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III. Die Ostindien-Kompanien Zu Beginn des 17.Jahrhunderts wurde die ebenso bunte wie vielschichtige Welt des asia- tischen Handels mit einem neuen Teilnehmer konfrontiert, mit den Ostindien-Kompa- nien. Zunächst nur als einer von vielen Interessenten in den Häfen und auf den Märkten wahrgenommen, gelang es der britischen EIC und der niederländischen VOC, sich in weiten Bereichen des Kontinents als einflussreichste Handelsmacht zu etablieren. Die Kompanien stellten eine gänzlich neue Spielart der europäischen Expansion dar. Die zuvor übliche Form europäischer Festsetzung, der Kronmonopolismus, den insbesonde- re der portugiesische Estado da India vertreten hatte, erwies sich dieser Neuerung gegen- über als nicht konkurrenzfähig und wurde regelrecht überrollt. Die Portugiesen verloren ihre wichtigsten Niederlassungen an die westeuropäische Konkurrenz und wurden auf wenige Enklaven zurückgedrängt; die Spanier mussten sich auf ihre philippinische Kronkolonie beschränken, die wirtschaftlich nur noch am Rande eine Rolle spielte. Der schnelle und doch sehr gründliche Sieg der Kompanien über ihre iberische Konkurrenz bedeutete allerdings nicht gleichzeitig die Vorherrschaft über den gesamten asiatischen Markt. Es waren vor allem EIC und VOC, die sich auf dem indischen Subkontinent, auf Cey- lon und der Arabischen Halbinsel, am Persischen Golf und der Meerenge von Malakka, in der malaiischen Inselwelt und am Kap der Guten Hoffnung, ja sogar an den Zugän- gen zu den verschlossenen Reichen Chinas und Japans etablieren konnten. Die Kompa- nien anderer Staaten, die bei weitem nicht an deren Erfolge heranreichen konnten, waren mehr oder weniger nach ihrem Vorbild organisiert. Insofern lässt sich an ihrem Beispiel in vergleichender Perspektive festmachen, worin die Strukturmerkmale dieser institutionellen Innovation bestanden, auf denen Erfolg, aber auch Niedergang der Ost- indien-Kompanien beruhten. Privilegien und Freihandel Das 17.Jahrhundert gilt gemeinhin als das Jahrhundert, welches vom Merkantilismus geprägt wurde. Hinter diesem Schlagwort verbirgt sich weniger eine geschlossene Wirt- schaftstheorie als vielmehr eine Denkrichtung, die einen Fundus an wirtschaftspoliti- schen Maßnahmen auf ein praktisches Ziel hin bündelte und von zahlreichen zeitgenös- sischen Theoretikern, vor allem aber von der Mehrheit der europäischen Regierungen vertreten wurde. Dieses Denken beruhte auf einem dualen Ausgangspunkt. Einerseits, mit Blick auf das Innere des Staates, folgte es der Grundannahme einer unterbeschäftig-

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Die Ostindienkompanien prägten mehr als zwei Jahrhunderte lang das Bild Asiens in Europa. Die mutigen Händler und Seeleute tauschten nicht nur Waren, sondern auch kulturelle Gepflogenheiten aus – und waren die Wegbereiter der Globalisierung von heute. Jürgen G. Nagel erzählt unterhaltsam vom gegenseitigen Kennenlernen der Europäer und Asiaten. Neben dem Handel mit Tee, Gewürzen und Baumwolle ist dieses spannende Kapitel der Wirtschaftsgeschichte geprägt von Piraten, Moguln und Großkapitalisten.

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III. Die Ostindien-Kompanien

Zu Beginn des 17.Jahrhunderts wurde die ebenso bunte wie vielschichtige Welt des asia-tischen Handels mit einem neuen Teilnehmer konfrontiert, mit den Ostindien-Kompa-nien. Zunächst nur als einer von vielen Interessenten in den Häfen und auf den Märktenwahrgenommen, gelang es der britischen EIC und der niederländischen VOC, sich inweiten Bereichen des Kontinents als einflussreichste Handelsmacht zu etablieren. DieKompanien stellten eine gänzlich neue Spielart der europäischen Expansion dar. Diezuvor übliche Form europäischer Festsetzung, der Kronmonopolismus, den insbesonde-re der portugiesische Estado da India vertreten hatte, erwies sich dieser Neuerung gegen-über als nicht konkurrenzfähig und wurde regelrecht überrollt. Die Portugiesen verlorenihre wichtigsten Niederlassungen an die westeuropäische Konkurrenz und wurden aufwenige Enklaven zurückgedrängt; die Spanier mussten sich auf ihre philippinischeKronkolonie beschränken, die wirtschaftlich nur noch am Rande eine Rolle spielte. Derschnelle und doch sehr gründliche Sieg der Kompanien über ihre iberische Konkurrenzbedeutete allerdings nicht gleichzeitig die Vorherrschaft über den gesamten asiatischenMarkt.

Es waren vor allem EIC und VOC, die sich auf dem indischen Subkontinent, auf Cey-lon und der Arabischen Halbinsel, am Persischen Golf und der Meerenge von Malakka,in der malaiischen Inselwelt und am Kap der Guten Hoffnung, ja sogar an den Zugän-gen zu den verschlossenen Reichen Chinas und Japans etablieren konnten. Die Kompa-nien anderer Staaten, die bei weitem nicht an deren Erfolge heranreichen konnten,waren mehr oder weniger nach ihrem Vorbild organisiert. Insofern lässt sich an ihremBeispiel in vergleichender Perspektive festmachen, worin die Strukturmerkmale dieserinstitutionellen Innovation bestanden, auf denen Erfolg, aber auch Niedergang der Ost-indien-Kompanien beruhten.

Privilegien und Freihandel

Das 17. Jahrhundert gilt gemeinhin als das Jahrhundert, welches vom Merkantilismusgeprägt wurde. Hinter diesem Schlagwort verbirgt sich weniger eine geschlossene Wirt-schaftstheorie als vielmehr eine Denkrichtung, die einen Fundus an wirtschaftspoliti-schen Maßnahmen auf ein praktisches Ziel hin bündelte und von zahlreichen zeitgenös-sischen Theoretikern, vor allem aber von der Mehrheit der europäischen Regierungenvertreten wurde. Dieses Denken beruhte auf einem dualen Ausgangspunkt. Einerseits,mit Blick auf das Innere des Staates, folgte es der Grundannahme einer unterbeschäftig-

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ten Wirtschaft, die zusätzlichen Einsatz von Produktionsmitteln, also von Arbeitskraftund Kapital, ohne Einfluss auf die Preisentwicklung ermöglichte. Andererseits, mit Blickauf die globalen Zusammenhänge, herrschte die Vorstellung, dass die Weltwirtschaftletztendlich ein Nullsummenspiel darstellte. Natürliche Ressourcen und Geldmittelstanden aus dieser Perspektive nicht grenzenlos zur Verfügung, wobei der Geldwert völ-lig in Abhängigkeit vom Edelmetallgehalt der Münzen gedacht wurde. Geldvermehrungund die Steigerung der Umlaufgeschwindigkeit bedingten also eine positive Entwicklungdes Wohlstandes im eigenen Land, die jedoch in der globalen Bilanz auf Kosten andererLänder gehen musste. Eine nationale Regierung musste also darauf bedacht sein, deneigenen Anteil am Kuchen und damit die eigene Handelsbilanz so positiv wie möglichzu gestalten. Daraus entwickelte sich ein allgemein akzeptiertes Instrumentarium mer-kantilistischer Wirtschaftspolitik mit dem Ziel, bei Rohstoffen Importe zu stärken undExporte zu minimieren, bei Fertigwaren eine genau umgekehrte Gewichtung zu erstre-ben und schließlich die Abwicklung von Dienstleistungen möglichst innerhalb der eige-nen Grenzen zu halten. Hierzu diente vor allem eine Vielfalt an Handelshemmnissen inGestalt von Zöllen und Abgaben sowie Verboten und Reglementierungen. Dabei war derAbfluss von Rohstoffen noch nicht unbedingt ein negatives Zeichen, soweit deren Wertauf andere Weise und anderen Wegen zurückfloss. Der Merkantilismus dachte dezidiertin globalen Zusammenhängen; ein multilateraler Handel war eine entscheidende Vor-aussetzung für ein erfolgreiches merkantilistisches Regierungsprogramm. Da eine mög-lichst positive Abschlussbilanz höchstes merkantilistisches Ziel eines Staates war, bedeu-tete diese Denkweise auch eine Legitimierung von Handelskriegen und die Schaffungvon Instrumenten, die Handel und Krieg gewinnbringend vereinen konnten.

Die Ausrichtung des merkantilistischen Denkens war keineswegs einheitlich, sondernabhängig von der Ausrichtung der jeweiligen Volkswirtschaft. Während sich die meistendeutschen Staaten auf die Förderung von Gewerbe und Landwirtschaft konzentriertenund in der Peuplierungspolitik ein zentrales Instrument sahen, verlegten sich zahlreicheStaaten des westlichen und südlichen Europas auf den Handel. Zudem wurde nichtüberall dem merkantilistischen Protektionismus der gleiche Stellenwert eingeräumt.Großbritannien war vor dem Hintergrund der eigenen gewerblichen Produktion vondieser Denkweise besonders geprägt. Ein Land wie die Niederlande, das seine wirtschaft-liche Potenz vorrangig aus dem Re-Export bezog, während Landwirtschaft und Gewerbevergleichsweise wenige Exportgüter anbieten konnten, war auf eine solche wirtschafts-politische Ausrichtung weniger angewiesen. Vielmehr war es der Freihandel, der im ge-nuinen Interesse der Eliten des erst 1581 vom habsburgischen Spanien unabhängig ge-wordenen Staates lag. Der protestantische Rechtsgelehrte und Politiker Hugo Grotius(1583–1645) setzte in seinem programmatischen Werk Mare Liberum von 1609 dieserForderung ein breit beachtetes literarisches Denkmal:

„Wir wollen kurz und klar beweisen, dass die […] Vereinigten Niederlande das Recht haben, inbisher gewohnter Weise nach Indien zu fahren und dort Handel zu treiben. Wir wollen dabei dieerste und gewisseste Regel des Völkerrechts zugrunde legen, deren Beweiskraft klar und unum-

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stößlich ist: Jedes Volk kann ein anderes aufsuchen und mit ihm Geschäfte machen. So sprichtGott selbst in der Natur: er reicht nicht überall des Lebens Notdurft gleichmäßig dar, sondernwill, dass die Völker sich hier durch diese, dort durch jene Vorzüge auszeichnen. Warum? WeilGott wollte, dass der Mangel hier und die Fülle da die Menschen freundschaftlich zusammenfüh-re, damit sie nicht glaubten, jeder könne sich selbst genügen und sie ungesellig würden. […] Weralso diese Ordnung beseitigt, beseitigt jene gepriesene Gemeinschaft des Menschengeschlechts,beseitigt die Gelegenheit, sich gegenseitig wohlzutun, verletzt endlich die Natur selbst. Denn be-weist nicht die Tatsache, dass der Ozean, den Gott um die Länder gelegt hat, nach allen Richtun-gen hin befahrbar ist und dass die Winde […] nicht nur aus derselben Richtung, sondern ausallen möglichen Richtungen wehen, zur Genüge, dass die Natur jedem Volke gestattet hat, jedesandere Volk aufzusuchen?“30

Als quasi-offizielle Rechtsposition der Niederlande und „Grundgesetz“ ihrer Handels-kompanie erregten solche Zeilen großes Aufsehen. Die englische Gegenposition verfasstebereits 1618 John Selden (1584–1654), Jurist wie Grotius, der in Mare Clausum dieRechtmäßigkeit weiträumiger Hoheitsgewässer rund um die Britischen Inseln betonte.Bei aller Rivalität unterschieden sich Briten und Niederländer jedoch kaum in der Aus-gangsposition. Gemeinsam war ihnen, dass sie auf freihändlerischer Grundlage Frontgegen die Weltordnung des Vertrages von Tordesillas machten, der 1494 die Welt in eineportugiesische und eine spanische Hemisphäre eingeteilt hatte.

Letztendlich waren die Kompanien allerdings nur sehr bedingt Vorkämpfer des Frei-handels. Vielmehr zeichneten sie sich durch eine Janusköpfigkeit aus, die ein freihändle-risches Grundgesetz ohne Umstände mit der Forderung nach Privilegien unter einenHut brachte. Wesentliches Charaktermerkmal der Kompanien war die Tatsache, dass sievom jeweiligen Herrscher mittels eines gesetzgeberischen Aktes – einer Charter nachenglischem oder eines Oktroi nach holländischem Sprachgebrauch – ins Leben gerufenund mit Privilegien ausgestattet wurden. In rechtshistorischer Sicht handelt es sich beiPrivilegien um gesetzesgleiche Rechtstitel, die daher nur der Gesetzgeber in Form einerUrkunde an Einzelpersonen oder Gruppen von Berechtigten vergeben konnte. Nebender Berechtigung gewährte das Privileg Schutz gegen jede Zuwiderhandlung, indem esdiese staatlicherseits mit Strafandrohungen belegte. Insofern war das Privileg ein Gna-denakt des Gesetzgebers und später auch die Erfüllung seiner Pflicht, dem Interesse desStaates und seiner Bürger zur Durchsetzung zu verhelfen.31

In England rief Königin Elisabeth I. mit einer Charter vom 31. Dezember 1600 dieEIC zunächst für 15 Jahre ins Leben. Die Generalstände der Vereinigten Niederlande er-ließen 1602 ein Oktroi, das anfänglich eine Gültigkeit von 21 Jahren hatte, um bereitsbestehende Ostindien-Kompanien zur VOC zusammenzuschließen. Diese beiden Recht-sakte dienten als Vorbild für zahlreiche andere Gründungen, längst nicht nur für denOstindienhandel. Bereits 1616 folgte in Dänemark eine ostindische Kompanie, 1717 inOstende in den spanischen Niederlanden und 1731 in Schweden. In Frankreich wurde1664 die Compagnie des Indes unter Einfluss von Colbert auf staatliche Initiative hin ge-gründet. Bei diesem Sonderfall lagen alle Befugnisse aufseiten des Königs, der die Gesell-schaft kontrollierte, ihre Verwaltung bestimmte und alle Gremien einzuberufen hatte.

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Die französische Krone trug im Gegenzug auch das wirtschaftliche Risiko. In gewisserWeise kann man in der Compagnie des Indes das merkantilistische Gegenstück zu denfreihändlerisch legitimierten VOC und EIC sehen – wenn man im merkantilistischenInstrumentarienbündel die aktive Rolle des Staates besonders betonen will.

Die englische Charter garantierte der EIC das alleinige Recht, mit Ostindien mariti-men Handel zu treiben, und schrieb die Verpflichtung der Krone fest, für ihre Laufzeitkeiner anderen Privat- oder Rechtsperson die Erlaubnis zum Asienhandel einzuräumen.Unter den Untertanen Ihrer Majestät war es nur den Mitgliedern der Kompanie oderder Kompanie selbst als Rechtsperson erlaubt, nach eigenen Regeln kommerzielle Kon-takte in den Fernen Osten aufzubauen. Dieses Recht schloss eine mögliche Lizenzverga-be ausdrücklich ein. Bei Verstößen drohte eine Gefängnisstrafe, die allerdings gegen £ 1000 abgelöst werden konnte. Der Erlös illegaler Asienfahrten, die aufgedeckt werdenkonnten, fiel jeweils zur Hälfte an Krone und Kompanie. Dieses staatlich privilegierteHandelsmonopol behielt seine Gültigkeit bis in das Jahr 1823. Hinzu kamen in derGründungscharter Regelungen für die Zoll- und Abgabenfreiheit der ersten vier Reisensowie für die Ausfuhr von Silber.

Kaum anders sah das niederländische Oktroi aus. Auch der VOC wurde das Privilegerteilt, als einzige Privat- oder Rechtsperson des Landes mit Ostindien Handel treiben zudürfen, wobei eine besondere Betonung auf den asiatischen Gewürzen lag. Die Gesell-

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Der Innenhof des Ostindischen Hauses in Amsterdam.

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schaft musste allerdings ihr Privileg bezahlen. 1602 handelte es sich um eine Summe von25000 Gulden, die bei den Erneuerungen des Oktrois auf 1,5 Millionen Gulden (1647)bzw. 3 Millionen Gulden (1696 und 1700) gesteigert wurde und schließlich 3% der jähr-lichen Dividende (1742) erreichte. Im Unterschied zur britischen EIC, deren FreiheitSchiffe auszustatten im Kriegsfalle beschnitten werden konnte, erhielt die VOC sogar de-zidiert Souveränitätsrechte. Sie konnte Gouverneure benennen, Armeen und Flottenaufstellen, Festungen errichten und völkerrechtlich bindende Verträge abschließen. Dasssie dies im Namen der Vereinigten Niederlande tat, blieb letztendlich eine Formalie; inAsien agierte die VOC auf dieser Grundlage wie ein souveräner Staat.

Die Privilegien wurden prinzipiell auf bestimmte Zeit vergeben, wodurch eine tur-nusmäßige Erneuerung der Charter und Oktrois notwendig wurde. König Jacob I. ver-lieh 1609 der EIC die perpetual succession, also die Vergabe ihrer Rechte auf Dauer miteiner Kündigungsfrist von drei Jahren. Die neue Charter von 1657 und die Reorganisa-tion von 1709 bestätigten hinsichtlich der Privilegien, die den Kern der Kompanie aus-machten, sämtliche Rechte. Nicht anders verhielt es sich bei den niederländischen Er-neuerungen der Oktrois, die zwar aufgrund des wirtschaftlichen Erfolges der Kompaniedie Abgaben für das Privileg in die Höhe trieben, deren Ausgestaltung aber nicht grund-sätzlich änderten.

Die Erteilung weitreichender, geografisch allerdings klar umgrenzter Privilegien anpotente Interessengruppen wurde zur gängigen Vorgehensweise merkantilistisch orien-tierter Herrscher, um Handelsgesellschaften ins Leben zu rufen, die nach der vorherr-schenden Wirtschaftsideologie dem Gesamtwohl des Staates zuträglich waren. Es ent-standen privatwirtschaftlich organisierte Unternehmen, jedoch blieb das staatlicheInteresse stets erkennbar. In England bestimmte die Regierung immerhin den governorder EIC, den man als eine Art Vorstandsvorsitzenden interpretieren kann. In denNiederlanden kam der Zusammenschluss verschiedener konkurrierender Ostindien-Kompanien zur VOC erst durch erheblichen Druck der Generalstände zustande. Und inFrankreich entstand letztendlich sogar eine königliche Kompanie.

Das wirtschaftliche Kernanliegen widerspricht nicht dem gelegentlich geäußertenArgument, dass noch ganz andere Gründe einen Herrscher bewogen haben mögen, ge-rade diese Form von Gesellschaft durch gerade diese Regelungen zu privilegieren.Indem mit den Fernkaufleuten die kapitalkräftigste Gruppe mit weitgehenden Privile-gien ausgestattet wurde, die ihnen die Errichtung einer eigenen Militärmacht aus Flot-te, Festungen und Soldaten erlaubte, konnte ein nicht unbeträchtlicher Teil der militä-rischen Ausgaben eines Landes privatisiert werden. Dies war im Zeitalter der frühneu-zeitlichen europäischen Expansion mit ihrer hitzigen und blutigen Konkurrenzzwischen England, Frankreich, den Niederlanden und den iberischen Mächten äußerstwichtig. Ohne die gezielte Förderung ganz konkreter merkantiler Interessen durch denHerrscher wäre dies jedoch nicht möglich gewesen, weswegen der Kern der Privilegie-rungspolitik zur Schaffung sogenannter chartered companies nach wie vor ökonomischbedingt war.

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Das Selbstverständnis, eine privilegierte Organisation zu sein, prägte maßgeblich dasVorgehen der Kompanien in Asien. Ganz anders als in der innereuropäischen Ausei-nandersetzung und in der Begründung des eigenen Rechts auf ungehinderten Übersee-handel waren die Kompanien hier keinesfalls Vorkämpfer des Freihandels. Angestrebtwurde aus diesem Verständnis heraus eine Monopolstellung in Asien. Dies kam nichtnur in gesetzgeberischen Maßnahmen gegen Freihändler zum Ausdruck, die als soge-nannte interloper regelrecht kriminalisiert und verfolgt wurden. Auch die Festsetzung inAsien, die Verhandlungen mit den dortigen marktkontrollierenden Eliten – seien esFürsten oder kaiserliche Bürokratien – waren stets von der Zielsetzung geprägt, sichselbst eine Stellung mit exklusiven Privilegien zu verschaffen. Dass dies angesichts derVerhältnisse in der asiatischen Handelswelt nicht immer von Erfolg gekrönt sein konnte,steht zunächst auf einem anderen Blatt

.Kaufleute und Börsen

Man hat es schon häufig gehört und gelesen: Die Ostindien-Kompanien waren die ers-ten Aktiengesellschaften der Wirtschaftsgeschichte. Sicherlich sind sie nicht in allenPunkten mit den AGs der Gegenwart gleichzusetzen, doch genauso sicher ist, dass sie amAnfang der Entwicklung standen und diese aufgrund ihrer langen Existenz und ihreswirtschaftlichen Erfolges maßgeblich prägten. Der Aufstieg der beiden wichtigsten euro-päischen Börsenplätze in der Frühen Neuzeit – London und Amsterdam – ist ohne dieKompanien kaum denkbar.

Das Prinzip der Anteilsteilung bei größeren, risikobehafteten wirtschaftlichen Unter-nehmungen geht auf das 15. Jahrhundert zurück, als im mitteleuropäischen BergbauSchürfrechte in Form von sogenannten Kuxen vergeben wurden. Die Aktie als Wert-papier, das faktisch als Stück ausgegeben wird, trat jedoch tatsächlich erst mit den Han-delskompanien in Erscheinung. Zunächst handelte es sich ausschließlich um Namens-aktien, die auf einen bestimmten Anteilseigner ausgestellt wurden, der im Aktienbuchder Gesellschaft verzeichnet wurde. Zwar wurde auch mit Namensaktien gehandelt,doch machte der eher umständliche Besitzübertrag diese Papiere nicht uneingeschränktbörsenfähig. Bei der EIC wurden handelbare Anteilsscheine überhaupt erst mit derInstallierung eines festen Kapitalstocks (joint stock) im Jahr 1657 relevant. Mit der Aus-gabe von Aktien im Sinne realer Wertpapierstücke war der Zugang zur privilegiertenKompanie für alle geöffnet, die über das notwendige Kapital verfügten.

Börsen, die sich durch den Handel mit abwesenden, aber vertretbaren, sogenanntenfungiblen Gütern bei zeitlicher und örtlicher Konzentration auf vorgeschriebene Han-delszeiten und räumlich klar definierte Handelsplätze auszeichnen,32 bestehen seit demfrühen 15. Jahrhundert. Die Entwicklung von warenunabhängigen Handelsplätzen be-gann 1409 in Brügge und setzte sich mit den Börsengründungen von Antwerpen (1460)und Lyon (1462) fort. Dabei handelte es sich noch nicht um Effektenbörsen, die sich

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ganz auf den Handel mit Wertpapieren konzentrierten. Diese traten erst mit der Amster-damer Börse in Erscheinung, die ihren Aufstieg bereits während des 16.Jahrhunderts er-lebte, aber erst 1609 ihr repräsentatives Gebäude erhielt. Die Emission der VOC-Anteileim Jahr 1602 brachte erstmals Beteiligungspapiere auf das Börsenparkett, die nebenObligationen zunehmend die Entwicklung der beiden größten Börsen in Amsterdamund London, wo seit 1557 der Royal Exchange existierte, prägten.

Die Grundidee der Ostindien-Kompanien bestand in der Zusammenführung vonKapital, um kostenintensive und risikoreiche Unternehmungen über längere Zeit zu er-möglichen. Zunächst geschah dies nur für den Zeitraum einer einzelnen Reise nachAsien. Da diese von der Ausfahrt bis zur Rückkehr weit über ein Jahr dauerte, war esbald nicht mehr möglich, die einzelnen Fahrten säuberlich getrennt nacheinander ab-laufen zu lassen. Zwangsläufig kam es zu Überschneidungen und Unklarheiten in Buch-führung und Bilanzierung, die nicht selten zu Ausschüttungen führten, die jenseits derSumme aus Kapital und Gewinn lagen. So wurde frühzeitig die Schaffung einer Institu-tion unabdingbar, die für eine Verstetigung sorgte und solche Unternehmungen unab-hängig von den tagesaktuellen Entwicklungen einzelner Reisen erlaubte.

In England bedeutete dies den Übergang von einer terminable stock company, dielediglich unter festen Rahmenbedingungen das Kapital für ein Unternehmen organisier-

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Die Alte Börse in London, erbaut 1567–69. Kupferstich um 1600.

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te, zur joint stock company, die zeitlich unbefristet einen fest definierten Kapitalstock füralle Reisen zur Verfügung stellte. Die Vorteile im Kapitalbereich, die eine Kompanie mitsich brachte, wurden hier also erst mit der Charter von 1657 entfaltet. Ausgegebenwurden Anteile im Wert von mindestens £ 100, die sich zunächst zu einem Kapital von £ 739 782 summierten. Nach der Reorganisation von 1709, als zwei zwischenzeitlichkonkurrierende Kompanien zu einer erneuerten EIC fusioniert wurden, betrug dasGrundkapital £ 3200000. Weitere Kapitalerhöhungen folgten 1786 und 1789. Im erstenJahrhundert ihrer Existenz dominierten Großaktionäre die englische Kompanie. Um1700 lagen 70% der Anteile bei einer Gruppe von 80 bis 90 Großaktionären, die Anteilevon jeweils über £ 2000 hielten. Die beiden größten Aktionäre, Sir Josiah Child und SirThomas Cook, kontrollierten zusammen bereits 15% des Kapitals; die nächsten 15%lagen in den Händen von sechs weiteren Aktionären.33 Die Kontrolle über die EIC wurdevornehmlich von Großkaufleuten aus London ausgeübt. Der landed gentry, dem in Tei-len durchaus investitionswilligen britischen Landadel, versuchten interessierte LondonerKaufmannskreise zunächst den Zugang, wenn schon nicht zu verbauen, so doch zumin-dest zu erschweren. Ungeachtet dessen lag in Großbritannien der Anteil adeliger Anlegerim Allgemeinen bei über 20% und somit weit über dem europäischen Durchschnitt.34

Im Laufe des 18.Jahrhunderts setzte in England ein grundlegender Wandel ein, gegendessen Ende Großaktionäre kaum noch eine Rolle spielten. Er ging einher mit demsozioökonomischen Aufstieg des Landadels, dessen Wohlstand auf einer kommerziellbetriebenen Landwirtschaft beruhte und der zunehmend Investitionsmöglichkeitensuchte, vorzugsweise im Fernhandel. Die britischen Historiker Peter Cain und AnthonyHopkins, denen diese Gruppe aufgrund ihres Habitus die Bezeichnung „Gentleman-Ka-pitalisten“ verdankt, haben in ihren wegweisenden Forschungen zum wirtschaftlichenund gesellschaftlichen Hintergrund des Imperialismus darauf hingewiesen, dass inGroßbritannien bei weitem nicht nur Industrieunternehmer den Aufstieg des Kapita-lismus, des ökonomischen Rückgrats des Imperialismus, trugen.35 Vielmehr beteiligtensich mehrere Spielarten von Kapitalisten mit recht unterschiedlichem Hintergrund,unter denen es dem investitionswilligen Teil der gentry in der Zeit nach der Glorious Re-volution von 1688 gelang, die geschlossene Finanzstruktur der EIC aufzubrechen. GegenEnde des Jahrhunderts waren deren Anteile weit über das Land gestreut, waren sie dochlängst zu einer relativ sicheren und lukrativen Geldanlage nicht nur für Kaufleute undGentleman-Kapitalisten, sondern auch ganz handelsfern für Pensionen oder Rentengeworden.

Eine zusätzliche Akzentverschiebung brachte eine Entwicklung mit sich, die mit derneuen Charter von 1657 ihren Anfang nahm und in deren Zuge zunehmend Schiffe fürdie Reise nach Asien von privaten Anteilseignern gechartert wurden. Diese Vorgehens-weise vereinfachte Organisation und Verwaltung und verhinderte die Bindung vonKapital, das nun an anderer Stelle eingesetzt werden konnte. Zudem entstanden derKompanie keine Versicherungskosten mehr. Innerhalb des Kreises der Anteilseigner ent-wickelte sich so eine eigenständige Fraktion, die Gruppe der Schiffseigner (shipping

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