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Post on 05-Feb-2018
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Aktiv gegen Depressionen Dr. Anja Grocholewski, Dipl.-Psych., PP
Psychotherapieambulanz der TU Braunschweig
Humboldtstr. 33, 38106 Braunschweig
Tel.: 0531/391-2801 (-2865); e-mail: anja.grocholewski@tu-braunschweig.de
„Stimmen aus dem Internet“ •Mal ist es ein Fußballspieler und mal ein Schauspieler, die in das
Rampenlicht rücken, weil sie ihr Leben beendet haben. Wieder und wieder
hört man es im Radio, dem Fernsehen oder liest es in den Zeitungen: "Er litt
an Depressionen„.
•Krankheiten die nicht so sichtbar sind, wie ein amputiertes Bein oder ein
Loch im Kopf stehen immer etwas höher im Kurs bei Simulanten und natürlich
auch bei denen, die mit entsprechender Behandlung ihr Geld machen.
•Ich frage mich nur ob "Depressionen" eine Diagnose ist, die heutzutage sehr
schnell, vielleicht manchmal sogar zu schnell gestellt wird. Nach dem Motto
„Ach dem geht es nicht so gut, der hat oft schlechte Laune, der hat wohl
Depressionen". Dann hat das Kind wenigstens einen Namen und man braucht
nicht mehr groß zu suchen und sich Gedanken zu machen.
•Also, wie viel Schmerz muss der Mensch heute haben, um im Volksmund
schon als depressiv verklärt zu werden, wie sehr müssen darunter die
"wirklich" Depressiven leiden, deren Krankheit in der Folge verharmlost wird,
und wie cool ist es vielleicht mittlerweile, depressiv zu sein bzw. mal eine
depressive Zeit hinter sich gehabt zu haben?
Offene Fragen
•Alles Übertreibungen der Medien? Oder wächst die Zahl der
Betroffenen wirklich an?
•Ist die Depression eine Domäne der Simulanten und
Beutelschneider?
•Ist es „in“, an Depressionen zu leiden oder gelitten zu
haben?
Was genau ist denn überhaupt eine Depression im
klinisch relevanten Sinn?
•Traurigkeit und Befindlichkeitsschwankungen
Was ist Traurigkeit?
•Traurigkeit ist ein normales Gefühl.
•Wie Zorn, Freude oder Angst gehört Traurigkeit zu den
Grundemotionen des Menschen.
•Traurigkeit ist biologisch (körperlich) fest in uns angelegt und
kommt bei jedem Menschen vor.
•Gefühle von Traurigkeit sind in der Regel vorübergehend.
•Gefühle von Traurigkeit schwanken abhängig davon, was wir
gerade tun.
•für Traurigkeit haben wir fast immer eine Erklärung.
•Traurigkeit lässt sich oft durch positive, angenehme
Tätigkeiten und Ereignisse unterbrechen.
Befindensschwankungen sind keine
Krankheit
Keine gesunde Person fühlt sich fortlaufend nur gut oder schlecht.
•Wann spricht man von einer klinisch relevanten
Depression?
Ein typisches Beispiel
Am 02. Juli 1961 erschoss sich Ernest Hemingway in seinem Haus mit einer zweiläufigen Schrotflinte. Zwei Elektrokrampftherapien hatten seine Stimmung nicht bessern können. Fünf Jahre nach seinem Tod beging seine Schwester Ursula Suizid, die wegen ihres Krebsleidens unter starken Depressionen litt. Im Jahr 1928 hatte sich der Vater, Clarence Hemingway, im Verlauf einer Depression erschossen. Auf den Tag genau 35 Jahre nach diesem Suizid wird die Enkelin in einem Strandhaus in Santa Monica nach dem Genuss von Alkohol und Drogen tot aufgefunden.
Symptomatik einer Depression 1
Körperhaltung:
• kraftlos, gebeugt, spannungsleer;
• Verlangsamung der Bewegungen;
• Agitiertheit, nervöse zappelige Unruhe, Händereiben o.ä.
Gesichtsausdruck:
• traurig, weinerlich, besorgt;
• herabgezogene Mundwinkel, vertiefte Falten, maskenhaft erstarrte, manchmal
auch nervöse, wechselnd angespannte Mimik.
Sprache:
• leise, monoton, langsam.
Symptomatik einer Depression 2
Emotional: • Gefühle von Niedergeschlagenheit, Hilflosigkeit, Trauer, Hoffungslosigkeit,
Verlust, Verlassenheit, Einsamkeit, Schuld, Feindseligkeit, Angst und Sorgen,
Gefühl der Gefühllosigkeit und Distanz zur Umwelt.
Kognitiv: • Einfallsarmut, langsames mühseliges Denken, Konzentrationsprobleme,
zirkuläres Grübeln, rigides Anspruchsniveau, permanente Selbstkritik,
Selbstunsicherheit.
Aktivierung: • Allgemeine Aktivierungsminderung bis zum Stupor, wenig Abwechslung,
eingeschränkter Bewegungsradius, Probleme bei der praktischen Bewältigung
alltäglicher Anforderungen.
Symptomatik einer Depression 3
imaginativ:
• negative Einstellung gegenüber sich selbst (als Person, den eigenen Fähigkeiten
und dem eigenen Erscheinungsbild) und der Zukunft (z.B. imaginierte
Vorstellung von Sackgasse, schwarzem Loch),
• Pessimismus, Hypochondrie, Erwartung von Strafen oder Katastrophen,
Wahnvorstellungen (z.B. Versündigungs-, Insuffizienz- und
Verarmungsvorstellungen),
• nihilistische Ideen der Ausweglosigkeit und Zwecklosigkeit des eigenen Lebens,
Suizidideen.
motivational:
• Misserfolgsorientierung, Rückzugs- bzw. Vermeidungshaltung.
• Flucht und Vermeidung von Verantwortung, Erleben von Nicht-Kontrolle und
Hilflosigkeit, Interessenverlust, Antriebslosigkeit, Gefühl des Überfordertseins,
Rückzug bis zum Suizid oder Zunahme der Abhängigkeit von anderen.
Psychosomatische Symptome
einer Depression
Häufigkeit typischer Depressionssymptome
6% akustische Halluzinationen
15% Selbstmordversuche
33% Wahnideen
35% Gedächtnisstörungen
51% Hoffnungslosigkeit
64% Tagesschwankungen
66% Appetitmangel
76% psychomotorische Verlangsamung
76% Reizbarkeit
76% Müdigkeit
82% Suizidgedanken
91% schlechte Konzentration
94% Weinerlichkeit
100% traurige Verstimmung
100% Schlaflosigkeit
•Epidemiologie depressiver Störungen
Prozentuale Häufigkeiten der Depression
Häufigkeit Depressive Episode
Punktprävalenz
3-7%
6-Monats-Prävalenz
3-10%
Lebenszeitrisiko
15-18%
Epidemiologie Depressive Episode
•Ersterkrankungsalter um 30 Jahre, verlagert sich vor!
•Frauen (26%) erkranken doppelt so häufig wie Männer
(12%).
•Symptome entwickeln sich über einige Tage bis Wochen.
•Eine unbehandelte Episode dauert unabhängig vom
Ersterkrankungsalter ca. 5 Monate.
•In 5-10% der Fälle kann eine Depression auch über mehr
als 2 Jahre bestehen (“chronisch”).
•Häufigkeit schwerer Episoden bleibt konstant.
•Häufigkeit leichterer Episoden nimmt zu!
Verlauf, Prognose und Komorbidität
Depressive Störung
Median Phasendauer 5 Monate
Zykluslänge 4,5 Jahre
> 5 Jahre Remission 40%
>2 Jahre Dauer
(„Chronifizierung“)
10-20%
Komorbidität mit Angststörungen 18-21%
Komorbidität mit
Abhängigkeitserkrankungen
14-20%
•Wie diagnostiziert man eine depressive Störung?
Psychologische Diagnostik
Selbstbeurteilung
z. B. BDI (Beck-Depressions-Inventar)
Interviews
z.B. Strukturiertes Klinisches Interview (SKID I / SKID II)
für Psychische Störungen
Fremdbeurteilung
z.B. HAMD (Hamilton Depression Scale)
Wichtig: Die Maße müssen bestimmten Gütekriterien wie
Validität, Reliabilität, Objektivität genügen!
Weitere Diagnostik
• Klinische Beobachtung (z.B. Körperhaltung, Stimme
usw.).
• Berichte von Angehörigen.
• Berichte von anderen Behandlern (Schweigepflicht
beachten!), z.B. Psychiater, Pflegepersonal.
• Anamnese
•Wie bekommt man eine depressive Störung?
Organische und pharmakologische Ursachen
• Genetische Veranlagung
• zerebrale vaskuläre Erkrankung/ beginnende Demenz
• Hirntumor / traumatische Hirnschädigung
• Parkinsonsche Erkrankung
• Epilepsie
• Lebererkrankungen
• Hormonelle Störungen (z.B. Schilddrüse)
• Viruserkrankungen
• Chronische Intoxikation
• Medikamente
Psychologische Faktoren
• Persönlichkeit
• Sozialer Hintergrund
• Feindliche Lebensbedingungen (z.B. Armut!)
• Lebensereignisse (z.B. Kündigung, Rente)
• Verlust positiver Erlebnisse
• Ungünstige Einstellungen („Die Welt ist schlecht“)
• Hilflosigkeitserfahrungen
• Interaktionsmerkmale
Multifaktorielles Zusammenspiel
•Wie behandelt man eine depressive Störung?
Behandlungsmöglichkeiten
Für die Behandlung der Depression gibt es eine nationale
Versorgungsleitlinie!
1. Biologische Therapien
• Medikamente (Antidepressiva)
• Lichttherapie
• Schlafentzug
• Elektrokrampftherapie
2. Psychotherapie
• Kognitive Verhaltenstherapie (z.B. Aktivitätenaufbau,
„Umstrukturierung“ negativer Denkweisen, Training sozialer
Fertigkeiten).
• Andere Psychotherapien (z.B. Interpersonelle Psychotherapie,
Tiefenpsychologisch fundierte Therapie; Psychoanalyse).
Bausteine einer erfolgreichen
Depressionstherapie
1. strukturiert, geplant und transparent
2. vermittelt Fertigkeiten und
Bewältigungsstrategien
3. Übungen und Aufgaben außerhalb des
Therapierahmens
4. fördert Selbstattributionen
Forschungsbefunde: Therapie-Wirksamkeit
0 8 1 Kombinationstherapie
1 2 0 Kombinationstherapie
0 2 0 Pharmakotherapie
0 1 0 Kognitive Verhaltenstherapie
- 1 1 Kontrollbedingung
Vergleichs-
bedingung
besser
vergleichbare
Wirkung
IPT
überlegen Interpersonelle
Psychotherapie (IPT) vgl. mit:
0 8 2 Pharmakotherapie
0 5 4 Tiefenpsychologische
Psychotherapie
0 1 0 Interpersonelle Psychotherapie
0 4 0 Unspezifische Psychotherapie
0 3 15 Kontrollbedingung
Vergleichs-
bedingung
besser
vergleichbare
Wirkung
KVT
überlegen Kognitive Verhaltenstherapie
(KVT) vgl. mit:
Was tun? – Ein erster Schritt
Bei eigener starker psychischer Belastung oder der
Vermutung an einer Depression zu leiden:
1. Vertrauensperson ansprechen (z.B. Hausarzt, Freundin)
2. Hilfeangebote annehmen – nicht zu lange zögern! Ab
einem bestimmten Schweregrad muss die Depression
durch Fachpersonal behandelt werden.
3. Falls Medikation indiziert:
•Einnahme trotz der üblichen, anfänglichen
Nebenwirkungen.
4. Falls Psychotherapie indiziert:
•Arbeiten Sie aktiv mit und nehmen Sie sich Zeit
dazu!
Wie können Sie selbst aktiv sein?
1. Aktivitäten/ Positive Aktivitäten
2. Entspannungsverfahren
3. Bewegung
4. Euthyme Methoden
5. Achtsamkeit
.
.
.
n. ….. (z.B. Freizeitprogramm, Ergotherapie, Kunst und
Gestaltung)
1. Aktivitäten/ positive Aktivitäten
• Verhaltensbezogene Maßnahmen der
Tagesstrukturierung (also z.B. einen „Stundenplan“ führen
und danach leben)
• Positive Aktivitäten (langsames Vorgehen, realistische
Ziele setzen, den Ablauf planen: Wie sieht der erste
Schritt aus? Mit welcher Kleinigkeit kann ich anfangen?)
• Balance angenehmer und unangenehmer Aktivitäten
(nicht nur die Pflicht, sondern auch die Kür absolvieren!!)
Aufwärtsgerichtete Depressionsspirale
Abwärtsgerichtete
Depressionsspirale
5. Ihre
Stimmung
ist auf dem
Nullpunkt,
und Ihnen
ist alles
zuviel
4. Sie haben
überhaupt
nichts
mehr, an
dem Sie
sich freuen
können
3. Ihre
Stimmung
wird
schlechter,
und Sie tun
nur noch
das
Nötigste
2. Sie haben
im Alltag
keine
positiven
Erlebnisse
1. Sie fühlen
sich nieder-
geschlagen
und haben
keine Lust,
etwas zu
tun
5. Ihre Stim-
mung wird
immer bes-
ser, und Sie
planen wei-
tere Unter-
nehmungen,
die Ihnen
Freude
machen
4. Heute tun
Sie außer
Ihren
Pflichten
noch
etwas, was
Ihnen Spaß
macht
3. Sie freuen
sich über
Ihren Erfolg
und Ihre
Laune wird
besser
2. Sie raffen
sich auf
und
machen
das, was
Sie schon
lange tun
wollten
1. Ihre
Stimmung
ist auf dem
Nullpunkt,
und Ihnen
ist alles
zuviel
Wochenplan
© Legenbauer, T. & Vocks, S. (2006)
Befindlichkeitsdiagramm Tägliche Befindlichkeit und tägliche Menge angenehmer Aktivitäten über
30 Tage
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30
9
8
7
6
5
4
3
2
1
20
15
10
5
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2. Entspannungsverfahren
1. Progressive Muskelentspannung nach Jacobson
• An- und Entspannung bestimmter Muskelgruppen:
nacheinander werden einzelne Muskelpartien zunächst
angespannt, die Muskelspannung wird kurz gehalten,
und anschließend wird die Spannung gelöst.
• Person konzentriert sich auf den Wechsel zwischen
Anspannung und Entspannung und auf die
Empfindungen, die mit diesen Zuständen einhergehen.
Tipp: Manche Krankenkassen geben an Versicherte CDs
mit Anleitungen zur Entspannung heraus!
2. Entspannungsverfahren
2. Autogenes Training
• Beruht auf Autosuggestion.
• Grundstufe: Suggestion eines ruhigen Körperzustandes
(Schwere/ Wärme/ Herzregulation/ Atmung/
Bauchwärme/ Stirnkühle).
• Mittelstufe: formelhafte Vorsatzbildung (Beispiel: „Ich
bleibe in der Situation gelassen“).
• Aufpassen bei organische Leiden: z.B. bei der
Verlangsamung der Atmung kann evtl. eine
Ateminsuffizienz verstärkt werden.
Tipp: Entspannungverfahren können als Kurs bei
verschiedenen Anbietern gebucht werden!
3. Bewegung
• Körper- und bewegungsbezogene Therapien
unterstützend zur Psychotherapie in Versorgungsleitlinie
empfohlen, d.h.:
• Positive Effekte von Bewegung sind vielfach
nachgewiesen.
• Auch hier: Klein anfangen und realistische Ziele setzen!
Lieber jeden Tag 5 Minuten spazieren gehen, als sofort
versuchen, den Halbmarathon zu laufen.
• Sich zur Bewegung verabreden.
• Kombination Bewegung – Musik= Tanzen
4. Euthyme Methoden
Grundannahme:
• Seelische Gesundheit und Krankheit sind zwei
unabhängige Dimensionen, nicht zwei Pole einer
Dimension.
• Seelische Gesundheit ist die Akzeptanz von guten und
schlechten Zeiten.
• Die Förderung von Ressourcen ist unabhängig von der
Behandlung der Beschwerden ein eigenständiges Ziel.
Genuss und Genießen
• Aufbau von Selbstfürsorglichkeit und Genussregeln
• Schaffung räumlicher und geistiger Nischen im Alltag, in
denen Genuss gestaltet und bewusst hergestellt wird
• Stimulation der 5 Sinnesmodalitäten (Riechen, Tasten,
Schmecken, Hören, Sehen)
• Befriedigung vitaler Bedürfnisse (Hunger, Durst, Schlaf,
Sexualität, Geborgenheit, usw.)
• Vermehrung von angenehmen Emotionen (Heiterkeit,
Freude, Stolz, Zufriedenheit, Zuneigung, Liebe, usw.)
© Legenbauer, T. &
Vocks, S. (2006)
5. Achtsamkeit
Gegenteil von „auf Autopilot fahren“
• Achtsamkeit kann insbesondere das Rückfallrisiko
minimieren.
• Achtsamkeit soll im Alltag geübt werden: durch diese
Achtsamkeitsübungen sollen die Betroffenen erlernen,
Frühwarnsymptome rechtzeitig wahrzunehmen und sich
bewusst hilfreichen Maßnahmen zuwenden, statt „auf
Autopilot“ in Grübelei und niedergedrückte Stimmung zu
versinken.
• Siehe Genusstraining – auch das ist mit Achtsamkeit
verknüpft.
Tipp: Achtsamkeit kann als Kurs bei verschiedenen
Anbietern gebucht werden!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
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