536 seiten, 159 z.t. farbige abb., 7 tab., gb. ernst teubner, ,der schultergürtel € 49,95, sfr...

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Buchbesprechung Ernst Teubner. Der Schultergiirtel. 536 Seiten, 159 z.T. farbige Abb., 7 Tab., Gb., Verlag Hans Huber: Bern, G6ttingen, To- ronto, Seattle 2003. ~ 49,95, sFr 83,00. ISBN 3-456-83875-1 Dieses Buch Uber den Schultergtirtel bietet zahlreiche und zum Teil sehr unterschiedliche Betrachtungsweisen aus der Perspek- tive der Evolution, der funktionellen Anatomie, der Orthopfidie und Traumatologie, der Zoologie, der Kulturgeschichte, der So- ziobiologie, der klassischen Mechanik, des ingenieurwissenschaft- lichen Konstruktionsdenkens bis bin zur Philosophie sowie Psychologie der beiden Claviculae und Scapulae sowie deren ge- lenkige Verbindungen durch das Sternum. Diese ergreifende Vielfalt der Betrachttmgsweisen enthfilt offenbar keine Lticken mehr, welche ein unvollst~ndiges Bild des Schultergtirtels zulas- sen w0rden. Das Buch ist in elf Hauptkapitel gegliedert und enth~ilt einen Glossar, ein Personen- und ein Sachregister, wobei letzteres eher dfirftig ausgefallen ist. Ober die vergleichende Entwicklungsge- schichte der Schultergt~rtelsysteme von Vertebraten kommt der Autor zur Biomechanik und mechanischen Simulation dieses Skelettabschnittes. Vor dem Kapitel t~ber den Schulterg0rtel als schwingungsffihiges Bewegungssystem werden die gutachterlichen Aspekte bei unterschiedlich starken Einschrfinkungen der Schul- terbeweglichkeit beschrieben. Hiernach folgen drei Kapitel fiber Erkrankungen des Schultergartels, insbesondere solche, die in der Traumatologie relevant sind. Der Schulterg0rtel wird hier zu- n~ichst als ganzheitliches System betrachtet, das verletzt werden kann, danach dann jeweils die Klavikula in einem Kapitel und die Skapula in einem weiteren. Die Beanspruchungsanalyse des Schultergtirtels als Ganzen ist in einem Kapitel sehr gut beschrieben worden und spannungs- optische Darstellungen finden sich hier vonder Klavikula, aller- dings fehlt eine derartige Analyse vonder Skapula und gerade dieser Knochen mit seiner unregelm~iNgen Oberflache ist - spannungsoptisch betrachtet - besonders interessant. Von der Belastungsmessung gelangt der Autor im nachfolgenden Kapitel zur Untersuchuug von Kraft- und Spannungsverteilungen des Schlfisselbeins. Hier wird die vielen Anatomen inzwischen be- kannte Methode der finiten Elemente angewendet, um Spannun- gen dreidimensional abzubilden. In dem Buch wird ein Verst/indnis zur integralen Systemfunk- tion des Schultergtirtel-Raumsystems entwickelt. Hierbei werden zehn Funktionsprinzipien des ganzheitlichen rgumlichen Skelett- Systems im Sinne eines holistischen Verst~ndnisses herausgear- beitet und in Beziehung zu Verletzungsmechanismen des Schul- tergtirtels gesetzt. Gew6hnungsbedtirftig sind die fiir Anatomen ungew6hnlichen Begriffe wie: dreigliedriges Raumgetriebe, Plattenk6rper, elasti- sches Grogfl~ichenlager, Bewegungstransformator, raumkinema- tische Funktion oder Lagerstelle. Mit diesen aus der Mechanik und den Materialwissenschaften stammenden Begriffen lassen sich jedoch mechanische, statische und funktionelle Elemente des Schultergtirtels eindeutig beschreiben. Auffallend ist, dass dieses Buch ungew/3hnliche Gedankengfinge enth~ilt, die versu- chen, unterschiedliche Ideen zu verbinden wie etwa in dem fol- genden Satz: ,,Ober ihre statische und dynamische Funktion hinaus verbinden die Gt~rtelsysteme neuronal die peripheren Sensoren der Umwelterkennung mit den zentralen Prozessoren der Musterbildung und der Umweltinterpretation zu Weltbil- dern." Derartige Sfitze wirken aber eher erfrischend und ,,klop- fen uns aufmunternd auf die Schulter", um die Last dieser faktenreichen Lektttre ,,auf unseren Schultern tragen zu k6n- nen". Oliver Schmitt, Rostock 162

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Ernst Teubner. Der Schultergiirtel. 536 Seiten, 159 z.T. farbige Abb., 7 Tab., Gb., Verlag Hans Huber: Bern, G6ttingen, To- ronto, Seattle 2003. ~ 49,95, sFr 83,00. ISBN 3-456-83875-1

Dieses Buch Uber den Schultergtirtel bietet zahlreiche und zum Teil sehr unterschiedliche Betrachtungsweisen aus der Perspek- tive der Evolution, der funktionellen Anatomie, der Orthopfidie und Traumatologie, der Zoologie, der Kulturgeschichte, der So- ziobiologie, der klassischen Mechanik, des ingenieurwissenschaft- lichen Konstruktionsdenkens bis bin zur Philosophie sowie Psychologie der beiden Claviculae und Scapulae sowie deren ge- lenkige Verbindungen durch das Sternum. Diese ergreifende Vielfalt der Betrachttmgsweisen enthfilt offenbar keine Lticken mehr, welche ein unvollst~ndiges Bild des Schultergtirtels zulas- sen w0rden.

Das Buch ist in elf Hauptkapitel gegliedert und enth~ilt einen Glossar, ein Personen- und ein Sachregister, wobei letzteres eher dfirftig ausgefallen ist. Ober die vergleichende Entwicklungsge- schichte der Schultergt~rtelsysteme von Vertebraten kommt der Autor zur Biomechanik und mechanischen Simulation dieses Skelettabschnittes. Vor dem Kapitel t~ber den Schulterg0rtel als schwingungsffihiges Bewegungssystem werden die gutachterlichen Aspekte bei unterschiedlich starken Einschrfinkungen der Schul- terbeweglichkeit beschrieben. Hiernach folgen drei Kapitel fiber Erkrankungen des Schultergartels, insbesondere solche, die in der Traumatologie relevant sind. Der Schulterg0rtel wird hier zu- n~ichst als ganzheitliches System betrachtet, das verletzt werden kann, danach dann jeweils die Klavikula in einem Kapitel und die Skapula in einem weiteren.

Die Beanspruchungsanalyse des Schultergtirtels als Ganzen ist in einem Kapitel sehr gut beschrieben worden und spannungs- optische Darstellungen finden sich hier vonder Klavikula, aller-

dings fehlt eine derartige Analyse vonder Skapula und gerade dieser Knochen mit seiner unregelm~iNgen Oberflache ist - spannungsoptisch betrachtet - besonders interessant. Von der Belastungsmessung gelangt der Autor im nachfolgenden Kapitel zur Untersuchuug von Kraft- und Spannungsverteilungen des Schlfisselbeins. Hier wird die vielen Anatomen inzwischen be- kannte Methode der finiten Elemente angewendet, um Spannun- gen dreidimensional abzubilden.

In dem Buch wird ein Verst/indnis zur integralen Systemfunk- tion des Schultergtirtel-Raumsystems entwickelt. Hierbei werden zehn Funktionsprinzipien des ganzheitlichen rgumlichen Skelett- Systems im Sinne eines holistischen Verst~ndnisses herausgear- beitet und in Beziehung zu Verletzungsmechanismen des Schul- tergtirtels gesetzt.

Gew6hnungsbedtirftig sind die fiir Anatomen ungew6hnlichen Begriffe wie: dreigliedriges Raumgetriebe, Plattenk6rper, elasti- sches Grogfl~ichenlager, Bewegungstransformator, raumkinema- tische Funktion oder Lagerstelle. Mit diesen aus der Mechanik und den Materialwissenschaften stammenden Begriffen lassen sich jedoch mechanische, statische und funktionelle Elemente des Schultergtirtels eindeutig beschreiben. Auffallend ist, dass dieses Buch ungew/3hnliche Gedankengfinge enth~ilt, die versu- chen, unterschiedliche Ideen zu verbinden wie etwa in dem fol- genden Satz: ,,Ober ihre statische und dynamische Funktion hinaus verbinden die Gt~rtelsysteme neuronal die peripheren Sensoren der Umwelterkennung mit den zentralen Prozessoren der Musterbildung und der Umweltinterpretation zu Weltbil- dern." Derartige Sfitze wirken aber eher erfrischend und ,,klop- fen uns aufmunternd auf die Schulter", um die Last dieser faktenreichen Lektttre ,,auf unseren Schultern tragen zu k6n- nen".

Oliver Schmitt, Rostock

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