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35
1 1 A F T E R C A G E - D i e W und e r k a m m e r d e r Z u k u n ft - I m S u e r m o n d t - L u d w i g - M u s e u m .

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1 1

AFTER CAGE

- Die W

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Im Suermondt-Ludwi

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useum.

2 2 3 3

AFTER CAAAGE - Die Wunderkammmmer der Zukunftim Suermondt-Luuuudwig-Museum Aachen.

AFTER CAGEEEE - Die Wunderkammeeeer der Zukunftim Suermondt-Ludwig------MMMMMuseum Aachen.

AAAAAFTTTTER CAGE - Die Wunnnnnnderkammer der Zukunftim Suermondt-LLLLLLudwig-Museum Aachen.

AFTER CAAAGE - Die Wuuuunderkammer der Zukunftim Suuuuuuuuuuuuuuermondt---Ludwig-Museum Aachen.

AFTTTTTTTTER CAGE - Die WWWWunderkammer der Zukunftimmmmm Suermondt-Ludwig------Museum Aachen.

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AFTERRRRRRRR CAGE - Die Wunderkammeeeeer der Zukunftim Suermondttttttt-Ludwig-Museum Aachen.

AFTERRRRR CAGE - Die Wunderkaaaammer der Zukunftim Suermondt-Luuuuudwig-Museum Aachen.

AFFFFFTTTTTTER CAGE - Die Wuuuuunderkammer der Zukunftim Suermooooooondt-Ludwig-Museum Aachen.

AFTTTTER CAGE - Die Wunnnnnderkammer der Zukunftim Suermondt-Ludwig-Museum Aacheeeen.....

AFTER CAGE - Die Wunderkammer der Zukunft im Suermondt-Ludwig-Museum Aachen. 1

Inhaltsverzeichnis 3

Vorwort Peter van den Brink Direktor der Aachener Museen 4

After Cage – 24 Sammlungen in Bewegung Melanie Bono 6

Der Zufall als Paradigma Alexander Markschies 12

Cage – After Cage Frederike Eyhoff, Leonie Obalski 22

Bufo Bufo trifft Nivea-Dose Christina Kral 34

Nebenlinien der klassischen Wunderkammer – über das Sammeln im 20. Jahrhundert Martina Dlugaiczyk 44

Ordnung und Gedächtnis zwischen Tradition und Detonation Andreas Gormans 52

Dank 62

Impressum 64

66

4 4 5 5

Vorwort

Was soll man sich vorstellen bei einer Ausstellung mit dem

Titel After Cage? Zunächst einmal folgt die Bezeichnung

dem Namen des amerikanischen Künstlers und Musikers

John Cage (1912-1992). Nach seinem Tod wurde 1993 in

Los Angeles eine von ihm initiierte Aktion durchgeführt,

die den Prinzipien des Zufalls geschuldet war. An dieses

Projekt schließen wir uns mit einer ‚Wunderkammer der

Zukunft’ an.

An vier Standorten – in Aachen, Hasselt, Liège und

Maastricht – können Sie in den nächsten Monaten Wun-

derkammern sehen und studieren, für die über zwanzig

Institutionen aus der Euregio knapp vierhundert Exponate

bereitgestellt haben. Sie wurden per Zufall verteilt. Bei uns

im Suermondt-Ludwig-Museum haben Studenten der Fach-

hochschule Aachen unter Anleitung von Rainer Plum das Ausstellungsdesign gestaltet. Das

inhaltliche Konzept trägt das Institut für Kunstgeschichte der RWTH Aachen. Die Objekte

bespielen einen ‚Raum der Enge’ und einen ‚Raum der Weite’, sie spiegeln die Welt von Kunst

und Natur.

Der Katalog begleitet die Ausstellung, er informiert über Wunderkammern, ihre Bedeutung

und Philosophie, sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwartskunst. Martina

Dlugaiczyk, Andreas Gormans und Alexander Markschies erschließen die Geheimnisse der

Wunderkammern, und Studierende des Instituts für Kunstgeschichte der RWTH Aachen,

Frederike Eyhoff, Christina Kral und Leonie Obalski, stellen die Objekte vor, die Sie als Be-

sucher betrachten können. Gestaltet hat den Katalog Marius Schillak.

Die Ausstellung und der Katalog begeistern mich – auch Sie werden Ihre Freude daran haben.

Ganz herzlich danken möchte ich den Kollegen von der RWTH und der Fachhochschule

Aachen mit ihren Studierenden. Dank gilt auch meinen Mitarbeitern, vor allem Michael Rief,

Irene Drexler, Kerstin Stickelmann, Harald Küsgens, Costas Leventakos, Anna Koopstra,

ferner Julia Rief und Christina Sondermans, beide Restauratorinnen im Ludwig Forum sowie

allen Leihgebern und vor allem dem Sponsor Saint Gobain, der uns das teure Glas für die

Ausstattung kostenlos geliefert hat.

Tausend Mal Dank!

Peter van den Brink

Direktor der Aachener Museen

Vorwort

6 6 7 7After Cage – 24 Sammlungen in Bewegung

„After Cage – 24 Sammlungen in Bewegung“ ist ein

euregionales Projekt, das von vier Institutionen für

zeitgenössische Kunst, dem NAK Neuer Aachener

Kunstverein in Aachen, Deutschland, dem Z33 in

Hasselt, Belgien, dem Marres in Maastricht, Nie-

derlande, und dem Espace Nord in Liège, Belgien,

initiiert wurde.

Ziel der vier Initiatoren war es vor allem, die Regi-

on Maas-Rhein, zugehörig zu drei

unterschiedlichen Nationalstaaten,

aufgeteilt in fünf unterschiedliche

Regionen, stärker zu vernetzen

– ihr gemeinsames Gesicht in der

Euregio, aber auch über die regio-

nalen Grenzen hinweg, wahrnehm-

bar und erfahrbar zu machen und

dadurch die vorhandenen Potentiale

für eine gemeinsame Kulturarbeit

freizusetzen.

Fragen nach der Bedeutung von

regionaler kultureller Identität

sind im Diskurs der letzten Jahre

in Zusammenhang mit dem Pro-

zess der europäischen Einigung

oftmals gestellt und in theoreti-

scher Hinsicht vielfach beleuchtet

worden. Der Prozess scheint den

Beteiligten in erster Linie durch

ein wirtschaftliches Zusammen-

8 8 9 9wachsen gekennzeichnet zu sein, dass durch Standardisierung und Normierung

ein Europa der Gleichheit schafft. Die Frage der gemeinsamen kulturellen Iden-

tität bleibt dabei unbeantwortet und löst Ängste vor einem gesichtslosen Europa

aus, dessen über Jahrtausende mit- und gegeneinander gewachsenen Kulturen

langfristig bedeutungslos werden. Für die Entstehung einer tragfähigen ge-

meinsamen kulturellen Identität ist es gerade deswegen wichtig, sich auf Ge-

meinsamkeiten zu besinnen, die auch dem Unterschiedlichen einen neuen Platz

geben können.

Kultur entsteht durch das Zusammenwirken Vieler innerhalb einer Gesellschaft.

Seit dem Beginn des menschlichen Zivilisationsprozesses findet dies ganz

konkreten Ausdruck in Objekten, die als materialisierte Endprodukte bestimm-

ter Techniken, Vorgehensweisen und Weltanschauungen zu verstehen sind. Mit

jedem Objekt – sei es nun eine Bergmannsleuchte aus

dem letzten Jahrhundert oder eine frühmittelalterliche

Madonna – verbindet sich das ganze Universum einer

bestimmten Haltung gegenüber der Welt und die Interpre-

tation eines davor und danach. Eine große und vielfältige

Zahl solcher Objekte lässt sich in den Museen, Archiven

und Sammlungen einer Region wieder finden. Hier haben

Menschen bewahrt, was sie für wichtig hielten.

Um diese vorhandenen Sammlungen respektive Orte

geht es letztendlich dem Projekt After Cage. Auf sie soll

aufmerksam gemacht und ihnen wieder ein stärker wahr-

genommener Platz im Gedächtnis der Region verschafft

werden. Das Kernstück und der sichtbarste Teil des Projektes After

Cage besteht daher aus vier Wunderkammern, die im Suermondt-

Ludwig-Museum, Z33, Marres und MAMAC zu sehen sind. In jeder

teilnehmenden Region wurden jeweils sechs Museen, Archive oder

Sammlungen gebeten, bis zu 100 Objekte ihrer Wahl in eine ge-

meinsame Datenbank einzuspeisen und somit für die Wunderkam-

mern bereitzustellen.

Da die Institutionen – mit Ausnahme des Suermondt-Ludwig-Mu-

seums – Wechselausstellungshäuser für zeitgenössische Kunst

sind und über keine eigene Sammlung verfügen, haben sie den

zeitgenössischen Modus für die Zusammenstellung der Wunder-

kammern zur Verfügung gestellt. Wie der Titel des Projekts schon

andeutet, ist das Verfahren an ein Konzept

von John Cage angelehnt, dem wohl einfluss-

reichsten Komponisten und konzeptuellen

Künstler des 20. Jahrhunderts. Das für Af-

ter Cage abgewandelte Konzept geht auf die

Arbeit RolyWholyover a Circus zurück, die

er 1993 im Museum of Contemporary Art

Los Angeles, kurz vor seinem Tod, realisier-

te. Für die Ausstellung wurden umliegende

Museen gebeten, Stücke aus ihrer Samm-

lung zur Verfügung zu stellen. Diese wurden

ebenso per Zufallsoperatoren bestimmt, wie

die Auswahl und Aufstellung im Ausstel-

10 10 11 11

lungsraum, die jeden Tag wechselte.

Das Ersetzen des Kurators oder Ausstel-

lungsmachers durch die Anwendung des

Zufalls als Auswahl- und Gestaltungsmodus

verneint die üblichen Grundlagen einer

Ausstellung. Steht normalerweise ein didak-

tisches Konzept, die Illustration eines The-

mas, einer These oder, vor allem im Bereich

der Kunst, inhaltliche und ästhetische Wech-

selbezüge im Fokus der Zusammenstellung,

werden durch den Zufall diese Kategorien

konsequent verneint. Der einzige konkrete

wirkungsvoll, denn es eröffnet

die Chance, aus der Totalität aller

möglichen Bezüge gerade den

bisher nicht denkbaren Zusam-

menhängen eine Realität zu ver-

schaffen. Eine derart dargestellte

kulturelle Identität bleibt gegen-

über sich und anderen Identitäten

neutral, indem sie weder ein- noch

ausschließt – eine Haltung, die

auch für ein kulturell zusammen-

wachsendes Europa entscheidend

sein wird.

Durch die zufallsbasierte

Verteilung der Objekte auf

vier gleichzeitig stattfindende

Wunderkammern in den Pro-

vinzen der Euregio soll nicht

nur ein zeitgenössischer

Zugang auf die gemeinsam

erinnerte und aufbewahrte

regionale Identität eröffnet

und in ihrer Vernetzungen

deutlich gemacht werden.

Sie soll auch ganz praktisch

dazu einladen, die Euregio,

ihre Museen, Sammlungen

und Archive zu bereisen

und neu zu entdecken! In

diesem Sinne wünschen wir

Ihnen einen anregenden und

erlebnisreichen Besuch, wie

auch eine erhellende Lektüre

dieser Publikation.

Melanie Bono

Selektionsprozess hat bereits lange Zeit vor der Ausstellung in Gründung und

Aufbau der beteiligten Sammlungen stattgefunden. Wie bereits erwähnt, kann hier

davon ausgegangen werden, dass die gesammelten Dinge Teilnehmern einer be-

stimmten Kultur so wichtig und sinnvoll erschienen, dass sie diese aufbewahrten.

Dieser Selektionsprozess bildet insofern ein vielschichtiges und zeitgetreues Bild

von Kultur ab.

Die Verneinung von menschlich bestimmten Auswahlkategorien mündet letzt-

endlich in eine Enthierarchisierung von Objekten und den mit ihnen verbunde-

nen Vorstellungen. Da Auswahlkriterien immer in Bezug zu sozialisierungsbe-

dingten Werten einer Kultur stehen, die durch Bildungskanon, Weltanschauung

und allgemein akzeptierte Sinnbezüge bestimmt sind, finden auf dieser Grundlage

neben Neubestimmung und Weiterführung kulturellen Denkens immer auch

Ausschlussprozesse jener Bezüge statt, die eben im Moment nicht denkbar oder

sinnvoll erscheinen. Und genau hier greift das Cagesche Zufallskonzept besonders

12 12 13 13

Der Zufall als Paradigma

Die Aachener Wunderkammer findet

statt in zwei Räumen des Suermondt-

Ludwig-Museums, die eigentlich gar

nicht für eine museale Nutzung Ver-

wendung finden können: zwei äußerst

schmale, lange und ungeheuer hohe

Kästen ohne natürliches Licht. Sie

haben bislang dementsprechend eine

untergeordnete Nutzung erfahren, in

das erste Arrangement von Kunstwer-

ken ab dem 26. November 1901 waren

sie überhaupt nicht einbezogen; später

war hier die Teeküche der Mitarbei-

ter untergebracht. Sie haben bislang

dementsprechend eine untergeordnete

Nutzung erfahren, in das erste Arran-

gement von Kunstwerken ab dem 26.

November 1901 waren sie überhaupt

nicht einbezogen; später war hier die

Teeküche der Mitarbeiter unterge-

bracht. In der Villa Cassalette, dem

Bau an der vornehmen Wilhelmstraße,

in dem jetzt das Museum untergebracht

ist, fungierte ursprünglich der vom

Eingang aus gesehene linke Raum als

14 14 15 15

Passage zum Wintergarten, der rechte

nahm die Treppe zum zweiten Oberge-

schoss auf.

Dass die beiden Räume jetzt dennoch

mit Kunstwerken bespielt werden kön-

nen, verdankt sich der Ausstellungs-

architektur, die Rainer Plum von der

Fachhochschule Aachen zusammen mit

seinen Studierenden entwickelt hat. Er

verwandelte sie mit einer zentralpers-

pektivisch angelegten Holzkonstruktion

bzw. mit Spiegeln in einen ‚Raum der

Enge’ und einen ‚Raum der Weite’. Von

Beginn an war klar, dass die aufwen-

dige Architektur nicht wirklich dem

Ausstellungskonzept von „After Cage“

entsprechen kann, wo alles dem Prinzip

des Zufalls zu folgen scheint. Davon ab-

gesehen, dass bereits das Konzept eine

– gleichwohl faszinierende und schöne

– Illusion ist, so ist Architektur stets

körperlich und wirkt bestimmend, ja

mitunter mächtig durch Farbe, Licht,

Material, Proportionen und Klima.

16 16 17 17

Das Innere eines Museums zu inszenie-

ren, ist erst in den letzten Jahrzehnten

wieder zum Thema geworden. Nach

1945 war es dagegen Mode, ein ‚neutra-

les Gehäuse’ mit angeblich neutralen,

weißen Wänden zu schaffen. Wohl

zum ersten Mal verwirklicht hat dies

Franco Albini im Palazzo Bianco in

Genua. Bruno Zevi schrieb dazu: „Die

Kunstwerke schaffen die Architektur,

bestimmen die Räume und schreiben

die Abmessungen der Wände vor. Jedes

Bild und jede Skulptur werden darauf

geprüft, wie sie sich am besten darbie-

ten: Erst dann erhalten sie den Raum,

den sie benötigen.“ Es entstand der

‚white cube’ als Ideologie des Purismus,

der Unschuld, Demokratie und des

Neubeginns, wo sich die Kunst von der

äußeren Welt abschirmen kann. Die

Strategien dieser Museumsarchitektur

als Propaganda der ‚neutralen Hülle’

sind schon vor Jahrzehnten beschrie-

ben worden, zuletzt hat Mircea Cantor

in seinem Stummfilm „Deeparture“ von

2005 gezeigt, wie verlegen, ja paraly-

siert selbst der Wolf vor einem Reh

wird, wenn beide sich in einem weißen

Raum befinden – da braucht es noch

nicht einmal das anderen Flussufer

Lessings in dessen Adaption der Aesop-

schen Fabel.

18 18 19 19

Wenn das Äußere des Museums wieder

zu einem Kunstwerk wird, man den-

ke nur an Frank O. Gehry oder das

Jüdische Museum von Peter Eisenman,

dann steigert sich letztendlich nur eine

Tendenz, die es immer schon gab. Glei-

ches gilt auch für die Innenarchitektur,

etwa die Arbeiten der Zaha Hadid

für Berlin und Mechelen – ein früher

Markstein sind die Inszenierungen des

Fritz Bornemann in den Berlin-Dah-

lemer Museen ab den späten sechziger

Jahren des 20. Jahrhunderts.

Wie mehr oder weniger bestimmend

die Museumsarchitektur ist – und der

Zufall nur zum Paradigma erklärt

werden kann, so ist auch die Kunst

selbst nie zufällig: Bereits der Strich

auf einem Blatt Papier muss als eine

Setzung angesehen werden, als bewuss-

te Entscheidung, wie Norbert Kricke

zeigt – welches Blatt wird verwendet,

welcher Stift, wo setzt der Künstler an,

mit welcher Dynamik etc. Der Zufall

kann somit nur behauptet werden, man

kann ihn kalkulieren, er kann sich

ergeben.

20 20 21 21

Und so haben die Verantwortlichen für

das inhaltliche Konzept der Ausstel-

lung, das Institut für Kunstgeschichte

der RWTH Aachen mit seinen Studie-

renden, auch nicht dem Versuch wider-

stehen können, mit der Architektur und

den zur Verfügung gestellten Objekten

zu spielen, Verbindungen zu suchen, zu

konstruieren und Ordnungsschemata

anzudeuten: Anklänge an Wunderkam-

mern nach historischem Verständnis,

inhaltliche Verbindungen der Objekte

und ähnliches mehr. Erst im letzten Mo-

ment hat sich beispielsweise gezeigt, wie

passend im ‚Raum der Enge’ am Ende

der Zentralperspektive der Globus des

18. Jahrhunderts aus den Beständen

des Suermondt-Ludwig-Museums den

Blick auf die ganze Welt weiten kann.

„After Cage“ bietet hier aber insofern

eine unabdingbare Voraussetzung und

methodische Grundlage, indem wir uns

erhoffen, dass sich für Sie als Publikum

durch die Wunderkammer und diesen

Katalog Kontexte, Denk- und Erleb-

nisräume öffnen, mit denen niemand

rechnen konnte.

Alexander Markschies

22 22 23 23

Cage – After Cage

Frederike Eyhoff, Leonie Obalski

Die meisten Leute wissen gar nicht, wie schwer es ist, [...] Kunst

zu schaffen – der Verstand ist nämlich eine so starke Kontrol-

linstanz, dass er die Menschen unpoetisch und phantasielos

macht. (John Cage)

Ein Raum seltsamer Stille. Die dominierende Dunkelheit wird

hier und da durchbrochen durch ein Licht; ein Fenster, in dem

Absonderliches liegt, steht und hängt. Neugierig erblicken wir

Wunderbares und zugleich Kurioses: An diesem Ort – still und

geheimnisvoll – sitzt ein ausgestopfter Frosch neben seinen

Schwimmflügeln, und ein Herrscherporträt des Herzogs Wilhelm

V. liegt tête à tête mit einer Niveacremedose.

Wo befinden wir uns? Was geschieht hier? Und was hat eine Bade-

kappe mit einem Globus zu tun?

Betritt der Museumsbesucher die beiden Wunderkammerräume des

Suermondt- Ludwig-Museums, so steht er vielleicht orientierungslos

einer Vielzahl verschiedener Exponate gegenüber. In einem Meeting

der anderen Art werden hier Objekte miteinander vereint und in Bezie-

hung gesetzt, die auf den ersten Blick nicht weniger zusammenhän-

gend sein könnten. Die bewusst inszenierte Irritation mag den ein oder

anderen dazu veranlassen, generell über Ordnungssysteme nachzu-

denken, die unseren Regeln, Kategorisierungen und Archivierungen

zugrunde liegen und letztendlich unser Wissen organisieren.

Cage – After Cage

Frederike Eyhoff, Leonie Obalski

Die meisten Leute wissen gar nicht, wie schwer es ist, [...] Kunst

zu schaffen – der Verstand ist nämlich eine so starke Kontrol-

linstanz, dass er die Menschen unpoetisch und phantasielos

macht. (John Cage)

Ein Raum seltsamer Stille. Die dominierende Dunkelheit wird

hier und da durchbrochen durch ein Licht; ein Fenster, in dem

Absonderliches liegt, steht und hängt. Neugierig erblicken wir

Wunderbares und zugleich Kurioses: An diesem Ort – still und

geheimnisvoll – sitzt ein ausgestopfter Frosch neben seinen

Schwimmflügeln, und ein Herrscherporträt des Herzogs Wilhelm

V. liegt tête à tête mit einer Niveacremedose.

Wo befinden wir uns? Was geschieht hier? Und was hat eine Bade-

kappe mit einem Globus zu tun?

Betritt der Museumsbesucher die beiden Wunderkammerräume des

Suermondt- Ludwig-Museums, so steht er vielleicht orientierungslos

einer Vielzahl verschiedener Exponate gegenüber. In einem Meeting

der anderen Art werden hier Objekte miteinander vereint und in Bezie-

hung gesetzt, die auf den ersten Blick nicht weniger zusammenhän-

gend sein könnten. Die bewusst inszenierte Irritation mag den ein oder

anderen dazu veranlassen, generell über Ordnungssysteme nachzu-

denken, die unseren Regeln, Kategorisierungen und Archivierungen

zugrunde liegen und letztendlich unser Wissen organisieren.

24 24 25 25

Von Kindheit an lernt der Mensch eine gewisse Ordnung der Dinge in

seiner Kultur kennen. So wird ihm früh beigebracht, Gleiches zu Glei-

chem zu gruppieren, Analogien und Differenzen aufzuspüren, um sich

wiederholende Eigenschaften zu Charakteristika erklären zu können. Wer

erinnert sich in diesem Zusammenhang nicht an die Kinderspielchen,

an diese typischen pädagogischen Einordnungsübungen, die nach dem

Motto funktionieren: „Hier stimmt doch was nicht?“ Ordnungssysteme

fungieren dabei als Grundstruktur, als Raster und gleichzeitig Hilfsmittel,

die es uns ermöglichen, sogar Gemeinsamkeiten zwischen Globus und

Badekappe zu sehen, zu benennen und zu formulieren. So nehmen wir

Objekte nicht nur wahr, sondern zerlegen sie in einzelne Merkmale und

Eigenschaften, um sie mit anderen ähnlichen oder unähnlichen Dingen

vergleichen zu können. Indem wir beispielsweise feststellen, dass hin-

sichtlich der Form beide etwas Rundes voraussetzen: Also der Globus

vermeintlich einem Kopf ähnelt, der eine Badekappe trägt.

Über Typologien, Klassifikationen und Segmentierungen

schaffen wir uns ein Weltbild und eine Ordnung, die un-

ser Wissen organisiert und uns vermeintlich strukturelle

Sicherheit suggeriert. Fraglich bleibt jedoch, ob es sich

dabei um Tatsachen oder ein vom Menschen geschaffe-

nes Muster handelt.

So kann ein Frosch bspw. im ersten Moment ein biologi-

sches Anschauungsobjekt und im nächsten schon ein Rea-

dy Made im Duchamp’schen Sinne sein. Den Zuordnungs-

möglichkeiten sind schier keine Grenzen gesetzt. Kulturelle

Prägungen, Traditionen haben entscheidenden Anteil daran.

Das wird umso deutlicher, wenn wir den Bereich des Realen

verlassen und uns der Fiktion zuwenden. Um einem Gedan-

kenexperiment Borges’ Folge zu leisten, könne man bspw.

laut Foucault in einer gewissen chinesischen Enzyklopädie

unter dem Stichwort „Tier“ nachlesen, dass sich „Tiere [...]

wie folgt gruppieren: a) Tiere, die dem Kaiser gehören, b)

einbalsamierte Tiere, c) gezähmte, d) Milchschweine, e) Si-

renen, f) Fabeltiere, g) herrenlose Hunde, […] m) die den

Wasserkrug zerbrochen haben, n) die von weitem wie Flie-

gen aussehen.“ Konfrontiert wird der Leser hier mit einer

kuriosen Aufzählung einer gänzlich unbekannten Einteilung

der Dinge. Der „exotische Zauber eines anderen Denkens“

überschreitet die so sicher geglaubte Definition unseres

Weltbildes und macht mit einem Schlag das eigentlich Un-

konventionelle, ja sogar Unlogische denkbar.

Die Frage nach der Einteilbarkeit der Dinge in Gruppen wird

unter anderem zum Thema von ‘After Cage’. Die Grundidee zu

dieser Ausstellung folgt demnach John Cage.

Für den 1912 in Los Angeles geborenen Komponisten und Hap-

peningkünstler galt der Zufall als maßgebliche Methode seines

künstlerischen Schaffens. Dabei orientierte sich Cage an den

Grundgedanken des chinesischen I-Ging.

Dieser Grundlagentext fernöstlicher Philosophie und Kosmologie

begreift die Welt als ein nach bestimmten Gesetzen ablaufendes

Ganzes, das sich in 64 Hexagrammen darstellen lässt. In diesen 64

Bildern (oder Zeichen) vereinen sich alle möglichen oder denkbaren

Bilder der Welt. Alles wird zu einer Frage der Kombinatorik und der

Von Kindheit an lernt der Mensch eine gewisse Ordnung der Dinge in

seiner Kultur kennen. So wird ihm früh beigebracht, Gleiches zu Glei-

chem zu gruppieren, Analogien und Differenzen aufzuspüren, um sich

wiederholende Eigenschaften zu Charakteristika erklären zu können. Wer

erinnert sich in diesem Zusammenhang nicht an die Kinderspielchen,

an diese typischen pädagogischen Einordnungsübungen, die nach dem

Motto funktionieren: „Hier stimmt doch was nicht?“ Ordnungssysteme

fungieren dabei als Grundstruktur, als Raster und gleichzeitig Hilfsmittel,

die es uns ermöglichen, sogar Gemeinsamkeiten zwischen Globus und

Badekappe zu sehen, zu benennen und zu formulieren. So nehmen wir

Objekte nicht nur wahr, sondern zerlegen sie in einzelne Merkmale und

Eigenschaften, um sie mit anderen ähnlichen oder unähnlichen Dingen

vergleichen zu können. Indem wir beispielsweise feststellen, dass hin-

sichtlich der Form beide etwas Rundes voraussetzen: Also der Globus

vermeintlich einem Kopf ähnelt, der eine Badekappe trägt.

Über Typologien, Klassifikationen und Segmentierungen

schaffen wir uns ein Weltbild und eine Ordnung, die un-

ser Wissen organisiert und uns vermeintlich strukturelle

Sicherheit suggeriert. Fraglich bleibt jedoch, ob es sich

dabei um Tatsachen oder ein vom Menschen geschaffe-

nes Muster handelt.

So kann ein Frosch bspw. im ersten Moment ein biologi-

sches Anschauungsobjekt und im nächsten schon ein Rea-

dy Made im Duchamp’schen Sinne sein. Den Zuordnungs-

möglichkeiten sind schier keine Grenzen gesetzt. Kulturelle

Prägungen, Traditionen haben entscheidenden Anteil dar-

an. Das wird umso deutlicher, wenn wir den Bereich des

verlassen und uns der Fiktion zuwenden. Um einem Gedan-

kenexperiment Borges’ Folge zu leisten, könne man bspw.

laut Foucault in einer gewissen chinesischen Enzyklopädie

unter dem Stichwort „Tier“ nachlesen, dass sich „Tiere [...]

wie folgt gruppieren: a) Tiere, die dem Kaiser gehören, b)

einbalsamierte Tiere, c) gezähmte, d) Milchschweine, e) Si-

renen, f) Fabeltiere, g) herrenlose Hunde, […] m) die den

Wasserkrug zerbrochen haben, n) die von weitem wie Flie-

gen aussehen.“ Konfrontiert wird der Leser hier mit einer

kuriosen Aufzählung einer gänzlich unbekannten Einteilung

der Dinge. Der „exotische Zauber eines anderen Denkens“

überschreitet die so sicher geglaubte Definition unseres

Weltbildes und macht mit einem Schlag das eigentlich Un-

konventionelle, ja sogar Unlogische denkbar.

Die Frage nach der Einteilbarkeit der Dinge in Gruppen wird

unter anderem zum Thema von ‘After Cage’. Die Grundidee zu

dieser Ausstellung folgt demnach John Cage.

Für den 1912 in Los Angeles geborenen Komponisten und Hap-

peningkünstler galt der Zufall als maßgebliche Methode seines

künstlerischen Schaffens. Dabei orientierte sich Cage an den

Grundgedanken des chinesischen I-Ging.

Dieser Grundlagentext fernöstlicher Philosophie und Kosmologie

begreift die Welt als ein nach bestimmten Gesetzen ablaufendes

Ganzes, das sich in 64 Hexagrammen darstellen lässt. In diesen 64

Bildern (oder Zeichen) vereinen sich alle möglichen oder denkbaren

Bilder der Welt. Alles wird zu einer Frage der Kombinatorik und der

26 26 27 27

Vereinbarkeit der zwei Grundkonstellationen des I-Ging, der lichten,

himmlischen (Yang) und der dunkel-irdischen Kraft (Yin). Im I-Ging

wird eine Ausgewogenheit der Gegenteile und die Akzeptanz bzw.

Verinnerlichung der Veränderung angestrebt.

Um Kombinationen zu erzielen, die vorher weder durchdacht noch

bewusst gewählt wurden, greift John Cage zum Würfel oder wirft die

Münze. So entscheiden nicht die Vorlieben und Abneigungen, also der

Geschmack des Künstlers oder Musikers über die Komposition, son-

dern es tritt ein anderes, nicht gelenktes Moment in den Schaffenspro-

zess – der Zufall. Es geht ihm dabei keineswegs um die Auflösung von

bestehenden Ordnungen zu Gunsten eines undurchsichtigen Chaos.

Zufall gebiert Irritation; lenkt Aufmerksamkeit auf einst durchschaut ge-

glaubte Phänomene, visualisiert Differenzen und fordert den Betrachter

auf, die „Dinge in der Welt“ neu zu kontextualisieren.

„Die meisten Leute, die glauben, ich sei am Zufall inter-

essiert, begreifen nicht, dass ich Zufall als eine Methode

benutze. Man denkt im allgemeinen, ich benutze den Zu-

fall als eine Möglichkeit, um mich einer Entscheidung zu

entziehen. Aber meine Entscheidungen bestehen darin,

welche Fragen überhaupt gestellt werden.“ (John Cage)

Die Methode der Zufallsoperationen, die sein weiteres

Schaffen gravierend prägt, entwickelte Cage unter nicht

geplanten Umständen – zufällig. Nach zahlreichen Experi-

menten mit Zufallsoperationen in der Musik, wollte er sich

intensiver mit den Dingen beschäftigen, die eben nicht dem

Zufall unterworfen sind. Durch die Auseinandersetzung mit

der ihn umgebenden Flora und Fauna kam er zur Pilzkunde

und lernte – wie er es selbst formulierte – zu experimentie-

ren:

„Um festzustellen, ob ein Pilz essbar ist, sollte man ihn ko-

chen, vorerst nur einen Bissen essen und anschließend einen

Tag warten, um herauszufinden, ob sich irgendwelche uner-

wünschten Nebenwirkungen zeigen. Wenn das nicht der Fall

ist, sollte man die Menge geringfügig erhöhen. Schließlich wird

man genug über Pilze wissen.“ (John Cage)

Als Ausgleich zu seinem Interesse am Zufall hat sich John Cage

Zeit seines Lebens mit dem Schachspiel, als ein festgelegtes, ge-

schlossenes System beschäftigt. Im Schachspiel bleibt der Zufall

abwesend. Eine Niederlage resultiert stets aus der Häufung ver-

schiedener Denk- bzw. Strategiefehler.

Kurz vor seinem Tod im Jahre 1992 setzt Cage Zufallsoperationen

als Verfahren ein, um einen Museumszirkus mit dem Titel „Roly-

wholyover a Circus“ in Los Angeles zu realisieren. Das Konzept zu

diesem Projekt bricht alle bis dahin geläufigen Konventionen einer

Ausstellungsgestaltung. Zu diesem Zwecke werden für das Projekt

die Sammlungen der Museen im Umkreis von 30 Meilen per Da-

tenbank miteinander verknüpft. Ein Zufallsgenerator wählt Ort, Zeit

und Art der gezeigten Kunstwerke aus. Dabei geht es Cage mitun-

ter stets um die Realisierbarkeit des Unkonventionellen. Idee ist es,

ein dynamisches Gesamtkunstwerk zu schaffen, das den Betrach-

ter integriert; ihn zum Mitspieler macht, um somit Cages Wunsch

zu realisieren, „den Unterschied zwischen Kunst und Leben ein-

Zufall unterworfen sind. Durch die Auseinandersetzung mit

der ihn umgebenden Flora und Fauna kam er zur Pilzkunde

und lernte – wie er es selbst formulierte – zu experimentie-

ren:

„Um festzustellen, ob ein Pilz essbar ist, sollte man ihn ko-

chen, vorerst nur einen Bissen essen und anschließend einen

Tag warten, um herauszufinden, ob sich irgendwelche uner-

wünschten Nebenwirkungen zeigen. Wenn das nicht der Fall

ist, sollte man die Menge geringfügig erhöhen. Schließlich wird

man genug über Pilze wissen.“ (John Cage)

Als Ausgleich zu seinem Interesse am Zufall hat sich John Cage

Zeit seines Lebens mit dem Schachspiel, als ein festgelegtes, ge-

schlossenes System beschäftigt. Im Schachspiel bleibt der Zufall

abwesend. Eine Niederlage resultiert stets aus der Häufung ver-

schiedener Denk- bzw. Strategiefehler.

Kurz vor seinem Tod im Jahre 1992 setzt Cage Zufallsoperationen

als Verfahren ein, um einen Museumszirkus mit dem Titel „Roly-

wholyover a Circus“ in Los Angeles zu realisieren. Das Konzept zu

diesem Projekt bricht alle bis dahin geläufigen Konventionen einer

Ausstellungsgestaltung. Zu diesem Zwecke werden für das Projekt

die Sammlungen der Museen im Umkreis von 30 Meilen per Da-

tenbank miteinander verknüpft. Ein Zufallsgenerator wählt Ort, Zeit

und Art der gezeigten Kunstwerke aus. Dabei geht es Cage mitun-

ter stets um die Realisierbarkeit des Unkonventionellen. Idee ist es,

ein dynamisches Gesamtkunstwerk zu schaffen, das den Betrach-

ter integriert; ihn zum Mitspieler macht, um somit Cages Wunsch

zu realisieren, „den Unterschied zwischen Kunst und Leben ein

Vereinbarkeit der zwei Grundkonstellationen des I-Ging, der lichten,

himmlischen (Yang) und der dunkel-irdischen Kraft (Yin). Im I-Ging

wird eine Ausgewogenheit der Gegenteile und die Akzeptanz bzw.

Verinnerlichung der Veränderung angestrebt.

Um Kombinationen zu erzielen, die vorher weder durchdacht noch

bewusst gewählt wurden, greift John Cage zum Würfel oder wirft die

Münze. So entscheiden nicht die Vorlieben und Abneigungen, also der

Geschmack des Künstlers oder Musikers über die Komposition, son-

dern es tritt ein anderes, nicht gelenktes Moment in den Schaffenspro-

zess – der Zufall. Es geht ihm dabei keineswegs um die Auflösung von

bestehenden Ordnungen zu Gunsten eines undurchsichtigen Chaos.

Zufall gebiert Irritation; lenkt Aufmerksamkeit auf einst durchschaut ge-

glaubte Phänomene, visualisiert Differenzen und fordert den Betrachter

auf, die „Dinge in der Welt“ neu zu kontextualisieren.

„Die meisten Leute, die glauben, ich sei am Zufall inter-

essiert, begreifen nicht, dass ich Zufall als eine Methode

benutze. Man denkt im allgemeinen, ich benutze den Zu-

fall als eine Möglichkeit, um mich einer Entscheidung zu

entziehen. Aber meine Entscheidungen bestehen darin,

welche Fragen überhaupt gestellt werden.“ (John Cage)

Die Methode der Zufallsoperationen, die sein weiteres

Schaffen gravierend prägt, entwickelte Cage unter nicht

geplanten Umständen – zufällig. Nach zahlreichen Experi-

menten mit Zufallsoperationen in der Musik, wollte er sich

intensiver mit den Dingen beschäftigen, die eben nicht

28 28 29 29

fach auszulöschen.“ Als Kunstwerke werden Performances, Filme,

Videoinstallationen, Lesungen und weitere Aktionen gezeigt. Das

Museum wird somit zu einem bunten Zirkus, in welchem simultan

die verschiedenen Aktionen und Happenings stattfinden. Er negiert

das übliche Verfahren einer scheinbar notwendigen Zuordnung von

Materialien, Texten, Noten etc. und vermeidet damit statische Kon-

textualisierungen. Durch seine künstlerische Produktion in Anleh-

nung an die Weltvorstellungen des I-Ging und des Zen-Buddhis-

mus befreit er die Kunst von jeglichen autoritären, hierarchischen,

intentionalen oder geschmacklichen Vorstellungen.

Als Ergebnis ergeben sich ungewöhnliche Assoziationsketten, unkon-

ventionelle Beziehungen und überraschende Einsichten. Cage selbst

äußert sich über sein Projekt wie folgend:

„The basic idea is that the exhibition would change so much as if you

came back a second time, you wouldn’t recognize it.” (John Cage)

Durch diesen Kunstgriff mischen sich die Positionen in

der Trias von Künstler, Kunstwerk und Betrachter zu ei-

ner interaktiven Rollenverteilung neu. Der Betrachter

wird zum Co-creator, der spielerisch und frei assoziiert

und so seine eigene Ausstellung mitgestaltet. Gegebene

Objektzusammenstellungen werden hinterfragt und ana-

lysiert.

Wenn hier in der Wunderkammer des Suermondt-Ludwig-

Museums der Betrachter einen Würfel aus dem 15. Jahr-

hunderts in unmittelbarer Nähe zu einem Genever-Glas in

Bärchenform entdeckt, unterliegt er in einem ersten Schritt

dem antrainierten Bedürfnis, zwanghaft nach Analogien zu

suchen und ein mitunter zweifelhaftes „tertium compara-

tionis“ zugrunde legen zu wollen. Man ist versucht dieses

Verfahren als ein dekonstruktivistisches zu beschreiben. So

zerstört der Betrachter das konventionelle Bild von Würfel

und Genever-Glas, sucht nach Schnittmengen und konstru-

iert damit neue Zusammenhänge. Auf der Suche nach Er-

kenntnis kehrt er auf diesem Umweg zu den scheinbar ein-

fachen Fragen zurück, die man sich in unserer Welt kaum

noch zu stellen traut, die aber letztendlich Grundvorausset-

zung für Wissenszuwachs und Erkenntnis sind. Prozesse,

die eben nicht auf gradlinigem Weg stattfinden. Ganz im

Cage’schen Sinne ist es oftmals der Umweg, der uns zu den

angestrebten Zielen bringt. In seinen Phasmes beschreibt

der Kunsthistoriker Didi-Huberman dieses Phänomen:

„Manchmal hält er verblüfft in seinem Lauf ein: Etwas ande-

res ist plötzlich vor seinen Augen erschienen, mit dem er nicht

rechnete. Nicht das Ding an sich seiner ursprünglichen Suche,

sondern ein zufälliges Ding, das vielleicht brisant oder vielleicht

unauffällig sein mag- etwas Unerwartetes, beiläufig Gefunde-

nes. [...] Unterbricht ihn dieser Zufall nicht im Durcharbeiten

des ‚Programms’, das er als seriöser Forscher sich gesetzt

hat?“

Das ursprüngliche ‚Programm’ unserer Sehgewohnheiten wird

Bärchenform entdeckt, unterliegt er in einem ersten Schritt

dem antrainierten Bedürfnis, zwanghaft nach Analogien zu

suchen und ein mitunter zweifelhaftes „tertium compara-

tionis“ zugrunde legen zu wollen. Man ist versucht dieses

Verfahren als ein dekonstruktivistisches zu beschreiben. So

zerstört der Betrachter das konventionelle Bild von Würfel

und Genever-Glas, sucht nach Schnittmengen und konstru-

iert damit neue Zusammenhänge. Auf der Suche nach Er-

kenntnis kehrt er auf diesem Umweg zu den scheinbar ein-

fachen Fragen zurück, die man sich in unserer Welt kaum

noch zu stellen traut, die aber letztendlich Grundvorausset-

zung für Wissenszuwachs und Erkenntnis sind. Prozesse,

die eben nicht auf gradlinigem Weg stattfinden. Ganz im

Cage’schen Sinne ist es oftmals der Umweg, der uns zu den

angestrebten Zielen bringt. In seinen Phasmes beschreibt

der Kunsthistoriker Didi-Huberman dieses Phänomen:

„Manchmal hält er verblüfft in seinem Lauf ein: Etwas ande-

res ist plötzlich vor seinen Augen erschienen, mit dem er nicht

rechnete. Nicht das Ding an sich seiner ursprünglichen Suche,

sondern ein zufälliges Ding, das vielleicht brisant oder vielleicht

unauffällig sein mag- etwas Unerwartetes, beiläufig Gefunde-

nes. [...] Unterbricht ihn dieser Zufall nicht im Durcharbeiten

des ‚Programms’, das er als seriöser Forscher sich gesetzt

hat?“

Das ursprüngliche ‚Programm’ unserer Sehgewohnheiten wird

fach auszulöschen.“ Als Kunstwerke werden Performances, Filme,

Videoinstallationen, Lesungen und weitere Aktionen gezeigt. Das

Museum wird somit zu einem bunten Zirkus, in welchem simultan

die verschiedenen Aktionen und Happenings stattfinden. Er negiert

das übliche Verfahren einer scheinbar notwendigen Zuordnung von

Materialien, Texten, Noten etc. und vermeidet damit statische Kon-

textualisierungen. Durch seine künstlerische Produktion in Anleh-

nung an die Weltvorstellungen des I-Ging und des Zen-Buddhis-

mus befreit er die Kunst von jeglichen autoritären, hierarchischen,

intentionalen oder geschmacklichen Vorstellungen.

Als Ergebnis ergeben sich ungewöhnliche Assoziationsketten, unkon-

ventionelle Beziehungen und überraschende Einsichten. Cage selbst

äußert sich über sein Projekt wie folgend:

„The basic idea is that the exhibition would change so much as if you

came back a second time, you wouldn’t recognize it.” (John Cage)

Durch diesen Kunstgriff mischen sich die Positionen in

der Trias von Künstler, Kunstwerk und Betrachter zu ei-

ner interaktiven Rollenverteilung neu. Der Betrachter

wird zum Co-creator, der spielerisch und frei assoziiert

und so seine eigene Ausstellung mitgestaltet. Gegebene

Objektzusammenstellungen werden hinterfragt und ana-

lysiert.

Wenn hier in der Wunderkammer des Suermondt-Ludwig-

Museums der Betrachter einen Würfel aus dem 15. Jahr-

hunderts in unmittelbarer Nähe zu einem Genever-Glas in

30 30 31 31

durch das künstlerische Arrangement bewusst durchbrochen.

Cage übt durch den Einsatz des Zufalls als differenz-stiftende Me-

thode offen Kritik an der Erstarrung positivistischer Ordnungsvor-

stellungen und zeigt deutlich, dass in der Betrachtung der Kunst

auch die der Kunst zugeordnete Institution ‚Museum’ immer wieder

neu kritisch berührt und neu bestimmt werden muss. Er segmen-

tiert und dekonstruiert in seinen Kompositionen wie seinem Muse-

umsprojekt konventionelle Ordnungsschemata und setzt sie zufällig

wieder zusammen. Anders als in klassischen Ausstellungskompo-

sitionen herrscht das Primat des Objekts über das Primat des The-

mas. Konventionelle, klassische Ausstellungspraktiken und -modi

werden problematisiert, in denen sich eine zuvor beim Betrachter

erzeugte Erwartungshaltung erfüllt. Die intellektuelle Leistung der

Kategorisierung und Systematisierung ist oftmals bereits erbracht.

Die Objekte zeigen sich kontextualisiert und ausdrücklich ‚schön’

präsentiert, ja inszeniert. Der Betrachter wird zum Wissenskonsu-

ment, der regelrecht – angesichts der Bilder- und Informationsflut

– der eigenen Kreativität entledigt wird.

‘After Cage’ greift die Grundideen Cages wieder auf und hat zu diesem

Zweck knapp dreißig Sammlungen der Euregio miteinander verknüpft.

Eine Datenbank stellt ausgewählte Exponate verschiedener Museen

zusammen, die dadurch zu einer ständig wechselnden interaktiven

Museumsplattform wurde. Per Zufallsgenerator wurden die Exponate,

die in Aachen zu sehen sind, aus diesem großen Fundus ausgewählt.

Im Unterschied zur ursprünglichen Konzeption des ‚Rolywholyover a

circus’ bleiben die einmal bestimmten Objekte hier jedoch an einem

besonderen, festen Ort.

Das Suermondt-Ludwig-Museum in Aachen erinnert mit dieser Ausstel-

lung gleichermaßen an die ‚prämuseale’ Form der Wissensvermittlung

durch Kunst- und Wunderkammern. Ein buntes Nebeneinander unter-

schiedlicher Materialien, Epochen und Gattungen lädt dazu ein, sich

dem einzelnen Objekt wieder intensiver zu widmen und nach seiner Be-

rechtigung zu fragen.

Da treffen Aderlassschnepper auf Haustelefone, Bade-

kappen auf Abbruchhammer und in aller Disharmonie ver-

binden sich Herrscherporträts mit Niveacremedöschen.

Auf diese Weise stellt sich ein naives Nebeneinander von

Gegenständen aus Kunst, Natur und Alltag ein und veran-

lasst zu einer neuen, nicht „vorgeordneten“ Sehweise mit

überraschenden Ergebnissen. Ein sorgfältig ausgewähl-

tes und doch zufällig entstandenes, scheinbares Chaos

birgt interessante, in der Rezeption sichtbar werdende

Beziehungen.

„Wie Marcel [Duchamp] möchte ich die Unterschiede

zwischen Kunst und Leben, zwischen Lehrer und Schüler,

zwischen Darsteller und Publikum usw. aufheben.“ (John

Cage)

Die hier verwirklichte Kunst- und Wunderkammer steht zum

einen in der Tradition einer Wissen vermittelnden Institution,

doch beabsichtigt sie nicht die dogmatische Wissensvermitt-

lung im Sinne eines intellektuellen Paragone zwischen Kunst

und Natur oder Gelehrtem und Schüler. Vielmehr steht die Ge-

Das Suermondt-Ludwig-Museum in Aachen erinnert mit dieser Ausstel-

lung gleichermaßen an die ‚prämuseale’ Form der Wissensvermittlung

durch Kunst- und Wunderkammern. Ein buntes Nebeneinander unter-

schiedlicher Materialien, Epochen und Gattungen lädt dazu ein, sich

dem einzelnen Objekt wieder intensiver zu widmen und nach seiner Be-

rechtigung zu fragen.

Da treffen Aderlassschnepper auf Haustelefone, Bade-

kappen auf Abbruchhammer und in aller Disharmonie ver-

binden sich Herrscherporträts mit Niveacremedöschen.

Auf diese Weise stellt sich ein naives Nebeneinander von

Gegenständen aus Kunst, Natur und Alltag ein und veran-

lasst zu einer neuen, nicht „vorgeordneten“ Sehweise mit

überraschenden Ergebnissen. Ein sorgfältig ausgewähl-

tes und doch zufällig entstandenes, scheinbares Chaos

birgt interessante, in der Rezeption sichtbar werdende

Beziehungen.

„Wie Marcel [Duchamp] möchte ich die Unterschiede

zwischen Kunst und Leben, zwischen Lehrer und Schüler,

zwischen Darsteller und Publikum usw. aufheben.“ (John

Cage)

Die hier verwirklichte Kunst- und Wunderkammer steht zum

einen in der Tradition einer Wissen vermittelnden Institution,

doch beabsichtigt sie nicht die dogmatische Wissensvermitt-

lung im Sinne eines intellektuellen Paragone zwischen Kunst

und Natur oder Gelehrtem und Schüler. Vielmehr steht die Ge

durch das künstlerische Arrangement bewusst durchbrochen.

Cage übt durch den Einsatz des Zufalls als differenz-stiftende Me-

thode offen Kritik an der Erstarrung positivistischer Ordnungsvor-

stellungen und zeigt deutlich, dass in der Betrachtung der Kunst

auch die der Kunst zugeordnete Institution ‚Museum’ immer wieder

neu kritisch berührt und neu bestimmt werden muss. Er segmen-

tiert und dekonstruiert in seinen Kompositionen wie seinem Muse-

umsprojekt konventionelle Ordnungsschemata und setzt sie zufällig

wieder zusammen. Anders als in klassischen Ausstellungskompo-

sitionen herrscht das Primat des Objekts über das Primat des The-

mas. Konventionelle, klassische Ausstellungspraktiken und -modi

werden problematisiert, in denen sich eine zuvor beim Betrachter

erzeugte Erwartungshaltung erfüllt. Die intellektuelle Leistung der

Kategorisierung und Systematisierung ist oftmals bereits erbracht.

Die Objekte zeigen sich kontextualisiert und ausdrücklich ‚schön’

präsentiert, ja inszeniert. Der Betrachter wird zum Wissenskonsu-

ment, der regelrecht – angesichts der Bilder- und Informationsflut

– der eigenen Kreativität entledigt wird.

‘After Cage’ greift die Grundideen Cages wieder auf und hat zu diesem

Zweck knapp dreißig Sammlungen der Euregio miteinander verknüpft.

Eine Datenbank stellt ausgewählte Exponate verschiedener Museen

zusammen, die dadurch zu einer ständig wechselnden interaktiven

Museumsplattform wurde. Per Zufallsgenerator wurden die Exponate,

die in Aachen zu sehen sind, aus diesem großen Fundus ausgewählt.

Im Unterschied zur ursprünglichen Konzeption des ‚Rolywholyover a

circus’ bleiben die einmal bestimmten Objekte hier jedoch an einem

besonderen, festen Ort.

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nerierung von Wissen durch die Macht der Kreativität im Vor-

dergrund. Dieses Wissen ist auch nicht statisch und eindeutig,

sondern frei und im Sinne John Cages nahezu zufällig.

Als Komponist hat Cage durch seine Kompositionen und seine

radikal-revolutionären Ideen der europäischen Avantgarde we-

sentliche Anstöße zur Abkehr von der seriellen Musik gegeben.

Seine Verwendung des Prepared Piano und elektroakustischer

Klangerzeuger erweiterte und verfremdete das Klangspektrum.

Seine Idee der Einbeziehung des Zufallsprinzips als Ersatz kom-

positorischer Konstruktion wie die Integration von Alltagsgeräu-

schen zersetzt die traditionelle “Werk“-Kategorie. Doch nicht nur

kompositorisch setzt er sich mit dem Phänomen des Zufalls aus-

einander. Die Realisation seiner Werke wird aufgrund des aus der

experimentellen Anlage sich ergebenden szenischen Charakters

zur theatralischen Aktion.

Er gilt als Schlüsselfigur und Initiator der Happeningkunst, die zu

Beginn der 50er Jahre entsteht, sowie der vom Dadaismus beein-

flussten Fluxusbewegung.

Wie also kann, nachdem dem Betrachter durch Cages Museums-

experiment so eindrucksvoll vor Augen geführt worden war, dass

nur die eigene Kognition, also das eigene Denken, Wahrnehmen

und Verknüpfen der Dinge in der Welt zu einem Wissensgewinn

führt, eine Kunst und Wunderkammer aussehen? Der Aachener

Konzeption gelingt es, mit ‘After Cage’ wieder dorthin zurückzukeh-

ren: zu einer Wunderkammer, die dem Betrachter die Möglichkeit

gibt, Bekanntes und Unbekanntes, Vergessenes und Erinnertes zu

kombinieren und den Freiraum für neue, kreative Assoziationen zu

erfahren.

Cages Vorbild folgend, entfernt sich die Konzeption der Aachener

Wunderkammer von jenen konventionellen, logozentristischen An-

sätzen und strebt an, durch ungewöhnliche, manchmal unlogisch er-

scheinende Objektzusammenstellungen das Auge des Betrachters zu

verwundern.

Nirgends wird die Neugierde und der Drang nach Erkenntnisgewinn

deutlicher als in einer Wunderkammer, in der sich Kurioses, Kunstvolles

und Profanes gleichberechtigt zusammenfinden.

kombinieren und den Freiraum für neue, kreative Assoziationen zu

erfahren.

Cages Vorbild folgend, entfernt sich die Konzeption der Aachener

Wunderkammer von jenen konventionellen, logozentristischen An-

sätzen und strebt an, durch ungewöhnliche, manchmal unlogisch er-

scheinende Objektzusammenstellungen das Auge des Betrachters zu

verwundern.

Nirgends wird die Neugierde und der Drang nach Erkenntnisgewinn

deutlicher als in einer Wunderkammer, in der sich Kurioses, Kunstvolles

und Profanes gleichberechtigt zusammenfinden.

nerierung von Wissen durch die Macht der Kreativität im Vor-

dergrund. Dieses Wissen ist auch nicht statisch und eindeutig,

sondern frei und im Sinne John Cages nahezu zufällig.

Als Komponist hat Cage durch seine Kompositionen und seine

radikal-revolutionären Ideen der europäischen Avantgarde we-

sentliche Anstöße zur Abkehr von der seriellen Musik gegeben.

Seine Verwendung des Prepared Piano und elektroakustischer

Klangerzeuger erweiterte und verfremdete das Klangspektrum.

Seine Idee der Einbeziehung des Zufallsprinzips als Ersatz kom-

positorischer Konstruktion wie die Integration von Alltagsgeräu-

schen zersetzt die traditionelle “Werk“-Kategorie. Doch nicht nur

kompositorisch setzt er sich mit dem Phänomen des Zufalls aus-

einander. Die Realisation seiner Werke wird aufgrund des aus der

experimentellen Anlage sich ergebenden szenischen Charakters

zur theatralischen Aktion.

Er gilt als Schlüsselfigur und Initiator der Happeningkunst, die zu

Beginn der 50er Jahre entsteht, sowie der vom Dadaismus beein-

flussten Fluxusbewegung.

Wie also kann, nachdem dem Betrachter durch Cages Museumsex-

periment so eindrucksvoll vor Augen geführt worden war, dass nur

die eigene Kognition, also das eigene Denken, Wahrnehmen und

Verknüpfen der Dinge in der Welt zu einem Wissensgewinn führt,

eine Kunst und Wunderkammer aussehen? Der Aachener Konzep-

tion gelingt es, mit ‘After Cage’ wieder dorthin zurückzukehren: zu

einer Wunderkammer, die dem Betrachter die Möglichkeit gibt, Be-

kanntes und Unbekanntes, Vergessenes und Erinnertes zu

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Bufo Bufo trifft Nivea-Dose

Christina Kral

Der Aspekt des Zufalls spielte bei dem Komponisten John Cage eine entscheidende Rolle

und darf deshalb bei einer modernen Wunderkammer ‚After Cage’ nicht fehlen. Welche

Objekte in zwei Räumen des Suermondt-Ludwig-Museums ausgestellt sind, bestimmte ganz

im Sinne von Cage das Los: Die zur Verfügung stehenden Ausstellungsstücke wurden per

Zufall auf die vier teilnehmenden Museen verteilt.

Was sich zunächst nicht nur nach einem schier heillosen Chaos anhört, sondern auf den ers-

ten Blick auch so aussieht, ist aber doch durchstrukturiert. Das heißt, bei der Anordnung der

Objekte spielt der Zufall nur bedingt eine Rolle. Konzentrieren wir uns auf einen der bei-

den Räume im Suermondt-Ludwig-Museum, den ‚Raum der Enge’. Hier wird der Besucher

nicht mit einer beliebigen Zusammenwürfelung der unterschiedlichsten Objekte konfron-

tiert, was in Bezug auf John Cage sicher legitim erschiene, sondern die Ausstellungsstücke

sind thematisch nach Kategorien geordnet wie Alltagsgegenstände, Religion, Naturalia, die

Elemente und das weite Feld von Wein, Weib & Gesang. Auf den ersten Blick könnte diese

Aufteilung als konventionell bezeichnet werden, aber es finden sich zahlreiche Objekte, die

das traditionelle Ordnungssystem durchbrechen und die Kategorien sprengen – wundern

Sie sich also nicht, wenn Sie sich wundern!

Der Globus, der als Chiffre für Kuriositätenkabinette gelesen werden kann, steht an zen-

traler Stelle des Raumes der Enge. Alles läuft auf ihn zu, verengt sich auf diesen Punkt hin.

Als ein Abbild der Welt, ein Symbol für Globalisierung, weltweite Ausbreitung und Kommu-

nikation repräsentiert er zugleich ein Ziel des Projektes ‚After Cage’ – die Vernetzung der

Euregio.

Entsprechend der klassischen Wunderkammern finden sich in beiden Räumen Objekte aus

den unterschiedlichsten Ländern, Zeiten und Kulturen. Nebeneinander stehen ausgefallene

36 36 37 37

den Geschmack von salzigem Meerwasser oder Chlor; oder denken Sie vielleicht doch eher

an Miss-World-Wahlen und Modeschauen, bei denen sich die Models in den neuesten und

raffiniertesten Bademoden präsentieren? Dazu Utensilien wie die Cremedose, eine Reise-

zahnbürste, ein Kamm und ein aus Draht improvisierter Kleiderbügel. Weitere Ausstellungs-

stücke stehen für Dinge, die zum Andenken auf dem Heimweg vom Meer mit nach Hause

genommen und dann weiterverarbeitet wurden: die Bronzekrabbe, ein Besteck mit Griffen

aus verästelten Korallenzweigen aus dem 17. Jahrhundert und ein Löffel, dessen Laffe aus

einer Muschelhälfte besteht.

Dem Wasser entgegengesetzt aber dennoch zusammengehörend folgt das Element der

Erde. Eine Kohlenschaufel liegt hier neben einem Handstein, der vermutlich in Herrengrund

in der heutigen Slowakei entstand. Handsteine wurden meistens als Geschenke oder als

Tischdekorationen verwendet und bestehen hauptsächlich aus kostbaren und seltsam ge-

formten Erzstufen. Der Handstein ist bei diesem Exponat auf eine vergoldete Kupferschale

gesetzt worden, und auf ihm lässt sich eine Landschaft mit einer Bergbauszene erkennen.

Kleine Häuser und ein Pferdewagen aus Silber wurden auf die Erzstufe montiert – der Quer-

schnitt an der Rückseite ermöglicht dem Betrachter einen Einblick in die Arbeit unter Tage

Raritäten und Dinge des Alltagsbedarfs, die jeder von uns kennt. Es wurde nicht unterschie-

den, ob es sich um Gebrauchsgegenstände oder Kunstwerke handelt, denn in der frühen

Neuzeit wurden auch Objekte des Kunstgewerbes ganz selbstverständlich mit ausgestellt.

Auch wenn die gezeigten Dinge noch so verschieden sein mögen, bilden sie in der Wunder-

kammer doch eine Einheit. Obwohl wir viele der zusammen ausgestellten Dinge im tägli-

chen Leben nicht nebeneinander finden würden, haben sie trotzdem etwas Gemeinsames.

Wie der Name ‚Wunderkammer’ bereits impliziert, soll der Betrachter zunächst ins Wundern

und Staunen versetzt werden, wenn er eine solche Kammer betritt. Das Betrachtete soll auf

ihn ungewöhnlich, überraschend und wunderlich wirken. Der Betrachter fragt sich, warum

eine Nivea-Dose aus den 60er Jahren neben einem konservierten Frosch ausgestellt ist. Und

weshalb liegt eine Steinzitrone zwischen einer Koralle und Reagenzgläsern?Um dies zu beantworten, ist es hilfreich, nach übergeordneten Themen zu suchen, die Ord-nung in das scheinbare Durcheinander von Gegenständen bringen.

Eine der in den Boden eingelassenen Vitrinen, über die der Besucher läuft, beschäftigt sich

mit Badeartikeln oder allgemein dem Thema Wasser. Gemäß dem Motto „Pack die Bade-

hose ein!“, lagern hier Objekte, die wir mit Urlaub, Strand und Sonne verbinden und die

wir bei einer Reise ans Meer mitnehmen würden. Eine Schwimmhilfe aus der ersten Hälf-

te des 20. Jahrhunderts erinnert uns an erste Schwimmversuche, genauso wie eine kleine

blaue Badekappe, die mit vier Gänsefiguren beklebt ist. Ein Badeanzug erinnert andere an

38 38 39 39

Dieser Kuboktaeder, ein archimedischer Körper, stammt aus der zweiten Hälfte des 15. Jahr-

hunderts und wurde in bayerischen Wirtshäusern vermutlich für gesellige Spiele verwendet.

Anweisungen wie „WIRF NOCH EINMAL“, „GIBS DEM ZUR RECHTEN HAND“ oder „SETZ EIN

SCHILLING“, die in das Messing geschrieben sind, verraten die Spielanweisungen.

Den Prunkkelch schuf der Silberschmied Michael Mayr, der bis 1714 in Augsburg tätig war.

Er wurde für liturgische Anlässe verwendet und auf dem Fuß sind drei Szenen der Passion

Christi dargestellt. Gerahmt werden sie von stilisierten Blättern, zwischen denen geschliffe-

ne Edelsteine eingesetzt wurden. Ein anderes Gefäß wird aufgrund seiner Form Herz- oder

Ananaspokal genannt. Der Deckel ist in der Mitte leicht eingekerbt, wodurch zusammen

mit der Kuppa eine Herzform entsteht. Die Assoziation mit einer Ananas ergibt sich durch

das Diamantbuckelmotiv, mit dem der gesamte Kelch überzogen ist. Bekrönt wird der De-

ckel von einer Vase, aus der drei filigrane Blütenstängel herausragen. Hergestellt wurde er

um 1620 von dem Aachener Meister Dietrich von Rath. Des weiteren findet sich in dieser

Abteilung eine Streichholzdose mit der Abbildung eines Musketiers und passend dazu das

Etikett einer solchen Schachtel, das ‚Luciferetiket’. Daneben steht eine ungewöhnlich ge-

formte Glasflasche in der Form eines auf den Hinterpfoten sitzenden Bärs. Auch das Thema

der Musik kommt durch einen Dudelsackspieler und einen Flötenglashalter aus Metall zur

Anschauung. Die Spielsteine aus Holz stehen für Spielvergnügen. Drei von ihnen gehörten

zu einem Damespiel und zeigen Frauenbüsten im Profil, die aus dem Holz herausgeschnitzt

und bemalt wurden. Die Frauen tragen Kleidung im Stil der Frührenaissance und bei zwei

von ihnen wissen wir direkt, welche Personen auf dem Stein verewigt worden sind. Eine

umlaufende lateinische Inschrift verrät uns, dass sie Anna heißt und die Frau des römisch-

deutschen Kaisers Ferdinand war. Der andere Stein zeigt nach rechts gewandet Ursula Seld

von Augsburg, die wahrscheinlich aus einer Goldschmiedfamilie stammte. Auf dem anderen

Brettstein ist die Büste eines unbekannten Mannes zu sehen, der vielleicht einer niedersäch-

sischen Familie angehörte. ‚Überwacht’ wird die ganze Szenerie in dieser Vitrine von dem

in einem Stollen. Der Weg des Erzes aus der Erde bis zu seiner Verarbeitung kann mit Hilfe

dieser Miniaturdarstellung nachvollzogen werden.

Ein ungewöhnlich großer Frosch beäugt den Besucher von unten herauf. Dieser so genann-

te ‚Rana catesbeiana’, der aus dem kühlen Nass ins Trockene und dann wieder ins Wasser

springt, stellt eine Verbindung der Elemente her. Erinnerungen ans Sezieren oder an ver-

staubte Präparate im Biologieunterricht werden wach, vielleicht aber auch an den verwun-

schenen Prinzen aus dem ‚Froschkönig’.

Außerdem erblickt der Besucher Vitrinen, die sich mit allen Facetten der Themen Vergnü-gen und Trinken beschäftigen. Verschiedene Kelche, Flaschen, Gesellschaftsspiele und ein Trinkhahn sind hier ausgestellt, genauso wie Flaschenetiketten aus dem Jenevermuseum in Hasselt.

Ein Spielwürfel, Symbol des Zufalls, lenkt unsere Blicke auf sich. Statt sechs quadratischen

Flächen hat er 14 Seiten und besteht aus sechs quadratischen und acht dreieckigen Feldern.

40 40 41 41

tur aus Eichenholz, die um 1550 entstand, zeigt den heiligen Laurentius, der ein Buch und

ein Gitterrost in seinen Händen hält, das auf sein Martyrium verweist. Das Reliquienkreuz

aus Holz und Kupfer und der silberne Korpus wurden vor 1868 hergestellt. In zwei großen

und zwei kleinen Medaillons, die auf der Vorderseite dieses Kreuzes und des Sockels ange-

bracht sind, befinden sich Reliquien.

Die wahrscheinlich traditionellsten Objekte in dieser Wunderkammer sind die Naturalia.

‚Ircinia muscarum’ ist ein konservierter Schwamm, ‚Suberrogorgia suberos’, eine Koralle von

1886 und ‚Mosasaurus hoffmanni Mantel’, ein Wirbelknochen eines Mosasaurus, einer vor

65 Mio. Jahren ausgestorbenen Gruppe von Meeresreptilien. Denn derartige Überreste aus

vergangenen Zeiten, die uns verdeutlichen, dass auch das Leben eine eigene Geschichte hat,

haben einen besonderen Wert erhalten und sind ausstellungswürdig geworden. Daneben

findet sich auch ein Aderlassschnepper aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, der aus

Silber und Eisen angefertigt wurde, mit dem dazugehörigen Etui.

Auch bei einer anderen Vitrine geht es weiter um den Bereich der Natur, vor allem um die

Frage, wie der Mensch die nur schwer erfassbaren Abläufe des gesamten Universums für

sich verständlicher machen kann. Um den Aufbau und die Struktur der Welt besser durch-

schauen und begreifen zu können, wurden zu allen Zeiten technische Geräte erfunden, die

uns halfen, die Welt mess- und bestimmbar zu machen. Dazu gehören ein Winkelmaß, ein

Hirtengott Pan, der auch für Fröhlichkeit, Musik und Tanz steht. Ganz offensichtlich kommt

hier auch das Thema Erotik hinzu, denn zu Pan gesellt sich ein Faun, der durch dessen Flö-

tenspiel verführt worden ist. Auch erinnert uns diese Szene an ausgelassene und exzentri-

sche, dionysische Feste.

Auch die Kirche ist in dieser Wunderkammer vertreten, beispielsweise durch eine Prozessi-

onsfahne aus der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts, welche die Heilige Margaretha mit ihrem

Attribut dem Drachen zeigt. Dazu gesellt sich die Skulptur eines weiteren Heiligen: Franzis-

kus, der in seinem linken Arm ein Kruzifix trägt. Unter seinem Mantel kommt auf der linken

Seite eine Weltkugel zum Vorschein, ein Lamm befindet sich zu seiner Rechten. Eine Skulp-

42 42 43 43

barocker Kompass und ein Zirkel; aber weshalb die schwarze Brille in dieser Vitrine?

Der Betrachter wird dazu aufgefordert, eigene Verbindungen herzustellen und seine Fan-

tasie spielen zu lassen. Nicht alles soll vorgegeben und die Gedanken des Besuchers nicht

in eine bestimmte Richtung gelenkt werden. Eine umfassende Sicht auf die Dinge und eine

Denkweise, offen für neue Zusammenhänge, soll ermöglicht werden. Neben der unge-

wöhnlichen Raumgestaltung sollen den Besucher die befremdlichen Kombinationen und

ungewöhnliche Präsentationen von Objekten zu neuen Blickrichtungen und Assoziationen

anregen. Neue Blicke eröffnen sich, nicht zuletzt auch deswegen, da der Besucher von oben

auf Objekte herunterblicken und über sie laufen kann.

Die Zusammenstellung der Objekte ist nicht als unabänderliche Konstellation zu verstehen.

Sie ist ein Vorschlag, eine offene Klassifikation, die auch abgeändert oder erweitert werden

kann. Die traditionellen Zuordnungen in Wunderkammern sind in einer Kunstkammer ‚Af-

ter Cage’ relativ geworden.

44 44 45 45

Nebenlinien der klassischen Wunderkammer – über das Sammeln im

20. Jahrhundert

Martina Dlugaiczyk

Jeder sammelt, bewusst oder unbewusst, irgendetwas. Sammeln lässt

sich prinzipiell alles. Das Spektrum reicht vom Kunstwerk über den

Klassiker der Briefmarke, Ü-Eier, Sammeltassen oder – ganz aktu-

ell – den WM Abziehbildchen der Fußball-Helden; gerne auch von

allem etwas. Es können Kleinigkeiten, Großartigkeiten, wunderbare,

banale, besondere, kuriose oder einzigartige Dinge sein, die nach

subjektiven oder objektiven Kriterien additiv zusammengetragen

werden. Ferner sammelt niemand, ohne zu vergleichen. Da sich das

Sammeln nicht unerheblich aus kognitiven Leistungen speist, also

Sehen und Erkennen mittels Vergleich, gilt es, vordergründig nicht

nur Sammlungskriterien und Ordnungssysteme, sondern auch die

einzelnen Objekte, deren Vernetzung und das Paradoxon, dass mit

der Nobilitierung immer auch eine Abwertung einhergeht, in den

Blick zu nehmen.

‚Dirt Painting’ lautet der Titel eines sich im Besitz von Robert

Rauschenberg befindlichen Werkes. Von einem schlichten Holzrah-

men gefasst, vereinen sich im Bild seit ca. 1953 Erde und Schimmel.

Dieses so genannte ‚Element Painting’, das nicht aus traditionellen

Werkstoffen, sondern aus dem Alltag entsprungenen Zufallsfunden,

so auch Abfällen, besteht, ist einem berühmten Künstlerkollegen

gewidmet – John Cage.

‚Dirt Painting’ lautet der Titel eines sich im Besitz von Robert

Rauschenberg befindlichen Werkes. Von einem schlichten Holzrah-

men gefasst, vereinen sich im Bild seit ca. 1953 Erde und Schimmel.

Dieses so genannte ‚Element Painting’, das nicht aus traditionellen

Werkstoffen, sondern aus dem Alltag entsprungenen Zufallsfunden,

so auch Abfällen, besteht, ist einem berühmten Künstlerkollegen ge-

widmet – John Cage. Gerade das dem Zufall

geschuldete Sammeln von Realien der Kon-

sumgesellschaft und deren Verarbeitung zum

Beispiel in Form von Assemblagen avancierte

seit den 50er, verstärkt in den 60er Jahren zu

grundlegenden künstlerischen Parametern,

deren Inhalte jedoch auf den Ideen des Ku-

bismus, Dada- und Surrealismus fußt. Diese

Avantgarde, namentlich vertreten durch Per-

sönlichkeiten wie André Breton, war es dann

auch, die Anfang des 20. Jahrhunderts alle

Variablen der Wunderkammer neu entdeckte,

da diese Sammlungs- und Ausstellungsform

es gleichermaßen ermöglichte, ungewöhn-

lich disparate Objekte zu präsentieren und

zu mystifizieren, die sich außerhalb der

künstlerischen Normen und historisierenden

Zwängen eines Kanons bewegten. Die damit

einhergehende Dekontextualisierung der

Objekte bei gleichzeitiger (Neu-)Kontextua-

lisierung (Neu-)Kontextualisierung und ein

auf den ersten Blick nicht wahrzunehmendes

Ordnungsgefüge, führte (Grenz-)Bereiche zu-

sammen, deren Separation oberstes Anliegen

in der Geschichte des Sammelns der beiden

46 46 47 47

vorangegangenen Jahrhunderte war.

Der retrospektive Blick verrät: Vermeintliche ‚Unordnung’ hieß der

spitzeste Dorn im Auge der Aufklärung, den es ‚systematisch’ zu

entfernen galt, um klar strukturierte, der Kategorie der Vernunft

und Wahrheit entsprechende Ordnungsgefüge entstehen zu lassen.

Unterschiede gewannen gegenüber Entsprechungen an Relevanz.

Das heißt, es wurde sortiert und damit auseinander dividiert. Die

bereits im 18. Jahrhundert einsetzende Trennung von naturalia und

artificialia vollzog sich nun endgültig und das alte, beziehungsreiche

Sammlungskonzept der Kunst- und Wunderkammern musste dem

wissenschaftlichen, systematisierenden Zugriff des positivistischen

19. Jahrhunderts weichen. An die Stelle von Kunstkammern, die in

ihrer Kombinatorik Gattungsgrenzen sprengende Bewusstseinserwei-

terungen evozierten, um das Chaos der Welt sowohl in einer räum-

lichen wie zeitlichen Schichtung komplex und spielerisch zugleich

erfassen zu können, traten nun Spezialsammlungen. Ratio und

Magie trennten sich.

Um so erschrockener – oder positiv formuliert – staunender reagierte

man auf die neuen Phänomene Anfang des 20. Jahrhunderts, zumal

nicht nur eine Renaissance der Wunderkammer zu verzeichnen war,

sondern eine, dem zeitgenössischen Kontext verpflichtete Weiter-

entwicklung. Fragmente des alltäglichen Lebens begannen Spuren

im Bereich der Bildenden Kunst zu hinterlassen. So sammelte und

fixierte Marcel Duchamp 1919/20 den Staub, der sich als Zeitspur

auf einem Glasbild abgesetzt hatte. Diesen bewahrenden Prinzipien

ist auch der aus Dokumenten des privaten und politischen Zeit-

geschehens über Jahre entstandene Merzbau (ab 1923) von Kurt

Schwitters geschuldet – als gebaute Biografie. Diesen bewahrenden

Prinzipien ist auch der aus Dokumenten des privaten und politischen

Zeitgeschehens über Jahre entstandene Merzbau (ab 1923) von

Kurt Schwitters geschuldet – als gebaute Biografie. Mit dem legen-

dären Mnemosyne Atlas schrieb sich Aby Warburg, seines Zeichens

Kunsthistoriker, in die Geschichte des Sammelns ein. Dabei sollte der

Atlas nicht nur als Exemplum eines kulturellen, gesellschaftlichen

Gedächtnisses dienen, in dem sich über Jahrhunderte wiederholende

Motive in Gestik oder körperlichem Ausdruck – den

so genannten ‚Phatosformeln’ – kommentarlos prä-

sentieren, sondern er brach auch mit den überkom-

menden akademischen Konventionen. Hoch- und

Trivialkunst reichten sich gleichberechtigt die Hände

– damit stand Warburg den surrealistischen Ideen

und Montageverfahren sehr nahe. Doch dieses Auf-

zeigen von komplexen historischen Prozessen sowie

von zeitlichen Kontinuitäten widersprach eigentlich

den ursprünglichen Forderungen der Avantgarde

nach Unmittelbarkeit, Brechungen und Schock.

Eine Auflistung derartiger Beispiele ließe sich

mühelos fortsetzen. Wichtiger ist indes, dass die

heterogenen Arbeiten in den Grundideen starke

Analogien aufweisen, die den zeitbedingten Samm-

lungstendenzen, den aktuellen Entwicklungen der

Wissenschaften, den Kulturerscheinungen und vor

allem den Wechselwirkungen zwischen den ein-

zelnen Bereichen geschuldet sind. Das heißt, jede

neue (Un-)Ordnung wird am gesellschaftlichen und

individuellen Körper eingeübt und findet ihren Aus-

druck in der Kultur der Epoche. So ist die Pop Art

unschwer als affirmative oder kritische Reaktion auf

die verbrauchsorientierte Konsum- und Wegwerf-

gesellschaft zu lesen (die zwar nicht unmittelbar,

aber doch letztlich die Recyclingkultur beförderte);

gefolgt von der Kommunikations- und Informa-

tionsgesellschaft mit ihren stetig anwachsenden

Datenmengen, die in gewisser Weise eine Demateri-

alisierung in Form von digital generierter Kunst bei

gleichzeitiger Informations- und Reizüberflutung

heraufbeschwor.

Diese Überfrachtung der individuellen und gesell-

schaftlichen Speicherkapazitäten bedarf von Zeit zu

Zeit einer Klärung, Strukturierung, gar Negierung.

Die moderne Form der ‚tabula rasa’ heißt ‚forget it’.

Platons Diktum von der Seele als wie-

der beschreibbares und wandelbares

Wachstäfelchen kommt hier zum Tra-

gen, welches beim Vergessen partiell

oder ganz geglättet wird, um nachfol-

gend neue Erinnerungsspuren aufneh-

men zu können. Vergessen, womit psy-

chische Entlastung und Entspannung

einhergehen kann (man spricht nicht

umsonst von der Kunst des Vergessens

bzw. von ars oblivionis), ist immer

auch Bestandteil respektive Vorausset-

zung des Erinnerns. Vergessen, womit

psychische Entlastung und Entspan-

nung einhergehen kann (man spricht

nicht umsonst von der Kunst des

Vergessens bzw. von ars oblivionis),

ist immer auch Bestandteil respektive

Voraussetzung des Erinnerns. Zumal

menschliches Erinnern diskontinuier-

lich, sprunghaft, manchmal geradezu

eruptiv verläuft, Impulse oder Ruhe-

räume bedarf, um sich entfalten zu

können. Das Bild greift Raum, in dem

Mnemosyne, die Göttin der Erinnerung

und des Gedächtnisses sich aus Lethe

speist, dem im Hades verorteten Fluss

des Vergessens.

Künstlerische Gedächtnisarbeit, in der

Künstler analog zum menschlichen

Gedächtnis Erinnerungsräume schaffen

und aus dem fassettenreichen Reservoir

der Gedächtnismetaphorik schöpfen,

die durch die antike Mnemotechnik

Mnemotechnik forciert wurde, haben

in der Gegenwartskunst Konjunktur.

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Da werden Mikrokosmen aus Stützstrümpfen, Muscheln,

Kleinplastiken, liturgischem Gerät, Murmeln – oder eben

Bufo Bufo und Niveadose – gebildet, die in ihrer Reihung

an Textfragmente von Jorge Luis Borges oder Fluxuskom-

positionen denken lassen. Sie appellieren in ihrer Mannig-

faltigkeit an Ausschnitte der unmittelbaren Lebenserfah-

rung, indem sie eine Erweiterung etwa um Massenware

erfahren haben und somit Themen aus der gebauten und

sozialen Umwelt, Arbeit, Wohnung, Ernährung, Kultur

und Wissenschaft vereinen. Der Makrokosmos als Mikro-

kosmos, angereichert mit neuen, aktuellen Metaphern und

Denkbildern, in dem der Mensch das Zentrum und damit

wiederum ein Teil der Welt bildet, gleichsam einen eigenen

Kosmos darstellt. Der Künstler als Weltschöpfer und Teil

der Schöpfung. Die globale Rotation nahm wieder Fahrt

auf.

Doch ebenso wie man lange Zeit mit der idealtypischen

Kunstkammer nicht mehr forschende Absichten assoziier-

te, sondern mehr oder weniger eine planlose Anhäufung

von Dingwelten, fielen auch die zeitgenössischen Wunder-

kammern, wobei sie nicht als solche deklariert wurden,

Doch ebenso wie man lange Zeit mit der idealtypischen

Kunstkammer nicht mehr forschende Absichten assoziierte,

sondern mehr oder weniger eine planlose Anhäufung von

Dingwelten, fielen auch die zeitgenössischen Wunderkam-

mern, Wunderkammern, wobei sie nicht als solche dekla-

riert wurden, Unverständnis bzw. Anfeindungen anheim.

Es war die Biennale di Venezia, die die Umklammerung

löste. 1986 trat Adalgisa Lugli in der Lagunenstadt mit der

Idee an, unter dem Titel ‚Wunderkammer’ auf die nahezu

fundamentale Bedeutung des Anhäufens, der Vernetzung,

der Heterogenität der Materialien, der Collage, aber auch

des Umfeldes in der modernen und zeitgenössischen Kunst

hinzuweisen, um diese latenten Übereinstimmungen als

simultane Übersetzung des Phänomens ‚Wunderkammer’

‚Wunderkammer’ und gleichzeitig als Nebenlinie begreif-

bar zu machen. Letzteres manifestiert sich vor allem darin,

dass sich neben den nach wie vor mitschwingenden Aspek-

ten wie theatrum mundi, des ordo- und imitatio-Gedan-

kens, die scheinbare Unordnung der Sammlungsbestände,

die durch kein erkennbares Ordnungsgefüge voneinander

getrennt sind, sich der alles vereinende Anspruch der Wis-

senschaftlichkeit, nennen wir es, ‚reduziert’ hat. Interessan-

terweise etablierte sich jedoch nahezu parallel der Bereich

der disziplinübergreifenden Forschungen, womit sich

öffnende Grenzen der Disziplinen von Kunst, Wissenschaft

und Technik, gepaart mit Begrifflichkeiten wie Interdiszi-

plinarität, Transnationalität, Globalisierung oder Kompa-

ratistik – um nur einige zu nennen – gemeint sind.

Die museale Inszenierung blieb davon in weiten Teilen

jedoch unberührt, Analogien ließen sich eher im Depot

oder in Sonderausstellungen finden, jedoch nicht in der

Grundausrichtung der einzelnen Museen, die Gemälde-,

naturhistorische oder Kunst- und Gewerbe-Sammlungen

Kunst- und Gewerbe-Sammlungen beherbergen. Dem ent-

gegengesetzt verlaufen die zeitgenössischen künstlerischen

Strategien – hier wird das Sammeln sowie die Sammlung

disparater Exponate, deren Verknüpfbarkeit und kommunikative Dynamik, also Interaktion, zur Kunstform erhoben. Dabei greift man

gerne auf das Bild des Gedächtnisses als Magazin oder Schrift zurück, wobei letztere in Erweiterung der Begriffsdefinition besser als ‚Zei-

chen’

verpflichtet, der, analog zur heterogenen Warenwelt der Pop Art, Alltäglichkeiten sammelt, jedoch unter gänzlich anderen Vorzeichen. Es

sind eher unscheinbar daherkommende Biografien, die er in Form fragmentarischer Indizien erinnerlich machen möchte. Erinnern versteht

er als exis

er neue Blickwinkel auf gewohnte Gegenstände oder Handlungen evozieren möchte. Damit erwachsen die Bestände, der Künstler sam-

melt u.a. auch Sammlungen, zu eigenständigen Agenturen, die den Betrachter zur Reflexion anregen sollen. Die von Boltanski gezeigten

Objekte (Subjekt wird zum Objekt gleich Vernichtung des Ichs) dienen ihm als Stellvertreter ihrer Geschichte und damit der Menschen.

Die von Boltanski gezeigten Objekte (Subjekt wird zum Objekt gleich Vernichtung des Ichs) dienen ihm als Stellvertreter ihrer Geschichte

und damit der Menschen.

Der Präsentation der Prozesshaftigkeit des Sammelns ist die Installation ‚Große Tischrunde’ von Dieter Roth gewidmet. Begonnen wur-

de sie Ende der siebziger Jahre und erst mit dem Tod des Künstlers im Jahre 1998 beendet. Da finden sich in schier überbordender Fülle

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bund neue Qualität(en) und wirkt simultan auf die Dinge in seiner

Umgebung ein. Damit ist der Ausgangspunkt einer Metamorphose

markiert und das Spiel schier unendlicher Veränderung beginnt:

Während sich die Einzigartigkeit bzw. das einzigartige Objekt in der

Masse einer Sammlung von Gleichartigem verlieren kann, kann ein

banales, da alltägliches Sammlungsobjekt zum Besonderen werden.

Die zeitgenössische Kunstszene liebt es, mit dieser gezielten Verkeh-

rung zu arbeiten, zumal der Kontextverlust immer auch zu neuen

Sinnstiftungen führt – disparate Herangehensweisen inklusive. Wäh-

rend zum Beispiel Joseph Beuys Materialien wie Fett und Filz mit

bedeutungsschwerer Symbolik auflud („totes Material zum Leben

animiert“), bleibt in den ‚Time Capsules’ (ab 1974) von Andy War-

hol der ursprüngliche Sinn der Objekte erhalten; sie dienen zugleich

als Zeitzeugen eines Augenblicks und im akkumulativen Verbund als

‚memento hominis’ – als ein narratives Archiv seines individuellen

Künstlerlebens. Nach Ablauf eines Monats wurden alle Fundstü-

cke in einer Schachtel verpackt, verschlossen und mit dem Datum

versehen – gleichsam als dreidimensionale Methode der Reduktion,

vergleichbar mit den ‚Wrapped Magazines’ (1962) von Christo oder

den ‚Trashstones’ (1993) von Wilhelm Mundt.

Die Arbeiten verweisen zudem auf einen weiteren Aspekt – die

Begründung eines neuen, zeitgenössischen Kanons. Dieser erhebt

allerdings nicht mehr den Anspruch objektiv zu sein, sondern im

Gegenteil, das und der Einzelne wird mit seinen ganz individuellen

Vorlieben und Besonderheiten zum Kanon erklärt. Somit lässt sich

die Reichhaltigkeit der zeitgenössischen künstlerischen Strategien

und Möglichkeiten des Sammelns theoretisch kaum mehr schemati-

sieren, denn: Jeder sammelt, bewusst oder unbewusst, irgendetwas.

Mit dem euregionalen Ausstellungsprojekt ‚After Cage’, welches

schlicht als Befreiung aus dem (institutionellen) ‚Käfig’ gelesen wer-

den könnte, indem alles dem Zufall geschuldet, sich scheinbar will-

kürlich oszillierend im Raum verteilt, versucht man sich in der ‚Wun-

derkammer’ im Suermondt-Ludwig Museum Aachen nun – losgelöst

Pinsel, Leitern, Polaroids, Ton- und Filmaufnahmen, Farben in der

Tube oder ausgedrückt auf der Platte, Aschenbecher, Bierflaschen,

Tagebuchseiten und dergleichen mehr. Es ist Roths Atelier, welches

hier als Sammlungsort und Sammlung gezeigt wird. Jedweder Gegen-

stand wurde nach willkürlicher Manier abgelegt und an eben diesem

Ort fixiert – als mehrfach kodierter Erinnerungsträger. Zudem stellt

der Künstler damit die autobiografische Atelier- und Arbeitssituation

und damit das Arbeiten selbst dar. Das heißt, wir haben es hier mit

einer doppelten Perspektive zu tun, da die Chronik des eigenen Le-

bens sowohl Subjekt als auch Objekt der Darstellung ist. Mit dieser

Installation hat Roth gleichsam ein Substrat der Kultur geschaffen.

Auch wenn in diesem Falle das in sich abgeschlossene (gerahmte)

Ganze nicht mehr im Vordergrund stand, sondern eher das Moment

der prozesshaften Entwicklung, lässt sich an diesem Beispiel die

Paradoxie des Sammelns veranschaulichen. Ein Objekt entfaltet im

Plural seine singulare Besonderheit und büßt sie zugleich ein. Das

heißt, es gewinnt im Verbund neue Qualität(en) und wirkt simultan

auf die Dinge in seiner Umgebung ein. Das heißt, es gewinnt im Ver-

von museologischen Wertehierarchien – ebenfalls im materialgewor-

denem assoziieren, schreibt sich ein in die Geschichte des Sammelns,

schafft Ordnungen sowie bewusste Brüche und setzt gleichermaßen

auf symbolische Qualitäten wie ästhetische Strukturen.

Mit dem euregionalen Ausstellungsprojekt ‚After Cage’, welches

schlicht als Befreiung aus dem (institutionellen) ‚Käfig’ gelesen wer-

den könnte, indem alles dem Zufall geschuldet, sich scheinbar will-

kürlich oszillierend im Raum verteilt, versucht man sich in der ‚Wun-

derkammer’ im Suermondt-Ludwig Museum Aachen nun – losgelöst

von museologischen Wertehierarchien – ebenfalls im materialgewor-

denem assoziieren, schreibt sich ein in die Geschichte des Sammelns,

schafft Ordnungen sowie bewusste Brüche und setzt gleichermaßen

auf symbolische Qualitäten wie ästhetische Strukturen.

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Ordnung und Gedächtnis zwischen Tradition und Detonation

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Andreas Gormans

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Der Blick geht in einen Innenraum, der so großzügig bemes-

sen ist, dass man schon nicht mehr von einer Kammer sprechen

mag, und doch wird ein solcher Raum spätestens seit Julius

von Schlosser als Kammer, genauer gesagt als Kunst- und Wun-

derkammer bezeichnet. Unter den Dingen, die diese Kammer

maßgeblich bestimmen, zählen im vorliegenden Fall in erster

Linie Gemälde, vornehmlich solche flämischer Meister, hinzu

kommen Grafiken, Kleinbronzen, Reliefs und Porträtbüsten,

Münzen und Bücher, kostbares Porzellan, Muscheln, Armillar-

sphären, ein Globus sowie zahlreiche antike Skulpturen. Der

stumme Dialog, der zwischen den unterschiedlichen Gattun-

gen geführt wird, findet seine Entsprechung im Dialog der an-

wesenden Personen. Von diesen führen einige ein Gespräch

mit sich selbst über die unterschiedlichen Objekte, die meisten

hingegen gehören zur Gruppe, die sich um ein sitzendes Fürs-

tenpaar vorne links geschart und ein Madonnenbild mit Kind

ins Zentrum ihrer Aufmerksamkeit gestellt hat. Sämtliche Ges-

ten und Gebärden sind sichtbare Zeichen gesprochener Worte;

sie charakterisieren die Kammer unmissverständlich als einen

locus disputandi, als einen Ort des Gesprächs auf höchstem Ni-

veau; die Anwesenheit der bedeutendsten Maler der Zeit lässt

daran nicht den geringsten Zweifel.

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Wenngleich diese gemalte Kunst- und Wunderkammer Cornelis van der Geests zwar nicht die tatsächliche Sammlung des Ant-werpener Kaufmanns darstellt, so spiegelt das 1628 von Willem van Haecht gemalte Bild doch ein typisches Phänomen der Zeit. Mit durchaus dokumentarischer Qualität fungiert es als ein wichtiger gemalter Baustein innerhalb einer Kulturgeschichte des Sammelns und der Sammlung. Beginnen müsste eine sol-che Darstellung mit der Antike, etwa den hellenistischen Tem-pelschätzen oder Lapidarien ruhmreicher Caesaren. Im Hoch-mittelalter wiederum wäre auf die zahlreichen Kirchenschätze in den gotischen Kathedralen zu verweisen, in denen Christ-liches wie Heidnisches gleichermaßen vertreten war, oftmals Arbeiten kunstfertiger Byzantiner und Sarazenen, die fromme Pilger und Kreuzfahrer aus dem Orient mitgebracht haben. Pro-blemlos ließe sich diese Geschichte weiter fortschreiben, sei es in Form der Sammlungen Jean de Berrys oder etwa bedeuten-der italienischer Humanisten, die in Form des Studiolos ihren Bewusstseinsinhalten stolz Anschaulichkeit verliehen. Getrie-ben von einer unbändigen curiositas, also Neugierde, sammelte man zu allen Zeiten mit Vorliebe das Seltsame, also gerade jene Dinge, die im Zuge der unentwegt fortschreitenden Horizon-terweiterungen im 16. und 17. Jahrhundert mit immer neuen Schiffsladungen in den Hafenstädten der Alten Welt anlande-ten.

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An der Spitze der großartigsten und bekanntesten Sammlungen

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dieser Art standen meist Kaiser, Könige und Herzöge, die sich

oftmals pflichtvergessen in diese artifiziellen, selbst geschaffe-

nen Paradiese zurückzogen, in denen die Selbstermächtigung

des Menschen einen letzten Gipfel erreicht zu haben schien. Da

sich die gekrönten Häupter an diesen Orten ganz nach ihrem

Bilde Welten erschaffen konnten, die sie souverän beherrsch-

ten und in denen sie keine anderen Götter neben sich dulden

mussten, erstaunt es nicht, dass Kunst- und Wunderkammern

an kaum einem Fürstenhof des 16. und 17. Jahrhunderts fehl-

ten. Nicht nur in Ambras, München, Prag und Wien, sondern

auch in Kassel, Dresden, Braunschweig und Gottorf sollten sie

zum unverzichtbaren Baustein imperialer Ideologie, zum Bau-

stein höfischer Inszenierung und Selbstdarstellung werden.

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Was an diesen Orten gesammelt wurde, verraten die erhaltenen

Inventare, ebenso die dazugehörigen Frontispize. So zeigt bei-

spielsweise der Titelkupfer des Museum Wormianum von 1655

an Wänden und Decke vornehmlich solche Objekte, bei denen

die Natur selbst am Werk war. Versammelt sind die Launen der

Natur, Tiere, Fossilien und Mineralien – letztere vermutlich von

einer Struktur, Form und Farbe, die so einzigartig war, dass sie

mit den großartigsten künstlerischen Werken in einen direkten

Wettstreit treten konnten. Hinzu kamen Muscheln und Schne-

cken von einer Wertschätzung, der etwa Balthasar van der Ast

in seinen Stillleben mit enzyklopädischer Präzision ebenso Rech-

nung trug wie Rembrandt, der einen einzigen conus marmoreus

zum illuminatorisch kühn inszenierten Helden einer einzelnen

Grafik stilisierte. Mit solchen Naturobjekten war zweifelsohne

einer der zentralen Sammlungsschwerpunkte angesprochen,

doch reichten die damaligen Interessen entschieden weiter,

wie bereits in den ersten theoretischen Sammlungsanweisun-

gen für ein Idealmuseum aus dem Jahre 1565 von Samuel Quic-

cheberg (1529-1567) zu lesen war. Neben die naturalia bzw.

exotica, also die Objekte aus dem Bereich der Natur traten die

scientifica, die Messinstrumente wie Zirkel, Astrolabium, Kom-

pass, Erd- und Himmelsgloben, wie Werkzeuge, Waffen und

Automaten, ferner die artificialia, also das von Künstlerhand zu

höchster Vollendung Gebrachte wie gläserne Gefäße oder Raffi-

niertes aus Gold sowie schließlich die antiquitates, also die An-

tiken, die durch ihr Alter die Sammlung einmal mehr adelten.

Dazu kamen immer auch Bücher, wenn nicht gar ganze Bibli-

otheken sowie gemalte Porträts, die nicht selten die Sammler-

persönlichkeiten auf ewig anwesend machten, und Gemälde,

die auf die ihnen eigene illusionistische Art substituierten, was

real nicht verfügbar war. Diese Kategorisierung war allerdings

keineswegs unumstößlich – gab es doch sehr wohl Objekte,

gewissermaßen «Grenzgänger», die sich ihrer Einzigartigkeit

wegen jeder Kategorisierung beharrlich widersetzten, Objek-

te also, an denen der Dialog zwischen den gängigen Klassifi-

kationen mustergültig exemplifiziert werden konnte – so etwa

auch an einem nautilus pompilius, jener zur Klasse der Cepha-

lopoda, also den Kopffüßern zählenden Seeschnecken aus dem

östlichen Indonesischen Meer. Als Meeresschnecke zählte er in

erster Linie zu den naturalia. Der Schweizer Jost Bürgi (1552-

1632), Uhrmacher, Mathematiker und Astronom am Hofe Moritz

des Gelehrten zu Hessen-Kassel, hingegen dürfte diese Schne-

cke wohl eher zu den scientifica gerechnet haben, vermutete

er im progressiven Querschnittzuwachs einer Nautilusspirale

doch einen Spiegel der mathematischen Logarithmusfunktion.

Aus der Sicht der Goldschmiede und Maler wiederum war der

Nautilus ein Beispiel für die artificialia, eine Herausforderung in

matt schimmerndem Perlmutt, jenes in Fürstenkreisen hochbe-

gehrte und zerbrechliche Naturobjekt zu einem Schiff oder zu

einem Pokal mit nautischer Ikonographie umzuarbeiten, dem

nach dieser ersten kunsthandwerklichen Veredelung in Form

der zahlreichen Stillleben eines Pieter Claesz., Abraham van

Beyeren oder Willem Kalf vollends Unsterblichkeit verliehen

werden konnte.

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Kunst- und Wunderkammern waren somit Orte der Erkennt-

nis, Orte, an denen die curiositas oculorum, die Neugierde des

menschlichen Auges, ihre Befriedigung fand. Immer ging es

in ihnen um die Repräsentation der Mannigfaltigkeit dessen,

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was die Welt zu bieten vermochte, immer waren sie Abbilder

der Welt, waren sie mikrokosmische Repräsentationen des Ma-

krokosmos. Das galt jedoch nicht nur für die Kammern selbst,

sondern auch für die einzigartigen Kunst- bzw. Sammlungs-

schränke in ihnen, wie etwa dem von Philipp Hainhofer (1578-

1647) konzipierten so genannten Pommerschen Kunstschrank

mit seinen miniaturhaften Mess- und Handwerkszeugen, der

von Carspar Friedrich Neickelius noch 1727 als „Cabinet“ be-

zeichnet wurde, und somit einen Namen trug, der auch für die

Kunstkammer selbst gebräuchlich war.

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Am konkretesten manifestierte sich die Idee der Abbildhaftig-

keit allerdings im Imitatio-Naturae-Gedanken, so beispielswei-

se in Form naturgetreuer bronzener Abgüsse von Eidechsen,

Fröschen und anderen Tieren. Stellten diese ästhetisierten Du-

plizierungen ausgewählter naturalia durch eherne Artefakte

noch eine einfache Form der imitatio naturae dar, die sich nur

auf einen Teil der Fauna beschränkte, so konnte sich der Imita-

tio-Gedanke in einer Kunst- und Wunderkammer durchaus auf

die ganze Welt beziehen. Dies war vor allem in den zahlreichen

mechanischen Automatenwerken, Tischplanetarien und Uh-

ren der Fall, die als Abbild der Welt, als eine machina mundi

verstanden wurden und zugleich Reflex eines vor allem durch

René Descartes (1596-1650) geprägten mechanistischen Welt-

bildes waren, in dem der Lauf der Welt mit dem Lauf einer Uhr

und Gott mit einem Uhrmacher gleichgesetzt wurde.

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Kunst- und Wunderkammern waren dadurch, dass in ihnen die

Kostbarkeiten der Welt zusammengetragen wurden, vor allem

aber auch Orte eines universalen kulturellen Gedächtnisses;

gewissermaßen ein theatrum mundi, das als ein theatrum me-

moriae betrachtet wurde, ganz im Sinne des Gedächtnisthea-

ters, das Giulio Camillo (1480-1544) in seinem gleichnamigen

Werk „L’idea del teatro“ von 1550 proklamiert hat. Colligere

– sammeln – implizierte nämlich nicht nur bei Bernhard von

Clairvaux bewahren, speichern und erinnern. Auch die zeitge-

nössische Gedächtniskunst begriff jene Sammlungen als Orte,

an denen man die gelöschte Weisheit des Paradieses allmäh-

lich zurück zu gewinnen hoffte, als Orte der rememoratio an

das indefiziente, perfekte Idealwissen von der Welt, das die

Menschheit mit dem Sündenfall vergessen hatte. Kunst- und

Wunderkammern wiesen somit trotz aller augenscheinlichen

Weltorientierung auch theologische Implikationen auf, die sich

nicht selten in einer idealen Platzierung ausgewählter religiosa

in den Kammern sichtbar manifestierten. Prominent platzierte

Kruzifixe oder auch andere religiöse Sujets sollten an die Größe

Gottes in den Wundern seiner Schöpfung gemahnen, erinner-

ten daran, dass man beim legere in libro naturae, also beim Le-

sen im unerschöpflichen Buch der Natur, allenthalben auf Gott

stieß, dass alles an einer höheren Ordnung teilhatte. Es ging

also um die gloria dei, nicht weniger aber auch um die gloria rei,

also die Freude an der sinnlichen Wahrnehmung immer neuer

mirabilia. Wenngleich hierbei das Auge sicherlich eine zentrale

Rolle spielte und innerhalb der Hierarchie der Sinne unange-

fochten an der Spitze stand, wird man der visuellen curiositas

doch eine ebenbürtige haptische an die Seite stellen müssen,

denn nicht zuletzt im Greifen wundersamer Dinge wurde die

Welt einmal mehr be-greifbar gemacht. Der Ort der gloria dei

war also auch deswegen ein Ort der gloria rei, weil man hier

– anders als in den Museen heute – die Dinge noch in die Hände

nehmen durfte, ja sogar nehmen sollte, weil es noch keine Ob-

jektpräsentation gab, die einen Betrachter bewusst auf Distanz

hielt, und noch keine Konservatoren und Kunstversicherer den

haptischen Genuss des Kunstwerks allein auf das abtastende

Auge beschränkt wissen wollten.

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Vergleichsweise schwieriger als die Frage nach den Samm-lungsobjekten ist hingegen die Frage nach dem originalen Aus-sehen jener Sammlungsräume zu beantworten. Selbst dort, wo man meinen könnte, zuverlässige Informationen über ihr originales Aussehen zu erhalten, nämlich in Form der Fronti-spize zu den Sammlungsinventaren, muss man Vorsicht wal-ten lassen, spiegeln diese doch vielmehr die Theorien als das tatsächliche Aussehen eines solchen Sammlungsraumes. Egal welches Frontispiz man auch betrachtet, ob das des Musaeum Calceolari (1622), oder beispielsweise das des Museo Cospia-no (1677) – fast immer ist der Eindruck einer zentralperspek-tivisch konstruierten Raumkastenbühne dominierend, fluchten Reihen von Regalbrettern in die Tiefe, werden schwarz-weiß gemusterte Fliesenböden zu Koordinatensystemen, mit deren Hilfe sich die Distanzverhältnisse der an der Decke aufgehäng-ten Tiere exakt ausmachen lassen. In diesen Darstellungen von Kunst- und Wunderkammern, die als Abbilder der Welt verstanden werden wollten, wird der «geometrische Dogma-tismus» zum anschaulichen Reflex des ordo-Gedankens, also des Leitbegriffes antik-mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Weltverständnisses. Bereits grundgelegt im antiken Kosmosbe-

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griff, der nichts anderes bedeutete als sinnvolle Ordnung, führ-te der ordo-Gedanke mit der Aufhebung der mythologischen und damit erzählten Kosmogonien, also im Übergang vom My-thos zum Logos in der vorsokratischen Philosophie, erstmalig zu rationalen Welterklärungsversuchen. Mit der Vier-Elemen-ten-Lehre des Empedokles, der pythagoreischen Lehre von den Sein-konstituierenden Zahlen oder etwa dem im platonischen Dialog Timaios entworfenen abstrakt-geometrischen Bild vom Kosmos war dann endgültig die Basis dafür geschaffen worden, mathematisch-geometrische Vorstellungen zur Matrix katego-rialer Beschreibungs- und Erklärungsversuche der Welt aller nachfolgenden Jahrhunderte zu erheben. In seiner spezifisch christlichen Lesart wird der geometrische Strukturalismus je-ner Sammlungsräume wiederum zum Ausdruck jener Ordnung, die Gott am Anfang der Zeiten bei der creatio mundi in die Welt hineingelegt hat. Die sich in zahlreichen Frontispizen artiku-lierende idealgeometrische Ordnung wird in diesem Falle also zum sichtbaren Komplementär der unergründlichen göttlichen ratio, die der Weltenschöpfer im seinem Siebentagewerk an-gewendet hatte, zum strukturbildenden Reflex der bekannten Sentenz aus dem Buch der Weisheit, wonach Gott alles nach Zahl, Maß und Gewicht geordnet habe.-

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Diese auffällige idealgeometrische Struktur, die das Erschei-

nungsbild von Kunst- und Wunderkammern nicht zufällig eben-

so bestimmte wie das Erscheinungsbild der ungefähr gleichzei-

tig entstandenen Idealstadt-Architekturen in den literarischen

Utopien des 16. und 17. Jahrhunderts, wie etwa Johann Valen-

tin Andreaes Christianopolis (1619), spiegelte eine Utopie, von

der man schon immer glaubte, dass sie ihren sinnfälligsten und

adäquatesten Ausdruck in den Formen einer idealen Geometrie

finden würde.

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Einer der ersten, der in einer Kunst- und Wunderkammer ein

solches utopisches, letztlich unvollendbares Projekt erkannte,

war Eberhard Werner Happel (1647-1690). Er schrieb in sei-

nen Relationes Curiosae von 1684, dass Gott auf seiner runden

Weltkugel eine solche Kunstkammer angelegt habe, die mit kei-

ner anderen zu vergleichen sei. Kunstkammern – und waren

sie noch so umfassend – blieben, so der Polyhistor, also stets

hinter der Welt zurück, ohne deren Mannigfaltigkeit jemals zu

erreichen. Die Welt selbst war also die beste Repräsentation

der Welt, als solche allerdings unmöglich darzustellen, ebenso

wie eine Weltkarte im Maßstab 1:1. Als Inbegriff des Konzeptes

einer akkumulierenden Wissenssumme, die sich einem kombi-

natorischen Kalkül verdankte und noch auf die Zählbarkeit der

die Welt konstituierenden Dinge vertraute, geriet der Vorläufer

des heutigen Museums also in Existenznot, vornehmlich des-

wegen, weil die fortgeschrittene Erforschung der Welt zu einer

Welt geführt hatte, die sich anschickte, entschieden komple-

xer zu sein, als man angenommen hatte und die Menge des

Wissens und Wissenswerten schneller zunahm als die Menge

der zur Verfügung stehenden Begriffe und Kategorien. So wies

etwa der englische Kompilator Richard Brookes 1763 Ulisse

Aldrovandis zoologische Schriften als unerträglich und lang-

weilig zurück, während er die Conrad Gesners wiederum für so

unvollständig hielt, dass sie kaum der Erwähnung wert seien.

Die Natur hatte ganz offensichtlich „ausgespielt“ und ab sofort

unveränderlichen Gesetzen zu gehorchen; ästhetisiert wurde

sie zwar nach wie vor, ihre Schönheit aber bestand fortan in ih-

rer makellosen Regelmäßigkeit, in der Ökonomie der Mittel, die

sie einsetzte. Die Ordnungen, die im 16. und 17. Jahrhundert

noch hochgeschätzt worden waren, hatten im 18. Jahrhundert

nahezu vollständig ihre Bedeutung verloren; aus der ehemals

anspruchsvollen Sammlung war ein von Chaos und Willkür

beherrschtes Sammelsurium geworden. Nicht weniger ein-

schneidend wirkte sich indessen auch eine Neubewertung der

curiositas aus. Umgedeutet vom biblischen Laster zur unerläss-

lichen Charaktereigenschaft des neuzeitlichen Naturforschers,

verlor die Neugierde an Wertschätzung, kam in der Aufklärung

aus der Mode und nahm den Beigeschmack des Naiven an; das

Staunen mit weit aufgerissenen Augen war zum vulgären Gaf-

fen geworden, etwas für das einfache Volk, für niedere Gemü-

ter, für all jene, die nur auf das Sensationelle aus waren. Für

die Kunst- und Wunderkammern des 17. Jahrhunderts bedeu-

teten diese Entwicklungen allerdings das Ende, denn vor allem

mit der Sprengung der alten Ordnung wurde zugleich auch der

Raum gesprengt, an dem diese Ordnung ihre Verwirklichung

fand. Die Kunst- und Wunderkammer als das erste und einzi-

ge große Universalmuseum zerfiel zwangsläufig in seine Teile,

wurde zur Keimzelle mitunter hochgradiger Spezialisierungen.

Der wohl monumentalste und zugleich städtebaulich prägnan-

teste Beleg hierfür findet sich heute noch immer in Wien, wo

zwischen 1871 und 1891 unter der architektonischen Leitung

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Gottfried Sempers und Karl Hasenauers mit der Neugründung

des Kunsthistorischen und Naturhistorischen Museums zwei

spiegelbildlich korrespondierende Gebäude errichtet wurden,

die sich nur durch die bildplastischen Programme der Risalite

unterschieden; was hier am Maria-Theresien-Platz im Zentrum

der Donaumetropole entstand, waren gewissermaßen gleichbe-

rechtigte Ableger ein und derselben Idee, hervorgegangen aus

einem gemeinsamen Spross, war die Entzweiung dessen, was

lange Zeit als untrennbare Einheit gegolten hat. Diese Teilung

war allerdings nur symptomatisch, nur ein Beispiel für die sei-

ner Zeit schon nicht mehr überschaubare Zahl musealer Filiati-

onen. Zurückzuführen waren diese einerseits auf die sich seit

dem 18. Jahrhundert vollziehende generelle Historisierung, der

zu Folge jede Disziplin mit ihrer eigenen erinnerungswürdigen

Geschichte konfrontiert wurde, andererseits Folge des Sieges

der «Bewahrungskultur» über die «Wegwerfgesellschaft», mit

anderen Worten einer Entwicklung, die inzwischen jedes Ob-

jekt, jede kulturelle Praxis, jede Technik, Kultur und «Un-Kul-

tur» für bewahrenswert erachtete. Dabei sind selbst Häuser,

die in den Augen reaktionärer Skeptiker anfangs noch der un-

nötigen Bewahrung des eigentlich Nichtbewahrenswerten, des

Alltäglichen und Trivialen dienten, längst rehabilitiert, machten

sie doch mit dem Entfremdeten wieder neu vertraut, versuch-

ten doch gerade sie, den Dingen so etwas wie ihre eigentliche

Würde und Aura zurückzugeben, die sie durch Multiplikation

und industrielle Massenproduktion verloren hatten.

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Was bislang allerdings wohl immer noch der Umsetzung harrt,

ist die Umsetzung eines Museums, das die museale Idee auf den

ersten Blick ad absurdum zu führen scheint, nämlich die Reali-

sierung eines Museums des Vergessens. Während dessen Auf-

gabe derartig kurios ist, dass es im 17. Jahrhundert allerbeste

Voraussetzungen gehabt hätte, zum musealen Gegenstand er-

hoben zu werden, fungierte es genau genommen doch als eine

Art unabdingbares Meta-Museum, als der nicht versiegende

Quell allen musealen Schaffens, da man im Zeitalter unentwegt

wachsender computerunterstützer Maximalthesaurierungen

bald befürchten muss, das Vergessen selbst vor dem Vergessen

bewahren zu müssen, weil eben nur das Vergessen die condi-

tio sine qua non für das Erinnern, das erhaltene Bewahren und

Sammeln darstellt, dem sich die Fortexistenz musealer Kultur

bis heute verdankt und auch in Zukunft verdanken wird.

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