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Dr. Hagenah - Vortrag am 07.11.2012 in
Marsberg
08.11.2012
Neuere Aspekte in der Behandlung der
Anorexia nervosa 1
Aktuelle Entwicklungen in der Behandlung der Anorexia nervosa
LWL-Klinik Marsberg 07.11.2012
Dr. med. Ulrich HagenahKlinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters
(Ärztl. Direktorin: Univ.-Prof. Dr. med. B. Herpertz-Dahlmann)
Universitätsklinikum RWTH Aachen
Anorexia nervosa: Epidemiologie
� Prävalenz ca. 0.3 – 1,2% bei Jugendlichen und jungen Frauen (Hoek& van Hoeken 2003; Currin et al. 2005; Bulik et al. 2006)
� Auftreten ab 8. Lebensjahr! (Nicholls & Bryant-Waugh, 2009)
� Vorverlagerung von Erkrankungsbeginn und/ - oder Behandlung (?) in die Kindheit (Favaro et al., 2009, Halmi et al., 2009, Nicholls et al., 2011)
� Häufigkeitsgipfel um das 14.-15. Lebensjahr, Erkrankungen in der Altersgruppe der 15 – 19- jährigen machen 40 % aller Neuerkrankungen aus (Hoek 2006)
� Sehr früher Beginn mit schlechterem Verlauf assoziiert (Wentz et al., 2009)
� Ca. 50 % aller Erkrankungen an Anorexia nervosa werden möglicherweise nicht diagnostiziert (Keski–Rahkonen et al. 2007)
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Neuere Aspekte in der Behandlung der
Anorexia nervosa 2
Zeitlicher Beginn von Essstörungen (Hudson et al, 2007)
Kumulative Lebenszeitprävalenz bei AN, BN und BED für eine vorhandene Erkrankung
Kumulative Lebenszeitprävalenz bei AN, BN und BED
BIOL PSYCHIATRY 2007;61:348–358
Veränderung der Diagnose im Verlauf
Fairburn & Harrison, 2003
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Neuere Aspekte in der Behandlung der
Anorexia nervosa 3
Zeitliche Trends
Inzidenz bei Kindern und Jugendlichen(Hoek, 2006)
Inzidenz für AN und BN (in allen Altersgruppen) (Currin et al., 2005)
- Chronischer Verlauf in > 20%
- Hohes Risiko für die Entwicklung anderer psychiatrischer Erkrankungen und schlechte berufliche Integration (Wentz et al., 2009)
- Höchste Mortalität aller psychiatrischen Erkrankungen im Langzeitverlauf (Agras et al., 2004)
- Korrigierte Mortalitätsraten zwischen 1.2 und 12,82%
- Hohe Suizidraten im Langzeitverlauf
- Schwere medizinische Folgeschäden, z. B.:- Osteopenie und Osteoporose ( ca. 40%)
- Strukturelle und funktionelle Veränderungen des Gehirns
- Potentiell tödliche Komplikationen des Herz-Kreislauf-Systems
Verlauf und Folgen der Anorexia nervosa
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Neuere Aspekte in der Behandlung der
Anorexia nervosa 4
Todesursachen bei Anorexia nervosa(21 Jahre-Katamnese)
(Zipfel et al. 2000)
Symptomatik
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Neuere Aspekte in der Behandlung der
Anorexia nervosa 5
Anorexia nervosa: Psychische Veränderungen
Gedankliche Beschäftigung mit Nahrung
anfänglich Euphorie/ Leichtigkeit
auffälliges Essverhalten
Rigidität
unflexibles Denken
Depression Irritabilität
sozialer Rückzug Nervosität
geringe Spontaneität motorische Unruhe
Verlust von Ambition Konzentrationsstörungen
Libidoverlust
wenig Initiative
Minnesota-Studie von Keys, 1950 Semistarvation bei jungen Männern *
* Keys et al. (1950): The Biology of Human Starvation
Kernsymptome
� Gewichtsphobie
� Kognitive Einengung auf die Themen „Essen“ und „Gewicht“
� Körperschemastörung� Bei Kindern und jüngeren Jugendlichen häufig nicht erfassbar!
� Bewegungsdrang
� Störungen auf der Hypophysen-Hypothalamus-Gonaden-Achse � prim. oder sek. Amenorrhoe
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Neuere Aspekte in der Behandlung der
Anorexia nervosa 6
Semistarvation und Laufrad
Ratte läuftweiter
Placebo ( subkutan) Leptin (subkutan)
Ratte reduziertAktivität aufbasales Niveau
Exner et al. 2000
Hunger-induzierte Hyperaktivität
Buyse et al. (2001):Leptin vermindert exploratives Verhalten bei Ratten unter Nahrungsrestriktion
Hillebrand et al. (2005):Leptin reduziert bei ABA*-Ratten: - Laufrad-Aktivität- Nahrungsaufnahme
Leptin erhöht:- Körpertemperatur- Energieverbrauch
* ABA = Activity Based Anorexia
Ätiologie
(nach: Attia 2009)
Genet. Fakt.
Umwelt
Persönlichkeit
Starvation
Hohe Ängstlichkeit
Hohe Zwanghaftigkeit
PerfektionismusKulturelle Faktoren:Sorgen zu Figur/ Gewicht
Angst vor Nahrungsaufnahme,
Vermeidung von Nahrung
Rigide Diätpraktiken
Diäten mit niedriger Energiemenge und
eingeschränkter Auswahl
Gewichtsverlust
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Neuere Aspekte in der Behandlung der
Anorexia nervosa 7
Diagnostik
Definition der Anorexia nervosa nach ICD-101. Körpergewicht mindestens 15 % unterhalb der Norm bzw.
BMI ≤17,5 kg/m²
2. Der Gewichtsverlust ist selbst verursacht
3. Körperschemastörung und überwertige Idee, zu dick zu sein
4. Endokrine Störung auf der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse
5. Bei Erkrankungsbeginn vor der Pubertät Störung der pubertären Entwicklung einschließlich des Wachstums, die nach Remission häufig reversibel ist.
U. Hagenah, UK Aachen (2012)
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Neuere Aspekte in der Behandlung der
Anorexia nervosa 8
DSM-V: vorgeschlagene diagnostische Kriterien für die
Anorexia Nervosa (307.1)
► A. Einschränkung der Energieaufnahme im Verhältnis zu den Anforderungen, welche zu
einem signifikanten niedrigen Körpergewicht im Kontext von Alter, Geschlecht,
Entwicklungskurve und körperlicher Gesundheit führt. Signifikant niedriges Körpergewicht ist
definiert als ein Gewicht, welches niedriger als das minimale Normalgewicht, oder, für Kinder
und Jugendliche, niedriger als das minimal erwartete Gewicht ist.
► B. Intensive Furcht vor einer Gewichtszunahme oder davor , fett zu werden, oder ein darauf
basierendes Verhalten, welches sich störend auf eine Gewichtszunahme auswirkt, selbst bei
einem signifikant niedrigen Gewicht.
► C. Störung im Erleben des eigenem Körpergewichts oder des Körperschemas, übertriebener
Einfluss von Körpergewicht oder aussehen auf die Selbsteinschätzung, oder anhaltender
Mangel an Einsicht in die Bedrohlichkeit durch das aktuelle, niedrige Körpergewicht.
Quelle: http://www.dsm5.org/ProposedRevisions/Pages/proposedrevision.aspx?rid=24
Updated April-17-2012
U. Hagenah, UK Aachen (2012)
Unterteilung: DSM V
� Restriktiver Typ: während der letzten 3 Monate keine wiederkehrenden Episoden von Binge Eating oder Purging-Verhalten (z.B. selbstinduziertes Erbrechen, Missbrauch von Laxantien, Diuretika, Einläufen)
� Binge-Eating/Purging Type: während der letzten 3 Monate Phasen mit wiederkehrenden Episoden von Binge Eating oder Purging-Verhalten (z.B. selbstinduziertes Erbrechen, Missbrauch von Laxantien, Diuretika, Einläufen).
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Neuere Aspekte in der Behandlung der
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Warnzeichen
� Veränderungen im Essverhalten:� Zunehmendes Interesse für Nahrungszusammensetzung und Kaloriengehalt� Beschränkung auf „ gesunde“ Nahrungsmittel, vegetarische Ernährung� Auslassen von gemeinsamen Mahlzeiten (Ausreden: „ ich habe schon mit den andern
gegessen..“)� Langsames Essen, Rituale beim Essen
� Unzufriedenheit mit dem eigenen Aussehen� Zunehmende Leistungsorientierung� Zunehmender Bewegungsdrang (exzessiver Sport)� Häufiges Wiegen� Veränderung der Stimmung
� Erhöhte Reizbarkeit, starke Stimmungsschwankungen, Depression
� Sozialer Rückzug� Körperliche Veränderungen:
� Häufiges Frieren, „blaue Hände“� Kreislaufprobleme, Schwindel� Haarausfall� Ausbleiben der Menstruation
Anorexia nervosa:Besonderheiten bei Kindern und jüngeren Jugendlichen
� z. B. aufgrund geringerer Fettreserven raschere Gefährdung schon bei milderen Gewichtsverlust
� Mangelernährung während der kritischen Periode von Wachstum und neuronaler Entwicklung besonders folgenschwer:
� Verringerte Knochendichte und erhöhtes Osteoporose-Risiko im Erwachsenen-Alter
� Auswirkungen auf den Prozess des neuronalen Umbaus des Gehirns (graue Hirnsubstanz)� „biologische Narben“ (?)
� Geringere Fähigkeit zur (emotionalen und kognitiven) Einsicht in die Notwendigkeit von Untersuchungen und Behandlungen
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Neuere Aspekte in der Behandlung der
Anorexia nervosa 10
Komorbidität
Anorexia nervosa Bulimia nervosa
Ängste 20-60% 30-70%
Zwänge 20-40% 8-33%
Depression 15-60% 20-70%
Substanzabusus + Störung der Impulskontrolle
binge-purging Typ der ANca. 23%
Untersuchungen
� Körperliche Untersuchung obligat!� Inspektion (Druckstellen, Ödeme, Speicheldrüsenschwellung?)
� Größe, Gewicht, � BMI-Perzentile
� RR/ Puls, Körpertemperatur
� Psychopathologischer Befund:� Gewichtsphobie, Körperschemastörung?
� Bewegungsdrang?
� Einsatz gegenregulierender Maßnahmen (Erbrechen, Laxantienabusus u. a.)?
� Komorbide Störungen (v. a. Depression, Ängste, Zwänge)?
� Suizidalität?
� Testpsychologische Verfahren:� EDI-II , ChEDE, SIAB, ABOS (Elternurteil)
� (Semi-)strukturierte Interviews (Kinder-DIPS, K-SADS)
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Neuere Aspekte in der Behandlung der
Anorexia nervosa 11
Erweiterte Diagnostik
� Bildgebung (craniales MRT):� Bei präpubertärem Beginn
� Atypische Symptomatik bei jugendlichen Patientinnen
� Männliche Patienten
� EKG, Echokardiographie� Bradykardie, Tachykardie bei Orthostase-Test, Schwindel,
Elektrolytstörungen
� Labor: � bei kachektischem Zustand, schneller Gewichtsabnahme,
Verdacht auf bulimische Symptomatik� BB, Elektrolyte, TSH, fT3, Kreatinin,
Behandlung
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Neuere Aspekte in der Behandlung der
Anorexia nervosa 12
Datenlage zur Behandlung der AN:� Studien zeigen nur eine mäßige bis geringe Evidenz, u. a. aufgrund:
� geringer Fallzahlen,
� fehlender valider Kontrollbedingungen,
� Anwendung von multimodalen Therapieansätzen mit fehlenden Aussagen zu einzelnenBehandlungselementen.
� große Effektstärken (> 1) im Hinblick auf Gewichtszunahme sowohl ambulant(260 g/Woche) als auch stationär (530 g/Woche)
� kontrollierte Studien liegen u. a. zur kognitiven Verhaltenstherapie (KVT), zurinterpersonellen Psychotherapie (IPT), zur psychodynamischen Therapie(PT) und zur familienbasierten Therapie (FT) vor. Die Studien erlaubenjedoch keine Aussage darüber, welche Therapiemethode zu bevorzugen ist
(Evidenzstärke Ib)
� eine störungsspezifische, auf die AN ausgerichtete Psychotherapie ist einemunspezifischen Vorgehen vorzuziehen
(Evidenzstärke II).
� Antidepressiva können den Therapieverlauf der AN nicht verbessern(Evidenzstärke Ia)
S3 – Leitlinien Essstörungen
� systematisch entwickelte Darstellungen und Empfehlungen mit den Zielen:
� Behandler und Patientinnen/Patienten bei der Entscheidung überangemessene Maßnahmen der Versorgung (Prävention, Diagnostik,Therapie und Nachsorge) zu unterstützen,
� zur Verbesserung der Versorgungsergebnisse beizutragen,
� Risiken zu minimieren
� Therapiesicherheit und Wirtschaftlichkeit zu erhöhen
� nicht-indizierte Diagnose-und Behandlungsmethoden vermeiden
Langfassung: http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/051-026.html
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Neuere Aspekte in der Behandlung der
Anorexia nervosa 13
Methodik (Beispiel: Anorexia nervosa)
Methodik AN
� Außerdem Berücksichtigung bereits vorliegender Leitlinien und Cochrane-Reviews:
� Leitlinie des National Institute of Clinical Excellence NICE, England (2004),
� Leitlinie der American Psychiatric Association APA, USA (2006),
� S1-Leitlinien der DGPPN (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie 2000),
� Leitlinie des Royal Australian and New Zealand College ofPsychiatrists (Beumont et al., 2003)
� 2 Cochrane-Reviews*:� Hay et al., 2004: Individual Psychotherapy in the Outpatient Treatment of
Adults with Anorexia Nervosa
� Claudino et al. (2006): Antidepressants for Anorexia Nervosa
* ein weiterer Cochrane-Review zur familienbasierten Therapie (Fisher et al., 2010) war zum Zeitpunkt der
LL-Erstellung noch nicht abgeschlossen.
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Neuere Aspekte in der Behandlung der
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Gewichtung der Interventionsempfehlungen:
� klinische Relevanz?
� Umsetzbarkeit in der Versorgungsrealität?
� Nutzen/ Risiko?
� Empirische Evidenz?
Herpertz, Stephan; Hagenah, Ulrich; Vocks, Silja; Wietersheim, Jörn von; Cuntz, Ulrich; Zeeck, Almut
Diagnostik und Therapie der Essstörungen
Dtsch Arztebl Int 2011; 108(40): 678-85; DOI: 10.3238/arztebl.2011.0678
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Neuere Aspekte in der Behandlung der
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Entwicklung der S3-LeitlinienEssstörungen
� Herbst 2003: � Beschluss der Konferenz der Hochschullehrer des Fach Psychosomatische Medizin und
Psychotherapie zur Entwicklung evidenzbasierter S 3-Leitlinien
� Frühjahr 2005: � Start einer Arbeitsgruppe aus 23 Klinikern und Forschern mit Expertise auf dem Gebiet der
Essstörungen
� einzelne Mitglieder wurden von den jeweiligen Fachgesellschaften als Mandatsträger autorisiert
� 2005 – 2010:� 15 Expertentreffen:
� Untergruppen für Anorexia nervosa, Bulimia nervosa, Binge-eating-Störung
� Ergebnisse der Untergruppen wurden in der Gesamtgruppe diskutiert und konsentiert.
� 4 Treffen unter Moderation durch das AWMF (Professor Dr. Ina B. Kopp)
� Konsentierung von insgesamt 44 sogenannten Statements und Empfehlungen
Herpertz, Stephan; Hagenah, Ulrich; Vocks, Silja; Wietersheim, Jörn von; Cuntz, Ulrich; Zeeck, Almut
Diagnostik und Therapie der Essstörungen
Dtsch Arztebl Int 2011; 108(40): 678-85; DOI: 10.3238/arztebl.2011.0678
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Neuere Aspekte in der Behandlung der
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Empfehlungen zur Pharmakotherapie
� Neuroleptika sind zur Erreichung einer Gewichtszunahme bei AN nicht geeignet(B),
� bei erheblich auf Gewichtsängste und Essen eingeschränktem Denken und beinicht zu beherrschender Hyperaktivität kann der Versuch eines Einsatzesniedrigdosierte Neuroleptika (Olanzapin) im Einzelfall gerechtfertigt *
(B),
� Antidepressiva sind für das Erreichen einer Gewichtszunahme bei AN ebenfallsnicht zu empfehlen. Dies gilt sowohl für die initiale Therapie als auch für dieRückfallprophylaxe (A).
*
„Säulen“ der Behandlung
1. Somatische Rehabilitation, Ernährungstherapie und Psychoedukation
2. Psychotherapeutische Behandlung
3. Einbeziehung der Familie
4. Medikamentöse Therapie und Behandlung
der Komorbidität
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Neuere Aspekte in der Behandlung der
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U. Hagenah, UK Aachen (2012)
Ambulante Diagnostik und Behandlung
Wenn ambulanter Behandlungsversuch möglich:
inkl.: � Gewichtskontrollen (!) (AN , BN *)� Kreislaufparameter + Labor (AN, BN)� Frequenz der Heißhunger- und Brechattacken (BN)� Ernährungsberatung + Psychoedukation (AN, BN)
* AN = Anorexia nervosaBN = Bulimia nervosa
U. Hagenah, UK Aachen (2012)
Ambulante Behandlung
Überprüfung des Behandlungserfolgs nach 4-6 Wochen:
�Gewichtsverlauf + körperliche Symptomatik
�Energiezufuhr + Essverhalten ?
�Heißhungerattacken / Erbrechen ?
� bei weiterer Gewichtsabnahme/ fehlender Gewichtszunahme bzw. unveränderter oder verschlechterter bulimischer Symptomatik stationäre Aufnahme!
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Neuere Aspekte in der Behandlung der
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U. Hagenah, UK Aachen (2012)
Indikation zur stationären Behandlung
� medizinische Kriterien (kritisches Untergewicht und/ oder sehr rascher Gewichtsverlust)
� Andere körperliche Komplikationen
� Suizidgefahr
� Schwere andere psychiatrische Erkrankungen
� Scheitern ambulanter Behandlungsversuche
� soziale Isolation
� festgefahrene familiäre Interaktion
Module der stationären Behandlung1. Gewichtsmanagement
1.1. Wiegetermine 1.2. Gewichtsstufenpläne
2. Kalorienzufuhr/ Kalorienverbrauch
2.1. Planessen 2.2. Trinkpäckchen 2.3. Sondierung 2.4. Ruhezeiten/ Bewegung
3. Ernährungstherapie
3.1. Ernährungs-beratung
3.2. Modellessen 3.3. Auswärts essen
3.4. Kochgruppe 3.5. Selber Portionieren
3.6. Freies Essen
4. Psychotherapeutische Arbeit mit Patientinnen
4.1. Einzeltherapie 4.2. Essstörungsspezifische Gruppen
1-2x wöchentlich 4.2.1. Psychoedukation 4.2.2. Ernährungsgruppe 4.2.3. Psychotherapiegruppe
5. Elternarbeit
5.1. 2-wöchentlich Eltern-/ Familiengespräche 5.2. Eltern-Psychoedukationsgruppe 5.3. Familienessen
6. Sonstige Gruppen
6.1. Ergotherapie 6.2. Entspannung 6.3. SKT
7. Vorbereitung auf die Entlassung
7.1. Belastungserprobung 7.2. Organisation ambulanter Hilfen 7.3. Wiederaufnahmevertrag
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Neuere Aspekte in der Behandlung der
Anorexia nervosa 19
Gewichtsaufbau bei schwer
starvierten Patienten
� Langsam beginnen � initial ca. 600-800 Kcal/ Tag
� Cave: „Re-Feeding“-Syndrom besonders bei zu rascher Alimentation (besonderes Risiko: parenterale Ernährung)
� Beschwerden der Patientinnen ernst nehmen (Übelkeit, Völlegefühl, Durchfall, Pankreatitis u. a.)
� Im Verlauf:� Anzustrebende Gewichtszunahme pro Woche bei
stationärer Behandlung von 0,5-1 kg.
Weitere Aspekte:körperliche und psychische Folgen der therapeutischen Gewichtsrehabilitation
Motilität des Magen-Darm-Traktes
postprandiales Völlegefühl
Erhöhter Energiebedarf bei Erreichen des Zielgewichtes
stamm- und gesichtsbetonte Zunahme der Fettmasse
Verstärkung der Gewichtsphobie
vergleichsweise große Mahlzeitennotwendig
„Mondgesicht, Fettbauch“
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Neuere Aspekte in der Behandlung der
Anorexia nervosa 20
„Verstärker“ in der Therapie
Ambulante Behandlung� Vermeidung einer
Krankenhausaufnahme
� abgestufter Schulbesuch
� selbständiger Schulweg
� Teilnahme am Schulsport
� Freizeitaktivitäten (Kino, Theater, Disco u. a.)
� Urlaubsreise
Stationäre Behandlung� Verkürzung/ Wegfall von Ruhezeiten
� Teilnahme an Aktivitäten außerhalb der Klinik
� Besuchserweiterung
� Besuch der Klinikschule
� Externer Schulbesuch
� Wochenendbeurlaubung
U. Hagenah, UK Aachen (2012)
Individuelle Psychotherapie
� Im Zustand der Unterernährung wahrscheinlich nur bedingt wirksam
Vorrangig in dieser Phase:
� Arbeit an der Motivation zur Überwindung der Essstörung
� Nach Stabilisierung von Ernährungs- und Gewichtsituation:
� Überprüfung und Hinterfragung fixierter Denkschemata bezüglich Figur und Gewicht
� Selbstakzeptanz
� Störungsspezifische Behandlung von Begleitstörungen (Zwangserkrankung, soziale Ängstlichkeit, Depressionen u. a.)
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Neuere Aspekte in der Behandlung der
Anorexia nervosa 21
„Positive“ Aspekte des Hungerns
Hungern
Biologisch bedingte
kognitive Einengung
auf Thema „Essen“
Reduktion
unangenehmer
Gedanken
Anerkennung
durch Umwelt
„Gefühl von Macht“
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“Gewichtsstufenplan”
positive Verstärkung der Gewichtszunahme/ anfänglich: der bewältigtenEnergieaufnahme
KeineSanktionierung!
Cave:
Bettruhe: erhöht das Osteopenie-Risiko!
1400 Kcal/ Tag: Ergotherapie-Gruppe
1200 Kcal/ Tag: Mobilisationsgruppe
1600 Kcal/ Tag: 1 h Schule
1800 Kcal/ Tag: Zusätzlicher 30 –Minuten-Spaziergang
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Neuere Aspekte in der Behandlung der
Anorexia nervosa 22
Studien zum Behandlungssetting der adoleszenten AN
� Hinweise auf vergleichbare Effektivität des ambulanten vs. vollstationärenSettings (Crisp et al., 1a991)
Problem: 40% der vollstationär randomisierten Patienten akzeptierten Behandlungssetting nicht und brachen Behandlung ab
� Hinweise auf „Negativ“-Effekte vollstationärer Therapie: RCT-Studie mit 167 adoleszenten Patientinnen (Gowers et al., 2007):
• kein Unterschied zwischen stationärer, störungsspezifischer ambulanter und herkömmlicher Behandlung
• tendenziell schlechteres Outcome der vollstationären Therapie • Auch hier: hohes Dropout (50%) der stationären Gruppe!
U. Hagenah, UK Aachen (2012)
Vergleichsstudie von Gowers et al.
(2007)
� Bislang einzige, randomisierte Studie zum Behandlungssetting (stationär vs. ambulant) bei Anorexia nervosa für diese Altersgruppe (11;11 – 17;11 Jahre) mit ausreichender Fallzahl (n= 167)l.
� extrem hohe Abbruchrate (51%, 29 von 57) bei den in die stationäre Behandlung randomisierten Probanden.
� deutlicher Unterschied im Body-Mass-Index zwischen den „Adherers“ (14.8 kg/m²) und den „non-adherers“ (15,8 kg/m²).
� Anteil der Anorexie-Patienten in den Kliniken bei 23%
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Neuere Aspekte in der Behandlung der
Anorexia nervosa 23
Therapiestudien Familientherapie
ambulante Familien-therapie gut wirksam
N = 121 BMI: 16.1 ± 1.1Alter 14,4 ± 1.6 J.
U. Hagenah, UK Aachen (2012)
Elternarbeit
� Eltern- und Familiengespräche
� Psychoedukation für Eltern
� Praktische Übungen, z.B. Familienessen
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Neuere Aspekte in der Behandlung der
Anorexia nervosa 24
� ….„Es ist einfach nur furchtbar, hilflos ansehen zu müssen, wie das geliebte Kind verfällt“, beschreibt es Sabine Mertens. „Man kann sie ja nicht zum Essen zwingen. Und gutes Zureden bringt auch nichts.“ Gerade als Mutter, die sich - wie in den meisten Familien - für das Thema Ernährung zuständig fühlt, habe sie es als ihr Versagen empfunden, dass „ich mein Kind noch nicht mal ordentlich ernähren kann“.
� ….Als große zusätzliche Belastung hat Sabine Mertens die von Unverständnis geprägten Reaktionen aus ihrem Umfeld empfunden. Außenstehende könnten meist überhaupt nicht begreifen, „warum das Kind nicht einfach wieder was isst“. Kaum jemand traute sich, Sabine Mertens auf die Magersucht ihrer Tochter offen anzusprechen oder ihr irgendeine Form von Beistand anzubieten. Eltern von Mitschülern, Bekannte und Nachbarn fingen an zu mutmaßen, „dass in der Familie wohl einiges aus dem Ruder läuft“ - was die Mutter aber nur „hintenrum“ mitbekam. Sie empfand all das als „Ausgrenzung, ja Stigmatisierung“. Sie ist zutiefst überzeugt, dass in ihrer Familie „nicht mehr und nicht weniger schief gelaufen ist als in anderen Familien auch“.
Quelle: http://www.ksta.de/html/artikel/1203599317850.shtml
Auswirkungen der AN auf die Familie
� Intensive emotionale Reaktionen auf die Erkrankung (Goldner & Birmingham 1994):- Angst, Schuldgefühle Verzweiflung, Wut, Ohnmacht, Selbstvorwürfe u. a.
� Hohe emotionale Belastung (Treasure et al. 2001):
� signifikant stärke psychische Belastung von Angehörigen und Betreuern erwachsener Patientinnen mit Anorexia nervosa gegenüber Betreuern von Patienten mit psychotischen Erkrankungen
� Veränderungen des familiären Lebens � Intensive Suche von Eltern nach Informationen zur Erkrankung (Honey &
Halse 2006)
� Verlagerung der Aufmerksamkeit auf die Essstörung � Eskalierende Kontrollstrategien (Monitoring, z. B. hinsichtlich Erbrechen,
Sport) (Honey & Halse 2006)
� Veränderte Ernährungs- und Essgewohnheiten in der Familie
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Neuere Aspekte in der Behandlung der
Anorexia nervosa 25
Aspekte der elterlichen Belastung
� Erschwerte Orientierung durch unterschiedliche Krankheitskonzepte:
� Geringer Konsens zur „besten Therapiemethode“ (Treasure & Schmidt, 2003)
� Stigmatisierung der Patienten und Angehörigen (z. B. Stewart et al., 2006, McMaster et al., 2004)
� Schuldgefühle und Selbstvorwürfe (Whitney et al., 2005)
� Psychoedukation in der Elterngruppe
� Teilnehmer: 3-8 Elternpaare/-teile stationärer und
ambulanter Patientinnen
� Dauer: 5 Sitzungen in wöchentlichem Abstand a´90 min
� Hilfsmittel: Folien und „Hand-outs“
� Definition: „Nicht-Therapie-Gruppe“
(Hagenah u. Vloet 2005)
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Neuere Aspekte in der Behandlung der
Anorexia nervosa 26
Rückmeldungen der Eltern (n=86)
Teilnahme a. d. Schulung hat:
sehr geholfen etwas geholfen kaum geholfen nicht geholfen
Väter 21 10 3 0
Mütter 41 11 0 0
Gesamt 62 21 3 0
Würde anderen Eltern die Teilnahme:
empfehlen eingeschränkt nicht empfehlen
Väter 34 0 0
Mütter 51 1 0
Gesamt 85 1 0
Pharmakotherapie
� Behandlung komorbider Störungen:� Depression
� Zwänge
� Angststörung
� Nach ausreichender Gewichtsrehabilitation!
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Neuere Aspekte in der Behandlung der
Anorexia nervosa 27
Zwang in der Behandlung
► „Helfen durch Zwang“ vs. „Schaden durch Unterlassen von Zwang“► Kein Unterschied zu freiwillig behandelten Patientinnen bezüglich des Ergebnis,
allerdings längere Behandlungsdauer zum Erreichen des Ziels 1, 2
► Im Verlauf überwiegend Zustimmung der Patientinnen zur Behandlung 1, 2
► Mehr Todesfälle (n=10/79) gegenüber n=2/78 bei den mit Zwang gehandelten Patientinnen bei Nachuntersuchung (mittlere Dauer, 5,7 Jahre nach Aufnahme) 1
► Viele Patientinnen erkennen im Nachhinein die Notwendigkeit der Behandlung an 1, 2
► Jüngere Patientinnen erleben subjektiv mehr Zwang (Guarda et al., 2007)
► Behandlung unter Zwang wurde als angemessen erlebt, wenn die Situation lebensbedrohlich war
Ramsay et al., 1999 1, Watson et al.,2000 2 , Guarda et al. 2007 ³, Tan et al. 2010 4)
Argumente gegen eine Zwangsbehandlung(Draper, 2000, Bioethics 14 (2), 120-133*)
� Betroffene sind länger krank als „üblich“ („üblich“ hier: > 1 – 8 Jahre)
� Bereits Erfahrung mit Zwangsbehandlung in der Vergangenheit
� Kompetent hinsichtlich Entscheidungen bezüglich Lebensqualität
� Verfügen über Einsicht bzgl. der Einflüsse der AN auf einige Aspekte ihres Lebens
� „are not at death´s door“
* Replik: Giordano Bioethics 17 (3), 2003
Dr. Hagenah - Vortrag am 07.11.2012 in
Marsberg
08.11.2012
Neuere Aspekte in der Behandlung der
Anorexia nervosa 28
Rechtliche Rahmenbedingungen
Bei Minderjährigen:
� Grundgesetz (GG) � Artikel 2, Artikel 104
� Kinderrechtkonvention der Vereinten Nationen (UN-KRK)� Artikel 37 b und c
� §§§§ 42 SGB VIII (Inobhutnahme) � Bürgerliches Gesetzbuch (BGB):§§§§ 1631 b
� Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG), gültig seit 01.09.2009 statt FGG
� §§§§§§§§ 151-167, §§§§ 312
� Unterbringungsgesetze der Länder (in NRW: §§§§§§§§ 10 – 20 PsychKGNRW)
� Relevant für Ärzte:� § 239 StGB (Freiheitsberaubung), � § 323c StGB (unterlassene Hilfeleistung)
Mortalität
Überlebensraten von stationär behandelten Frauen mit Anorexia nervosa in Schweden in Abhängigkeit von der Periode der stationären Behandlung (Lindblad et al., 2006)
Mortalität der adoleszenten Anorexie nervosa nach 10 Jahren:
Theander et al. 1983: 11,7%
Tolstrup 1985 6 %
Strober et al. 1997 --
Wentz et al.* 1999 --
Herpertz-Dahlmann et al. 2001 --
*Wentz et al. 2009 --
(nach 18 Jahren)
Dr. Hagenah - Vortrag am 07.11.2012 in
Marsberg
08.11.2012
Neuere Aspekte in der Behandlung der
Anorexia nervosa 29
Ausblick
► Rehospitalisierung bei adulten und adoleszenten Patienten:
– Häufigkeit: 25 – 63 %
(Herpertz-Dahlmann et al. 2001, Castro et al. 2004, Steinhausen et al. 2007)
� Tagesklinische Behandlung evtl. Alternative?
Zusammenfassung
� Diagnostik und Behandlung von Essstörungen:
� Soll frühzeitig angeboten werden
� Sollte möglichst störungsspezifisch und bei ausreichend erfahrenen Therapeut/innen bzw. an spezialisierten Zentren erfolgen.
� Sollte langfristig angelegt sein und eine möglichst hohe Kontinuität bei Wechsel des Behandlungssettings beinhalten.
� Sollte eine Normalisierung des Essverhaltens und Gewichts anstreben
� sollte im stationären Setting eine weitgehende Gewichtsrestitution (bei Kindern und Jugendlichen: 25. BMI-Perzentile) anstreben.
� Tagesklinische Behandlung möglicherweise gleichwertige Alternative
� Soll bei Kindern und Jugendlichen die Personensorgeberechtigten/ andere nahe Angehörige einbeziehen.
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Marsberg
08.11.2012
Neuere Aspekte in der Behandlung der
Anorexia nervosa 30
Fisher et al. 2010