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FG Geohydraulik und Ingenieurhydrologie Technische Hydraulik Universität Gesamthochschule Kassel Prof. Dr. rer. nat. M. Koch 6.1 6. Gerinneströmungen 6.1 Allgemeine Aspekte von Gerinneströmungen Gerinneströmungen (engl.: “open channel flow”) sind die Anwendungen par excellence des Bauingenieur-Hydraulikers. Neben den eigentlichen Gerinneströmungen in offenen baulichen Gerinnen und Kanälen, kommen sie jedoch auch zum Tragen in vielen Naturströmungen, wie z.B. in Bächen und Flüssen, letztlich aber auch großflächiger bei der Ausbreitung oder dem Abfluß von Hochwasserwellen in Überschwemmungsgebieten (engl.: “overland flow”). Insofern lassen sich Gerinneströmungen zweckmäßiger als Strömungen mit freiem Wasserspiegel” charakterisieren, wobei dann der Begriff “Gerinne” sich dann allgemein auf das Fließgebiet der jeweiligen Strömung bezieht. Die für den Bauingenieur wichtigen Merkmale einer typischen Gerinneströmung beim Ausfluß aus einem Becken in einen offenen Kanal, der ein unterschiedliches Gefälle aufweist und mit einem Überfallwehr zwecks Messung des Abflusses versehen ist, sind in Abb. 6.1 dargestellt: Abb. 6.1: Physikalische Merkmale einer typischen Gerinneströmung Folgende Charaktere, Schlüsselworte und Fragestellungen sind bei Gerinneströmungen von Bedeutung: - Stationäre und instationäre Strömung - Gleichförmige und ungleichförmige Strömung - subkritische (strömend) /superkritische (schießend) Strömung - Ausbreitung von Störungen - Der Wechselsprung - Einfluß des Sohlgefälles auf Wasserspiegelhöhen - Einfluß der Sohlrauhigkeit auf den Abfluß - Abflußkontrolle durch Wehre und Kanaleinschnürungen Obwohl die exakte Berechnung gerade von instationären und ungleichförmigen Gerinneströmungen theoretisch äußerst komplex ist, und man sich daher häufig physikalischer Maßstabsmodelle im Labor bedient (Abb. 6.2), lassen sich die wichtigsten phänomenologischen, physikalischer Grundlagen der offenen Gerinneströmung, ähnlich wie bei der Röhrströmung, durch Anwendung der (1) Massen -, (2) der Energie- (Bernoulli), und (3) der Impulserhaltung herleiten. Ähnlich wie bei den Rohrströmungen kann man auch hier Reibungseinflüße beim Aufstellen der Energiegleichung getrennt erfassen.

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FG Geohydraulik und Ingenieurhydrologie Technische HydraulikUniversität Gesamthochschule KasselProf. Dr. rer. nat. M. Koch 6.1

6. Gerinneströmungen6.1 Allgemeine Aspekte von Gerinneströmungen

Gerinneströmungen (engl.: “open channel flow”) sind die Anwendungen par excellence desBauingenieur-Hydraulikers. Neben den eigentlichen Gerinneströmungen in offenen baulichen Gerinnenund Kanälen, kommen sie jedoch auch zum Tragen in vielen Naturströmungen, wie z.B. in Bächen undFlüssen, letztlich aber auch großflächiger bei der Ausbreitung oder dem Abfluß von Hochwasserwellenin Überschwemmungsgebieten (engl.: “overland flow”). Insofern lassen sich Gerinneströmungenzweckmäßiger als “Strömungen mit freiem Wasserspiegel” charakterisieren, wobei dann der Begriff“Gerinne” sich dann allgemein auf das Fließgebiet der jeweiligen Strömung bezieht. Die für den Bauingenieur wichtigen Merkmale einer typischen Gerinneströmung beim Ausfluß auseinem Becken in einen offenen Kanal, der ein unterschiedliches Gefälle aufweist und mit einemÜberfallwehr zwecks Messung des Abflusses versehen ist, sind in Abb. 6.1 dargestellt:

Abb . 6 .1 : Phys ika l i scheMerkmale einer typischenGerinneströmung

Folgende Charaktere, Schlüsselworte und Fragestellungen sind bei Gerinneströmungen vonBedeutung:

- Stationäre und instationäre Strömung - Gleichförmige und ungleichförmige Strömung - subkritische (strömend) /superkritische (schießend) Strömung - Ausbreitung von Störungen - Der Wechselsprung- Einfluß des Sohlgefälles auf Wasserspiegelhöhen- Einfluß der Sohlrauhigkeit auf den Abfluß- Abflußkontrolle durch Wehre und Kanaleinschnürungen

Obwohl die exakte Berechnung gerade von instationären und ungleichförmigen Gerinneströmungentheoretisch äußerst komplex ist, und man sich daher häufig physikalischer Maßstabsmodelle im Laborbedient (Abb. 6.2), lassen sich die wichtigsten phänomenologischen, physikalischer Grundlagen deroffenen Gerinneströmung, ähnlich wie bei der Röhrströmung, durch Anwendung der

(1) Massen -,(2) der Energie- (Bernoulli), und (3) der Impulserhaltung

herleiten. Ähnlich wie bei den Rohrströmungen kann man auch hier Reibungseinflüße beim Aufstellender Energiegleichung getrennt erfassen.

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Abb. 6.2: Wehrüberlauf des Barlett-Staudammes (USA) (links), mit Labormodel (rechts)

6.2 Physikalische Grundprinzipien der stationären, reibungsfreien Gerinneströmung6.2.1 Die Energie (Bernoulli) gleichung

Abb. 6.3:Anwendung der Energiegleichung auf eine Gerinneströmung

Anwendung der reibungsfreien Bernoulligleichung auf der Sohle längs des Gerinnes ergibt:

H = z + p/ g + v2/2g = konstantund mit

h = p/ g = Wassertiefe===>

H = z + h + v2/2g = konstant (6.1)

Für den Fall, daß zunächst die Sohle horizontal und willkürlich der Bezugshorizont =0 ist ( z1 = z2)

===> H = h + v2/2g = konstant (6.2)

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6.2.2 Energie- und Wasserspiegel bei vorgegebenem Abfluß

Betrachtet sei einfacherhalber ein rechteckiges Gerinne mit A = b*h dem benetzten Querschnitt, danngilt wegen für die stationäre Strömung nach der Kontinuitätsgleichung bei vorgegebenem Abfluß Q

Q = v *A ===> v = Q/A = Q/ b*h, d.h. für G. 6.2 erhält man

H = h + 1/2g *Q2/ (b2*h 2) (6.3)===>

h3 - H*h2 + 1/2g *Q2/ b2 = 0 (6.4)

Dies ist eine kubische Gleichung für die Wassertiefe h, hat also im Prinzip drei!! Lösungen für eingegebenes Wertepaar (H,Q). Nur zwei von diesen Lösungen sind jedoch physikalisch sinnvoll:

In einem Gerinne können sich bei vorgebenener Energiehöhe H und Abfluß Q zwei mögliche Wassertiefen h einstellen

Bei sich verändernden Sohlgefällen kann es daher in einem Gerinne einen Wechsel der Wassertiefen hkommen. Insbesondere:

(1) Beim Beschleunigen (Abb. 6.4 links) (v nimmt zu) eine Verringerung von h

(2) Beim Verzögern (Abb. 6.4 rechts vor dem Wehr) (v nimmt ab) eine Erhöhung von h

Abb. 6.4: Verringerung (Erhöhung) der Wassertiefe als Folge von Beschleunigung (Verzögerung) der Strömung

Nach Gl.(6.3) ist die Gesamtenergie H bei vorgegeb. Abfluß Q nur eine Funktion der Wassertiefe hDie Kurvendiskussion von H(h)= h + Q2/ (2b2*h2 g) (Gl. 6.3) ergibt:

1) Für h ==> 4 folgt H linear ==> 4 (wegen 2. Term ==> 0) 2) Für h ==> 0 folgt H quadratisch ==> 4 (wegen 1. Term ==> 0)

Insbesondere ergibt sich für

d[H(h)/dh] = 0 = 1 -2 Q2/ (2b2*hgr3 g)

ein Minimum!!!, d.h für die sogenannte Grenztiefe hgr

. hgr = [Q2/ (g b2) ]1/3(6.5)

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Damit läßt sich die Funktion H(h) wie in Abb. 6.5 darstellen

Abb. 6.5: Variation der Funktion H(h)

Für die Grenzgeschwindigkeit vgr gilt dann wegen

Q = vgr * A gr = vgr * b* hgr = vgr * b* [Q2/ (b2 g)]1/3 ===> Q3 = vgr

3 * b3* Q2/ (b2 g) ===> Q = vgr3 * b/ g ===> vgr = [Q *g / b]1/3 = [vgr * hgr *g] 1/3

===> vgr = [g * hgr]

1/2 (6.6)

Für die in Abb. 6.5 dargestellte minimale Energiehöhe Hmin ergibt sich dann:

Hmin = hgr + Q2/ (2b2*hgr2 g) = hgr + (vgr * b* hgr )

2 / (2b2*hgr2 g)

===> Hmin = hgr + vgr

2/2g (s. Abb. 6.5)

und mit Gl. (6.6)

Hmin = 3/2 hgr (6.7)

Nach Abb. 6.5 ergeben sich für die Gerinneströmung im rechteckigen Gerinne je nach Wassertiefe hbei vorgegebenem Abfluß Q zwei Strömungszustände:

-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------(1) h > hgr große Wassertiefe ==> Geschwindigkeit v = Q/ (b*h) klein: Strömung ist strömend

(2) h < hgr kleine Wassertiefe ==> Geschwindigkeit v = Q/ (b*h) groß: Strömung ist schießend -----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Man kann diese zwei Strömungszustände auch mittels der Froude-Zahl Fr (s. Kap. 3), definiert durch

Fr = v / [g *h] 1/2 (6.8)

charakterisieren. Dabei läßt sich theoretisch herleiten, daß

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Draufsicht

c = [g*h]1/2 (6.9)

die Wellengeschwindigkeit (Einheiten: m/s) einer sich auf der Wasseroberfläche ausbreitenden Störungist (z.B. die durch Werfen eines Steines auf die Wasseroberfläche sich ausbreitenden Wellen). Damitgilt für Gl. (6.7) auch

Fr = v/c (6.10) Je nachdem, ob das Wasser (a) steht, (b) langsam oder (c) schnell gegenüber derWellengeschwindigkeit c fließt, ergibt sich folgendes Bild:

a) Stehendes Wasser: (v=o: Fr=0)

Die Welle breitet sich kreisförmig aus

c ä , wenn h ä c â , wenn h â

===> Wellengeschwindigkeit c größer in tiefen Wasser

b) Langsam fließendes (strömendes) Wasser: (v > 0, aber v < c: Fr <1)

Die Welle breitet sich ellipsenförmig aus, vorwiegend stromabwärts, aber auch stromaufwärts,d.h.Störungen werden noch ins Oberwasser transportiert.5

c) Schnell fließendes (schießendes) Wasser (v > 0, aber v > c: Fr >1 )

Die Welle breitet sich ellipsenförmig aus, jedoch nur stromabwärts, aber nicht stromaufwärts,d.h.Störungen werden nicht mehr ins Oberwasser transportiert.

Abb. 6.6: Wellenausbreitung in Gerinneströmung

d) Grenz (kritischer) Abfluß (v = c: Fr =1 )

1) Fließwechsel von strömend ==> schießend: (s.Abb. 6.4 links)

Wellenausbreitung stoppt stromaufwärts

2) Fließwechsel von schießend ==> strömend:

Dies ist der sogenannte Wechselsprung, der konstruktiv induziert wird im sogenannten Tosbecken (s. Abb.6.1) . Hier kommt es zu einer schnellen Umwandlung von kinetischer Fließ-Energie in Schall und Wärme mit nachfolgender Beruhigung der Strömung. Auch derStaudamm- überlauf in Abb. 6.2 rechts induziert einen Wechselsprung.

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6.2.3 Maximaler Abfluß bei vorgegebener Energie

Ähnlich wie bei der Rohrströmung ist auch bei der Gerinneströmung die Frage nach dem maximalmöglichen Abfluß Qmax bei vorgegebener Energie von besonderer Bedeutung. Für das Rechteckgerinneergibt sich nach Auflösen der Formel H = h + 1/2g *Q2/ (b2*h2 ) (Gl. 6.3) nach Q

Q = [(H-h) * 2 g]1/2 * b*h (6.11)

Das Maximum Qmax erhält man über dQ/dh = 0, d.h.

dQ/dh = 0 = d {[(H-h) * 2 g]1/2 * b*h} / dh 0 = [2 g]1/2 *b * d {[H-h] 1/2 * h} /dh 0 = [2 g]1/2 *b * {-1/2* [H-h max]

-1/2 * hmax + [H-hmax]1/2 }

0 = {-1/2* hmax + [H-hmax]} ===>

hmax= 2/3*H (6.12)

===>Qmax = [(H-2/3*H) * 2 g]1/2 * b*2/3*H = b*g1/2 * [2/3*H] 1/2 * 2/3*H = b* g1/2* (2/3)1/2 * 2/3* H3/2 = b* g1/2* (2/3)3/2* H3/2

= b* g1/2* [2/3* H] 3/2

und speziell für das bei der Grenztiefe hgr = 2/3* Hmin (Gl.6.7) minimale H sich einstellende Qmax

Qmax = b* [g * hgr3] 1/2

(6.13)

Für andere als rechteckige Gerinne, wo der Querschnitt b sich mit der aktuellen Wassertiefe h ändert,muß man Gl. 6.3 iterativ auswerten, um die Grenztiefen hgr zu bestimmen. Dazu stehen in der Praxiseinfache Computerprogramme zur Verfügung.

Beispiel 6.1: Analyse eines Rechteckgerinnes Gegeben: Rechteckgerinne mit b = 4m und Abfluß Q= 6 m3/sGesucht : Grenztiefe hgr , Grenzgeschwindigkeit vgr

Lösung:Es gilt nach Gl. 6.5

hgr = [1/g * Q2/ b2]1/3

= [1/ 9,81* 62 / 42 m3 ]1/3

= 0,612 m

und nach Gl. 6.6vgr = [g hgr ]

1/2

= [9,81*0,612 m2/s2]1/2

= 2,45m

Beispiel 6.2: Energie und Strömungsform eines Rechteckgerinnes Gegeben: Rechteckgerinne mit b = 9m, Abfluß Q= 7,6 m3/s, Wassertiefe h=1m.Gesucht : 1) Energie H, 2) Ist der Abfluß strömend oder schießend?

Lösung:

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1) Es gilt nach Gl. 6.3H = h + 1/2g * Q2/ (b2*h2) = 1 + 1/ 2*9,81* 7,62 /(92 *12) = 1,04 m

2a) Berechung über die Grenztiefe (Gl. 6.6) hgr = [1/g *Q2/b2]1/3

= [1/9,81* 7,62/92 m3 ]1/3

= 0,612 m < h =1m ===> (s. Abb. 6.5) Die Strömung ist strömend

2b) Berechung über die Froude Zahl (Gl. 6.7) Fr = v / [g *h]1/2

mit v = Q/A = Q/ (b*h) = 7,6/(9*1) = 0,84 m/s

h = 1m===>

Fr = 0,84 / [9,81]1/2 = 0,27 < 1 ===> (s. Abb. 6.5) Die Strömung ist strömend

6.3 Stationäre, reibungsbehafte Gerinneströmung6.3.1 Kräfte-Bilanz und Abfluß-Grundgleichung

In einer realen Gerinneströmung entstehen, ähnlich wie bei der realen Rohrströmung, Reibungsverluste,die (a) durch die innere Viskosität des Fluids und (b) in wesentlich stärkerem Maße durch dieWandrauhigkeit des Gerinnes verursacht werden. Die Reibung führt zu einem nicht-uniformenGeschwindigkeitsprofil v(z) über die Tiefe des Gerinnes (Abb. 6.7), wobei auf der Sohle (und auch anden seitlichen Wänden) des Gerinnes wegen der Haftbedingung v=0 ist. Das Maximum von v(z) wirdaber i.a. wegen Luft- und Windreibung auf der Wasseroberfläche nicht dort erreicht, sondern etwasunterhalb (Abb. 6.7).

Abb. 6.7: Reibungsbehaftete Gerinneströmung

Ähnlich wie bei der Herleiten des Hagen-Poiseuille Gesetzes, kann man über eine Kräfte-Bilanz dieeffektiven Verluste und damit die tatsächlich erzielbaren (Abflußraten in einem Gerinne berechnen.

Betrachtet man die in Richtung des Sohlgefälles

S= (z1-z2) / L = tan ~ sin (6.14)(für kleine Winkel)

wirkende Komponente GS des im Abschnitt L befindlichen Gerinnevolumens

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V =A* L (A = Querschnittsfläche des Gerinnes, die nicht rechteckig sein muß)

befindlichen Fluidgewichtes

G= g V = g A* L

so ist GS = G*sin = g A* L * sin (6.15)

Diese die Gerinneströmung beschleunigende Kraft GS wird aufgebraucht durch die Reibungskraft FR ,die auf der benetzten Fläche

Au = L * L u(6.16)

(Lu = benetzter Umfang in der Querschnittsfläche A des Gerinnes)

des Gerinnes entsteht. Es gilt für FR nach dem Newtonschen Spannungsschubansatz:

FR = * A u (6.17)( = Scherspannung auf der benetzten Fläche)

Führt man für nach dem aus der Grenzschichtlehre hergeleiteten allgemeinen Widerstandsgesetz

= cw * /2 * v2(6.18)

(cw = ein zu bestimmender Widerstandsbeiwert)

ein, ergibt sich für die Gleichgewichtsbedingung

GS = FR

g A* L * sin = cw * /2 * v2 *A u (6.19)

Für kleine Winkel des Sohlgefälles S ist nach Gl. 6.14 S~sin und es folgt mit Gl. 6.16

g A* L * S = cw * /2 * v2 * L * L u (6.20)

und nach Einführen des hydraulischen Radius (s. Kap. 4) rH = A/Lu

g* rH * S = cw/ 2 * v2 (6.21) und daraus

v = [2g/cw]1/2 * [r H * S]1/2 (6.22)

und nach Einführen des Chezy-Koeffizienten C = [2g/cw]1/2 die

Gerinne-Abflußgeschwindigkeit

v = C * [r H * S]1/2 (6.23)

u. Gerinne-Abflußrate

Q= v*A = C *A* [r H * S]1/2 (6.24)

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hR ' (L

4 rH

(v2

2g

mit : rH 'ALU

'd4

für vollgefülltes Rohr

v2

2g'

hR

( L( 4 rH A v2

'

2g ( hR

( L( 4 rH

v2'

8g(

hR

L( rH mit :

hR

L' S ' Sohlgefälle

v2'

8g( S ( rH A v '

8g( S ( rH

1' &2 log

k/rH

14,84

6.3.2 Der Chezy-Koeffzient C

Der Cheyz-Koeffzient läßt sich heuristisch mittels des Darcy-Weißbach Gesetzes für dieReibungsverluste im Rohr herleiten. Es gilt nach Darcy-Weisbach (s. Kap. 4)

Vergleich mit Gl. 6.23 ergibt für den

Chezy-Koeffzienten C = [8g/ ]1/2

(6.25)

mit = klassischer Widerstandsbeiwert

Damit kann man praktisch alle die bei der verlustbehafteten Rohrströmung entwickelten Formeln für ,z.B. die von Prandtl-Colebrok (4.5.13), oder das Moody-Nikuradse Diagramm direkt für dieGeschwindigkeits- und Abflußberechnung verwenden.

6.3.3 Empirische Fließformeln für Gerinneströmungen 6.3.3.1 Die Prandtl-Colebrok Formel

Bei Fließgewässern, die i.a. bei hohen Re-Zahlen fließen, kann man in der Prandtl-Colebrok Formel(4.5.13) den Term 2,51/ Re% vernachlässigen, so daß man nach dem üblichen Ersetzen desRohrdurchmessers d durch 4*r H erhält:

(6.26)

Über Gl. 6.25, Gl. 6.23 bzw. 6.24 wird dann v bzw Q berechnet.

6.3.3.2 Die Manning-Strickler Formel

Die Manning-Strickler Formel ist die in der Praxis am meisten verwendete Fließformel für

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Q ' kst ( r 2/3H ( S1/2

( A

Q '1n

( r 2/3H ( S1/2

( A

Q '1n

( r 2/3H ( S1/2

( A

Berechnung von rH 'ALU

'd4

für gefülltes Rohr

A Q '1n

(ALU

2/3

( A ( S1/2

Q '1

0,013(

0,64

2/3

( (0,62

4( (0,00077)1/2

Q ' 0,17 m3/sec

Gerinneströmungen. Danach gilt folgender Zusammenhang zwischen dem Chezy-Koeffzient en C unddem Strickler-Beiwert kst

C = kst * r H 1 / 6 (6.27a)

bzw. nach Einführen des im amerikanische Raumes gebräuchlicheren

Manning Koeffizienten n = 1/ kst (6.28)

C = 1 /n* rH 1 / 6 (6.27b)

Nach Einsetzen in Gl. 6.24 erhält man die

MANNING-STRICKLER - FORMEL

(6.29a)

bzw.

(6.29b)

Empirisch ermittelte kst - Werte für unterschiedliche benetzte Sohlflächen (sowohl für natürlicheFließgewässer als auch für künstliche Bau-Gerinne sind in Tab. 6.1 angegeben.

Beispiel 6.3: Strömung in einem voll-gefüllten KanalrohrGegeben : Kanalrohr, d = 600mm = 60 cm, S = 0,00077, n = 0,013Gesucht: Abfluß Q

Lösung:

mit Werten:

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Tab. 6.1: Manning-Strickler-Rauheitsbeiwerte kst , bzw. n =1/kst für Gerinne

Beiwerte zur Berechnung des stationären, gleichförmigen Abflusses nach der Manning-Strickler-Formel.

Gerinne kst [m1/3/s]

Natürliche WasserläufeFlußbett mit fester Sohle, ohne UnregelmäßigkeitenFlußbett mit Geröll und UnregelmäßigkeitenFlußbett, stark geschiebeführendWildbach mit grobem Geröll (kopfgroße Steine)

ErdkanäleSohle aus Sand und Kies mit gepflasterten Böschungenmit groben Steinen ausgelegt

Gemauerte KanäleZiegel, auch Klinker, gut gefugtMauerwerk (normal)Bruchsteinwände, gepflasterte Böschung mit Sohle aus Sand und Kies

BetonkanäleZementglattstrich, Stahlschalungglatt verputztgute Verschalung, glatter unversehrter Zementputz, glatter Beton mit hohem ZementgehaltBeton bei Verwendung von Holzschalung, ohneVerputzalter Beton, saubere Flächengrobe Betonauskleidungungleichmäßige Betonfläche

Blechgerinneneue gußeiserne Rohre

Sonstige AuskleidungenWalzgußasphalt-Auskleidung in Werkkanälen

Stollen und BetonrohrleitungenGeschliffener ZementputzBetonstollen normaler AusführungBetonstollen aus rauhem Beton, älterer ZementputzStollen in rohem Felsausbruch (Gneis-Granit)

403028

19-28

40-5025-35

8060

45-50

10090-95

80-9065-70

605550

90

70-75

10070-8065-7528-35

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rH 'ALU

'( (d/2)2 ( 1/2

/2 ( d'

( d2/8/2 ( d

'2d8

'd4

Manning&Strickler: Q '1n

(ALU

2/3

( A ( S1/2

Q '1n

(d4

2/3

(( d2

4(

12

( S1/2

ð Q ' C ( S1/2A S1/2

'QC

mit : C ' 3,07

S1/2'

0,173,07

A S '0,173,07

2

S ' 0,003

Sohlgefälle S' 0,003 ist vier mal so groß wie bei einem vollgefüllten Rohr(S ' 0,00077)

bc

h a

LU, Trapez ' b % 2h ( 1 % m 2

rH '

ATrapez

LU, Trapez

'h ( b % m ( h 2

b % 2h ( 1 % m 2

Beispiel 6.4: Strömung in teil-gefüllten KanalrohrGegeben : Kanalrohr, d = 600mm, halbgefüllt, Q= 0,17 m3/s, n = 0,013Gesucht: Erforderliches Sohlgefälle S

Lösung:

Berechnung von rH :

Beispiel 6.5: Berechnung des Abflußes in einem TrapezgerinneGegeben: Trapezgerinne der abgebildeten FormGesucht: Hydraulischer Radius rH, Abfluß Q

Lösung:Die benetzte Fläche ATrapez ist:

ATrapez = b * h + c * h = b * h + m * h² (6.30)

mit cot = m = c / h A c = cot * h A c = m * h, sin = h/a

Der benetzte Umfang LU,Trapez ist:

(6.31)

===>

(6.32)

Der Abfluß Q berechnet sich dann nach Kenntnis von S und kst (n) nach Manning-Strickler

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Q '1n

( A ( r 2/3H ( S1/2

Q '1n

( A (ALU

2/3( S1/2

'1n

(A5/3

L 2/3U

( S1/2

Q ' Maximum, wenn LU ' Minimum (A Reibung' Minimum)

LU ' b % 2h mit : b ' A / h

A LU 'Ah

% 2h A LU ' Minimum für :MLU

Mh' 0

rHopt 'hopt

2hopt '

b2

LU, Trapez ' b % 2h ( 1 % m2

6.3.4 Optimierung von Gerinne-Querschnitten

Alternative Ziele der Optimierung:

1) : Maximaler Abfluß Q bei vorgegebenen konstruktiven Faktoren ( kst, n, S, A )

2) : Minimales Gefälle S bei vorgegebenen Abfluß Q , A, kst, n

3) : Minimaler Fließquerschnitt A bei vorgegebenen Abfluß Q , S, kst, n

Grundsätzlich gilt:

a) Rechteck -Gerinne:

(6.33)

Es soll also bedacht werden, daß der Wasserspiegel im Rechteck-Gerinne die Hälfte seiner Breitebeträgt.

b) Trapezgerinne :

Hier ist das Optimum (Minimum von LU ) abhängig vomBöschungswinkel , bzw. vom inversen Böschungsgefälle

m = cot = c/h sin = h/a = 1/ [1+m2 ]1/2

Mit

Atrapez = b * h + m * h²

und

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FG Geohydraulik und Ingenieurhydrologie Technische HydraulikUniversität Gesamthochschule KasselProf. Dr. rer. nat. M. Koch 6.14

hopt '1

2@ 1 % m2& m

@ A

d LU,Trapez / dh = 0

ergibt sich bei festem ATrapez

(6.34)

und für den maximalen hydraulische Radius rH

rH = hopt / 2 (6.35)

Gl. 6.34 in LU,Trapez eingesetzt ergibt ein Minimum, das vom Böschungsverhältnis 1: m=h / c abhängt.Für

1 : m = 1 : 0,5774 (~ =60o) (Hexagonales Trapez, mit a =b)

erhält man ein absolutes Minimum. Solch ein relativ steiles Verhältnis ist mit einem Betonkanal nochrealisierbar. Bei natürlichen, unbefestigten Gerinnen lassen sich allerding aus geotechnischenStabilitäts- gründen je nach Bodenart nur Verhältnisse 1: m ~ 1: 2 bis 1: m ~ 1: 3 verwirklichen (s.Bollrich, S. 262 für weitere Erklärungen und ein Anwendungsbeispiel).

b) Kreisgerinne :

Kreisgerinne treten in der Praxis bei nicht vollgefüllten Abwasserrohr-leitungen auf. Je nach Füllstand h ergeben sich unterschiedlicheAbflußverhältnisse.

Die ausführlichere Betrachtung (s. Bollrich, S.256) zeigt, daß dasVerhältnis

Q/ Qvoll = 1,076 (6.31)

des tatsächlichen Abluß Q zu dem bei Vollfüllung Qvoll diesen größtenWert annimmt, wenn für die Füllhöhe h im Rohr gilt:

hmax = 0,94* 2r < 2r (6.32)

d.h. das Rohr darf nicht ganz gefüllt sein.Ein Sonderfall des Kreisgerinnes ist der Halbkreis (Füllstand h =r) der von allen Gerinnen das

“optimale”, d.h. er hat bei gleicher Querschnittfläche AHK den geringsten benetzten Umfang LU, HK

gegenüber anderen Querschnitten. Für den hydraulischen Radius rH, HK gilt:

rH,HK = AHK / LU, HK = ( r2 /2) / r = r/2

Wird jedoch ein Rohr-Gerinne über die Hälfte h = r hinaus weiter aufgefüllt, erhöht sich LU, HK wiederund rH, HK wird kleiner, um erst wieder bei Vollfüllung wieder auf rH, HK = r/2 anzusteigen.

Beispiel 6.5: Berechnung der optimalen Querschnitte für verschiedenen Gerinne formen

Gegeben: Abflußrate Q = 1m3/s; Sohlgefälle S = 0,0065; Manning-Koeffizient n = 0,011Gesucht: Optimale Querschnitte für a) Halbkreis-, b) Rechteck-, c) Trapez-Gerinne

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FG Geohydraulik und Ingenieurhydrologie Technische HydraulikUniversität Gesamthochschule KasselProf. Dr. rer. nat. M. Koch 6.15

Q '1n

( A ( r 2/3H ( S1/2

Q '1n

( A (ALU

2/3( S1/2

'1n

(A5/3

L 2/3U

( S1/2

Lösung:Manning-Strickler:

===> A5/3/ LU

2/3 = Q *n / S1/2

= 1*0,011/ 0,0061/2 = 0,1364 = Konst

------------a) Halbkreis

A = r2/2; LU

= r===>

A5/3/ LU 2/3 = ( r2/2)5/3 / ( r) 2/3 = 0,1364

===> r = 0,476 m

----------b) Rechteck (optimal gefüllt, d.h. hopt = b/2)

A = hopt *b = b2/2 LU

= b + 2hopt = 2b

===>A5/3/ LU

2/3 = (b2/2)5/3 / (2b) 2/3 = 0,1364

===> b = 0,868 m und h = b/2 =0,434m

------------c) Trapez (mit optimalen Böschungswinkel =60o, d.h. m = cot = 0,577, Schenkellänge a =

b = h / sin = h * [1+m2 ]1/2 )

A = b * h + m * h² = h2 * [1+m2 ]1/2 + m * h² = {[1+m2 ]} 1/2 + m} * h2

= {[1+0,5772 ]} 1/2 + 0,577} * h2 = 1,732h2

LU

= b + 2h * [1 + m2 ] 1/2 = h * [1+m2 ]1/2 + 2h * [1 + m2 ] 1/2 = 3*[1+m2 ]1/2 * h = 3*[1+0,5772 ]1/2 * h = 3,465h

===>A5/3/ LU

2/3 = (1,732h2)5/3 / (3,465h)2/3 = 0,1364

===> h = 0,459 m und a = b = h * [1+m2 ]1/2 = 0,53m