98 · anten" am kursächsisch-dresdner hof erwähnt, und 1626 wird ausdrücklich...
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18.11.-21.11.99 JAHRESTAGUNG DER DRAMATURGISCHEN GESELLSCHAFT IN DRESDEN
-
VORAUSBLICK AUF DRESDEN 99: Krieg und Theater
Theaterpädagogik
Tanz als Sparte oder autonom?.
Musiktheater braucht neue Stücke
Welches Theater braucht welche Strukturen?
Workshops mit Autoren': Dirk Dobbrow/ John von Düffel/ Uwe Gössel
RÜCKBLICK AUF BASEL 98: Wie bringt man Realität ins Theater - und das Theater in die Realität?.
Gisela von Wysocki: Das Kunstwerk im Zeitalter der Baufälligkeit
Was machen Frauen im Theater heute?
Begattung der Gattungen? Beiträge von Elisabeth Schweeger, Marie Zimmermann und Maria Magdalena Schwaegermann
Herbert Achternbusch · Theodor W. Adorno · Philippe Adrien · Gilles Aillaud · Chantal Akerman
An-Ski · Renate Axt · Isaak Babel · Hugo Ball · Djuna Bames · Reinhold Batherger · Bruno Bayen
Jürgen Becker · Samuel Beckett · Ulla Berkewicz · Steven Berkoff · Josef Berlinger · Thomas
Bernhard · Paul Binnerts · Lodewijk de.Boer : Edward Bond· Dion Boucicault · Thomas Brasch
Bertolt Brecht· Hermann Broch · Cao Yu · JeancClaude Carriere · John Cassavetes · Gion Mathias
Cavelty · Bernard Chartreux · Jan Christ · Nina Companeez · Julio Cortazar · Dirk Dobbrow
Daniel Doppler · Tankred Dorst · Kurt Drawert · Wolfgang Duffner · Marguerite Duras · Werner
Dürrsou · Ursula Ehler · Günter Eich · T. S. Eliot · Ria Endres · Per Oiov Enquist · Hans Magnus
Enzensberger · Hans Eppendorfer · Jürg Federspiel · Victor Fenigstein · Hubert Fichte · Marieluise
Fleißer · Franzobel · Max Frisch· Werner Fritsch · E.A. Fronte· Federico Garcfa Lorca · Herbert
Genzmer · Elmar Goerden · Rainald Goetz · Jörg Graser· PeterGreiner · Paolo Affonso Grisolli
Christopher Hampton · Peter Handke · Gerben Hellinga · Zbigniew Herbert · Barrie Hesketh
Wolfgang Hildesheimer · Dieter Hirschberg ·Pranz Rodjak' ReinhildHoffmann · Bohumil Hrabal
Elisabeth Huppert · Hans Henny Jahnn · Jean Jourdheuil · Jarnes Joyce · Hermann Kasack · Amos
Kenan · Jeroine Kilty · Bodo Kirchhoff · Gertrud Kolmar · Klaus Konjetzky · Ronald Kosturi
Harald Kuhlmann · Lao She · Gertrud Leutenegger · Cesare Lievi · Archibald Mac Leish · Wladirnir
Majakowski · Reinhold Massag · Friederike Mayröcker · Michael McClure · Eduardo Mendoza
E.Y. Meyer · Hans Meyer Hörstgen · Hans Günther Michelsen · Martin Mosebach · Tilmann
Moser · Adolf Muschg ·Andres Müry · Hans Erich Nossack · Sean O'Casey · George O'Darkney
Joyce Carol Oates · Veronique Olmi ·Albert Ostermaier · Wolfgang Palka · Marco Antonio de la
Parra · Boris Pasternak ·Ernst Penzoldt · Heidi von Plato · Ulrich Plenzdorf · AlfPoss · Friedrich-Karl
Praetorius · Jacques Prevert · Claude Prin · Manuel Puig · Raymond Queneau · Ilma Rakusa
Gert Raue · Marie Redonnet · Gerlind Reinshagen · Rainer Mmia Rilke · Eric Rohmer · Romero
Esteo · Serge Roon · Friederike Roth · Patrick Roth · Ralf Rothmann · Christian Rullier · Nelly
Sachs· Gaston Salvatore · Rosso di San Secondo · Lesch Schrnidt · Stefan Schütz· Jorge Semprun
Rarnon Jose Sender · Bernard Shaw · Barbara Strohschein · Lukas B. Suter · Erwin Sylvanus
John Millington Synge · Tian Han · Josef Topoi · Jose Triana · UrsTroller · Thomas Valentin
Mario Vargas Llosa · Michel Vinaver · Roger Vitrac · Dieter Waldmann · Martin Walser · Dianne
Warren · Ernst Weiß · Manfred Weiß · Peter Weiss · William Carlos Williams · Stanismw Ignacy
Witkiewicz · Robert Wolf· Konrad Wünsche · Gisela von Wysocki · Xiong Foxi · Mm·ina Zwetajewa.
Suhrkamp Theaterverlag · D-60019 Frankfurt· Postfach 10 19 45 ·Telefon 069175 601-701 ·Fax 069 I 75601-711 e-mail: theater@suhrkamp.de
PROGRAMM DER DRESDNER TAGUNG
Alle Veranstaltungen Do. 18.11. ab 22.30 Uhr
finden im
Dresdner
. Stadtschloß,
Westflügel,
2. Obergeschoß,
Eingang gegenüber Hotel Kem
pinski, statt-
bis auf die vier
Workshops, die
gesellige Eröff
nung und den
Empfang der
Theaterverlage.
Gesellige Eröffnung im Restaurant des
Staatsschauspiels mit Vorstellung der
Dresdner Theaterlandschaft durch den gast
gebenden Intendanten des Staatsschauspiels
Dresden, Prof. Dr. Dieter Görne
Fr. 19.11. 10-12 Uhr
Theaterpädagogik oder Marketing? Oder:
Ziele und Formen d.er pädagogischen
Arbeit mit Theaterbesuchern. Debatte mit
Martin Frank (Theater Basel) und Brigitte
Pethier (Schnawwel im Nationaltheater
Mannheim), Sirnone Neubauer (Theater
Junge Generation Dresden), Themas Lang
(Bundesakademie Wolfenbüttel), Marlies Lei
bitzki ( Staatsschauspiel Dresden), Dr. Kristin
Wardetzky (Institut für Spielpädagogik an
der HDK Berlin).
Moderation: Anne Schäfer
Fr. 19.11. 12.30-1.4 Uhr
Die Mitglieder des Forums Junge Dramatur
gie Birgit Hüning, Petra Thöring, Jan Linders,
Peter Spuhler und die Autoren Dirk Dobbrow,
John von ·Düffel und Uwe Gössel stellen die
Stücke vor, die in den vier Workshops disku
tiert werden sollen.
Fr. 19.11. 16-18 Uhr
Welches Theater braucht welche Strukturen?
Oder: Was man für wen produzieren will,
sollte die Strukturen (die finanziellen, tarif"
Iichen, arbeitsorganisatorischen, räumlichen)
bestimmen - und nicht umgekehrt Debatte
mit Beiträgen von Eva Heldrich (Staatsschau
spiel Dresden tif), Knut Hirche (Intendant
des Kammertheaters Neubrandenburg),
Dr. Rüdiger Koch (Kulturdezernent Magde- .
burg), Otto Kukla (früher Zelt Ensemble
Theater, 1993-96 Intendanz des Tübinger
Zimmertheaters zusammen mit Crescentia
Dünsser, ab 1999 Theater am Neumarkt
Zürich), Tom Stromberg (früher TAT Frank
furt, jetzt Expo Hannover, ab 2000 Intendant
des Deutschen Schauspielhauses Hamburg) ..
Moderation: Henning Rischbieter
und Wolf Bunge
DRAMATURG 1(2 99 I Seite 1
Sa. 20.11. 10-10 Uhr
Braucht das Musiktheater neue Stücke?
Debatte mit Beiträgen von John Dew (Gene
ralintendant Dortmund), Beat Furrer (Kom
ponist). Gerhard R. Koch (Musikredakteur der
FAZ). Jens Neundorf (Dramaturg Semperoper
Dresden), Prof. Udo Zimmermann (Intendant Oper Leipzig).
Moderation: Manfred Beilharz
Sa. 20.11. 12-14 Uhr
Ästhetische Innovationen im Tanztheater
innerhalb oder außerhalb des MehrspartenStadttheaters? Debatte mit Beiträgen von
Vladimir Derevianko (Ballettdirektor,
Semperoper Dresden), EvacEiisabeth Fischer
(Tanzkritikerin, <<Süddeutsche Zeitung»),
Wiebke Hüster (Tanz-Pramaturgin und
Tanzkritikerin, «Berliner Zeitung»), Manfred
Beilharz (Generalintendant Banner Theater),
Sasha Waltz (Choreographin Berlin),
Richard Wherlock (Choreograph, Komische
Oper Berlin).
Moderation: Manfred Weber
Sa. 20.11.15-16 Uhr .
Mitgliederversammlung der Dramaturgischen ·Gesellschaft (nicht öffentlich)
Sa. 20.11. 17-19 Uhr
vier Workshops mit Autoren I
Sa. 20.11. ab 22.30 Uhr
Empfang durch die Theaterverlage im
Restaurant des Staatsschauspiels
So. 21.11. 10-12.30 Uhr
Krieg und Theater, oder: Weshalb und auf
welche Weise sollten Theater politisch sein?
Debatte mft Beiträgen von lovan Cirilov
(BITEF Belgrad), Tankred Porst (Autor), lstvan
Eörsi (Autor, Budapest), den Regisseuren Luk
Perceval [uSchlachten»), Hasko Weber (Ober
spielleiter Staatsschauspiel Dresden) und Dr.
. Helmut Schäfer (Dramaturg Theater an der Ruhr, Mülheim).
So. 21.11. 14-16 Uhr
vier Workshops mit Autoren II
EDITORIAL
Mit diesem Heft laden wir ein nach (und meinen). daß es darum gehen sollte, das
Dresden, zur Jahrestagung unserer Gesellschaft. Theater vom Zentrum her, von der lebendigen
Sie findet gleich in .der Nähe des gastgebenden Wechselbeziehung von Aufführung und Publi-.
Staatsschauspiels, nämlich vor allem im Dresdner kum her zu denken - und die «Strukturen» von
Stadtschloß, statt. Der Saal, in dem die meisten daher zu sehen, zu überprüfen, zu verändern.
Debatten vor sich gehen sollen, ist noch nicht Der Sonnabendvormittag gilt dem
perfekt wiederhergestellt- wie das Schloß ins- Musik- und dem Tanztheater. Von beidem war
gesamt. Keine schlechte Vorbedingung, denken allzulange bei den Tagungen unserer Gesell-
wir. schaft nicht die Rede. ln beiden Fällen stehen
Die Tagung hat diesmal kein übergrei- Kernfragen zur Debatte, nämlich die nach den
fendes Thema, sondern bietet einen Strauß von Gegenwarts-Werken im Musiktheater und die
Debatten über wichtige Einzelthemen. danach, wie Ballett und Tanz «Strukturell» ver-
. Der Theaterpädagogik ist der erste Teil faßt sein sollten: als Sparte oder autonom. in
des Freitagvormittags gewidmet. Die Ausgangs-· Berlin deuten sich da zwei unterschiedliche
fragen heißen: Warum leisten sich die Bühnen Zukunftslösungen an: nämlich einmal die
· Theaterpädagogen? Ihre Zahl wächst- und ihr Zusammenfassung der Tanzcompagnien der drei
Aufgabenfeld. Sind sie Anwälte des Publikums? Opernhäuser zum Berlin Ballett- und bei der
Lassen sich ihre Erfahrungen mit dem Publikum, neuen Schaubühne die Kooperation von Schau-
vor allem dem jungen, in der künstlerischen· spiel und Tanz in engem Verbund. Deshalb auch
Arbeit nutzbar machen? Gehören Theater-· die Teilnahme des Choreographen Richard
pädagogen zur Dramaturgie oder zur Öffentlich- Wherlock (Komische Oper) und der Choreogra-
keitsarbeit des Theaters? Sind sie nicht auch phin Sasha Waltz von der neuformierten
praktische Rezeptionsforscher? Und ist die Thea- Schaubühne am Lehniner Platz.
terclub-Arbeit ihr zentrales Feld? Nichts hat die intellektuelle Diskussi-
Bei den bewährten Workshops mit on der letzten anderthalb Jahre so sehr bewegt,
jungen· Autoren werden diesmal gleich vier erregt wie der Balkan-Krieg. Die Kampfhandlun-
Stücke vorgestellt und mit den Autoren disku- gen sind vorbei. Es erscheint an der Zeit, die
tiert: Stücke von Dirk Dobbrow, John von Düffel, Debatte aus der Aktualität ins Grundsätzliche
Tom Etchells und Uwe Gössel. und Theaterspezifische zurückzulenken. Das soll
Bei der Vorbereitung des Themas am Sonntagmorgen versucht werden.
«Welches Theater braucht welche Strukturen?»
(Freitagnachmittag) gab es im Vorstand unserer
Gesellschaft lange Diskussionen. Sie drehten sich
urri die Frage: Wie läßt es sich vermeiden, daß
die vielberedeten «Strukturen» nicht von vorn
herein als übermächtig erscheinen? Wir. meinten
DRAMATURG 1/2 99 I Seite 2
Manfred Beilharz
Henning Rischbieter
THEATERSTADT DRESDEN
Von Dieter Görne
1586 werden erstmals professionelle
.. Instrumentalisten, Tänzer, Sänger und Komödi
anten" am Kursächsisch-Dresdner Hof erwähnt,
und 1626 wird ausdrücklich festgehalten,dass
eine englische Truppe die höfische Gesellschaft
mit dem Schauspiel .. Der bestrafte Brudermord
oder Prinz Harnlet von Dänemark" unterhielt.
Und wenn auch in den folgenden Jahrhunderten
eher die Entwicklung der Oper im Zentrum des
öffentlichen Interesses stand, so sollte nicht
übersehen werden, dass im Lauf der Jahrhunder
te bedeutende Persönlichkeiten wie Magister
Velten und die Neuberin, Gottfried Heinrich
Koch, Abel Seyler, Ludwig Tieck und Karl Guti
kow, Eduard Devrient, Georg Kiesau und Erich
Ponto - um nur einige zu nennen - maßgeblich
dazu beitrugen, den Ruf Dresdens als Kunst- und
Theatermetropole weit über die Grenzen
Deutschlands hinaus zu begründen und zu festi
gen.
Die gegenwärtige Dresdner Theaterlandschaft
wird bestimmt durch
- ilie Sächsische Staatsoper (1.309 Plätze)
und die .. Kleine Szenen (99 Plätze),
- das Staatsschauspiel Dresden
(mit 4 Spielstätten und
insgesamt 1.200 Plätzen),
- die Staatsoperette (631 Plätze),
- das Theater Junge Generation (350 Plätze),
· - die Landesbühn'en Sachsen (438 Plätze),
- die Komödie (643 Plätze),
- das Societätstheater (220 Plätze),
- das Dresdner Brettl (216 Plätze) und
-das Kabarett Herkuleskeule (230 Plätze).
Im Kulturpalast (2.433 Plätzelfinden
die Konzerte der Dresdner Philharmonie und
regelmäßig Gastspiele statt, in Hellerau, im
Theater 50, im Projekttheater und in mehreren
anderen Spielstätten stellen sich Projektkünstler,
Performer und freie Gruppen ihrem Publikum.
Das Angebot ist also ungemein reich - die .. Kon
kurrenz" erheblich. Dass sich dennoch die Inten
danten aller Dresdner Theater nach wie vor
zunächst als Partner begreifen und gemeinsam
beraten, wie den allbekannten organisatorischen,
strukturellen und finanziellen Problemen, von
denen auch Dresden nicht frei ist, beizukommen
sei, muß ausdrücklich hervorgehoben werden.
Dabei spielt die unterschiedliche Rechtsträger
schaft nur eine untergeordnete Rolle. Während
die Sächsische Staatsop·er, das Staatsschauspiel
und die Landesbühnen Sachsen Einrichtungen
des Freistaates Sachsen sind, befinden sich alle
anderen Ensembles in der Obhut der Stadt Dres- ·
den, wobei wenigstens erwähnt werden muss,
dass z. B. die GmbH Herkuleskeule und das Thea
ter Brettl e. V. mit wesentlich geringerer städti
scher Förderung leben müssen als die anderen
Theater. Trotz unterschiedlicher und wechselnder
Auslastung der einzelnen Häuser und Inszenie
rungen kann grundsätzlich festgehalten werden,
dass jedes der Dresdner Häuser .,sein" Publikum
erreicht und von diesem Publikum angenommen
l'lird. Erfreulich selbstverständlich wird nach wie
. vor kollegial zusammengearbeitet- das gilt für
Gastspiele einzelner Künstler an anderen Dresd
ner Häusern ebenso wie für gelegentlichen Aus
tausch im materiell-technischen Bereich.
Das sächsische
Ku I tu rrä u me-Gesetz
Staatsoper, Staatsschauspiel, Staats
operette, die Landesbühnen Sachsen, das Theater
Junge Generation und die Herkuleskeule arbei
ten jeweils mit fest und längerfristig engagier
ten Ensembles. Hinzu kommen natürlich Gäste,
die als Regisseure, Dirigenten, Bühnenbildner
oder als Solisten dazu beitragen, dass sich Dres
den auch über seine Grenzen hinaus in der deut
schen und europäischen Theaterentwicklung zu
behaupten vermag. Im engeren Umfeld des Frei
staates Sachsen existieren neben den Dresdner
Theatern nicht nur in den Großstädten Leipzig
und Chemnitz, sondern von Annaberg bis Zittau ·
-vor allem in kleineren Städten -Theater, die
ihrem Publikum sowohl Schauspiel- als auch
DRAMATURG 1/2 99 I Seite 3
ln diesem Jahr tagt die Dramaturgische Gesellschaft in Dresden, auf Einladung des Dresdner Staatsschauspiels. Hier ein Panorama der Dresdner Theaterlandschaft. Sie wird mündlich vorgestellt bei der geselligen Eröffnung der Tagung am Donnerstag, 18. November ab 22.30 Uhr.
.
Es lohnt die Neugier auf leitstücke brandaktuell, im genauen Sinn des Wortes FEUERUND FLAMME von Murat Ye9iner ]ACARANDAS ODER DIE BELAGERUNG von Fred Liptow
Trogikomilche Duette Infights für ein Schauspielerpaar Im Monat Informieren Sie als Erstejr über
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KIOlliker neu in präzisen Übersetzungen fürs Theater EIN MITTSOMMERNACHTSTRAUM von Shakespeare".., AMPHITRYON, DON }UAN, DER GEIZIGE, GEORGE DANDIN, DER EINGEBILDET KRANKE ua V. Moliere
Hn Klßlliker de!lO. Jahrhundert!: S t .I. W i t k i e w i c z Diese Dramatik wurde noch nicht zu Ende enträtselt die Theater, Zuschauer und Kritiker können dabei noch viel entdecken. (LSok61)
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ERNST BARLACH
Die echten Sedemunds
PETER FLANNERY
Singer
LILLIAN HELLMAN
Die kleinen Füchse ·
}OHN HOPKINS
Diese Geschichte von Ihnen
DOUG LUCIE
Im Trend
RONA MUNRO
Übermütige Mädchen
TOM STOPPARD
Rosenkranz und Güldenstern sind tot
ERIC BOGOSIAN ·suburbia
HERB GARDNER
Ich bin nicht Rappapart
KERSTIN HENSEL
Grimma
IVAN KLiMA
Der Meister
DAVID MAMET
Hanglage Meerblick
}OHN 0SBORNE ·
Blick zurück im Zorn
ARNOLD WESKER
Die Küche
DRAMATURG l/2 99 I Seite 4
CARYL CHURCHILL
Herz so blau
GERT HEIDENREICH
Der Wechsler
MARGARETE HERDJECKERHOFF
Auf bald- Am Alexanderplatz!
HowARD KoRDER
Niemand versteht Spaß
PATRICK MARBER
Hautnah
MICHAEL SEYFRIED
Reinschlagen
TENNESSEE WILLIAMS
Aber nichts von Nachtigallen
Musiktheater anbieten. Dass dies bis jetzt mög
lich war, ist wesentlich dem 1992 verabschiede
ten" Gesetz über die Kulturräume in Sachsen" zu
danken. Das Gesetz legt in § 2 fest, dass .. im
Freistaat Sachsen ... die Kulturpflege eine
Pflichtaufgabe der Gemeinden und Landkreise"
ist. Spezielle "Kulturräume" sind verantwortlich
für die Unterstützung der "Träger kommunaler
Kultur bei ihren Aufgaben von regionaler
Bedeutung, insbesondere bei deren Finanzierung
und Koordinierung': Um diese Aufgabe lösen zu
können, legt§ 6 fest: "Es wird ein Kulturkosten
ausgleich vorgenommen. Die Kulturräume erhal
ten zur Förderung der Kulturpflege Zuwendun
gen des Freistaates Sachsen nach Maßgabe des
jährlichen Staatshaushaltsplanes ... , mindestens
jedoch 150 Mio. DM': Mit diesem Gesetz. sind
natürlich keineswegs automatisch alle Probleme
gelöst worden.
Auch in Sachsen haben Theater und
Orchester fusioniert bzw. befinden sich einzelne
Ensembles (z. B. in Plauen und Zwickau) in der
eine solche Fusion vorbereitenden schwierigen
Diskussion. Aber es steht außer Zweifel, dass die
den Kommunen auferlegte Pflicht, Kultur c also
auch die bestehenden Theater -zu fördern, ent
scheidend dazu beigetragen hat und beiträgt,
schlimmere und anderswo durchaus Realität
gewordene Entwicklungen zu verhindern. Dass
gegenwärtig gerade im Haushalt der Stadt Dres
den Sparzwänge in Millionenhöhe entstanden
sind, mag verdeutlichen, wie schmal der Grat ist,
auf dem Entscheidungen gefällt werden müssen.
Das Staatsschauspiel
Für das Staatsschauspiel Dresden sind
1998 Einzelhaushalte für 1999 und 2000
beschlossen worden. Dadurch ist es möglich,
dass auch künftig das etwa 45 Schauspielerin
nen und Schauspieler umfassende Ensemble in
den Spielstätten Schauspielhaus, Schlosstheater,
Theater Oben und Theater in der Fabrik parallel
spielen kann. Mit jeder unserer Inszenierungen
unternehmen wir den Versuch, Konflikte und
Widersprüche der uns umgebenden Wirklichkeit
aufzugreifen und mit allen dem Theater zur Ver
fügung stehenden Kunstmitteln zu gestalten
und damit zur öffentlichen Debatte zu stellen.
Natürlich sind für die Spielplangestaltung im
Detail die unterschiedlichen Räume unserer
DRAMATURG 1/2 99 I Seite 5
Foto Hans Ludwig Böhme
Spielstätten von ausschlaggebender Bedeutung.
Die etwa 800 Besucher im "Guckkastentheater"
Schauspielhaus gehen mit anderen Erwartungen .
in die Vorstellung als die 200 Besucher im
Schlosstheater, die inzwischen bereits aufregen
de Erfahrungen mit einem Raum gesammelt
haben, der ursprünglich nicht für Theater konzi
piert war, Das bezieht sich nicht allein auf den
Umfang und die inszenatorisch-optische Umset
zung der' Stücke, sondern vor allem auf ihre
Inhalte. Die Entscheidung, in der Spielzeit ·
1999/2000 im Schlosstheater ausschließlich
Werke des' 20. Jahrhunderts, vor allem des aus
gehenden, zu spielen, hängt damit aufs Engste
zusammen. Das gilt in gewisser Weise auch .für
die Inszenierungen, di.e im "Theater Oben" für
99 Besucher, vor allem aber für die, die im Thea
ter in der Fabrik (TIF) geplant sind. Das Theater
in der Fabrik (gegründet 1993!) ist organisato
risch Bestandteil des Staatsschauspiels, aber was
das künstlerische Profil im Einzelnen anlangt,
völlig autonom. Aus dem Budget des Staats
schauspiels steht eine fest verabredete Summe
für die Arbeit des Theaters in der Fabrik zur Ver
fügung, über deren Verwendung ausschließlich
die Leitung des Theaters in der Fabrik entschei
det. Dass im organisatorischen und technischen
Bereich die Verbindungen zum Staatsschauspiel
außerordentlich eng sind, versteht sich. Auf
diese Weise wurde es möglich, über nun schon
mehrere Jahre hinweg ein spezielles Programm
zu etablieren, das vorwiegend das Interesse
jUgendlicher Besucher gefunden hat. Insgesamt'
haben in den Vergangenen Spielzeiten in jeweils
ca. 600 bis 650 Vorstellungen durchschnittlich
130.000 bis 160.000 Besucher die 20 bis 22 In
szenierungen gesehen, die das Staatschauspiel
Dresden in jeder Spielzeit herausbringt.
Prof. Dr. Dieter Görne, 1936 geboren, studierte 1955 bis 1958 in Leipzig (u. a. bei Hans Mayer und Ernst Bloch); er arbeitete als Dramaturg und Chefdramaturg u. a. in Anklam, Weimar, Chemnitz und am Staatsschauspiel Dresden in den achtziger Jahren. 1990 wurde er dessen Intendant, 2001 geht er in den Ruhestand; seine Nachfolge in Dresden tritt dann Holk Freytag vom Schillertheater NRW an.
DIE WOHLTAT DES UNZEITGEMÄSSEN Schillers "Wallenstein" heute oder: der Dreissigjährige und unser Krieg
Von Heike Müller.-Merten
«Krieg und Theater oder: weshalb und auf welche Weise sollte Theater politisch sein ?n heißt das Thema der Dresdner Debatte am Sonntagvormittag, 21. Nov. Als
, einen vorbereitenden Beitrag dazu sollte man die Arbeitsberichte der Dresdner Dramaturgen auf dieser und den folgenden Seiten lesen, zugleich als Arbeitsbeispiele aus der Dresdner Dramaturgie.
1.
Seit zwei Jahren beschäftigt uns
Schillers «Wallensteinn. Uns, das meint vor allem
eine Generation, die den Krieg nicht kennt
(Nicht am eigenen Leibe jedenfalls. Man hat Bil
der gesehen und sich ein Bild gemacht Vom
Fernsehen, aus der Literatur.) Und wir unter
suchten die gesellschaftlichen und privaten
Lebensbedingungen literarischer Helden, ent
stammend einer Generation, die den «Frieden nie
gesehen hat». Jener Krieg war permanent, in ihn
verwoben zugleich ein Religions-, ein Reichsverc
fassungs- und ein europäischer Staaten bildungs
krieg. Den Jungen, die sich unschuldig in ihn
hineingestellt sahen, schien es unmöglich, die
wechselnden Frontverläufe in den notorisch
wechselnden Kriegslagern rational zu erfassen.
Thomas Mann rühmte die «europäische Optik
und universelle Übersiehin des.epochalen Wer-.
kes.
Über historischen Draufblick verfügen
350 Jahre nach Ende des Krieges nur die Nach
fahren. Die Beteiligten aber erlitten ihn ...
Thekla zum Beispiel lernte hinter
Klostermauern ausschließlich eine Bücherweit
kennen, ehe sie mit fliegenden Schritten die
«bunte kriegerische Bühnen erstürmte, hoffend,
darauf ihre Träume vom Abenteuer Leben ein
zulösen.
Aber die Weit, die sie vorfindet, lehnt
sie ab, kaum dass sie mit ihr in Berührung kam.
Wenn der erste Schritt getan ist, weg von der
Lager-Feuerromantik auf das politische Parkett,
wenn sie in den fürsorglichen Augen der Tante
das politische Kalkül entdeckt hat, im Vaterstolz
den Machtanspruch, in der Heldenriege der
Generäle die kriminellen Halbweltler, dann ist
sie, aus dem Traum erwacht, hart auf dem Boden
der Wirklichkeit gelandet
Oberst Max Piccolomini, ein Kind des
Krieges durch und durch, befand sich bislang mit
den Vorstellungen seines ideellen Vormunds
DRAMATURG 1/2 99 I Seite 6
Wallenstein in absoluter Ubereinstimmung; er
erleidet durch die bloße Wahrnehmung fried
licher Landstriche einen Kulturschock. Die
Erkenntnis, dass der «Zweck des Krieges nicht
der Krieg sein kannn, und die Erfahrung der
Liebe als Alternative zersetzen seine bisherige
Weltanschauung, machen ihm «die Wirklichkeit
zuni Traumn.
Mit einem Schlag sind sie aus der Zeit
gefallen, Max und Thekla, Schillers erdichtete
Gedanken-Kinder, und es gibt für sie keinen Ort
Nirgends. Sie fliehen von der Bühne der
Geschichte in den Tod. Hier bleiben sie ihrem
Anspruch, also sich selber treu.
Davon zu .erzählen, war Programm.
Auch das Riskieren eines anachronistischen
Blickes auf die politischen Umtriebe in den Hin
terzimmern der Macht Das moderne zeitgenös
sische Drama spart die politische Königsebene
aus, Globalisierung ist nicht dramatisch verwert
bar. (Dieses Sujet bleibt bis auf weiteres dem
amerikanischen Breitwandfilm überlassen, «JF.K.n
und «Pate 1-llln.) Haupt- und Staatsaktionen
taugen grad noch Schlingensief zur Spielwiese
seiner begreiflichen staatsbürgerlichen Frustra
tionen. Schillers Intrigenplot von dem Feld
herrn Wallenstein und seiner Generalität
bestätigte unsere bis zu diesem Zeitpunkt
gewonnenen Erfahrungen. Es vermochte unsere
Befürchtung.zu erneuern, dass. der rettende
Held, das handelnde Subjekt der Geschichte,
wieder nur ein Ästhet derMacht ist, ganz dem
Typus des politischen Abenteurers entsprechend,
nach der Totalität aller Machtmittel strebend,
und ((dem es um nichts zu tun)) ist, uals nur am
Platz zu bleibenn. (Lacher.)
Wie oft hatten die Völker Europas in
den letzten Jahrhunderten einen Tatmenschen
herbeigesehnt und herbeigewählt, der sich mit
keinem andern Legitimitätsanspruch als dem
eines begabten Einzelkämpfers zur Führerper-
sönlichkeit aufschwingt- und damit oftmals erneut zu «alten modrigten Papieren" ins Archiv.
gleichermaßen Begeisterung wie Schrecken her- «Kein Staat soll sich in die Verfassung
vorruft? und Regierung eines andern Staats gewaltthätig
Albrecht Wenzel Eusebius von Wallen- einmischen. Denn was kann ihn dazu berech-
stein muss immerhin zugute gehalten werden, tigen?11
dass er sein politisches Handeln in den Dienst Eine geradezu subversive Frage, die
einer höhern Idee zu stellen gewillt war. Zum in- keiner stellte. «So lange der innere Streit noch
dest der Dichter Schiller bemühte sich in einer nicht entschieden ist, würde diese Einmischung
späteren Arbeitsetappe darum, dem verbrecheri- [ ... ] die Autonomie aller Staaten unsicher
sehen Charakter der historischen Person tragi
sche Züge abzugewinnen. Indem er der literari
schen Figur den fürs dramatische Überleben
notwendigen Widerspruch erhielt, machte er den
Charakter Wallenstein bühnenfähig.
Der Sternenglaube musste die Funktion des Orakels erfüllen; Wallensteins Schicksal
orientierte sich fernerhin an der erhabenen
Unentrinnbarkeit der Griechischen Tragödie, die
Ziele des Politikers Wallenstein standen solcher
art mit dem Weltganzen in Beziehung.
Immerhin. Denn woran glauben die.
geschichtemachenden Subjekte heute? Gewin"
nen die Helden des Tages überhaupt Konturen,
so ohne Format?
So war es erhellendes und enthüllen
des Vergnügen, im alten Text Erfahrenes, Erleb
tes· bestätigt zu bekommen. Zumal im Diskurs
mit einem Regisseur, der nicht zuletzt deshalb ·
Theater macht, weil er die Tagesschau nicht
erträgt.
2. Dann die Erschütterung über den
NATO-Krieg im Kosovo. Der Bürgerkrieg hatte
wegen seiner Permanenz kein Gemüt mehr.
erregt. Aber die NATO und mit ihr Deutschland
im Krieg? Lässt sich ein unberechenbarer. Machtmensch davon beeindrucken? Wie reagiert Jel
zin? Oder läuft ihm die Sache in die Farbe? Was
tut um HimmelsWillen die Regierung? Was sol
len wir tun? Was können wir tun? Getreu allen
christlichen und Tolstoischen·Grundsätzen erst
mal Abgeben, nicht gerade Teilen, aber wenig
stens Spenden. Schon gemeinsame Resolutionen
klappen nicht. Wer will in den ersten Tagen nach
dem NATO-Eingriff über Recht und Unrecht
richten. Meinungsstreit Unversehens war man
herausgerissen aus den schöngeistigen Gedanken
zur ästhetischen Erziehung des Menschenge
schlechtes. Kants Utopie vom. Ewigen Frieden
(1795!!), zuoberst auf dem Schreibtisch, konnte
DRAMATURG 1{2 99 I Seite 7
machen." Der Text bleibt auf dem Schreibtisch,
so viel war klar. «Es soll sich kein Staat im Kriege
mit einem andern solche Feindseligkeiten erlau
ben, welche daswechselseitige Zutrauen irri
künftigen Frieden unmöglich machen müssen.
Denn irgendein Vertrauen auf die Denkungsart
des Feindes muss mitten im Kriege noch übrig
bleiben, weil sonst auch kein Friede abgeschlossen werden könnte, und die Feindseligkeit in
einem Ausrottungskrieg ausschlagen würde."
Man möchte die Sätze Schillers, die er dem nach
Frieden süchtigen Krieger Max in den Mund legt,
gleich im Anschluss sprechen: «Denn hört der
Krieg im Krieg nicht schon auf, woher soll Friede kommen?))
Und das ausgerechnet der staatstreue
und konservative Gegenspieler Octavio maßvoll
zu bedenken gibt: «Laß uns die alten engen Ord
nungen gering nicht achten, denn immer war
die Willkür fürchterlich!..."
Wie von heut auf morgen Worte
anderen Sinn ergeben. Schiller blieb im Hirn und
im Blutkreislauf, aber jetzt suchten und fanden
Schauspieler und Dramaturgen Texte zur Lage,
kein leichtes Unterfangen. Vor dem Treffen
schneller Wertungen Lektüre von europäischen
Literaturzeitungen, Lesen bei Historikern, Gesell
sehaftswissenschaftlern und Politologen. Der Wunsch nach objektiven Beschreibungen: Dazwi
schen die Handke-Debatte. Das Debakel um das
«Stück zum Film vom Krieg11. Hat man die Ver
antwortung, als Theater «politisch" zu reagieren, die Rolle als öffentliche Institution zu nutzen
oder sich «nur" privat staatsbürgerlich zu verhal
ten? Wie oft kann man aus RoHen heraustreten?
Politisches Theater. Was ist das? Doch nicht das
Stück von Handke! Erst einmal eine Matinee zur
Lage. So früh? fragen DPA und ADN. Sie berich
ten umgehend. Deutschlandradio beglück
wünscht uns als erstes Theater, das sich verhält.·
Was soll man zu dieser Note sagen? Die größte
Sächsische Tageszeitung «vergisst» die Meldung.
Heike Müller-Merten ist Chefdramaturg in des Dresdner Staatsschauspiels und arbeitet als Produktionsdramaturgin mit ail der Dresdner Inszenierung von Schillers «Wallenstein)). Der erste Teil der Inszenierung Hasko Webers hatte am 11. September Premiere, der zweite Teil folgt am 26. November. Der Regisseur nimmt an der Debatte über 11Krieg und Theater» am Sonntag, 21. November, teil.
ln Hasko Webers
Dresdner Inszenie
rung von Schillers
"Wallenstein" spielen:
Thomas Eisen
{Max Piccolomini},
Albrecht Goette
{Octavio Piccolomi
. ni}, Dieter Mann
als Gast vom
Deutschen Theater
{Wallenstein}
und Günther Kurze {Götz}.
Bühne
Mathis Neidhardt,
die zeitgenössischen
Kostüme entwarf
Ute Noack
Foto
Hans Ludwig Böhme
(Noch ist nicht klar, wohin das Pendel der offizi
ellen Meinung ausschlägt. Scharping kontra Gysi
vor de.m Bundestag.) ln den «Wallensteinll-Pro
ben beschließen wir, Handkes Stück den Interes
senten in einer Lesung zugänglichzu machen.
Das ist nur fair; als Abiturienten wollten wir
auch Rudolf-Bahro-Texte erst einmal kennen
lernen dürfen, bevor sie im ND verteufelt wur"
den. Apropros Bahro: «Es gibt keine andere posi
tive Möglichkeit als den Versuch, den Gegner
mitzuerlösen, den Wolf zu umarmen." Ach. Das
wäre ein Weg gewesen, Jahre vorher, bevor
Milosevic sich mit dämonischer Pose ins Abseits
manövrierte. «Denn hört der Krieg im Kriege
nicht schon auf, woher soll Frieden kommen?»
tickt Schiller im Kopf weiter. Nachts Dispute
über das «Lager». Wie kann das auf die Bühne
kommen?
Natürlich hat Botho Strauß Recht,
wenn er in seiner Büchnerpreisrede 1989 vor der
Lächerlichkeit warnt, «den Jeep in Wallensteins
Lager vorfahren zu lassen». Aber die gängigen
Kriegsgenrebildehen daherknitteln zu lassen,
wäre angesichtsder Ereignisse auch pervers. Das
Lager ist Wallensteins Schöpfung, die Ausgeburt
seines Unternehmerehrgeizes. Schließlich war er
der Schöpfer eines der ersten stehenden Mas- .
senheere in der Weltgeschichte, ein Kriegsunter
nehmer und Finanzgenie, wie Alfred Dö.blin ihn
in seinem 1919 erschienenen Roman schilderte.
Was war das Lager, ist das Lager?
«Noch gar nicht war das Heer» vor
Wallenstein - ein bunter Haufen Menschen ohne
soziale Bindung, ohne g~sellschaftliche Perspek
tive, aber mit Gefolgschaftstreue. (Das Lager als
«Schattenbühne11 der Macht und als Betäti
gungs- und Bestätigungsfeld entrechteter und
frustrierter Abenteurer: «Der dem Tod ins Ange
sicht schauen kann -der Soldat allein ist der
freie Mann." Die Vieldeutigkeit des Freiheitsbe
griffes, frei sein ccvon)) statt frei sein ufür)).)
Und die Vorgänge im Lager?
Allgemeine Mobilmachung als Flucht
nach vorn; Konstitution eines Gemeinwesens
durch das Ausgrenzen von Sündenböcken. Her
stellen einer Einstimmigkeit, die 'in ihrer Instabi
lität die Gefahr des Bürgerkrieges aufblitzen
lässt.
(Fünf Akte später konstatiert der
scharfsichtige Doppelagent Octavio die aktuelle
Situation: «Der bürgerliche Krieg entbrennt, der
·unnatürlichste von allen.») Da fällt wieder
Enzensberger in die Debatte, der reibt uns, 1995,
«die molekularen Bürgerkriege vor unserer Haus
tür unter die Nase», um die wir uns zu kümmern
verpflichtet sind, bevor wir uns in die hundert
fachen ethnischen Konflikte der Weit einmi
schen. Aber wir sind schon mobil gemacht! Ohne
etwas getan zu haben. Und hier gewinnt der
Gedanke Gestalt, das Lager zivil zu erzählen.
Bürger im Krieg. Männer, Frauen, Händler, Aben
teurer, die Kirche. Die Bürgerwehr als Söldner
heer. Die Uniformierung ergibt sich aus dem
Vorgang der Gleichschaltung. Schillers Versec
hier in übermächtige elektronische Klangstruk
turen eingebunden -fordern Form. Schließlich
ist die im Prolog gegebene Empfehlung Spielan
leitung und philosophisches Programm zugleich: Der Muse dafür zu danken, dass sie ·
« ••• das düstre Bild
Der Wahrheit in das heitre Reich der Kunst
Hinüberspielt, die Täuschung, die sie schafft,
Aufrichtig selbst zerstört und ihren Schein
Der Wahrheit nicht betrüglich unterschiebt.>>
3. Es wurde weder gesitzstreikt noch
machte sich das Ensemble auf den Weg nach ·
Pristina, um etwa vor Ort beim Hilfsgütervertei
len Studien zu treiben. Wir haben auch nicht
den Spielplan geändert, um M[losevic-Reden
oder Karadzic~Lyrik mit Theatertexten der Spät
moderne zu verschneiden. (Das ist eine andere
Möglichkeit.) Wir sind ohne schlechtes Gewissen
im unverschämt schön restaurierten Dresden
geblieben, nicht um unsere oft als moralische
Anstalt glossierte Bühne vor Übergriffen der
Realität zu retten, sondern um den Erfahrungen
der Wirklichkeit, die sich nicht realistisch abbilden lassen, in einer Slapstick-Tragödie Ausdruck
zu verleihen. (Adolf Dresen verwies in seiner bit
teren Rede zu den diesjährigen Schillertagen auf
die Störfälle der «mechanischen Systeme»,
«deren Ordnung trächtig ist von Chaos, ihre Frei
heit, dass sie nicht funktionieren oder dass sie
kaputtgehen.» [ ... ] «Die Dinge, vom Menschen
kolonisiert. unter Kontrolle gebracht, proben den
Aufstand, haben ihren eigenen Kopf, ihren ver
queren· Willen, verhöhnen die Macher.» Und:
«Wer dächte dabei heute nicht an den
Krieg im Kosovo? Bomber, einst gemeint als
Bringer von Humanität, verwandeln sich in flie
gendes Entsetzen, und was im Namen des Rechts
begonnen wurde, grinst uns an. als grausige Rea
lität.»
So gesehen haben die Bomber direk
ten Einfluss genommen auf unsere Inszenierung,
in der es um das Recht und die Notwendigkeit
des Individuums auf nationale Gemeinschaft .
geht und dem dazu im Widerspruch stehenden
Naturrecht des (starken) Individuums, das·die ·
totale Freiheit beansprucht. Naturrecht. Bürger
Iecht. Staatsbürgerrecht Die Hoffnung, durch die Anhäufung
aufklärerischen Wissens mittels eines Vernunfts
staates zur Freiheit zu gelangen, war an Schillers
ernstem Jahrhundert-Ende schon ausgeträumt
«Die Kultur, weit entfernt, uns in Frei
heit zu setzen; entwickelt mit jeder Kraft, die sie
in uns ausbildet, nur ein neues Bedürfnis; die
Bande des Physischen schnüren sich immer
beängstigender zu, so daß die Furcht, zu verlie
ren, selbst den feurigsten Trieb nach Verbesse-
rung erstickt und die Maxime des leidenden
Gehorsams für die höchste Weisheit des Lebens
gilt. (Und es ist bloß das Gleichgewicht des
Schlimmen, was ihm - «dem Zeitgeist- zuweilen
noch Grenzen setzt.»)
Schillers Konzept, die Vereinigung der
dualistisch verstandenen Wesenheiten Natur und
Vernunft im Menschen zu bewirken, um über
den Umweg der ästhetischen Erziehung des
Menschen den Staat und mit ihm das mensch
liche Gemeinwesen zu verändern, scheint uns
heute jedoch nicht so unzeitgemäß. Denn wir haben keine andere Wahl als jene, dass man «um
jenes politische Problem in der Erfahrung zu
lösen, durch das ästhetische.den Weg nehmen muss ... ». Ästhetische Erziehung als Lernform der
Freiheit. Wobei Freiheit hier ein Absolutes meint,
wie auch der Frieden bei Kant.
Nicht die ·Freiheit, die den Söldner in
seiner Bindungslosigkeit umso enger an ein (nie
deres) Ziel knüpft, nicht die Freiheit als maxima-.
len Handlungsspielraum eines machtbesessenen
Politikers zur Unterdrückung einer Minderheit,
sondern die Freiheit, die sich ergibt aus dem
Gleichgewicht zwischen dem Ausleben der phy-. sischen Natur im Übereinklang mit den Anforde
rungen der Vernunft. Oder wären wir, die jetzt
Geschichte machen, verurteilt zu demütigem
Verharren in staatsbürgerlicher Unmündigkeit,
die Befehle eines selbst ernannten Souveräns
stillschweigend goutierend?
Schillers unzeitgemäßes Konzept, eine
Wohltat für alle, die nicht vorhaben, sich per
Flucht von der Bühne der Geschichte zu entfer
nen. Die nicht in der als unveränderliche Schick
salsmacht empfundenen Politik erstarren wollen.
Die sich nicht gefallen wollen in kulturpessimi
stischen Posen. Dann lieber aufklären. Moralisie
ren. Es lebe die moralische Anstalt. Politisches
Theater mit Schiller. Auch wenn man damit
nicht in TdZ kommt. (Dafür müsste man mit
einem roten Stern an der Kappe auf einem Rui
nenfeld posieren oder auf der Luftlinie zwischen
TdZ-Redaktion und Volksbühne liegen.) .
Nun allerdings geht es in die Mühen
der Ebenen.
Zwei 17jährige Theaterbesucher fra
gen mich bei einem Proben besuch, was eine Marketenderin ·sei, und gestehen kleinlaut,
nichts von dem Krieg zu wissen ...
Jenem?
DRAMATURG 1/2 99 l Seite 10
RAINALD GOETZ .. KRIEG" ..
EIN STUCK DER ACHTZIG ER-JAHRE?
Von Frederik Zeugke
in Kriegszeiten, erfuhr, dass in Dresden Rainald
Goetz' Krieg-Trilogie aufgeführtwerden soll,
reagierte er äußerst skeptisch. Ob das noch
jemanden interessiere, der Text aus den achtzi
ger Jahren sei doch schon so alt?- Ich habe
nicht gehört, was er über Schillers "Wallen
stein"-Trilogie dachte, die bei uns parallel dazu
in derselben Spielzeit inszeniert wird.
"Freilich am liebsten ein großer
Gegenstand aus der Geschichte", lautet eine
Unterzeile in dem Text von Rainald Goetz. Der
Titel der Szene: "Die Bühne': ln diesem Bild wird
in martialischer Weise das gesamte Theater in
Brand gesetzt, das Krieg spielte. Die Darstellung
von Furcht und Mitleid in Dialogen gerät zu
einem Spiel von Schrecken und buchstäblicher
Erschütterung. ln diesem Spiel ohne Grenzen
fehlen den vertrauten Protagonisten nicht nur
die Worte, die Figuren der Geschichte sind selbst
. abhanden gekommen. Die alte Bühne mit ihren
Theaterhelden soll hier von einer ohrenbetäu
benden Mechanik der Gewalt überstimmt wer
den. ln einem teuflischen Popgelächter von
"Welcome to the Plea:Sure Dome" findet die
Szene ihr vorläufiges Ende. Der "große Gegen
stand aus der Geschichte" wird nicht in Mantel
und Degen, mit Reiterlied und festem Helden
schicksal präsentiert.. Dem Bildungsbürgertum
bleibt hier versagt, beim Donnergrollen der
Presslufthämmer zu Lieblingszeilen ihres Dichters
die Lippen zum literarischen Gebet zu spitzen.
Goetz versucht, den "altehrwürdigen" Theater
donner aus literarischen Überlieferungen wieder
mit einem Leben zu füllen, das dem Publikum
die Möglichkeit entzieht, die wohlformulierten
und altbekannten Schrecken der Reclam-Welt
noch einmal wiederzukäuen. Wenn.Goetz hier
nicht mehr auf die Stoffe des anerkannten Kul
turerbes zurückgreift, mag er vielen alten Freun
deneben jener "Klassik" schnell als kultur- und
geschichtslos erscheinen. Ist das nicht ein deutli
ches Zeichen für ein unterschiedliches Kultur
und Geschichtsverständnis?
Wenn die einen "das" Theater gern als
letzten, sicheren Hort von "Wort und Moral"
besuchen, ist er für andere eben wegen dieser
"Denkmalpflege" häufig kein Sprachrohr mehr.
Für diese anderen ist beim Wort" Krieg" nicht
derüber 50 Jahre zurückliegende, unvergleich
liche gemeint. Noch weniger können sie anfan
gen mit jenen entfernteren "Helden der
Geschichte': Das mag als Ignoranz aus eklatanter
Unkenntnis alter Werte und Erfahrungen inter
pretiert werden - oder aber als Versuch, sich
abzugrenzen, sich zu "schützen" vor einer
Gesellschaft, die einem mit Überliefertem die
Gegenwart und eigene Zukunft auf allen Wegen
erklären und vorhersagen will, weil sonst ihr
jugendlicher Traum von der eigenen Bedeutung
zerrönne angesichtsangesehener Erklärungsmu
ster.
Demgegenüber steht ein "Bildungs
bürgertum", das im guten Glauben, Kultur
"bewahren" zu müssen, mitunter Gefahr läuft,
den Kontakt zu der neueren Kultur und der .
gegenwärtigen Gemütslage zu verlieren. Daraus
aber den Schluss zu ziehen, das Bildungsbürger
tum sterbe, ja, sei eigentlich schon tot, erweist
sich übrigens als recht einäugige Beobachtung:
ln Goetz' "Krieg" wird gegen das Theater zu
Felde gezogen. Wer diesen Angriff aber aus
schließlich gegen das "Bildungsbürgertheater"
bezieht, unterschlägt mindestens die komplizier
ten Konstruktionen und vielfältigen Verweise des
Gesamttextes. Goetz' "Krieg" ist in dieser Hin
sicht längst Bestandteil eines sich erneuernden
Bildungsbürgertums geworden, auch wenn es
einigen gern als Grabgesang für die Alten
erscheinen mag.
Wo allein der Titel "Wallenstein" ein
Publikum nicht zu gewinnen vermag, weil es
Belehrungen fürchtet aus einer Zeit untergegan
genen Heldentums, und wo der Titel "Krieg"
andere abschreckt, weil er nicht der von ihnen
erlebte und analytisch vereinnahmte Krieg ist,
dort beweist sich der dringende Bedarfeiner
Gegenüberstellung von historischem Drama und
gegenwärtigem Satyrspiel. Und das in zweierlei
Hinsicht: a) um sich über den Wandel des Phä
nomens Krieg deutlicher zu werden und b) um
den sozialen Auftrag und die Möglichkeiten des
Theaters zu überprüfen, diesem Wandel
. annähernd angemessen begegnen zu können.
DRAMATURG 1/2 99 1 Seite 11
Friedrich Zeugke, Dramaturg am
Dresdner Staatsschauspiel,
begleitet die
InSzenierung der Trilogie·((Kriegu von Rainald
Goetz, Premiere am 20. Mai 2000 im Schloßtheater
des Dresdner
Staatsschauspie ls, Regie Stefan
Nolte.
ERFINDEN KANN MAN NUR DIE EIGENE WIRKLICHKEIT
B e d i n g u n g e n u nd A s p e k t e d e r A r b e i t mit Tneaterspielclubs Von M a r t i n Fra n k
Martin Frank,
jetzt Theater
pädagoge am Thea
ter Basel, schrieb
diesen Text für den
von Christel Hoff
mann und Annett
Israel herausgegebe
nen Band .. Theater
spielen mit Kindern
und Jugendlichen"
(Juventa Verlag
Weinheim und
München 1999).
Der Text wurde für
den Abdruck im
.,dramaturg" gekürzt
. und überarbeitet. Er erscheint hier als
Material zur Debat
te über .. Theater
pädagogik oder Marketirrg?" am
Freitagvormittag, an der Martin Frank
teilnehmen wird.
Mitte der 80er Jahre gründete Hans
günther Heyme in Stuttgart den ersten Jugend
spielclub an einem deutschen Theater. Vor sieben
Jahren fand am Thalia Theater in Harnburg das
erste Treffen für Jugendspielclubs statt. Beim
diesjährigen 7. Jugendspielclubtreffen in Halle
haben sich bereits 35 Jugendspielclubs für die
Teilnahme beworben .. Am Theater Basel sind fünf
Jugendclubs beheimatet. ln Potsdam sind 200
Jugendliche Mitglieder in den Jugendspielclubs
des Hans-Otto-Theaters. Es zeichnet sich auf
diesem Gebiet also ein bedeutendes Arbeitsfeld
für Theaterpädagogen ab. Bei regionalen und
überregionalen Treffen wird immer deutliCher,
daß die professionellen Theaterpädagogen auch
die Qualitätsmaßstäbe in der Laientheaterszene
setzen.
Ich habe an verschiedenen Theatern,
in Esslingen, Braunschweig,Berlin und Basel,
Jugendspielclubs aufgebaut, mitgeleitet und in
szeniert. Heute erscheint es mir selbstverständ
lich, daß ein Jugendclub zur Identität eines
Theaters gehört. Ein Jugendspielclub, der jedoch
nur aus Marketing-Kalkül bzw. als pädagogisches
Aushängeschild geduldet wird, muß im Spielbe
trieb zwangsläufig zum Störfaktor geraten.
Theaterleuten und einer breiten Offentliehkeil darstellen. Zu beiderseitigem Nutzen. ln der Pra- ·
xis heißt das: die künstlerische Leitung und alle Abteilungen bedenken den Spielclub stets wie
eine künstlerische Produktionsabteilung mit. Das
kann so aussehen, daß sich der Club mit den
Themen des Spielplans befaßt, sich aber auch
öffentl.ich mit den Problemen des Theaters aus
einandersetzt ln Esslingen hat ein~ Spielgruppe
gemeinsam mit dem Dramaturgen Guy Krneta zu
einem Thema im Spielplan gearbeitet: Faulheit -
ein Grundrecht in der Kindheit. Der Dramaturg
hat daraus ein Stück entwickelt, das von dem
damaligen Intendanten Jürgen Flügge mit
Schauspielern des Ensembles für den aktuellen
Spielplan inszeniert wurde: .. Der Faulpelz Paul
Fels" (Verlag der Autoren) .
Die größte Chance, die ein Jugend
spielcub in sich birgt, ist die, daß hier Raum für
künstlerisches Suchen ohne jeglichen Produk
tionsdruck gegeben sein kann. Der Jugendclub
bietet die Möglichkeit, allen durch die Theater
arbeit bedingten gruppendynamischen und
künstlerischen Prozessen, entsprechend dem
Entwicklungsstand der Gruppen, nachzugehen.
· Die spezielle Clubaktivität, wie auch das Theater
Der Jugendspielclub eines Theaters insgesamt, wird beständig und fundamental hin-
muß Teil der künstlerisch-pädagogischen Kon- !erfragt.
zeption des Hauses sein. Der Jugendspielclub hat die Möglich-
Wenn sowohl die künstlerische Lei- keit zu experimentieren, und im Idealfall führen
tung eines Theaters wie auch der Spielleiter die seine Produkte zu einer Irritation in der ört-
Arbeit des Jugendclubs als Teil der Gesamtkon- Iichen Theaterlandschaft Um zu irritieren,
zepticm betrachten, kann der Club einen Ort sehr bedarf es allerdings einer gewissen Autorität,
fruchtbarer und belebender Kommunikation das heißt, die Gruppe muß sich den Ruf erarbei-
zwischen den Jugendlichen, den professionellen ten, sich ernsthaft mit ihrem Thema, demThea-
DRAMATURG 1/2 99 I Seite 12
terleben, zu befassen. Sie muß mit theatralen
Produkten öffentlich in Erscheinung treten, zu
einem Aspekt des örtlichen Theaterspektrums
werden. Die professionellen Theatermitarbeiter
sollten ~ier stets ein engagiertes, waches und
direktes Publikum antreffen. Neben den vielfäl
tigen, von Dramaturgen und Theaterpädagogen
initiierten Begegnungen derTheaterleute mit
dem Publikum ist der Spielclub des Hauses eine
Möglichkeit dafür, daß sich um ein Theater ein
Kernpublikum formiert, das sich mit den Themen
dieses Hauses verbunden empfindet. Eine solche
Gruppe wirkt nicht nur durch die Produktionen
nach außen. Diese jungen Leute befassen sich
mit allen Fragen des Theaterlebens in «ihrem»
·Theater und tragen diese Themen und Fragen in
die Familien und Schulen. Während die Produk
tionsensembles eines Hauses darum bemüht
sind, ihr Geheimnis bis zur Premiere zu wahren,
werden in dieser Form der Publikumsarbeit die
Themen des Theaters öffentlich. Das Theater
wird im persönlichen Kontakt diskutiert. Neben
den Presseorganen gibt es eine zugleich private
wie öffentliche Diskussion und somit eine zweite
Schiene der regionalen Aneignung des Theaters.
Die Haltung des Spielleiters
Es geht mir also bei meiner theater
pädagogischen Arbeit auch in diesem speziellen
Feld um die Theateridee und deren Bewahrung.
Meine Begeisterung für das Theater liegt darin,
daß ich im Theater eine der wenigen Chancen
sehe, daß sich Menschen im künstlerischen Han
deln begegnen. Ich will das Theater und sein
Publikum zusammenhalten. Dieses Ziel kann ich
nur im ästhetischen Dialog mit den Interessier
ten verfolgen. Die künstlerische Suche ist daher
Methode. Das künstlerische Produkt ist ebenso
Ziel wie der Mensch. in seinen Entfaltungsmög
lichkeiten. Für mich liegt hier die eigentliche
Bedeutung des Berufes. Die stete Diskussion, ob
dies dann ein künstlerischer oder ein pädago
gischer Ansatz sei,. ist in diesem Zusammenhang
so unergiebig wie die Frage, ob Peter Brook ein
Regisseur oder ein Theaterpädagoge ist. Ent
scheidend neben der Einstellung zum Theater
sind die alltägliche Praxis und ihre theatralen
Produkte. Der Ansatz ist ein subjektiver. Die
Methode - so es eine gibt- basiert demnach auf
eigenen Erfal:frungen.
DRAMATURG 1/2 99 l Seite 13
Vom Fernsehen zum Theater
' Als Kind aus einer Arbeiterfamilie
setzte ich in der Jugend meine Hoffnung, etwas
zu erleben, nichtauf Literatur, sondern aufdas
Fernsehen. Ich beobachte diese Konsumhaltung
auch heute bei Jugendlichen. Dem Reizangebot von Computern und Fernsehen hat Thalia ·
zunächst nichts entgegenzusetzen. Ich mache
inzwischen immer wieder die Erfahrung, daß
Jugendliche nach einigen Jahren maßlosen Fern
sehens zum gleichen Punkt gelangen wie ich, als
einer aus der ersten Fernsehgeneration: Ich
hatte mich im Fernsehen lange genug auto
didaktisch geschult und war zu der Fähigkeit
gelangt, mehrere Programme gleichzeitig verfolgen zu können. Durch «Surfen» hoffte ich nichts
Wichtiges zu verpassen, - aber ich erlebte auch
nicht mehr als zuvor. Mit achtzehn Jahren
ahnte ich, daß das Fernsehen, von dem ich all
täglich Erlebnisse erwartete, lediglich ein Vorzei
gen von Handlungsmustern war. Irgendwie hatte
ich alles schon mal gesehen.
Es entstand ein Gefühl wachsender
Verunsicherung; das geradezu in eine neuro
tische Torschlußpanik mündete: Die Jugend ver
flog, aber nichtS so Bedeutendes geschah, daß
ich es alseine medienrelevanteDramatik emp-
. fand. Den Figuren im Fernsehen widerfuhren
immerzu bedeutende Dinge. Ich dagegen hatte
nichts erlebt! Fernsehen ist im Grunde ein
Abspalten, ein Delegieren des Erlebnishungers an
TV-Figuren.
Wie viele aus der Generation nach mir
wandte ich mich mit etwa achtzehn Jahren vom
. Fernsehen ab. Die Erlebnisversprechungen des Programmangebots werden· als Betrug erlebt.
Das Fernsehen langweilt. Das Bedürfnis nach
wahren ldentifikationsmöglichkeiten, sinnlichen
Geheimnissen im Spannungsfeld der Menschen,
nach feinen Beobachtungen im Begegnungspiel
der Menschen kann es nicht befriedigen.
Ich hatte das Glück, in der Phase der
Abwendung vom Fernsehen dem Theater auf die
Spur zu kommen. Was dieses Auf-Die-Spur
Kommen tatsächlich bedeutet, muß ich in meic
ner täglichen Arbeit mit dem Publikum immer
neu untersuchen, immer zurückblickend auf
meine ersten überzeugenden Theatererlebnisse.
in der Analyse dieser Erfahrung liegt die Chance,
eine ähnliche Wirkung mit eigens initiierten
Theatererlebnissen für heutige Jugendliche zu
erreichen.
Wie ich Theaterpädagoge wurde
Entscheidender Fa!<tor in meiner Bio
graphie wurde die Theatervorstellung "Die
Geschichte vom Baum" von lngegerd Monthan
in der Münchner Inszenierung von Beat Fäh. Auf
einer völlig leeren, schwarzen Bühne spielt eine
Schauspielerin in rotem Kleid die tragische
Geschichte einer Eberesche, die der Geldgier der
Menschen zum Opfer fällt. Ich verließ die
Schauburg am Abend dieser ersten bedeutenden
Theaterbegegnung mit der Sicherheit, völlig ver
unsichert zu sein. Ich hatte etwas erlebt und
empfunden, was nicht sichtbar gewesen war. Ich
wußte um eine Geschichte, die der Zuschauer
neben mir anders empfunden haben mußte. Es
war meine Geschichte, mein Geheimnis, meine
Wahrheit. Ich war verliebt ins Theater, in dieses
Stück. Aber was war das für eine Geliebte? Ins
gesamt 25 Abende habe ich mit ihr verbracht.
Jedesmal habe ich mich im Zuschauerraum
umgesehen und erstaunt festgestellt, daß sie es
mit vielen gleichzeitig trieb, mit jedem ein ande
res Geheimnis teilte. Ich wurde aber nicht eifer
süchtig, eher neugierig, denn sie hatte jeden auf
eine andere Weise verführt. Sie war pervers,
hatte mich infiziert und das Merkwürdigste war,
ich bekam das Bedürfnis ihr noch mehr Freier
zuzuführen, mit imm.er mehr Menschen an
ihrem Geheimnis teilzuhaben. Ich wurde Thea
terpädagbge.
Doch es stellte sich rasch Ernüchte
rung ein. Ich traf nicht nur auf liebestrunkene
Theaterbesucher, mit denen ich meine Freude
teilen konnte. Es gab scharenweise tumbe Lust
verschmäher, Zuschauer, die rein gar nichts
erlebt hatten. Ließ ich zum Beispiel nach den
Vorstellungen die Besucher ihr Theatererlebnis
zeichnen, so gab es immer zwei Arten von Bil
dern: Die einen Zuschauer hatten phantasievoll
die Geschichte einer Eberesche gezeichnet, die
anderen stellten auf ihren Bildern einen
schwarzen Theaterraum mit einer rot gekleide
ten Schauspielerin unter grellen Scheinwerfern
dar. Es gab Verzauberte und Analytiker. Interes
santerweise hatten fast alle Zeichnungen doch
etwas gemeinsam: Die Bildbeschreibungen
waren alle von roten Vorhängen eingerahmt. ln
DRAMATURG 1/2 99 I Seite 14
unserem Theatergab es .jedoch gar keine Vor
hänge: Unserem Publikum war also das Theater
klischee näher als die Theaterwirklichkeit Was
mich damals in Erstaunen versetzte, ist mir in
den folgenden sieben Jahren Theaterarbeit zur
Selbstverständlichkeit geworden.
Mit welchem Bewußtsein
begegnen junge Leute dem Theater?
Man muß davon ausgehen, daß Kin
der nur so lange spielen - versuchen, selbst
Erlebnisse zu kreieren- bis sie eingeschult wer
den. Ihre Spielpraxis, bis dahin ihre primäre
Weltaneignung, verändert sich nun. Das ist
durch unserSchulsystem bedingt. Kinder werden
in den meisten Lernvorgängen angeleitet, in
binären Strukturen zu denken, also rational und
bald auch analytisch. Es ist gerade auch dieses
Alter, wo sie spätestens anfangen fernzusehen.
Verhängnisvoll ist, daß es gerade auch diese
Enwicklungsstufe ist, die die Chance böte, vom
reproduzierenden und imitierenden Spiel den
Schritt in abstrahierende und darstellerische
. Spielformen zu machen, d~s Figuren- oder Rol
lenspiel zu erfinden und zu erfahren. Aber diese
Chance wird häufig verpaßt Die meisten
Erwachsene malen Bäume, Häuser, Men.schen,
wie sie es als Sechsjährige schon taten. Diese
Defizite im musischen Entwicklungsbereich grei
fen die freien Bildungsträger auf. Wer aber
kümmert sich um die Fähigkeiten, die es
braucht, um Theater erleben zu können? Das
Theater ist gegenwärtig erstmals in seiner Ent
wicklung mit einem Publikum konfrontiert, das
in autodidaktischer Weise fernzusehen gelernt
hat, das aber in den entscheidenden Entwick
lungsphasen komplexere Spielfähigkeit sich
nicht altersspezifisch anzueignen brauchte.
Ich habe oft von Jugendlichen den
Satz gehört: .,Ich habe nichts erlebt': - Oder: .,Ich
will so sein wie dieses oder jenes Idol, weil der
oder diejenige etwas erlebt hat, aber ich nichts».
Es ist mir zu einem zentralen Anliegen in meiner
Arbeit mit Jugendlichen geworden, ihnen die
Scheu vor der Wahrnehmung und Beachtung
der eigenen Erlebnisse zu nehmen. Doch schon
nach wenigen theaterpraktischen Übungen ver
mögen Menschen für sie sehr zentrale Erlebnisse
zu schildern - wenn man siedazu ermutigt. Die
Befriedigung, die ihnen aus der Schilderung
ihrer Erfahrungen entsteht, und daß ihre sinnli
chen Wahrnehmung und dadurch ausgelöste
Phantasien Aufmerksamkeit finden, eröffnet
ihnen eine neue Lebensqualität Dem Theater
beschert das wiederum fachkundige Zuschauer.
ln der Jugendspielclubarbeit gehe ich
von diesen Überlegun<jen zur Spiel- und Rezep
tionsfähigkeit aus. Ich will hier den Spieldefiziten
entgegenwirken und selbstbestimmte, authen
tische theatrale Prozesse fördern. Dies kann nur
geschehen, wenn ich Theater als spezielle Spiel-.
form immer neu thematisiere und hinterfrage.
Dabei muß man stets wach für Klischees im Spiel
bleiben. Mit dieser Grundhaltung, die auch die
Basis für meine.Jugendclubarbeit ist, bewirke ich
im Laufe der Zeit einen ungehemmteren Zugang
zu den Möglichkeiten des Theaters, was den
Jugendlichen schließlich das Gestalten eigener
Spielideen und Texte ermöglicht.
Insbesondere in der Startphase der
Jugendclubarbeit vertrete ich diese Haltung zum
Theater und mache ihre Konsequenzen zum
Handlungsprinzip.
Wie man einen Theaterclub
ingang setzt
Der Begriff «Club" hat sich leider eta
bliert, was Prof. Jörg Richard schon lange bemän
gelt, denn es sollte sich bei diesen Gruppen nicht
um elitäre Gemeinschaften handeln. Selbstver
ständlich sind alle Formen von Auswahlverfahren
bei der Formierung einer solchen Gruppe völlig
falsch. Nach meiner Einschätzung betreiben nur
jene Spielleiter Aufnahmetests, denen es um
eigene Profilierungsinteressen als Regisseure geht.
Nicht selten gibt es in der Szene selbsternannte
Regisseure, die ,.theaterpadagogisch" arbeiten,
weil ihnen das professionelle Ensemble des Thea
ters nicht zur Verfügung steht. Ich halte es auch
für problematisch, Regieassistenten den Club als
erstes Probierfeld zu überlassen. Jugendclubarbeit
erfordert völlig andere Konzentrationspunkte in
der Prozeßgestaltung als die Inszenierungsarbeit
mit professionellen Schauspielern. Ein Theater
pädagoge als Leiter eines Spielclubs sollte es sich
zur Aufgabe machen, allen interessierien Jugend
lichen die Teilnahme am Spielclub zu ermöglichen
und ihren individuellen Fähigkeiten entsprechend
ihre kreativen und darstellerischen Fähigkeiten zu
fördern.
DRAMATURG 1{2 99 I Seite 15
Natürlich ist der schnellste Weg, um
einen Jugendclub an einem Theater aufzubauen,
der, daß man eine Annonce in die lokale Zeitung
setzt. Ich bevorzuge einen anderen Weg, um die.
Gruppe. zu versammeln. Vor allem Schulkontakte
·und Fortbildungen bringen mich mit Theaterin
teressierten in Kontakt. Hier gibt es dann immer
Auseinandersetzungen um das, was das Theater
mit seinem künstlerischen Kurs beabsichtigt. Bei
diesen Begegnungen fallen mir immer wieder
junge Leute auf, die etwas vom Theater wollen,
und wenn es nur das Bedürfnis ist, klar zu
machen, daß und warum Theater «veraltet sei"
und «echt keine Chance" gegen andere'Medien
habe. Wenn es zu einer lebhaften Auseinander
setzung kommt, frage ich, üb Interesse an einer
intensiveren Zusammenarbeit besteht und
notiere mir die Adresse des Gesprächspartners.
Etwa ein Vierteljahr nach Spielzeitbeginn
schreibe ich dann die Gründung eines Theater-.
clubs in der Zeitung aus. Gleichzeitig bekommen
meine «Findlinge" eine Einladung zum ersten
Treffen.
Beim ersten Treffen kommen erfah
rungsgemäß zwischen 30 und 40 Leute -
Schüler, Statisten, Theaterangehörige, Schüch
terne, die von ihren Eitern aus therapeutischen
Gründen geschickt wurden, Kunststudenten,
coole Skater, Leute, für die es in den Schulthea
ter AGs nicht mehr weiter ging,. und natürlich
auch kichernde Freundinnenpaare. ln meinem
derzeitigen Club sind die Jüngsten sechzehn, die
Ältesten einundreißig. Und anfänglich meist
zwei Drittel Frauen, eher mehr. Alle Schultypen,
Azubis, Studenten und Arbeitslose. Ich mache
keine Einschränkungen bei der Aufnahme.
Sofort ist spürbar, daß die Jugendlichen bereits
irgendwie vom Theater infiziert sind. Aus ver
schiedenen Gründen, sicher nicht nur aus Star
allüren, setzen sie große Hoffnungen für ihr
Leben darauf. Diese Entschiedenheit ist mehr, als
jeder Lehrer für seine Arbeit mit Jugendlichen zu
erhoffen wagt. Es ist ein Geschenk und gleich
zeitig ein Vertrauensvorschuß. Auf alle Fälle muß
dieses Kapital ausreichen, um über alle Krisen
und Zweifel, die mit der Theaterarbeit verbun
den sind, zu tragen. Darauf baue ich, wenn ich
die Latte der Eigenverantwortlichkeilen gleich
zu Beginn der Arbeit hoch anlege. Die Jugend Ii~
chen sollen wissen, daß die Theaterarbeit nur
funktioniert, wenn sie sie mittragen.
Theaterplus ist das neu gegründete theaterpädago- . gisehe Zentrum am Theater Basel
Theater plus ist ein Interessenverband von: junges theater basel, Vorstadt-Theater, TheaterFalle und Theater Basel mit dem Ziel die unterschiedlichen theaterpädagogischen Aktivitäten zu koordinieren
Theater plus sind 13 Theater~
. pädagogen und Theaterpädagoginnen
Theater plus ist eine konzertierte Aktion, um den stetig wachsenden Nachfragen zu theaterpädagogischen Aktionen gerecht zu werden.
Meine kurze Eröffnungsrede
hört sich etwa so an:
Der Club bildet niemanden zum
Schauspieler aus, und ich bin kein Vertreter
einer Agentur, die Stars schmiedet. Mich interes
siert im Theater die Möglichkeit, daß sich hier
wahre Begegnungen ereignen können. Wer
dabei bleibt, dem verspreche ich, daß er an min
destens einer Inszenierung teilnehmen wird.
Da wir Theater spielen, gibt es Spiel
regeln, die sich aus dem Spiel und seinen Anfor
derungen ergeben. Eine wichtige Spielregel: wer
zweimal unentschuldigt fehlt, dessen weitere
Teilnahme steht zur.Diskussion. Das bedeutet,
die Gruppe berät mit dem/der Betreffenden
gemeinsam, ob er/sie das Projekt gefährdet.
Wirtreffen ·uns zunächst einmal pro
Woche, nach einem halben Jahr gibt es zwei
Treffen in der Woche, die jeweils vier Stunden
. dauern. Wenn sich die Gruppe einer Premiere
nähert, werden Probenwochenenden abgesproc
chen, die die Gruppe organisiert.
Wir machen Darstellung, nicht Show
(Vorzeigen). Deshalb brauchen wir keinen Pro
duktionsetatvon Seiten des Theaters. Die Grup
pe wird zunächst alles selbst erarbeiten; Das
erste Projekt wird eine Eigenproduktion, kein
vorgefertigtes Stück sein. Gegebenenfalls bitten
wir einzelne Abteilungen des Hauses um fach
liche Unterstützung.
Vom Umgang mit Klischees
Nach diesen wenigen Sätzen soll es
beim ersten Treffen nur noch um Spielerfahrung
und Austausch gehen. Wir beginnen die prakti
sche Arbeit. Sie orientiert sich immer an der
Definition für das Theater, die zu einer Selbst
verständlichkeit werden sollte: Theater ist die
Raum-Zeit-Gleichheit der Phantasien von Spie
lern und Zuschauern. Geschichten sollen auf
dieser Grundlage erzählt werden. Die Spielweise,
die die Darsteller wählen, sollten in den
Zuschauern Räume für eigene wahre Geschich
ten eröffnen. Das klingt simpel und ist gerade
für Jugendliche auch nicht schwer umzusetzen.
Sie können es hervorragend und es macht
erstaunlichen Spaß, mit ihnen nach immer
neuen Formen für ihr Theater zu suchen. Das
Hauptproblem ist aber immer wieder, mit den
Kiischees umzugehen, die dabei immer anzutref-
DRAMATURG 1/2 99 J Seite 16
fen sind; im Spiel der Darsteller, in den Aufga
ben des Spielleiters, im Rezeptionsverhalten der
Zuschauer treten sie in Erscheinung. Klischees
können tödlich für das Theater sein, weil sie nur
das unkonkrete Allgemeine wiedergeben. Das
lebendige Theater stagniert, wenn sie sich ein
schleichen. Sie bedienen den Wiedererkennungs
effekt beim Zuschauer, provozieren in ihm keine
aktiven Phantasien, allenfallsWertungen zur .
Darstellungsweise. Klischees sind jedoch für alle
Beteiligten stets höchst verführerisch, da es sehr
befriedigend sein kann, sie wiederzuerkennen.
So kommt es dann zum Beispiel auch zu den auf
der regionaler Ebene meist sehr erfolgreichen
Laienaufführungen von Stücken wie .. West-Side
Story", oder .. Rocky Horror Pielure Show': Sie
hinterlassen bei den jungen Darstellern ein
Gefühl von künstlerischer Leistungsfähigkeit,
tatsächlich aber haben sie mit der Aneignung
kreativer theatraler Fähigkeiten wenig zu tun.
Wenn man darauf setzt, mit jungen Theaterleu
.ten das Theater zu beleben, muß man hier sehr
wach bleiben: Man kann das Klischee entweder
konsequent vermeiden, oder es durch Über
höhungen überwinden und als Stilmittel ver
wenden. Beides sollte allerdings nicht dem Zufall
überlassen bleiben. Deshalb befasse ich mich in
der Anfangsphase der Prozeßgestaltung mit der
Sensibilisierung für das wahrhaftige Spiel - und
der Kritik von Klischees. ln der Praxis bringt das
eine Verunsicherung für die Spieler mit sich, die
Zertrümmerung der wenigen Sicherheiten, die
die Jugendlichen mitbringen.Wenn sie erste
Spielangebote machen, blendet das Klischee,.
denn e.s erzählt mit hoher Wirkungssicherheit ln
seiner leichten Erkennbarkeil garantiert es dar
stellerische Erfolgserlebnisse. Die angebotene
Szene wird .. ve.rstanden': Nichts ist für die Spie
ler in der Startphase schmerzhafter, als ihnen
.diesen Erfolg zu verweigern. Aus der Reaktion
des Publikums glauben sie zu spüren, daß sie
bedeutend und überzeugend gewirkt haben. Ich
frage aber nach ihnen und beziehe diese Frage
auf die Erfahrungen mit der ·ersten Übung beim
ersten Treffen.
Die erste Übung
Das ist eine Übung, die ich in beinahe
schon ritual(sierter Weise auf meine
Begrüßungsrede folgen lasse. Es ist das Partne-
Die Theaterpädagogik ist ein relativ neues Berufsfeld, das man in der Schweiz in zweierlei Ausprägungen antrifft: Zum einen sind Theaterpädagoglnnen freiberuflich als Regisseure, Trainer, Theaterprojektleiter oder im kulturellen Freizeit- und Bildungsbereich tätig; zum anderen sind sie Mitarbeiter in Theaterbetrieben. An Theatern angestellt, wirken sie an der Nahtstelle zwischen Bühne und Zuschauerraum. Theaterpädagoglnnen schaffen neue Räume, in denen Theater stattfindet. Das können ganz konkret Spielräume für Laien sein -zum Beispiel für die Workshoparbeit mit Besuchergruppen, oder. Jugendspielclubs - es sind damit aber auch Räume im Kopf gemeint, denn Theaterpädagoglnnen befassen sich mit dem Wahrnehmungsverhalten des Publikums und unterstützen eine neugie~ige Rezeptionshaltung. Das Theater plus ist hauptsächlich im letzteren Sinne tätig.
rinterview des ·ersten Treffens. Ich will es kurz
beschreiben: Die Anwesenden suchen in Paarun
gen, die sich vor diesem Treffen noch nicht
·kannten, einen ungestörten Ort. Sie befragen
sich entlang einem kleinen vorgegebenen Frage
katalog wechselweise zu ihrer Person. Nach 20
Minuten kehren sie ins Plenum zurück. Hier muß
nun immer ein Paar vor die Gruppe treten und
sich vorstellen. Erst jetzt erfahren die Beteilig
ten, daß sie dazu die Rollen·tauschen müssen,
das heißt, einer behauptet, der andere zu sein
und beginnt nun über den anderen zu erzählen.
Der «echte» Andere darf dies nicht kommentie
ren. Allerdings darf die Gruppe dem, der sich da
vorstellt, Fragen stellen. Das Antworten erfordert
nun von dem, der sich da in den Partner hinein
zuversetzen sucht, großes lmprovisationsge
schick. Natürlich kann er viele Fragen nii::ht
wahrheitsgemäß beantworten, aber er hat seine
Improvisation an seinem begrenzten Wissen vom
anderen zu orientieren.
Mit diesem Vorstellimgsspiel will· ich
zwei grundlegende Dinge für die Theaterarbeit
klären:
1. Ich kann in eine andere Rolle
schlüpfen, aber die ist und bleibt eine vorder
gründige Behauptung. Ich bin und bleibe dabei
im Rahmen meiner eigenen Wahrheit. Die Figur
ist mein Produkt.
2. Die Zuschauer/Frager erleben eine
dritte Realität: Neben den· beiden anwesenden
Spielern entsteht eine Figur, eine Bühnenfigur,
ein Produkt aus den Phantasien aller Anwesen
den. Eine Tauschung, ein Irrtum, eine Wahrheit
für den Augenblick ihrer Wahrnehmung.
Der Nebeneffekt dieses Spiels ist der,
daß ein enormer Klärungsbedarf in der Gruppe
entsteht. Ich begleite die Gruppe nicht in die
Kneipe; aber ich weiß, daß dort Gespräche ent
stehen, die etwas von der Qualität eines gelun
genen theatralen Spiels offenbaren. Wer mitdis
kutiert, muß <<ich» sagen, denn er wurde zum
Mitspieler. Ich habe als Spielleiter und Initiator
dieses Spiels das Interesse, daß jeder, der durch
die Verzerrung seines Selbst, die dieser Versuch
einer Reproduktion bedingt, wenn er nun in die
· Situation gerät, das «Original» -sich selbst - zu
verteidigen, etwas von der Unmöglichkeit
begreift, eine fremde Person zu spielen. Was sich
in diesen Nachgesprächen abzeichnet, wird das
Thema des ersten Vierteljahres bleiben und uns
DRAMATURG; 1{2 99 l.Seite 17
darüber hinaus bis zur Premiere immer wieder
beschäftigen: Alles was aus unserem spärlichen
Wissen um eine [Bühnen-) Figur in Verbindung
mit unserer Kreativität entsteht, ist immer ein
Produkt der persönlichen Wahrheit des Darstel
lers- wenn er nicht ein Klischee zitiert.
Gegen die Unmündigkeit
Meine Konzentration als Spielleiter
richtet sich fm gesamten Arbeitsprozeß darauf,
diese kleinen aber bedeutenden Wahrheiten bei
den Proben zu entdecken. Sei es in einem kleic
nen Objekttheaterversuch oder in einer Stöcke
übung. Da wo etwas von der ungezierten per
sönlichen Ausdrucksweise der Spielerinnen und
Spieler in Erscheinung tritt, kommt es darauf an,
diese Stärke durch eine genau beschreibende
Rückmeldung zu würdigen. Es ist mir wichtig,
daß nicht nur der Spielleiter diese Beziehung zu
den Schauspielern behauptet. Es gibtviel zu viel
Unmündigkeit in den Produktionsprozessen des
Theaterbetriebes. Der Spielleiter im Jugend
spielclub kann es sich leisten, daß.auch andere
als seine Meinungen eine Probe wert sind. Die
Abhängigkeit der Spieler vom Spielleiter, etwa in
der Einschätzung einer Szene, ist für die Kreati
vität nicht förderlich. Aus diesem Grunde gibt es
in meinen Gruppen immer wieder <bungen, bei
denen auch mal der Spielleiter abgesetzt werden
muß, um das Übungsziel zu erreichen. Wer die
Spieler genau beobachtet und ihre eigenen
Ideen zu arrangieren weiß, wird aus jeder Posi
tion Autorität gegenüber der Gruppe bewahren.
Die Fähigkeit, genau zu beobachten und zu
beschreiben, soll im Laufe der Zeit der ganzen
Gruppe eigen werden. Die Spielethik heißt: "Du
hast Dich gezeigt. Ich habe ·es erlebt. Wir haben
Dich gesehen."
ZU DEN WORKSHOPS MIT AUTOREN 1: Das Drama aus Dingsda -
Foto Honuschke Et Schneider
John von Düffel, 1966 in Göttingen geboren, wuchs in Londonderry/lrland, Vermilion/South Dakota und verschiedenen deutschen Kleinstädten auf. 1985 Abitur in Oldenburg. Nach dem Studium der Philosophie, .Germanistik und Volkswirtschaft in Stirling/Schottland und Freiburg im Breisgau promovierte er 1989 über Erkenntnistheorie. Als Filmjournalist und Tanz-/Theate'rkritiker war er für Presse und Rundfunk tätig, bevor er ab 1991 als Dramaturg für Sc:ha.uspiel und Tanztheater am Theater der Altmark in Stendal und am Staatstheater Oldenburg (ab 1993) · arbeitete. Mit Spielzeitbeginn 1996/97 Wurde er leitender Dramaturg am Theater Basel, seit der Spielzeit 1998/99 ist er Dramaturg am Schauspiel Botin. Spätestens seit dem Erfolg seines Debut-
. Romans "Vom Wasser" ist John von Düffel einem breiteren Publikum bekannt gew.orden.
John von Düffel .,Rinderwahnsinn"
1. RINDERWAHNSINN ist ein Familien
stück. Eine Politgroteske. Eine Klischeeverwur
stung, Mythenmutation. Eine Freakshow. Bilder
buch. Ein Zeitstück. Eine Abrechnung. Literartur
operette. Regenbogenpresseexpression Rinder
wahn, Sinneklops Augenwurst
2. Es treten 5 .. Personen" auf, allesamt
aus dem Schnürbodenüberbau neudeutscher
Befindlichkeit herabgefallen auf den Bretter
bodenabbaubereich des ausgewiesenen Orts
"Bühne": der Vater kARLMARX und seine Frau
MUTTERMEINHOFF, ihre Tochter HÄNSELUND
GRETEL und der Sohn FAUSTERSTERTEIL sowie
DER VETTER AUS DINGSDA. Abfallzeit: "Mitte/eu-
ropäisch':
4. Auftritt: MUTTERMEINHOFF IM
RAF-T-SHIRT. DIE VORIGEN
Axel Preusz
BEIDE: Muttermeinhoff, Halts Maul ·
MUTTERMEINHOFF: Was ist denn hier los
Man hört euer Geschrei bis auf die Straße
BEIDE: Wir hatten eine kleine Meinungsverschie-
denheit
FAUSTERSTERTEIL: Einen Generationskonflikt
. KARLMARX: Er wollte mich umbringen .
FAUSTERSTERTEIL: Das sagt sich so leicht
MUTTERMEJNHOFF: Wie dem auch sei
Ich war bei der Bank
BEIDE: Und???
MUTTERMEJNHOFF: Was soll man von den Bon-
zenschweinen anderes erwarten
KARLMARX: Nun sag schon
FAUSTERSTERTEIL: Jetzt dräng sie doch nicht so
MUTERMEINHOFF: Ich habe mich nach lang-
fristigen Anlageformen erkundigt
Eine einigermaßen interessante Verzinsung
gibts erst ab sechs Jahren aufwärts
Dabei sollte man das Zinspaket mit einer
Lebensversicherung verschnüren
Um das Anfallen von Quellen- sowie Zinsab
schlagsteuer zu umgehen
Das ist das Sicherste, für Risikofreudige gibt
es diverse Investmentfonds
Aktiensortimente mit Glücksritterrenditen
et cetera
DRAMATURG 1/2 99 I Seite 18
Aber da könnte ich gleich Lotto spielen
Wie man mir vertraulich zuflüsterte
KARLMARX: Mein hoff, sag mal
·Bist du jetzt vollkommen durchgedreht
FAUSTERSTERTEIL: Von Glücksrittern im Sparein
lagenbereich habe ich auch sclion gehört
MUTTERMEJNHOFF: Woher er denn wüßte, was
in sechs oder zwölf Jahrenist
Hab ich den Anlageberater gefragt
Und er meinte, ohne einen gesunden Opti
mismus ginge gar nichts mehr ·
Wer weiß, ob wir nicht im nächsten Moment
alle hochgehen
Erschossen, ertränkt oder verstrahlt werden
Abgesehen davon, daß es dann auch egal ist,
was mit unserem Geld passiert
Irre
Bis in die untersten Gehaltsstufen haben die
Banken
Die Botschaft des Terrors begriffen, viele
Jahre nach unserer letzten Aktion
KARLMARX: Ja, aber; Mein hoff, um Himmels
wille.n
Was für Geld sollen wir denn anlegen
MUTTERMEINHOFF: Es handelt sich um eine rein
theoretische Frage
Praktisch ist unser Überziehungskredit aus
geschöpft
Das Girokonto gesperrt, hätte ich an der
Kasse nicht
Die Spendenkassette des Müttergenesungs
werkes mitgehen Jassen
Würde es uns jetzt am nötigsten fehlen
Hier, ein paar RAF-Bianko-Bekennerschreiben
Aber geht sparsam damit um
Mehr gibt es nicht
FAUSTERSTERWL: Scheiße
Das ist ja immer noch das alte Logo
Das liest doch heute keiner mehr
MUTTERMEJNHOFF: Faustersterteil
Du hast wirklich ein pottsaumäßiges
Geschichtsbewußtseln
Zur Strafe für diese faschistoide Äußerung
schreibst du mir 100mal
Der Kampf geht weiter
Aber sofort
Theaterstücke:
DAS FRUSTURISTISCHE MANIFEST, 1991/1992
GELOBTES lAND, 1992, POlAROIDBLUES, 1993 01 Stück in 14 Szenen,
1994 SOLINGEN, 1994 DAS SCHLECHTESTE
THEATERSTÜCK DER WELT, 1994
RINDERWAHNSINN Groteske Familientragödie, 1996
SAURIERSTERBEN Bilder einer Landpartie, 1995
DIE UNBEKANNTE MIT DEM FÖN Ein Stück in Regieanweisungen, 1995
BORN IN THE RAF Lebensbeichte eines T erroristenki ndes, Monolog, 1995
SHAKESPEARE; MÖRDER; PULP UND FIKTION, 1997
MISSING MÜLLER, 1996
ALLE HABEN SICH LIEB UA: 1999, Schauspiel Bann
ZWEIDREI LIEBESGESCHICHTEN UA: 1999, Städtische Bühnen Münster
Von John von Düffel liegen im MerlinVerlag 15 Theaterstücke vor, Außerdem schrieb er Hörspiele, Kabarettprogramme und Übersetzungen.
FAUSTERSTERTEIL: Unter dem alten Logo
MUTIERMEINHOFF: Natürlich unter dem alten
Logo
Und jetzt zu dir, Karlmarx
Was hast du heute gegen den Imperialismus
getan
KARLMARX: Nicht in dem Ton, Mutti
Nicht in dem Ton
John von Düffel
DER TEXT IST DAS THEATER
Eine Autorenermutigung
[ .. ,] Der ideale, weil auf sehr bequeme
Weise neue Dramatiker heute füllt die Sprech
blasen, welche die Theatermaschinerie gefüllt
haben möchte, unter fortlaufender Verwendung
von Konflikten und Figuren aus dem liebgewor
denen Fundus. Und zur theoretischen Notabsi
cherung gibt man sich vage postmodern, eh'
alles schon mal dagewesen. Das Theater zitiert
sich selbst, seine Formen und Mittel. Und die
Autoren sorgen mit unerhörten Dialogen dafür,
daß es dabei nicht allzu langweilig wird.
Der sich ·als Dialogschreiber beschei
dende Dramatiker bringt sich selbst um die
Möglichkeit, aus diesem Teufelskreis des theatra
lischen Selbstzitats auszubrechen. Das Theater
wird der nie verändern, der mehr oder möglichst
weniger mundgerechte Texte schreibt. Der Autor
als Dialoglieferant macht es dem Theater mit
seinem aus Bequemlichkeit bestehenden Behar-
. rungsvermögen allzu leicht. Sein Freiraum sind
die Sprechblaseninhalte, die Bilder hat das Thea
ter meist schon parat. Die fatalste Form der
Arbeitsteilung. Eine Veränderung müßte tiefer,
grundsätzlicher ansetzen und hätte es folglich
auch nicht so leicht.
Es müßte mit dem Mut anfangen,
keine konventionsgerechten Figuren und Kon
flikte zu liefern, neue Formen der Auseinander
setzung zu suchen. Und es müßte damit weiter
gehen; dem Theater die Vorherrschaft über die
Bilder nicht einfach zu überlassen. Viel zu sehr
hat sich eine falsch verstandene Arbeitsteilung
zwischen Autor und Theater eingeschliffen, eine
Kompetenzaufteilung zwischen Text und Bild.
Man müßte den Texten deutlicher, unbedingter
anmerken, daß sie selber Bild werden wollen. Ein
Text, der das Theater verändern will, muß ein
DRAMATURG 1/2 99 I Seite 19
neues Theater in Totalität sein wollen, nicht ein
benutzbares Dialogelement im Rahmen des
alten. Er muß den Willen haben, sein ganz eige
nes Theater zu werden.
Der Anspruch eines Theaterautors -
eine in Vergessenheit geratene Selbstverständ
lichkeit -sollte sein, Theater zu schreiben. Kei
nen Teil von Theater, sondern Theater in Gänze.
Autor und Urheber im eigentlichen Sinne ist er
nur dann, wenn er über den reinen Sprechtext
hinaus Bilder anvisiert, Bilder, die so weit über
greifen in das Schauspielerische und Optische
des Theater, daß sich Schauspieler, Regisseure
und Bühnenbildner dazu neu verhalten müssen.
Man kann nicht gleichzeitig Theaterautor sein
. und diese Leute in Ruhe weiterarbeiten lassen
wollen.
Dabei geht es ganz und gar nicht um
die Rückkehrder Regieanweisung. Regieanwei
sungen sind bestenfalls Verständnishilfen für
den Leser, für die Inszenierungspraxis sind sie
ohne Bedeutung. Wenn es dem Autor nicht
gelingt, im Text seine Vision von Theater festzu
schreiben, wird es ihm kaum weiterhelfen, wenn
er seine Kompetenzen überschreitet und dem
Regisseur Vorschriften zu machen versucht.
Gerade das gegenseitige Erfüllungsverhältnis von
Text und Bild gilt es über Bord zu werfen. Der
Abschied von Texten, die sich damit bescheiden,
Sprechtext zu sein, ist auch ein Abschied von
einem lnszenierungsteam, das versucht, Bilder
zur Illustration dieser Texte zu finden. Es ist der
Abschied von einem Erfüllungstheater, in dem
Text und Bild sich gegenseitig ergänzen, eigent
lich nur deshalb, weil sich beide von dem
Anspruch entfernt haben, totales Theater zu
sein. Ein Text, der das Theater sein will,
nichts weniger als das ganze Theater, braucht
den Regisseur nicht als Erfüllungsgehilfen, son
dernals Gegner. Ein Text, der sämtlich.e Bilder
usurpiert, braucht die Bühne als Gegenwelt Die
Kraft des Theaters lag immer schon in der Kon-.
frontation, und erst wenn Text und Bild diese
Konfrontation suchen, l~ßt sich die Zweidimen
siorialität des Erfüllungstheaters sprengen, wird
Theater zum freien Spiel der Kräfte, der Bildkraft
der Texte und der Bildkraft des Theaters, wird
aus den entgegenstehenden Ansprüchen von
Text und Bild, das Theater an und für sich zu
sein, vielleicht wirklich Theater.
Foto Theater
Uwe Gössel, 1966 im Schwarzwald geboren. Ausbildung .zum Bankkaufmann und Arbeit als Ablaliforganisator.
. ln Stuttgart Hilfsarbeiter der Bühnentechnik und Bühnenbildassistent Anschließend Photographen lehre. Ab 1992 Studium an der Uni in Hildesheim für Theater, Photographie, Psychologie und Philosophie. Freie Theaterarbeit in Braunschweig, Krefeld und Köln, Seit Anfang 1999 als Schauspieldramaturg am Volkstheater in Rostock. "Kutteln" wird verlegt im Merlin Verlag, Gifkendorf.
2: .. Kutteln. Gericht 1n v1er Gängen" von Uwe Gössel
1. Gang beliebt, aber für den Chef vom Sicherheits-
(24 Jahre später. Nacht. Innen. SOHNSVEN
bricht in den Raum ein und stellt Leinenbeutel
um sich herum. )
SOHNSVEN (knipst Taschenlampe an. Nimmt
einen Brief aus einem der Leinenbeutel.)
"Hiermit antworte ich auf Ihre Annonce in
KOMM MIT von heute. Ich wäre sehr an Ihrer
ausgeschriebenen Bekanntschaft interessiert
und es würde mich gleichwohl sehr freuen,
wenn Sie mir schreiben würden, damit wir
uns bekannt machen können. Zur Person darf
ich kurz bemerken, ich bin 22 Jahre alt, rau
che und trinke nicht. Ich bin ein solider,
ordentlicher Mensch. Obwohl ich michmit
meiner Mutter gut verstehe, .ist dies kein
Dauerzustand."
(Knipst Taschenlampe aus. Auswendig:)
Ich bitte Sie sehr freundlich, mir Gelegenheit
zu geben, Sie kennenzulernen. Mein Vor
schlag wäre, uns unverbindlich zu schreiben
und miteinander zu reden. Sie können dann
objektiv entscheiden, ob wir uns sympathisch
sind.
Ich würde Sie auch in finanzieller Hinsicht
nicht ·belasten.
Auch wenn Sie 40, 60 oder gar noch mehr
Anfragen - wie man hört - auf ihr Angebot
in der KOMM MIT in den Händen haben,
wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mit mir
einen Kontakt aufnehmen.
Wenn Sie sich zurückmelden würden, wäre
ich sehr erfreut.
Bitte teilen Sie mir auch eine eventuelle
Absage mit, da ich Ihre Anzeige in meine
Hoffnungen mit einbeziehe.
Ihre bis jetzt unbekannte Kalina.
(Pause)
SOHNSVEN
Deutsche sind nicht überall in Bukarest
DRAMATURG 1/2.99 I Seite 20
dienst sind sie das Beste.
(Blättert)
Ceausescus Palast ist eines der eindrucksvoll
sten Bauwerke in Europa in den letzten hun
dert Jahren!
Cit e ceasul? -
VATERHEINZ
Wenn sie reinkommt sofort unterwerfen.
Niemals abtun, niemals. Das bringt zu viele
Jahre.
Mach deine Befehle kurz, deutlich und leise.
Eine schwache Intensität ist vorzuziehen,
weil sie mehr Aufmerksamkeit erfordert.
Du bist kein Kalfakter. Du bist mein Sohn.
Zeig es .
SOHNSVEN (verloren)
Kalina: Alina. Lina:lna, na. Aaaaa. Kakalin.
VATERHEINZ
Gut ist, ohne Grund zu strafen, damit sie
weiß, wer der Meister ist. Schubs sie im
Raum rum, zum Beispiel.
·Wenn du abhaust, dann bind sie fest. Wie
der Wolf: seine Beute sichern. Sonst hai sie
keine Platzfestigkeit und rennt hinaus.
Wie Mutter. Damit kannst du aus meinen
Fehlern lernen. Sichern, warten, sichern.
Eine Bank macht man im Zweierrythmus.
MUTTERGISELA (bügelt Hemden.)
Ich weiß nicht warum. Ich weiß, es ist falsch.
Es kann nicht klappen.
Man soll auch nicht die Hemden von seiner
Frau bügeln.
Was soll ich tun?
Ich will nicht. Bitte.
VATERHEINZ
Wir haben·sonst keinen der fährt. Basta.
(Er zielt mit der Gaspistole auf ihr Auge.)
Peng!!
(grinst)
Hineinredungen - oder
,.Kutteln.Gericht in vier Gängen"
Noch bevor Uwe Gössels Erstlingswerk
,.Kutteln. Gericht in vier Gängen" das Licht der
Bühne erblickte, bemächtigte man sich seiner
universitär mit ausgewählten Instrumenten der
Dramenanalyse. Mittels der klassischen Vier
kampftechnik"Perspektivenstruktur, Figurenkon
zeption und -charakterisierung, Polyfunktiona
lität der dramatischen Sprache, Raum- und Zeit
struktur" wurde es zerlegt, zugerichtet und
zugeführt Interpretation als Rache des Intellekts
an der Kunst.
Ist es etwa das, was Theater im Zeital
ter seiner Beschleunigung meint? Kaum gesche
hen, schon geschrieben, schon. gedeutet? Am
Anfang stand ein authentischer Banküberfall,
von dem die Hildesheimer Allgemeine Zeitung
erstmals am 18.03.1997 berichtete und dessen
Gerichtsprozeß eine Reihe absurd an.mutender
Umstände zutage förderte. Aus der Zeitungsnoc
tiz und den vier Verhandlungstagen kochte der
Autor dann sein "Kutteln" - ein dramatisches
Gericht in vier Gängen. ln topograpischer Nähe
zu·m Tatort, bemächtigte sich die Hildesheimer
Theaterwissenschaft seiner.
Es geht Gössel nicht darum, die krude
Realität einer kriminellen proletarischen Kleinfa
milie samt monströser Auswüchse im Stile eines
realistischen Sozialdramas abzubilden. Nicht die
Determinationslehre des Naturalisten, mit all
den bekannten Zutaten -Vererbung, Trieb und
Milieu - ist Folie des Stücks. Die Restriktion der
Figuren geht tiefer, sie ist in ihre Sprache einge
schrieben. Der Autor komponiert aus Sprach
flächen und Textfertigteilen ein vielstimmiges
Kaleidoskop. Er adaptiert und montiert Textma
terial aus verschiedenen Gattungen und Kontex
ten zu einem artifiziellen Mosaik. Die Rede kon
stituiert die Figuren: Der Vater läßt sich vom
Sohn mit dem impertinenten Stolz eines Glad
becker Geiselnehmers zu seiner kriminellen Vita
interviewen und die Phrasen der Mutter drehen
sich konzentrisch um Heim a Herd, deren traute
Existenz allein ihre Rede verzweifelt behauptet.
· Im Brennpunkt eines dissonanten
Chors der Stimmen, die vor sich hin, aneinander
vorbei und gegeneinander sprechen, steht
Sohnsven. Er ringt gegen das Verdikt des Vaters
und mit der Soufflageder Eitern, die immer in
DRAMATURG 1{2 99 1 Seite 21 .
ihn ,.hineingeredet" haben, um das Eigene und
projiziert den Lebenstraum in die Fremde. Doch
sein bescheidener Fundus an Mythen des
Nichtalltäglichen (gespeist aus Märchen, Kon
taktanzeigen und Reiseführern) gerinnt zum
Klischee. Die Ikonographie der Gegenweit bleibt
von Sprachschablonen und Stereotypen determi
niert. Sohnsven strebt nicht nach dem Anderen,
sondern dem Vertrauten in exotischer Maskera
de: statt deutschen Kutteln.(gekochte Wände
des Rindernetzmagens) rumänische Mititei (wür
zige Würstchen). So erscheint der verständliche
Wunsch nach Ausbruch in den Objekten der
Begierde trivial.
Die Story von ,.Kutteln" ist lesbar als
Parabel auf die soziale Realität einer egozentri
schen Gesellschaft, in deren fatalen Kreisläufen
Fragen nach Recht und Unrecht längst nicht
mehr gestellt werden. Doch nicht nur die Figu
ren des Textes bewegen sich außerhalb morali
scher Fragestellungen. WasdasStück zu einem
der 90er Jahre macht, ist, daß es Antworten und
verbindliche Aussagen verweigert. Der Autor
entfaltet das Material und setzt uns sein Gericht
vor. Kein Erklärungsmodell räumt den Magen
auf. Tröstungen der Soziologie und Psychologie
greifen nicht. Nichts löst sich in Verstehen auf.
Das ist das Verstörende des Textes. Die Sprach
struktur des Textes zielt auf diese Leerstelle. Die
Figuren sondern, angeschlossen an den Apparat
der fremden Rede, Sprachfertigteile ab. Sie fin
den keinen Ausdruck, und damit stellt sich die
Frage, ob der Ausweg, an dem Sohnsven schei
tert, überhaupt existiert hat. Ein Jenseits des
Apparats bleibt undenkbar, weil unaussprechbar.
Also Abbruch des Diskurses! Das Thea
ter, dem man bekanntlich Unverdauliches in den
Rachen werfen soll, da es alles eintheatert, ist
am Zug. Birgit Hüning
3 ·. Q . I I" ., UIZOO.a.
von Tom Etchells
Der Text besteht aus2000 Fragen. Die
Antwort auf die einzelne Frage muß jeden
Abend neu erinnert werden.
QUIZOOLA! ist eine Performance aus
Fragen und Antworten - ein merkwürdiges, doch
gleichwohl strukturiertes Spiel, das ziemlich
außer Kontrolle geraten ist.
Seine Quellen sind vielgestaltig: die
Marktforschung, eine Vernehmung, das Sichaus
fragen von Verliebten (von lüstern bis sanft), tri
. viale Quiz-Situationen und Prüfungen in der
Schule - der Text bewegt sich ständig und
sprunghaft zwischen diesen und anderen fra
genden Stimmen.
ln diesem Stück stellt sich ein Darstel
lerpaar gegenseitig und der Reihe nach eine
wahre Flut bohrender Fragen- mal flüsternd,
mal schreiend - aus der Weit des Pop bis zu per0
sönlichen Details, quer durch die Geschichte,
Botanik und Philosophie- endlos, nachdrücklich,
beharrlich und in immer neuen Versionen.
. Während der Vorstellung ist das Text
buch auf der Bühne vorhanden - nicht als
Requisit, sondern als ein wesentlicher Gegen
stand für die Arbeit der Darsteller. DieFragen
können in beliebiger Reihenfolge gestellt wer
den, dem Zufall folgend oder gezielt (aus dem
Gedächtnis oder entsprechend der Vorlage), je
nachdem wie die Schauspieler meinen, am
besten mit dem Stück umzugehen.
Die Darsteller können die gleiche
Frage mehrmals stellen. Sie können sie umfor
mulieren, und es ist an ihnen, während der Per
formance auch ganz neue Fragen zu erfinden.
Der Text gibt keine Antworten vor
sie müssen von den Darstellern improvisiert wer
den. Wie sie- in Echtzeit darum ringen; ist ein
wesentlicher Teil des Stückes. Dennoch gibt es
ein paar Richtlinien dafür, welche Art von Ant
worten in dem Stück funktionieren - ebenso für
die Strategien, die von den Fragenden und
Befragten verwendet werden können, insofern
sie das wollen. Die Rolle des Fragestellers und
Befragten wechselt während des Stückes vermit
tels einer einfachen Formel.
( ... ) Grundsätzlich kann .man sagen,
DRAMATURG 1/2 99 I Seite 22
daß sich der Text der Fragen von QUIZOOLA! Für
eine Performance von beliebiger Dauer eignet,
für jeden Schauplatz und eine freie Anzahl von
Darstellern.
Der Text QUIZOOLA! wurde von Tim
Etchells geschrieben, dem Autor und künstleri
schen Leiter von Forced Entertainment. einer
Gruppe von Künstlern aus Sh'effield, UK. Die
Gruppe arbeitet seit 1984 zusammen, um ein
Theater und mit ihm verwandte Projekte in
anderen Kunstformen (Performance, Installation,
digitale Medien und, seit neuestem, Film) ent
sprechend ihren eigenen Vorstellungen zu ver
wirklichen.
( ... ) Ihr langfristiges Engagement gilt
nicht besonderen formalen Strategien, vielmehr
zielt es auf eine provozierende und herausfor
dernde Form von Kunst" sie gilt einer Arbeit,
. die Fragen stellt, Risiken eingeht und Träume
nährt.
( ... ) Obwohl QUIZOOLA! Auf ziemlich
konventionelle Art geschrieben wurde (von
einem einzelnen Autor an einem Computer),
schuldet es jenem kreativen Gruppenprozeß von
Forced Entertainment großen Dank, in dem und
durch den die meisten Texte von Tim Etchells
entstanden sind. Das Fehlen jeglicher schriftc
Iichen Antwort auf die Fragen des Stückes und
der tatsächliche Verzicht auf eine festgelegte
Reihenfolge oder zeitliche Struktur entstand
ursprünglich aus dem Vertrauen und der ver
ständnisvollen Atmosphäre innerhalb des Ensem
bles von Forced Entertainment, in dem Improvi
sation und Strukturen mit veränderlichen Regeln
oft Mittel zu einem kreativen Zweck waren.
Zudem kann man sagen, daß die Besessenheit,
mit der auf der Bühne Fragen gestellt und
beantwortet werden, di.e Arbeit von Forced En
tertainment seit langem prägt. Daß sie auch in
QUIZOOLA! zutage tritt, zeugt davon, daß sie Teil
einer weitreichenden und anhaltenden Erkun
dung ist. in der unsere Gruppe sich noch immer
befindet.
Weiter führt Tim Etchells fort: .. Das
Gelingen von QUIZOOLA! hängt davon ab, ob
sich bei der Aufführung eine gewisse Mehrdeu-
tigkeit einstellt- ist es eine Performance, ein
Verhör oder ein privates Spiel zwischen zwei Lie
benden? Wenn es aufseitendes Befragten zu
wirklicher Erschöpfung oder Panik kommt, wenn
es ihm wirklich peinlich wird, oder wenn der
Fragesteller tatsächlich wütend zu sein scheint,
interessiert oder beinah verzweifelt, dann, sagt
mein Gefühl, sind wir dem Kern des Stückes
nähergekommen.
· Im Hinblick auf die Performance
erfordert das etwas ganz Außerordentliches -
die Fähigkeit, man selbst zu sein, sich zu ent
blößen, menschlich und vertraulich zu bleiben,
jedoch .zur selben Zeit die Performance nicht zu
vergessen; strategisch zu denken und, trotz all
der .Ehrlichkeit', auf eine ganz essentielle Weise
Schauspieler zu bleiben.
Die einzige Regel (wenn man bei all
dem überhaupfRegeln aufstellen kann), dürfte
sein, daß, sobald die Sache irgendwie stabil oder
entschieden wirkt, etwas mißlungen ist."
Tim Etchelfs 1997
Anmerkung:
Beim erstmaligen Lesen von OUIZOO
LA! bekam ich einen reinigenden LachanfalL
Die Unmöglichkeit, die Antworten
schriftlich zu fixieren, beinhaltet einen Teil
unserer Weit, und insofern· sehe ich QUIZOOLA!
als einen Knotenpunkt im heutigen Stückange
bot ..... der. Text zwingt uns, Antworten zu geben
-zu antworten und an das Beantwortbare der
Fragen zu glauben" (Oberender).
Durch diesen Vorgang, dass ein Teil
des Textes rein dem Gedächtnis überlassen ist
(Zumthor) und die Fragen in .. Echtzeit" beant
wortet werden, spielt er enorm mit unserer Orac·
lität.
Anmerkung:
Jemand, der die Performance gesehen
hatte, erzählte mir: Nach kurzer Zeit, wußte er,
wie das Spiel ging, und es wurde uninteressant.
Er fing an, ein geistiges Interesse an den Ant
worten zu entwickeln. Über den Spaß an den
Antworten steigert sich das Interesse an der Per
son, den Personen, wie sie "ES" taten, wer sie sein könnten/wenn si~ zusein vorgaben. Es ent-.
stand ein Distanzverlust für ihn und die übliche
kontemplative Geborgenheit ging verloren.
Petra Thöring
DRAMATURG 1{2 99 l Seite 23
Forum Junge Dramaturgie
Seit Januar 1997 gibt es innerhalb der
Dramaturgischen Gesellschaft das Forum junge
Dramaturgie. Die Idee war, einen Gesprächsraum
zu schaffen, der jungen Dramaturgen und ande
ren Interessierten die Gelegenheit bietet, jenseits
von pragmatischen Entscheidungen des Theater
. betriebs neue Stücke zu lesen und diese gemein-
sam mit den Autoren zu diskutieren. Inzwischen
kommen Verlags- und Schauspieldramaturgen,
Regisseure und Studierende aus ganz Deutsch
land, Österreich und der Schweiz zu den
Gesprächen, die alle acht Wochen stattfinden
(Termine kann man erfragen unter 0171/803 87
08). Die Auswahl eines Autors bzw. eines Stücks
folgt dem Vorschlag eines Forumsmitglieds. Ein
ziges Kriterium ist dabei das eigene Interesse für
einen Text und die Bereitschaft, diesen in der
Diskussion als .. Pate" zu vertreten. Offenheit für
erste, experimentelle oder schwierige Stücke ist
dabei ausdrücklich erwünscht. Folgende Auto~ rinnen und Autoren waren bisher eingeladen:
Martin Baucks, Klaus Chatten, Werner Fritsch,
Katharina Gericke, Jens Groß, Lutz Hübner,
Christoph Klimke, Jörg-Michael Koerbl, Anna
Momber, Albert Ostermaier, Arm in Petras, Robert
Schimmelpfennig, Sirnone Schneider, Ulrich
Zieger.
Auf der Jahrestagung der Dramatur
gischen Gesellschaft in Basel 1998 stellten wir
darüber hinaus Stücke von Wolfgang-Maria
Bauer, Katharina Gericke und Tim Staffel vor.
1999 entschieden wir uns für Werke von John
von Düffel, Uwe GösseL und - erstmals eines
nicht-deutschsprachigen Autors -Tom Etchells.
Wir werden die Texte nach unserem
bisherigen Diskussionsverfahren in zwei Etappen
besprechen: am ersten Tag ohne die Autoren, am
zweiten in ihrem Beisein (eine endgültige Zusage
von Etchells steht noch aus). Eine kurze Ein
führung in die Arbeit des Forums, die Vorstel
lung der Autoren sowie voraussichtlich Lesungen
aus den Stücken werden den Workshops voran
gestellt.
Foto Christoph Otto
4: u LEG 0 LAND» von Dirk Dobbrow
Sie sind bunt. vielseitig verwendbar
und ewig haltbar: Legosteine - multifunktiona
les Werkzeug kindlicher Phantasie. Nahezu alles
läßt sich aus den bunten Quadern bauen. Häu
ser, Autos, Flygzeuge, ganze Städte mit Men
schen und Tieren. Sie sind der Inbegriff einer
harmonischen und glücklichen Kindheit. Was
aber, wenn das Legalandidyll sich verflüchtigt
und der schmerzvollen Realität einer betongrau
en Plattenbauhochhaussiedlung weichen muß?
Blitzartig richtet Dobbrow den Fokus auf die
Bewohner eines ganz gewöhnlichen Hochhauses
irgendwo in einer Siedlung am Rande der Stadt,
die vor allem eines verbindet: der Gedanke an
ein schmerzfreies Leben nach dem Tod:
Jenny und Gerd, Vollwaisen, leben
zusammen in der elterlichen Wohnung. Die Mut
ter starb an einem Hirntumor, dem Vater hat ·
Gerd noch die Augen zudrücken müsssen.
Bibo, Jennys Sandkastenfreund,
möchte Hirnchirurg werden. Verzweifelt klam
mert er sich an den Gedanken, das Böse durch
Herausschneiden besiegen zu können.
Ronnie lebt mit seiner pflegebedürfti
gen, venenkranken Mutter zusammen. Sein Vater
will nichts mehr von ihm wissen. Verzweifelt
bemüht er sich um Liebe und Anerkennung von
Suse und Gerd, die i.hn jedoch .links liegen lassen.
Rieke, Tochter eines gekrümmten
Bankangestellten, der seine Freizeit mit einem
Kollegen in der Kneipe verbringt; ihre Mutter
flüchtet sich für sie unerreichbar in eine spiritu
elle Scheinwelt.
Paul, ein Schlägertyp, wurde von sei
nem Vater, Micha, einfach vergessen; kämpft.
sich um das letzte bißchen Liebe. Jetzt möchte
er nichts mehr von seinem Vater wissen, der
einst als begnadeter Bauingenieur zusammen
mit seinem Kollegen Hilmar ganze Städte wach
sen ließ und heute im Keller des Hauses vege
tiert. Micha hat sich vor Jahren um den Verstand
gesoffen und seitdem sein Baby auf dem Gewis
sen.
DRAMATURG 1/2 99 I Seite 24
Hilmar hat mehr Glück gehabt. Duch
geschicktes Anbiedern gelingt es ilim immer
wieder, sich bei den zahlreichen alleinstehenden
Frauen im Haus einzunisten. Die Gefühle seiner
Gastgeberin interessieren ihn wenig.
«Legoland» ist die Bankrotterklärung
einer Gesellschaft, die vergessen hat, was soziale
Gerechtigkeit oder Mitmenschlichkeit bedeuten.
Im Mittelpunkt stehen keine sozialpsychologi
schen Erklärungsversuche der Figuren, sondern
eine nüchterne Bestandsaufnahme, in der die
destruktive Kraft unserer Gesellschaft ohne jede
Sentimentalität spürbar wird.
«Wir warten auf einen Anruf. Doktor
Gott oder Doktor Teufel, der uns ruft. Wir ver
sammeln uns in einer großen leeren Halle und
warten, daß· er erscheint. Dann verliest er das·
Urteil. Tod durch Genickschuß oder Autounfall
oder Krebs. Er verweigert uns die Therapie.»
(Suhrkamp Verlag)
Dirk Dobbrow, geboren am 6. Dezember _1966 in
Berlin, arbeitete nach dem Abitur als Zei
tungsbote, Altenpfleger und Radiosprecher.
Er lebt als Schauspieler und Autor in Berlin.
Er schreibt Drehbücher, Hörspiele, Prosa und
Theaterstücke.
1994 und 1997 erhält er das Berliner Autoren
stipendium
1995 erscheint sein erstes Theaterstück «Diva»,
das am 2.3. 1996 am Schauspielhaus Bochum
unter der Regie von Gil Mehmert uraufge
führt wird, und das beim Suhrkamp-Verlag in
«Spectaculum», 62 publiziert wurde.
1999 erhielt Dirk Dobbrow den Kleist-Förderpreis
für junge Dramatiker für sein Stück «Lege
land».
1996 «Halbwertzeitem>, wird im selben Jahr zum
Heidelberger Stückemarkt nominiert
1998 «Late Night»
1999 «Legoland»
,.Legoland" 1. Szene
Auf dem Dach des Hochhauses. Rieke und Jenny
auf der Brüstung. Suse und Bibo schauen.
JEN NY: Springen.
RIEKE: Springen.
BIBO: Nicht.
SUSE: Blöd.
JENNY: Warum?
SUSE: Egal. Eure Sache.
RIEKE: Mir wird schwindlig;
JENNY: Hinsetzen.
BIBO: Ihr wird schwindlig.
JEN NY: Einfach nach hinten fallen lassen.
SUSE: Bescheuert.
JEN NY: Halt du dich da raus.
BIBO: Rieke.
RIEKE: Ja?
BIBO: Nichts.
RIEKE: Mir ist schlecht. Ich hätt die Würste nicht
essen sollen. JEN NY: Mit vollem Bauch stirbt es sich besser.
BIBO: Wie spät?
SUSE: Vier.
BIBO: Was jetzt?
.SUSE: Was ist mit euch?
JEN NY: Springen. ·
SUSE: Rieke. Du da unten. Brei.
RIEKE: Ich machs nicht.
JEN NY: Du hast es versprochen.
BIBO: Rieke.
RIEKE: Jaß BIBO: Nichts ..
RIEKE: Was nichts? Sag was.
BIBO: Mach es nicht.
JEN NY: Du hast es versprochen.
SUSE: Eure Sache.
RIEKE: Bibo.
BIBO: Was?
RIEKE: Nichts.
SUSE: Na los.
JEN NY: Fette Sau.
SUSE: Kriegst was aufs Maul. Fliegst du ·runter.
Matsch.
JENNY: Rieke.
RIEKE: Ja?
JEN NY: Gib mir deine Hand. So und jetzt. Ein
fach fallen lassen.
SUSE: Mach schon.
JEN NY: Fette Sau.
DRAMATURG 1{2 99 I Seite 25
SUSE:. Sag das noch mal.·
JEN NY: Fette Sau.
(Kampf. Jenny über Suse, Suses Kopf hängt über
der Brüstung.)
JEN NY: Vielleicht bist du ja die erste, die da unten
auf das Pflaster schlägt. Da, schau dir das mal
an. Das da. Das ist die Stadt. Ist das nicht
herrlich. Genieß doch mal die schöne Aussicht.
Von allen Seiten grinsen die Hoch.häuser dich
an. Und Parkplätze hats auch genug. Unter
irdisch. Da parken die Papis ihre Toyotas.
SUSE: Ich bin nicht fett.
RIEKE: Von den Würsten ist mir ganz schlecht
·geworden. Jenny sagt, mit vollem Bauch
stirbt es sich besser. Ich hab zu Hause noch
mein Bett gemacht. Den Teddy auf die
Tagesdecke gesetzt. Die dreckige Wäsche in
die Maschine getan. Alles soll schön ordent
lich sein. Alles schön ordentlich hinterlassen.
Weil die Jenny gesagt hat. heute gehts ans·
Sterben. Erst hat sie gesagt, wir werfen uns
nach der Schule vor den Zug. Aber dann hat
sie gesagt, wir fahren mit dem Fahrstuhl rauf
aufs. Hochhaus, ganz oben rauf, von da springen wir runter, das kommt geiler.
BIBO: Loslassen.
(Befreit Suse aus Jennys Umklammerung)
RIEKE: Ich muß kotzen.
JEN NY: Kotzen. Dann kriegt das unten einer ab.
Voller Schwall.
SUSE: Jenny macht einen Abgang.
JEN NY: Fettsau frißt soviel, weil sie diese
Blähungen hat. Wenn sie furzt, dann frißt
sie. Hat sie mir selber erzählt.
SUSE: Gar nicht wahr.
JEN NY: Suse war nicht immer so eine fette Suse.
Hungersuse hatte mal achtundsechzig Kilo.
Hat mir Fettsuse selber erzählt.
SUSE: Gar nicht wahr.
JEN NY: Fettsuse hat erzählt, wenn man alle Kilo
zusammenrechnet, die Hungersuse runterge
hungert hat. kommt man bestimmt auf drei
hundert Hun~erkilo. Und das war eine Folter
für Fettsuse, hat mir fette Suse selber erzählt.
SUSE: Jetzt flatter da runter, mach schon.
JEN NY: Würd ja gern. Aber nicht für dich.
BIBO: Rieke?
RIEKE: Ja?
BIBO. Nichts.
JEN NY: Springen.
RIEKE: Springen. (Sie verharren auf der Brüstung)
Henning Fülle, Schauspieldramaturg bei Kampnagel in Hamburg, entwirft - auch polemisch überspitzt- sein Bild vom .,Neuen Theater" am Beispiel von Kampnagel u. a. Er fragt aber auch nach den Arbeitsformen, den Strukturen, die dies Theater braucht und ent- . wickelt hat.
· Also ein VorausBeitrag zur Debatte "Welches Theater braucht welche Struktur" in Dresden am Freitagnachmittag?
ES IST ZEIT! Beobachtungen und Forderungen zum neuen Theater
Von Henning Fülle ·
"Desperately seeking youngsters":
Intendanten und Dramaturgen durchkämmen
die. Infobörsen der Festivals und Kantinen nach
jungen Talenten. Junge Regisseure, junge Auto
ren - der Einkauf von Jugend scheint derzeit das
zentrale Element der Überlebensstrategien der
Sachwalter der Kathedralen des deutschen Thea
tersystems unter dem Druckvon Legitimations
verlust in Zeiten defizitärer öffentlicher Haus
halte zu sein.
Dabei ist das Theater, das neuerdings
wieder Publikum in die Häuser lockt - und kei
neswegs nur junges Publikum -vielleicht auch
jung; vor allem aber bricht es mit Dramaturgien,
Ästhetik und Organisationsformen der Tradition
des 19. Jahrhunderts, die das deutsche The<~ter
system bis dato immer noch fest im Griff halten.
Dessen Erneuerung ist notwendig und
längst überfällig und deshalb ist diese Entwick
lung auch durchaus erfreulich. Doch die Mehr- ·
zahl der Akteure und Kommentatoren spricht
von einem bloßen Generationswechsel - was
aber bei genauerem Hinsehen zu kurz greift.
1. Neue Dramaturgie:
Theater als künstliche Wirklichkeit
«Flimm ist der Feind», diese drastische
ironische Parole Nicolas Stemanns, Absolvent des
Hamburger Studienganges für Theaterregie (der
von Jürgen Flimm gegründet worden war) bringt
d~s Bewußtsein des Neuanfangs auf den Punkt.
Doch wichtiger als diese Abgrenzung
und das Bestehen auf ihrer Subjektivität, mit sie
ihr Theater erfinden, ist die Bedeutung von
Wirklichkeit und Gegenwärtigkeil als dramatur
gisches Prinzip. Sie gestalten ihre Theaterabende
DRAf0ATURG 1/2 99 I Seite 26
im Handgemenge mit ihrer kulturellen Gegen
wart, als deren Teil. Das betrifft zunächst ihre
Themen, Fragen, Geschichten und Texte, die
zuallererst zeitgenössisch, gegenwärtig sind.
· Ob es sich nun um "Shoppen und
Ficken" dreht, um Gott als DJ, um den besoffe
nen Bassisten, der in Israel eine Rechnung mit
dem Namen Adolf Hitlers unterschreibt, um die
Erinnerung an die 80er und 90er Jahre oder um
moderne Formen des Geschlechterkampfes- der
Bezug auf Gegenwart und Wirklichkeit ist direkt,
wenn nicht unmittelbar, und allemal wichtiger
als die Bedienung des Repertoires oder eine neue
Runde aktualisierter Interpretation der Texte des
literarischen Bildungskanons.
Anstelle der Bildungs-, Erziehungs-,
Aufklärungs- und Diskursfunktion in der Tradi
tion des 19. Jahrhunderts will das. neue Theater
direkter Bestandteil der Lebenswirklichkeit
gegenwärtiger Zeitgenossen sein, Medium neben
anderen Medien, freilich mit den besonderen
Stärken der Live-Situation, die es von den post- .
industriellen .Medien unterscheidet, wie sie die
kulturelle Gegenwart inzwischen nahezu global
prägen. Fernsehen, Kino, ·unterhaltungsindustrie
sind nicht nur abstrakt die Konkurrenten dieses
Theaters. Vielmehr sind die jungen Künstlerinnen
und Künstler mit diesen Medien aufgewachsen,
kennen und schätzen deren "Qualitäten" und
bedienen sich ihrer als Fundus für ihre Stoffe
und Themen.
Geschichten erzählen und "Cultural
Studies" (als Untersuchung alltagskultureller
Verhältnisse, Beziehungen. und Probleme: "telling
the world", wie Knut-Ove Arntzen formuliert)
sind die beiden Hauptlinien dieserzeitgenössi
schen Dramaturgie im Handgemenge mit gegen
wärtiger Wirklichkeit. Dabei hat diese Dramatur-
gie nicht nur keine Furcht vor "Unterhaltung':
Vielmehr sind sich die Jungen, gleich welchem
Schwerpunkt sie sich verschrieben haben, einig
in ihrer Ablehnung der "Langeweile", die dem
musealen, selbstreferentteilen Theater anhaftet. · Sie haben keine Wahrheit zu vermit-
. teln, die Weit zu bedeuten, politische Diskurse
zu beeinflussen oder gesellschaftliche Utopien
hochzuhalten-geschweige denn, daß sie ihre
Aufgabe darin sähen, die bewährten Kulturtra
ditionen zu bewahren. So.ndern sie erzählen auf
dem Theater Geschichten oder gestalten Situa
tionen, in denen es um Dinge, Verhältnisse und
Fragen ihrer Lebensweit geht, die sie besehäfti
gen und von denen sie annehmen, daß sie
erzählens- oder zeigenswert sind.
Doch nicht nur auf der Ebene der
Themen und Stoffe wird der Bruch mit dem
19. Jahrhundert vollzogen. Auch der Thea
terabend selbst wird als Wirklichkeit ernst
genommen und gestaltet, an welcher Wirklich
keit darstellende Künstler wie Publikum gemein
sam teilhaben. An die Stelle der Dramaturgie des
mimetischen lllusionstheathers, dem es darum
geh( "aus Lügen Wahrheit" zu schaffen - was freilich nur solange funktioniert, wie das Publi
kum diese Konvention bedient- tritt ein Thea
ter, das bewußt als künstliche Wirklichkeit
gestaltet wird und die als ~olche auch wahrge
nommen werden will.
Schauspieler spielen eine Geschichte
für Zuschauer oder stellen eine Situation her, an der das Publikum teilhat·~ diese Grundkonstella
tionen bleiben im neuen Theater transparent.
Nicolas Stemann läßt seine "Verschwörung" auf
Kampnagel in einer Fabrikhalle spielen, die zum
Theater geworden ist. Sie ist mit hellem Teppich
boden ausgelegt, der um aüsgediente Maschinen
herumdrapiert ist. Der Abend erzählt den
Zuschauern, daß es heute einfach kein Personal
mehr gibt, das Schillers "Fiesco" noch verkörpern könnte: Der ausersehene ·Protagonist bleibt im
privaten "clavigohaften:· Konflikt zwischen Liebe
und Karriere stecken, dem er freilich auch am
liebst~n aus dem Wege gehen und statt Theater
lieber Fußball spielen möchte.·Den Zuschauern
wird eine selbstkritisch-ironische, äußerst unter
haltsame Zustandsbeschreibung des Verhältnis
ses von Drama und Wirklichkeit gezeigt, die
gleichzeitig eine Diagnose von Jugendlichkeit im
gegenwärtigen Zeitalter abgibt und an keiner
DRAMATURG 1/2 99 I Seite .27
SteiJe vorgibt; etwas anderes zu sein als ein
Theaterabend. Alle Gestaltungsmittel sind offen
und deutlich sichtbar und die Darsteller kommen
auf Strümpfen auf die Spielfläche, weil der
empfindliche Teppichboden nicht schmutzig
werden soll. Kostüme sind Kostüme, die Zeit ist:
heute abend und der Ort ist Kampnagel, eine
ehemals traditionsreiche Fabrik, in der seit fast
zwanzig Jahren Theater gespielt wird.
ln der Konzeption des Theaters als
Ort, als situativer· Raum, in· dem Geschichten
erzählt oder wirkliche künstliche Situationen
erlebt werden, besteht die Grundkonvention die
. ser Dramaturgie, für die in zweierlei Hinsicht
Wahrnehmung die zentrale Kategorie ist: zum
einen als Wahrnehmung von Wirklichkeit durch
die Künstler (und deren Darstellung) und zum
anderen als Wahrnehmung und Selbstwahrneh
mung des Publikums.
Das Theater als künstliche Wirklichkeit
setzt für die Künstler wie das Publikium das
Ernstnehmen der individuellen, subjektiven
Wahrnehmungen und der Gefühle, die sie
begleiten, voraus. Das vermag Kommunikation
zu stiften und folgt einem Bedürfnis nach Ori
entierung und Selbstvergewisserung der Indivi
duen in dem Chaos der Bilder und Zeichen, aus
der sich das, was heute Wirklichkeit heißt,
zusammensetzt. Die sich beschleunigende Aufhebung
der Grenzen von Zeit und Raum in der digitalen
Kommunikation bringt einen unaufhaltsamen
Zuwachs an bloß virtuellen Momenten von
"Wirklichkeit" mit sich. Diese Entwicklungen for
dern den Menschen, wollen sie als Subjekte
bestehen, kollektiv und individuell ganz andere
Fähigkeiten der Orientierung ab, die über die
Verslehensformen von Kognition, kritischer
Reflexion und vielleicht noch Moral in der Tradi
tion der aufklärerischen Moderne hinausgehen -
die den Kern des klassischen Theaters des
19. Jahrhunderts bestimmten.
Sehr drastisch - und zynisch - formu
liert, zeigt sich mit dem "Bedeutungswandel"
von Schmerz Und Tod in der virtuellen Wirklich
keit die elementare Notwendigkeit einer gesell
schaftlichen Kultivierung der Wahrnehmung.
Vermutlich haben wir die "Zeichen", die uns
minderjährige Kids in hochzivilisierten Gegenden
der Weit geben, indem sie im Ausprobieren von
Tod und Töten die Unterscheidung von wirk-
licher und virtueller Wirklichkeit .. lernen", noch
nicht wirklich verstanden.
Theater als Erlebnis- und Erfahrungs
raum also - freilich nicht im Sinne des zu
bestaunenden Spektakulären der Special
Effecs/Events -sondern im Sinne einer Konzen
tration der im Theaterraum versammelten Men
schen auf sich selbst, ihre Perzeption und Selbst
wahrnehmung. Hier kommt vielleicht sogar die
gute alte Katharsis 7 die das museale Theater ja
ohnehin schon längst nicht mehr fertigbrachte -
zu ganz neuen, ultramodernen Ehren.
Der anscheinend so pragmatische
Umgang mit dem .. Kulturgut Theater", der Bruch
·mit jenen traditionellen Funktionen, der von den.
konservativen Gralshütern (ihrer Pfründe) so
heftig bekämpft wird, ist nicht weniger als ein
Paradimenwechsel, und darin liegt die Spezifik
des neuen Theaters. So unterhaltsam es sich
auch zuweilen gebärden mag, so banal oder
beliebig es dem gewohnten Blick erscheinen
mag: neben seiner radikalen Subjektivität [und
Unschärfe, die aus der Nähe des Blickes resul
tiert, was etwas anderes ist als Beliebigkeit)
dient dieses Theater der Entwicklung einer Kul
tur der Wahrnehmung - und damit sehr rele
vanten gesellschaftlichen Zwecken. Was im übri
gen die Legitimität der öffentlichen Subven
tionierung neu begründ!.
2. Neue Ästhetik:
Theater als Wahrnehmungskunst
Nicht länger ist die- mehr oder
weniger originelle oder aktuelle- Interpretation
des fertigen Dramas als eines mimetischen
Widerscheins von Weltbedeutungen die .. Aufga
be" dieses Theaters. Vielmehr wird der Autor
sofern er überhaupt noch in eigenständiger
Funktion benötigt wird- zum .. Texter" des Thea
terabends, der immer häufiger direkt in die Ent
stehungsprozesse der Arbeiten einbezogen ist. ' Das Londoner Royal Court, Wiege des .. new writ-
ing", ist wohl das bekannteste Beispiel. Und auch
dort, wo mehr oder weniger klassische Theater
texte als Vorlage dienen, werden sie vor allem
als .. Texte" verwendet, die Geschichen erzählen.
Gibt es keine Textvorgabe, so wird das
darzustellende Material vor und während der
.. Proben" entwickelt- Proben, die dann nicht
DRAMATURG 1/2 99 J Seite 28
der Ausdeutung des Dramas, der Gestaltung sei
ner Figuren und der Konkretisierung der Abläufe
dienen, sondern der Erarbeitung der Geschichte,
der Situationen des Theaterabends, seiner ästhe
tischen Gestaltung im Sinne der Ideen und
Absichten der beteiligten Urheber und Akteure.
Das ist weit mehr als die so gern
beschworene .. lnterdisziplinariät"- oder sie ist es
dann erst wirklich. Sämtliche textlichen, darstel
lerischen, räumlichen, optischen und akustischen
Gegebenheiten werden bewußt und planvoll im
Sinne von Idee und Konzeption des Theater
abends entwickelt und gestaltet. Insofern leisten
die beteiligten künstlerischen Disziplinen jeweils
eigenständige künstlerische Beiträge· zur·
Gesamtkomposition.
Es geht nicht länger um die mimeti
sche Repräsentation von Weit, die Glaubhaftma- ·
chung von .. Ort und Zeit" der Handlung und
auch nicht um die bebildernde, illustrative Stüt
zung des Textes, sondern um die künstlerische
Komposition künstlicher Erfahrungs- und Erleb
nisräume. Daß dabei erlaubt sein muß, was Sinn
macht, versteht sich von selbst. Und daß alle
Mittel und Instrumente, die die moderne Dar
stellungstechnik hervorgebracht hat, auch zur
Benutzung stehen, ebenfalls: Ob es sich nun um
die opto-akustischen Projektionstechnologien
Dia, Film, Video, Magnetband, Vfnylplatte, CD,
MD oder den Speicher des Computers handelt,
ob analog oder digital, ob live, ob vorproduziert,
ob gesampelt oder aus Natu.rtönen. Es gibt keine
Verbote und kaum Regeln - außer denen der
Feuerpolizei, der Bauaufsicht und der Berufsge
nossenschaft.
Und die Schauspieler? Sie werden zu
Darstellern und Co-Autoren, die ihre eigenen
Erfahrungen in die Darstellung einbringen, die
sowohl als Kunst-Figuren als auch als Personen
präsent sein müssen. Dadurch, daß Echtzeit und
Realreum des Theaterabends für alle Beteiligten
transparent und verbindlich bleiben, daß eben
die Konvention der mimetischen Fälschung nicht
vorausgesetzt ist, muß die künstliche Wirklich
keit des Theaterabends selbst das Interesse und
die Aufmerksamtkeil des Publikums finden und
erhalten.
Dieses nicht-mimetische Theater als
Wahrnehmungskunst stellt andere ästhetische
Anforderungen an den Theaterabend und seine
Akteure im Spiel- wie im Publikumsraum. Die
planvoll gestaltete, künstlich hergestellte und·
auf Reproduzierbarkeil angelegte Wahrneh
mungssituation als Erfahrungsraum wird zum
.. Zweck der Übung': Das reicht inzwischen bis hin
zu Wahrnehmungsangeboten an Geruchs- und
Geschmacksinne: zum Kochen und Verpflegen
des Publikums als Bestandteil des Theaterabends,
zum persönlichen, körperlichen Kontakt zwi
schen Akteuren und Publikum.
Für die Rezeption geht es kaum noch
um das möglichst identische "Verstehen des
Gemeinten", die EntschlüsseJung von Symbolen
und Bedeutungen, die Beurteilung von Interpre
tation und Behauptungen des Regisseurs oder
das Bestaunen von Kunstfertigkeit und Virtuo
sität der beteiligten Künstler, sondern um das
Ernstnehmen des Wahrgenommenen und der
eigenen Reaktionen, Empfindungen, Gedanken
und Erfahrungen - ein Zuschauerverhalten, das
ebenfalls mit den traditionellen Konventionen
bricht und gewöhnungsbedürftig ist.
Diese Konzeption des Theaterabends
als sinnlicher, ästhetisch~r Erfahrungsraum im
weitesten Sinne kennzeichnet gleichzeitig auch
eine spezifische Differenz des Theaters gegenü
ber den Wahrnehmungsweisen von Kino und
Fernsehen (und dem Theater, das.ebenso funke
tionieren möchte, wie diese). Eine Differenz, die
weit prägnanter ist, als das bloße Bestehen auf
der .. Live"Situation" (so wichtig diese ist) des
Theaters, das von den konservativen Verteidigern
. als letzte Bastion im Kampf mit den kommerziel
len Medien immer hilfloser ins Feld geführt wird
- auf dem das Theater im übrigen längst verlo
ren hat:
3. Neue Arbeitsformen:
Das Projekt
Die ideale Form, in der das neue
Theater entsteht, ist das Projekt: das zeitlich
begrenzte Zusammenwirken von Künstlerinnen·
und Künstlern der Darstellung mit allen beteilig
ten Disziplinen und Gewerken.
Die Erfindung von Sprache und Text,
von Bildern, Handlung, zur Gestaltung von Räu
men durch Architektur, Licht und Ausstattung,
die Gestaltung von Soundtracks, körperlicher
Aktion und Interaktion und ihre Komposition
zum Kunstwerk des Theaterabends bedarf ande-
DRAMATURG 1/2 99 I Seite 29
rer Strukturen als der manufaktureilen oder
fabrikmäßigen Arbeitsteiligkeit der Abteilungs
organisation der traditionellen Häuser. Es bedarf
intensiver Kommunikation und Verständigung,
geschützter Räume, und es bedarf vor allem Zeit
in anderen Maßen und anderer Organisations
weise, als sie in herkömmlichen Probenprozessen
der Ensemble- und Repertoire-Betriebe zur Ver
fügung steht.
Dieses Theater entsteht in mehr oder
weniger arbeitsteiligen Teams. ohne oder mit
eher flachen Hierarchien. Die Künstlerinnen und
Künstler, die Regie, Dramaturgie, Bühnenbild,
Ausstattung, Kostüme, Maske, Licht und Ton ver
treten, müssen untereinander Beziehungen
ästhetischen Grundvertrauens entwickeln und
gemeinsam die Gesamtkonzeption und das
Gesamtkunstwerk gestalten und vertreten.
Zu mal die Darsteller sind nicht länger nur als
hochqualifizierte, "Sprecher" oder handwerklich
virtuose "Schau-Spieler" gefordert, die ihre
Fähigkeiten in den Dienst der Bebilderung einer
Interpretation von Text und Drama stellen. Viel
mehr sind sie mit ihrem Wissen und ihren Erfah
rungen über die Gegenstände, um die es geht,
direkt an der Gestaltung der künstlichen Wirk
lichkeit beteiligt.
in Häusern wie Kampnagel in Harn
burg, dem Berliner Hebbel-Theater, dem TAT und
· dem Mausanturm in Frankfurt, dem Marstall in
München, die ohne Ensemble im Block- oder en
suite-Spielbetrieb arbeiten und mit schlanken
Apparaten im wesentlichen die Infrastruktur für
Produktion und Vorstellungen vorhalten, haben
sich diese Organisationsformen entwickelt. Von
jeher auf projektmäßige Produktionsformen
orientiert, haben sich hier personell und orga
nisatorisch Infrastrukturen gebildet, die die
Arbeitsweisen der jungen Neuerer nicht nur
fördern, sondern geradezu fordern. in relativer
Autonomie gegenüber den Leitungen der Häuser,
in einem Beratungs- und Dienstleistungsverhält
nis, dessen ·Intensität von sich bildendem Ver
trauen bestimmt wird, können die Künstlerkol
lektive, -teams oder -großfamilien hier ihre
Arbeit tun und nutzen bei der technisch-organi
satorischen Realisierung, Publikation und Kom
munikation mit der Öffentlichkeit die schlanken
und hochprofessionellen Apparate dieser Häuser.
FRUCHTBAR IST NUR DAS UNBEKANNTE Uberlegungen zum neuen Musiktheater Von Gerhard R. Koch
"Braucht das Musiktheater
neue Stücke?", . heißt das Debatten-Thema der
Dresdner Tagung am Sonnabendvormittag. Der
auf diesen S~iten gedruckte tour
d'horizont durch
die neuen Musiktheater
Werke der letzten
dreißig Jahre wird hier als Aus
gangsmaterial gedruckt (es han
delt sich um den
gekürzten Abdruck eines
Vortrages, der deninächst vom Frankfurter
Patronatsverein für die Städtischen Bühnen e.V. veröffentlicht
wird). Der Autor Gerhard R.
Koch nimmt an
der Debatte teil.
Eine Vorbemerkung muß ich machen:. ner Provenienz, erhaben oder trivialeren literari-
Meine Darstellung greift zwar auf die letzten sehen Ranges. Dieses Libretto wird vertont. Auf
dreißig Jahre zurück, auf Impulse, die damals der Bühne wird gesungen und agiert, das Drehe-
angelegt und angeregt worden sind, und die ster "begleitet" im· Graben. Regie und Bühnen-
zum Teil heute erst zum Tragen kommen. Trotz
dem werde ich keineswegs streng chronologisch
vorgehen, eher exemplarischen Motiv-Strängen
folgen. Ebensowenig beanspruche ich lexikali
sche Vollständigkeit. Zudem sind meine Sicht
und Auswahl natürlich subjektiv: Andere werden
andere Entwicklungszüge sehen, andere Akzente
setzen, andere Vorlieben und womöglich Ab
neigungen haben.
Die Veränderungen des Musiktheaters
gingen nicht nur.von den neuen Werken aus,
sondern die gesamte Situation der Oper hat
daran mitgewirkt. Gattung und Institution sind
nicht mehr dieselben wie vor vierzig Jahren.
Auch die gesellschaftlichen, also letztlich sogar
die politischen, zumindest die kulturpolitischen
Rahmenbedingungen - etwa manche Bildungsc
voraussetzungenund Zeitgeist-Schübe- haben
sich verlagert. Ebendies fängt schon mit dem·
Gattungsbegriff an: Bezeichnungen sind ja nicht
nur leere Worte, sondern gewinnen manchmal
eine Realität sui generis- der pure Name wird
zum Credo. Wer unbekümmert nur von "Oper"
spricht, "outet" sich quasi als konservativer Kuli
nariker; während der Anhänger des "Musikthea
ters" eben dadurch ein progressiv kritisches Kul
turverständnis dokumentiert.
Schon das Wort Musiktheater evoziert
etwas von den Grundspannungen, die vor vier-
. hundert Jahren, bei der "Erfindung" der Oper,
auftraten, dem "dramma in musica", jener bis
heute rätselhaft verlockenden Mixtur aus dra
matischer Situation und Darstellung, Sprache;
Instrumentalmusik, Gesang, Tanz und Bildenden
Künsten. "Oper" läßt da ein viel planeres Phäno
men assoziieren:
Am Anfang steht ein mehr oder min
der bekanntes Sujet, ein Text fremder oder eige-
DRAMATURG 1/2 99 f Seite 30
bild haben die Aufgabe, dramaturgische Struktur
und musikalische Spezifika möglichst authen
tisch, also dienend, optisch umzusetzen.
Doch das lineare Erzähltheater hat
schon lange nicht mehr uneingeschränkte Gül
tigkeit. die Komponisten suchen nicht unbedingt
Texte, an denen sich entlang komponieren läßt
und die lnszenatoren bieten Bildweiten, diealles
andere als eine gar geläufige "Handlung" illu
strieren. Die ästhetischen Teilbereiche verselbst
ändigen sich, der Begriff des Gesamtkunstwerks
gewinnt ganz neue Bedeutung, dies zumindest
im Hinblick auf die jeweils avanciertesten Ten
denzen. Doch daß die gute, alte Oper tot, gar
mausetot ist, läßt sich gar so eindeutig nun
auch wieder nicht sagen. Das nahezu permanen
te Kräftegeschiebe zwischen immer noch eher
traditione.llen Strukturen und radikalen lnnova-
. tionen gehört zur Schubkraft des Musiktheaters
seit jeher.
Henzes Dreischritt:
von Repräsentation über Revolution
zu ästhetischer Restauration
Unter diesem Aspekt ist die nach wie
vor vermutlich paradigmatische Erscheinung
Hans Werner Henze, bei dem Revolution und
Restauration mitunter geradezu vexierbildmäßig
ineinander verschränkt wirken. Er selbst hat
seine monumentalen "Bassariden" von 1966 zur
dialektischen Wendemarke erklärt. Das antik
mythologische Sujet, die Gattung der ausladen
den Choroper, die Uraufführun"g bei den
prestigeträchtigen Salzburger Festspielen:
Pompöser konnte eine Grand OpEra des zwan
zigsten Jahrhunderts kaum mehr zelebriert wer
den. Zum anderen aber hat er dem Monsterwerk
Gerhard R. Koch,
geboren 1939
in Bann - nach Kindheit in Süd
deutschland ab
1952 in Frankfurt a.M. - frühzei
tiges Interesse an Musik und Theater, an Klavierspiel, Kammermusik und Liedbegleitung.
Studium der · Germanistik,
Geschichte, Musikwissenschaft, Philosophie und Sozio
logie (hauptsächc
lieh bei Adorno, dem er viel verdankt) -seit 1960 musikkriti
sche Beiträge in
der FAZ - sefi 1964 Mitarbeiter, .
seit 1976 Musik
redakteur der FAZ
- 1999 JohannHeinrich-Merck
Preis für Essay
istik, verliehen durch die Deut
sche Akademie
für Sprache und Dichtung
ein Motto Gottfried Senns vorangestellt: "Die ·
Mythe log". Also genau das, wofür die große Oper
als Haupt- und Staatsaktion stand, wurde als
fundamental falsch denunziert. Henze, im Zenith
seines Ruhms als bürgerlicher Künstler, entdeckte
nicht nur die Fragwürdigkeit von Kunst als veran
staltetem schönen Schein, sondern rief 1967 zum
Gegenangriff auf: "Notwendig sind nicht neue
Museen, Opernhäuser und Uraufführungen. Not
wendig ist, die Verwirklchung der Träume in
Angriff zu nehmen. Notwendig ist die große.
Abschaffung der Herrschaft des Menschen über
den Menschen, und das heißt: Notwendig ist die
Schaffung des größten Kunstwerks der Mensch
heit: die Weltrevolutiori."
Seitdem galt Henze allenthalben als
dezidiert linker Künstler und als Gallionsfigur
einer stets politisch zu verstehenden Ästhetik,
eben der Achtundsechziger-Zeit. Frappierend an
Henzes Entwicklung war aber noch etwas ande
res: Häufig hatte er die angeblich offizielle und
dogmatische Avantgarde, für die musikalisch in
erster Linier der Name Darmstadt stand, als
letztlich genuin spätbürgerlich attackiert. Doch
nun, mit der neuen politischen Stoßrichtung,
· verjüngte sich auch seine künstlerische Praxis im
Zeichen oft regelrechten Anti-Opern-Affekts, ja
des Affronts gegen die paradigmatische bürger
liche Gattung.
So hat Henze damals mehrfach auf
eine Praxis zurückgegriffen, die charakteristisch
für ganz entgegengesetzt operierende Komponi
sten wie John Cage, Mauricio Kagel und Dieter
Schnebel, auch Hans-Joachim Hespos war: das.
"Instrumentale Theater"- kammermusikalischer
Aktionismus, der szenische Eigenständigkeil
gewinnt, mitunter in sogar berserkerhafte Wild
heit führt Linker politischer Protest artikulierte
sich rabiat, wie man es dem fsthetiziste~ Henze
kaum je zugetraut hätte. "Versuch über Schwei
ne", "EI Cimarroh" und "Der langwierige Weg in
die Wohnung der Natascha Ungeheuer" waren
1968 "71 die oft wörtlich schreienden, auch free
jazz-haft kreischenden Ha~ptwerke musikali
scher Agitation und Aggression. Mit "Oper", als
deren zeitgenössischer Meister er gefeiert wor
den war, wollte Henze nichts mehr zu tun
haben. Zusätzlich träumte er von einer musica
impura, einer Musik, in die Unteres und Fremdes
Eingang fanden, einer Ästhetik des Heterogenen,
ja Disparat,n, auch des, heute würde man sagen:
DRAMATURG 1/2 99 I Seite 31
Multikulturellen. Ausgehend von der marxisti
schen These, daß die herrschende Kultur eben
die Kultur der Herrschenden, der herrschenden
Klasse sei, griff er auf Instrumente und Idiome
der Popular- ja Trivialmusik, auch des Exotismus
zurück. Und erst recht wider irrationalen Opern
Kulinarismus gerichtet war die an sich simple
Strategie, in der Revue- La Cubana" das bunt
scheckige lntrumentarium auf der Bühne zu
postieren, es gleichsam auch optisch mitspielen
zu lassen.
Gebündelt wurden diese Tendenzen in
den gemeinsam mit dem englischen Dramatiker
Edwerd Bond geschaffenen actions for music
"We come to the River" um einen den Herr
schenden abtrünnigen General: Die Bühne ist
dreigeteilt, sowohl für die Akteure wie für die
Instrumental-Gruppen. Und mit der schier natu
ralistischen Drastik der Gewalt-Darstellung
nimmt analog der demonstrative Charakter der .
theatralischen Veranstaltung zu. Henzes hochbe
deutsamen "River", 1976 in London uraufge
führt, sahen viele in einer Linie mit "Wozzeck"
und "Soldaten': Daß das Werk nicht die Reper
toire-Fortune hatte, die ihm zukam, lag auch an
den politischen 'Veränderungen: Radikal enga
gierte Kunst war in den achtziger Jahren nicht
mehr so en vogue. Henze hat sich denn auch ein ·
wenig aus dieser Sphäre zurückgezogen, aufs
instrumental-theatralische, Gedanken-Konzert
(in "EI Rey de Harlem" nach Lorca und "Le
Miracle de Ia Rose" nach Genet). Und in der gif
tigen Edward-Bond-Komödie "The English Cat"
wurde wieder Libretto "vertont", das Orchester
in den Graben verbannt. Thematisch schroffer,
musikalisch furioser geriet dann wieder die sex
and crime-Oper "Das Verratene Meer" nach Mis
hima. Doch Henzes vermutlich letzte Oper
"Venus und Adonis" arrondiert wieder vollends
die historische Gattung wie Henzes Oeuvre:
mythische·s Sujet, Künstler-Tragik, barocke Alle
gorie, Theater auf dem Theater, Musik über
Musik- ein hochgezüchtet-resignatives Arka
dien. Wie kaum ein anderer Künstler hat Henze
eine Art dialektischen Dreischritt vollzogen:
Repräsentation, Revolution, ästhetische Restau
ration. Ihn darob zu schelten, daß er als Kompo
nist auf die Zeitläufe reagierte, daß seinem
Überschwang die Ernüchterung nicht erspart
blieb, wäre infam. Zumindest hat er wie kein
. anderer den Schein-Charakter der Oper kulti-
viert, denunziert, neuartig konstruiert, abermals
zerschlagen und schließlich versucht, ihn doch
noch zu retten.
Stockhausens "Gesamtkunstwerk"
Der andere überragende deutsche
Komponist der Nachkriegszeit, Karlheinz Stock
hausen, hat sich nie als Mann der Oper verstan
den - und auch nicht, wie Henze, als Arbeiter
am Brückenschlag zwischen Tradition und
Moderne, Kunst und Politik. Für ihn war Kompo
nieren stets ein charismatisch-demiurgischer
Akt, Avantgarde an sich: Allemal sah er sich
selbst als Ersten, als gottgleichen creator mundi
nach ganz eigenem Gusto. An überkommenen
Gattungen sich abzuarbeiten, wäre nicht in sei
nem Sinn. Wagner etwa kann er, allerdings
höchst bezeichnenderweise, gar nicht leiden.
Henze berichtete, er sei ein einziges
Mal mit Stockhausen zusammengewesen, in den
fünfziger Jahren: Vom Kahlenberg hätten sie auf
das nächtliche Wiener Lichtermeer herabge
schaut- und Stockhausen habe den Wunsch
geäußert, .. dies alles" mit seiner elektronischen
Musik in die Luft zu sprengen: Ästhetik als kos
mischer blow up.
Analog sind Stockhausens musikali
sche Explorationen oft genug auch mit optisch
szenischen Aspekten gekoppelt. Seine .,Originale"
zählen heute noch zu den Haupt-NHappenings"
der Fluxus-Ästhetik. Und immer wieder, etwa in
der .. lnori" oder .,Trans", hat er minutiöse thea
tralische Anforderungen gestellt, aufs durch
determinierte .,Gesamtkunstwerk" gezielt. Und
obwohl er den Zusammenhang mit Wagners
.,Ring" hartnäckig bestreitet. okkupiert ihn die
Idee eines mythologisch überwölbenden
Menschheits-Erlösungs-Werk schon lange: Seit
1977 arbeitet er an seinem Hauptwerk, dem aus
sieben ..Tagen" bestehenden Zyklus .,Licht", eben
seiner .. Heptalogie", Ob man dies nun als Oper
klassifiziert oder nicht, tut wenig zur Sache.
Doch daß da eine Verbindung von zum großen
Teil unerhört inspirierter, oft elektronischer
Musik - auf der Basis einer übergreifende Ein
heit stiftenden .,Superformel" - , Gesang, Aktion
und Bühne entsteht, ist so unzweifelhaft wie
Stockhausens monomane Ein-Mann-Autorschaft
als Ideen-Generator, Texthersteller, Komponist,
·Dirigent, Klangregisseur und lnszenator.
DRAMATURG 1/2 99 I Seite 32
Dabei geht es ihm um nichts Geringe-
. res als eine, wenn nicht .,die" Heilsgeschichte. Ihr
.,Held" ist Michael, der Musiker. Stockhausens
Sohn Markus, der fabulöse Trompeter. ln .. Don-.
nerstag" wird er als Messias geprüft, am .. Diens
tag" schlägt er die apokalyptische Entschei
dungsschlacht wider Luzifer- und am "Sonntag"
soll er wohl eine befriedet-erlöste Menschheit
ins Elysium blasen. Und seine Partnerin ist
natürlich die schöne wie -typisch weiblich -
verführbare Eva, die sogar einen farbigen kosmi
schen .,Bastard" gebiert. Das Finale wird womög
lich erst 2002 in Bann sein.
.. Halb Gott, halb Trottel" meinte Mah
l er über Bruckner. Doch auch Stockhausen
macht es seinen Bewunderern schwer: Geniale
musikalische Elemente und textlich-szenisch oft
albern-infantiler do it yourself-Mystizismus las
sen sich schwer voneinander trennen. Doch die
bisherigen Teilaufführungen in Mailand, Leipzig
und München haben stets wieder neugierig auf
dieses musiktheatralische .,work in progress"
gemacht.
Zum dritten: Daß es der Musik des
überaus verehrungswürdigen Oliver Messiaen an
Farbe und Sinnlichkeit gefehlt habe, kann man
nun wirklich nicht sagen; doch erst als fast Sieb
zigjähriger hat er sich von Ralf Liebermann
überreden lassen, ein Werk für die Pariser Oper
zu schreiben, allerdings nicht gerade ein sex
and-crime-sujet, sondern ein über die Maßen
heilighaftes: ."Franz von Assisi" -also eine
Legende. Die Gattung hat etwas dezidiert
Antitheatralisches, und dazu gehört auch - Pro
blem der gesamten Musiktheater-Moderne ~ der
Verzicht auf dramatische Interaktion, folglich·
auch auf das Mit- und das Gegeneinandersin
gen. ln der Tat ist Messiaens .,Saint Francais
d'Assise" mehr Oratorium als Oper, aber als
Summa dieses unerhört vielschichtigen Kompo
nierens auf der Basis von Katholizität, Serialis
mus und .. Weltmusik" in Gestalt aller möglichen
Exotismen und Beschwörung von Vogelstimmen
aus allen Erdteilen tief bewegend.
Aleatorik, streng strukturiert:
John Cage
Als Messiaen gefragt wurde, was er
denn von der Aleatorik halte, da antwortete er
lapidar: er sei Katholik, glaube demnach nicht an
den Zufall. Insofern war es alles andere als
Zufall, daß 1987, vier Jahre nach der Pariser
Messiaen-Premiere, in Frankfurt ebenfalls das
Musiktheater-Werk eines Komponisten kreiert
wurde, den man ganz und gar nicht mit .. Oper"
assoziierte- und der überdies Hauptexponent
eben der Aleatorik, .der .,Unbestimmtheits-Ästhe
tik" ist: John Cage.
Cage steht für eine sehr amerikanie
sehe gewaltferne Sonderform von Anarchie nach
dem Motto: .. The best form oft government is
no government at all." Folgljch lautete sein
Kunst-Credo . .,Jeder sollte das Recht haben, so
wenig wie möglich beeinflußt zu sein." Politi
sches und ästhetisches Programm hängen
zusammen, und unverkennbar ist die Absage an
den europäischen Traditions-Kult. inklusive nicht
zuletzt vier Jahrhunderten Oper.
Zum Begriff des Schöpferischen
gehört das Konstruktive, nicht das Destruktive.
Gleichwohl ist da.s .. Destruktive" ein zentrales
Moment der Moderne, vor allem· in den ver
schiedenen Formen von Montage-Kunst. Im
modernen Künstler steckt denn auch nicht sel
ten Einiges vom guten alten Doktor Franken
stein, der aus Leichenteilen einen neuen Men
schen .. kreiiert". Genau dies war der Ansatz für
Cages .. Europeras': Der Titel verweist doppelsin
nig nicht nur auf genuin europäischeTradition,
sondern kann phonetisch auch als .. your operas",
Eure Opern,: verstanden werden: als konzeptio
nalistisches Kunstwerk, das erst im Kopf des
Rezipienten entsteht, (s)einen möglichen Sinn
erhält. So hat Cage, ein wahrer Kunst-Leichenf
ledderer, den Fundus des Opernrepertoires
geplündert, das Material gleichsam gehäckselt
und in neue, scheinbar lebendig-vertraute
Gestalten umgemodelt. So hat er mit Zufalls-,
I Ging- und Computermanipulationen aus
Gesangs- wie Orchesterstimmen von Gluck bis
Puccini oft völlig unkenntliches Spiel- und Sing
Material gewonnen - gleichzeitig aber aus der
Personalstaffage vertraute Figuren, Situationen
und Posen, allerdings völlig absurd gemixt. Als
Musiktheater-Gesamtkunstwerk entstand ein
Vexierbild, in dem man allenthalben Zusammen
hänge sah und hörte, die es so zumindest gar
nicht gab, nicht geben konnte. Die Irritation war
produktiv: Totales Chaos klang frappierend plan
voll, das Ohr ergänzte völlig Zufälliges zu .. hits",
und die ganze Absurdität des Opern(un)wesens
DRAMATURG 1/2 99 1 Seite 33
erschien als perfektes Mobile- und war doch in
der Gleichberechtigung der Momente gleichwohl
seltsam streng strukturiert.
Der Traditionsleugner Cage hatte Oper
über Oper geliefert; als Vorbilder empfand man
Henri Pousseurs variables Spiel nach einer Vorla
ge des .,nouvel roman" -Autors Michel Butor
.,Votre Faust" von 1968, bei dem das Publikum
per Abstimmung in den Handlungsverlauf ein
greift, und Kagels Hamburgisches .,Staatsthea
ter", in dem er 1971 Größt-Gattung und Institu
tion Oper und Opernhaus aufs Korn nahm und
schnöde karikierend durch den Kakao zog. Alle
möglichen Versatzstücke hat Kagel da zu eineni
absurd-makabren, grotesk-komischen Reigen
aufgefädelt, sich als Hexenmeister in der Kunst
des Kompanierens auch mit .. ni.chttönenden"
Materialien erwiesen. Dabei steckte in der Idee,
daß alles mit allem gleichwertig, hierarchielos
kombinierbar sei, immer noch das Prinzip des
Serialismus, das allerdings nkht zuletzt Cage in
Frage gestellt hatte, dessen Unbestimmtheits
fsthetik klingende Ergebnisse hervorgebracht
hatte, die von denen rigidester Determination
nicht immer mehr unterscheidbar waren.
Die Utopie, daß es möglich sei, Tönen
des und vielfältig Theatralisches baukastenartig
und nach strengem Spiel-System zur Großform
aufzubauen, hat Han·s Zender in seiner zweiten
Musiktheater-Arbeit nach .,Stephen Climax" in
.. Don Ouijote" weitergeführt. in ganz anderer
Weise hat Luciano Berio Oper als Oper thema
tisiert: in .. La vera Storia" - eine .,Troubadour"
Travestie ( .. Wer ist wer?), und in .. Un re in ascol
to", in dem Shakespeares .. Sturm"- Prospero zum
angstvoll überforderten Operndirektor mutiert.
Die "Minimalisten"
Natürlich haben die Komponisten seit
dem Ende der Tonalität ein kapitales Problem:
Wie soll man Charaktere, Situationen, Affekte
plastisch schildern, wenn es- klar erkenntlich
nach der Krise der Tonalität- keine verbindlidie .
Sprache mehr gibt, und Serialismus wie Aleato
rik mitunter sogar gleichermaßen in sterile Ano
nymität führen?
.,Die Minimalisten" traten auf den
Plan: Wie kann man mit minimalem, minimal
verändertem Material dennoch große Zeit
strecken, gar mit Spannung, erfüllen? Während
doch zur .,Oper" oft krasse Gegensätze auch zwi
schen Ruhe und Bewegung und nicht zuletzt
reißerische .,Stretta"-Steigerungen gehören,
.,dramatische" Vielfalt in jeder Hinsicht. La
Monte Young setzte dem die rituelle, indisch
inspirierte Seance entgegen: .,Dream Hause':
Morton Feldmann weitete einen reduktiven
Beckett-Text so asketisch wie suggestiv zum
Einakter: .,Neither':
Do.ch zum Opern-Propheten der mini
mal music wurde Philip Glass .. Wie die Zeit ver
geht: Es ist zweiundzwanzig Jahre her, daß im
11amburger Schauspielhaus., Einstein an the
Beach" in Robert Wilsons Inszenierung zum
Paradigmawechsel führte, Theaterleute wie Peter
Stein, Luc Bondy, lvan Nagel und andere in schi
er pfingstliche Ergriffenheit gerieten. Und end
lich wähnte man einen Satz aus .,Parsifal"
tatsächlich realisiert: .,Ich schreite kaum, doch
wähn' ich mich schon weit. Du siehst mein Sohn,
zum Raum wird hier die Zeit." Die Optik der.
Zeitlupe und das tönende perpetuum mobile
fielen hier zusammen. Fünf pausenlose Stunden
hatte man Zeit, Zusammenhänge zu erfahren - ·
oder auch nicht. Der Text spielte kaum eine
Rolle, .slow motion, auch des Lichts, und sanft
leiernder Leerlauf wirkten als Narkotikum. Den
noch überwog die Kälte der letztlich experimen
tellen Ästhetik, blieb der Abstand zu wohlfeilem
New Age-Mystizismus stets deutlich.
. Erst in den folgenden Opern, .,Satya
graha" und .,Echnaton", hat Glass dann expliziter
auf Friedens-., Botschaft" gesetzt. Die Stuttgarter
Glass-Trilogie in der Visualisierung Ach im Freyers
wurde zum regelrechten Kult-Ereignis. ln seinen
späteren Bühnenwerken ist Philip Glass mehr
und mehrdem Kamprarniß verfallen, seirie
Sujets wurden süffiger, seine Musik bunter, kurz
weiliger- und limonadenartiger.
Lebten Aleatorik und Minimalismus
zunächst, darin oft durchaus polemisch, also
indirekt schon auch politisch, aus der Verweige
rung, der Negation von Sinn, so nahm der
Wunsch nach, gar positivem, .,Inhalt" doch wie
der überhand. Schon Glass"Gandhi-Hommage in
.,Satyagraha" sollte nicht bloß wertfreies Töne
Spiel mehr sein. Vollends John Adams griff ent
schieden zur Politik, ja packte sogar noch leben
de Protagonisten der Weltgeschichte am Schopf:
Mao, Tschu en Lai und Nixon . .,Nixon in China"
wurde, zu mal in Peter Sellars' kongenialer lnsze-
DRAMATURG 1/2 99 I Seite 34
nierung, zur perfekten Politik-Parodie auf der
Opern bühne, gleich weit entfernt von affirmati
ver Monumentalisierung wie nur hämischer
Karikatur. Adams\< Musik war immer noch .mini
malistisch gleichförmig, doch kontrastreicher als
die von Glass, und sie kannte durchaus
Umschwünge in tänzerische Ekstase. Gesteigert
hat das Adams noch in seiner nächsten Oper
über einen nun sogar noch konkreteren politi
schen Fall, die Entführung des Kreuzfahrschiffs
.,Achille Lauro" durch arabische Terroristen, aber
.,Death of Klinghoffer'' geriet nun in die Span
nung zwischen Gleichmaß und bisweilen regel
recht reißerischer Musikdramaturgie.
Doch mit der Auflockerung repetitiver
Strenge zugunsten von·.,Ausdruck" verfielen die
Minimalisten in Beliebigkeit. Während die Büh
nenstücke von Meridith Monk nicht selten, mit
unterschiedlichem Ergebnis, am Typus der vokal
choreographischen .,Performance" festhielten.
Dagegengehalten hat lange der wohl
bedeutendste der amerikanischen Raster-Mei
ster: Steve Reich. Auch er wollte mit europäi
scher Tradition, vor allem des neunzehnten Jahr
hunderts, also erst recht der Oper, nichts zu tun
haben. Spätmittelalterliche Kanon-Künste und
die Perkussionswunder ghanaischer Trommel und
indonesischer Gamelan-Spieler haben ihn zu sei
ner fsthetik der .,Phasenverschiebung" gebracht:
Ein Trommelraster wird exponiert, dann metrisch
um ein Winziges versetzt. Die Schlagwerke
Kanons von .,Drumming" haben ungeheure Fas
zination ausgeübt, auch ausgerechnet auf einen
Sensibilisten wie Ligeti, und suggerierten eine
Musik senza espressione. Dem Wort als Aus
drucks- und Botschaftsträger mißtraute Reich.
Selbst als er hebräische Psalmen oder ein
Gedicht von William Carlos William .,vertonte",
schien klar: ein Bühnen- gar Opernkomponist
würde er nicht werden. Trotzdem hat er 1993
· ein Werk vorgelegt, das in seiner rigiden Materi
aldisposition, politischen Signifikanz und opti
schen Attraktivität eine Art Quantensprung
bedeutete - mag man dies nun Musiktheater
nennen können oder nitht.
.,The Cave" hieß die spannende Spu
rensuche, auf die sich der Komponist und die
Videokünstlerin Beryl Karat begaben: Eine Höhle
bei Hebron gilt Juden, Christen und Muslimen
als gemeinsamer Ort des Ur-Vaters
Abraham/lbrahim. Reich-Karat haben eine Art
von theologischem Disput, Interview, ja Quiz mit
Vertretern der Religionen und Nationen veran
staltet, die Antworten unter anderem musika
lisch nach Art von J.naceks .,Sprachmelodien"
aufgeschlüsselt und neustrukturiert. .. gesam
pelt", Gesichter und Geschriebenes auf mehreren
Bildschirmen gezeigt. Musik und Optik, Doku
mentation und Synthese bilden eine Einheit; als
Video-Musik-Theater war dies ein Ereignis. Die
.,Hindenburg"-Trilogie des Duos folgt ähnlichen
Strategien, ist aber noch unabgeschlossen.
Fast will es scheinen, als habe der
Typus des messianischen, charismatisch-dem
iuigischen Original-Genie-Künstlers abgedankt.
Wagner scheint endgültig tot. Komponisten sind
auf den Plan getreten, die nicht mehr primär auf
elitäre Autorschaft setzen, auf Werke, die per
fekt durchindividualisiert sind, in Material, Dis
position und Ausführung absoJut unverwechsel
bar .. Zwei extrem unterschiedliche Komponisten
seien hier genannt: Einmal Heiner Goebbels,
Grenzgänger zwischen E und U, aktiver Musiker
im einstigen Frankfurter .,Sogenannten Linksra
dikalen Blasorchester", das gerne mit Hanns-Eis
ler-Verschnitten paradierte. Goebbels schreibt
auch Hörspiele, hat aber auch fürs Musiktheater
immer wieder gearbeitet, für das Frankfurter
Ensemble Modern etwa mit .. Biack and White",
bei dem Musik und spielerische Aktion, auch
Licht so anarchisch wie systematisch aufeinan
der bezogen sind. Und Goebbels tendiert auch
mehr und mehr dazu, heterogene Materialien zu
.,sampeln", elektronisch aufzuschlüsseln und
. weiterzuformen. Der altehrwürdige Begriff des
.. Originalen" wird allmählich hinfällig: Auch
darin ist der sich nach wie vor als .. links" verste
hende Goebbels gelehriger Schüler Brechts und
· Eislers.
Der andere war Alfred Schnittke.
Auch er mißtraute der (Zwangs)vorstellung, ein
Komponist müsse absolut unverwechselbar sein
- und dies zudem im Hinblick auf rigoroseste
Avanciertheit an sich. Sein Ideal der .. Polysty
listik" hatoft fabelhaft funktioniert: im Sinne
eines satirischen Polit-Musiktheaters gewiß am
überzeugendsten im .,Leben mit einem Idioten·:
Zusammen mit dem großen alten Moskauer
Theater-Meister Juri Ljubimow hat er .,Doktor
Schiwago" auf eine Art Revue-Bühne gebracht.
Allzuviel .. originaler" Schnittke dürfte in dieser
Musik nicht mehr enthalten gewesen sein; nicht
DRAMATURG 1/2 99 I Seite 35
wenige Pop-Einsprengsel dürfte vor allem der
Sohn des Komponisten beigetragen haben. Vieles
mag Folge von Schnittkes tragischer Erkrankung
gewesen sein, doch schlug da auch das generell
multiple Konzept durch.
Was aber ist überhaupt aus dem poli
tischen (Musik)Theater geworden? Wie gings
weiter mit den Ideen linken Engagements, gar
einer Agitprop-Ästhetik? Immerhin hatte es da
Kollektiv-Kompositionen wie etwa .,Streik bei
Mannesmann" einer Gruppe um Henze gegeben;
außerdem die rabiat-burlesken Rock-Gruppen:
.. Floh de Cologne" mit .,Pröfitgeier" oder die
Koppelung von .. Ton, Steine, Scherben" mit
.. Hoffmann"s Comic Theatre"-:- lustig-deftige
Attacken aufs· .. Establishment': Doch nicht weni
ge .,linke" Komponisten taten sich schwer: Man
sollte als. Künstler eingreifen - und dennoch
nicht den Usancen trivialer Massenkultur erlie
gen, sich umstandslos eines entweder museali
·sierten oder kommerzialisierten Materials wie
Betriebs bedienen.
Wie kann man ästhetische
Autonomie wahren und dennoch
.,Wirksamkeit" erzielen?
Vor allem Luigi Nonq hat fast sein
, Leben lang an dieserOuadratur des Kreises labo
riert. Nonos erste azione scenica .. lntolleran
za1960" hatte noch klare politische Stoßrich
tung und lieferter sogar noch etwas einer
.. Handlung" vergleichbares. Die zweite .. Al gran·
sole carico d"amore", musiktheatralisches Haupt
werk der gesamten .. eurokommunistischen"
Phase, Requiem auf die Märtyrerinnen der
großen Revolution, irritierte schon mehr: Die
Figuren· boten sich nicht mehr zur Identifikation
an, Resignation überwog - und Nonos Musik
überwältigte zwar durch ungeheure Intensität
und Fülle, doch der Konnex zwischen ihr und der
jeweiligen Situation war alles andere als plaka
tiv. Ab 1980 wählte Nano immer mehr den Weg"
nach ,.innen". Um so mehr war man an seinem
dritten .,Bühnenwerk" interessiert: .. Prometeo':
Anfänglich hatte er sogar tatsächlich an eine
weitere, erweiterte azione scenica gedacht,
sogar Kontakt mit dem großen polnischen Thea
ter-Guru Tadeusz Kantor aufgenommen- doch
immer mehr driftete er von der Vision des wie
auch immer Szenischen ab. Zum Schluß blieb es
bei der "Tragödie des Hörens", bei oft unvorstell
bar filigraner, mikrotonaler "Musik im Raum",
imaginären Wanderungen in jeder Hinsicht.
Nonos bedeutendster Schüler, so der
akademische Begriff überhaupt zutrifft, ist Hel
mut Lachenmann. Auch er fühlt sich als radika
ler Außenseiter, politisch links- überdies einem
rigorosen Avantgarde-Ideal derVerweigerung
allen oberflächlichen Wohllauts verpflichtet:
Nicht das Schöne lehnt er ab, sondern dessen
Schablone. Doch während Nano als Italiener,
zu mal Venezianer, stets mit der Spannung zwi
schen distinktester kompositorischer Autonomie
und dem für Italien allemal gültigen Prinzip:
Musik heiße letztlich doch immer wieder in
erster Linie "Oper" zu leben hatte, entstammt
Lachenmann einem Stuttgarter Pastorenhaus:
Ethischer Rigorismus bestimmt auch seine fsthe
tik. Oper, unverantwortliches Reich des schönen
Scheins, ist die teuflische Gegenweit ,;Doch ewig
lockt das Weib" - Klingsors Zaubergarten mit
samt seinen "Biumenmädchen" verführt auch
den keuschesten Avantgardisten: Schon seit
1975 umkreisen Lachenmanns Gedanken Hans
Christian Andersens todtrauriges Märchen vom
"Mädchen mit den Schwefelhölzern': Die Harn
burgische Staatsoper ließ nicht locker. Im Januar
· 1997 war es soweit. Die Uraufführung war eine
immense Tat, der erstaunliche Publikumserfolg
Lohn für eine unvorstellbare Anstrengung.
Auch Lachenmann schrieb, mit dem
"Mädchen mit den Schwefelhölzern" analog zu
"Wozzeck" eine "Oper des sozialen Miileids", nur
ganz ohne narrativen background und plane
ldentifikationsmöglichkeiten. Und er koppelte
das Andersen-Sujet mit dem Requiem auf eirie
Märtyrerin der anderen Art: Gudrun .Ensslin, die
RAF-Aktivistin, die in Stammheim Selbstmord
beging. Texte von Leonardo da Vinci und Ernst
Toller kamen hinzu. Ein Erzählstück ist dies
nicht, und Lachenmanns Musik vollbrachte das
Wunder, ausgerechnet die spröde-asketische
Verweigerung, die Bevorzugung aller möglichen
instrumentalen Geräuschklänge zwischen Ver
stummen und bruitistischem Exzeß zur Basis
einer stringent erfüllten zweistündigen Groß
form zu machen.
Auffallend ist derzeit die Tendenz zur
Indetermination, zum bewußten Offenlassen -
und zum nicht-hierarchischen Nebeneinanderar
beiten der an einer Produktion Beteiligten.
DRAMATURG 1/2 99 I Seite 36
Wolfgang Rihm
und Adriana Hölszky
Lassen Sie mich dies an zwei Beispie
len erörtern: Wolfgang Rihm und Adriana.HÖisz
ky. Rihm .ist der produktivste und erfolgreichste
deutsche Nachwuchskomponist obwohl (Jahr
gang 1952) auch schon nicht mehr ganz jung.
Von der "Darmstädter" Avantgarde hat er sich
insofern abgesetzt, als er durchgängig der Nei
gung zur Textvertonung folgte, nicht zuletzt
unter dem Aspekt expressiver Sprachähnlichkeit
von Musik. in den siebziger Jahren führte dies
dazu, daß er den jungen neotonalen Neoroman
tikern zugerechnet wurde: ein Mißverständnis,
wie sich bald herausstellte. Furore machte er in
Harnburg vor zwanzig Jahren mit seinem Büch
ner-Einakter "Lenz", gelungenem Beispiel von
"Literaturoper". Doch schon die ,.Hamletmaschi
ne" (196B) erwies sich als ,.totales" Musiktheater,
bei dem es nicht mehr darum geht, Subjekte auf
der Bühne agieren zu lassen, sondern um ein
Theater, das, so Rihm, ,.selbst Subjekt ist': Seit
1980 steht Rihm im Bann des französischen
.,Theater der Grausamkeit"-Autors Antonin
Artaud mit seinen Verweisen auf mythische.
Urerfahrungen, Drogen-Explorationen der mexi
kanischen Tarahumara-lndianer. Rihms gewaltig
gewalttätiges Ballett ,,Tutuguri" zeugte don
nernd von dieser Obsession. Die nächste Stufe
war 1992 die Hamburger Uraufführung der
,.Eroberung von Mexiko". Gewiß, die spanische
Conquista, die Konfrontation von Cortez und
Montezuma spielen eine Rolle, es gibt ein
"Sujet"; dennoch dominiert Grundsätzlicheres:
Die Prinzipien männlich und weiblich werden
gegeneinander gesetzt, Sprache ist nicht mehr
diskursiv, Theater ist nicht mehr narrativ, Klan
g räume und perkussive Geräusche suggerieren
mythisch-atavistisches Kräftegeschiebe.
Die Fixierung auf Artaud hat Rihm
danach zu einem work in progress geführt:
..SEraph in': Der erste ,.Zustand", 1994 in Frank
furt präsentiert, ist eine Art Konzertstück für
Kammerememble und Solo-Vokalisten. Rihm
· nennt es "Versuch eines Theaters": Der Video
Künstler Klaus vom Bruch hat- ohne die Musik
vorher zu kennen -zahllose Projektionen gelie
.fert. Komposition und "Inszenierung" haben
nichts miteinander zu tun. Es geht um ein
Musiktheater quasi in statu nascendi. 1996 folg-
ten in Stuttgart Peter Mussbachs Theatralisie
rung und in Karlsruhe eine weitere Video-Instal
lation Klaus vom Bruchs, 1997 eine rein instru
mental-elektronische Weiterführung. Rihm hat
vom .,Palimpsest"-Prinzip gesprochen, einer
Paradoxie: durch Neu-Komposition werden älte
re Schichten freigelegt. .,Oper" interessiert ihn nicht mehr.
Adriana Hölszkys Musik hat von
Anfang an eine gewissermaßen .,haptische"
Oualtiät: Der Klang wirkt körperhaft, aufge
rauht, geradezu physiologisch gestikulierend -
also potentiell theatralisch. ln ihrer Trilogie
.,Monolog" - .,es kamen schwarze Vögel" -
.,Vamirable" hatsie die Solosängerinnen nicht
nurvokales Surreal-Theater leisten, sondern
gleichzeitig auch exzessiv perkussiv agieren lassen: Vokal- und Instrumental-Theater fallen in
eins. Bei Fassbinders .,Bremer Freiheit" wurde
solche Bizarrerie-fsthetik noch ins zugleich spöttische Grandguignol erweitert, in den .,Wänden"
Genet suggestiv geradezu monumentalisiert. Ihre
Operatte .,Der Aufstieg der Titanic" macht den
Jahrhundert~Schock vollends zum surreal-satiri
schen Pasticcio:Text-Partikel, Vokal- und Per
kussions-Aktionismus, ironisch Wienerische, fle
dermausflatternde Untergangszitate und Eigen
dynamik der Interpretation hängen oft nur· noch
locker, eher kohzeptionalistisch zusammen.
Ausgerechnet das Theater, Ort der
Sinnenvielfalt, als .,Kunst des Weglassens": Adri
ana Hölszky hat aus der Krise multimedialer
Kohärenz eine Konsequenz gezogen: Oper ganz
ohne Stimmen, ja Personen . .,Tragödia" heißt ihr Orchesterwerk, das einzig von Wolf Münzers ·
Szenerie .,begleitet" wird: einem Bühnenbild mit diversen Accessoires, Lichtwechsel und Horror
Andeutungen.
Gegenwartslage der Oper .
Resümiert wurden fast nur die letzten
drei Jahrzehnte - und außerdem: Messiaen,
Cage, Nano, Feldmann, Schnittke sind tot, Cerha,
Henze und Stockhausen über siebzig, Schnebel,
Lachenmann, Zender, Ralf Riehm, Reich, Hespos,
Holliger und Franz Hummel um und über sech
zig. Wo bleiben die Jungen? Die Fragen sind
natürlich berechtigt. Nur: Die innovativen Ten
denzen des Musiktheaters, auch die Avantgarde,
haben ihre Geschichte. Für die Jüngeren sind
DRAMATURG 1/2 99 1 Seite 37
ästhetische Experimente wie politisches Engage
ment nicht mehr so vordringlich. Die Postmoder
. ne führt auch uns zum behaglichen Sich Ein
richten im, am Ende nicht nur künstlerischen,
juste milieu. So ist das Aufgreifen traditioneller
Opern-Topoi nicht mehr automatisch mit Tabus
belegt. Man freut sich wieder an der Oper.
Gleichwohl tun sich unablässig neue Wege auf:
Gründe für kulturpessimistische Grämlichkeit
gibt es eigentlich nicht.
Daß manche Avantgarde- wie Ach
tundsechziger-Programme heute Dreißigjährigen
museal anmuten, mag ·diejenigen, die sich erst.
einmal als Propagandisten jeglichen Fortschritts
verstanden, bitter ankommen; doch gehört dies zum legitimen Generations- und damit Paradigc
men-Wechsel.
Zum Zentrum der jungen Oper ist
München geworden, wo Gasteig, Marstalltheater,
Muffathalle und das wiedereröffnete Prinzre
gententheater mannigfache Aufführungsmög
lichkeiten bieten- nicht zuletzt für die 1986
von Henze ins Leben gerufene Biennale für
Neues Musiktheater. Erstaunliche Uraufführunc
genhat es da gegeben: Hölszkys .,Bremer Frei
heit", von Schweinitz""Patmos"; Produktionen im
Grenzbereich zu Außereuropäischem und Pup
pentheater lösten lebhafte Diskussionen aus.
. Henzes eigene fsthetik glaubte man manchmal
in der Tendenz z.um Narrativen erkennen zu
können; sein Nachfolger Peter Ruzicka meint,
daß zur Jahrtausendwende -fast einem·Gezei
tensystem folgend - experimentelles Musikthea
ter wieder mehr in den Vordergrund rücken
könne. Immerhin sind Huzicka schon einige
Coups gelungen: .,Marco Polo" des Chinesen Tan
Dun beeindruckte als keineswegs nur kompro
mißlerischer Brückenschlag zwischen europäi
scher Moderne und fernöstlicher Tradition. Und die Polin Hanna Kulenty erzielte mit repetitiven
·Mitteln in .,Mother of Black Winged Dreams"
eine eindringliche Psychiatrie-Studie, fast ein
wenig nach Art des englischen Filmemachers
Kenneth Loach.
Auf jeden Fall aber ist die Gesamtsi
tuation des Musiktheaters viel farbiger und vita
ler geworden. Auch das traditionelle Ritual-hat
sich erheblich verändert. Barockes, Monteverdi,
Händel oder Rameau werden plötzlich zu Publi
kums-Hits, auch dank ingeniöser Inszenierungen
und historisierender musikalischer Aufführungs-
.
Cymbe!ine
Ende gut, alles gut
Harnlet
Julius Cäsar
Der Kaufmann von Venedig
König Heinrich IV.
König Heinrich VI.
König Lear
Komödie der Irrungen
Die lustigen Weiber von Windsor
Macbeth
Maß für Maß
Othello
g
William Shakespaare Frank Günther
Richard 111.
Romeo und Jutia
Ein Sommernachtstraum
Der Stwm
Timon von Athen
Titus Andronicus
Troilus und Cresslda
Verlorene Liebesmüh
Viel Lärm um n'ichts
Was ihrwollt
Wie es euch gefällt
Ein Wintermärchen
Die Zähmung der Widerspenstigen
Zwei Herren aus Verona
Oscar Wilde !lemcl Eilert
Anton Tschechow Gudrun Düwe~
An der La"ndstraße
Der Bär
Drei Schwestern
Der Heiratsantrag
Die Hochzeit
lwanow
Das Jubiläum
Der Kauz
Der.Kirschgarten
DieMöwe
Onkel Wanja
Schwanengesang
Tragödie wider Willen
Über die Schädlichkeit des Tabaks
Carlo Goldoni
Der Dienerzweier Herren
Herren im Haus
Das Kaffeehaus
Diese Komödianten
Mirandofina
Ernst- und seine tiefere Bedeutung (Bunbury) Viel Lärm in Chiozza
undandere und andere
0
1m kongen
Moliere Hans Kantecrea
Don Juan
Tartuffe
und andere [J&\~nwJ&\fl~I!J tiT~ll~~[J~I
Verlag rur B(ihnc. Film. Funk & Fernschon • 0·50672 Köln ·llism~rck.slmßc 36 Tel (02 21) 51 30 79. fw:(02 21) 51 54 02- IWNI.hsve1!ag.rom • inl.xtfm-ertJg.com
DRAMATURG 1/2 99 I Seite 38
praxis; visuelle Innovation und orchestral-voka
les Authentizitätsstreben amalgieren sich fes
selnd und spannungsreich. Schlüsselwerke
Mozarts wie "ldomeneo'' finden das Interesse,
das sie verdienen, die Opern Schuberts werden
"entdeckt", ebenso die Pariser Grand OpEra, vor
allem Meyerbeer. Aber auch die verdrängten und
verfemten Werke des ersten Jahrhundertdrittels,
etwa Schrekers, erweisen wieder ihre Faszinati
on. Ein Opernhaus wie Sielefeld hat hier exem
plarische Wiederbelebungsarbeit geleistet. Hinzu
kam ein generelles intellektuell-sinnliches Inter
esse an neuen Sichtweisen auf die alte Oper. Die
wohl bewegendste, dabei durchaus auch ironi
sche Hommage an die Frankfurterfra Michael
Gielen ist Alexander Kluges herrlicher Film "Die
Macht der Gefühle". Da wurden vorher für
unvereinbar gehaltene Kunst-Leidenschaften
leuchtend vernetzt Und lnszenatoren wie Ruth
Berg haus, Achim Freyer, Hans Neuenfels, Robert
Wilson, Peter Mussbach, Peter Konwitschny oder
Peter Sellars, auch einige Protagonisten des
Tanztheaters, haben entscheidend dazu beigetra- .
gen, daß neuartige Sujets wie kompositorisch
dramaturgische Ansätze packend vermittelt wur
den, Produktion und Reproduktion sich interak
tiv steigerten. De"r alte muffige Opern-Betrieb
mit seinem oft öden Starkult verliert an Signifi
kanz; allenfalls in Wien, Hof- und Hochburg der
Musealität, spielen die ewiggleichen Rituale
immer noch eine ungebrochene Rolle. Ästhetisch
sieht das Bild des Musiktheaters allenthalben
erfreulich frisch aus.
Die Krisensymptome liegen auf ande
ren Ebenen, hängen natürlich eng mit gesell
schaftlichen Veränderungen zusammen. Im
gegenwärtigen Wertesystem hatdie Hoch-Kul
tur, zu der Oper nun einmal zählt, keinen ganz
unangefochtenen Stand. Bildungsvoraussetzun-
. gen und Erfahrungshorizonte haben sich verla
gert. Was für hundert Jahre unumstößlicher
Kanon war; gilt nur noch bedingtGenauere
Kenntnisse etwa Wagnerscher Hauptwerke ist
selbst bei musik- und theaterinteressierten
Dreißigjährigen nicht mehr ohne weiteres vor
auszusetzen. Dies allerdings muß nicht nur von
Nachteil sein: Abstand von der gardeutsch na
tionalen Bildungsbürger-Normenwelt kann
gewiß nicht schaden, der Öffnung für Neu es
und Anderes zugute kommen.
SPARTE ADE!
Dieser Artikel der Tanzkritikerin Eva-Eiisabeth Fischer erschien am 23. Dezember 1998 in der ,.Süddeutschen Zeitung':
. ln journalistischer Zuspitzung beleuchtet er die Ballett/TanzSituation und erscheint deshalb geeignet als Aus
. gangsmaterial für die Dresdner Debatte am Sonnabend, 20. November mit dem Titel: ,.Ästhetische Innovation im Tanz- innerhalb oder außerhalb des MehrspartenStadtteaters?"
Eva-Eiisabeth Fischer nimmt an der Debatte teil.
Der Tanz lebt, aber nur autonom Von Eva- EI i s a b e t h Fischer
Statistiken wirken so, als beschrieben
sie Fakten, und sagen doch nur etwas über Rela
tionen. ln der Theaterstatistik des Deutschen
Bühnenvereins, Spielzeit 1996/97, steht die
Sparte Tanz mit 71,1 Prozent Platzausnutzung
·nach Oper und Musical an dritter Stelle, ist also
erfolgreicher als das Schauspiel mit 68,3 Pro
zent. Trotzdem scheint das Schauspiel nach dem
Schillertheater-Debakel in Berlin unantastbar zu
sein. Denn anders als der in Deutschland tradi
tionsarme Tanz wird das Sprechtheater als wert
volles bildungsbürgerliches Gut betrachtet.
Außerdem sind die Soloverträge von Tänzern
sehr leicht zu kündigen, ist Tanz die vergleichs
weise billigste Sparte und macht somit als
Ganzes meist gerade den Betrag aus, der im
Budget eines Hauses eingespart werden soll.
Was so eine Statistik kaschiert, ist die
Tatsache, daß Opern-, Schauspiel- und Tanzen
semblesvon Radebeul bis Freiburg oft genug vor
lichten Zuschauerreihen spielen. Mancher Inten
dant rauft sich die Haare, wie er sein Repertoire
attraktiver gestalten und bewerben könnte.
Besonders beim Tanz wird die überregionale
Presse hofiert, weil eine gute Kritik in einer
großen Zeitung als lebensrettend für die Sparte
erscheint.
Findet sich in der reichen Literatur
stets ein Kammeröperchen, ein Musical, ein
Drama, welches sich für eine Aufführung anbie
tet, so ist im Tanz das meiste hausgemacht.
Früher wurde das abschätzig Ballettmeister-Cho
reographie· genannt. Heute brüstet sich jedes
Nest mit einem Tanztheater. Das Votum fürs
Tanztheater ist eben nicht unbedingt ein Votum
für Qualität, sondern ein fauler Kompromiß. Ein
Intendant, der ein Tanztheater einrichtet, kann
sich zwar kurzzeitig fortschrittlich und mutig
fühlen, so wie ein kleiner Arno Wüstenhöfer
oder Peter Stolzenberg, die einstmals Ende der
sechziger und Anfang der siebziger Jahre Pina
Bausch, Reinhild Hoffmann, Susanne Linke und
DRAMATURG 1/2 99 l Seite 39
Johann Kresnik an ihre Häuser holten. Tanzthea
ter ist aber auch nur eine verkappte Sparmaß
nahme, da kostengünstiger als das Ballett. Es
kommt, einmal mit dem Etikett «armes Theater»
versehen, mit zehn bis zwölf Tänzern und ohne
teure Ausstattung aus. So verkauft man die Not
als Tugend.
Wer m·ag schon einen ((Schwanenseen
mit zwölf schlappen Schwänen sehen? Und von
schönen Stücken aus der Neoklassik und der
klassischen Moderne, die jedes Repertoire
schmückten, von einem Balanchine, einem
. Kylian, Hans van Manen oder Forsythe, können
kleine und mittlere Theater nur träumen. Denn .
ihnen fehlt das Geld, diese Stücke einzukaufen,
und die Möglichkeit, die autorisierten Coaches .
zu bekommen. Denn trotz Ballettnotationen und
Video ist der Tanz eine Kunst, die, möglichst au
thentisch und original getreu, von Körper zu Kör
per weitergegeben wird. Also heißt es für Tanz
ensembles mit beschränkten Kapazitäten: selber
machen.
Das schafft einen Betrieb, der durch
ein mehr oder minder treues Publikum irgendwie
am Leben erhalten wird (und für das Publikum
tanzen wir doch, sagen da der Intendant und
sein Choreograph), der aber in seiner business
as-usuai-AIItäglichkeit nur selten etwas Aufre
gendes oder gar etwas, das die Kunst selbst
beförderte, zu bieten hat. Abgesehen von der
Überlegung, daß verlorenes Terrain nur schwer
wiederzuerobern ist, fällt es in vielen Fäl_len
schwer- und das betrifft keineswegs nur kleine
und mittlere Ensembles- die Erhaltung dieser
oder jener Kompanie künstlerisch zu rechtferti
gen.
Bestes Beispiel fürs Dilemma der
Großen ist Berlin, wo die. drei in unaufgeregter
Bedeutungslosigkeit dahinwurstelnden Ballett
kompanien im Jahre 2000 zu einem «Berlin-Bal
lett» gesundgeschrumpft werden sollen. Stutt
gart ist nach Jahren des Weltruhms in die Regie-
h viel, alles wissen
Berufe am Theater
DieBroschüre beschreibt über 40 Berufsbilder am Theater mit Voraussetzungen, Ausbildungswegen und Kontaktadressen. (Kostenlos)
Die Deutsche Bühne Das spartenübergreifende Theatermagazin veröffentlicht jeden Monat Portraits, Berichte, Interviews, Nachrichten und Termine über Kultur und Politik, Kunst und Management. (Einzelheft 9,50 DM)
Theaterstatistik
Das Jahrbuch mit allen statistischen Daten der Theater in Deutschland, Österreich und der Schweiz: Besucher, Vorstellungen, Einnahmen, Ausgaben, Zuwendungen, Personal. (45 DM)
Wer spielte was?
Die jährliche Werkstatistik resümmiert die letzte Spielzeit und nennt die meistgespielten Werke und Autoren in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Aufgeschlüsselt nach Sparten nennt sie alle gespielten Stücke und berichtet über die Häufigkeit der Inszenierungen und die Zahl der Zuschauer. (48 DM)
Theater muss sein. Deutscher Bühnenverein · Postfach 29 0153 . 50523 Köln Telefon 0221/20812-0 (Fax -28) http://www.buehnenverein.de
nalliga abgestiegen; Neumeiers «Hamburg Bal
lett» bedient vorzugsweise die örtliche Fan
gemeinde, und München versucht unter lvan
Liska, seinen Platz mit einem klassisch-modernen
Repertoire zu behaupten. Aber genau diese
großen Kompanien mit 60 bis 70 Tänzern tun
sich schwer, ihr Repertoire zu erneuern. Sie
brauchen die Kapazitäten, um die großen Klassi
ker, möglichst mehrfach, besetzen zu können.
Sie sind ein Anachronismus, denn kein bedeu
tender zeitgenössischer Choreograph arbeitet
mehr für ein großes Ensemble. Einer wie
Forsythe etwa betreibt seine Forschungen lieber
mit einer überschaubaren Anzahl von Tänzern.
Es wird solche großen Kompanien, vielleicht zwei
oder drei, trotzdem weiterhin geben. Denn wer
wird so kühn sein, ein Nationalballett zu fordern
und durchzusetzen, das das klassische Erbe
bewahrt und auch tanzen kann?
A Ia Iangue aber hat sich das Mehr
Sparten-Theater mit darin eingebundenem Bal
lett überlebt. Der Tanzkunst täte es nur gut, sich
ganz aus diesem System herauszulösen. Die
Städte, die Länder sollten dabei helfen. in den
Jahren nach dem Krieg war das Ballett ein
Anhängsel der Oper. Da waren zwei eigenstän
dige Ballettabende pro Saison schon ein emanzi
patorischer Akt. Dann näherten sich; in Bochum
etwa und an.der Berliner Volksbühne, der Tanz
und das Schauspiel" an. Aber die Zukunft liegt
sicher woanders. Neue Choreographen und ihre
Werke brauchen andere, neue Räume, eine
andere Atmosphäre als die Patina eines städti
schen oder staatlichen Mehrspartenhauses, das
zwar einerseits Schu_tz bietet, andererseits den
Tanz immer noch als den Lückenbüßer für die
· chorfreien Abende betrachtet. Aber die Opern
und Operetteneinlagen können genauso gut und
billig von freien Tänzern mit Zeitverträgen
bestritten werden.
Vielversprechende Choreographen von
heute lassen sich inspirieren von den· neuen
Medien, von zeitgenössisc.hen Literaten und
Komponisten und, ganz wichtig, von der bilden
den Kunst. Sie brauchen nicht provinzielle Nest
wärme, sondern ein funktionierendes organisa
torisches Netz, Spielstätten und den direkten
Austausch mit ihrem Publikum.
Gutprogrammierte Festivals beweisen,
daß der Tanz inzwischen selbstbewußt genug ist,
in einem maßlos überfütterten Kulturbetrieb
DRAMATURG 1/2 99 1 Seite 41
seinen Platz zu behaupten. Es ist nicht nur ihr
Event-Charakter, der Tanzfestivals boomen läßt.
Das sieht man am Publikum, das sich längst
nicht nur in der Kleidung und schon gar nicht in
der Altersstruktur, aber an Interesse und Offen
heit von den Abonnenten der Serie weiß oder
blau an irgendeinem Stadttheater unterscheidet.
Die Lösung, die eine Zeitlang auch in
Berlin als goldene Utopie durch wenige kluge
Köpfe geisterte, wird die Einrichtung regionaler
Tanzhäuser mit überregionalem Wirkungskreis
bringen: Orte der Sammlung und Versammlung,
des internationalen Austausches, der Begegnung,
der Co-Produktion. Trainingsstätten, Labors und
Aufführu'ngsorte. Die französischen Maisans de
Ia danse, das Tanzhaus in Nordrhein-Westfalen, .
dem Bundesland mit der stärksten Tanzlobby,
mögen dafür als Modell dienen.
Ein internationales Netzwerk ist für
den Tanz lebensnotwendig, soll der eine Zukunft
haben. Der Tanz bildete somit, wie i.n den letzten
Jahren häufig genug künstlerisch, nun organisa
torisch die Vorhut für das Musiktheater und das
Schauspiel von morgen: der Tanz als Wegbereiter
- mit dem sicheren Effekt neuer ästhetischer
Entwicklungen. Er hat ja die besten Vorausset
zungen dafür- die Tänzer: Die sind seit je gerü
stet für die (wirtschaftliche) Globalisierung,
beruflich nicht ortsgebunden, mehrsprachig und
aufgrund ihrer kurzen Karriere aufs Jobhopping
vorbereitet. Und die Basis eines europäischen
Netzwerks von Produzenten und Choreographen
ist bereits vorhanden. Sparte, ade!
H ERAU SFO.R D ERU N GEN ZU GRENZUBERSCHREITUNGEN
Das Jahrestreffen 1998 d e r D r a m at u r g i sc h e n G es e II s c h a f t 1 n B a s e I
Dem Rückblick auf unsere Basler Tagung 1998 stellen wir einen Auszug aus der Theaterkorrespondenz
. ,.Mykenae" voraus. Er resümiert vor allem die Debatten-Beiträge, die nachfolgend nicht dokumentiert werden, weil über
· sie nämlich vorbereitend schon im Heft 2/98 zu lesen war.
Von 12. bis 15. November 1998 lud
die Dramalugische Gesellschaft zu ihrer öffentli
chen Jahrestagung in das Theater Basel ein. Das
Thema lautete in diesem Jahr «Herausforderun
gen zu Grenzüberschreitungen». Damit waren
sowohl intratheatrale Grenzüberschreitungen
gemeint («Die Begattung der Gattungen»), wie
auch der problematische Transfer von der Rea
lität in das Theater und umgekehrt.
Zum Thema «Wiebringt man Realität
ins Theater- und das Theater in die Realität?»
formulierte die Kölner Chefdramaturgin Ursula
Rühle eingangs einen Problemkatalog. So stellte
sie fest, daß ein Gegenwartstext nicht automa
tisch Realität ins Theater bringe, sondern daß die
Darstellung von Realität durch ästhetische Ope
rationen innerhalb eines sinnvollen Kontexts
erreicht werden könne. Realitätserfahrung sei im
Theater nicht durch eine Distanzlosigkeit, son-·
dern im Gegenteil durch das Aufzeigen der Dif
ferenz zur Realität möglich. Was unterstreicht,
daß der Umgang mit der Realität auf dem Thea
ter vor allem eine formale Herausforderung
bedeutet. Sie beklagte die fehlende Realitäts
wahrnehmung der Theatermacher wie der Auto
ren und stellte am Ende die Frage: «Wo bleiben.
die Texte aus der Produktion?» Rühles These, daß
nur über die Form die Realität ins Theater
gebracht werden könne, bestätigen die folgen
den Ausführungen der Theatermacher, die mit
jeweils verschiedenen Strategien Projekte an der
Schnitistelle von Theater und Realität erarbeite
ten.
Wilfried Schulz, Chefdramaturg am
Deutschen Schauspielhaus Harnburg .und desi
gnierter Intendant des Staatsschauspiels Hanno
ver, berichtete über seine Arbeit mit Christoph
Schlingensiefan «7 Tage Notruf für Deutschland
- Passion impossible». Im Rahmen einer Perfor
mance wurde vom Theater eine Missionsstation
für Außenseiter wie Obdachlose und Junkies ·als
ein Kunstraum geschaffen. Innerhalb des
«Schutzraums Kunstn standen sich zwei verschie
dene Weiten gegenüber. Schulz sprach von der
Möglichkeit, daß Kunst somit die Wirklichkeit
DRAMATURG 1/2 99 I Seite 42
etikettieren könne. Nach dem eigentlichen Thea
terereignis wurde die Aktion unter dem Motto
«Kunst und Suppe» weitergeführt und somit vom
Theater an die Realität gleichsam zurückgege
ben. Bei Volker Hesse (Leiter des Theatersam
Neumarkt in Zürich) stand am Beginn seiner
Tätigkeit das Unbehagen mit zeitgenössischen
Theatertexten. Auf der Suche nach Themen stell
te sich das Theater am Neumarkt der Auseinan"
dersetzung mit der Realität der Stadt Zürich.[ ... ]
Die Cottbusser Dramaturgin Gisela
Kahl berichtete, daß man bei den «Zonenrander
mutigungen» ihres Theaters, die nach dem Vor
bild der einst von Benno Besson an det Berliner
Volksbühne initiierten «Spektakel» konzipiert
sind, eine ganze Anzahl von Produktionen
während einer Nacht zeigt und dabei das ganze
Theater bespielt. Duch die Vielfalt der angebote
nen Stücke könne ein komplexerer Realitätsaus
schnitt gezeigt werden als mit einer herkömmli
chen Theaterproduktion. Die Freien Kammerspie
le Magdeburg versuchen seit 1993, sich mit ihrer
Theaterarbeit in die Realität der Stadt einzu
schreiben-und ein Generalthema wie Arbeitslo
sigkeit dabei zu integrieren. Chefdramaturg
Hans-Peter Frings setzt auf ungewöhnliche
Außenspielorte wie die ehemalige Sperrzone des
Magdeburger Handelshafens oder das SKET
Gelände. Die Zuschauer werden dadurch veran
laßt, durch einen «Theaterrahmen» auf die sie
umgebende Realität zu blicken und sie dabei .
neu zu entdecken. Den geschützten Theaterraum
verließ ·auch der Autor und Regisseur Ulrich
Greb mit den im Ruhrgebiet realisierten Projek
ten «Der Berg ruft», «An der schönen blauen
Emscher» und «Linie 901». ln «Linie 901» fahren
Zuschauer wie Schauspieler mit einer Straßen
bahn durch Duisburg, wobei eine ganze Siadt
zur Kulisse und ihre Einwohner zu Mitspielern
werden.
Das radikalste Konzept formulierte
der schottische Theatermacher Jeremy Weller,
der in Deutschland bisher vor allem in München
und Berlin engagiert war. Er studierte Malerei in
London und arbeitet mit Laiendarstellern. Er
interessiert sich weniger für den künstlerischen
Prozeß der Theaterarbeit als für die darin behan
delten Themen, mit denen er Leute ins Theater
bringen möchte, die normalerweise nicht den
Weg dorthin finden. Produktionen wie «Giad»
(über Menschen , die aus bestimmten Gründen
glücklich sind) und «Mad» (über das gesell
schaftliche Tabu-Thema Geisteskrankheit) faszi
nieren vor allem durch den hohen Authenti
zitätsgrad der (Laien-)Schauspieler. Damit bilde
te Weller eine Ausnahme unter den vorgestellten
Theaterprojekten. Denn ein Großteil thematisier
te eine lokale Realität der jeweiligen Stadt oder
Region. Eine weitere Gemeinsamkeit ist das Feh
len einer fertigen Stückvorlage, stattdessen erar
beiteten sich die Theater mittels Recherchen und
Collagen sowie selbstgeschriebenen Texten eine
eigene Spielfassung. Nicht zuletzt bleibt festzu
stellen, daß das Theater zunehmend mit den
verschiedenen Formen der Wahrnehmung expe
rimentiert und die Realität vor allem durch
einen neuen Blick darauf in den Griff zu bekom
men versucht: Die Podiumsdiskussion «Die Begattung
der Gattungen oder: das theatralische Zusam
menwirken der Künste - warum und wie?» eröff
nete die Autorin Gisela von Wysocki mit einem
poetischen und präzisen Text mit dem Titel «Das
Gesamtkunstwerk im Zeitalter seiner Baufällig
keil». Darin wurde die gesamte abendländische
Weit als überdimensionales, theatrales Gesamt
kunstwerk interpretiert, das mit «Metaphern der
Schadhaftigkeit» durchsetzt sei. Der Bochumer
Theaterwissenschaftler Guido Hiß leistete .eine
historische Analyse des Begriffs «Gesamtkunst
werk" und verwies auf die sexuelle Metaphorik
des Titels («Begattung der Gattungen»), die in
diesem Zusammenhang schon in Richard Wag
ners Schrift «Oper und Drama». zu finden sei,
·sowie auf die dem Wagnersehen Gesamtkunst-
werk innewohnende politische Utopie.
Nach der poetisch-wissenschaftlichen
Einleitung kehrte man zur heutigen nieaterpra
xis zurück. Die Journalistin Kathrin Tiedemann
(«Freitag») stellte in Frage, ob es für junge
Künstler überhaupt noch Gattungsgrenzen gibt.
Ähnlich argumentierte die Festival-Leiterin
Marie Zimmermann («Theaterformem>, Braun
schweig/Hannover). ln ihrem Arbeitsbereich der
Avantgardekunst ist die Auflösung der Gat
tungsgrenzen längst zum Standard geworden.
DRAMATURG 1{2 99 I Seite 43
Sie sieht es als eine der Hauptaufgaben ihres·
Festivals an, die Zusch<Juerkompetenz für diese
Kunstform von den Rändern in die Mitte zu
transferieren. Diese Aufgabe hat auch Elisabeth
Schweeger, die mit ihrem Münchner Marstall
Theater einen «Avantgarde-Keiln in das Bayeri
sche Staatsschauspiel getrieben hat. Ihr Ziel ist
es vor allem, durch veränderte Produktionsfor
men zu neuen Diskussionsformen zu gelangen
und eine Verschränkung von verschiedenen
Denkweisen zu erreichen. Maria Magdalena
Schwaegermann vom Hebbeltheater in Berlin
plädierte für den Ausdruck «Grenzüberschrei
tungn statt «Begattung». Aufgrund ihrer Erfah
rungen in dem auf theatrale Grenzüberschrei
tungen spezialisierten Hebbeltheater weiß sie
um die Probleme und Tücken des individuellen
und fordernden Produktionsprozesses dieser
Zwischenformen, die an ihrem Haus von einem
kleinen, aber höchst flexiblen Team betreut wer
den. Sie sieht eine Chan·ce der Publikumsbin
dung durch die Öffnung der Arbeitsprozesse für
das Publikum, womit man bisher positive Erfah
rungen gemacht habe. [ ... ]
Steven Valk, Chefdramaturg am
· Frankfurter TAT unter William Forsythe, berich"
tete von den Vorbereitungen der gemeinsamen
Arbeit des Ballett-Ensembles und der Schau
spieltruppe um Tom Kühne! und Robert Schuster
ab der kommenden Spielzeit. Mit dem Prinzip
der permanenten Anwesenheit der Künstler im
Theater soll dort eine «ästhetische Weit» wie
eine «selbstproduzierende künstlerische Maschi
nen geschaffen werden. Nach der Anfangsphase
beabsichtigt man, keine fertigen Gastspiele ein
zuladen, stattdessen werden Gäste mit den
hauseigenen Ensembles produzieren. Als einzige
Vertreterin des Stadttheaters sprach die Drama
turg in Judith Gerstenberg vom gastgebenden
Theater Basel über ihre Zusammenarbeit mit
dem Schweizer Musiker und Theatermacher
Ruedi Häusermann bei dessen musikalisch-thea
tralischen Erkundungen sowie über dessen
· Methode des «Instant Composing», der freien
Improvisation mit Absprachen.
Am prominentesten besetzt war die
Diskussionsrunde «Begreift (Kultur-)Politik die
Künste des Theaters als Mittel zur Humanisie
rung der Gesellschaft? Und was tut sie dafür?»
Der «Stargastn des Tages, der designierte Mini
ster für Kultur, Michael Naumann, entlarvte
· RQWQH LT 1999/2000 Eine Auswahl
(ic;mu:r I DttS"{.o~ki Dämonen Wi ener Fest~<ochenl Volksbühne Berlin Regie: Frank Castorf
!(I~ Pohl ~Ju"_d c"'Su""·ss':---c-:--c Staatstheater Stuttgart Regie: Stephan Kimmig
~~c;h /(c;~ Crave Schaubühne am Lehni ner Platz Berl in Regie: Themas Ostermeier
'Ren! Pollereh Harakiri einer Bauchrednertagunq Bremer Theater Regie: Barbara Bilabel
H1/c;ry Ft;;1Y11n Wolkenmeer Schauspiel Sonn Regie: Rainer Kühn
Mc;rk. 'Rcve11ht/l Das Baby oder Wie wichtig es ist. iemand zu sein <Handbag) Deutsches Theater Göttingen Regie: Falk Richter
Tim ~{.t:;f{'e/ Werther in New York Badisches Staatstheater Karlsruhe Regie: Katka Schroth
Ju111'chif1) /cirib.c;ki Der Schlüssel Bühnen der Stadt Köln Regie: Kazuko Watanabe
· ~/1d<eSpec;re I P/6S'er7 Harnlet Wiener Festwochen I Schaubühne am Lehniner Platz Berlin I Zürcher Festspiele I EXPO 2000 Hannover Regie: Peter Zadek
'Reb:ccc; Pn'chc;rr:l Yard Girl Schauspiel Essen Regie: Susanna Enk
Mc;r{.tn Cn'mP-c--:~Dear::CH."a~n':"deal:-7m":'i"'t::Cc";:'l.".a.lLi r Schauspiel Leipzig Regie: Matthias Brenner
fle/mc; ~~t'S"-t$rc;ht11S' Deutschland, bleiche Mutter Residenztheater München Regie: Roberto Ciulli
PhY//IS Ncf!JY The StriP. Staatsschauspiel Dresden Regie: Johanna Schall
f..c;t'S" Non/11 Personenkreis 3:1 Schaubühne am L~hniner Platz Berlin Regie: Thomas Ostermeier
Dcvir:/ Greig Die letzte Botschaft des Kosmonauten an' die Frau die er einst in der ehemaligen Sowjetunion liebte Staatstheater Stuttgart Regie: Marcus Mislin & Deborah Epstein
GrJrkJJ / Zefl1!11e Nachtasyl ·Schauspielhaus Zürich Regie: Uwe Eric Laufenberg
RQWQH LTTheater Verlag
Hamburger Str.17 Tel D40172 72 270
21465 Rei nbek Fax 040/72 72 276
DRAMATURG 1/2 99 I Seite 44
auch gleich die erste Frage des Titels als Schein
frage. Mit dem Hinweis auf die veränderte
Situation d.er ehemaligen Ost- wie Westtheater
nach der Wende bestand Diskussionsleiter Man
fred Beilharz (Generalintendant Theater Bann)
auf der Beantwortung der zweiten Frage. Nau
mann forderte, daß die Theatermacher bei der
gesellschaftlichen Analyse realistisch bleiben
sollten. Durch die hohen Kosten der Wiederver
einigung und der zu leistenden Sozialhilfe stün
den die Kommunen unter hohem finanziellen
Druck. Dies müßten die Theater anerkennen. Er
riet den Verantwortlichen, sich auf keinen Fall
über eine Standortdebatte eine Ökonomisierung
des kulturpolitischen Diskurses aufzwingen zu
lassen. Vielmehr soll·eine ästhetische Debatte
gesucht werden. Schließlich sei Theater nicht
nur eine" moralische Erziehungsanstalt» (Les-
. sing). sondern auch ein Ort des Genusses. Gelun
gene Kulturpolitik kann nach Meinung Nau
manns nur die Räume zur Verfügung stellen und
die finanzielle Unterstützung absichern, sollte
sich aber nicht inhaltlich in Theaterangelegen
heiten einmischen. Die von der Kulturpolitik
gewährleistete inhaltlich-künstlerische Autono
mie sei auch der Garant für die nun schon
langjährige Erfolgsgeschichte des Theaters Basel,
wie Andreas Spillmann (Kulturdezernent Basel
Stadt) feststellte. Die Leiterin der Expo 2001 in
der Schweiz, Jacqueline Fendt, die für das
Großprojekt einen Kulturetat von 400 Millionen
Franken zur Verfügung hat, sieht die Gefahr, daß
das «Wirkliche massiv am Verschwinden» ist. Von
3000 eingegangenen Projektvorschlägen für die
. Expo 01 waren 2500 virtuelle Vorschläge mit
den Medien Internet, CD-ROM oder Video. «Wir
werden uns sehr anstrengen müssen, um die
Expo-Darbietungen ins Physische zurückholen zu
können.» [ ... ]
(A.B. in «Mykenae»)
•• REIBUNG AN DER REALITAT
über vier Produktionen des Zürcher Theaters Neumarkt
Von Volker Hesse
Die sechsjährige Geschichte des Zürcher "Theaters Neumarkt" 1993-1999 unter der Leitung von Volker Hesse und Stephan Müller war eine des Erfolgs - des Publikumserfolgs (Auslastung bis zu 980/o) und des künstlerischen. Auf unterhaltsame un~ witzige Weise wird beides resumiert in dem originellen Almanach "Das Beste kommt noch. Theater Neumarkt Zürich 1993-1999. Eine Hinterlassenschaft" mit 237 Abbildung~n und einer CD. Stephan Müller geht als Dramaturg·ans Burgtheater, Volker Hesse arbeitet jetzt als Gastregisseur. Auf dem Basler Dramaturgentag schilderte Hesse den einen wichtigen Strang der Neumarkt-Produktionen - drei Versuche, nicht von vorhandenen Stücktexten auszugehen, sondern von RealitätsErkundungen.·
Von 1993 bis 1999 habe ich mit Ste
fan Müller das Neumarkt-Theater Zürich gelei
tet. Als wir anfingen, unsere ersten konzeptio
nellen Überlegungen anzustellen, haben wir ein
tiefes Unbehagen gehabt, auf dem üblichen
Stückemarkt unsere Stücke zusammenzustellen
und uns ein paar Studiostücke zusammenzuneh
men, die wir gerade so finden konnten. Wir hat
ten, wie sicher viele von Ihnen, uns den Grund
satz vorgenommen: wir wollen uns mit der Rea-
. lität einer bestimmten Stadt, mit einer ganz spe
ziellen Atmosphäre an einem Ort reiben. Wir
wollten uns mit der Realität lebendig auseinan
dersetzen, und wir haben im Laufe der Jahre, die
wir dann in Zürich gearbeitet haben, immer wie
der verschiedene Wege genommen, dieses Ziel
zu erreichen.
Die erste Produktion hatte den Titel
"InSekten", das war ein Ensembleprojekt, das
zunächst aus einer Not geboren wurde. Wir
wollten in Zürich einen Abend machen über eine
Realität, die wir ständig spürten. Zürich ist, wie
Sie wissen, eine eher reiche Stadt, eine Stadt, in
der sich die Orientierungslosigkeit und die meta
physische Obdachlosigkeit in einem üppig
wuchernden Psychemarkt und einer ganz star
ken Präsenz von Sekten zeigt. Scientology oder
Mun oder spezifische schweizerische Sekten wie
der Verein psychologischer Menschenkenntnis
spielen in der Öffentlichkeit der Stadt in Alltags
situationen eine große Rolle. Wir wollten etwas
dazu sagen, wir wollten uns damit auseinandere
setzen, fanden aber kein Stück, das uns das
zwingend ermöglicht hätte.
Da haben wir gesagt: gut, dann
schreiben wir es selber, und begannen zu recher
chieren. Wir haben versucht, wie Journalisten
Realität zu befragen, Materialsammlungen zu
machen, Gespräche zu führen. Die Schauspieler
haben auch begonnen, Ausflüge in diverse Real
orte zu machen. Aus diesen Recherchen wurde
eine Theateraufführung. Sie hat den·<]anzen
DRAMATURG 1/2 99 I Seite 45
Prozeß vom .Wahrnehmen von Alltagsrealität bis
hin zum Entwickeln von Kunstzeichen im Thea
ter durchlaufen. Es gab keinen Autor, sondern.
wir haben versucht, die intensiv erfahrenen Rea
litäten zu übersetzen in ein bestimmtes Zeichen
system. Es kam also sehr bald die Frage: Was
können wir jetzt mit dem Wust dieser aufge
nommenen Erfahrung für Verdichtungen oder
für zeichenhafte Umsetzungen finden? Wir
haben dann einen Weg gewählt, der am Schluß
nicht etwa die Nachahmung von Wirklichkeit
anstrebte, sondern ein System von Bildern, von
sprachlichen und gestischen und musikalischen
Signalen, die eine Haltung zu der erfahrenen·
Wirklichkeit einbrachten, wobei innerhalb der
Aufführung immer wieder mit der Realität
gespielt wurde. Wir haben z. B. den Zuschauern
die Schuhe weggenommen. Wenn sie in das
Theater kamen, haben wir ihnen gahz strikt
gesagt, sie sollten die Schuhe abgeben, und
diese Schuhe wurden dann unser Spiel material.
Wir haben mit den Schuhen der Zuschauer alle
möglichen Spiele angestellt: Wir haben sie
geheiligt, wir haben sie verdammt oder haben
Rituale damit betrieben. Das als ein Beispiel, wie
überraschende Verbindungen von Realität und
Kunstvorgang möglich sind.
Die Produktion "InSekten" war der
Anfang einer Reihe von Versuchen, immer wie
der auf andere Weise diese Reibung an der Rea
lität zu versuchen. Der französische Regisseur
Besantie hat z. B. eine Produktion· gemacht, die
hieß "Backroom", und das war ein Versuch, Rot
lichtmilieu, Rauschbedürftige im kommerziellen
Sexbetrieb zu beschreiben. Er ging einen ganz
anderen Weg. Er hat neben Schauspielern in die
Produktion wirkliche Sexworker einbezogen,
einen männlichen Prostituierten und zwei weib
liche. Die Spannweite des Abends ging von fer
nen komplexen Zitaten aus den "Bakchen" .des
Euripides bis zu ganz knallharten Erfahrungs
berichten, etwa eines männlichen Prostituierten,
der bestimmte Praktiken im Detail beschrieb und aber haben auch die Schauspieler begonnen,
demonstrierte. Diese Vermischung von z. T. hoch durch Gespräche, durch Beobachtungen, durch
ansetzenden Kunstgesten und einer - weiß Gott Auseinandersetzungen, durch· Mitmachenz. B.
- schmutzigen Realität hat eine waghalsige Auf- von Psychetrainings ihre Kenntnis diese Bereichs
. führung ergeben, deren Gesamtwirkung uns zu erweitern, und durch Improvisationen sind
ermutigt hat, einen solchen Weg weiterzugehen. z. B. Szenen von Widmer festgehalten worden,
oder die Improvisationen waren die Basis für
War_ diese zweite Produktion ebenso erfolgreich wie ..InSekten"?
Überregional nicht , aber lokal hatte
sie eine beachtliche Wirkung,. und in der ensem
ble-internen Debatte, was unser Weg sein könn
te, war sie sehr wichtig.
Die bekannteste und dann wirklich
für _das Thema auch belangvollste Unterneh-
'mung, die wir hervorgebracht haben, war die
Produktion .. Top Dogs': Ich bin jetzt nicht auf
dem allerneuesten Stand, vielleicht weiß es
jemand von dem Verlag der Autoren. Urs Wid
mer sagte mir neulich, es sei iiJZwischen die
60. Inszenierung dieses- Textes angesagt. Wieder
war der Anfangsschritt, mit Recherchen zu
beginnen, mit einer Auseinandersetzung erstmal
·mit einer Alltagsrealität, in diesem Fall die Äng
ste von Managern vor dem Arbeitsplatzverlust
Wir haben uns herumgetrieben in Outplace
ment-Firmen. Wir haben uns lange unterhalten
mit Personalchefs. Urs Widmer sprach von einer
Expedition in einen Bereich, wo auch er als
Schöngeist sich erstaunlich unsicher fühlte und
zunächst sehr viel Erfahrungsdefiz'1te hatte. Wir,
also der Autor UrsWidmerund ich, haben als
ein Zweierteam Recherchen gemacht, um uns
darüber klar zu werden: wie sprechen denn die
Leute wirklich, was gibt es da für eine Art von
Mischung aus Wirtschaftsbegriffen, aus
bestimmten versteckten Emotionalitäten, wie
bewegen sie sich? Wir hab·en tagelang an
bestimmten Ritualen in solchen Outplacement
Firmen teilgenommen. Wir haben intensive
Gespräche zu führen versucht, haben sehr viele
Protokolle von solchen Erfahrungen hergestellt.
Das war der Weg bei .,Top Dogs': Da gab es einen
Autor, eben Urs Widmer, der diese gemeinsam
gemachte Recherche in eine Sprache verdichte
te, in ein schriftstellerisches Zeichensystem,
wobei die Produktion trotzdem nicht so gelau
fen ist, daßWidmerein Stück geschrieben hätte,
das dann aufgeführt wurde, sondern wir haben
in einem ständigen Hin und Her mit ein paar
Anfangsvorgaben von Widmer begonnen. Dann
DRAMATURG 1{2 99 I Seite 46
weitere Szenen. ßis wenige Tage vor der Premie
re wurde an der Grundkonstruktion des Abends .
gearbeitet, und zwar im Sinne von: da ist noch
etwas beobachtungswert, oder da sollten wir
noch .etwas aufgreifen. Trotzdem war ,Jop Dogs"
alles andere als ein Abend, der nur versuchte, die
Wirklichkeit, wie sie ist oder wie wir sie recher
chiert hatten, einfach zu reproduzieren, sondern
sehr früh war Widmer und mir klar: es muß
natürlich ein Distanzmoment in diese so aufge
nommenen Erfahrungen hinein. Ich habe z. B ..
sehr früh als Regisseur das Stichwort ausgege
ben: Laß uns an eine Oratoriumsform denken.
Ein Oratorium für den Kapitalismus in der zwei
ten Hälfte der 90er Jahre. Wi.r haben viele Ein
zelgeschichten, viele kleine Zusammenbrüche,
· viele Dialoge, viele Monologe, die man .dann
geschrieben hat, formal zusammenzuziehen ver
sucht, damit aus all diesen Stimmen, aus all die
sen verschiedenen Elementen eine bestimmte
. Grundbewegung oder ein System wurde im
Sinne. einer Klage oder einer großen oratori
schen Form. Das ging parailel mit Fragen: Wie
sind diese Sprachformen wirklich oder wo sind
sie Fassaden, Verhalten von Leuten, die sich als
frisch und durchsetzungsfähig und dynamisch
und energievoll geben, wo tauchen in ihrem
Selbstbild plötzlich dann die Risse auf, wie zei
gen sich diese Risse? Solche inhaltlichen, stoffli
chen Fragen waren sofort auch verbunden mit
der Frage, wie zeigen wir diese Phänomene im
Theater, welche Formen sind geeignet, sie zu
transportieren? Wir arbeiteten an musikalischen
Elementen, an choreographischen Formen, an ·
Übersetzungen dieser Realität. Am Schluß ist
dann ein Gebilde entstanden, das in seinem Aus
druckssystemnicht ein Büro in der Realität oder
eine ganz bestimmte Chefetage nachahmt, son
dern das bis zu Formen einer großen Klage, eines
polyphonen Verzweiflungsschreis eine ganz ·spe
zifische Eigenrealität von Theater zu schaffen
versucht.
Ich habe den Eindruck, daß der
gewaltige Erfolg von .. Top Dogs" dadurch erklär-
bar ist, daß offensichtlich das Theater· einen
großen Hunger hat nach solchen Erfahrungsfel
dern. Ich behaupte mal selbstkritisch, daß das,
was wir da geschaffen haben, auch viele Unaus
gereiftheiten hat, aber daß es jedenfalls den
prozessualen Charakter noch erkennen läßt und
daß ich mir eigentlich nur eine Aufführung vor
stellen kann, die dann eine andere prozessuale
Weiterbewegung vollzieht.
Haben Sie dafür Beispiele gesehen? .
Ich habe eine Aufführung in Düssel
dorf gesehen, aber sonst keine. Ich häre aber,
daß vor allem ausländische Truppen, z. B. holländische oder amerikanische, mit sehr viel Freiheit
und mit den Erfahrungen, die sie an ihrem
jeweiligen Ort gemacht haben, den .. Top Dogs"
Faden weiterspinnen. Es scheint, daß da nicht
einfach ein Text brav nachgespielt wird wie ein
übliches schriftstellerisches Werk, sondern daß
m•n die Herausforderung aufgreift, die in dem
Entstehungsprozeß von .. Top Dogs" liegt.
Frage: AlledreiProduktionen ~chöp
fen also aus der lokalen oder regionalen Rea-.
lität, nämlich der Zürcher. der schweizerischen.
Halten Sie das für den Königsweg, oder spielt
hier auch die Frage eine Rolle, wie geht man
. denn mit einer den Zuschauern auch geogra
phisch entfernten Realität. etwa der Südamerikas, um?
· Ich habe überhaupt nicht die Tendenz,
Allheilrezepte geben zu wollen - ich denke, daß
es sehr verschiedene Wege gibt. Lassen Sie mich vielleieht das vierte Beispiel, das ich kurz
beschreiben wollte, dazu nennen und vielleicht
können wir dann noch mal auf diese Wege
zurückschauen. Ich hatte vor, einen weiteren Abend zu. machen zum Thema: Wie geht unsere
Zivilisation im Moment mit Alter um? Also mit
dem Horror, der von vielen Menschen empfun
den wird, daß immer mehr Menschen alt werden
und daß sie' oft sebr u'nwürdig alt werden, daß'
sie oft länger leben, als es menschenwürdig
erscheint. Deshalb habe ich auch begonnen, in
Alzheimer-Zentren oder in geriatrischen Abtei
lungen von Krankenhäusern usw. Recherchen zu
machen. Während ich auf diese Weise eine
ganze Menge von Materialien zusammengestellt
habe, lernte ich di.e Schriftstellerin Theresia
Walser kennen. Sie erzählte mir: Ich schreibe an
DRAMATURG 1{2 99 I Seite 47
einem Stück, das sich mit Altersfragen befaßt.
Da war ich natürlich sehr neugierig. Sie hat uns
dann das Stück gegeben, bzw .. es ist dann wie
derum in einem Dialog mit dem Theater vollen
det worden. Äber der ·weg war dann doch ein
ganz anderer als bei den vorhergenannten Bei
spielen. Ther.esia Walser ist eine Dichterin, die
eine ganz eigene Sprache schreibt, die eine poe
tische Umsetzung von dem, was sie hört, was sie
an Alltagserfahrung hat, unternimmt: Es gab
z. B. keinen einzigen Satz, den ich ihr vorschla
gen konnte in den Proben, sondern sie mußte
immer ihren Klang, ihre besondere Sprachstruk
tur finden. Wir haben eine wachsende Zunei
gung und einem wachsenden Respekt vor ihrer
Sprachkraft entwickelt. Theresia Walser selber
war ein Jahr lang Altenpflegerin. Sie weiß, was
Inkontinenz und Demenz und solche Phänomene
sind. Aber sie hat sie übersetzt in ein sprachli
ches Zeichensystem, das eine große formale
Deutlichkeit hat.
Sie müssen den Titel auch noch
nennen. .,King-Kongs Töchter': Theresia Walser
hat drei Figuren geschaffen, die eigentlich mit
einer Recherchearbeit überhaupt nicht be
schreibbar gewesen wären. Sie hat drei fröhliche
Monsterwesen, drei kraftvolle Mörderinnen
geschaffen, und das mit einer großen Spielphan
tasie oder mit einer nur im Theater möglichen
Erfindungslust Sie hat nicht irgend etwas abge
schildert, sondern sie hat eine Erfahrung sehr
genau an sich herangelassen und dann mit die
ser Erfahrung eine neue Realität geschaffen
oder eine bestimmte verdichtete Wirklichkeit
spielerisch entworfen. Für unswar diese
Führung, die sie als Schriftstellerin uns gegeben
hat, entscheidend. Das war also wieder ein
anderer Versuch, diese Reibung an der Realität
herzustellen. Wie gesagt, auch dieses Stück
wurde nicht einfach auf den Schreibtisch gelegt,
sondern die dramaturgische Form und auch
bestimmte Entscheidungen, welche Teile des
Diskutierten man wirklich für die Aufführung .. nimmt, das alles ist erst während der Proben
passiert.
E NT SC H EI D E N D I S T D I E A.U T HE NT I Z I T Ä T DER MENSCHLICHEN GEFUHLE
über die Produktionsweise bei «Giad» und «Mad»
Von Jeremy Weller
Der englische Regisseur Jeremy Weller, heute knapp über vierzig, hat seit 1990 Aufführungen ohne literarische Textgrundlage zusammen mit ProfiSchauspielern, aber vor allem mit Laien entwickelt- um .deren Realität ins Theater zu bringen. 1990 entc stand .. Giad" (ein Stück mit Obdachlosen, Stadtstreichern), danach .. Bad" mit jungen Strafgefangenen (Hooligans, Drogenabhängigen) und hierauf .. Mad", in dem Patientinnen einer Nervenheilanstalt Teile ihrer Krankengeschichte spielten. Alle drei Stücke wurden 1990-92 auf dem Edinburgh Festival uraufgeführt- produziert ·von Jeremy Wel-. lers Grassmarket (Theatre) Project.
Theater war für mich immer, die
Erfahrung anderer Leute zu erforschen. Das ist
das wicf>tigste für mich. Ich bin eigentlich nie so
sehr nur an Kunst interessiert. Kunst ist etwas,
das benutzt werden kann, um die Erfahrung
anderer Leute zu erforschen. Ich habe als Maler
angefangen, und von da her entdeckte ich das
Theater. Ich entdeckte Verbindungen, ich wollte
sie erforschen und machte Stücke und bemerkte
dabei nicht, daß es Kunst war. Also, ich machte
Stücke mit Freunden. Als ich Maler war, machte
ich Performances mit Leuten, die ich traf. Später
bemerkte ich, daß es eine Teilung gab zwischen
dem, was man ins Theater bringen kann, und
dem, was man nicht ins Theater bringen kann.
Ich wollte das näher untersuchen, warum war
das so? ln erster Linie war ich interessiert an
Kunst, ich bin wirklich sehr interessiert an Kunst.
ich mag Kunst. Ich arbeite mit vielen nicht-pro
fessionellen Leuten zusammen. Wenn ich sage
nicht-professionell, meine ich, sie sind keine
ausgebildeten Schauspieler, aber sie sind gute
Schauspieler, andernf~lls hätten sie keine Rolle
in meiner Produktion bekommen. Vielleicht ist
das ein Widerspruch.
Eine andere Sache, die mich erstaunt hat: daß die armen Prostituierten landauf, land
ab in Deutschland sehr müde sein müssen von
den vielen Dramatikern, die durch ihre Reviere
streifen. .. Ich dachte immer, man könne mehr
erkennen mit einem dokumentarischen Ansatz,
einem journalistischen Ansatz. Ich interviewte
Leute, ich besuchte Länder wie z. B. Brasilien,
von denen ich denke, daß dort etwas sehr wich
tiges vor sich geht. Es·gibt 6 Millionen Straßen
kinder, und ich überlege mir, wie ich ein Projekt
machen kann über diese Kinder in Brasilien mit
Schauspielern. Da ist etwas, das uns betreffen
sollte, also, laßt uns ein Projekt darüber machen,
um es ans öffentliche Licht zu bringen. Die
Medien, denke ich, sind ein Hauptakteur in mei-
DRAMATURG 1/2 99 I Seite 48
ner Arbeit, weil die Medien es möglich machen,
zu zeigen, was ich sehe; ich nehme sie in
Anspruch, um etwas offenzulegen. Wenn ich
Obdachlosigkeit darstellen wollte, arbeitete ich
mit obdachlosen Leuten zusammen, um ein Pro
jekt zu machen. Wenn das Thema junge Gefan
gene im Gefängnis hieß, habe ich mit ihnen
gearbeitet, wenn es Geisteskrankheit war, arbei
tete ich insbesondere mit Frauen, um dieses Pro
jekt zu machen. Ich halte dies für einen sehr
demokratischen Zugang zu Themen, über die
nicht in anderer Weise zu sprechen ist.
Bei der Produktion .,Mad" setzte ich
eine Anzeige in die Zeitung und bat Frauen, die
in ihrer Vergangenheit Probleme mit Geistes
krankheit hatten, sich zu melden. Der interes
sante Punkt dabei ist, daß fast alle Frauen, die
sich meldeten, Schauspielerinnen waren oder
sind. Viele von Ihnen wird das überraschen. Die
eigentliche Produktion wurde eine sehr chao
tische Erfahrung für sie, aber auch, weil es da
eine Art Medienfokus in England und in gerin
gerem Maß in Europa auf Geisteskrankheit, auf
dieses Tabu gab. Ich benutze Kunst, um etwas zu
diskutieren, das unmöglich auf andere Weise zu
diskutieren ist. Kunst erlaubte mir zu diskutieren.
· Es war wichtig, daß es Realität war, aber es war
auch Kunst. Die Leute, mit denen ich arbeitete,
haben gewöhnlich keine Erfahrung mit Kunst,
vielleicht sind sie ungebildet oder sie haben kei
nen Zugang zur Bildung. Kunst und Theater
waren bisher sehr, sehr fern von ihrem Leben.
Sie hatten noch nicht einmal ein Theater
besucht. Ich ziehe si' ins Theater, damit sie ihre
. Lebenserfahrungen mit anderen Leuten teilen.
Im Sommer haben wir alle eine
Menge vom bosnischen Krieg gehört. Jeder
wußte etwas über den bosnischen Krieg, wir
haben alle soviel darüber in den Nachrichten
gesehen. Also beschloß ich, ein Projekt über ehe
malige Soldaten zu machen. Ich arbeitete mit
einem kroatischen General. Im Stück sprach er
über seinen Bruder, über die Erfahrung seines
Zwillingsbruders, der für andertha.lb Jahre in
einem serbischen Gefangenenlager war, und er
erzählte uns, was seinem Bruder widerfahren ist
in diesem Camp. Es war unmöglich, das, was er
erzählte und was er uns von den täglichen Tor
turen mitteilte, zu theatralisieren: Zehn oder
fünfzehn Leute wurden auf einmal getötet. Eine
Kugel tötete drei Leute. Aber es verursachte eine
Art nationaler Debatte in den englischen Zeitun
gen, sie sagten: Welche Absicht hat Kunst,
warum nehmen sie reale Soldaten? Ein Krieg ist
natürlich schlecht, Töten ist schlecht. Wie
geschehen diese Dinge, ist Theater der richtige
Ort für diese Dinge, wäre nicht eine Psychiater
couch der richtige Ort? Für mich ist es am wich
tigsten, daß man Psychiater in das Theater holt,
um zu sehen, was vor sich geht, oder Anthropo
logen oder Sozialarbeiter oder Politiker, um zu
sehen, was geschieht. Das ist ein Teil meiner
Gründe hinauszugehen und Leute hereinzuholen.
Der wichtigste und fundamentale Aspekt für
·mich ist ,die Erfahrung. Das interessiert mich. Es
geschehen so viele Dinge in der Weit, daß Thea
ter versuchen muß, die Fragen danach, was
wirklich in der Weit vor sich geht, zu beantwor
ten. Es scheint mir, daß Theater unleugbar eine
Art moralische Arena ist, wo auch Freiheit gege
ben wird. Theater muß für ein höheres Ziel
benutztwerden: zu verstehen was geschieht.
Meine erste Produktion fand statt, als
ich in Landen Kunst studierte, ich arbeitete mit
einer Gruppe Skinheads in Landen und anderen
Leuten, die ich getroffen hatte. Die Produktion
erzählte die Geschichte dieser Skinheadgruppe ..
Aber die Hauptproduktion war "Giad". Das war
eine Produktion mitobdachlosen Menschen; sie
hatten, wie ich es beschreiben würde und wie sie
es uns auch beschrieben haben, eine Art Grund
glücklichkeit. Sie waren einfach glücklich, am
Leben zu sein, sie hatten keine materiellen Pro
bleme, sie hatten nur spirituelle Probleme, weil
sie um alles kämpfen mußten. Ich übernahm ein
Gebäude, ein altes Öbdachlosenheim, und
benutzte es wieder als Obdachlosen heim. Es
wurden zehn Betten eingerichtet, ich veranlaßte,
daß die Küche wieder funktionierte, die Bäder
und alles. Wir arbeiteten in einem Obdachlosen
gebiet von Edinburgh. Die Obdachlosen kamen
selbst und wollten vorsprechen. Ich ließ sie
DRAMATURG 1/2 99 I Sei-te 49
vorsprechen, wie ich jeden vorsprechen lassen
würde. Wenn sie gute Schauspieler waren, konn
ten sie rein kommen, wenn nicht, konnten sie
nicht rein kommen. Sie übernahmen den Ort und
überließen ihn ihren Freunden für die Nacht. So
wurde es ein arbeitendes Obdachlosen heim. Sie
boten mir auch sehr freundlich Schutz an; hätte
ich ihn nicht in· Anspruch genommen, wäre ich
zusammengeschlagen worden. Also nahm ich
den Schutz an. Die Leute, die kamen, um das
Stück zu sehen, wurden fast mißhandelt von den
Obdachlosen, die sie in das Stück stießen und sie
herumschubsten .. Jemand sagte: Ich habe mein
Ticket, wo soll ich warten? Und jemand antwor
tete: Ist mir scheißegal, wo du wartest. Verpiß
dich. Das Publikum fand das sehr verlockend, es
genoß es irgendwie. Ich dachte, es würde belei
digt sein, nein, es kam immer wieder, es liebte
es. Es war ein TeH der Erfahrung. Das Stück an ..
sich war ein ziemlich komplexes Stück. Ich ver
suchte gegen die Pre-Konzeption zu kämpfen,
weil ich mit einer Menge nicht-professioneller
Leute arbeitete. Sie waren obdachlos, viele
waren Trinker und Drogenabhängige. Ich mischte
sie mit Schauspielern, damit wir es auf ein pro
fessionelles Niveau heben konnten. Aber ich
hatte sehr gute Schauspieler, die mit mir arbei
teten, und sie setzten einen Standard und sag
ten: Wir können nicht unter diesen Standard
fallen. Das Stück tourte in sie6en oder. acht ver
schiedenen Ländern Europas, es gewann fünf
Preise. Ich erwähne das, weil es sehr wichtig ist,
weil ich einen Standard setze, den ich nicht fal
len lassen möchte. Ich möchte, daß der Standard
so hoch ist wie im traditionellen Theater, wenn
nicht höher.
. Einige Leute, mit denen ich in "Giad"
gearbeitet habe, sagten: Wer ist an unserer .
Geschichte interessiert? Wie können wir unsere
Geschichte ausdrücken? Und ich sagte: Alles,
was ihr tun müßt, wenn ihr auf der Bühne seid,
ist, emdtional echt zu sein. Ihr müßt in dem Text
sagen, was ihr fühlt, weil es einen Text gab,
einen sehr strikten Text, aber ich sagte: Wenn
eure Gefühle echt sind in dem Moment, wenn
ihr diese Dinge sagt, wird das. Gefühl rüberkom
men, und eure Gefühle sind universell. Verstehen
Sie, man muß nicht intellektuell se.in, um sie zu
verstehen. Es erwies sich als richtig, denn die
Männer und Frauen darin hatten einen starken
schottischen Akzent. Ich glaube, Manfred Beil
harz wird mir recht geben, weil er die Produkti
on in Bann hatte, daß sie sehr klar zu verstehen
war, auch wenn die Sprache oft verloren ging
wegen des schottischen Dialekts. Ich suche nach
einer Art universeller Theaterform, die, meine
ich, gefunden wurde und die wieder in .,Mad" zu
finden ist.
Entscheidend ist die Authentizität der
·menschlichen Gefühle, die das Publikum zu
spüren bekommt. Das ist keine intellektuelle
Sache. ln England sagen wir, daß die Heimat des
konzeptionellen Theaters Deutschland ist. Viel
leicht ist das falsch, oder? Sie sind intellektueller
als wir. Wir schauen auf politische Dinge, Sexua
.lität ... seit einer langen, langen Zeit, aber Sie
haben auf die Kunst geschaut. Nun, ich denke,
nachdem, was ich heute gehört habe, ist, daß
Sie mehr Realität ins Theater tinbringen wollen,
Sie wollen die Menschlichkeit des Lebens ins
Theater bringen. Ich denke, das ist ein nobles
und wichtiges Ziel, da die Mehrheit der Leute
keine Kunsterfahrung hat. Sie alle hier im Raum
haben eine Erfahrung mit Kunst, die Ihr Leben
verändert hat oder die Sie wahrscheinlich auf
eine bessere Art leben läßt, und Sie möchten
wahrscheinlich diese Erfahrung mit anderen
Leuten teilen, die weniger Glück hatten. Ich
meine, Kunst ist eine unglaubliche Sache, sie ist
eine spirituelle Sache, eine moralische Sache,
eine belebende Sache, und sie ist Arbeit. Wenn
sie eine spezielle Art Arbeit ist, kann man das an
Leute weitergeben .
.,Mad" war ein Stück über Geistes
krankheit, aber es lief ab in der Form eines Ver
sprechens. Frauen kamen, ich ließ sie vorspre
chen, und das Vorsprechen brach oft zusammen.
Ich sagte zu ihnen: Zeigen Sie mir die Erfahrung,
die mir Geisteskrankheit verdeutlicht. Sie zeigten
mir eine Szene, die ein Aufsummieren der Zeit
war, in der sie geisteskrank waren. Das war eine
sehr bizarre Situation. Ich saß in einem Raum
und sah Frauen zu, die einen Nervenzusammen
bruch hatten, und dann wählte ich die richtige
aus. Aus dem Vorsprechenlassen wurde das
Stück. Ich schnitt zusammen, und das Stück war
innerhalb eines Tages fertig. Ich prüfte das Stück
mit psychiatrischen Beratern und professionellen
Leuten, die mit Geisteskrankheit umgingen. Alle
diese Leute applaudierten dem Ergebnis, sie
DRAMATURG 1/2 99 I Seite 50
konnten ihre Namen daruntersetzen, sie sagten:
Das muß fortgesetzt werden.
Ein Problem haben wir nicht vorher
gesehen. Alle Frauen in dem Stück, es waren
acht Frauen, wurden jedes Mal, nachdem das
Stück aufgeführt wurde, Ratgeber. Ich möchte
behaupten, daß unter Garantie jede einzelne
Frau in diesem Raum, wenn sie das Stück sähe,
etwas über sich selbst darin finden würde, ein
verstecktes Geheimnis, das durch das Stück her
auskommt, weil die Schauspielerinnen acht sehr
intelligente, geduldige Frauen waren, die eigent
lich ihr Leben aufgegeben hatten. Am Ende jeder
Aufführung wurde jede Frau ausgewählt und
härte die Krankheitsgeschichte einer anderen
Person, was die durchgemacht hat, was die tun
könnte. Also, jede Schauspielerin kam am Schluß
zu mir und sagte: Wir haben es ·wirklich genos
sen, in dem Stück mitzuwirken, aber weil wir all
diese Extra-Stunden aufgewendet haben, als wir
mit den Leuten gesprochen haben, glauben wir,
unsere Gage sollte größer sein. Ich sagte: Ver
geßt es, so läuft das nicht.
Ich erfand den Text mit den Frauen
selbst und konzentrierte ihn dann sehr, sehr
strikt. Jedoch gab es immer einen Punkt, den sie
weiter bewegen konnten oder an dem sie etwas
weniger machen konnten. Sie hatten die Wahl,
mehr oder weniger zu tun. Oft kamen die Frauen
und sagten: Ich kann das so nicht machen, ich
mache es so. Aber sie wußten: da man ein Stück
Szene aus Architektur hat, wird das Stück zusammenfallen,
Jeremy Wellers wenn bestimmte Teile fehlen. Alles hatte seinen
"Mad" II mit dem Platz- und trotzdem war es jeden Abend ein
Grassmarket Project, anderes Stück. Manchmal wurde es eine sehr
Gastspiel im Neuen schwarze, dunkle Aufführung, und ich sagte
Theater München anschließend: Könnt ihr es nicht lustiger
FotoNigel Dickinsan machen? Ich will mehr Lachen, sie haben nicht
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genug gelacht. Manchmal war es zu lustig. Ich
sagte: Könnt ihr es nicht trauriger machen? Ich
will mehr Tränen, nicht genug Leute im Publi
kum haben heute abend geweint, können wir
daran arbeiten?
Frage: Fühlten die Frauen sich besser?
Das war ein Teil des ganzen Rrozesses.
Es war nicht mein Ziel, muß ich sagen. Ich wollte
etwas mitteilen. Ich denke, es wurde vorher hin
reichend bespr.ochen. Ja, einige von ihnen sag
ten, daß sie sich besser fühlten, manche fühlten,
daß sie aus sich herausgekommen sind: Ja, ich
war geisteskrank. Geisteskrankheit ist eines der
größten Tabus in der westlichen Gesellschaft.
Das Stück wird immer noch gegeben. Ich toure
noch mit diesem Stück, weil die Leute immer
wieder danach fragen.
DAS GESAMTKUNSTWERK .. IM ZEITALTER SEINER BAUFALLIGKEIT
Von Gisela von Wysocki
Der zweite Tag der Basler Tagung war vor allem dem Thema "Begattung der Gattungen oder: das theatralische Zusammenwirken der Künste" gewidmet. Den
· ersten Beitrag lieferte Gisela von Wysocki, Autorin
' von ..Schauspieler Tänzer ~ängerin" und "Abendlandleben oder Apollinaires Gedächtnis': Des letzteren Uraufführung fand am 4. Januar 99 am Theater Basel statt, Regie Jossi Wieler.
Frage: Was ist ein Gesamtkunstwerk?
Die unausweichliche Antwort:· der "Ring" von
· Richard. Wagner. Aber ein Gesamtkunstwerk ist
auch die japanische Teezeremonie. Die Ladenga
lerie in Frankfurts Schillerstraße ist ein Gesamt
kunstwerk und das Goetheaneum in Dornach.
Der australische Selbstdarsteller Stellare läßt
nach und nach seine natürlichen Organe durch
künstliche ersetzen und transformiert seinen
Körper in ein anatomisches Gesamtkunstwerk.
Das "Par;Jdör"-Hotel in La Gomera, mit Swim
mingpool, Palmengarten und alter Klosteranlage,
bezeichnet sich ·in einem Hausprospekt als ozea
nisches Gesamtkunstwerk. Boris Grays gab sei~
nem Buch über die kommuni.stische Diktatur in
Rußland den Tite.l ,,Gesamtkunstwerk Stalin':
Das Gesamtkunstwerk hat Konjunktur.
Schon wird die ganze Welt als ein überdimensio
nales Gesamtkunstwerk vorstellbar. Das "Ich",
diese gute, alte abendländische Erfindung, ist
ohnehin schon längst in den Rang eines
Gesamtkunstwerks erhoben worden. Die eigene
Biographie ist zur Selbstgestaltung freigegeben.
Sie jongliert und vibriert im Rhythmus sukzessi
ver Monogamie, selbstbestimmter Chronologie,
kreativer Selbst-Therapie.
Gesamtkunstwerke sind "in'', sie
haben die Rolle einer geistigen Dachorganisation
übernommen und bieten sich an als Pilgerstät
ten für· das, was wir als Menschen geworden
. sind: herrenlose Engel, wie Franz Kafka es sah.
Das Ich der Moderne ist durch dekonstruktive,
durch eruptive, kollektive, progressive und ulti
mative Prozesse hindurchgejagt worden, nun
will es ein Dach über dem Kopf haben und sich
etwas harmonischer fühlen dürfen.
Die Idee des Gesamtkunstwerks hat
das Zeug dazu, trügerische kleine Oasen der
Totalität zu errichten. Sie hat etwas Tröstliches
an sich, stellt eine Synthese, ein Netzwerk der
Bezüge in Aussicht. Wenn Peter Sloterdijk Recht
hat und der Zustand heutiger Existenzen der der
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Entgeisterung ist, dann wäre die Vorstellung
vom Gesamtkunstwerk so etwas wie eine Er
Füllung mit Sinn; ein substanzielles Bild, ein ver~
söhntes Gesamtgebilde anstelleeines sich ent
leerenden, aller eigenen Inhaltsstoffe sich ent
ledigenden Ich.
So gesehen, saugt das gutgemeinte
Gesamtkunstwerk uns auf, es bereitet familiär
seine Arme um uns und stellt sich in unseren
Dienst.
Aber werfen wir noch einen anderen
Blick auf die Möglichkeiten, die Reichweiten des
Gesamtkunstwerks. Deramerikanische Objekt
künstler Mare Ouinn ließ Häute seines Körpers
und seines Kopfes herstellen, Verdoppelungen
seiner Außenwände gewissermaßen, und füllte
das Kopfinnere mit seinem Blut, das Körperinne
re mit seinem Atem. Seine beiden Installationen
stellen die Frage, ob sie unabhängig vom Körper
des Künstlers gedacht werden können. Ob sie
nicht für alle Zeit ausgelagerte Bestandteile sei
ner Physis sind, das heißt, in sich die Gesamtheit
des Körpers des Künstlers abbilden? Damit also
die künstlichen Häute, der Atem, das Blut und
· der erfindungsreiche "Ausgangs"-Körper des
Künstlers sich zum Gesamtkunstwerk zusam
menfügen? Das heißt, Grenzen verschieben,
Körper-Konturen aufheben?
Denken wir, um uns langsam dem
Theater zu nähern, an das Stück "Hamletmaschi
ne" von Heiner Müller. Es wirft den.ZuschilUern
sprachliche Wrackteile zu, Elementarteile des
Verstehens ... Hamlet", abtretend, am Ende seines
abendländischen Bühnenlebens. Tausendfache
Verkörperungen liegen hinter ihm, Höhepunkte
· und Blessuren. Seine Figur ist gezeichnet von der
weltweiten Dauerqua I, die er quer durch die
Jahrhunderte und quer durch die Kulturen, all
abendlich in den Theatern rund um den Globus
abzuliefern hatte. Aufgelöst, zerfasert, verschlis
sen steht ein abgehalftertes Monstrum uns vor
Augen. Nichts an ihm wäre monströs, nichts
bedeutungsvoll, ja, die "Maschine" Hamlet wäre
gar nicht da, wenn nicht uns, den Zuschauern,
das Panorama seiner tausendfachen Existenzen
als wissende Phantasie zur Verfügung stünde.
in "Ha(lllets" Paranoia kennen wir uns
aus, vor den apokalyptischen Zügen seiner Figur
und vor ihren Fragmenten bleiben wir nicht
ratlos stehen. Wir sind angeschlossen an eine
größere Geschichte, an eine Legende, an ein
Universum, das "Hamlet"-Universum. Müllers
Hamlet braucht unser Gedächtnis und unser
Wissen. Auf diese Weise schließt sich hier kein
Gesamtkunstwerk, nein, es öffnet sein Territori~
um. Um Resonanzen zu erzeugen, um Verknüp
fungen einzugehen, die außerhalb seiner liegen.
Ein Gesamtkunstwerk stelle ich mir als
ein Stück, als einen Stoff vor, die nicht verwei
len, nicht haltmachen bei der Idee eines schlüs
sig durchkomponierten, narzißtischen Ganzen. Es
handelt sich um lückenhaftes Gewebe, lose
Struktur, aber gerade darin ulll bündnisfähiges
Material. Eher Stufe •. Stadium - als abgerunde
tes, vollständiges Werk. Das Werk: Gesamtkunst- ·
werk in diesem Sinn, ist die Vorführung von
Berührungen, eine Form der libidinösen Energie,
die durch die Teile hindurchfließt, sie aber nicht
zusammenschmiedet Ein solches Werk braucht
die Komplizenschaft der Theaterbesucher,
braucht ihren Gedächtnisspeicher.
ln dem Stück "Schauspieler Tänzer
Sängeiin", das ich vor zehn Jahren für den
Regisseur und Bühnenbildner Axel Manthey
geschrieben habe, teilen sich die drei Hauptdar
steller in einer Sprache mit, die an einer Stelle
als "scharf akzentuierte, straffe Geistersprache"
bezeichnet wird. Aus ihren weltberühmten,
hochdotierten Körpern, Kehlen und Mündern
gelangt- versatzstückhaft, in Floskeln, Formeln:
aus der verzerrten Optik der Spezialisten heraus
das Idiom der Bühnensprache selbst: Protagoni
sten-Syntax gewissermaßen, auf die Szene. Ein
Schauspieler, der sich fragt: wie atmen, schauen,
wie bewegen sich Schauspieler? Ein Tänzer, der
seinen Part aus archetypischem Material entfal
tet. Seiner Rolle liegen Leben, Philosophie und
kinetisch choreografische Aufschreibsysteme des
Alexander Nijinsky zugrunde.
"Einblicke Ausblicke", "Schritte Rich
tungen", "Atemzüge" werden auf diese Weise zu
szenischen Vorgängen. Ein Zusammenspiel viel
fältiger Absprachen: polyphoner Stimmabgaben
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vor dem Horizont einer gemeinsamen Theater
kultur. Man sieht die Mythen am Werk: Vorgän
ge; Abläufe; Verabredetes.
Den Künstlern werden b'emalte Tafeln
zugeteilt: Segmente, Gebärden aus dem Fundus
ihrer Herkunftsgeschichte. Auf der Tafel des Tän
zers ein gemalter Fuß mit Nervenbahnen; die
Sängerin trägt das Schild ihrer goldenen Kehle
vor sich her; der Schauspieler als Gattungszei
chen deri Clown. Eine Etüde des Zeigens und
Sehens. So läßt der Tänzer zunächst nur Teile·
seines Körpers spielen, als seien sie vereinzelte,
brillante Fragmente seiner selbst. Ein Glissando
·der Knochen, Skeletteile. Figuren. Figurinen.
Alles daswirkt zusammen, organisiert sich, bis
plötzlich aus den bewegten Körpergliedern ein
atmender, lebender Tänzer wird. Eine exemplari
sche Lektion über das gebrechliche Wunderwerk
der Künstlerkorper. Im Fall der Primadonna hat
sich der Kehlkopf in ein Fabelwesen verwandelt.
Aus einer Reihe von Organen, Schlund und
Zunge, Mund- und Rachenraum, ist ein Ort der
Neurose und des Sakralen geworden.
"Ganz offensichtlich ist: der Mensch
wird nachgeahmt, genauer noch, er scheint wie
ausgebessert oder überarbeitet zu sein, wo nötig
·aufgefüllt und abgerundet: teilweise ganz
ersetzt...", sagt der Schauspieler. in seinen Körper
sind tausendfache Verwandlungen eingegangen,
die physiognomische Kennerschaft von Jahrhun
derten, das anatomische Wissen ganzer Mimen
Stämme. So ist er zum überdimensionierten
Anthropolog'en geworden: grotesk und ·anzie
hend zugleich.
Mit Vorhang und Licht, so beginnt der
Abend. Ein Gesamtkunstwerk? Wenn mehr damit
gemeint sein soll als die Frage nach Sparten und
nach dem Spielbetrieb eines Hauses, mehr als
eine äußerliche ästhetische Formbestimmung,
dann denke ich, ist das Stück "Schauspieler Tän
zer Sängerin" für sich genommen eine Spiel
Partitur. Sie braucht die Zuschauerlust, das
Zuschauerwissen. Es müssen sich in diesem Wis
sen Abdrücke, Bilder, Vergegenwärtigungen von
Bühnen, Bühnenstoffen befinden, von Kulissen
und von Kunstgriffen, vom Faszinosum des
Spiels, von den Aufstiegen der Stars. Dann erst
weitetsich das Werk zum Gesamtkunstwerk,
werden die Anspielungen des Textes theatrali
sche Wirklichkeit, breitet sich ein Raum aus über
den Wörtern; ein Dach über den Körpern.
Ein paar Bemerkungen noch, zum
Abschluß, über das Stück "Abendlandleben", das, wie Sie vielleicht wissen, Anfang Januar 1999
·hier, im Schauspielhaus Basel unter der Regie
von Jossi Wieler, in der dramaturgischen Mitar
beit von Judith Gerstenberg, uraufgeführt wird.
Sein Ausgangspunkt ist ein menschliches
Gedächtnis; von sich aus also ein Speicherorgan,
das, rein szenisch gesehen, auf die Form des
Gesamtkunstwerks weist. Der Dichter Guillaume
Apollinaire wird als Infanterist während des
Ersten Weltkrieges von einer Granate getroffen.
Während der sich anschließenden Operation ist
es ihm möglich, sich über Spiegel in den eigenen Schädel zu blicken: sein Gedächtnis zu betrach
ten. Dieser Blick, dieses Schauen auf das zutage
tretende Gedächtnismaterial bestimmt die Dra
maturgie des Stücks. Ein Blick wie auf ein Präpa
rat gerichtet.
Was liegt näher für die szenische
Phantasie, als einmal in einen Kopf hineinzu
schauen? Dort wie ein Forscher in seinem Labor
herumzulaufen? Zu schauen, was innerhalb die
ses Gebäudes aus Haut und Wissen, aus Gewebe
und aus Gedächtnis vor sich geht? Den Blick zu
richten auf all die gespeicherten, abgelagerten
Lemuren der europäischen Zivilisation? Einen
Kopf zu betreten wie eine Bühne. Ein Menschen
museum: poetisch analytischer Hall raum.
Die Zeremonien einer uns unbekann
ten Menschenart, bloßgelegt von den chirurgi
schen Instrumenten, werden sichtbar: Grundrisse
des Europäischen. "Europa", die "heiter helle Sonntagsweit geschmückter Barbaren", die Weit
der EUROPI, betritt die Bühne. Die künstlich
angelegte "Person"; die "Frau" in verschi_edenen Versionen; der "Mann", der "Künstler': Eine Weit
ohne Haut und Fleisch, doch von Stoffen, Ko.stü
men, von Kulturen und Spielen überzogen.
Repliken, Kopien.
Mit einem Set von Metaphern und
Motiven, Bildern, Figuren, Spielen geht "Abend
land! eben" den Lebensgesetzen der EUROPI
nach. Bahnt sich einen Weg durch die Kammern
der Bedeutung, durch Wände der Projektion.
24 Szenen, unterteilt in 24 "Naturen"; das heißt
24 Mal Überformung, Erweiterung, heißt 24
Etappen innerhalb einer Siegergeschichte. Eine
ironische Diagnose abendländischen Lebens, das
in seine Elementarteile zurückübersetzt wird.
So sind die Regieanweisungen zu
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"Abendlandleben", die Ausführungen über
Mimik, Gestik, Erscheinungsbild des Schauspie
lers; direkte Ausformungen seiner Rolle, seiner
szenischen Identität. Die Zigarettenspitze der
"vampiristischen" Braut ist nicht nur äußeres
Requisit, sondern in die Haut ihrer Hand hinein
gewachsen. Marie, die "hysterische" Braut, trägt
nicht nur den Schleier, sie i s t der Schleier.
Man schaut der Arbeit der Zivilistation am
menschlichen Rohstoff zu. Ein Universum der
Wunden, die, technisch vernäht, nichts mehr
sehen lassen von ihrem Vorhandensein: abend
ländische Definitionen des Fortschritts.
Der Blick des Frischoperierten ist
gerichtet auf die komplexen Überblendungen
von Archaik und Moderne. Auf die Spannung
zwischen gesellschaftlicher Maschinerie und
wildfremder Natur- Schicht des Elementaren.
Alles, was auf der Bühne geschieht, wird aus·
einem Menschenkopf herausgezogen und der
öffentlichen Betrachtung preisgegeben.
Der Abendländer als Gesamtkunst
werk? Nein. Eher doch seine ironische Vor
führung, sein zerbrochenes Bild, das heißt Meta
phern der Schadhaftigkeit in Verbindung mit
dem eingeweihten Zuschauer: Das könnten die
Ingredienzien sein.
Abgegoltene I unabgegoltene Stufen unseres Menschenlebens? ln welchen Räumen
sind wir zuhause? Stehen wir am Anfang oder am
Ende oder in einem Vakuum von Raum und Zeit?
Oder überhauptjenseits von solchen Fragen?
Wenn das Bild auf die Bühne über
springt, aus einem Hauptdarsteller-Gedächtnis heraus, in die Köpfe der Theaterbesucher, dann
könnte an solchen Schnittstellen der Verunsi
cherung, der Befragung und Erkundung, könnte
in diesem Fluidum einer kollektiven Selbstverge" wisserung ein Gesamtkunstwerk vorstellbar sein.
Nicht als Form, nicht als Programm, nicht als
Anspruch. Sondern als theatralische Kombinato
rik aus Schauspielkunst und Gedächtnisarbeit;
aus zeitgenössischem Bühnenmaterial und der
sozialen Erfahrung des Publikums.
So gesehen, sind die offenliegenden
Nähte, also die Wunden eines Textes [wie die
Wunde am Kopf des Bühnenprotagonisten) seine
Einstiegslöcher. Nur das noch nicht zu Ende
geschriebene Werk atmet, greift nach einer Frei
heit, die in seinem Organismus wütet wie eine
vegetative Dystonie.
Szene aus der Basler
Uraufführung von
Gise/a von Wysockis
"Abendland/eben", Premiere 4.1.99,
Regie Jossi Wie/er.
mit Iris Erdmann,
Isabelle Menke,
Anne Weber und
Beate Stucky
Foto
Sebastian Hoppe
Kann man so weit gehen zu sagen,
daß gerade das Theater es ist, das eine Möglich
keit bereithält, Bewußtsein, Wissen zurückzuge
winnen? Die Realität, in der wir leben, zwingt
uns, elementare, .bedeutungsvolle Bereiche unse
res Lebens einzuebnen, immer weitergehend zu
neutralisieren. Das Wesentliche entzieht sich
zusehends. Kann das Theater mit seinen Bildern
etwas festhalten davon? Kann der Raum, da, wo
er zum Ereignis gemacht wird, Lesarten der Rea-
DRAMATURG 1/2 99 I Seiti! 55
lität intensivieren? Verstehbarer machen? Kann
das Theater anstelle eines begrifflich bereinigten
Konzepts das Bewußtsein für Lebensprozesse
vertieft vor Augen führen? .,Der Blick", so
schrieb Botho Strauss, "enthält noch in Spuren
'Hintergrundstrahlung' von Urzeit und Fülle. Mit
den Worten beginnt die Vertreibungsgeschichte."
Urzeit und Fülle: das wären schon einmal zwei
brauchbare Anknüpfungspunkte für eine neue
Lesart des theatralischen Gesamtkunstwerks.
EINE DENKMASCHINE über die Arbeit des Marstalls München Von Elisabeth Schweeger
Im zweiten Teil der Debatte über "Die Begattung der Gattungen" berichteten drei Jheatermacherinnen, die grenzüberschreitend arbeiten. Elisabeth Schweeger hat in diesem Sommer ihren Aufgabenkreis entscheidend erweitert: neben der Leitung des Marstalls, die sie · beibehält, zeichnet sie jetzt auch als Chefdramaturgin des Bayerischen Staatsschauspiels verantwortlich. Auch dessen Häüser, das Residenz-und das CuvilliesTheater, will sie öffnen, will in andere Räume gehen und in den beiden Häusern , selbst auch Künstler anderer Sparten heranziehen. Und es gibt für die Spielzeit 1999/2000 ein Motto: "Ach Deutschland': Man wird sehen.
Ich bedanke. mich für die Einladung
heute. Es .ist für mich immer sehr seltsam, in
einer rein theatralischen Umgebung zu sitzen,
obwohl ich in einem Theater arbeite. Ich möch
te, weil vorher soviel über Analyse und Theorie
geredet worden ist, mich jetzt einfach auf die
Praxis beschränken und erzählen, was wir im
Marstall in München machen. Der Marstall
gehört zum Bayerischen Staatsschauspiel; das ·
besteht aus drei Häusern, aus dem Residenzthea
ter, dem Cuvillies-Theater und dem Marstall.
Man hat versucht, mit dem Marstall innerhalb
eines traditionellen. Theaterverständnisses auch
etwas anderes zu entwickeln. Der Marstall hat
nicht die Aufgabe, neue Theaterstücke zu ent
wickeln, sondern sich als Keil zu betrachten, der
auch das Theater selbst in Frage zu stellen hat.
Das ist ein ganz persönliches Anliegen von mir.
Ich bin ein großer Skeptiker, was
heute Kunst im allgemeinen betrifft. Ich glaube
auch nicht, daß die Kunst heute sich in isolierter
Form oder spezialisierter Form darstellen sollte.
Sie dringt heute in alle Bereiche ein. Sie
bestimmt die Bereiche auch. Wenn wir heute
Werbung ansehen oder Marktstrategien prüfen,
wenn wir·schauen, was die Wirtschaft heute
macht, wenn wir sehen, wie Kunst im Öffentli
chen Raum plaziert wird, können wir nicht mehr
sagen, daß Kunst riur funktioniert in diesen tra
ditionellen Institutionen wie z. B. Museen, Thea
tern, Kunstzentren oder Kunstvereinen. Daraus
hat sich für mich die Frage ergeben, was kapn
ich überhaupt zeigen in so einem Theaterraum,
der an sich schon eine massive Vorg'abe ist? Das
erste, was ich zuerst gemacht habe im Marstall:
Ich habe alles rausgeschmissen, ailes, was als
theatrale Vorgabe vorhanden war, einerseits der
Zuschauerraum, andererSeits der Bühnenraum,
das habe ich eliminiert, so daß ich den reinen,
puren architektonischen Raum hatte, der aller-
DRAMATURG 1/2 99 I Seite 56
dingsseine ganz bestimmte Geschichte hat. Ich
habe Leute eingeladen, nicht immer nur Künst
ler, sondern auch andere Leute aus anderen
Bereichen, auch aus der Wirtschaft, aus der Poli
tik, aus der Werbung, in diesen Raum einzutre
ten und mit ihm umzugehen. Dadurch sind
eigenwillige Sachen entstanden, die für mich das
formuliert haben, wasich glaube, was wir heute
am meisten machen müssen, nämlich Fragen zu
stellen.
Der Marstall ist in den letzten fünf
Jahren zu einer Art Denkmaschine geworden. ln
Japan gibt e,s das ja, da gibt es diese sogenann
ten Thinktanks, wo die verschiedensten Men
schen zusammenkommen, ob das jetzt Soziolo
gen sind, Philosophen, Wirtschaftsleute oder
auch Künstler, die miteinander einen Diskurs
führen und versuchen herauszufinden, wo
Gemeinsamkeiten entstehen, aber auch Dispa
ratheilen bestehen bleiben. Wozu der Marstall
nicht da ist: einem Harmoniebedürfnis Rech
nung zu tragen. Im Gegenteil: Wir versuchen,
Disparatheilen herzustellen und die Lust zu
wecken auf Vielfalt. Vielfalt heißt: Es gibt so
viele Möglichkeiten, an Themen unserer Zeit
heranzugehen, und es gibt nicht nur eine Mei
nung, es gibt nicht nur eine Vision, sondern es
gibt viele mögliche ästhetische Umsetzungsfor
men, und die können in ihrer Vielfalt dann viel
leicht ein Gesamtbild ergeben. Vielleicht! Das
erfordert natürlich vom Zuschauer, daß er sich
nicht einfach als Konsument betrachtet, sondern
daß er selber ein mündiger BUrger ist, der sich
das nimmt, was er braucht, und es vielleicht
auch zurückwirft, wenn er es nicht braucht.
Die Projekte, die wir da drinnen ver
anstalten, sind ganz unterschiedlich. Wir haben
auch Salons, wo einfach nur diskutiert wird, wo
Sachen vorgestellt werden. Wir haben auch Pro
jekte, wo wir verschiedene Menschen zusam
menbringen, Architekten mit Wirtschaftsleuten,
Musiker mit Choreographen. Diese Verschrän
kung von verschiedenen Denkweisen hat einfach
zu verschiedenen Bildern geführt oder auch
Umsetzungsformen. Also, man kann auch nicht
mehrvon einer reinen theatralen Form sprechen,
aber es ist alles in einer performativen Art dar
gestellt. Doch das kann sich auch nur in einem
Bild generieren. Ein ganz einfaches Beispiel:
"Granular Synthesis" - das ist ein Musiker und
ein Bildhauer. Man befindet sich in einem leeren
Raum und hat vier oder fünf überdimensionale
Leinwände vor sich, auf denen Körper zu sehen
sind, die mit Video abgefilmt worden sind. Die
Projektion wird mit Elektronik gesteuert und
generiert. Es verändert sich der Körper, der nur
bestimmte Grundeinsteilungen hat, über das
Medium der Technik, und erzählt wird so eine
unglaubliche Vielfalt an Möglichkeiten, die der
Körper hat, d. h. von der Ekstase bis zum Ruhe
stand, von der Auflösung bis zu einer Illuminati
on. Das ist eine Beschäftigung mit dem Tafelbild
auf der einen Seite, auf der anderen Seite geht
THEATER AUS DEM LEBEN GENERIEREN
über die Arbeit des Festivals ,;Theaterformen" und die englische Gruppe· Forced Entertainment Von Marie Zimmermann
es darum, wie kann ich Körper heute im Zeit
alter der Virtualität, wo der Körper sich aUflöst
oder nichtmehr so präsent ist, trotzdem noch
·präsent machen und den Zuschauer motivieren,
die sich verändernden Körperbilder anzuneh
men? Die Musik ist meist ohrenbetäubend. Das
hat sich entwickelt aus der Technoszene, wo der
Rhythmus und der Ton in den Körper eindringen
- also, selbst wenn man sich die Ohren zutlält,
das bringt nichts. Der Ton kriecht einfach in
einen hinein und nimmt den Gesamtkörper in
Anspruch; es entsteht eine Kontakt- und eine
Dialogmöglichkeit zu dem, was man auf dem
Bild sieht. Das sind ganz andere Formen von
theatralen Vorgängen,.die meiner Ansicht nach
aber auch Theater sind. Es sind neue Formen, bei ·
denen nicht ein Handlungsstrang abgewickelt
wird, weil Geschichten sich heutzutage meiner
Ansicht nach nur noch sehr schwer erzählen las
sen. Erzählt werden stattdessen Befindlichkeiten
und Zustände der heutigen Gesellschaft. ,.Granu-
·Im Gegensatz zum Marstall in Mün
chen ist das Festival Theaterformen eine sehr
junge und dazu auch noch sehr diskontinuier
liche Institution .. Das Festival ist Anfang der 90er
Jahre gegründet worden in Braunschweig
damals von der Niedersächsischen Landesbank,
die die letzte bundesrepublikanische Landesbank
war, die eine Kunststiftung gründete undneben
dem Bereich Kunst im öffentlichen Raum dann
auch die darstellenden Künste in Braunschweig
ansiedelte. Braunschweigerwies sich als eine
Stadt, die zu klein ist, um selbst ein finanzstar
kes Festival mit der Publikumsresonanz zu seg
nen, daß es auf zukunftsfähige Beine gekommen
wäre. Dann hat das Land zunächst einmal ver-.
sucht, Hannover und Braunschweig zu animie~
ren, das Festival gemeinsam durchzuführen. Im
. Vorfeldder Expo 2000 hat man dann beide
Städte bewegen können, das Festival wieder
aufzunehmen; Die erste Ausgabe hat im Juli
1998 stattgefunden in beiden Städten. Ich habe
damals, befragt, ob ich dem Festival ein Motto
lar Synthesis" haben wir mit mehreren Museen geben möchte, auch mit Blick auf die Grün-
co-produziert. Es waren sieben Co-Produzenten, . dungsvergangenheit, die dieses Festival hatte, die das zustande gebracht haben. Sie sehen, daß sehr bewußt den Titel, den es von Anfang ari
auch die Produktionsformen sich auch schon hatte, nämlich Internationales Festival Theater-
mal verändern und daß dadurch .auch eine formen, in den Vordergrund gestellt.
andere Diskursebene entsteht, weil man mit so Es gibt eine englische Gruppe, die ich
vielen Co-Produzenten zusammen reden muß. bei der Recherche für das Festivalprogramm
kennengelernt habe und dann mit einer gewis
sen Hartnäckigkeit auch alles von ihnen verfolgt
habe, weil es mir zunächst einmal ein großes
Rätsel war, wie man denn so Theater machen
kann und wie das denn Leute, Zuschauer inter
essieren kann, aber das taten sie in Scharen und"
sehr nachhaltig. Das war die britische Gruppe
Forced Entertainment, die, von einem College in
Darlington an der Westküste Englands kom
mend, sich Anfang der 80er Jahr<: in Sheffield
als Kollektiv niedergelassen und dort begonnen
DRAMATURG 1/2 99 l Seite· 57
Marie Zimmermanns Arbeit für das Festival Theaterformen findet im nächsten Jahr im groflen Rahmen der hannoverschen·Expo 2000 statt. ,.Ouizola", der Text der englischen· Gruppe Forced Entertainment, über den Marie Zimmermann in Basel berichtete, liegt übrigens auch einem der Workshops der Dresdner Tagung zugrunde. Also kann man das Folgende auch als Einleitung dazu lesen.
hat, ihre Theaterstücke zu entwickeln. Im
deutschsprachigen Raum sind zwei davon bekannt, die einerseits sehr verwandt sind, ande
rerseits sehr kontrastreich zueinander stehen.
Das eine heißt "Speak Bitterness", das andere
"Quizoola': "Speak Bitterness" besteht bei einer maximalen Dauer von 8 1/2 Stunden aus 565
Bekenntnissätzen, die in der Qualität wechseln
zwischen ",ch habe soeben meine Mutter umge
bracht.'~ und "Ich habe hinter dem Rücken meiner Freundin, die Vegetarierin ist, einen Hambur
ger gegessen." Die Spielanordnung sieht so aus,
daß die sechs Spieler etwa 60% dieser Bekennt
nissätze festlegen. Es gibt keine Kostüme, die
Spieler treten scheinbar als Privatpersonen auf,
dennoch kann man sagen, es sind Figuren. 60%
der Belienntnissätze sind festgelegt, und 40%
sind sozusagen der freien Improvisation und der
Chaostheorie a'nheim gegeben. Dasselbe gibt es
auch mit einem Spiel vom Fragen ...
Schweeger: Ich denke, daß Forced
Entertainment vor allem mit dem Prinzip der
Authentizität arbeitet, und das ist etwas, was
das Theater nicht tut. Und auch die Formen, die
sie wählen, sind ja eigentlich untheatralisch. Sie
sitzen an einem Tisch wie wir und rede.n 1 und
daß sich aus dem Reden etwas Performatives
entwickelt, geschieht aus dieser Authentizität
heraus und nicht aus einer vorgegebenen
Geschichte. Das kommt aus dem Performance
Bereich, der nichts mit dem Theater zu tun hat.
Performance hat sich aus dem Leben generiert
und nicht aus dem theatralischen, künstlerischen
Prozeß.
Zimmermann: Ein Sponsor hat uns bei
dem diesjährigen Festival ermöglicht, eine Som
merakademie für junge Theatertalente aus allen
Bereichen durchzuführen. Wir hatten ein Ensem
ble von einem Dutzend junger Leute zwischen 20 und 25. Sie kamen aus· Albanien, Tschechien,
Rußland, Belgien, den Niederlanden und Deutschland. Mit ihnen liaben wir eine Woche
lang anhand von "Quizoola", anhand dieses "Forced Entertainment" spielt ,,club no regrets" Spiels vom Fragen, gearbeitet, um klar zu
Foto Hugo Glendinning machen, daß dieses ästhetische Verfahren sich
zwar aus diesem Kollektiv entwickelt hat, aber
trotzdem ein theatralisch reproduzierbares
Material ergeben hat.
DRAMATURG 1/2 99 I Seite 58
Beinahe in allen Theaternationen der
Weit ist mittlerweile die Durchdringung von bil
dender Kunst, Musik, Sprechtheater, Tanz ein
künstlerischer Standard. Die Grenzen dazwischen
haben sich längst aufgelöst. Da kommt es für
mich als Festivaldirektorin darauf an, den in die
verschiedenen Szenerien ausgewanderten Publi
kumssachverstand wieder zu einen. in einer
Stadt wie Hannover steht an erster Stelle das
Interesse für die bildende Kunst, an zweiter Stel
le kommt das für zeitgenössische Musik, Platz
drei ist nicht besetzt, und erst auf Platz vier ran
giert das zeitgenössische Schauspiel. Da kommt
es darauf an, daß sich Zuschauerinteresse
anhand eines solchen Festivals wieder bündelt.
Das gelingt dann mit Produktionen wie z. B.
Heiner Goebbels "Schwarz auf Weiß", auchwenn
mir das dann die Rüge einträgt, das sei keine
Novität. Ich sage dann: Das ist ein Stück, das
einfach möglichst viel gespielt werden muß.
Die beiden Staatstheater, sagen Sie, sind Träger des Festivals? Und deren Arbeit, deren traditionelle, herkömmliche Arbeit wird nicht tangiert, wird nicht geöffnet?
Zimmermann: Doch. Seide Staats
theater waren eingeladen, mit einem eigenen
Beitrag sich an diesem Festival zu beteiligen. Das
Staatstheater Braunschweig· hat das aus sehr
praktischen Gründen nicht leisten können, weil
das Festival am Ende der ersten Spielzeit einer
neuen Intendanz stattfand, so daß da alle Kräfte
sich auf die erste Spielzeit konzentrierten. Han
nover hatte ursprünglich zwei Beiträge gemel
det, der eine war Christof Nels Ödipus~Adaption
"Die Wunde Ödipus", in der Schauspieler und
blinde Laien zusammenarbeiten. Das zweite Pro
jekt war ein freies Projekt von Andreas Kriegen
burg und einer kleinen Produktionsgruppe, die
den Traum hatten, im Mai/Jun·i in einem eigenen
Produktionszusammenhang einen Beitrag für
das Festival entwickeln zu können, das ist dann
leider Gottes mit allseitigem Einverständnis zehn
Tage vor dem Premierentermin abgesagt worden,
einfach weil das Vorhaben, aus dem normalen
Stadt- und Staatstheaterbetrieb auszusteigen
und in sechs Wochen ein freies Projekt zu ent
wickeln, sich als praktisch nicht gangbar erwie
sen hat. .
DRAMATURG 1/2 99 I Seite 59
.. BEGATTUNG DER GATTUNGEN" - was ist das, ·
wie organisiert man das? Von Maria Magdalena Schwaegermann
Ich möchte vielleicht zunächst einmal
was zu meiner Arbeit sagen. Ich bin seit zwölf
Jahren im internationalen neuen Tanztheater-,
Musiktheaterbereich tätig. Angefangen habe ich
mit Nele Hertling 1987 mit der Planung für die ·
Werkstatt Berlin, die im Rahmen von Berlin -
Kulturhauptstadt Europas stattgefunden hat. Es
war ein Programm, das schon damals die Gren
zen des Kunstbegriffs sprengte. Wir haben
damals bewußt Design und Mode mitaufgenom"
men, gleichwertig neben Literatur und Musik,
Theater und Oper. Nach dieser Zeit, nach diesem
Festival bin ich mit Nele Hertling ins Hebbel
Theater gegangen als stellvertretende künstleri
sche Leiterin. Ich bin dort zuständig für das, was
man Theater und Musiktheater nennt, und weni
ger für den Tanz, soweit man das überhaupt
trennen kann bei uns.
Zum Thema "Begattung der Gattun
gen" in zwei Schritten. in einem ersten Schritt
möchte ich noch einmal einige Beispiele nennen,
die uns in den letzten zehn Jahren begleitet
habenund die vielleicht eine Entwicklung zei
gen. Im zweiten Schritt stellt sich die wichtige
Frage, wie plant und organisiert man das? Ich
denke, darin ist dann auch das Warum verbor
gen.
Zum ersten Punkt: Wir haben im Rah
men der Werkstatt Berlin 1988 einen Programm
punkt gehabt, der nannte sich "Grenzüberschrei
tung': Dieser Begriff gefällt mir eigentlich auch
besser als "Begattung der Gattungen" und wird
für die weiteren Ausführungen der richtige
Begriff sein. Das war eine Reaktion auf die
Bewegung von Künstlern, Bühnenbildnern,
bildenden Künstlern, Designer raus aus dem
Theater hin zu einer eigenständigen Kreation
eines theatralischen Raums, der nicht immer
unbedingt im Theater zu finden ist. Das konnten
auch ganz andere Orte sein. Sie wollten alle
einen theatralen .Raum schaffen, und das haben
sie getan unter Verwendung all der Elemente,
die einen Raum zu einem theatralen Raum wer
den lassen: Bewegung und Licht und Sound und
Musik und Klang und Farbe und auch Text,
wobei der Text in diesen Projekten meistens
nicht den Vorrang hatte, sogar teilweise erstmal
in den Hintergrund gedrängt, später dann wie
der gleichberechtigt behandelt wurde. Wir
haben dann diesen Begriff "Überschreitun.g der
Gattungen" zum Motto gemacht für unsere
internationale Arbeit, haben ja immer mit deut
schen und internationalen Künstlern zusammen
gearbeitet, und ich nenne vier Beispiele.
Gerhard Bohner war ein Tänzer und
Choreograph, der sehr früh in den Dialog mit
den anderen Künsten gegangen ist, deswegen ist
es mir wichtig, ihn hier zu erwähnen. Es ging
nicht mehr um das Illustrieren der einen Kunst
durch die andere oder umgekehrt, sondern um
den Dialog mit einer Skulptur, mit einem Bild,
mit Musik. Was Bohner eigentlich gesucht hat
oderformuliert hat, ist der Raum zwischen sich
als Tänzer und dem Kunstwerk, das in sich
genauso eigenständig bleibt wie er, also nie Illu
stration ist, sondern Formulierung des Raumes,
der dazwischen liegt. Man appelliert durch solch
eine Art von Arbeit an das Gedächtnis, das das
Publikum mitbringt. Es wird durch den Künstler
nur angestoßen, angeregt, und das Publikum ist
in der Lage, eigenständig diesen theatralen
Raum dazwischen mitzuentwickeln.
Eine andere Produktion, die wichtig
für uns. war, war die von "Schauspieler Tänzer
Sängerin". Die war noch in einem anderen
Zusammenhang entstanden, nämlich im Staats
theaterumfeld. Erst war der Textvon Gisela von
. Wysocki da, und dann gab es den Regisseur
Christof Nel und die Künstler, die das ganze zum
theatraliSchen Werk gemacht haben. Glücklich
gelungen ist das Ganze, weil die Künstler, die
zusammentrafen, wirklich in einem Team zusam
mengearbeitet haben.
Ich denke aber, das ist noch eher die
traditionelle Form, wohingegen die Wooster
Group viel weitergegangen ist- zwar unter der
Leitung einer starken Figur wie Elisabeth
LeCompte, aber das ganze Werk der Wooster
Group ist ja nur denkbar als Teamwork zwischen
Künstlernganz verschiedener Herkunft: Video
künstler, Lichtkünstler, Musiker, Schauspieler und
DRAMATURG 1/2 99 I Seite 60
auch Leute, die überhaupt gar keine Schauspie
ler waren. Ron Water, selber später der wichtig
ste Schauspieler der Gruppe, hat ja nie eine
Schauspielausbildung gemacht, also die Grenze
ganz massiv überschritten, und hat damit
eigentlich einen ganz neuen Raum des Schau
spiels geschaffen.
Schließlich: Heiner Goebbels ist sicher
das ganz wichtige Beispieleines Künstlers, der
diese Grenzüberschreitungen nicht nur gewagt .
hat, sondern dem es auch gelungen ist, auf eine·
ganz neue Weise Projekte zu produzieren, wo
einem gar nicht' mehr die Idee kommt, daß da
Gattungsgrenzen überschritten werden. Er ist ja
eigentlich nicht .im klassischen Sinn Komponist,
denn er nimmt nicht nur musikalisches Material
zur Grundlage seiner Kompositionen, sondern
alle Möglichkeiten, die z. B. bei einem Musiker
. vorhanden sind. ln "Schwarz auf Weiss" ist zu
sehen, wie er den gesamten Katalog von Bewe
gung und Haltung der Musiker auf der Bühne
als Grundlage nimmt, um eine Gesamtkomposi
tion herzustellen. Sie bei.nhaltet das Erzeugen
von Tönen und auch die Phantasie, die sich um
das Erzeugen von Tönen' herum
bilden kann. Das ist sicher ein Beispiel, daß die
·Gattungsgrenzen sich· aufgelöst haben ..
Zweite Frage: Wie plant und organi
siert man diese Projekte? Ganz wichtige Grund
voraussetzung ist, daß wir als Theaterleiter kei
nen Auftrag für so ein Werk erteilen, son.dern
diese Werke oder die Ideen an uns herangetra
gen werden. Die Künstler oder der Künstler
kommen mit der Idee, und das sind meist sehr
vage Ideen, und man versucht herauszufinden,
ob sich das realisieren läßt. Man hat nichts, an
dem man sich festhalten kann, keinen Text, der
eine politische oder gesellschaftliche oder poe
tische Aussage hat. Es ist erstmal eine Idee, die
sich aus einem Raum oder aus einem Klang oder
einem Gedanken zusammensetzt, und dann wer- .
den Teams gebildet, meistens von den Künstlern
alleine, und wir bieten dann dazu die Mitarbei
ter an, die in der Organisation tätig werden.
Das bedarf flexibler Personen. Unsere
Mitarbeiter- wir haben ja ein ganz kleines Team
im Hebbel-Theater, und nur so läßt sich auch
Flexibilität garantieren - unsere Mitarbeiter
haben in den Jahren, in den letzten zehn Jahren
gelernt, daß jedes Projekt völlig andere Bedin
gungen setzt. Jeder Mitarbeiter muß einen Weg
miterfinden, d. h. er hat nicht feste vorgeschrie
bene Bahnen, sondern er muß selber Verantwor
tung übernehmen und kann selber kreativ sein.
D. h. es muß ein ganz großes Vertrauen unter
den beteiligten Künstlern, Organisatoren und
Technikern bestehen.
Die Techniker, die bei uns beschäftigt
sind, sind alle Freelance-Techniker, hochqualifi
zierte Leute, also Künstlertechniker, sie bringen
jeweils von Projekt zu Projekt ihre Fähigkeiten
ein. Manche bestehen darauf, Lichtdesigner zu
sein. Wir haben einen, der hervorragend ist •. der
schaut sich sehr genau an, welche Künstler kom
men denn da? Und von Projekt zu Projekt ent
scheidet er, ob er dort als Lichtdesigner mitarbeitet oder ob er lieber Techniker bleibt, d. h. es
muß .auch ein Funke überspringen zwischen den
Künstlern bei solchen Projekten, die ja immer
Wagnisse sind, riskante Unternehmungen, weil
zunächst nichts zum Festhalten da ist. Das muß
stimmen zwischen den Künstlern.
Wenn Sie mich nach einem Beispiel
fragen, also jedes der jetzt aufgeführten Beispie
le hat eine andere Betreuung gebraucht. Ger
hard Bohner brauchte immer eine ganz konzen
trierte Situation, brauchte viel Zeit. Die Men
schen, die mit ihm arbeiteten, mußten ein hohes
Maß an Geduld mitbringen und mußten sich
·eigentlich sehr zurücknehmen. Gleichzeitig .hat
Bohner immer Partnerschaft gesucht bei den·
Mitarbeitern, und zwar bei allen Mitarbeitern -
bei dem, der ihm administrativ half, und auch
bei. dem, der ihni technisch half. Bei Heiner
Goebbels ist es eigentlich genauso. Natürlich
kommt ~r mit einer festen Idee, er dirigiert das
ganze Unternehmen, aber es geht nur im
Zusammenspiel mit dem Ensemble "Modern" und
im Zusammenspiel miteinander. Die Techniker
und Organisatoren müssen sich einfügen und müssen ihren Part dazu entwickeln. Manche
Dinge scheinen unmöglich umzusetzen zu sein, und d;Jnn bedarf es eines neuen Ansatzes: Viel
leicht können wir über einen ganz anderen Weg
die Sache doch realisieren.
Wir machen die Erfahrung, daß das
Publikum neugieriger, cleverer und schneller ist,
als man das erwartet. Die Zuscheuer nehmen die
extremsten Versuche gerne mit auf, sie begleiten
Prozesse gerne. Es ist nicht wahr, daß sie immer
Highlights haben wollen, und zur Premiere muß
der Vorhang hoch, und dann muß alles stimmen.
Viele haben darauf überhaupt gar keine Lust .
mehr. Im Gegenteil. Wenn wir Proben öffnen,
kommen Leute. Auf so einem kleinen Haus wie
dem Hebhel-Theater liegt eine große Last, weil
. es viele Experimente ausprobieren will und muß,
weil so viele Angebote da sind. Wir haben sicher
nicht die Kraft gehabt, mehr junges Publikum
reinzuführen in diese Prozesse, da auch viele
Projekte gar nicht in Berlin vor Ort entstehen,
. sondern bei den anderen Partnern. Wir tauschen ·
uns untereinander aus. Was Not tut: daß wir
Orte schaffen, in denen solche Experimente ent
wickelt werden können, und daß diese Orte auch
geöffnet werden. Keine Angst davor, den Pro
benprozeß zu öffnen. "Work in process" von der
Wooster-Group war dadurch wunderbar besucht.
Es ist schade, daß das nicht viel mehr praktiziert
wird. Und ich denke, das ist ein Ansatz, den wir
alle gemeinsam weiter betreiben müssen. Das
geht genauso gut in den offenen Strukturen wie
in den Staatstheatern. Wo bleiben die Studios
der Stadt- und Staatstheater, wo offene Proben
prozesse möglich sind? Die Labors fehlen.
DRAMATURG 1/2 99 I Seite 61
WAS MACHEN FRAUEN IM THEATER HEUTE?
Die Basler Debatte "Was machen Frauen im Theater heute?'' war eigentlich als ein
· Schlußpunkt gedacht: hinter die Arbeit der Arbeitsgemeinschaft .,Frauen im Theater" (Fin innerhalb der Dramaturgischen . Gesellschaft -
· was auch damit zusammenhängt daß die früheren FiT-Aktivistinnen beruflich jeweils eigene Wege . gegangen sind, · und daß das Buch "Frauen im europäischen
. Theater" als FiTResumee verstanden werden kann. Inzwischen haben
·sich aber einige Frauen gefunden, die in der Dresdener Mitgliederversammlung am Sonnabendnachmittag für die Wiederaufnahme der FiT -Arbeit plädieren werden.
E in R ü c k b I i c k und ein Katalog offener Fragen Basler Podiumsi:liskussion
Anne Schöfer: Ich darf Ihnen
zunächst das Podium vorstellen. Das sind Mieke
Kolk, Professorin am Institut für Theaterwissen
schaft in Amsterdam, Hildegard Kraus, langjähri
ges Leitungsmitglied des Theaterhauses in der
Gessnerallee in Zürich, Dagmar Walser, Kulturre
dakteurin der «Wochenzeitung" in Zürich und
Katrin Tiedemann, Kulturredakteurin des «Frei
tag" in Berlin.
Dieses Thema «Frauen im Theater" galt
schon einmal als fast abgeschlossen. Wir haben.
allerdings das Erscheinen eines Buches zum
Anlaß genommen, uns noch einmal mit der
Frage zu beschäftigen, die uns alle, wie wir hier
sitzen, schon 10, 15 Jahre bis zu 25 Jahre ver
folgt, begleitet. befruchtet hat- auch das. Aus
der Arbeitsgruppe nFrauen im Theater", die
innerhalb der Dramaturgischen Gesellschaft
gearbeitet hat, ist ein Buch entstanden, das
«Frauen im europäischen Theater heute" heißt
und das eine Bestandsaufnahme dessen ver
sucht, was Frauen in verschiedenen europäischen
Theaterländern tun und tun wollen. Lesen Sie es
. einfach. Es ist auch erschienen von der Theater
und Mediengesellschaft Lateinamerika ein Band
«Geschlechter- Performance - Pathos- Politik",
der das Wirken von Frauen im Theater Südame
rikas beschreibt. Und bald wird erscheinen ein
Buch von Mieke Kolk, das heißt «Wer würde ich
sein, wenn ich sein könnte?» Es ist eine Bestands
aufnahme von dem, was Frauen im niederländi
schen Theater taten und tun zwischen 1975 und
1998. Wir wollten einerseits heute zurückschau- ·
en auf das, was sich in den letzten Jahren getan
hat, aber wir wollen uns natürlich auch mit der
Gegenwart beschäftigen und einen Blick nach
vorne werfen. Hildegard Kraus: Das Theaterhaus in
der Gessneralle hat sich die freie Schweizer
Szene und speziell die Züricher einst erkämpft.
Wie ich 1989 dahingekommen bin, ist kenn
zeichnend. Es waren bereits drei Männer für die
DRAMATURG 1/2 99 I Seite 62
Leitung gefunden. Es sollte ein Leitungsteam
sein, streng nach basisdemokratischen Richt
linien, und jetzt fehlte mindestens noch eine
Frau. Und von vielen Frauen, die sich haben vor
führen lassen, konnte man sich auf keine eini
gen. Mir war ein anderes Schicksal beschienen:
Ich kam, sah und siegte, aber die Frauen davor
mußten doch hochnotpeinliche Befragungen
über sich ergehen lassen, was sie als Frauen
gedächten innerhalb der freien Szene als Drama
turg in zu leisten. Letztes Jahr habe ich die Lei
tung abgegeben und bin nicht dafür verant
wortlich, daß ihr keine Frau mehr angehört. weil
um die Nachfolgerin soll man sich selber nicht
kümmern, das bringt nur Ärger. Aber ich hätte
es gerne gemacht, in dem Fall.
Um zu beschreiben, was und wie
·meine Arbeit in den letzten zehn Jahren-war,
muß man vielleicht sagen, woher ich kam. Das
war eben das Stadttheater Heidelberg, und auch
da war ich nicht Opfer, sondern verdanke den
Aufstieg oder überhaupt die Tatsache, Drama
turgin zu sein, Männern, die den Zeichen der
Zeit gefolgt sind. Der Frauenaufbruch hatte
gerade stattgefunden in Theatern, also Rotraut
de Neve, Heidrun Vielhauer mit dem nLetzten
Schrein _und überhaupt noch so ein paar Frauen
produktionen. Der findige Wilfried Schulz, der
damals Dramaturg in Heidelberg war, meinte,
daß er nun als Mann dem Stückemarkt, den er
zusammen mit seinem Intendanten Peter Stol
zenberg begründet hat, nicht allein vorstehen
könne. Er wollte jemanden, der mit einem fri
schen, freien Blick von außen kommt. Dazu
schien ich ihm gee1gnet, weil ich von der Philo
sophie herkam und dann einen Frauenbuchladen
mitbegründet und geleitet hatte. Am Heidelber
ger Theater stieß ich zunächst auf erbitterten
Widerstand des Intendanten Peter Stolzenberg,
weil er keine Emanze wollte in seinem Laden.
Das hat sich dann geändert mit der Zeit. Und es
war Not an Frau, weil: der Stückemarkt des
nächsten Jahres hieß «Weibsstücke», da sollte
nur von Autorinnen und Regisseurinnen usw. die
Rede sein.
Der Anfang war nicht ganz einfach,
man muß sagen, Heidelberg war ein Stadtthea
ter mit relativ strenger Hierarchie. Wenn das so
klingt, ~ls hätte ich mich mit Peter Stolzenberg
nicht verstanden - dem ist nicht so. Ich bin in
Frieden gegangen, anders als viele andere vor
mir. Er hat gelernt. Ich war die erste Schau
spieldramaturgin, die es in dem Haus gab,
danach kamen immer wieder auch Frauen.
Dann der Wechsel von der Hierarchie
in Heidelberg hin zur freien Szene hier in der
Schweiz, hin zu basisdemokratischen Strukturen.
Letztlich mußte jede noch so kleine Produktion
in Besprechungen ausgesessen werden. Die Pro
duktionen wurden an uns herangetragen, inan
produziert nicht selbst. Das machteine große
. Freiheit aus einerseits, weil man nicht selber
produzieren muß, nicht an ein Ensemble gebunden ist. Andererseits kann es au.ch in dem
Augenblick, wo wenig Geld vorhanden ist, das
man de.n Gruppen zur Verfügung stellen kann,
dazu führen, daß man so eine Einkaufsmenta
lität ·entwickelt. nach Jahren zumindest, wenn
man glaubt, schon fast alles gesehen zu haben.
Dann vereinfacht es sich zu: Daumen hoch oder
runter, kaufen wir es, kaufen wir es nicht wie teuer ist es, kann man den Preis noch runter
drücken. Das ist der negative Aspekt dieser frei
en und offenen Strukturen. ·
Worauf ich noch getroffen bin, war
eine sehr intakte, offene und aktive Zürcher
Frauenszene. Damit hatte ich nicht gerechnet,
ich dachte, das Frauenstimmrecht in der Schweiz
ist ja nun sehr spät gekommen, alles andere
kommt mit einer ähnlichen Verzögerung. War .
aber überhaupt nicht der Fall,.auch in der Uni
nicht
Bei den Schweizer Männern gibt es
eine Mischung aus Unduldsamkeit und Empfind
lichkeit, die man wenig, wirklich wenig bei deut
schen Männern oder Österreichischen findet,
und dazu eine extreme Heimatverbundenheit,
die sich fast nie zeigt, weil die Schweiz ist ja so
eng, und man meint, man könne sich hier ja gar
nicht wohl fühlen letztlich. Aber man geht auch
nicht, sondern bleibt, und alles wird durchgeses
sen. Das hängt natürlich auch mit Streitkultur
zusammen, mit der fehlenden oder der anderen.
DRAMATURG 1{2 99 I Seite 63
Die andere ist eben, daß man ganz früh erken
nen muß, wie empfindlich die einzelnen Themen
sind und wie rasch sich jemand auf den Schlips
getreten fühlt, und daß ein Konflikt nicht ein
fach dazu da ist, um eine Lösung zu finden, son
dern um Verlierer zu produzieren. Doch jeder
Konflikt, derVerlierer produziert, ist nicht gelöst.
Das ist meine Haltung.
Zu der Pioniersituation kam noch, daß
dieses Haus oder überhaupt die freie Szene sich
den Luxus einer Dramaturg in oder eines Drama-
. turgen bis dahin nicht hatte leisten können,
über lange Zeit hinweg nicht. Und jetzt wird da
eine in das Leitungsteam gesetzt, die mit das
Sagen hat, mit einkauft oder einlädt- wollen
wir mal das schönere Wort nehmen. Plötzlich
war die Angst und das Mißtrauen sehr, sehr
groß, da kommt jetzt eine, die reinredet, die
vielleicht die großen und guten Ideen der freien
Szene versucht, theoretisch zu analysieren und
ihnen das eigentliche- das, was sie wirklich
spontan machen wollen - kaputt macht Und
das muß ich noch zur Organisationsform der
Geßnerallee sagen: Dieses Haus hat nicht nur
einfach ein Leitungsteam, sondern einenThea
terrat, der bestückt ist mit Menschen aus der
freien Szene und aus anderen Zusammenhängen,
auch zwei Sitze für Unabhängige gab es da. Das
waren zu meiner Zeit 14 Menschen, die darüber
befunden haben, ob die Programmrichtlinien gut
sind, und ob wir die einhalten. Sie haben den
Erfolg mitbilanziert, haben unsere Verträge aus
gehandelt und verlängert. ln diesem Theaterrat,
der einem Verwaltungsrat gleichkommt, er ist
fest in Statuten verwurzelt, ist ein Sitz, den eine
der FiT-Frauen hier in der Schweiz einnimmt,
d.h., es war ein großes Bedürfnis auch in der
freien Szene, die Anliegen der Frauen innerhalb
der Statuten mitzuverankern. Was, Gott sei
dank, nicht dazu geführt hat, daß ich als Drama
turg in darauf festgelegt war, mich nur um Frau
enbelange innerhalb des Theaters zu kümmern.
Das haben wir zu viert gemeinsam und, ich
denke, auch relativ gründlich gemacht. · Dagmar Walser: Du hast es selbst
schon erwähnt, du bist auf sehr fitte Frauen
getroffen. Was ja bei der FiT-Schweiz auffällt,
ist, daß sie im Gegensatz zur deutschen FiT von
Frauen aus der freien Szene gebildet wurde, und
zwar zwei Jahre nach der FiT-Deutschland. Ist
die freie Szene attraktiver für Frauen?
Hildegard Kraus: Ich muß die Frage
umdrehen und fragen: warum sind so wenige
Frauen aus den Stadttheatern in der FiT
Schweiz? Das hängt mit der großen Fluktuation
zusammen, denke ich, und daß die Frauen, die
an Stadttheatern arbeiten, doch relativ anders
und stärker eingebunden sind in ihren Arbeits
zusammenhang, morgens Probe, abends Spiel
vorbereitung, während die Frauenaus der freien
Szene ganz andere Produktionsverhältnisse
haben. Ich könnte jetzt nicht sagen, daß die FiT
Frauen aus dem freien Theater selbstbewußter
sind im Vergleich zu ihren Kolleginnen aus dem
Stadttheater, aber sie haben ein anderes·
Bewußtsein, weil sie natürlich überhaupt keinen
Apparat vorfinden, sondern selbst Produktions
leiterin sind, selbst ihr Management machen,
selbst ihre Ideen und Konzepte entwickeln, die
Festivals je nach dem selber organisieren, also ·
die kleineren, wo sie ihre Arbeiten zusammen
fassen. Frauen wie. Barbara Liebster, Desiree Mei
ser, Barbara Frey und Deborah Epstein hatten zu
kämpfen, mußten erst einmal Geld beschaffen,
um eine Produktion auf die Schiene zu bringen,
um Idee, Konzept, Spielstätten zu finden, Gagen
zu kriegen, sich selber bezahlen zu können, um
nicht die Grenze zur Selbstausbeutung zu über
schreiten. Die FiT-Schweiz, und das ist ein Unter
schied zu ·Deutschland, begriff sich auch als pro-
. duzierende Gruppe. Als ich '88 kam, hat d.ie
Gruppe von Claire Bretecher «Die Frustierten»
übersetzt auf Schwyzerdütsch, das war eine
ziemlich erfolgreiche Produktion, die hätte noch
lange weiterlaufen können.
Dagmar Walser: Eine Entw'icklung in
der freien Szene der Schweiz zumindest in den
letzten Jahren war ja, daß immer weniger Texte
interpretiert wurden, sondern immer mehr Pro
jekte entstanden. Kamen dadurch andere
Frauenfiguren auf die Bühnen?
Hildegard Kraus: Frauen haben einen
anderen Blick auf Figuren, ob das jetzt Frauen
oder Männerfiguren sind. Eine gute Arbeit
zeichnet sich doch letztlich dadurch aus, .daß
Anstrengungen unternommen werden, um mir
die Phantasie zu öffnen. Ich denke, es ist schon
ein Unterschied, ob Barbara Bilabel Elfriede Jeli-
. neks «Raststätte» inszeniert oder Frank Castorf.
Anne Schäfer: Steve Valk hat vorhin
formuliert, Kultur sei der Versuch, sich mit
menschlichem Dasein auseinanderzusetzen.
DRAMATURG 1/2 99 I Seite 64
Plötzlich sind wir wieder in einem Feld von
Dasein, Realität, ldentiM, und ich nehme das als
Überleitung zu dem, womit Mieke Kolk sich
beschäftigt. ln ihrer praktischen Arbeit hat sie
· fünf Jahre die erste feministische Theatergruppe
in Holland mitgeleitet, mitgeformt ln ihrer
theoretischen Arbeit hat sie versucht, Analyse
modelle zu entwickeln, um dominante und
nichtdominante Ästhetiken zu beschreiben. Sie
hat uns auch einen Weg gezeigt, wie man diese Modelle und dieses Vokabular, die sie entwickelt
hat, auch auf andere theatrale Erscheinungen anwenden kann. Mieke, inwiefern spielte und
spielt der Begriff der Identität in deiner prakti
schen und theoretischen Arbeit eine zentrale
Rolle? Mieke Kolk: Dieses Thema Identität
steht im Mittelpunkt meines neuen Buches und
auch des kulturellen und theoretischen Denkens,
aber es war mir noch nicht so klar, daß es auch
während der letzten 25 Jahre schon so war,
besonders bei Frauen. Als Gruppe «Persona» wur
den wir subventioniert. und zwar für vier Jahre.
Wir konnten ohne Männer arbeiten, dennoch
hatten wir natürlich männliche Schauspieler und
Techniker usw. usw. Wir waren nicht männer
feindlich, aber wir konnten eigentlich genau tun, was wir wollten. Wir hatten in Holland
zuerst eine soziale Welle im Frauentheater, das
war natürlich die Emanzipationsproblematik,
dann hatten wir eine essentielle Welle, als es darum ging, ob Frauen eigentlich. nicht viel bes
ser sind, weil sie biologisch soviel mehr können
als Männe.r. Dabei spielten die Thesen von
Helene Cixous eine wichtige Rolle. Sie sagte:
Frauen sollen ihre eigene Sexualität, ihre Libido
entdecken, das, was sie Verlangen, wie sie das
verlangen, das wurde dann eine Art-Leitfaden in
den BOer Jahren. Die Gründung von «Persona»
war allerdings mehr kulturell definiert. Wir woll
ten die Klassiker anders interpretieren. Wir woll
ten eigentlich die Frauenfiguren, die, wie Sie
wissen, immer Ehefrauen oder Töchter sind, und
die eigentlich in den großen Dramen eine kleine,
· schon wichtige, aber kleine Rolle spielen, die
wollten wir wieder aufführen und Raum geben
für die weibliche Stimme, die weibliche Erfah
rung, die weibliche Perspektive. Was wir ent
deckten, war eigentlich, wie gut diese klassi
schen Texte geschrieben sind. Ich meine, man
kann nicht nur im visuellen Bereich Kontrapunk-
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.
DRAMATURG 1/2 99 1 Seite 65
Frauen
te setzen oder die Frau vielschichtiger oder die
Männerein bißchen schäbiger darstellen. Die
Handlung ist so fix und fertig und wirklich ein
Motor des Stücks. Das hat uns dazu gebracht,
verschiedene Methoden zu entwickeln. Wir woll
ten wirklich diese- Texte dekonstruieren, eigent
lich ein bißchen kaputtmachen, so daß Möglich
keiten geschaffen werden, um mehr über Frauen
und Männer zu sagen. Es ging immer wieder
·darum, wie Frauen abgebildet werden. Und das
war für uns besonders wichtig, weil natürlich
diese Archetypen von Frauen überall noch her
umguckten und standen und natürlich auch in
Reklamen und in Filmen überall anwesend
waren, und wir dachten,.wenn wir nicht mal
anfangen, da Fragen zu stellen und vielleicht
neue Frauenfiguren oder wenigstens ambivalen-
im europäischen Theater heute
Die Arbeitsgruppe «Frauen im Theater» hat durch die
Unterstützung der Dramaturgischen Gesellschaft und mit Hilfe
eines Stipendiums des Förderprogramms Frauenforschung vom
Senat Berlin die Anthologie «Frauen im europäischen Theater
heute» bei der Europäischen Verlagsanstalt Harnburg im November 1998 herausgegeben:
Autorinnen aus siebenundzwanzig Ländern berichten. Die
Beiträge folgen den Spuren der Theaterfrauen, der Schauspielerin
nen, Regisseurinnen und Autorinnen. Eine Bestandsaufnahme, wie
es sie bisher noch nicht gibt: ·aus der Innensicht Ein Logbuch und
Nachschlagewerk über Künstlerinnen in ganz Europa: in den skan
dinavischen Ländern, im Baltikum und in Osteuropa, auf Zypern
und in der Türkei, in Griechenland, Spanien, Bulgarien und lsland;
ein Buch über Frauen wie die deutsche Regisseurin Andrea Breth
oder die Österreichische Autorin Elfriede Jelinek und die Schweizer
Performancekünstlerin Pipilotti Rist, die längst die nationalen Gren
zen überwunden haben, und über so weltberühmte Theaterfrauen
wie Ljudmila Rasumowskaja aus Rußland, Dacia Maraini aus Italien
oder Ariane Mnouchkine aus Frankreich.
Das Buch kann zu einem Freundschaftspreis von 25. DM
bei der Dramaturgischen Gesellschaft, Tempelherrenstr. 4, 10961
Berlin, Tel: 030 6932654, Fax: 030 693 2482 bestellt werden.
DRAMATURG 1/2 99 I Seite 66
tere Frauenfiguren zu zeigen, dann bleibt es
immer so. So haben wir Shakespeare gemacht,
und wir haben zweimal «Die Möwen von Tsche
chow gespielt. Das eine Mal war, wie wir. sagten,
«eingelebt», das war noch .in der Tradition Sta
nislawskys. Das war eine sehr erfolgreiche Vor
stellung. Wir wurden auch eingeladen zum nie
derländischen Theatertreffen, aber worum es uns
ging, war zu zeigen, wie Tschechow in dieser
tragischen Stimmung all diese elenden Lebensgeschichten gegeneinander ausschreibt. Er- ist ·
nicht frauenfeindlich oder männerfreundlich,
aber eigentlich wollten wir zwei Aufführungen
nebeneinanderstellen, und die zweite· nannten
wir unsere Dekonstruktion. Wir hatten die
Tschechow-Figuren, ihre Geschichten auf ein . Video-Tape erzählen lassen und darum herum
fanden auf der Bühne eine ganze Menge ande
rer Sachen statt. Das war also eine Art von Doppelprojekt, das war auch das letzte Jahr von
I<Personan.
Inzwischen war ich an die Uni zurück
gegangen. Ich war 15 Jahre weg gewesen und
brachte alle diese Fragen mit: über narrative
Strukturen, darüber, wie so eine Geschichte sich
organisiert, wie eigentlich Identität im Text und
in der Inszenierung viel zu oft eins zu eins
gedacht und geformt wird, und daß das Theater,
besonders das Theater, viel mehr Möglichkeiten
hat. Ich kam von der Narrativität über den
Strukturalismus in den Poststrukturalismus, und
da fand ich eine gute Theorie, um über Identität nachzudenken. Identität ist im Poststrukturalis
mus und auch in der postmodernen Philosophie
natürlich eine pluriforme Sache. Ich bin nicht
ich, ich bin, das sagt der Poststrukturalismus,
.geformt worden dadurch, wie alt ich bin, ob ich
eine Frau oder ein Mann bin, woher ich komme,
durch meinen ethnischen Hintergrund, meinen
Geburtsort. All das bestimmt das, was ich bin.
Diese Pluriformität regt dann auch an, all diese
verschiedenen Bedingungen des «Ichs», auch im
Theater, zu überdenken. Das habe ich gemacht
in einem Buch (Mieke Kolk: Spreken om net
leven, Vrouwlijke Subjectiviteit in het postmo
derne theater, Amsterdam 1995), das über zwei
Texte von weiblichen Autoren geht, über einen
Text von Helene Cixous, die den «Ödipus» neu
geschrieben hat, und über einen Text von Elfrie
de Jelinek «Ciara S.». Dann über eine Inszenie
rung von Ruth Berg haus, Bergs «Lulw>, sowie
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DRAMATURG 1/2 99 1 Seite 67
eine Performance von Lisa Marcus und Barbara
Duyfries. Dabei ging es eigentlich immer wieder
um.die Strukturen, darum, wie die Frauen sie
aufgebrochen haben und warum sie das
gemacht haben. Das war das Leitmotiv für
meine theoretische Arbeit.
Dann wurde ich eingeladen, um acht
Schauspielerinnen zuzusehen. Die Leitung fragte
mich, willst du das nicht ·mal ansehen, denn wir
. haben ein Problem. Das Publikum findet, es ist
kein Theater, es findet sich nicht zurecht. Was
sah ich? Diese Frauen waren provozierend, ohne Scham; sie zeigten ihren Körper, sie arbeiteten
mit ihrem Körper als Material. Sie erzählten über
sich selbst und. sie sagten, wie sie sind, und sie
zeigten das überhaupt nicht in einer Art von
erklärendem Diskurs. Sie boten sich an, sie boten
· ihre Erfahrung an. Und sie boten ihre Erfahrung
so an.- daß wir als Publikum das miterleben soll
ten. Das ist auch meine Kritik an der Debatte
über Realität, die hier geführt wird. Ob die Rea
_lität ins Theater gebracht werden soll oder ob
die Realität reproduziert werden soll im Theater
- das ist, finde ich, die falsche Frage. Denn es
geht eigentlich um Erfahrungen von Realität für das Publikum. Die Mittel dazu -ob artifizielle ·
oder «realistische»- das ist unwichtig. Es geht
darum, daß Raum geschaffen wird für die Erfah
rungen, die von der Bühne aus auf das Publikum
wirken. Gegen all diese Massenkulturen eine
Möglichkeit schaffen, wieder etwas von sich
selbst zu erfahren, etwas zu sehen, was eigent
lich nicht gesehen werden kann, was einer Kul
tur nicht zusteht, daß es gesehen wird ~ und
daß eine Art von - wie Lyotard sagt- «Sensibi
lität auf neue Entwicklungen» möglich wird, daß
wir wieder etwas fühlen, daß wir wieder mehr
zu uns kommen.
Anne Schäfer: Heißt es dann, daß die
Unterscheidungskategorie «Geschlecht>> damit
obsolet geworden ist?
Mieke Kolk: Nein, ich bin entschieden
dafür festzuhalten, daß Frauen andere Erfahrun-•
gen machen als Männer, denn sie sind auch
anders determiniert worden. Heute arbeiten
junge Männer und Frauen im Theater für eine
gemeinsame Produktion zusammen; aber sie sind
davon überzeugt, daß jeder seine eigene Ideolo
gie hat, seine eigene ideologische Determina
tion, das akzeptieren sie voneinander. Im gewisc
sen Sinne habe ich die Idee, daß wir so neben-
DRAMATURG 1/2 99 I Seite 68
einander arbeiten und zugleich zusammen, um
das Fremde und das Andere anzugucken und
auch den Blick auf das Andere zu akzeptieren.
Dagmar Walser: Wenn man sich -
zumindest die deutschsprachigen - Spielpläne
anschaut, sehen Wir doch Autorinnen und Regis
seurinnen immer noch in der Minderheit. Heißt
das denn, daß das alles nur noch eine Frage von
ein paar Jahren ist? Und daß wir gar keine For
derungen mehr zu stellen haben?
Mieke Kolk:· Aber natürlich muß man
die stellen! Ich meine, ich sprecheüber die Ent
wicklung .von Frauen im Theater, die iCh selbst
mitgemacht habe. Ein sehr wichtiger Weg. Und
dann kommen Momente, in denen einiges nicht
mehr. so wichtig ist, um es zu diskutieren.
Hildegard Kraus: Könnte es nicht
sein, daß die Frage der Geschlechterdifferenzen
doch obsolet geworden ist, und zwar insofern,
daß es für die jungen Frauen nicht mehr um
eine Gemeinsamkeit geht, also auf Biegen und
Brechen einen gemeinsamen Frauen-Weg zu
suchen und zu finden, sondern daß sie irgendwie
akzeptiert haben, daß Männerund Frauen nicht
zusammenpassen. Punkt. Und jetzt geht es um
ein respektvolles Nebeneinander auch in der
Arbeit. Daß das vielleicht das ist, was auf uns so
befreiend wirkt?
Mieke Kolk: Ja. Eigentlich sind diese
jüngeren Männer ziemlich - wie könnte man das
sagen - feminisiert. Die interessieren sich wirk-
. lieh für diese anderen Beschreibungen von Iden
tität. Ich kann das nicht beweisen, aber dadurch,
daß für die Arbeit von Frauen in Holland Geld
und Ideen da waren, hatte das auch Einfluß auf
das ganze männliche Theater.· Diese Art vonVer
letzbarkeit und das auch-nicht-mehr-wissen und
über-sich-sfrbst-reden, das tun die Männer,
auch die jungen Männer, noch nicht sehr viel. Aber sie.tun es.
Anne Schäfer: Ja, aber da kann man
ja ganz frohgemutauf.den Faktor Zeit setzen.
Ich möchte noch mal zwei Sachen versuchen in
den Blick zu nehmen. Zum einen das interessan
te Phänomen, wie eine bestimmte Art von Team
work, ich benutze auch gerne den Begriff der
Bandenbildung, die die Arbeitsteilung auf eine
andere Weise und produktiv versteht, daß die
jetzt zunehmend implantiert wird in die instituc
tionalisierten Theater. Zum anderen - was hier
auch wieder hörbar wird- wird es immer selbst-
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verständlicher, mit bestimmten Gattungstren
nungen sich nicht mehr auseinanderzusetzen,
daß es eine größere Unbefangenheit auch im
Einsatz der Mittel gibt. Katrin Tiedemann hat das
im vorigen «dramaturgu am Beispiel von Helena
Waldmann beschrieben. Inwiefern stehen die
· Körper bei Helena Waldmann noch in einer
Beziehung zum Geschlecht? Spielt es eine Rolle,
welches Geschlecht diese Körper haben?
Katrin Tiedemann: Das spielt auf
jeden Fall eine Rolle, aber nicht in diesen tradi
tionellen frauenbewegten Zusammenhängen : ..
Es ist nicht Thema, der Fokus wird nicht darauf
gelenkt, aber es spielt ständig eine Rolle in der
Kommunikation. Es geht um Verführung auch,
aber sehr über den Blick, also es ist nicht unbe
dingt Sexualität, es ist eher auf einer sinnlichen
Ebene, es ist Bestandteil davon, aber nicht das
Thema.
Mieke Kolk: Soll ich noch ein kleines
Beispiel geben von meinen Performance-Erfah
rungen? Da war eine Tänzerin, die hat sich am
Anfang der Vorstellung nackt ausgezogen. Sie
war unschön - und ich war erschrocken. Sie ist
gerade geboren worden und muß versuchen zu
laufen oder zu stehen. Und das hat so lange
·gedauert und sie hat so gekämpft, daß plötzlich
meine Phantasie in diese Geburtsgeschichte
geraten ist. Wie lernt man laufen? Wieviel Mühe
kostet es, einen Körper sich koordinieren zu las
sen! Im folgenden Teil fing sie an, sich im Raum
mehr oder weniger zu bewegen. Und das Ende -
aber das ist mein Blick, das war nicht gemeint
kam sie in einem Kostüm, und sie sah aus wie
ein kleines Hühnchen, mit Federehen und so,
und sie hatte hohe Schuhe an, und dann plötz
lich bin ich ungeheuer traurig geworden, denn
nun habe ich gedacht: Mein Gott. wieviel kostet
es, um Frau zu werden und die Koordinaten
zusammenzukriegen I Und das hat auch mit Dauer zu tun, mit Geduld. Also: Sie zeigt eigent
lich nichts, aber wir fangen an, mit ihr zu leben,
und dann kommt auch wieder diese eigene
Erfahrung hereingeschlichen und fängt an zu
interpretieren.
Henning Fülle: Ich habe den Eindruck
-sowohl was das Blicken, das Schauen auf den
Körper angeht, als auch das Zeigen des Körpers
daß sich da also die Kontroverse ein Stück weit
eingeebnet hat. Anna Huber arbeitet beispiels
weise ganz massiv mit dem Tänzerinnenkörper
DRAMATURG 1/2 99 I Seite 70
und der Ausstellung ihres Körpers, dem Zeigen
ihres Körpers und auch mit der Art und Weise,
mit dem trainierten Körper umzugehen und sich
selber zu zeigen. Auf der anderen Seite Cese
Gelabert, der in einer ähnlich radikalen Weise
das materielle Substrat dessen, was als Tanz auf
der Bühne stattfindet, in das Zentrum seiner
Recherche gestellt hat, oder, um nach England
zu gehen, DV 8 beispielsweise, die mit Männer
körpern sich sehr radikal auseinandersetzen. Ich
habe das Gefühl, daß das Interesse am Körper
inzwischen dominant geworden ist. Katrin Tiedemann: Ja, das ist sozusa
gen keine Domäne der Frauen mehr. Auch in der
Werbung werden Männerkörper inzwischen so
eingesetzt wie früher eigentlich nur Frauenkör
per. Und Männer produzieren bisher speziell
Frauen zugeschriebene Krankheiten, es gibt jetzt
auch magersüchtige Jungen. Es ist offensichtlich
tatsächlich eine gesellschaftliche Entwicklung,
die dahinter steckt.
Ich glaube, daß es ein Bedürfnis gibt,
sich mit technologischen Entwicklungen zu
beschäftigen. Davon sind auch die Körper
betroffen, weibliche und männliche, und dabei
könnte man versuchen, wieder eine Geschlechts
spezifik ins Spiel zu bringen. Daß der Körper in
der Arbeit nicht mehr gebraucht wird, istz.B. ein
allgemeihes kulturelles Phänomen, dann die Ent
wicklung der digitalen Medien, wie Körperbilder
produziert werden in diesen Medien, das sind für
mich erstmal Dinge, die betreffen alle, Männer
und Frauen. Oder daß unsere Erfahrungen immer
weniger direkt an den Körperangebunden sind.
Wenn das so sein sollte, wenn man dem
zustimmt, kann man das zum Thema künstleri
scher Arbeit machen. Aber ich würde nicht
sagen, daß das speziell ein Resultat der Arbeit
von Regisseurinnen oder Schauspielerinnen ist.
.Anne Schöfer: Noch ein paar Worte
zum Schluß: Die Möglichkeit, über Frauen und
Theater in ästhetischen Kategorien zu sprechen
-fast möchte ich sagen: endlich - ist für mich
eine Errungenschaft. Nicht zuletzt verdanken wir
sie den Einsätzen und Kämpfen von «Mütternu
und «grossen Schwesternu. Die sozialen und poli
tischen Fragen nach Gleichbehandlung und
gleichberechtigtem Zugang zu den Ressourcen
haben sich aber noch lange nicht erledigt. Wir
sollten weiterhin das eine tun, ohne das andere
zu lassen.
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So. 21.11. Schauspielhaus 19.30 lessing «Emilia Galotti» Staatsoper 16 Uhr Wagner «Parsifal» Limdesbühnen Radeheul 14.30 Weiss «Marat/Sade»
INHALT DIESES HEFTES
IMPRESSUM
Dramaturgische Gesellschaft (DG) Geschäftsstelle: Tempelherrenstraße 4 10961 Berlin Telefon: 030-693 24 82
Telefax: · 030-693 26 54 Geschäftsführung: Henning Rischbieter
Vorstand: Manfred Beilharz (Vorsitzender) Anne Schäfer (stellver~ tretende Vorsitzende) Wolf Bunge Horst Busch Peter Spuhler Manfred Weber
Redaktion: Henning Rischbieter
Grafische Gestaltung: · Marion Meyer, Büro für Gestaltung, Berlin
ISSN Nr. 1432-3966
VORAUSBLICK AUF DRESDEN
PROGRAMM DER DRESDNER TAGUNG Seite 1
EDITORIAL ZUR TAGUNG UND ZU DIESEM HEFf Seite 2
THEATERSTADT DRESDEN von Dieter Görne Seite 3
SCHILLERS «WALLENSTEIN" HEUTE - ODER DER DREISSIGJÄHRIGE UND UNSER KRIEG von Heike Müller-Merten Seite 6
RAINALD GOETZ «KRIEG" -EIN STÜCK DER ACHTZIGER JAHRE? von Frederik Zeugke Seite 10
ERFINDEN KANN MAN NUR DIE EIGENE WIRKLICHKEIT Bedingungen und Aspekte der Arbeit mit Theaterspielclubs von Martin Frank Seite 12
ZU DEN WORKSHOPS MIT AUTOREN 1. Das Drama aus Dingsda -John von Düffel «Rinderwahnsinn" Seite 18
2. Uwe Gössel «Kutteln. Gericht in vier Gängenn
Seite 20
3. Tom Etchells "Quizoolah> Seite 22
Forum junge Dramaturgie · Seite 23
·4. Dirk Dobbrow «Legoland" Seite 24
ES IST ZEIT Beobachtungen und Forderungen zum neuen Theater von Henning Fülle Seite 26 ·
«FRUCHTBAR IST NUR DAS UNBEKANNTE" Überlegungen zum neuen Musiktheater von Gerhard R. Koch Seite 30
SPARTE ADE!
Der Tanz lebt, aber nur autonom
von Eva7 Eiisabeth Fischer
Seite 39
DRAMATURG 1/2 99 I Seite 72
RÜCKBLICK AUF BASEl
HERAUSFORDERUNGEN ZU GRENZÜBER
SCHREITUNGEN Se.ite 41
REIBUNG AN DER REALITÄT
über vier Produktionen des Zürcher
Theaters Neumarkt von Volker Hesse
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ENTSCHEIDEND IST DIE AUTHENTIZITÄT DER MENSCHLICHEN GEFÜHLE
über die Produktionsweise bei «Mad"
und «Giad" von Jeremy Weller
Seite 48
DAS KUNSTWERK IM ZEITALTER SEINER BAUFÄLLIGKEIT
von Gisela von Vlfysocki
Seite 52
EIN.E DENKMASCHINE
über die Arbeit des Marstalls München
von Elisabeth Schweeger
Seite 56
THEATER AUS DEM LEBEN GENERIEREN über die englische Gruppe
Forced Entertainment
von Marie Zimmermann
Seite 57
«BEGATTUNG DER GATTUNGEN" -was ist das. wie organisiert
man das?
von Maria Magdalena Schwaegermann Seite 59
WAS MACHEN FRAUEN IM THEATER HEUTE?
Ein Rückblick und ein Katalog offener Fragen
Basler Podiumsdiskussion
Seite 62
HOTELS IN DRESDEN
Seite 71
DER DRESDNER SPIELPLAN
Seite 71
Dramaturg1sche Gesellschaft
Arbeitsweisen
Die Zielsetzung der Dramaturgischen Gesellschaft soll erreicht werden u. a. durch: - die Förderung des Erfahrungsaustausches und des Zusammenwirkens der Mitglieder und anderer Interessierter : - durch die Veranstaltung von Jahrestagungen, die abwechselnd in verschiedenen Theaterstädten Deutschlands, Österreichs und der Schweiz stattfinden, -durch die Veranstaltung von Dramaturgischen Tagen, die jew~ils unter einem bestimmten Thema stehen,
Zielsetzungen
Die Dramaturgische Gesellschaft {dg) ist ein Zusammenschluß der im Bereich der Darstellenden Künste und ihrer Medien Theater, Film, Fernsehen, Hörfunk, Neue Medien u. a. Tätigen und Interessierten. Ihr Ziel ist die Diskussion und Formulierung künstlerischer und gesellschaftspolitischer Vorstellungen und die Wahrung und Durchsetzung berUflicher Interessen. Sie versucht, möglichst viele der in diesem Bereich arbeitenden und interessierten Personen und Gruppen zu sammeln, ihren Austausch untereinander zu fördern und ihre Arbeit zu dokumentieren.
- durch Diskussions- und Vortragsveranstaltungen zu grundsätzlichen und aktuellen Problemen, - durch die Herausgabe der Zeitschrift nDramaturg" {Nachrichtenbrief der dg) und durch die Herausgabe der Schriftenreihe der Dramaturgischen Gesellschaft; -sowie durch: die Bildung von Arbeitsgruppen, in denen Mitglieder ~nd andere Interessiertedramaturgische Teilbereiche bearbeiten; -die Veröffentlichung von Stellungnahmen zu kulturpolitischen und dramaturgischen Entwicklungen;
Die Dramaturgische Gesellschaft versteht-'Dramaturgie im weitesten Sinne des WOrt~s als Vermitt.lung zwischen Darstellender Kunst und ihren Produktionsformen, der dramatischen Literatur, Theater- und Medientheorie, Publikum und Öffentlichkeit.
Die Darstellenden Künste und ihre Medien unterliegen einem Veränderungsprozeß. Neue technologisch bedingte Informations- und Kommunikationssysteme etablieren sich und treten in Konkurrenz zu den bisherigen. Die ökonomischen und kulturpolitischen Bedingungen für die Darstellenden Künste ver-
- die Vermittlung von Auskünften zu ~ramaturgischen Problemstellungen, Vermittlung von geeigneten Personen für Vorträge etc., Beratung; -die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen un·d Verbänden.
Arbeitsgruppen
Zu einzelnen Fragen und Problemfeldern können von_ den Mitgliedern Arbeitsgruppen gebildet werden, die sowohl ad hoc als auch langfristig Themen erarbeiten und öffentlich wirksam machen.
schärfen sich. Zugleich fordern neue, teilweise alternative Formen der Theater-, Film-, Videoproduktion die Künste und ihre bestehenden Institutionen heraus. ln der kulturpolitischen Diskussion stehen jedoch dramaturgische, ästhetischkonzeptionelle und künstlerischgesellschaftspolitische Aspekte bislang noch allzu oft im Hintergrund und werden von technischen und parteipolitischen Interessen überdeckt. Die D~amaturgische Gesellschaft will diese Aspekte stärker.ins öffentliche Bewußtsein rücken.
Seit 1983 arbeitet die Initiative ,Frauen im Theater' {Fm, in der sich Frauen, die im Theater arbeiten, Theaterwissenschaftlerinn~n und weitere lnter~ssierte zusammengeschlossen haben. Über das .. ForUm junge Dramaturgie" findet sich eine Information in diesem Heft.
en
Dramaturgische Gesellschaf
Antrag auf Mitgliedschaft
. Ich möchte der Dramaturgischen Gesellschaft. beitreten. ·
Name, Vorname
Anschrift
Telefon/Telefax
Gebu rtsdatum/Beruf
Bitte in Druckschrift ausfüllen .
Einzugsermächtigung
Ich ermächtige die Dramaturgische Gesellschaft widerruflich, den von mir zu entrichtenden Jahresbeitrag in Höhe von bei Fälligkeit zu lasten meines Kontos einzuziehen. Weist mein Konto die erforderliche Deckung nicht auf, besteht seitens des kontoführenden Instituts keine Verpflichtung zur Einlösung.
Geldinstitut/Ort
Bankleitzahl
Ort, Datum
Unterschrift. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... . . . . ······· ......... . Dramaturgische Gesellschaft
Vorstand (seit November 1998}:
Dr. Manfred Beilharz, Bann (Vorsitzender} Anne Schäfer, Leipzig {stellv. Vorsitzende} Wolf Bunge, Magdeburg Horst Busch, Münster
Peter Spuhler, Rosteck Manfred Weber, Frankfurt/Oder
Geschäftsführung:
Henning Rischbieter
Geschäftsstelle: Dramaturgische Gesellschaft
Tempel~errenstraße 4, D- 10961 Berlin Telefon 030. 693 24 82 Telefax 030. 693 26 54 E.,.mail: dramges@berlin.snafu.de Postbank Berlin BlZ 100 100 10 Kto Nr. 7769 100
Mitglieder
Die Dramaturgische Gesellschaft ging 1956 aus dem 1953 entstan
denen Dramaturgischen Arbeitskreis hervor. Von der Gründung a·n vesteht sie sich als eine Gesellschaft, die keine parteipolitischen
und gewerblichen Ziele verfolgt. Waren in ihr zunächst nur die
auf dem Gebiet der Dramaturgie tätigen Personen vereinigt, so versteht sich die Gesellschaft seit ihrer Satzungsänderung im
Jahr 1972 als eine Vereinigung von Praktikern und Theoretikern und versucht verstärkt, nicht nur diejenigen anzusprechen, die aus beruflicher Tätigkeit, sondern auch die, die aus persönlichen
Mitgliedsbeitrag
Der Jahresbeitrag beträgt seit
dem 16.11.1993:
Alte Bundesländer
persönliche Mitglieder DM 120,
(ermäßigt 42,-)
korporative Mitglieder DM 415,-
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persönliche Mitglieder DM 72,
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korporative Mitglieder DM 249,-
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Friedrich Schultze, 1975
Steuerreform und Theaterfinanzierung, 1976
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Gesellschaft, 1978 Theater·von heute - Räume
von gestern, 1979
r: Sprache und Sprechen, 1979
D, Ist das Theater noch zu retten?- Politische Wende=
Theaterwende?, 1984
Unlust an Erstarrung - Lust auf Veränderung (Schauspiel -Musiktheater), 1985
i Brauchen Fernsehspiel u~d Hörspiel eine neue Dramaturgie?, 1986
Deutsche Dramaturgie -als Beispiel?, 1986
:: Heiner Müller I Unterhaltung im Theater, 1987
0J Tanztheater I Mordsweiber I Kaltes, 1990
r01 Sturz vom Sockel? Künstlerische Arbeit in den
Medien der DDR, 1991 Theaterarbeit Ost/West, ·1994
E Dramaturgie heute, 1996/97 ~;s Herausforderungen zu
Gren~überschreitungen, 1998
EinzelveröffentliChungen
iJ DMB,-Ci Theater in. Berlin nach 1945,
1984 Frauen im Theater (FiT): Dokumentation 1984
Frauen im Theater (FiT):
Dokumentation 1985
''' Frauen im Theater (FiT): Dokumentation 1986/87
Nachrichtenblatt
''' DRAMATURG lieferbar ab 1985 Einzelheft iJ DM 5,Doppelheft iJ DM 10,-
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