44 · a 84 44 t 24 n th 64 e 56 s 4 l n en jamiroquai waren nur einige

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MANIFESTA 84 44 KRISTINA SCHULDT 24 BRUCE NAUMAN W. EUGENE SMITH 74 64 BERLIN-BIENNALE 56 ANNI ALBERS 4 Der einflussreichste Künstler unserer Zeit – jetzt im Schaulager Basel Bruce Nauman MANIFESTA PALERMO: Ein Bürgermeister nutzt die Kunst 10. BERLIN-BIENNALE: ALLES ZUM HAUPTSTADTFESTIVAL DAS KUNSTMAGAZIN // JUNI 2018 TITEL BRUCE NAUMAN Meister aller Klassen – der US-Amerikaner hat als Performer, Bildhauer und Videokünstler Kunstgeschichte geschrieben. Das Schaulager in Basel feiert ihn jetzt mit einer großen Retrospektive 24 SERVICE BASEL Die besten Ausstellungen und Ausgehtipps mit Übersichtskarte 34 RADAR BILDER DES MONATS Kunstkathedrale beim Coachella, irakische Dosenkunst für London, Digital art MuSeuM in Tokio. KUNST AUS DEM OFF Unveröffentlichte Fotos von Evelyn Richter. AKTUELL ÜBERSCHÄTZT Christian Jankowski. KUNST FÜR EINE BESSERE WELT Adoptionsagentur für Pflanzen. ART- CARTOON von Frank Nikol 12—23 THEMEN KURATORENPREIS art prämiert die beste Ausstellung des Jahres 2017 8 KRISTINA SCHULDT Die Leipziger Malerin visualisiert in ihren verführerisch bunten Bildern Geschlechterkampf und Frauenpower 44 ANNI ALBERS Sie wurde eine bedeutende Textilkünstlerin. Dabei fand die BauhauS- Schülerin eher widerwillig zum Webstuhl 56 BERLIN-BIENNALE Mehr als postkolonialer Diskurs! Kuratorin Gabi Ngcobo stellt in art die spannendsten Künstler vor 64 W. EUGENE SMITH Als Kriegsreporter erlebte er Extreme. In seinem New Yorker Loſt gingen aber auch Jazz-Legenden ein und aus 74 MANIFESTA Die Wander-Biennale findet diesmal in Palermo statt. Wie sich die Stadt mit Kunst vom Mafia-Image befreien will, erkärt Bürgermeister Leoluca Orlando im Interview 84 KUNSTZERSTÖRER Warum übergießt man Gemälde mit Säure oder hackt auf Statuen ein? Eine kleine Geschichte der Bilderstürmerei 92 BILDSEMINAR Wolfgang Ullrich über Vanessa Beecroſt und ihre Massen-Performances 98 MEILENSTEINE Wie der flämische Maler Anthonis van Dyck mit den Balbi-Kindern die Porträtkunst des Barock prägte 100 STARTER Marc Jung und Ulla Reiter 106 AUSSTELLUNGEN MÜNCHEN Jutta Koether 118 HANNOVER Hiwa K 120 DÜSSELDORF Liu Xiaodong 121 BADEN-BADEN James Turrell 122 LEEUWARDEN M. C. Escher 123 BERLIN Philippe Parreno 124 BASEL Gerda Steiner & Jörg Lenzlinger 126 BERLIN Neolithische Kindheit 127 BERLIN Hello World 128 PARIS UAM – ein modernes Abenteuer 129 KALENDER Die internationalen Kunsttermine 130 JOURNAL POLITIK Wie Berlins Kultursenator Klaus Lederer die Kunstszene der Hauptstadt besser fördern will – ein Interview 140 WEGGANG Warum Chris Dercon als Inten- dant der Berliner VolkSBühne zurücktritt 142 TRAUMJOB Max Hollein wird neuer Chef des New Yorker Metropolitan MuSeuM 144 AUSSER HAUS Till Briegleb über rosa Architektenträume 145 REISEZIEL FonDation carMignac: neues Sammlermuseum auf französischer Insel 146 GIPFEL Art Leader diskutieren in Berlin über die Zukunft der Kunstwelt 147 IM FILM Roadmovie mit Agnès Varda & JR 148 DEBATTE Wie mit ostdeutscher Kunst umgehen? Interview mit Paul Kaiser 149 VIEL HOLZ Die ehrliche Buchkolumne 151 KINDER ERKLÄREN KUNST Diesmal James Rosenquists I Love You with My Ford 154 RUBRIKEN Editorial 3 Betreff: art 6 Leserservice, Impressum, Fotovermerke 152 Im nächsten Heft 153 TITELBILD: Neoninstallation von Bruce Nauman SEX AND DEATH/DOUBLE »69«, 1985, 227 X 135 X 34 CM (PRIVATSAMMLUNG, COURTESY HAUSER & WIRTH) 118 AUSSTELLUNGEN 140 JOURNAL 12 RADAR R ot. Alles rot. Feuriges, dyna- misches, starkes, hysteri- sches, verführerisches, blu- tiges Rot. Hier führt jemand einen Kampf auf der Leinwand, mit der Malerei, der Kunst und der ganzen Kunstgeschichte gleich mit. Schon früh hat sich Jutta Koether (Jahrgang 1958) mit Alarmrot bewaffnet – einer »weiblichen« Farbe in Kontrast zu den Klischees der männlichen Macho- Maler ihrer Zeit. In ihren Kreisen be- wegt sich die Künstlerin damals in Köln Mitte der achtziger Jahre, zusam- men mit Martin Kippenberger und Al- bert Oehlen. Aber sie tritt zunächst nicht als Protagonistin in Erscheinung, sondern als Beobachterin. Sie schreibt für die Musik- und Popkulturzeit- schrift »Spex«, performt als Musikerin. Und malt. In gefährlichem Rot. Zu Beginn der Neunziger zieht Koether nach New York. Ihre bisher überwiegend kleinformatige Malerei wächst auf Jackson-Pollock-Expres- sionistengröße. Jetzt nimmt sie sich die Heroen vor. »Sie arbeitet sich richtig durch die Kunstgeschichte durch«, sagt Tonio Kröner, der gemeinsam mit Achim Hochdörfer, Direktor der samm- lung brandhorst, die Münchner Aus- stellung »Tour de Madame« kuratiert: 150 Werke von Jutta Koether vereint die Schau – Arbeiten, von denen viele noch nie zuvor zu sehen waren. Die Künstlerin schafft unter ande- rem Reprisen klassischer Meister- werke von Vincent van Gogh, Paul Cézanne, Gustave Courbet – eine Art Kommentar zur Kunstgeschichte aus weiblicher Sicht. So verglüht van Goghs psychedelische Sternennacht bei Koethers Starry Night II (1988) in einem orangeroten Feuerwerk und gebiert neues Leben. Ihre Bilder of- fenbaren erst bei genauerem Studium die vielen Verweise. So wie ihr Werk Tate BP Bacon Balthus Pdf(2015). Zu sehen ist auf den ersten Blick eine Museumsbesucherin, die vor einem Triptychon sitzt. Koethers Gemälde aber kopiere eine Werbung, das Trip- tychon zeige Bilder von Francis Bacon, aber auch die Kopie eines Courbet- Werks von Lucian Freud. Zudem trage die Besucherin Pantoffeln aus einem Gemälde von Balthus, erklärt Kröner. »Da liegen 100 Schichten übereinan- der.« Alles hat mit allem zu tun, ist miteinander verstrickt. Für die Schau im museum brand- horsthat sich Koether mit dem dor- tigen Hausheiligen, Cy Twombly, angelegt und eine zwölfteilige Gemäl- deserie geschaffen, die auf dessen Lepanto-Zyklus Bezug nimmt. Die gro- ßen, farbtrunkenen Bilder Twomblys spiegelt die Malerin im Untergeschoss auf durchsichtigen Glasstellwänden. »Und hier«, sagt Achim Hochdörfer, »zeigt sie ihre eigene Schlacht mit der Kunst.« // In gefährlichem Rot Große Retrospektive mit teils noch nie ausgestellten Arbeiten der Malerin Jutta Koether: Tour de Madame, München, Museum Brandhorst, bis 21.10.2018 AUSSTELLUNGEN DIE HÖHEPUNKTE IM JUNI sich 15 Jahre lang sehr erfolg- reich um die Schlösser in Bran- denburg gekümmert. Sie un- terstützen ihn als zukünſtigen HuFo-Intendanten. Warum? Es gab eine ganze Zeit lang die Debatte zwischen Bund und Land um die Frage: Wer hat hier eigentlich die Hosen an, und wer hat sich unterzuordnen? Diese Auseinandersetzung haben wir beendet. Wir haben uns jetzt entschlossen, ein kooperatives Modell zu fahren. Das heißt gerade nicht, dass es im Humboldt-forum eine strikt hierarchische Organisa- tion geben muss. Eher geht es um ein Bewusstsein, dass ge- rade das Spannungsfeld unter- schiedlicher Akteure und die dadurch entstehenden Rei- bungsflächen zu einem guten Ergebnis beitragen können. Sie gelten als Anwalt der freien Szene. Deren ehema- liger Sprecher kritisierte jedoch kürzlich öffentlich, dass es der Szene insgesamt schlechter gehe als noch vor einigen Jahren. Ein Miss- verständnis? Wir haben unseren Kulturetat deutlich erhöht. Natürlich sind bei den öffentlichen Institu- tionen viele Mittel auch in Ta- riferhöhungen geflossen. Ich möchte mit der freien Szene nicht darüber streiten, wer den größeren Anteil am Topf be- kommt. Lieber will ich darum kämpfen, dass der Topf insge- samt größer wird. Es scheint mir nicht die richtige Strategie der Freien zu sein, auf die Ein- richtungen zu zeigen und zu sagen: »Die kriegen zu viel.« Die bessere Strategie wäre es, sich mit den Einrichtungen zu- sammenzutun und darum zu kämpfen, dass insgesamt mehr für Kultur rumkommt. Dem Berliner Atelierbeauf- tragten zufolge werden mittel- fristig 4000 Ateliers für bil- dende Künstler fehlen. Derzeit verschwinden jährlich 350 Ateliers durch massive Miet- erhöhungen vom Markt. Was tun Sie für die Künstler auf Ateliersuche? Wir versuchen mit allen uns verfügbaren Ressourcen und Möglichkeiten, möglichst viele Räume vom Markt zu holen oder dauerhaſt für unser Atelier- und Arbeitsraumprogramm zu binden. Wir tun, was wir tun können. Ob wir damit einen nennenswerten Beitrag leis- ten zur Erhaltung der künstleri- schen Vielfalt, der Diversität in unserer Stadt, werden wir ver- mutlich eine Generation später mit dem Blick zurück beantwor- ten können. Die Ateliermeile Prenzlauer Promenade in Heinersdorf »Wir leben auch in Berlin im Kapitalismus« INTERVIEW Kultursenator Klaus Lederer über neue und alte Atelierräume, den Kampf um einen höheren Kulturetat und eine ungerechte Steuerpolitik »Wir versuchen mit allen uns verfüg- baren Ressourcen, möglichst viele Atelierräume vom Markt zu holen« K laus Lederer empfängt zum Interview in sei- nem Büro in der Berli- ner Kulturverwaltung auf der Brunnenstraße am Rosenthaler Platz in Berlin-Mitte. Das be- stimmende Thema seines ersten Amtsjahres waren die Querelen um die Berliner Volks- büHne, deren Umstrukturie- rung mit dem Rücktritt von In- tendant Chris Dercon wohl vorerst vom Tisch ist. Auf dem Gang vor seinem Büro hängen seit der Amtszeit von André Schmitz Abzüge des Fotografen Erich Salomon, etwa das be- rühmte Bild der im Bett telefo- nierenden Marlene Dietrich in Hollywood von 1930. Lederers Arbeitsraum schmücken hin- gegen futuristische Architektur- Collagen aus den Sechzigern – eine Hinterlassenschaſt des früheren Kulturstaatssekretärs Tim Renner. Über eine neue Hängung hat sich Lederer, 44, nach Thomas Flierl der zweite linke Kultursenator in der Ge- schichte des wiedervereinigten Berlins, noch keine Gedanken gemacht. Es gab, so erklärt der aktuellen Umfragen zufolge be- liebteste Politiker in der Stadt, einfach zu viel anderes zu tun. art: Herr Lederer, einer Ihrer Vorgänger, der Sozialdemo- krat Klaus Wowereit, hat lange und am Ende erfolglos für eine neue Berliner Kunst- halle gekämpſt. Was ist Ihr großes Projekt in Bezug auf die bildende Kunst? Klaus Lederer: Es sollte nicht darum gehen, neue Institutio- nen aus dem Boden zu stamp- fen. Wichtig ist jedoch, den existierenden Bestand an In- stitutionen zu sichern, zu stär- ken, in seiner Profilierung auszubauen und in die Gegen- wart zu holen. Ich habe großes Interesse daran, dass sich die Situation der städtischen Ein- richtungen, die sich mit bil- dender Kunst in unserer Stadt beschäſtigen, wie die berlini- scHe Galerie, das GeorG- kolbe-museum, das bröHan- museum oder das brücke- museum, hinsichtlich der prekären Ausstellungsetats ver- bessert. Insbesondere sollten auch Projekträume als Orte gesichert werden, an denen Kunstproduktion und Kunst- präsentation zusammenflie- ßen. Eine Aufgabe wird sein, eine Förderform zu finden, die solchen Projekträumen gerecht wird. Es geht mir insgesamt um die Relevanz von Kultur für unsere Stadt und die Gesell- schaſt. Kultur ist nicht nur Stadtmarketing, sie bildet die DNA der Stadt, sie sichert die demokratische Basis. Wir müs- sen als Kultur-Infrastruktur- ministerium Kunstproduktion und Kunstgenuss ermöglichen. Hartmut Dorgerloh, der neue De-facto-Intendant des Humboldt-forums, hat JOURNAL NACHRICHTEN UND DEBATTEN Die Jünger des Draht-Tempels Mit nahezu religiöser Hingabe pilgerten im April rund 250 000 Menschen in die kalifornische Wüste, um gemeinsam ihren Stars zu huldigen. Beyoncé, Eminem und Jamiroquai waren nur einige der Musiker, die beim 19. Coachella-Musikfestival auftraten und die modisch hochgerüstete Schar verzückten. Bei Coachella geht es neben Musik und Mode - der Coachella- Boho-Style wird frenetisch in den sozia- len Netzwerken gefeiert – auch um Kunst. Das passendste Werk 2018 stammt von dem jungen italienischen Bildhauer und Szenenbildner Edoardo Tresoldi, welcher der Festival-Gemeinde einen Tem- pel aus seinem Lieblingsmaterial Draht baute. Tresoldi lieferte mit Ethereadie perfekte Kulisse für Tausende Instagram- Selfies und Schnappschüsse von Menschen, die das kurze Glück genießen, zu dem das billigste Ticket 429 Dollar gekostet hat. RADAR BILDER+THEMEN DES MONATS 5 INHALT // JUNI 2018

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Page 1: 44 · A 84 44 T 24 N TH 64 E 56 S 4 L N en Jamiroquai waren nur einige

M ANIFE STA

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44K RI STINA S C H U L DT

24BRUC E NAU M AN

W. EUG ENE SMI TH

74

64BERL IN-BIENNAL E

56ANNI AL BER S

4

Der einflussreichste Künstler unserer Zeit – jetzt im Schaulager Basel

Bruce Nauman

M A N I F E S TA PA L E R M O : Ein Bürgermeister nutzt die Kunst

10. BERLIN-BIENNALE: ALLES ZUM HAUPTSTADTFESTIVAL

D € 11,80 // A € 13,50 // CH sfr 18,80 // I, E, P € 15,50 // B, NL, LUX € 13,60

DA S K U N S T M AG A Z I N // J U N I 2 0 1 8

D € 11,80 // A € 13,50 // CH sfr 18,80 // I, E, P € 15,50 // B, NL, LUX € 13,60

TITEL

BRUCE NAUMAN Meister aller Klassen – der US-Amerikaner hat als Performer, Bildhauer und Videokünstler Kunstgeschichte geschrieben. Das Schaulager in Basel feiert ihn jetzt mit einer großen Retrospektive 24

SERVICE BASEL Die besten Ausstellungen und Ausgehtipps mit Übersichtskarte 34

RADAR

BILDER DES MONATS Kunstkathedrale beim Coachella, irakische Dosenkunst für London, Digital art MuSeuM in Tokio. KUNST AUS DEM OFF Unveröffentlichte Fotos von Evelyn Richter. AKTUELL ÜBERSCHÄTZT Christian Jankowski. K U NST F Ü R EI N E BESSERE WELT Adoptionsagentur für Pflanzen. ART-CARTOON von Frank Nikol 12—23

THEMEN

KURATORENPREIS art prämiert die beste Ausstellung des Jahres 2017 8

KRISTINA SCHULDT Die Leipziger Malerin visualisiert in ihren verführerisch bunten Bildern Geschlechterkampf und Frauenpower 44

ANNI ALBERS Sie wurde eine bedeutende Textilkünstlerin. Dabei fand die BauhauS-Schülerin eher widerwillig zum Webstuhl 56

BERLIN-BIENNALE Mehr als postkolonialer Diskurs! Kuratorin Gabi Ngcobo stellt in art die spannendsten Künstler vor 64

W. EUGENE SMITH Als Kriegsreporter erlebte er Extreme. In seinem New Yorker Loft gingen aber auch Jazz-Legenden ein und aus 74

MANIFESTA Die Wander-Biennale findet diesmal in Palermo statt. Wie sich die Stadt mit Kunst vom Mafia-Image befreien will, erkärt Bürgermeister Leoluca Orlando im Interview 84

KUNSTZERSTÖRER Warum übergießt man Gemälde mit Säure oder hackt auf Statuen ein? Eine kleine Geschichte der Bilderstürmerei 92

BILDSEMINAR Wolfgang Ullrich über Vanessa Beecroft und ihre Massen-Performances 98

MEILENSTEINE Wie der flämische Maler Anthonis van Dyck mit den Balbi-Kindern die Porträtkunst des Barock prägte 100

STARTER Marc Jung und Ulla Reiter 106

AUSSTELLUNGEN

MÜNCHEN Jutta Koether 118

HANNOVER Hiwa K 120

DÜSSELDORF Liu Xiaodong 121

BADEN-BADEN James Turrell 122

LEEUWARDEN M. C. Escher 123

BERLIN Philippe Parreno 124

BASEL Gerda Steiner & Jörg Lenzlinger 126

BERLIN Neolithische Kindheit 127

BERLIN Hello World 128

PARIS UAM – ein modernes Abenteuer 129

KALENDER

Die internationalen Kunsttermine 130

JOURNAL

POLITIK Wie Berlins Kultursenator Klaus Lederer die Kunstszene der Hauptstadt besser fördern will – ein Interview 140

WEGGANG Warum Chris Dercon als Inten-dant der Berliner VolkSBühne zurücktritt 142

TRAUMJOB Max Hollein wird neuer Chef des New Yorker Metropolitan MuSeuM 144

AUSSER HAUS Till Briegleb über rosa Architektenträume 145

REISEZIEL FonDation carMignac: neues Sammlermuseum auf französischer Insel 146

GIPFEL Art Leader diskutieren in Berlin über die Zukunft der Kunstwelt 147

IM FILM Roadmovie mit Agnès Varda & JR 148

DEBATTE Wie mit ostdeutscher Kunst umgehen? Interview mit Paul Kaiser 149

VIEL HOLZ Die ehrliche Buchkolumne 151

KINDER ERKLÄREN KUNST Diesmal James Rosenquists I Love You with My Ford 154

RUBRIKEN

Editorial 3

Betreff: art 6

Leserservice, Impressum, Fotovermerke 152

Im nächsten Heft 153

TITELBILD: Neoninstallation von Bruce Nauman

SEX AND DEATH/DOUBLE »69«, 1985, 227 X 135 X 34 CM (PRIVATSAMMLUNG, COURTESY HAUSER & WIRTH)

118 AUSSTELLUNGEN

140 JOURNAL

12 RADAR

R ot. Alles rot. Feuriges, dyna-misches, starkes, hysteri-sches, verführerisches, blu-tiges Rot. Hier führt jemand

einen Kampf auf der Leinwand, mit der Malerei, der Kunst und der ganzen Kunstgeschichte gleich mit. Schon früh hat sich Jutta Koether (Jahrgang 1958) mit Alarmrot bewaffnet – einer »weiblichen« Farbe in Kontrast zu den Klischees der männlichen Macho- Maler ihrer Zeit. In ihren Kreisen be-wegt sich die Künstlerin damals in Köln Mitte der achtziger Jahre, zusam-men mit Martin Kippenberger und Al-bert Oehlen. Aber sie tritt zunächst nicht als Protagonistin in Erscheinung, sondern als Beobachterin. Sie schreibt für die Musik- und Popkulturzeit-schrift »Spex«, performt als Musikerin. Und malt. In gefährlichem Rot.

Zu Beginn der Neunziger zieht Koether nach New York. Ihre bisher überwiegend kleinformatige Malerei wächst auf Jackson-Pollock-Expres-sionistengröße. Jetzt nimmt sie sich die Heroen vor. »Sie arbeitet sich richtig durch die Kunstgeschichte durch«, sagt Tonio Kröner, der gemeinsam mit Achim Hochdörfer, Direktor der samm-lung brandhorst, die Münchner Aus-stellung »Tour de Madame« kuratiert: 150 Werke von Jutta Koether vereint die Schau – Arbeiten, von denen viele noch nie zuvor zu sehen waren.

Die Künstlerin schafft unter ande-rem Reprisen klassischer Meister-werke von Vincent van Gogh, Paul Cézanne, Gustave Courbet – eine Art Kommentar zur Kunstgeschichte aus weiblicher Sicht. So verglüht van Goghs psychedelische Sternennacht bei Koethers Starry Night II (1988) in einem orangeroten Feuerwerk und gebiert neues Leben. Ihre Bilder of-fenbaren erst bei genauerem Studium

die vielen Verweise. So wie ihr Werk Tate BP Bacon Balthus Pdf (2015). Zu sehen ist auf den ersten Blick eine Museumsbesucherin, die vor einem Triptychon sitzt. Koethers Gemälde aber kopiere eine Werbung, das Trip-tychon zeige Bilder von Francis Bacon, aber auch die Kopie eines Courbet-Werks von Lucian Freud. Zudem trage die Besucherin Pantoffeln aus einem Gemälde von Balthus, erklärt Kröner. »Da liegen 100 Schichten übereinan-der.« Alles hat mit allem zu tun, ist miteinander verstrickt.

Für die Schau im museum brand-horst hat sich Koether mit dem dor-tigen Hausheiligen, Cy Twombly, angelegt und eine zwölfteilige Gemäl-deserie geschaffen, die auf dessen Lepanto-Zyklus Bezug nimmt. Die gro-ßen, farbtrunkenen Bilder Twomblys spiegelt die Malerin im Untergeschoss auf durchsichtigen Glasstellwänden. »Und hier«, sagt Achim Hochdörfer, »zeigt sie ihre eigene Schlacht mit der Kunst.« // TANJA BEUTHIEN

In gefährlichem RotGroße Retrospektive mit teils noch nie ausgestellten Arbeiten der Malerin Jutta Koether: Tour de Madame, München, Museum Brandhorst, bis 21.10.2018

V O R B E R I C H T

Der Katalog zur Ausstellung erscheint im Verlag der Buch-handlung Walther König und kostet im Buchhandel 49,80 Euro, vergünstigte Ausgabe im Museum erhältlich.

Rot ist für Jutta Koether eine »weibliche« Farbe

TOUR DE MADAME 6, 2018, 130 X 160 CM

Stark, hysterisch, verführerisch

UNTITLED 1987, 18 X 24 CM

118 119

AUSSTELLUNGEND I E H Ö H E P U N K T E

I M J U N I

sich 15 Jahre lang sehr erfolg-reich um die Schlösser in Bran-denburg gekümmert. Sie un-terstützen ihn als zukünftigen HuFo-Intendanten. Warum?Es gab eine ganze Zeit lang die Debatte zwischen Bund und Land um die Frage: Wer hat hier eigentlich die Hosen an, und wer hat sich unterzuordnen? Diese Auseinandersetzung haben wir beendet. Wir haben uns jetzt entschlossen, ein kooperatives Modell zu fahren. Das heißt gerade nicht, dass es im Humboldt-forum eine strikt hierarchische Organisa-tion geben muss. Eher geht es um ein Bewusstsein, dass ge-rade das Spannungsfeld unter-schiedlicher Akteure und die dadurch entstehenden Rei-bungsflächen zu einem guten Ergebnis beitragen können.Sie gelten als Anwalt der freien Szene. Deren ehema-liger Sprecher kritisierte jedoch kürzlich öffentlich, dass es der Szene insgesamt schlechter gehe als noch vor einigen Jahren. Ein Miss-verständnis?Wir haben unseren Kulturetat deutlich erhöht. Natürlich sind bei den öffentlichen Institu-tionen viele Mittel auch in Ta-riferhöhungen geflossen. Ich möchte mit der freien Szene nicht darüber streiten, wer den größeren Anteil am Topf be-kommt. Lieber will ich darum kämpfen, dass der Topf insge-samt größer wird. Es scheint mir nicht die richtige Strategie der Freien zu sein, auf die Ein-

richtungen zu zeigen und zu sagen: »Die kriegen zu viel.« Die bessere Strategie wäre es, sich mit den Einrichtungen zu- sammenzutun und darum zu kämpfen, dass insgesamt mehr für Kultur rumkommt.Dem Berliner Atelierbeauf-tragten zufolge werden mittel-fristig 4000 Ateliers für bil-dende Künstler fehlen. Derzeit verschwinden jährlich 350 Ateliers durch massive Miet- erhöhungen vom Markt. Was tun Sie für die Künstler auf Ateliersuche?Wir versuchen mit allen uns verfügbaren Ressourcen und Möglichkeiten, möglichst viele Räume vom Markt zu holen oder dauerhaft für unser Atelier- und Arbeitsraumprogramm zu binden. Wir tun, was wir tun können. Ob wir damit einen nennenswerten Beitrag leis- ten zur Erhaltung der künstleri-schen Vielfalt, der Diversität in unserer Stadt, werden wir ver-mutlich eine Generation später mit dem Blick zurück beantwor-ten können.Die Ateliermeile Prenzlauer Promenade in Heinersdorf

»Wir leben auch in Berlin im Kapitalismus«INTERVIEW Kultursenator Klaus Lederer über neue und alte Atelierräume, den Kampf um einen höheren Kulturetat und eine ungerechte Steuerpolitik »Wir versuchen mit

allen uns verfüg- baren Ressourcen, möglichst viele Atelierräume vom Markt zu holen«

Klaus Lederer war Landesvorsitzender der Berliner Die Linke, bevor er Kultursenator wurde

PORTRÄT: STEFFEN ROTH

Berlin braucht Ateliers: Proteste gegen Miet- wucher im April 2018 und die Ex-Schauspiel-schule in Schöneweide

Klaus Lederer empfängt zum Interview in sei-nem Büro in der Berli-

ner Kulturverwaltung auf der Brunnenstraße am Rosenthaler Platz in Berlin-Mitte. Das be-stimmende Thema seines ersten Amtsjahres waren die Querelen um die Berliner Volks-büHne, deren Umstrukturie-rung mit dem Rücktritt von In-tendant Chris Dercon wohl vorerst vom Tisch ist. Auf dem Gang vor seinem Büro hängen seit der Amtszeit von André Schmitz Abzüge des Fotografen Erich Salomon, etwa das be-rühmte Bild der im Bett telefo-nierenden Marlene Dietrich in Hollywood von 1930. Lederers Arbeitsraum schmücken hin-gegen futuristische Architektur-Collagen aus den Sechzigern – eine Hinterlassenschaft des früheren Kulturstaatssekretärs Tim Renner. Über eine neue Hängung hat sich Lederer, 44, nach Thomas Flierl der zweite linke Kultursenator in der Ge-schichte des wiedervereinigten Berlins, noch keine Gedanken gemacht. Es gab, so erklärt der aktuellen Umfragen zufolge be-liebteste Politiker in der Stadt, einfach zu viel anderes zu tun. art: Herr Lederer, einer Ihrer Vorgänger, der Sozialdemo-krat Klaus Wowereit, hat lange und am Ende erfolglos für eine neue Berliner Kunst-halle gekämpft. Was ist Ihr großes Projekt in Bezug auf die bildende Kunst?Klaus Lederer: Es sollte nicht darum gehen, neue Institutio-

nen aus dem Boden zu stamp-fen. Wichtig ist jedoch, den existierenden Bestand an In-stitutionen zu sichern, zu stär-ken, in seiner Profilierung auszubauen und in die Gegen-wart zu holen. Ich habe großes Interesse daran, dass sich die Situation der städtischen Ein-richtungen, die sich mit bil-dender Kunst in unserer Stadt beschäftigen, wie die berlini-scHe Galerie, das GeorG- kolbe-museum, das bröHan-museum oder das brücke-museum, hinsichtlich der prekären Ausstellungsetats ver-bessert. Insbesondere sollten auch Projekträume als Orte gesichert werden, an denen Kunstproduktion und Kunst-präsentation zusammenflie-ßen. Eine Aufgabe wird sein, eine Förderform zu finden, die solchen Projekträumen gerecht wird. Es geht mir insgesamt um die Relevanz von Kultur für unsere Stadt und die Gesell-schaft. Kultur ist nicht nur Stadtmarketing, sie bildet die DNA der Stadt, sie sichert die demokratische Basis. Wir müs-sen als Kultur-Infrastruktur-ministerium Kunstproduktion und Kunstgenuss ermöglichen.Hartmut Dorgerloh, der neue De-facto-Intendant des Humboldt-forums, hat

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J O U R NA LNAC HRIC HTEN

UND DEBATTEN

J O U R NA L NAC HRI C H TE N U N D DE BAT TE N

Die Jünger des Draht-TempelsMit nahezu religiöser Hingabe pilgerten im April rund 250 000 Menschen in die kalifornische Wüste, um gemeinsam ihren Stars zu huldigen. Beyoncé, Eminem und Jamiroquai waren nur einige der Musiker, die beim 19. Coachella-Musikfestival auftraten und die modisch hochgerüstete Schar verzückten. Bei Coachella geht es neben Musik und Mode - der Coachella-Boho-Style wird frenetisch in den sozia-len Netzwerken gefeiert – auch um Kunst. Das passendste Werk 2018 stammt von dem jungen italienischen Bildhauer und Szenenbildner Edoardo Tresoldi, welcher der Festival-Gemeinde einen Tem- pel aus seinem Lieblingsmaterial Draht baute. Tresoldi lieferte mit Etherea die perfekte Kulisse für Tausende Instagram-Selfies und Schnappschüsse von Menschen, die das kurze Glück genießen, zu dem das billigste Ticket 429 Dollar gekostet hat.

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