al shatir sonnenuhr

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Page 1: Al Shatir Sonnenuhr

Die Sonnenuhren des Islam*

Es war unvermeidlich, gerade diese drei Zeitpunkte – Sonnenaufgang, Mittagskul­mination und Sonnenuntergang – als einzige leicht und genau erkennbare fur dieSalatbestimmungen1 heranzuziehen. Ebenso unvermeidlich war, daß es dadurch alsbaldzu einer sehr genauen Sonnenbeobachtung kam. Es ist mehr als nur wahrscheinlich, daßdie uberwaltigenden Fortschritte der arabischen Mathematik und Astronomie und derVorsprung, mit dem die Blute ihrer Wissenschaft jahrhundertelang auf das Abendlandheruberstrahlte, dieser rein religios motivierten Beobachtung und wohl nur ihr alleinzuzuschreiben sind. Man kann sich dem Eindruck nicht entziehen, daß die arabischenGelehrten bei dieser Forschung das geheimnisvolle Empfinden verspurten, im DiensteAllahs tatig zu sein, und zweifellos mussen sie ihr mit Leidenschaft ergeben gewesensein.

Je nach Landern und Klima sind die Salatvorschriften leichten Varianten unterwor­fen, die von einigen wenigen großen koranischen Schulen, den Medressen [arabisch,مدرسة madrasa, pl. ,مدارس madaris; turkisch medrese]2, festgelegt wurden. Die hierfolgenden Angaben stutzen sich auf die am meisten verbreitete Version.

Im Islam beginnt der Kalendertag bei Sonnenuntergang. Es hat sich aber die Ge­wohnheit eingeburgert, die Reihe der taglichen Salatgebete mit dem zuhr الظهر] ,صالةs. alat az. ­z. uhr], dem Mittagsgebet zu beginnen. Die Zeit dieses Gebets beginnt kurz nachdem Meridiandurchgang der Sonne und endet, wenn die Schattenlange eines Gnomonsdie Summe seiner eigenen Lange und der Lange seines Mittagsschattens erreicht. Esbeginnt dann die Zeit des asr العرص] ,صالة s. alat al­‘as. r], des Nachmittagsgebets, die mitdem Sonnenuntergang endet. Hier muß gesagt werden, daß entlegen lebende Glaubi­ge wie Bauern oder wandernde Beduinen den Anfang der asr­Zeit auf den Zeitpunktsetzen, an dem die Lange ihres Schattens ihre Korpergroße erreicht, d. h. wenn dieSonnenhohe auf etwa 45° gesunken ist. Es folgt das maghrib­Gebet املغرب] ,صالة s. alatal­magrib] bei Sonnenuntergang, das aber erst dann zu beten ist, wenn die ganze Son­nenscheibe unter dem Horizont verschwunden ist. Es endet, wenn die letzte Spur derAbenddammerung in der Nacht verronnen ist. In diesem Augenblick beginnt die Zeitdes Nachtgebets, isa العشاء] ,صالة s. alat al­‘isa’], dessen Verrichtung spatestens mit demAnfang der Morgendammerung beendigt sein muß, und jetzt folgt das letzte, das subh­oder Morgengebet الصبح] صالة oder الفجر ,صالة s. alat as. ­s. ubh. oder s. alat al­fagr], dessenZeit bis zum Sonnenaufgang dauert.

* Rene R. J. Rohr, Die Sonnenuhr. Geschichte – Theorie – Funktion, 1982, S. 170ff.1 s. alat (arabisch ,صالة Plural: صلوات s. alawat, im Koran: :(صلوة Das Wort s. alat ist aramaischen

Ursprungs und kommt schon in der vorkoranischen Literatur, in der arabischen Dichtung vereinzeltvor. Die Wurzel s. ­ l ­’ bedeutet im Aramaischen ”beugen“, ”krummen“, ”spannen“. Das Substantivs. elota ist davon das nomen actionis und bezeichnet die Handlung des Beugens.[1][2] Die arabische

Form des Verbs ist ,صىل s. alla = ”beten“.

[1] Theodor Noldeke, Neue Beitrage zur semitischen Sprachwissenschaft, Strassburg 1910, S. 2930.[2] A. Jeffery, The foreign vocabulary of the Quran, Baroda 1938, S. 198 – 199.[http://de.wikipedia.org/wiki/Salat_(Gebet)]

2 The word madrasah is derived from the triconsonantal Semitic root د-ر-س D­R­S ‘to learn, study’,through the wazn (form/stem) مفعل(ة) maf‘al(ah), meaning a place where X is done. Therefore,madrasah literally means ”a place where learning and studying are done“.[http://en.wikipedia.org/wiki/Madrasah]

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2 Die Sonnenuhren des Islam

Der Sonnenuntergang aber, als Trennung zwischen zwei der wichtigsten Gebete,wurde zum Hauptanlaß dafur, daß in den Landern des Islam fast alle religios motiviertenSonnenuhren, das heißt bei weitem die große Mehrheit, die italische Stundenzahlung,jedoch mit der zweimal Zwolfteilung des Tages mit Beginn bei Sonnenuntergangaufweisen. Ihr Schattenwerfer ist also ein rechtwinklig in der Mauer bzw. auf derUhrenplatte stehender Gnomon. Nicht selten zeigen aber Sonnenuhren auch die astro­nomischen, im Abendland ublichen Stundenlinien, und tragen dann einen Poloszeiger,der aber ebenfalls ein Gnomon sein kann, dessen Spitze als Einzelpunkt eines fiktivenPoloszeigers durch seinen Schatten die Indikationen vermittelt. Wegen der Wichtigkeitdes Sonnenuntergangs befinden sich diese Sonnenuhren fast stets auf der Sudwestseiteder Moscheen, so daß ihre Zeichnung sich von einer Uhr zur anderen nur in Einzelheitenunterscheidet.

Das Neuartige aber, das das abendlandische Auge in ihrem Liniennetz entdeckt,besteht in den darin enthaltenen, ungewohnten und eigenartigen Gebetskurven, aufdenen die Schattenspitze des Gnomons das ganze Jahr hindurch die wichtigsten ka­nonialen, d. i. die Gebetszeiten, vermittelt. Eine fast uberall vorhandene Kurve betrifftdas asr­Gebet. Sie durchlauft die Linienscharen von der einen Wendekreishyperbelzur anderen, und auf komplizierteren Sonnenuhren, wo ihr Vorhandensein der Klarheitdes Uhrenbildes abtraglich sein konnte, wird sie außerhalb der Uhr, aber unmittel­bar daneben, mit einem zusatzlichen Gnomon dargestellt. Meistens besteht diese furdas asr­Gebet bestimmte Nebenuhr aus mehreren, fast parallel zueinander laufendenKurven, von denen die wichtigeren durch eine Verdoppelungslinie hervorgehoben sind.

Die Salat­Gebete brauchen namlich nicht schon in dem Augenblick verrichtet wer­den, wo ihre soeben geschilderten Zeiten beginnen. Es kann dies wahrend des ganzen,ihnen zugeteilten Zeitraums geschehen, jedoch verliert ihr Verdienst an Bedeutung, jelanger innerhalb dieser Zeitspanne mit der Verrichtung gewartet wird. Es wird deshalbauf diesen speziell fur das asr­Gebet eingerichteten Nebenuhren, aber sehr oft auchauf den Hauptuhren, der Zeitraum dieses Gebets in gleiche Teile zerlegt, deren Zahlje nach der Moschee verschieden sein kann. An der Suleymaniye­Moschee in Istan­bul besteht die etwas beschrankte Zeit des zuhrGebets aus 8 Teilen, wobei die letzteKurve als Endzeit des Gebets, aber auch weil sie zum Beginn des asr­Gebets ruft,verdoppelt, also unterstrichen ist. Und im Zeitraum des asr­Gebets wiederum dienteine sogenannte zweite asr­Kurve als Hinweis auf den unwiederbringlichen Ablauf dervorgeschriebenen Zeit auch dieses Gebets.

Haufig ist auf all diesen Sonnenuhren die Bezifferung der Stunden fur den westlichenBeschauer zunachst unverstandlich. In den Vormittagsstunden kann sie umgekehrtsein, und das kommt auch bei den italischen Nachmittagsstunden vor. Auf diesenUhren werden also die noch restlichen Stunden bis Mittag bzw. bis Sonnenuntergangabgelesen. Fur die Vormittagsstunden findet sich ein solches Beispiel an der kleinenFerruh­Kahva­Moschee in Istanbul, wo auf der fur religiose Zwecke angebrachtenSonnenuhr ein Poloszeiger astronomische Stunden angibt. Die dort vorhandene, wegenihrer Wichtigkeit verdoppelte asr­Kurve, besitzt ihren eigenen Zeiger in der Form einesspitzen Gnomons, und dieser ist in der Weise angebracht, daß der Schatten seiner Spitzein dem Augenblick auf die senkrechte Mittagslinie fallt, wo die Sonne in der Richtungvon Mekka steht. Diese Richtung, die sogenannte Quiblah ,قبةل] qiblah], in die derGlaubige zur Gebetsverrichtung sein Antlitz wendet, ist auf vielen Horizontaluhrendurch einen Strich kenntlich gemacht.

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Die Sonnenuhr des Ibn ash­Shatir in Damaskus*

In einigen wenigen besonders wichtigen Moscheen sowie auch im fruheren Serail vonKonstantinopel und jetzigen Topkapi­Museum von Istanbul befinden sich hervorragendausgefuhrte Horizontaluhren mit italischen [Zahlung ab Sonnenuntergang], babyloni­schen [Zahlung ab Sonnenaufgang] und auch den uns gelaufigen astronomischen Stun­denlinien, die in einigen Fallen die herkommliche Durchschnittsgroße uberschreitenund auf einer einzigen Bildtafel gewissermaßen die ganze gnomonische Erfahrung derVolker des Islam ausbreiten. Hier mogen zwei besonders bemerkenswerte Sonnenuhrendieser Art erwahnt sein, die sich in Damaskus ,دمشق] Dimasq] und in Kairuan ,القريوان]al­Qairawan] befinden und zwar soll vor allem erstere ausgiebiger betrachtet sein. Sieliegt in der genannten Stadt auf einen Steg gemauert zu Fußen des Minaretts [von,منارة manara = Leuchtturm; im heutigen Arabisch ,مئذنة ,مئذنة mi’dana] der Omajjaden­Moschee الكبري] أمية بين ,جامع gam’ banı ’umayya al­kabır] und teilt in einer Inschrift den

Namen ihres Herstellers mit: at­Tantawi ,الطنطاوى] at.­T. ant.awı], agyptischer Astronom.Dieser lebte von 1825 bis 1889, jedoch berichtet die Inschrift ferner: Ich habe den aufder Sonnenuhr Ibn ash­Shatir’s schon vorhandenen Kurven eine weitere beigefugt usw.Von einer oder zwei Kurven abgesehen ist diese Sonnenuhr namlich die genaue Kopieeiner anderen, heute zerbrochenen, deren drei große Bruchstucke im Nationalmuse­um von Damaskus gezeigt werden, und auf denen der Name von Ibn ash­Shatir ابن],الشاطر Ibn as­Sat.ir] und ein Datum zu lesen sind: 773H [= 1372 n. Chr.]. Der Zeigerder Sonnenuhr ist ein Polos, der aber aus zwei Teilen besteht. Die Enden dieser Teilebilden Schnabelspitzen, die als Schattenspitzen gedachter Gnomone fur die Angabender Linien und Kurven dienen, die keine astronomischen Stundenlinien sind. Letzterebedecken das Zifferblatt in einem Umkreis von 180° mit je einer Stundenlinie fur 20Zeitminuten, und alle sind in Grad, also nicht in Stunden und Minuten beziffert.

Ibn ash­Shatir3 hat auf der Tafel drei Sonnenuhren vereinigt und ihre Mittagslinienauf den gleichen Meridian gelegt. Die mittlere Uhr ist bei weitem die großte. Ihr Polosdient gleichzeitig fur die sudliche Uhr, wahrend die nordliche fruher mit einem Gnomonversehen war. Form und Große dieses Gnomons sind beiderseits der sudlichen Uhrabgebildet. Zeichnungen des Polos dieser letzteren befinden sich zweimal im Nordteil

* Rene R. J. Rohr, Die Sonnenuhr. Geschichte – Theorie – Funktion, 1982, S. 173ff.3 Ibn as­Sat.ir, الشاطر ,ابن born Damascus (Syria) circa 1305, died Damascus (Syria) circa 1375, was

the most distinguished Muslim astronomer of the 14th century. He was head muwaqqit [موقت] atthe Umayyad mosque in Damascus, responsible for the regulation of the astronomically definedtimes of prayer. (David A. King in: Thomas Hockey et al. (eds.), The Biographical Encyclopedia ofAstronomers, New York: Springer, 2007, pp. 569 – 570; cf. id. in: DBS vol. 12, pp. 357 – 364 .)

Ibn as­Satir, der leitende muwaqqit an der Umaiyadenmoschee in Damaskus, hat eine horizontaleSonnenuhr von 2 × 1 m konstruiert, von der er behauptete, sie sei fur jedes der funf taglichen Gebeteverwendbar; und in der Tat ergab eine grundliche Untersuchung der verschiedenen Gruppen vonMarkierungen durch Louis Janin, daß diese den Stunden verschiedener Tagesabschnitte dienen:denen zwischen Sonnenaufgang und Mittag, denen nach Mittag und vor Sonnenuntergang sowiedem Beginn des Gebets in der Mitte des Nachmittags. Andere Punkte markieren die Zeit vorEinbruch der Nacht und den Tagesanbruch. Der Gnomon ist starr auf den Himmelspol ausgerichtet.Erst in der Spatrenaissance treffen wir wieder auf eine ahnlich ausgefeilte Sonnenuhr. (Derselbe Ibnas­Satir hat auch Planetenmodelle entwickelt, die jenen des Copernicus mathematisch aquivalentsind.) (David A. King, Aspekte angewandter Wissenschaften in Moscheen und Klostern, in: Berichtezur Wissenschaftsgeschichte 18, 1995, S. 85 – 95, hier S. 88.)

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2 Die Sonnenuhr des Ibn ash­Shatir in Damaskus

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Die Sonnenuhr des Ibn ash­Shatir in Damaskus 3

der Tafel. Der Brauch, ein fur alle Male Form und Große der Schattenwerfer durchZeichnungen auf der Uhrenplatte festzuhalten, ist in den Landern des Islam ziemlichallgemein.

Auf ihrer Westseite enthalt die kleine sudliche Uhr zwischen den normalen Stun­denlinien auch die der seit dem Sonnenaufgang vergangenen Stunden, auf der Ostseitedie noch restlichen Stunden bis zum Untergang. Die ersteren sind normal von 1 bis5 beschriftet, wahrend die letzteren ruckwarts gezahlt sind, also jeweils die Zahl dernoch ubrigen Tagesstunden anzeigen. Ganz unabhangig von den beiden Polosuhrengibt die kleine Norduhr die Temporalstunden fur Damaskus an, zu denen im Ostteilzusatzlich noch die asr­Kurve kommt. Jede der drei Uhren tragt die Aquinoktiallinieund ist von den Wendekreishyperbeln begrenzt. Aus irgendeinem Grund sind auf dersudlichen Uhr die beiden Halften der Krebshyperbel durch Geraden dargestellt.

Ebenso wie die sudliche Uhr tragt die große mittlere, die Hauptuhr, italische undbabylonische Stunden, die ebenfalls in Grad beziffert und in Intervallen von 20 Zeitmi­nuten gezeichnet sind. Genaue Gradteilungen gehen an den Wendekreisen und an derAquinoktiallinie entlang und teilen jede dieser Kurven in Zeitspannen von je 4 Minuten.Die Grunde fur dieses Streben nach erhohter Genauigkeit werden noch erlautert.

Der Ostteil der Hauptuhr enthalt eine Reihe von 7 nach außen konvexen Kurven,die sich von einem Wendekreis zum anderen erstrecken. Sie bestimmen die 6 Unter­teilungen der Zeit fur das zuhr­Gebet und die nach außen letzte meldet den Beginnder Zeit fur das asr­Gebet an. An den Mauern der Moscheen sind wir oben ahnlichenEinrichtungen auf vertikalen Flachen begegnet. Nun zieht aber eine andere Kurve queruber den ganzen Ostteil der Uhr, und hier stoßen wir nun auf ein pragnantes Bei­spiel der erstaunlichen Eleganz, mit der die Araber ihr wissenschaftliches Rustzeug zugebrauchen wußten.

Die Kurve beginnt beim Schnittpunkt der Sommersonnenwendhyperbel mit dernormalen Stundenlinie fur 1h 30m nachmittags und nahert sich in langgezogenemBogen asymptotisch dem Ende der 4­Uhr­Stundenlinie, wo eine an ihr entlanglaufendeInschrift ihre Bedeutung erlautert: Es bleiben 13 Stunden und 30 Minuten bis zumBeginn der Morgendammerung.

Der Beginn der Morgendammerung ist, wie oben gesagt, die Zeit, wo vom Minarettherab der Ruf zum subh­Gebet ergehen soll. Wie aber wird nun dieser Hinweis uberdie ganze Nacht hinweg eingehalten werden, da die Sonnenuhr mit Einbruch der Nachtkeinerlei Angaben mehr machen wird, und dieser Beginn der Morgendammerung einenZeitpunkt bedeutet, wo die Nacht erst unmerklich enden soll, die Finsternis aber vorerstnoch andauert? In Ibn ash­Shatirs Zeit gab es im Orient naturlich keine mechanischenUhren. Es gab aber seit Jahrhunderten das Astrolab, das unbestrittene Juwel unterden Erzeugnissen des menschlichen Geistes im Mittelalter. Die in der Dunkelheitverstummende Sonnenuhr wurde vom Astrolab abgelost.

In dem Augenblick, in dem die Schattenspitze des Gnomons die besprochene Kur­ve erreichte, notierte der Muwaqqit [موقت] – so hieß der mit der Bestimmung derGebetszeiten beauftragte Angestellte der Moschee4 – die von der Sonnenuhr auf denTeilungen der Aquinoktiallinie und den Wendekreishyperbeln angegebene normale

4 muwaqqit: mosque official responsible for regulating the times at which the muezzin should perform(David A. King, “On the Role of the Muezzin and the Muwaqqit in Medieval Islamic Society”, in F.Jamil Ragep & Sally P. Ragep, with Steven J. Livesey, eds., Tradition, Transmission, Transformation:

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4 Die Sonnenuhr des Ibn ash­Shatir in Damaskus

Zeit, und stellte dann die Rete des Astrolabs fur den Tag und diese Stunde ein. DieRete ist eine schematisierte Himmelskarte in stereographischer Projektion. Sie zeigtedem Muwaqqit nach ihrer Einstellung das in Wirklichkeit noch unsichtbare Bild desSternenhimmels. Wenn er sie um 13 Stunden und 30 Minuten in der Richtung derHimmelsbewegung drehte, hatte er das Bild vor Augen, das ihm am nachsten Morgenbeim Beginn der Zeit fur das subh­Gebet das Firmament bieten mußte. Die Hohen derihm bekannten Sterne konnte er dann auf der Mater des Astrolabs ablesen. Er wahltealso einen im Westen oder Osten gunstig gelegenen Stern, entnahm der Mater seinefur den angegebenen Augenblick zu erwartende Hohe und stellte die auf der Ruckseitedes Astrolabs befindliche Alidade auf diese Hohe ein und – legte sich schlafen. Amfruhen Morgen wartete er ab, bis sein Stern beim Auf­ oder Absteigen in der Abseheder Alidade erschien, und rief dann die Glaubigen zum Gebet.

Der tagliche Ubergang von der Sonnenuhr auf das Astrolabium erklart die Zeittei­lung der ersteren in Grad. Die soeben beschriebene Kurve spricht aber von Stundenund Minuten. Sie stammt nicht von Ibn ash­Shatir, sondern ist das Werk des Agyptersat­Tantawi aus dem 19. Jahrhundert. Sie ist aber lediglich eine Vereinfachung des vonIbn ash­Shatir funf Jahrhunderte fruher gebrauchten Verfahrens. Dieses bestand in zweiim Westteil der Uhr enthaltenen, nach innen gebauchten Kurven, deren Inschriften be­sagten, daß 45 bzw. 60, d. h. 3 bzw. 4 Stunden seit dem Beginn der Morgendammerungverstrichen waren. Der gesuchte Zeitpunkt war demnach hier a posteriori angegeben;der Muwaqqit mußte also im voraus die durch den Schnittpunkt der Kurve mit der Da­tumslinie bestimmte Tagesstunde feststellen und dann die datumsgerecht eingestellteRete um 45 oder 60 zuruckdrehen. Damit lieferte ihm das Astrolab genau wie im obigenFall die Sternhohen. Die Bestimmung der Datumslinie ist durch eine am Westrand derUhr angebrachte Tierkreisskala erleichtert, deren außere Teile wegen Platzmangel obenund unten auf die Enden der nachstgelegenen babylonischen Stundenlinie verschobensind.

Im Ostteil der Uhr waren in symmetrischer Anordnung zwei andere Kurven mit demHinweis gezogen, daß noch 60 bzw. 45, also 4 bzw. 3 Stunden bis zum isa­Gebet, d. h.dem am Ende der Abenddammerung falligen Nachtgebet vergehen wurden. Wiederumwird es dann vollig schwarze Nacht sein. Und abermals wird hier beim Eintreffen derSchattenspitze auf der Kurve die Rete auf Tag und Stunde eingestellt und um 4 bzw. 3Stunden – diesmal aber wieder nach vorn – gedreht und gibt dann die Sternhohe beimBeginn der isa­Gebetszeit an.

Die große Horizontaluhr der Sidi­Okba­Moschee in Kairuan ist ahnlich eingerichtet,doch bestand der langst verschwundene Polos lediglich aus einer Schnur. Vier quadra­

Proceedings of Two Conferences on Premodern Science Held at the University of Oklahoma, Leiden,New York, N.Y., & Cologne: E. J. Brill, 1996, pp. 285 – 346, at p. 286).

”Den Aufgaben des Muwaqqit entspricht besser der Titel ,Moscheeastronom‘. Er mußte die Gebets­zeiten aus den Ephemeriden berechnen und die notigen astronomischen Beobachtungen anstellen,um den richtigen Zeitpunkt festzulegen, der dann an Uhren usw. abgelesen wurde. So verfuhr manaber wohl nur an den großen Moscheen in großen Stadten. An kleineren Orten begnugte man sichmit rohen Annaherungsverfahren. Der Muwaqqit mußte vielfach selbst nach eigenen Beobachtungenneue Berechnungen anstellen. So kam er dazu, selbst Instrumente zu konstruieren und sich eingehendauch theoretisch mit Astronomie und Mathematik zu beschaftigen. Vielleicht ist der eine oder andereGelehrte ein Muwaqqit geworden, um in sicherer Stellung seinen wissenschaftlichen Neigungen zuleben.“ (E. Wiedemann, Ibn al Schat.ir, ein arabischer Astronom aus dem 14. Jahrhundert, in: id.,Aufsatze zur arabischen Wissenschaftsgeschichte II, 1979, S. 729 – 738, hier S. 730f.)

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Die Sonnenuhr des Ibn ash­Shatir in Damaskus 5

tisch aufgestellte Gnomone sind jeweils einer Kurve zugeteilt, die die Zeiten des zuhr­,des asr­ und der Nachtgebete betreffen. Auch hier war fur letztere das Astrolabiumunentbehrlich. Diese Sonnenuhr ist etwa 5 Jahrhunderte junger als die Omajjadenuhrvon Damaskus. Sie beruht auf den gleichen Grundlagen, steht ihr aber in einigem,insbesondere in der Ausfuhrung, nach und enthalt keinerlei Neuerung. Es scheint nicht,als ob auf diesem Gebiet in der Zeit nach Ibn ash­Shatir solche in Erscheinung getretenwaren.

Die Feststellung, daß in der Zeit Ibn ash­Shatirs, also im 14. Jahrhundert, der Po­loszeiger in Damaskus bekannt war und das christliche Abendland ihn erst gegenEnde des 15. Jahrhunderts kennenlernte, sollte ein fur alle Male der stets wiederkeh­renden Frage uber den Ursprung dieses Zeigers bei uns ein Ende setzen. Allerdingserschien er in Mittel­ und Westeuropa zu einer Zeit allgemeiner Erneuerung in Kunstund Wissenschaft, zu einer Zeit aber auch, in der die Turken sich endgultig in Euro­pa festgesetzt hatten. Es liegt jedoch auf der Hand, daß eine Sonnenuhr, wie die derOmajjaden­Moschee in Damaskus, niemals eine Improvisation sein konnte, sondernam Ende einer Entwicklung stand, und daß damit das Prinzip des Polos den arabischenGelehrten lange vor 1372, dem Geburtsjahr dieser Uhr, bekannt gewesen sein muß. Esist also wohl moglich und außerst wahrscheinlich, daß uns der Polos aus dem Orientgebracht worden ist.

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6 Die Sonnenuhr des Ibn ash­Shatir in Damaskus

The complex of markings consists of three sundials, there being one smaller one abovethe main one and another below it. The lower one is typical of the simplest variety ofIslamic horizontal sundial. The length of the vertical gnomon is indicated twice belowthe markings, which consist of the equinoctial and solstitial shadow­traces and linescorresponding to the 1st to the 11th seasonal hours of daylight, as well as a curve for the‘as. r. A short line perpendicular to the meridian defines the base of the gnomon. Theupper sundial bears similar basic markings (although the summer solstitial shadow­traceis approximated by straight lines) and the vertical gnomon, whose length is indicated oneach side of the markings, is about twice as long as the first. The hour­lines now servethe equinoctial hours after sunrise (before midday) and before sunset (after midday);they are extended to serve the hour markings on the larger sundial (see below). Thegnomon must be removed and replaced by a more complicated one in order to use thethird sundial. The gnomon for the main markings is trapezoidal in shape, the inclinedside being aligned so that it points towards the celestial pole. So the higher end hasthe same length and stands in the same position as the conical gnomon for the secondsundial. There are solar scales on either side of the instrument outside the outermostmarkings (see below). These are ingeniously devised so that one could read the solarlongitude to the nearest degree as the shadow falls on at least the right­hand scale. Thecomplex series of markings would confuse any but the most competent astronomer. Themarkings are bounded by the shadow traces for the solstices, and crossed by that for theequinoxes. On each of these there are scales on which each 20 minutes is subdivided into4 minute­intervals. The markings, which all bear appropriate identifying inscriptions,include the following:a) straight lines showing each 20 minutes before and after midday;b) straight lines for each 20 minutes before sunset (after midday);c) straight lines for each 20 minutes after sunrise (up till midday);d) a set of seven curves displaying each 20 minutes up to the ‘as. r, from two hours

before the prayer up to the prayer­time itself; ande) two sets of two curves showing specific times relating to morning and evening

twilight, namely, 45° and 60° after the former, and 60° and 45° before the latter, aswell as a solitary, somewhat optimistic, curve marking the time 13;30 hours beforedawn. (These curves have been studied by Denis Savoie.)In brief, the complete set of markings enables the user, in addition to following

the passage of time in equinoctial hours, to regulate time with respect to each of thefive daily prayers. This is the most sophisticated sundial known from before the lateEuropean Renaissance.

David King, Some Astronomical Instruments from Medieval Syria, in: id., In Synchrony with theHeavens. Studies in Astronomical Timekeeping and Instrumentation in Medieval Islamic Civilization,Vol. 2: Instruments of Mass Calculation, Leiden 2005, p. 714f.