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Sozialstaat
4. Krankenversicherung4.1. Gründe für Staatseingri�
I Medizinische Güter sind private Güter: Ausschlieÿbarkeit undRivalität. Markt könnte diese Güter grundsätzlich bereitstellen.
I Aber: es geht um Leben und Tod, und Solidarität mit Krankengröÿer als z.B. Arbeitslosen → Sicherung medizinischerGrundversorgung wird allgemein als staatliches Ziel akzeptiert.
I Sicherung über den Markt: Medizinische Behandlung imNotfall für jeden und nachträgliche Kosteneintreibung.
I Problem: Anbieter könnten auf Kosten sitzen bleiben undPatienten verarmen.
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Eigenschaften von Gesundheitsgütern
I Externe E�ekte von übertragbaren Krankheiten: IndividuellerNutzen von Impfungen kleiner als sozialer Nutzen → staatlicheSubvention oder Impfzwang
I Krankheit führt zu Verlust von Humankapital. Externer E�ekt,wenn individueller Lohn < Sozialprodukt der zusätzlichenArbeit.
I Optionswert von Gesundheitsgütern: Nutzen aus derMöglichkeit der Behandlung im Bedarfsfall. Absicherung imPrivatsektor scheitert an Skalenerträgen (Krankenhaus kannim Notfall von vielen Kranken genutzt werden).
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I Gesundheitsgüter als Expertengüter. Patienten sind überNotwendigkeit und Qualität von Leistungen unvollständiginformiert. Marktversagen wahrscheinlich.
I Staatliche Regulierung der Zulassung (Approbation) vonÄrzten und Zulassung von Medikamenten.
I Fazit: besondere Eigenschaften von Gesundheitsgüternerfordern Staatseingri�, erfordern aber nicht notwendigerweiseeine staatliche Bereitstellung von Gesundheitsgütern.
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Adverse Selektion
I Adverse Selektion: Marktversagen, wenn Versicherte besserüber Krankheitsrisiko informiert sind als Versicherer.
I Teilweise Zwangsversicherung kann Allokation verbessern.
I Aber: Versicherung kann Eingangstest undKrankheitsgeschichte verlangen (private KV tun das auch).
I Verbesserte Möglichkeiten zur Risikotrennung durch genetischeDiagnostik. Durch Verbot der Nutzung genetischer Informationwird e�zientes Gleichgewicht verhindert.
I Aber: genetische Risikodi�erenzierung scheitert an Akzeptanz.
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Prämienrisiko
I Problem: Unzureichende Absicherung, weil sich Risikotyp (unddamit Prämie) im Zeitablauf ändert (z.B. chronischeErkrankung).
I Modell 1: Behandlungskosten werden sicher.
I Groÿe Anzahl Individuen, die n Perioden leben. Risiko in allenPerioden statistisch unabhängig;Erkrankungswahrscheinlichkeit π.
I Bei chronischer Erkrankung in Periode j entstehenBehandlungskosten L in Periode j und allen Folgeperioden.
I Möglicher Vertrag: faire Prämie πL in jeder Periode.
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I Problem: keine vollständige Absicherung, da ab Periode jBehandlungskosten sicher sind → Prämie =∞.
I Lösung durch langfristige prospektive Prämien.
I Bei Zinssatz von 0 beträgt Prämie in
Periode 1 : πnL (1)
Periode 2 : π(n− 1)L (2)
Periode n : πL (3)
I Intuition: Gesamtschaden, wenn Erkrankung in Periode jeintritt, ist (n− j + 1)L.
I Beachte: Prämie fällt im Zeitablauf!
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I Modell 2: echtes Prämienrisiko.
I 2 Perioden und viele identische Individuen. In Periode 1 habenalle Risiko πL.
I In Periode 2 steigt Risiko für einige auf πH .
I In Periode 1 ist Wahrscheinlichkeit für höheres Risiko inPeriode 2 πK .
I Bei kurzfristigen Verträgen mit fairer Prämie: Individuen mithohem Risiko in Periode 2 zahlen Prämie πHL.
I Mit Wahrscheinlichkeit πK Prämienrisiko (πH − πL)L.
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I Vertrag 1: Aufteilung der erwarteten Kosten auf beidePerioden:
G = (πL + πKπH + (1− πK)πL)L (4)
In jeder Periode Prämienzahlung G/2.
I Problem: In Periode 2 hätten gute Risiken Anreiz Vertrag zukündigen und neuen mit Prämie πLL < G/2 abzuschlieÿen.(Dies wäre für Versicherer auch pro�tabel).
I Aber dann wäre Prämie für schlechte Risiken im alten Vertrag(G/2) zu niedrig und müsste für Kostendeckung auf πH
steigen: Prämienrisiko bleibt.
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I Vertrag 2: Vorauszahlung von
G− πL = (πL + πK(πH − πL))L (5)
in Periode 1.
I In Periode 2 zahlen beide Typen πLL.
I Anreizkompatibel, da gute Risiken in Periode 2 keinen Anreizzum ausscheren haben.
I Prämie sinkt im Zeitablauf.
I Problem: opportunistisches Verhalten der KV: Kein Anreiz zurQualitätssicherung nach Erhalt der Prämie.
I Schwierigkeit der Prämienkalkulation bei langfristigerVorauszahlung.
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I Vertrag 3: Versicherung gegen Prämienrisiko. Prämie πLL inbeiden Perioden. Prämie der Versicherung in Periode 1
πK(πH − πL)L (6)
I Alternativ: Übertragung von Rückstellungen beiVersicherungswechsel: opportunistisches Verhalten von KVwird reduziert.
I Problem: Bewertung der Rückstellungen bzw. Ermittlung derPrämie für Absicherung gegen Prämienrisiko.
FazitE�ziente Lösung des Prämienrisikos auf privatem KV-Markt ist
nicht zu erwarten. Staatliche Eingri�e können Prämien im
Zeitablauf stabilisieren.
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4.2. Verträge im GesundheitswesenMoral hazard
I Moral hazard ex ante: ungenügende Vorsorge (z.B. rauchen,trinken...)
I Moral hazard ex post: Im Schadensfall bemühen sichIndividuen nicht um Begrenzung der Folgekosten (mehr alsoptimale Nachfrage nach Leistungen).
I Vertragsgestaltung bei moral hazard ex ante: z.B.Prämienzuschläge für gesundheitsgefährdendes Verhalten.Aber: Kontrollprobleme. Alternativ: Besteuerunggesundheitsschädigender Substanzen (Alkohol, Zucker...)
I Moral hazard ex post: Im Krankheitsfall zu umfangreiche oderunnütze Therapien. Mögliche Lösung: Ausschluss oderBegrenzung von Leistungen.
I Problematisch (Unsicherheit auf Seiten der Versicherten,Rechtsstreitigkeiten)
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Kostenbeteiligung
I Welche E�ekte hat Selbstbeteiligung auf Nachfrage?
I Sei h(p) die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen (z.B.Medikament) abhängig vom Preis mit h′(p) < 0.
I Festbetragsregelung: Patient erhält pro LeistungseinheitZuschuss von d.
I Nachfrage verschiebt sich nach oben: h(p− d).
I Je unelastischer Angebot, desto geringer ist Nutzen derPatienten aus diesem Zuschuss.
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Preis
MengeA
B
C
D
h(p)
h(p-d)
Abbildung: Nachfrage mit Festbetrags-Zuschuss
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I Selbstbehalt (Abzugsfranchise): Ind. zahlen bis zumFranchisebetrag F alle Ausgaben selber.
I Darüber hinaus werden Ausgaben von Versicherungübernommen.
I Gegeben ein Preis p: Ind. kann h(p) konsumieren und selbstzahlen oder Sättigungsmenge h̄; Versicherung übernimmtAusgaben −F .
I Kalkül: Vergleiche Konsumentenrente bei Menge h(p) (BDE)mit Konsumentenrente bei h̄ (0AB) minus F . h̄ bringt höhereRente, wenn 0ADE > F .
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Preis
MengeA
B
D
h(p)0
Ep
C
Abbildung: Selbstbehalt (Abzugsfranchise)
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I Wenn 0AB > F existiert ein p̂, bei dem Konsument indi�erentist.
I Nachfrage: Für p < p̂ ist Nachfrage h(p), für p ≥ p̂ h̄.
I Fazit: Konsument verhält sich, als ob er voll (p > p̂) oder garnicht versichert ist.
I Kostendämpfung wird nicht erreicht, weil nicht für alleMengen eine Grenzbelastung für Konsumenten entsteht.
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Preis
MengeA
B
D
0
p̂
Abbildung: Selbstbehalt (Abzugsfranchise)
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Angebotsinduzierte Nachfrage
I Arzt bestimmt Leistungen weitgehend → angebotsinduzierteNachfrage.
I Technischer Fortschritt, insb. moderne Geräte mit hohenFixkosten: Zwang zur Amortisierung steigt.
I Vermutung: starke Nachfrageausweitung, wenn
I Arzt jung istI Ärztedichte hoch istI Deckungsgrad der KV sinkt
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Entlohnung von Leistungsanbietern
1. Entlohnung nach Faktoreinsatzkosten: Anreiz zurLeistungsausweitung. Kein Anreiz einzelne Leistung e�zient zuerbringen.
2. Entlohnung nach Einzelleistungen. Anreiz zur E�zienz beieinzelner Leistung, aber Anreiz zur Leistungsausweitung bleibt.
3. Entlohnung nach Behandlungsdauer: Ausdehnung derBehandlungsdauer über e�zientes Maÿ.
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4. Pauschale Entlohnung nach Krankheitstypen. Fallpauschalen:Festbetrag pro Krankheitsfall. Anreiz zu e�zientemAnbieterverhalten. Aber: Anreiz zu Fehldiagnosen.
I Weitere Probleme von Fallpauschalen: angemesseneBerücksichtigung unterschiedlicher Einzelfälle.
I Hohes �nanzielles Risiko: Wenn Anbieter Risikoaufschlägefordern, können Kosten steigen.
I Gefahr, dass Einsparungen zu frühzeitiger Entlassung vonPatienten führen: �Drehtüre�ekt�.
5. Entlohnung nach Zahl potentieller Patienten. Individuenschreiben sich bei Anbieter ein; diese erhalten Pauschalen jeeingeschriebenen Patienten: kein Anreiz zur Fehldiagnose.
I Hauptsächlich für Hausärzte anwendbar.I Befürchtung: Selektion von �guten� Fällen. Aber kann durch
di�erenzierte Pauschalen grundsätzlich berücksichtigt werden.
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4.3. Finanzierungsalternativen im GesundheitswesenLohnbezogene Beiträge
I Viele Europäische Länder: Beiträge proportional zum Lohn.Problem: negative Arbeitsanreize. Durch Besteuerung vonArbeit entsteht excess burden.
I Ind. haben Nutzenfunktion über Konsum und Freizeit, u(c, F ),mit L = F̄ − F : Arbeitszeit, w: Lohn, M : anderesEinkommen (z.B. Zinseinkommen).
I Budgetgerade:c = M + w(F̄ − F ) (7)
I Mit lohnbezogenem KV-Beitrag: Nettolohn sinkt auf (1− b)w.Budgetgerade AB.
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c
F
M
F−
(1-t)M
B
B'
AA'
D
D'
Abbildung: Excess burden von KV Beiträgen
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I Optimales (C,F ) Bündel mit KV-Beitrag: B:
GRS = (1− b)w (8)
I Wenn Staat auch nicht lohnbezogenes Einkommen besteuert:Beitragssatz fällt auf b′, neue Budgetgerade bei gleichemBeitragsaufkommen (DB = D′B′) ist A′B′.
I Optimum mit neuem Satz b′: B′. Konsument erzielt höheresNutzenniveau und arbeitet mehr (Grenzbelastung der Arbeitniedriger).
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I Fazit: Excess burden sinkt, wenn Beiträge auch aufNicht-Lohneinkommen erhoben werden.
I Gilt aber nur, wenn M nicht auf Besteuerung reagiert (z.B.Grund und Boden).
I Bsp. Kapitaleinkommen: Wenn Ersparnis stärker aufBesteuerung reagiert als Arbeit, steigt excess burden sogar an!
I Realität: Kapitalstock nur kurzfristig �x, langfristig wird beiBesteuerung von Kapitalerträgen weniger investiert (z.B.Flucht ins Ausland).
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Kopfpauschalen
I KV-Reform in der Schweiz und aktuelle Diskussion inDeutschland: Finanzierung der KV durch einheitlicheKopfpauschalen.
I Dadurch wird Verzerrung lohnbezogener Beiträge vollkommenvermieden, s. Abb.
I Kopfpauschale von V : Budgetgerade parralel verschoben aufA′′B′′. Neues Optimum B′′.
I Pauschalsteuer: Es ist nicht möglich, Konsumenten beigleichem Beitragsaufkommen (D′B′ = D′′B′′) besser zustellen.
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c
F
M
F−M-V
B
B''
A
A''
D
D''
Abbildung: Kopfpauschale
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I Problem: Durch Kopfpauschale zahlen alle Beitragszahlergleich viel → regressive Wirkung.
I Da dies nicht akzeptabel scheint, soll notwendiger sozialerAusgleich aus dem Steueraufkommen �nanziert werden.
I Wenn dies über die Lohnsteuer geschieht, bleibt Verzerrungvermutlich gleich (Breyer/Buchholz, Kap. 6.3.2.2 für prop.Lohnsteuer).
I Aber: Möglichkeit, Verzerrung zu senken, da gesamtesSteuersystem gröÿere Möglichkeiten erlaubt (z.B. MWSt...).
Ergebnis
Eine Umstellung der KV-Finanzierung von lohnbezogenen Beiträgen
auf Kopfpauschalen bei gleichzeitigem Sozialausgleich vermindert
den excess burden nicht automatisch. Allerdings besteht mehr
Flexibilität bei der Steuererhebung, so dass eine e�zientere
Allokation möglich wird.
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