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TRANSCRIPT
Wenn Mark Z. Danielewski eine Schauergeschichte erzÀhlt, geht es um nicht weniger als eine Waffe
in den HÀnden des ErzÀhlers. Ein literarisches Kunstwerk.
Eine Halloween-Party in Texas. Hier trifft die NĂ€herin Chintana, verlassen und voller Groll, auf ihre niedertrĂ€chtige Rivalin Belinda. Hier purzeln fĂŒnf Waisenkinder durcheinander, wĂ€hrend ihre Sozialbetreuerin sich im Sessel lĂŒmmelt. Und hier
beginnt der GeschichtenerzĂ€hler, ganz in Schwarz, mit einer unheimlichen Kiste zu seinen FĂŒĂen: âIch bin
ein böser Mann, mit einem finsteren Herzen âŠâ
Spielerisch, lustvoll und unerbittlich treibt Danielewski diese schöne und grausame
Horrorgeschichte, die aus fĂŒnf Stimmen und fĂŒnf Farben gewoben ist, voran. Immer weiter, bis sie in einem mörderischen Ende die Grenzen
jeglichen Genres sprengt.
MARK Z. DANIELEWSKI wurde 1966 als Sohn des polnischen Filmregisseurs Tad Danielewski geboren. Mit seinem DebĂŒtroman âHouse of Leavesâ, an dem er ĂŒber zehn Jahre gearbeitet hat, schuf er das erste
Kultbuch des 21. Jahrhunderts.Sein zweiter Roman, âOnly Revolutionsâ, wurde fĂŒr
den National Book Award nominiert.
MARK Z. DANIELEWSKI BEI BTB
Das Haus/House of Leaves (73970)Only Revolutions (74653)
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Mark Z. Danielewski
Aus dem Englischen von Christa Schuenke
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Das
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Die Originalausgabe erschien 2012 unter dem Titel âThe Fifty Year Swordâ bei Phanteon Books, New York. Eine frĂŒhe, etwas andere Ausgabe erschien
2005 im Verlag De Bezige Bij, Amsterdam.
ALLES IN DIESEM BUCH IST FIKTION. NAMEN, FIGUREN,ORTE UND EREIGNISSE ENTSPRINGEN ENTWEDER DER FANTASIE
DES AUTORS ODER UNTERLIEGEN EINEM FIKTIVEN GEBRAUCH.JEDE ĂHNLICHKEIT MIT LEBENDEN ODER TOTEN PERSONEN,
REALEN EREIGNISSEN ODER ORTEN IST REIN ZUFĂLLIG.
Der Verlag weist ausdrĂŒcklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt
der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten.Auf spÀtere VerÀnderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss.
Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.
Verlagsgruppe Random House FSCÂź N001967
1. AuflageGenehmigte Taschenbuchausgabe August 2017
by btb Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 MĂŒnchen
Copyright der Originalausgabe © 2005, 2012 by Mark Z. DanielewskiCopyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2013 by J.G. Cottaâsche
Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, StuttgartUmschlaggestaltung: semper smile, MĂŒnchen nach einem Entwurf von
Herburg Weiland fĂŒr Klett Cotta Designunter Verwendung des Originalumschlags von Peter Mendelsund
Gesetzt von Ronald Hoppe, Berlinmr · Herstellung: sc
Druck und Einband: Print Consult GmbH, MĂŒnchen
Printed in Czech Republik
ISBN 978-3-442-71438-4
. . .
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Vielleicht weil,die Geschichte einer jeden
Gespenstergeschichte selber eineGespenstergeschichte ist, will sagen,
eine vollkommen andere Geschichte,darf angenommen werden, das
nun Folgende sei mit Fug und Rechtebenso als Gespenstergeschichte zubetrachten; anstatt nun aber nÀher
in die Tricks und Schliche und indas merkwĂŒrdig scheinheilige Idiomjener fĂŒnf Personen einzutauchenâ wovon die eine in jungen Jahren
mit einer anderen geschlafen hat undsich nun endlos ĂŒber die herbstlichenSeen verwundert, an denen einst einwieder anderer gewandert ist; zwei
davon hegen immer noch ZuneigungfĂŒr einander, was sich in einer Masse
von Zetteln und transatlantischenTelefonaten manifestiert; eine
vierte hat drei verloren; und dieletzte, aus dem GefÀngnis eines
spĂ€teren Lebens, hasst sie alle â oderreprĂ€sentiert sie durchgehend mitcharakterisierenden Sentenzen,
zeitlichen BezĂŒgen, und sogar mehrnoch mit AnfĂŒhrungszeichen, die
hoffnungslos nisten in wiederholtenNestern von noch mehr Zeichen;zur Skizzierung ihrer jeweiligen,
unabhĂ€ngig voneinander gefĂŒhrtenZwiegesprĂ€che werden also
stellvertretend AnfĂŒhrungszeichen inverschiedenen Farben verwendet:â = 1, â = 2, â = 3, â = 4, â = 5.Wo keine AnfĂŒhrungszeichenstehen, ist das Schlimmste zu
vermuten: eine Unterbrechungdurch jemand anders als die
bereits genannten Personen, denLeser oder gar den Verfasser, derzusÀtzlich, das muss festgehaltenwerden, weiter nichts getan hat,als die hier versammelten und
wieder zusammengestellten Teilezusammenzuborgen, auf dass siehier eine ziemlich merkwĂŒrdige
und insgesamt vollkommen andere Geschichteeines Oktoberabends im Osten von Texas bieten. â MD
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Ganz gleich, ob man eseinfach oder doppelt nimmt, âganz
gleich,âChintana hĂ€tte sie beinah nicht akzeptiert.
âErst im letzten Augenblick, aus eher ungefĂ€hren GrĂŒnden,
âwenn auch professionell ungefĂ€hren GrĂŒnden, âhat
sie zu einer Antwort sich gezwungen, einerbejahenden, wieâs scheint, und hat
âakzepatiertâja, hat sie akzeptiert
âdie Einladung, âMose
Dettledowns Einladung.
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âEntscheidend ist doch, was Chintana seit der Scheidung herausgefunden hatte, nĂ€mlich dassfast nichts geht ohne
âGewalt!
âDie Augen öffnen, ihre HĂ€nde, ja sogardie Hausapotheke. Alles nur mit
âGewalt!
âMit Gewalt den Deckel aufdrehen von der Dose mit den bitteren TeeblĂ€ttern. Mit Gewalt zurĂŒckschieben die widerspenstigen Zungen dieser Wanderschuhe, die sie dann hocken lieĂâ bei einem Vogelbauer.
âGewaltsam selbst ein HohnlĂ€cheln, das, wie sie hoffte, wenigstens vorĂŒbergehend dienen könnte als ein nicht gar so eingekerbtes, herzgejagtes
âSchleichnis.
âZumal, wenn sie aus dem ZugestĂ€ndnis heraus an eine Sache, die sie durchaus als gesellschaftliche Verpflichtung anerkannte, gezwungen war zuzugestehen, und zwar schon
â wieder und schon â wieder gegenĂŒber
einem eindrĂ€nglichen Kunden, dass Pravat, ihr Ehemann, ganz ĂŒberraschend ausgezogen war.
âHmmmm, Pravat.
âPravat.
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âMit Gewalt zurĂŒckdrĂ€ngen auchetwas anderes noch,
ânicht zuvergessen, dass â
âdie furchtbaren Qualen, die sieam liebsten tagaus, nachtein all jenen um die Gurgel hĂ€tte schnĂŒren mögen, die sie zwangen zu diesen ganzen unentwegten ZugestĂ€ndnissen
âmit aller Gewalt.
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âSo friedlich auch ihr Glaube hienieden,
nur Auferlegung
verhieĂ ihr
Frieden.
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âUnd ganz gewiss war, âwie Chintana heraus-
gefunden hatte, âdas, was ihr jetzt so mĂŒhelos
einfiel, schon lĂ€ngst passiert, â und zwar
schon vor fĂŒnf Wochen, als ihre Schere, so schnittig schrĂ€g, diagonal durchtrennte
â die VorhĂ€ngeeines Patentrechtsanwalts, silbrig tanzend,âscharf durch die Baumwolle, die sich zerteilte, fuhr, bis sie zuletzt zum Halten kam, weil das metallne V sich keilte tief in ihren
âweichen Daumen.
âDer Nagel war zwar abgegangen, doch der lokale Handchirurg hatte rasch wieder angenĂ€ht den losen Fetzen.
â Schmetterlingspflaster drauf, zurechtgeschnitten mit gutem AugenmaĂ.
âSie hatte sich gezwungen, ihm zu danken und
âirgendwie âweiterzumachen.
âDoch war sie damals nicht imstande â und istâs anscheinend heut noch nicht, zuzugestehen, nicht mal vor sich selber â, wie leicht es ihr gefallen wĂ€re
âzuzusehen, wĂ€r solches zugestoĂen einem
âfremden âDaumen.
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âUnd so hatte âChintana selbstverstĂ€ndlich
noch einmal neu darĂŒber nachbedacht, âob sie, ob
nicht, âes wirklich schaffte, âzur Party bei
Mose Dettledown an Halloween.
âFast hĂ€tt sie sich gesagt: âIch schere aus und bleib sĂ€umend zuhausâ, hĂ€tte nicht ihre Zwillingsschwester, dieâstichbitzend
â in Austin â lebt, ihr
strickt geraten â
â â Riskierâs!â
âUnd so hatte Chintana es riskiert, sich ihren bitteren Tee gekocht und schwer geschluckt, bevor hinter sich lassend den Faden, die Maschinen ihres Handwerks,
â ihr unbesetztes Bauer ââAlba nach Quitman auf der 182 East â
âseine dolchscharf stechende Hoffnung durch die herniedergesunkene Finsternis trieb.
Chintana hatte das Progromm auf diesen Treffen bei Mose Dettledown schon immer irgendwie komisch gefunden,
â aber was konnte man denn schon erwarten von so âner durchgeknallten Alten â schon 112 und immer noch
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gut drauf, âversackt in dem zerfauleden Gerippe
ihres East-Texas-Unterschlupfs, inmitten von Hickories
âund Mexikanischen Wild- âpflaumenbĂ€umen?
âEin paar Mal im Jahr spendierte MosegroĂzĂŒgig Drinks
âund SĂŒĂigkeitenâzwecks Immumifizierung der vielen Fremden gegen die Fremdheit, mit der zu rechnen war, wenn sie alle bunt durcheinander mischte, wo eine wie Chintana, eine NĂ€herin, erleben konnte, wie es ist, sich zu
âerwehren der Avancen eines beschwipsten Stadtratsmitglieds.
âMose selber zeigte sich indes nur selten. Im Grunde war die Chance, ihr ĂŒberhaupt mal zu begegnen, zumal in dieser Nacht, etwa so groĂ wie die, einem Gespenst ĂŒber den Weg zu laufen.
âObwohl, ein Gespenst wĂ€re nett.
âEinem Gespenst ĂŒber den Weg zu laufen, dachte Chintana, wĂ€r ungefĂ€hr das Einzige, was sie daran hindern konnte, ihr eigenes Erscheinen abzukĂŒrzen.
Chintana war in der Tat gerade mal bis zur Flurgarderobe gekommen, als sie zum dritten
âund letzten Mal âan RĂŒckzug dachte.
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â Und das kam, weil: Die allererste
ââ nicht die dritte oder auch nur die âzweite, sondern die aller-
âerste â, âder zuzulĂ€cheln sie gezwungen war, war diebereits höhnisch feixende Belinda Kite.
âBelinda!
âMitten in Mose DettledownsglasĂŒberdachter Eingangshalle
âbeĂ€ugte Belinda KiteChintanas Eintritt mit einem scherenscharfenForscherblick,
ârotĂ€ugiger als ein Kojote, der bei DĂŒrre einen Salzblock riecht, â armreifenrasselnden Arm dreht ihr die Rasslerin mies in die Seite,âZahnfleisch weicht zurĂŒck, rund um das tote Schimmern ihrer ZĂ€hne wie â
â â Sieh an, sieh an, Mzzz Einsam und Verlassenâ
âhĂ€tte Belinda Kite schnippischzuschnappen können.
âOder milder gestimmt â
â â Lieferanten Hintereingang benutzen.â
âOder einfach ein frohgemut fleischiges Klacke-di-Klick.
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âUnd mag schon sein, dass so was in derArt tatsĂ€chlich ihre zĂ€hnekitzelnden Lippen kitzelte.
âDoch weiter ist es nie gegangen, ânicht in
dieser Nacht, âund was fĂŒr eine kalte, kalte Nacht das schon geworden war,
âweil âdie schĂ€rfste
Zunge in East Texas es besser wusste. Nur allzu leicht hÀtte ein Wort, ja schon die leiseste Anziehdeutung von IntimitÀt ihr Ende bewirken können, ihre eigene
âAuslöschung.
âUnd âOh!
âhĂ€tten die beiden Frauen sich wirklichberĂŒhrt,
âein Klaps nur vielleicht,
âOh!
âetwasLeichtes und VorĂŒbergehendes,
âOh!
âdie Folgen wĂ€ren verheerend gewesen,schlimmer noch gar
ââ unvorstellbar.
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