt komplex und ganzheitlich ist! Sehen wir, dass dies spannend und toll ist und dass wir nie 100 Prozent von etwas erreichen können und sollen, das als solches absolut gesehen nicht einmal existiert.

Viel wichtiger ist aber, dass wir mit diesen Aussagen und mit dieser Geisteshaltung eine ideale Welt bauen wollen, in der der Mensch eigentlich keinen Fehler mehr machen darf. Für wen bauen wir dann aber diese Welt? Glauben wir wirklich, dass die Konstruktion und der Bau unserer Artefakte in diesem Sinn fehlerlos sind? Sie sind ja auch von Menschen gemacht.

a.

Sprechen wir den Menschen nicht damit indirekt das Recht auf die Verantwortung über ihr eigenes Leben ab? „Die Systeme sind da, menschengemacht, Mensch, komm, werd’ nur nicht zum Risikofaktor! Mach nicht, was Du willst, mach am besten gar nichts, werd’ ja nicht zum Risikofaktor!“

b.

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