„löcher in der stadt – strategien des stadtumbaus“ · 2004. 6. 25. · christian kopetzki,...
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C h r i s t i a n K o p e t z k i , T h o m a s P r i s t l , R a i n e r N a e f e , F r i e d h e l m F i s c h e r C h r i s t i a n K o p e t z k i , T h o m a s P r i s t l , R a i n e r N a e f e , F r i e d h e l m F i s c h e r
„Löcher in der Stadt „Löcher in der Stadt –– S trategien des Stadtumbaus“Strategien des Stadtumbaus“
L ängsschn i t t un te r suchung am Be i sp i e lL ängsschn i t t un te r suchung am Be i sp i e l e iner S tadt im s t rukturschwachen Raumeiner S tadt im s t rukturschwachen Raum
F o r s c h u n g s b e r i c h tF o r s c h u n g s b e r i c h t
Mä rz 2004März 2004
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Das Forschungsprojekt „Löcher in der Stadt – Strategien des Stadtumbaus“
wurde in der Zeit vom 01.10.2000 bis zum 31.12.2002 (bei dreimonatiger
Unterbrechung) durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG gefördert.
D F G D F G –– G e s c h ä f t s z e i c h e n : G e s c h ä f t s z e i c h e n : K0 2063/1-1
A n t r a g s t e l l e r :A n t r a g s t e l l e r :
Prof. Christian Kopetzki
Dr. Friedhelm Fischer
Dr. Rolf Keim (Göttingen)
I n s t i t u t / L e h r s t u h l :I n s t i t u t / L e h r s t u h l :
Fachbereich Architektur, Stadtplanung, Landschaftsplanung
Universität Kassel, Fachgebiet Stadterneuerung, Stadtumbau
Henschelstraße 2, 34109 Kassel
T h e m a d e s P r o j e k t s :T h e m a d e s P r o j e k t s : Löcher in der Stadt
B e r i c h t s z e i t r a u m , F ö r d e r u n g s z e i t r a u m :B e r i c h t s z e i t r a u m , F ö r d e r u n g s z e i t r a u m :
10/2000 – 12/2002
(Unterbrechung von 15.05.2002 – 15.08.2002)
An der Forschung waren beteil igt:
- Prof. Christian Kopetzki (Stadtplaner, Projektleiter)
- Dr. Friedhelm Fischer (Stadtplaner, akademischer Rat)
- Dr. Rolf Keim (Sozialwissenschaftler, Georg-August-Universität Göttingen)
- Dipl. Ing. Rainer Naefe (Stadtplaner, wissenschaftlicher Mitarbeiter, ½ Stelle für zwei Jahre)
- Dipl. Ing. Thomas Pristl ((Stadtplaner, wissenschaftlicher Mitarbeiter, ½ Stelle für zwei Jahre)
- als studentische Hilfskräfte
Dipl. Ing. Nadja Tremer (Stadtplanerin) Dipl. Ing. Johanna Debik (Architektin)
Wir danken der Hessisch Niedersächsischen Allgemeinen Zeitung HNA, dem
Stadtarchiv Kassel und dem Stadtplanungsamt Kassel für die freundliche
Unterstützung bei den Recherchearbeiten
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I N H A L TI N H A L T
ZusammenfassungZusammenfassung 55
Strategien des Stadtumbaus: Eine EinfStrategien des Stadtumbaus: Eine Einführungührung 1 11 1
Qualitäten des Stadtumbaus: Ziele der UntersuchungQualitäten des Stadtumbaus: Ziele der Untersuchung 1 71 7
Methodik der Untersuchung: Zum Aufbau des ForschungsberichtsMethodik der Untersuchung: Zum Aufbau des Forschungsberichts 1 91 9
Gegenstand der Untersuchung: Die Fallstadt KasselGegenstand der Untersuchung: Die Fallstadt Kassel 2 32 3 1.1 Einführung in den Untersuchungsgegenstand 23 1.2 Kassel im Untersuchungszeitraum 1960 bis 2002 27 1.3 Übersicht über die erfassten Stadtumbauprojekte 34
Erkenntnisse (I): Merkmale des StadtumbausErkenntnisse (I): Merkmale des Stadtumbaus 3 93 9 1.4 Vornutzungen 39 1.5 Nachnutzungen 42 1.6 Auslöser und Impulse 48 1.7 Merkmale des Stadtumbaus: Ein Fazit 51
Erkenntnisse (II): Akteure des StadtumbaErkenntnisse (II): Akteure des Stadtumbausus 5 55 5 1.8 Stadtpolitik und Stadtumbau 55 1.9 Weitere öffentliche Akteure im Stadtumbauprozess 62 1.10 Private Akteure im Stadtumbauprozess 63 1.11 Akteure des Stadtumbaus: Ein Fazit 65
Erkenntnisse (IIIErkenntnisse (III): Verfahren des Stadtumbaus): Verfahren des Stadtumbaus 6 96 9 1.12 Planungs- und Beteiligungsinstrumente 69 1.13 Finanzierung von Stadtumbauprojekten 72 1.14 Verfahren des Stadtumbaus: Ein Fazit 73
Erkenntnisse (IV): Auswirkungen des StadtumbausErkenntnisse (IV): Auswirkungen des Stadtumbaus 7 57 5 1.15 Auswirkungen auf Gesamtstadt und Quartier 75 1.16 Ökologische Potentiale des Stadtumbaus 76 1.17 Soziale und kulturelle Potentiale des Stadtumbaus 77 1.18 Stadtumbauprojekte in der lokalen und überlokalen Rezeption 78 1.19 Auswirkungen des Stadtumbaus: Ein Fazit 81
Stadtentwicklung und Stadtumbau: Eine SchlussbetrachtungStadtentwicklung und Stadtumbau: Eine Schlussbetrachtung 8 38 3
Inhalt der DokumentationInhalt der Dokumentation 8 98 9
Li teraturLi teratur 9 19 1
AnmerkungenAnmerkungen 1 0 11 0 1
.
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55
Z U S A M M E N F A S S U N GZ U S A M M E N F A S S U N G
Im Zentrum der Untersuchung stehen die komplexen Zusammenhänge von
Entstehungsbedingungen, öffentlichen, politischen und fachlichen Diskussio-
nen sowie der Realisierung von Stadtumbauprojekten seit Anfang der 60er
Jahre in Kassel - einer strukturschwachen mittleren Großstadt mit starken
altindustriellen Traditionen und ver einzelten Wachstums- und Innovations-
sektoren.
Stadtumbau wird hierbei als Prozess des Nutzungswandels auf einzelnen,
eindeutig abgrenzbaren und in der Regel überschaubaren Standorten im
städtischen Nutzungsgefüge betrachtet, der zugleich einen Beitrag zur fort-
laufend erforderlichen Anpassung der baulichen und städtebaulichen Struk-
tur an sich wandelnde Anforderungen und Rahmenbedingungen leistet.
Die Stadtumbauprojekte werden im Rahmen des allgemeinen Stadtent-
wicklungs- und Stadterneuerungsprozesses auch i n einen Zusammenhang
gestellt mit den lokalen Auswirkungen globaler Restrukturierungsprozesse,
der Orientierung der kommunalen Entwicklung an Leitbildern im weitesten
Sinne sowie mit der Herausbildung und Wirkungsweise lokaler Akteurskons-
tellationen. Der Blickwinkel der Untersuchung umfasst dabei neben Nut-
zungstypologien insbesondere auch Verfahren und Instrumente, die Rolle der
für Stadtumbauprozesse relevanten Akteure sowie spezifische Wirkungen der
untersuchten Projekte.
Die Analyse von Kasseler Stadtumbauprojekten der vergangenen vier Jahr-
zehnte hat zum Ziel, Beiträge zu einer differenzierten Sicht auf die jüngere
Planungsgeschichte, zur lokalen Politikforschung wie auch zur Weiterent-
wicklung planungstheoretischer und planungsmethodischer Disku ssionen zu
leisten. Die Aufarbeitung der Funktion und Wirkung von Stadtumbau soll
jedoch auch Erkenntnisse hinsichtlich der Gestaltung zukünftiger Stadtum-
bauprozesse zur Bewältigung der anstehenden Aufgaben und Probleme der
Stadtentwicklung ermöglichen.
Die Bedeutung des Stadtumbaus in Kassel seit 1960 lässt sich, das haben alle
gewählten Betrachtungsperspektiven g ezeigt, strukturell auf zwei Ebenen
verteilen: Zum einen tritt Stadtumbau als kontinuier licher Prozess und fester
Bestandteil der Stadtentwicklung in Erscheinung, verbunden mit wiederkeh-
renden Aufgabenstellungen, Akteurskonstellationen, bestimmten planer i-
schen Instr umenten sowie spezifischen Auswirkungen. Somit ist Stadtumbau
als Anpassung städtischer Strukturen an sich wandelnde Anforderungen und
Rahmenbedingungen eine fortlaufende, etablierte Aufgabe innerhalb der
Stadtentwicklungspolitik, die offensichtlich weitgehend erfolgreich mit e r-
probten Instrumentarien und Akteurskooperationen bearbeitet wird.
Zum anderen dient Stadtumbau als Instrument immer wieder auch zur Bewäl-
tigung herausragender, komplexer Aufgaben- und Problemstellungen, die
zugleich oftmals typisch für bestimmte Zeiträume und Phasen der Stadtent-
wicklung sind und die Entwicklung neuer, angemessener Planungs- und
Steuerungsstrategien erfordern. Dies zeigen die sich im Verlauf des Untersu-
chungszeitraums verändernden Gewichtungen bestimmter Merkmale des
Stadtumbaus, begonnen von Vor- und Nachnutzungen über maßgebliche
Auslöser bis zur Rolle verschiedener Akteure, der Bedeutung planerischer
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LÖCHER IN DER STADT – STRATEGIEN DES STADTUMBAUS
66
Instrumente oder auch zu spezifischen Ausprägungen der Rezeption in der
Öffentlic hkeit.
Stadtumbauprojekte dienen somit als Spiegel der einerseits kontinuierlichen,
andererseits aber auch sich wandelnden Anforderungen und planerischen
Strategien, die insbesondere aus den lokal zu bewältigenden Folgen des all-
gemeinen wirtschaftlichen Strukturwandels und seiner Ausprägung in der
Stadtregion resultieren.
Als kontinuierliche Merkmale des Stadtumbaus im Untersuchungszeitraum
erweisen sich Stadtumbaustandorte auf a lten Industrie- und Gewerbeflächen
aber auch auf Grün-, Verkehrs-, Brach- und Restflächen die – häufig in Folge
von Kriegszerstörungen entstanden – wegen der vergleichsweise geringen
Stadtentwicklungsdynamik Kassels, aber auch wegen etablierter Zwischen-
nutzungen zum Teil recht lang Löcher in der Stadtstruktur blieben. Die
Nachnutzungsspektren zeic hnen sich dagegen durch die häufige Verwirkli-
chung von Mischnutzungskonzepten aus – dominiert von Wohnen, Dienstleis-
tungen sowie Kultur-, Freizeit-, Erholungs- und Gastronomieeinrichtungen.
Hinsichtlich der Auslöser und Impulse für Stadtumbauprojekte erweist sich
insbesondere das Motiv einer renditemaximierenden Änderung bestehender
Nutzungen als gleichmäßige Konstante im Untersuchungszeitraum.
Ebenfalls prägend für den gesamten Untersuchungszeitraum, aber durch
einen signifikanten Bedeutungszuwachs in den neunziger Jahren gekenn-
zeichnet, sind Stadtumbauprojekte auf Flächen staatlicher Einrichtungen,
staatl icher (oder ehemals staatlicher) Unternehmen und auf zuvor m ilitärisch
genutzten Flächen – womit deutlich wird, dass in Kassel bei der Bewältigung
dieser typischen Aufgaben der neunziger Jahre bereits auf Erfahrungen aus
vorherigen Jahrzehnten aufgebaut werden konnte. An Gewicht gewinnen auch
Einzelhandelsbetriebe als wesentliche Träger von Nachnutzungskonzepten.
Schließlich ist für die neunziger Jahre eine räumliche Verdichtung stadtent-
wicklungspolitisch motivierter Stadtumbauprojekte auf den Bereich der I n-
nenstadt zu verzeichnen. Darin dokumentiert sich der wahrgenommene ver-
stärkte Handlungsbedarf der Planung in diesem Teilraum der Stadt.
Andere Stadtumbaumerkmale repräsentieren dagegen primär bestimmte Pha-
sen des Unter suchungszeitraums: So konzentrieren sich industrielle und
gewerbliche Nachnutzungen, o ffensichtlich bedingt durch sich verändernde
Rahmenbedingungen und stadtentwicklungspolitische Zielsetzungen, auf die
Zeit bis Anfang der siebziger Jahre sowie auf die Zeit ab 1990. Demgegen-
über entstehen Stadtumbauprojekte, die eine Umnutzung von Flächen städti-
scher Einrichtungen oder auch eine Realisierung öffentlicher Einrichtungen
zum Ziel haben, überdurchschnittlich häufig in den siebziger Jahren, häufig
jedoch verbunden mit Planungs- und Realisierungszeiträumen, die bis in die
neunziger Jahre hineinreichen. Ä hnliches gilt für Stadtumbauprojekte auf
langjährig un- oder untergenutzten Flächen, die nahezu alle in den sechziger
Jahren ihren U rsprung haben, in mehr als der Hälfte der Fälle aber nicht vor
1990 abgeschlossen werden können.
Generell weisen die unter suchten Stadtumbauprojekte sehr stark differieren-
de Projektlaufzeiten auf, die sich in Einzelfällen nur über ein Jahr, zum Teil
aber auch über mehrere Jahrzehnte erstrecken, oftmals begleitet von stabilen
oder auch wechselnden Zwischennutzungen sowie von w iederholten, intensi-
ven Diskussionen um angemessene Nutzungskonzepte. Während Projekte mit
kurzen Laufzeiten dabei eher schlaglichtartig jeweils aktuelle Methoden und
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FORSCHUNGSBERICHT
77
Strategien des Stadtumbaus beleuchten, können langjährig andauernde Pro-
jekte den Wandel v on Konzepten, des planerischen Selbstverständnisses oder
auch der Formen der Partizipation der Bevölkerung (sei es durch innovative
Beteiligungsmodelle oder durch Widerstand leistende Bürgerinitiativen)
sichtbar machen. Die Veränderung von Nutzungskonzepten im Zeitverlauf
wird somit nicht nur im Vergleich von Stadtumbauprojekten aus verschiede-
nen Entstehungszeiträumen sichtbar, sondern (und hier in der Regel beson-
ders aufschlussreich) auch innerhalb bestimmter Projekte.
Ein Bedeutungszuwachs im Verlauf des Untersuchungszeitraums lässt sich
schließlich für das Projektmerkmal einer ko ntextbezogenen Generierung der
Nachnutzung feststellen – ein möglicher Hinweis auf eine zunehmende Sen-
sibilität gegenüber potentiell negativen Auswirkungen von Umnutzungsko n-
zepten. Dabei wird zumindest in den siebziger Jahren Stadtumbau durchaus
noch als Impulsmaßnahme zur Veränderung bestehender Stadtteilstrukturen
und –merkmale eingesetzt, verbunden mit Nutzungskonflikten, aber auch
Strategien zu deren Bewältigung.
Die zentrale B edeutung der Stadtpolitik für den Stadtumbau über den gesam-
ten Untersuchungszeitraum hinweg ist verbunden mit einem Wandel der
Funktion der Stadt als Stadtumbauakteur: So wächst tendenziell im Verlauf
des Untersuchungszeitraums der Anteil der Projekte , b ei denen entwic k-
lungspolitische Ziele definiert und zumindest in nennenswertem Umfang
auch umgesetzt werden. Andererseits verliert die Stadt ab den siebziger Jah-
ren als primärer Veranlasser und Impulsgeber für Stadtumbauprojekte an
Bedeutung. Ab Mitte der neunziger Jahre sinkt zudem der bis dahin relativ
stabile Anteil an Projekten, deren Nachnutzungsfindung durch die Formulie-
rung städtischer Nutzungskonzepte und Anforderungen beeinflusst wird –
die Realisierung allenfalls geringfügig modifizierter Nutzungskonzepte der
jeweiligen Investoren gewinnt dementsprechend an Gewicht. Abgerundet wird
dieses Bild durch die Erkenntnis, dass bei den von der Stadt als Akteur g e-
prägten Stadtumbauprojekten der neunziger Jahre stadtökonomische Überle-
gungen eine überdurchschnittliche Bedeutung gewonnen haben – ein Zeichen
für zunehmend problematischere Rahmenbedingungen für die lokale Ökono-
mie wie auch für die kommunalen Finanzen.
Die durch die Stadt Kassel betriebenen oder aktiv begleiteten Stadtumbau-
projekte kennzeichnet eine strukturelle Vielfalt an Leitbildern, Motiven und
Zielvorstellungen, denen zugleich eine wesentliche Bedeutung für die Wir-
kung einer Flächenumnutzung als Stadtumbau im Sinne des dieser For-
schungsarbeit zugrunde liegenden Verständnisses zukommt. Pr ägend für den
gesamten Untersuchungszeitraum sowie verstärkt für die neunziger Jahre
sind hierbei stadtentwicklungspolitische Modernisierungsstrategien, ab den
achtziger Jahren ergänzt durch Teilstrategien der Innenentwicklung, der
Wohnraumschaffung (im Sinne e iner Qualifizierung des Wohnraumangebots
in der Stadt) sowie der Reaktion auf die neu g ewonnene Zentralität in Folge
der Wiedervereinigung.
Parallel hierzu kennzeichnen aber auch Zielvorstellungen den gesamten U n-
tersuchungszeitraum, die sich primär an den spezifischen Eigenschaften des
Stadtumbaustandorts festmachen, zugleich verbunden mit einer sich wan-
delnden Gewic htung der Leitmotive: Für die unter dem Schlagwort „Stadtr e-
paratur“ einzuordnenden Projekte lässt sich dabei ein Schwerpunkt des Pla-
nungsbeginns in den sechziger und siebziger Jahren feststellen, zum Teil
verbunden mit langen Planungs- und Realisierungszeiträumen. Dagegen
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LÖCHER IN DER STADT – STRATEGIEN DES STADTUMBAUS
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weist die Orientierung von Stadtumbaukonzeptionen auf strukturelle oder
bauliche Bestandsqualitäten des jeweiligen Standorts e ine leichte Schwer-
punktbildung in den achtziger und neunziger Jahren auf.
Bund, Land, Bundes -, Landes - und sonstige öffentliche Institutionen oder
staatliche (bzw. ehemals staatliche) Unternehmen sind in rund einem Drittel
der untersuchten Fälle in den Stadtumbauprozess eingebunden – ein Hinweis
auf die vergleichsweise große Bedeutung, die insbesondere Bundes - und
Landesbehörden innerhalb des städtischen Nutzungsgefüges und damit auch
für die Stadtentwic klung insgesamt inne haben. Auf der Zeitachse zeigen sich
diesbezüglich Schwerpunkte in den siebziger und neunziger Jahren. Die Pr ä-
gung dieser Stadtumbauprozesse hinsichtlich der Gewichtung von Konsens
und Konflikten mit der Stadtpolitik ist dabei uneinheitlich und von der Art
der Vor- wie der Nachnutzung abhängig.
Betrachtet man schließlich die Gruppe der privaten Akteure im Stadtumbau,
so zeigt sich auch hier ein struktureller Wandel im Verlauf des Untersu-
chungszeitraums: Während die ursprünglichen privaten Grundstückseigentü-
mer bis Ende der achtziger Jahre kontinuierlich bei etwa jedem zehnten Pro-
jekt als zentraler Veranlasser auftreten, steigt dieser Anteil in den neunziger
Jahren auf nahezu jedes vierte Projekt. Gleichzeitig sinkt in diesem Zeitraum
die zuvor ebenfalls recht konstante Bedeutung externer privater Akteure, die
die betreffenden Grundstücke mit dem Ziel der Umnutzung erwerben, als
Investor oder Maßnahmenträger auftreten – die mögliche Folge einer sinken-
den Wirtschaftsdynamik, die die Rentabilität von Investitionen in Stadtumbau
schwächt und d ie ursprünglichen privaten Grundstückeigentümer häufiger
dazu zwingt, in eigener Regie Nachnutzungspotentiale zu entwickeln. Eine
weitere Gruppe privater Akteure prägt einzelne Stadtumbauprojekte seit den
siebziger Jahren: Interessengruppen und Bürgerinitiativen gelingt es zumin-
dest bei einem Teil dieser Projekte, zu maßgeblichen Änderungen an Pla-
nungsstrategien und Nutzungskonzeptionen beizutr agen.
Kennzeichnend für die neunziger Jahre ist schließlich auch eine Häufung
öffentlich-privater Kooperationen, praktiziert in unterschiedlichen Formen
und Konstellationen. Gleichwohl kann die Stadt hierbei auch auf Erfahrungen
mit derartigen Kooperationen in Stadtumbauprojekten der vorangegangenen
Jahrzehnte zurückgreifen, womit auch an dieser Stelle die Funktion von
Stadtumbau als wichtiges Ler nfeld der Stadtentwicklungspolitik und –planung
sichtbar wird.
Bei der Betrachtung zentraler Verfahrensmerkmale des Stadtumbaus in Kassel
seit 1960 fällt zunächst auf, dass im Schatten der die Diskussion dominie-
renden großen S tadtumbauprojekte die größte Gruppe der untersuchten Fälle
ohne Durchführung formeller oder informeller Planungsverfahren, in der
Regel auch ohne nennenswerte Bürgerbeteiligung sowie ohne Rückgriff auf
öffentliche Fördermittel realisiert wurde: Hierbei handelt es sich oftmals um
unspektakuläre, von Stadtpolitik und –planung weitgehend unbeachtete U m-
strukturierungsprozesse an alten Industrie- und Gewerbestandorten, wobei
die Nachnutzung sich häufig formell innerhalb des bisherigen Nutzungsrah-
mens bewegt, gleichwohl aber strukturell einen auch für die Stadtentwic k-
lung bedeuts amen Wandel markiert und als Stadtumbau im hier definierten
Verständnis wirksam wird. Typisches Beispiel ist die Umwandlung aufgege-
bener Standorte großer Unternehmen in kleinteilige Gewerbeparks mit unter-
schiedlicher Profilierung und bedeutsamen Anteilen von Dienstleistern sowie
Nutzern aus dem soziokulturellen Spektrum.
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FORSCHUNGSBERICHT
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Darüber hinaus sind sowohl der Bebauungsplan als auch informelle Planun-
gen mit differierenden inhaltlichen Schwerpunkten prägend für den gesamten
Untersuchungszeitraum, wobei sich jedoch im Zeitverlauf eine Umkehr der
Gewichtung der beiden Instrumente ergibt: Einem Bedeutungsverlust des
Bebauungsplans in den achtziger und verstärkt in den neunziger Jahren steht
ein entsprechender Bedeutungsgewinn informeller Planungen gegenüber.
Beide Instrumente sind dabei kennzeichnend für Stadtumbauprojekte, die
sich als anpassungsbedürftig, aber auch anpassungsfähig gegenüber exter-
nen Einflüssen oder auch offenen Planungs- und Diskussionsprozessen er-
wiesen haben. Die Anwendung des besonderen Städtebaurechts ab Ende der
sechziger Jahre (zunächst als Pilotprojekt noch vor Einführung des Städte-
bauförderungsgesetzes) betrifft zwar nur wenige der untersuchten Fälle,
dokumentiert aber einen p unktuell offensiven und auch innovativen U mgang
der Stadtplanung in Kassel mit dem verfügbaren bzw. im Wandel befindlichen
planungsrechtlichen Instrumentar ium.
Neben den genannten veränderten Gewichtungen prägt den Stadtumbau der
achtziger und neunziger Jahre aber auch eine Erweiterung bzw. Ausdifferen-
zierung des angewandten Instrumentariums: So werden zunehmend neue,
innovative Instr umente erprobt, Verfahren zum sachgerechten Umgang mit
A ltlastenverdachtsflächen sowie tatsächlichen Bodenbelastungen werden
wichtiger und besondere, innovative Formen der Bürgerbeteiligung gewinnen
an Gewicht.
Darüber hinaus ist eine Veränderung hinsichtlich der Einbindung externen
Expertenwissens in Stadtumbauprozesse festzustellen, die in den neunziger
Jahren jedoch durch besonders umfassende oder innovative Formen der B e-
teiligung geprägt wird.
Der hinsichtlich der Finanzierung von Stadtumbauprojekten spätestens für
die neunziger Jahre festzustellende Bedeutungszuwachs privater Investitio-
nen wird begleitet durch die Erprobung unterschiedlicher öffentlich-privater
Finanzierungs- und Kooperationsmodelle. Diese erlauben es der Stadt z u-
mindest bedingt, trotz sinkender finanzieller Handlungsspielräume steuern-
den Einfluss auf eine durch Stadtumbauprojekte geförderte Stadtentwicklung
zu nehmen.
Es zeigt sich somit, dass sich das im Stadtumbau seit 1960 angewandte Pla-
nungs-, Beteiligungs- und Finanzierungsinstrumentarium – bei einem kon-
stant hohen Anteil privat initiierter, weitgehend unbeachteter Stadtumbau-
projekte ohne Rückgriff auf Planungs- und Beteil igungsverfahren – in den
achtziger sowie verstärkt in den neunziger Jahren ausdifferenziert und durch
innovative Elemente angereichert wird, was zu positiven Auswirkungen auf
die Produkt- und Prozes squalität des Stadtumbaus z. B. hinsic htlich der Fle-
xibil ität und Anpassungsfähigkeit von Stadtumbauprojekten führen kann.
Stadtumbau in Kassel ist jedoch nicht nur zentraler Baustein der Stadtent-
wicklung, sondern zugleich mit überwiegend positiven Effekten verbunden.
Dies bezieht sich sowohl auf stadtökonomische Komponenten von Stadtum-
bauprojekten als auch überwiegend auf gesamtstädtische wie quartier s-
bezogene Folgewirkungen. Interessengegensätze zwischen Gesam tstadt und
Stadtteil beschränken sich ebenfalls auf eine geringe Zahl an Projekten sowie
hierbei oft auch nur auf Teilaspekte der jeweiligen Umnutzungsprozesse.
Ökologische Potentiale spielen in Stadtumbauprozessen sowohl hinsichtlich
ihrer Entwic klung als auch ihrer Beeinträchtigung eine eher untergeordnete
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LÖCHER IN DER STADT – STRATEGIEN DES STADTUMBAUS
1 01 0
Rolle, bedingt durch Spezifika der Stadtumbaustandorte mit eher geringen
Flächengrößen und einer hohen Eignung und Lagegunst für bauliche Nutzun-
gen. Demgegenüber erweisen sich Stadtumbaustandorte in rund 40 % der
Fälle als Plattform für die Entfaltung sozialer und kultureller Potentiale. Hier-
bei handelt es sich in etwa der Hälfte der Fälle um eine im Stadtumbauko n-
zept enthaltene, auf Dauer angelegte Nutzung, in der anderen Hälfte der
Fälle dagegen um eine temporäre, durch informelle Flächenaneignung reali-
sierte und in der Regel mit Durchsetzung der g eplanten Nachnutzungskon-
zeption verdrängte Nutzung.
Dass Stadtumbau in der Mehrzahl der Fälle eine besondere Aufgabe und Form
der Stadtentwicklung darstellt, spiegelt sich auch in der starken Beachtung in
den lokalen Medien wider, die für z wei Drittel der Projekte kennzeichnend
ist, während das verbleibende Drittel der Fälle eine eher geringe Beachtung
erfährt; ein ähnliches Verhältnis ergibt sich auch hinsichtl ich der (medial
vermittelten) Akzeptanz der mit Stadtumbauprojekten verbundenen E ingriffe
in das Stadtbild sowie die Nutzungsstruktur von Stadt und Quartier.
Auffäll ig im Zeitverlauf ist dabei eine überdurchschnittl iche mediale Auf-
merksamkeit wie auch ein vergleichsweise hoher Anteil an kontrovers disku-
tierten Projekten in den siebziger Jahren, die einen Zusammenhang mit den
diesen Zeitraum prägenden Stadtumbautypen vermuten lassen – gekenn-
zeichnet beispielsweise durch den Versuch der lokalen Konkretisierung über-
geordneter stadtentwicklungspolitischer Zielsetzungen oder auch durch (zum
Teil von außen erzwungene) Veränderungen der Planungsstrategien und Nut-
zungskonzepte. Ebenfalls kennzeichnend für die siebziger Jahre und vermut-
lich bedingt durch die in dieser Zeit vorrangig betriebenen Stadtumbau-
projekte ist ein relativ niedriger Anteil an Projekten, bei denen in der doku-
mentierten Außenwahrnehmung durch Stadt- und Fachöffentlichkeit die
städtebaulichen und architektonischen Qualitäten eine Rolle spielen.
Schließlich zeigen die untersuchten Projekte, dass Stadtumbau in Kassel z u-
mindes t ab Ende der sechziger Jahre immer wieder von Leuchtturmprojekten
dominiert wird, die aus unterschiedlichen Gründen Fernwirkungen über die
Grenzen Kassels hinaus erzielen und auf diese Weise sowohl die Stadt Kassel
punktuell in den Blickpunkt der Fachöffentlichkeit rücken als auch Beiträge
zur Weiterentwicklung planerischer Instrumente und Strategien leis ten.
Als zentrales Ergebnis der Forschungsarbeit bleibt festzuhalten, dass es in
Kassel innerhalb des Untersuchungszeitraums häufig gelungen ist, Standorte
und Anlässe des Nutzungswandels, wesentlich determiniert von lokalen Aus-
wirkungen des allgemeinen wirtschaftlichen Strukturwandels, konstruktiv für
die Stadtentwicklung zu nutzen. Diese konnten somit als Bausteine eines
Stadtumbauprozesses wirksam werden, der für die notwendige Anpassung
städtischer Strukturen an sich wandelnde Anforderungen unter zunehmend
komplexeren Rahmenbedingungen unerläss lich ist. Als entscheidend hierfür
haben sich die Erarbeitung geeigneter Nachnutzungskonzeptionen, die Aus-
wahl (und zum Teil auch Entwicklung) geeigneter innovativer Instrumente
und Verfahren sowie spezifische Konstellationen und Kooperationen unter-
schiedlicher Akteure erwiesen. Die dadurch gesammelten und mit dieser
Forschungsarbeit in den Grundzügen dokumentier ten Erfahrungen mit Stadt-
umbau als zentraler Teilstrategie städtischer Entwicklungspolitik bieten eine
wichtige Grundlage, auch in der Zukunft alte und neue Aufgaben und Prob-
leme der Stadtentwic klung qualifiziert zu bearbeiten und als Potentiale zu
nutzen.
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S T R A T E G I E N D E S S T A DS T R A T E G I E N D E S S T A D T U M B A U S : E I N E E I N F Ü HT U M B A U S : E I N E E I N F Ü H R U N GR U N G
Z u m a k t u e l l e n V e r s t ä n d n i s d e s S t a d t u m b a u b e g r i f f sZ u m a k t u e l l e n V e r s t ä n d n i s d e s S t a d t u m b a u b e g r i f f s
Der Begriff „Stadtumbau“ hat Konjunktur: Die Komplexität der aktuellen Auf-
gaben- und Problemstellungen in der Stadtentwicklung, gekennzeichnet u. a.
durch Rahmenbedingungen wie anhaltende wirtschaftliche Schwäche, hohe
Arbeitslosigkeit, Schrumpfung der Bevölkerung, Wohnungsleerstände und
strukturelle Defizite, erfordert eine Veränderung stadtentwicklungspoliti-
scher Zielsetzungen wie auch neue planerische Ideen und Werkzeuge – mit
dem klassischen, im Kern auf (quantitatives und qualitatives) Wachstum ori-
entierten Instrumentarium von Stadterweiterung und Stadterneuerung allein
scheinen die vielfältigen Herausforderungen der Zukunft kaum zu bewälti-
gen.
In diesem Zusammenhang wird „Stadtumbau“ zunehmend als Synonym für
adäquate Handlungsstrategien im Umgang mit den aktuellen Problemen der
Stadtentwicklung verwendet – primär veranlasst durch die Installation des
Förderprogramms „Stadtumbau-Ost“ des Bundesministeriums für Verkehr,
Bau- und Wohnungswesen in 2001, mit einem wohnungswir tschaftl ichen
Schwerpunkt auf der Frage der Bewältigung wachsender Leerstandsprobleme.
Dass neue Handlungser fordernisse und planerische Strategien keineswegs
nur ein Phänomen der ostdeutschen Städte darstellen, sondern gleicherma-
ßen (wenn auch zum Teil in anderer Dimension und Ausprägung) westdeut-
schen Städte betreffen, dokumentiert die Einrichtung eines Förderprogramms
„Stadtumbau-West“ mit Beginn der Pilotphase in 2002.
„Stadtumbau“ hat damit als Fördertatbestand bereits eine gesamtdeutsche
Relevanz erreicht. Vollendet wird diese Entwicklung durch die für 2004 vor-
gesehene Novellierung des Baugesetzbuches, mit der Stadtumbau voraus-
sichtlich als Instrument des besonderen Städtebaurechts (neben d en tradier-
ten Instrumenten der städtebaulichen Sanierungsmaßnahme bzw. der städte-
baulichen Entwicklungsmaßnahme sowie einer ebenfalls neu eingeführten
Maßnahme „Soziale Stadt“) etabliert werden wird.i
Im Kontext der oben geschilderten Entwicklungen wird Stadtumbau somit
überwiegend als neue Aufgabe thematisiert; gleichwohl hat der Stadtumbau-
begriff auch eine gewichtige historische Dimension als Phänomen der Stadt-
entwicklung. Beispielhaft genannt seien an dieser Stelle lediglich die massi-
ven stadtstrukturellen Umbrüche im Zuge der Industrialisierung im 19. Jahr-
hundert, die Veränderung städtischer Strukturen durch die Ansätze der
Stadterneuerung in den zwanziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts s o-
wie die Wiederaufbauphase nach dem zweiten Weltkrieg, die in vielen Städten
unter dem Stichwort der Modernisierung zu einer teilweise radikalen Über-
formung der alten Stadtgrundrisse genutzt wurde. Dementsprechend hat der
Begriff des Stadtumbaus auch Eingang in die planungsgeschichtliche For-
schung gefunden.ii
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LÖCHER IN DER STADT – STRATEGIEN DES STADTUMBAUS
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„ S t a d t u„ S t a d t u m b a u “ a l s F o r s c h u n g s g e g e n s t a n dm b a u “ a l s F o r s c h u n g s g e g e n s t a n d
Die Verwendung des Begriffs „Stadtumbau“ in der vorliegenden Forschungs-
arbeit knüpft zwar einerseits an den planungsgeschichtlichen Bedeutungsge-
halt wie auch an das Begriffsverständnis in der aktuellen planungspolitischen
Diskussion an, die im Projekttitel enthaltene Charakterisierung des Untersu-
chungsgegenstands als „Löcher in der Stadt“ verweist jedoch bereits auf e i-
nen spezifischen Blickwinkel: So wird Stadtumbau als Prozess des Nutzungs-
wandels auf einzelnen, eindeutig abgrenzbaren und in der Regel überschau-
baren Standorten im städtischen Nutzungsgefüge betrachtet, der zugleich
einen Beitrag zur fortlaufenden erforderlichen Anpassung der baulichen und
städtebaulichen Struktur an sich wandelnde Anforderungen und Rahmenbe-
dingungen leistet. Stadtumbauprojekte konzentrieren sich in diesem Ver-
ständnis auf innerstädtische Flächen, deren bis zum jeweiligen Zeitpunkt
vorherrschende Nutzungen aufgegeben oder aber die bis dahin nur unzurei-
chend bzw. provisorisch genutzt wurden. Einen S onderfall der untersuchten
Projekte stellen dabei komplexe gebietsbezogene Nutzungszusammenhänge
dar: Hierbei wird ein größerer räumlicher Rahmen gezogen, innerhalb des-
sen, verbunden durch einen gemeinsamen Entwic klungsimpuls, jeweils meh-
rere Einzelprojekte des Stadtumbaus im oben beschriebenen Sinne entwickelt
werden.
Stadtumbauprojekte markieren im diesem Forschungsprojekt zugrunde lie-
genden Verständnis zentrale Schnittpunkte im baulichen und sozioökonomi-
schen Entwicklungsprozess der Städte: Verbinden sic h mit der „alten“ Nut-
zung überkommene Anforderungen (wie z.B. Militär, Bahnanlagen, Industrie),
so werden von den geplanten „neuen“ Nutzungen zumeist positive Effekte für
die Stadt im gesellschaftlichen Strukturwandel erwartet. Die Stadtumbau-
standorte werden – zumindest zwischenzeitlich – als Löcher in der Stadt
wahrgenommen, die es „aufzufüllen“ gilt.
Auch in dieser, gegenüber der aktuellen Verwendung des Begriffs einge-
grenzten Definition hat „Stadtumbau“ eine historische Dimension innerhalb
der Stadtentwicklungsgeschichte; gleichwohl gewinnt diese Aufgabe in den
letzten Jahren, bedingt durch Prozesse des wir tschaftlichen, politischen und
gesellschaftlichen Strukturwandels sowie der sich mit hoher Frequenz ä n-
dernden Raumnutzungen, als Teilstrategie einer zukunftsbeständigen Stadt-
entwicklungsplanung zunehmend an Bedeutung. Betraf die Notwendigkeit zur
Wiederverwertung freigewordener Flächen zunächst vorrangig die altindustr i-
alisierten Regionen wie beispielsweise das Ruhrgebiet oder die großen H a-
fenstädte, so müssen sich derzeit und künftig nahezu alle Städte um Nach-
nutzungen für große ( innerstädtische) Flächen bemühen.
Gründe für die Zunahme disponibler Flächen sind unter anderem:
- die Aufgabe von Militärstandorten seit Zusammenbruch des s o-zialistischen Machtgefüges,
- die im Zuge der Umstrukturierung traditioneller lokaler Ökono-mien und der Globalisierung immer weiter fortschreitende Ver-
lagerung von Produktionsstandorten aus industrialisierten Län-dern in periphere Regionen,
- die veränderten Standortanforderungen von Produktions- und
Dienstleis tungsunternehmen aufgrund neuer Informations- und Kommunikationstechnologien und kürzer werdender Produkt-zyklen,
-
FORSCHUNGSBERICHT
1 31 3
- die Rationalisierungen und Umstrukturierungsmaßnahmen in durch die D eregulierungspolitik verursachten Privatisierungen ehemaliger staatlicher Monopolbetriebe.
Die große Zahl der freigewordenen und noch freiwerdenden Flächen stellt
zwar ein großes Potential für Stadtentwicklung und Stadterneuerung dar,
impliziert aber gleichzeitig hohe Risiken: sinkende finanzielle H andlungs-
spielräume und der anhaltende Rückzug des ö ffentlichen Sektors als Investor
und Arbeitgeber zwingen die Städte zu neuen Kooperationsformen und bei
stetig hoher Arbeitslosigkeit zur zügigen Nachnutzung freigewordener Flä-
chen zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Die Transparenz von stadtentwic k-
lungspolitisch bedeutsamen Entscheidungen nimmt ab, gleichzeitig wächst
die Flächen- und Investitionskonkurrenz ohne Bezug auf eine abgestimmte
gesamtstädtische Entwicklungsperspektive.
Die punktuelle Konzentration des Phänomens Stadtumbau auf konkrete Pro-
jekte bzw. Standorte innerhalb des städtischen Nutzungsgefüges verbindet
sich dabei keineswegs mit einem Ausblenden gesamtstädtischer Dimensio-
nen, die das planungsgeschichtliche wie auch das aktuelle fachliche Ver-
ständnis von Stadtumbau kennzeichnen. Vielmehr werden die planungsko n-
zeptionellen, sozioökonomischen und gesellschaftspolitischen Hintergründe
als immanenter Bestandteil der untersuchten Stadtumbauprojekte verstan-
den; zugleich werden die einzelnen Stadtumbauprojekte auf ihre Wirkungen
für die gesamtstädtische Entwicklung hin betrachtet und als spezifische his-
torische Formen der Stadtentwicklung typisiert. Darüber hinaus werden die
einzelnen Stadtumbauprojekte in den Kontext der generellen Stadtentwic k-
lungsgeschichte der Fallstadt gestellt, in der sich Stadtumbau auf vielfältige
Weise als gesamtstädtisches Phänomen abbildet: Mit Stadtumbau verbinden
sich in diesem Zusammenhang über die Veränderung von Bau- und Nut-
zungsstrukturen hinaus beispielsweise auch Veränderungen in der wir t-
schaftlichen, sozialen und kulturellen Pr ägung der Stadt, Veränderungen
lokaler wie regionaler Organis ationsformen und –strukturen sowie (auch
stadtteilspezifisch) gezielte Veränderungen von Wohn- und Lebensqualitäten,
insbesondere ver bunden mit der Verteilung von aufwertenden und belasten-
den Infrastruktureinrichtungen in der Stadt.
Auch der gewählte Untersuchungszeitraum (von 1960 bis 2000) ist sowohl
mit dem planungsgeschichtlichen als auch mit dem die aktuelle Diskussion
prägenden Verständnis von Stadtumbau verknüpft: Er b eginnt im Anschluss
an die letzte „große“ Phase von Stadtumbau als planungsgeschichtl ichem
Gegenstand, nämlich die Wiederaufbauphase nach dem zweiten Weltkrieg,
und endet zu einer Zeit, zu der Stadtumbau als komplexe Zukunftsaufgabe
der Stadtentwicklung auch im Westen Deutschlands immer mehr an Bedeu-
tung g ewinnt. Komplexer, gesamtstädtisch orientierter Stadtumbau als Z u-
kunftsaufgabe ist dabei nicht etwa als Bruch mit den von uns untersuchten
Formen des Stadtumbaus der letzten 40 Jahre zu s ehen; vielmehr stellt der
konstruktive Umgang mit „Löchern in der Stadt“ einen wichtigen Erfahrungs-
hintergrund wie auch einen zentralen Handlungsansatz für die Realisierung
zukünftig notwendiger umfassenderer Neustrukturierungen des s tädtischen
Nutzungsgefüges dar.
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LÖCHER IN DER STADT – STRATEGIEN DES STADTUMBAUS
1 41 4
S t a d t u m b a u i m w i s s e n s c h a f t l i c h e n D i s k u r sS t a d t u m b a u i m w i s s e n s c h a f t l i c h e n D i s k u r s
Die gewachsene Bedeutung des Stadtumbaus spiegelt sich auch im wissen-
schaftl ichen Diskurs innerhalb der Stadtforschung wider: Beispielhaft sei an
dieser Stelle nur die 1998 veröffentlichte, querschnittsorientierte Arbeit von
Becker, Jessen und Sander iii genannt, die
auf ein verändertes Standortgefüge in Europa, aber auf neue Flächenreserven
vor Ort als Anlässe zur Revision bisheriger Stadtentwicklungsprämissen hin-
weisen. Sie konstatier en weiter den engen Zusammenhang zwischen der Ent-
stehung großer innerstädtischer Brachflächen und der Funktionalisierung des
Städtebaus als Mittel zur Standortprofi l ierung in der Konkurrenz zwischen
Städten und Regionen um Entwicklungspotentiale.
Bezüglich des die Stadtumbau-Thematik prägenden Strukturwandels wurden
die seit den siebziger Jahren entwickelten, strukturalistisch geprägten Theo-
rieansätze, die Ursachen, Probleme und Folgen des globalen Strukturwandels
in ihrer Wirkung auf die baulich-räumlichen Veränderungen durch übergrei-
fende nicht stadtspezifische Regelhaftigkeiten der Kapitalakkumulation zu
erklären suchen, in den letzten Jahren zunehmend unter Einblendung der
stadträumlichen Dimension weiterentwickelt. Der bereits 1990 von Borst u. a.
herausgegebenen Band der Reihe Stadtforschung aktuell: „Das neue Gesicht
der Städte“ sucht für den deutschsprachigen Raum den Anschluss an die
internationale Debatte über die sich abzeichnenden Muster räumlicher Ent-
wicklung eines neuen „flexiblen Akkumulationsregimes“, die als Hierarchisie-
rung des Städtesystems beschrieben werden. Dieses wird in neueren Publika-
tionen als Erklärungsmuster für aktuelle Entwicklungen z.B. von Häußermann
und Roost (1998) kritisiert. Läpple (1998) stellt dem „Global City Konzept“
einen gesellschaftstheoretischen Erklärungsansatz gegenüber, der die spezi-
fischen sozialen, i nstitutionellen und kulturellen städtischen Kontexte stär-
ker mitberücksichtigt. Er plädiert für komplementäre Analysekonzepte von
Branche, Milieu und Cluster, ohne deren Verknüpfung sich die „städtischen
Entwicklungsprozesse im Spannungsfeld externer und interner Entwicklungs-
dynamik“ nicht adäquat analysieren l ießen.
Im Bereich der Planungstheorie stehen die gängigen Phasenmodelle zur Per i-
odisierung der instrumentellen und methodischen Herausbildung von Formen
städtischer Entwicklungsplanung iv inzwischen ebenfalls zunehmend in der
Kritik. Selle ersetzt die Phasenmodelle in seiner 1998 erschienenen Veröf-
fentlichung „Alte und neue Planungskulturen: Vermutungen über Zäsur u nd
Kontinuität“ durch ein zunehmend komplexer werdendes Schichtenmodell.
Seine These von einer seit Mitte der 60er Jahre wachsenden „Gleichzeitigkeit
von U ngleichzeitigem“ korrespondiert mit der in der vorliegenden Untersu-
chung zu belegenden Einschätzung, dass insbesondere Stadtumbauprojekte
in der Regel von einer sehr differenzierten Prägung durch Leitbilder, Metho-
den und Verfahren in der konkreten planungspolitischen Situation vor Ort
gekennzeichnet sind.
Inhaltl ich herrscht weitgehend Übereinstimmung in der Einschätzung, dass
die Versuche der Etablierung einer komplexen kommunalen Gesamtentwic k-
lungsplanung in den sechziger und frühen siebziger Jahren gescheitert sind,
und seither Inkrementalismus und Patchwork-Planung einzelner, kaum ver-
bundener Projekte zur gängigen Planungs- und Umsetzungsstrategie gewor-
den sind. In dieser Situation wurde mit der IBA Emscher Park in den neunzi-
ger Jahren versucht, als „erfolgreicheren Nachkommen“ der Gesamtentwic k-
lungsplanung (nach Sieverts und Ganser (1994)) den "perspektivische Inkre-
-
FORSCHUNGSBERICHT
1 51 5
mentalismus“ als eine Planungsstrategie zu etablieren, die die Realisierung
punktueller Projekte in einen gemeinsamen, zukunftsgerichteten Zusammen-
hang stellt und als Vorbild für die Erneuerung alter Industrieregionen fungie-
ren soll. Im hier dokumentierten Forschungsvorhaben wurde in diesem Sinne
auch der Blick auf die gesamtstädtischen Auswirkungen der Stadtumbaupro-
jekte sowie deren Rolle innerhalb des Planungsprozesses gerichtet.
Schließlich bietet die Stadtumbau-Thematik auch vielfältige Anknüpfungs-
punkte an die anwendungsbezogene Ressortforschung im Bereich von Städ-
tebau und Stadterneuerung: So ist Stadtumbau immer wieder in einzelnen
Forschungsfeldern des ExWoSt - Programms des BMVBW enthalten, es geht
jedoch lediglich um bestimmte Flächentypen (z.B. Industriebrachen oder
militärische Konversionsflächen), Teilaspekte (z.B. neue Modelle öffentlich-
privater Kooperation, Altlastenproblematik), oder um abgeleitete Fragestel-
lungen aus anderen Fachpolitiken (z.B. Städtebau und Wir tschaft).
Insgesamt wird die Aktualität der Stadtumbau-Thematik durch zahlreiche
Vorarbeiten aus allen relevanten Fachdisziplinen belegt, wenngleich diese in
der Regel auf bestimmte Teilaspekte fokussiert sind. Die vorliegende For-
schungsarbeit versucht im Kontext dieser Forschungserkenntnisse, quer-
schnittsorientiert die komplexe Rolle von Stadtumbau als Teilstrategie einer
zukunftsbeständigen Stadtentwic klungsplanung herauszuarbeiten.
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1 71 7
Q U A L I T Ä T E N D E S S T A DQ U A L I T Ä T E N D E S S T A D T U M B A U S : Z I E L E D E R UT U M B A U S : Z I E L E D E R U N T E R S U C H U N GN T E R S U C H U N G
Im Zentrum der Untersuchung stehen die komplexen Zusammenhänge von
Entstehungsbedingungen, öffentlicher, politischer und fachlicher Diskussio-
nen sowie der Realisierung von Stadtumbauprojekten seit Anfang der 60er
Jahre in einer ausgewählten mittleren Großstadt. Die Stadtumbauprojekte
werden im Kontext des allgemeinen Stadtentwicklungs- und Stadterneue-
rungsprozesses in diesem Zeitraum betrachtet und damit u. a. auch in Z u-
sammenhang gestellt mit den lokalen Auswirkungen globaler Restrukturie-
rungsprozesse, der Orientierung der kommunalen Entwic klung an Leitbildern
im weitesten Sinne sowie mit der Herausbildung und Wirkungsweise lokaler
Macht- und Akteurskonstellationen.
Die Untersuchung setzt dabei Schwerpunkte auf bestimmte Blickwinkel und
Fragestellungen: So ist eine wichtige Frage die nach den angewandten Ver-
fahren und Instrumenten im j eweiligen zeitlichen Kontext sowie mögliche
Konsequenzen für die Prozess- und Pr oduktqualitäten. Gefragt wird zudem
nach der Rollenverteilung zwischen den verschiedenen Akteursgruppen im
Stadtumbauprozess und damit nach Machtverhältnissen in städtischen Ent-
wicklungsprozessen. Hierbei erscheint insbesondere das Verhältnis von ö f-
fentlichem und privatem Sektor bei der Planung und Realisierung von Stadt-
umbauprojekten von Bedeutung.
Ein weiterer wichtiger Untersuchungsaspekt sind die im Zuge von Stadtumbau
zum Tragen kommenden städtebaulichen und gesellschaftspolitischen Leit-
vorstellungen in ihrer lokalen Verortung, die zugleich ein Kriterium dafür
bilden, ob und mit welcher Reichweite Nutzungsänderungen auf innerstädti-
schen Standorten Wirkungen im Sinne von Stadtumbau zu erzielen vermögen.
Zudem wird vor dem Hintergrund, dass die Umnutzung innerstädtischer Flä-
chen häufig erhöhte, spezifische Anforderungen an die Stadtentwicklungs-
planung stellen, untersucht, ob und inwieweit es in der Fallstadt gelungen
ist, die Stadtentwicklung planerisch so zu steuern, dass zugunsten der poli-
tisch gewollten Nutzung einer Stadtumbaufläche (bezüglich Art, Maß und
Zeitpunkt der Nutzung) kontraproduktive Entwicklungen auf der Stadtumbau-
fläche selbst wie auf konkurrierenden peripheren Standorten vermieden wer-
den konnten - das Stadtumbauprojekt somit also positiv in eine gesamtstäd-
tische Entwicklungsperspektive integriert werden konnte.
Schließlich wird der Blick auch auf soziale, ökologische und kulturelle Poten-
tiale von Stadtumbauflächen und ihre Aktivierung oder auch Zerstörung
durch die Realisierung der untersuchten Stadtumbauprojekte gerichtet. A n-
gesprochen sind somit Regenerations- oder Naherholungsfunktionen, aber
auch Gelegenheiten zur Bewältigung von Folgeproblemen des Strukturwan-
dels: als Raum für selbstorganisierte, oftmals stadt(teil)verträglichere Stadt-
umbauprojekte, für alternative bzw. niedrigschwellige Wohn-, Arbeits- und
Kulturprojekte, für Zwischennutzungen zu ökonomischen und sozialen Kon-
ditionen, die unter regulären Bedingungen nicht oder nur schwer organisier-
bar wären.
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LÖCHER IN DER STADT – STRATEGIEN DES STADTUMBAUS
1 81 8
Mit der Auswahl Kassels als Untersuchungsgegenstand steht eine struktur-
schwache mittlere Großstadt mit starken altindustriellen Traditionen und
vereinzelten Wachstums- und Innovationssektoren im Mittelpunkt, deren
Stadtumbauprojekte der vergangenen 40 Jahre unter anderem durch ein brei-
tes Spektrum an Flächentypologien und Nachnutzungskonzepten sowie zum
Teil auch durch innovative planerische Verfahren und öffentlich-private Ko-
oper ationen gekennzeichnet sind.
Die Analyse von Kasseler Stadtumbauprojekten der vergangenen vier Jahr-
zehnte hat zum Ziel, Beiträge zu einer differenzierten Sicht auf die jüngere
Planungsgeschichte, zur lokalen Politikforschung wie auch zur
Weiterentwicklung planungstheoretischer und planungsmethodischer
Diskussionen zu leisten. Die Aufarbeitung der Funktion und Wirkung von
Stadtumbau soll jedoch auch Erkenntnisse hinsichtlich der Gestaltung
zukünftiger Stadtumbauprozesse zur Bewältigung d er anstehenden Aufgaben
und Probleme der Stadtentwicklung ermöglichen.
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1 91 9
U N T E R S U C H U N G S M E T H O DU N T E R S U C H U N G S M E T H O D I K : Z U M A U F B A U D E S FI K : Z U M A U F B A U D E S F O R S C H U N G S B E R I C H T SO R S C H U N G S B E R I C H T S
D o k u m e n t a t i o n d e s F o r s c h u n g s p r o j e k t sD o k u m e n t a t i o n d e s F o r s c h u n g s p r o j e k t s
Stadtumbau als Aufgabe und Strategie der Stadtentwicklung erweist sich als
ebenso vielfältiger wie komplexer Untersuchungsgegenstand. Die Konzeption
des Forschungsprojekts ist vor diesem Hintergrund darauf ausgerichtet, sich
„Stadtumbau“ von verschiedenen Seiten und unter unterschiedlichen G e-
sichtspunkten zu nähern. So befasst sich ein Teil der Beitr äge – orientiert an
den zugrunde liegenden Arbeitsthesen - mit der Verdichtung der gesammel-
ten Informationen zu Erkenntnissen bezüglich einzelner Kasseler Stadtum-
bauprojekte, der Gesamtmenge der untersuchten Projekte sowie auch zum
Instrument des Stadtumbaus. Demgegenüber öffnen andere Beiträge den
Blickwinkel über Thesen und Projekte hinaus auf weitere Zusammenhänge, in
denen Stadtumbau als Phänomen der Stadtentwicklung verortet ist: Dies u m-
fasst unter anderem einen differenzierten, in Teilen auch i nterpretierenden
Blick auf die Kasseler Stadtentwicklung im Untersuchungszeitraum, aber auch
eine Dokumentation und Einordnung externer Beiträge zu diesem Themen-
komplex, die beispielsweise im Rahmen von Kolloquien in das Forschungs-
projekt eingespielt wurden.
Die einzelnen Beiträge des Forschungsberichts bauen dementsprechend nur
bedingt aufeinander auf; vielmehr bilden sie ein Netzwerk an Informationen,
Einsichten und Erkenntnissen, wobei einzelne thematische Überschneidungen
bewusst beibehalten sind, um die jeweils gewählte Perspektive innerhalb
eines Beitrags angemessen darzustellen. Um die aus der Forschungsarbeit
abzuleitenden Erkenntnisse angemessen zu erschließen, besteht der Endbe-
richt des Forschungsbericht aus zwei Teilen: Im vorliegenden Forschungsbe-
richt sind neben der Darstellung des Forschungsansatzes die wesentlichen
Erkenntnisse aus der Untersuchung zusammengestellt; die Schlussbetrach-
tung konzentriert sich auf eine Einordnung der gewo nnenen Erkenntnisse in
den aktuellen planungswissenschaftlichen Diskurs. Dagegen wird das Spekt-
rum der sich auch strukturell zum Teil deutliche unterscheidenden Einzelbei-
träge, Materialien und Analysen in einem Dokumentationsband zusammenge-
stellt, der es nicht nur erlauben soll, die formulierten Ergebnisse im Einzel-
fall nachzuvollziehen, sondern zugleich auch wichtiges Material für weitere
Forschungen sowohl zum Phänomen des Stadtumbaus als auch zur spezifi-
schen Kasseler Stadtentwicklungsgeschichte verfügbar zu machen. Eine I n-
haltsübersicht des Dokumentationsbandes i st im Anhang des vorliegenden
Forschungsberichts dokumentiert (siehe Seite 89) .
D a t e n q u e l l e nD a t e n q u e l l e n
Die Erhebung von Primärdaten zur Kasseler Stadtentwicklung sowie insbe-
sondere zu den Stadtumbaustandorten in Kassel konzentrierte sic h im we-
sentlichen auf die folgenden Informationsquellen:
- das Archiv der lokalen Monopol-Tageszeitung „Hessisch-Niedersächsische Allgemeine“ (Auswertung der Tagespresse),
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LÖCHER IN DER STADT – STRATEGIEN DES STADTUMBAUS
2 02 0
- das Stadtarchiv der Stadt Kassel (Auswertung der Protokolle der Stadtverordnetenversammlung, des für Stadtentwicklung z u-ständigen Ausschusses sowie der Bau- und Planungskommissi-
on, die als Ausschuss des Magistrats fungiert) ,
- das Planungsamt der Stadt Kassel (Auswertung von Publikatio-nen und a nderen Materialien zur Stadtentwicklung bzw. Stadt-
umbaustandor ten),
- die Kasseler Universitätsbibliothek (Auswertung der Literatur
zur jüngeren Stadtgeschic hte), sowie
- das Informationssystem Planung des Fachbereichs Architektur, Stadtplanung, Landschaftsplanung der Universität Kassel (Aus-
wertung der Literatur zur jüngeren Stadtgeschichte sowie stu-dentischer wie wissenschaftlicher Arbeiten zur Stadtgeschichte
und zu Stadtumbaustandorten).
Darüber hinaus wurden 23 leitfadengestützte Interviews mit wichtigen A k-
teuren der Kasseler Stadtentwicklung durchgeführt, insbesondere die im
Untersuchungszeitraum amtierenden Oberbürgermeister, Stadtbaurätinnen
und – räte sowie Planungsamtsleiter. Darüber hinaus wurden weitere G e-
sprächspartner nach ihrer vermuteten oder bekannten Sachko mpetenz hin-
sichtlich der Kasseler Stadtentwicklung im allgemeinen oder bestimmter Teil-
aspekte ausgewählt, so zum Beispiel:
- Leiter bzw. leitende Mitarbeiter anderer Ämter des Baudezer-
nats bzw. der Stadtentwicklungsorganisation in der Verwaltung (z.B. Stabstellen beim Oberbürgermeister)
- Geschäftsführer von lokal engagierten Wohnungs- und Städte-baugesellschaften, aber auch anderer Institutionen,
- Stadtplanungs- / Städtebauprofessoren des 1972 gegründeten
Studiengangs Architektur, Stadtplanung, Landschaftsplanung an der damaligen Gesam thochschule (heute Universität) Kassel,
sowie
- planungspolitische Sprecher der in der Stadtverordnetenver-sammlung ver tretenen Parteien.
Mit Hilfe der Interviews konnten vielfältige Informationen, aber auch Ein-
schätzungen, Überzeugungen und Bewertungen zu Stadtentwic klung und
Stadtumbau in Kassel seit 1960 sichtbar gemacht werden. Im Dokumentati-
onsband ist eine zusammenfassende Auswertung dieser Interviews, kombi-
niert mit wesentlichen Auszügen aus den Gesprächsprotokollen, enthalten.
I n t e r p r e t i e r e n d e S t a d t e n t w i c k l u n g s g e sI n t e r p r e t i e r e n d e S t a d t e n t w i c k l u n g s g e s c h i c h t ec h i c h t e
Ein zentraler Baustein zur Erfassung des Phänomens Stadtumbau in Kassel
seit 1960 ist die Aufarbeitung der allgemeinen Entwicklungsgeschichte der
Stadt in diesem Zeitraum. War zunächst ausschließlich eine knappe, deskrip-
tiv-schematische Darstellung wesentlicher Personen und Ereignisse als Hin-
tergrundfolie für die zu untersuchenden Stadtumbauprojekte vorgesehen, so
zeigte sich im Verlauf der Forschungsarbeit sehr schnell, dass dies allein
keine ausreichende Basis für eine qualifizierte Einordnung der Stadtumbau-
projekte in den Kontext der gesamtstädtischen Entwicklung bieten kann, da
Stadtumbauprojekte häufig sehr eng mit spezifischen Phasen, Abläufen und
-
FORSCHUNGSBERICHT
2 12 1
personellen Konstellationen in der Stadtentwicklung in Verbindung stehen.
Diese sind vielfach nur bedingt objektivierbar und allein durch eine schema-
tische Betrachtung nicht zu erfassen; die Dokumentation wichtiger (in der
Regel subjektiver) Aussagen aus den bereits erwähnten Interviews s owie die
vorgenommene Kommentierung durch die Verfasser im Dokumentationsband
ist Ausdruck des Stellenwerts spezifischer Sichtweisen auf Stadtentwicklung
und Stadtumbau.
Der Beginn des Untersuchungszeitraums um 1960 ist aus dem zu diesem
Zeitpunkt auch in Kassel in fortgeschrittenem Maße realisierten Wiederaufbau
hergeleitet. Hierbei handelt es sich jedoch keineswegs um eine Zäsur in der
Stadtentwicklung, vielmehr wirken lange „rote Fäden“ der Stadtentwicklung in
den Untersuchungszeitraum hinein (und wieder heraus). Der Stadtentwic k-
lungsgeschichte ab 1960 vorangestellt w urde daher eine ebenfalls im Doku-
m entationsband enthaltene Betrachtung der den Untersuchungszeitraum
prägenden, übergreifenden Entwicklungslinien Kassels.
F a l l m o n o g r a p h i e nF a l l m o n o g r a p h i e n
Umfasste das Spektrum der geplanten Untersuchungsfälle im Rahmen der
Erstellung des Forschungsantrags noch ca. 24 Projekte, so verdreifachte sich
diese Zahl im Verlauf des Forschungsprojekts nahezu auf 70 Projekte, b e-
dingt durch Hinweise aus Archivrecherche und Interviews sowie durch das
letztlich dem Forschungsprojekt zugrundegelegte Ver ständnis von Stadtum-
bau.
Die zu den einzelnen Projekten verfügbaren Informationen wurden nach e i-
nem definierten Kriterienkatalog verarbeitet, wobei sich hier zwangsläufig
höchst unterschiedliche Datendichten ergaben. Als Kriterien erfasst wurden
unter anderem Aussagen zu: stadträumlicher Lage, Eigentümern und Nut-
zung, Standort- bzw. Nutzungsgeschichte, Planungszielen und -strategien,
Planungs- und Realisierungszeitraum, Verfahren und Instrumenten, Kosten,
Finanzierung und Förderung, wesentlichen Hindernissen und Begünstigun-
gen, wesentlichen Verfahrensbeteiligten, Formen öffentlich-privater Koope-
ration, Rezeption in der Stadtöffentlichkeit, kommunalpolitischem Stellen-
wert, sowie zur Einschätzung des Erfolgs bzw. der Auswirku ngen für die
Stadt- und Stadtteilentwicklung.
Die im Dokumentationsband enthaltenen Fallmonographien stellen eine g e-
wichtete Auswertung der für die jeweiligen Projekte verfügbaren Informatio-
nen dar; sie sollen einen knappen Überblick über das Spektrum der unter-
suchten Fälle vermitteln und z ugleich die jeweiligen Merkmale und Besonder-
heiten der Projekte herausstellen.
T y p o l o g i s i e r u n g u n d A n a l y s e d e r S t a d t u m b a u p r o j e k t eT y p o l o g i s i e r u n g u n d A n a l y s e d e r S t a d t u m b a u p r o j e k t e
Aufbauend auf der deskriptiven Aufarbeitung der 70 untersuchten Stadtum-
bauprojekte wurden diese typologisiert und dem Erkenntnis interesse des
Forschungsprojekts entsprechend analysiert.
In einem ersten Schritt wurden die untersuchten Projekte hinsichtlich dreier
grundlegender Merkmale analysiert, nämlich der Vornutzung, der Nachnut-
zung sowie der prägenden A nlässe für die Umnutzung. Auf diese Weise e r-
gibt sich ein vielfältiges Bild des Stadtumbaugeschehens in Kassel, das
zugleich deutliche Gewichtungen für bestimmte Typen des Stadtumbaus auf-
-
LÖCHER IN DER STADT – STRATEGIEN DES STADTUMBAUS
2 22 2
zeigt. Daran anschließend wurden die Projekte auf Verfahrens- und Prozess-
merkmale hin unter sucht – mit dem Ziel, ggf. Zusammenhänge zwischen
bestimmten Ver fahrensarten und bestim mten Prozess- und Produktqualitäten
zu ermitteln. Ein weiterer Untersuchungsabschnitt widmet sich schließlich
der Funktion und Rolle öffentlicher und privater Akteure innerhalb von Stadt-
umbauprozessen; Untersuchungsgegenstand ist dabei im besonderen die
Funktion des Veranlassers, die Rolle von Stadtpolitik und –planung, Formen
öffentlich-privater Kooperation sowie das spezifische Verhältnis zwischen
Stadt und öffentlichen bzw. privaten Akteuren.
Darüber hinaus richtet sich ein weiterer Blickwinkel der Untersuchung auf
Leitbilder im weitesten Sinne; gefragt wurde nicht nur nach städtebaulichen
Leitbildern, sondern auch nach gesellschaftspolitischen Handlungsmaximen,
sofern sie in Stadtumbauprozessen zum Ausdruck kamen. Unter dem Stic h-
wort „Stadtumbau und kommunales Flächenmanagement“ werden im A n-
schluss der kontextuelle Bezug der Stadtumbauprojekte, Auswirkungen auf
Stadt und Quartier, das Maß an Interessensübereinstimmung o der –divergenz
zwischen der Gesamtstadt und dem betreffenden Stadtteil, Finanzierungs-
merkmale und stadtökonomische Fragestellungen betrachtet. Den letzten
Untersuchungsaspekt bilden soziale, kulturelle und ökologische Potentiale,
verbunden mit der Frage, o b diese im Zuge von Stadtumbauprojekten ermög-
licht, durch externen Widerstand durchgesetzt oder zerstört wurden. Die
Ergebnisse dieser Analyse sind ebenfalls im Dokumentationsband dargestellt.
K o l l o q u i e nK o l l o q u i e n
Im Verlauf des Forschungsprojekts wurden zwei Kolloquien durchgeführt.
Das erste Kolloquium im Mai 2001 diente dazu, auf Grundlage erster Zwi-
schenergebnisse die Methodik sowie weitere Schwerpunktsetzungen des Pro-
jektes zu diskutieren. Teilgenommen haben Wissenschaftler der Universität
Kassel aus den Bereichen Stadtplanung, Stadtsoziologie, Wirtschaftswissen-
schaften und Politikwissenschaften.
Das zweite Kolloquium war dagegen stärker auf inhaltliche Dimensionen des
Stadtumbaus ausgelegt: Unter dem Titel „Stadtumbau als Teilstrategie eines
räumlichen und gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses" wurden in einer
zweitägigen Veranstaltung unterschiedliche D imensionen und Sichtweisen auf
den Forschungsgegenstand „Stadtumbau“ thematisiert. Diskussionsgrundlage
waren neben Beiträgen aus dem Arbeitsprozess des Forschungsprojekts R e-
ferate der folgenden Wissenschaftler und Fachleute: Prof. Dr. Heinrich Mä-
ding, Leiter des Deutschen Instituts für Urbanistik, Berlin, Prof. Dr. Erika
Spiegel, Soziologin, Heidelberg, PD Dr. Dirk Schubert, Stadtplaner, Hamburg,
Dr. Werner Heinz, Stadtplaner, Köln, PD Dr. Susanne Hauser, Kulturwissen-
schaftlerin, Berlin, Dr. Irene Wiese von Ofen, Stadtplanerin, Essen und Prof.
Dr. Harald Bodenschatz, Soziologe und Stadtplaner, Ber lin.
Eine Zusammenfassung wesentlicher Ergebnisse der Kolloquien, ergänzt
durch einzelne Beiträge im Original, enthält der Dokumentationsband.
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G E G E N S T A N D D E R U N T EG E G E N S T A N D D E R U N T E R S U C H U N G : D I E F A L L S TR S U C H U N G : D I E F A L L S T A D T K A S S E LA D T K A S S E L
E I N F Ü H R U N G I N D E N U NE I N F Ü H R U N G I N D E N U N T E R S U C H U N G S G E G E N S T A NT E R S U C H U N G S G E G E N S T A N DD
P r ä g e n d e M e r k m a l e d e r S t a d t K a s s e lP r ä g e n d e M e r k m a l e d e r S t a d t K a s s e l
Typologisch lässt sich Kassel heute charakterisieren:
� als schrumpfende mittlere Großstadt mit einer Bevölkerung, die seit einigen Jahren deutlich unter die 200.000er Grenze gefallen
ist und weiter fällt;,
� als relativ isoliertes Oberzentrum einer strukturschwachen Region
mit ca. 1 Mio. Einwohner,
� mit Arbeitslosenziffern um 14% gehört Kassel heute ebenso wie in den 1950er Jahren zu den Schlusslichtern in Westdeutschland, die
heutige Zahl der Sozialhilfeempfänger ist die höchste in den alten Bundes ländern,
� als Stadt, die im Aufbau nach dem Zweiten Weltkrieg ähnlich Han-nover und Kiel, Rotterdam und Coventry die städtebauliche Neu-ordnung in den Vordergrund g estellt hat und heute vor diesem
Hintergrund ähnliche stadtstrukturelle Probleme zu b ewältigen hat wie diese.
Über solche eher grobe Zuordnungen hinaus hat Kassel auf städtebaulichem
Gebiet auch immer wieder bestimmte markante „Spitzen- bzw. Vorreiter -
Positionen“ b esetzt:
� In den 1920er Jahren als Vorreiter in der Stadterneuerung,
� in den 1930er Jahren als einzige Stadt im Reich, deren ko nkrete Planung Aufmar schachsen nicht nur im Zentrum sondern systema-tisch auch in den Stadtbezirken vorsah,
� als einzige Stadt der Bundesrepublik, die dies auch noch nach 1945 nicht aus den Wiederaufbau-Plänen getilgt hatte, und schließlich
� in den 1950er Jahren als die Stadt, die – offensichtlicher Verknüp-fungspunkt mit unserer Studie – den wohl drastischsten Stadtum-
bau der neuen Bundesrepublik nicht nur plante, sondern über eine vom Umfang her beispiel lose Kommunalisierung von über 850 Grundstücken auch realisierte. Dieser beinhaltete den Neuaufbau
der gesamten Altstadt als vorortartige Wohninsel in der Verkehrs-brandung des Innenstadtrings: Leuchtendes Vorbild für Pilgerrei-
sen von Architekten aus ganz Deutschland, das sich a llerdings später als Innovationsfalle herausstellte, d ie in den 1950er Jahren nicht einfach zuschnappte, sondern sich in den 1960er Jahren z u-
zog, als straßenbegleitendes Grün, Rad- und Fußwege immer wei-ter in Autoverkehrsflächen umgewandelt wurden - allem Anschein
nach eine Stadt, deren immer wieder aufscheinende Planungsfreu-de lange auf wenig effektiven Widerstand traf.
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LÖCHER IN DER STADT – STRATEGIEN DES STADTUMBAUS
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Bei näherem Hinsehen entpuppen sich diese Befunde als Elemente autoritär
verordneter Modernisierungsstrategien, deren Wurzeln weiter zurückreichen
als der fordistische Kontext, in dem sie ents tanden. Und es sind Motive, rote
Fäden aus einem wirtschaftlichen, kulturellen und geschichtlichen Hinter-
grund, die in unserer Untersuchung immer wieder in Erscheinung tr eten.
G r u n d z ü g e d e r E n t w i c k l u n g v o n S t a d t u n d W i r t s c h a f tG r u n d z ü g e d e r E n t w i c k l u n g v o n S t a d t u n d W i r t s c h a f t
Kassel vor der Zerstörung 1943, das war durchaus einer der „Charakterköpfe
der Kultur“, als die Fritz Schumacher 1949 rückblickend die zerstörten Städte
Deutschlands beschrieb. Eine Residenzstadt mit einem außergewöhnlich rei-
chen kulturellen Erbe, mit einer der europaweit herausragenden Parkanlagen
aus Renaissance- und Barockzeit, darüber hinaus eine Verwaltungs- und
Garnisonsstadt und schließlich eine bedeutende Industriestadt mit den
Schwerpunkten in den Bereichen Textil-, Fahrzeug- und Maschinenbauin-
dustrie.
Zwar teilte Kassel frühe städtebauliche Strukturelemente mit Berlin: Die gro-
ßen Blocks der Hugenottenstadt neben der verwinkelten mittelalterlichen
Altstadt und eine Achse, die vom 19. Jh. an die Richtung für den Auszug des
Bürgertums vorgab, der in beiden Städten unter dem identischen Motto „der
Zug nach dem Westen“ erfolgte.
Aber anders als in Berlin haben sich die Bürger der Residenz- und
Garnisonsstadt Kassel der ausgeprägten Abhängigkeit vom Landesherrn
kaum entziehen können. Selbst als a ndernorts der Liberalismus Einzug hielt,
blieb die Identität der Stadt in hohem Maße durch den kurhessischen Hof
bestimmt. Bis 1866, als das wirtschaftlich stagnierende und politisch
reaktionäre Kurhessen durch Preußen übernommen wurde, kann man von der
Exis tenz eines eigenständigen Bürgertum s, das etwa in der Lage gewesen
wäre, eine von der direkten merkantil istischen Lenkung unabhängige
Industriepolitik zu betreiben, nicht sprechen. Ausgenommen war eine kurze
Periode der G ewerbefreiheit unter Napoleonischer Besatzung 1806 – 1814.
Die Folge w ar, dass sich die Mehrzahl der gewerblichen Betriebe außerhalb
der Zollmauern der Stadt befand.
Insgesamt stand Kurhessen am Ende seiner staatl ichen Selbständigkeit als
ein wenig industrialisiertes Land da. Nur ein Drittel der arbeitsfähigen männ-
lichen B evölkerung war in Handel und Gewerbe beschäftigt, davon wiederum
galt die Hälfte als selbständig erwerbstätig: d.h. das Gewerbe verharrte im
wesentlichen bei handwerklich-kleinbetrieblichen Formen.
Der Übernahme durch Preußen folgte eine lebhafte wirtschaftliche Belebung,
massiv konzentriert in zwei Produktionsbereichen: Textilindustrie und M a-
schinenbau. Damit setzte ein ausgeprägter Segregationsprozess ein, wie wir
ihn aus vielen Städten kennen:
� Im Norden und Osten der Stadt expandierten jene Industriebetrie-be, die mit dem Niedergang der Schwerindustrie nach dem Zweiten
Weltkrieg die größten unter den L öchern in der Stadt hinterließen, mit denen sich unser Projekt b efasst.
� Im Westen entwickelte sich unter der Führung des Kasseler Textil-unternehmers Aschrott die bürgerliche Stadt, Magnet für die zah-lungskräftigeren Bewohner der Altstadt, die nun z unehmend zum
Wohnort für Arbeiter wurde.
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FORSCHUNGSBERICHT
22 55
Schon 1885, mit den für viele Städte üblichen Fluchtlinienplänen, setzten
dann jene Sanierungsgedanken ein, die als Vorläufer der Planung zur Block-
entkernung und Straßenverbreiterung in den 1920er und 1930er Jahren gel-
ten können, Vorläufer der schließlich realisierten Strukturen im Neuaufbau
nach 1945.
Wenige große Akteure dominierten die stadtstrukturelle Entwicklung: In den
zeitgenössischen Karten treten neben dem vom Unternehmer Aschrott
machtvoll geprägten Wohnungsbau im Westen der Stadt vor allem der Bahn-
hof und die Großblöcke der Kasernen in E rscheinung.
Nach dem 1. Weltkrieg blieb die einseitig schwerindustrielle Struktur beste-
hen. Kassel, als Stadt im vermeintlich luftkriegssicheren Raum, stieg zu e i-
nem der wichtigsten Zentren der Rüstungsproduktion im Reich auf – einer
der Gründe für die besonders gründliche Zerstörung 1943?
Vor dem Hintergrund der Panzer der Henschelwerke und der Flugzeugwerke
im Südosten der Stadt gelang es Kassel immer wieder, Zugang zu besonderen
städtebaulichen Fördertöpfen zu erlangen: Sei es 1941 als „Gauhauptstadt“
mit Umbauplanungen nach dem erklärten Vorbild Berlins alias Germania oder
1943 als „Wiederaufbaustadt des Führers“.
K a s s e l i m A u f b a u n a c h d e m Z w e i t e n W e l t k r i e gK a s s e l i m A u f b a u n a c h d e m Z w e i t e n W e l t k r i e g
Für radikale Wiederaufbau-Konzepte schien der besonders hohe Zerstö-
rungsgrad der I nnenstadt eine ideale Tabula-rasa-Situation zu bieten. So war
es verführerisch, die erhaltenen G ebäude und Strukturen hinwegzureden und
bis in die 1960er Jahre hinein das unzutreffende Klischee einer vollständig
zerstörten Innenstadt zu pflegen: Ein inszenierter Gedächtnisverlust im Sinne
der Modernisierung. Das Klischee diente aber auch dazu, Auseinanderset-
zungen mit der Denkmalpflege zu vermeiden, die rasch qualifizierte Vorstel-
lungen über die Instandsetzung teilzerstörter Ensembles entwickelte.
Ein ideales Aufgabengebiet also zunächst 1944 für Speers Wiederaufbau-
Stab. Zwar wurde von dessen Planungen für Kassel keine realisiert. Doch sie
erwiesen sich als Probelauf für das Geschehen nach Kriegsende: Für die per-
sonelle Kontinuität des Stadtbaurats Heinicke und des späteren Planungs-
amtsleiters Hasper, ebenso wie für die übrigen Beteiligten, die als Teilneh-
mer des Wettbewerbs von 1947 wieder auftraten.
In wesentlich höherem Maße eklatant war der im Nachkriegsdeutschland ein-
malige Befund, dass die Wiederaufbau-Ausstellung des Stadtplanungsamtes
1946 ganz einfach die Gauhauptstadtplanung präsentierte, mitsamt ihrer
flächendeckenden Anwendung des Prinzips „Ortszelle als Siedlungsgruppe“
mit Aufmarschachsen, für die in den Stadtbezirken umfangreiche Abrisse zu
tätigen gewesen wären. Zwar wurde die Ausstellung aufgrund öffentlicher
Proteste geschlossen u nd die Stadtverordnetenversammlung beschloss gegen
den Wunsch der Verwaltung einen Wiederaufbau-Wettbewerb für 1947. Doch
der Stadtbaurat blieb im Amt und tätigte noch bis 1949 entscheidende Wei-
chenstellungen.
Die Parteien hielten sich mit Protesten zurück, mit Ausnahme der KPD. Die
SPD händigte dem Stadtbaurat gar das Parteibuch aus – möglicherweise ein
Grund dafür, dass sich deren lokale Parteigeschichte bisher nicht mit den
ersten Nachkriegsjahren beschäftigt hat.
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LÖCHER IN DER STADT – STRATEGIEN DES STADTUMBAUS
2 62 6
Damit war diese entscheidende Politiker position für Jahre für einen mögli-
chen Protagonisten des wahren Neubeginns verschlossen. Verständlich, dass
die am Aufbau interessierte Ö ffentlichkeit resignierte. Sie hatte sich ja trotz
Not, Mangel und Evakuierung interessiert an der Mitgestaltung gezeigt und
wartete mit Vorschlägen auf, denen die Stadt jedoch bestenfalls aus „psycho-
logischen Gründen“ ihr Interesse bekundete.
Es macht Sinn, einen Moment lang bei dieser kassel-spezifischen resignati-
ven Situation der Nachkriegszeit zu verweilen, weil sie ein entscheidender
Angelpunkt für das Verständnis des folgenden Aktes ist, in dem sich der
Verzicht der Innenstadtbevölkerung auf den Wiederaufbau ihrer Häuser, ja
die vollständige Aufgabe der historischen Identität der Altstadt vollzieht.
Vieles kommt zusam men: Dazu gehören das von Historikern und Kulturfor-
schern immer wieder attestierte schwach ausgeprägte bürgerliche Bewusst-
sein in einem u ngebrochen obrigkeitsstaatlich geprägten Umfeld und die
offensichtliche Machtlosigkeit angesichts der soeben beschriebenen Vorgän-
ge, und eine aussichtslos erscheinende wirtschaftliche Situation:
Die wenigen Großbetriebe zusammengebrochen und, in ihrer einseitigen
Ausrichtung auf Rüstungsindustrie, offensichtlich ohne Zukunft. Das Hinter-
land weggebrochen, Verwaltungsstellen nach Südhessen verlagert, von
225.000 Einwohnern vor der Bombardierung 1950 nur noch 160.000 übrig
(1945: 71.000). Aus dem wirtschaftlichen Oberzentrum am Kreuzungspunkt
wichtiger Nord-Süd- und Ost-West-Verkehrsachsen war eine strukturschwa-
che Stadt im „Zonenrandgebiet“ geworden, die ohne öffentliche Mittel kaum
wirtschaftlich überlebensfähig war. Trotzdem b ewirbt sich Kassel 1948 um
den Sitz der provisorischen Bundeshauptstadt und wird überraschenderweise
sogar in die engere Auswahl aufgenommen.
Angesichts der Perspektivlosigkeit erwuchs den Plänen und Verfahren für
eine durchgreifende, „vollständige Modernisierung“ kaum Widerstand. Die
1948 erlassene Bausperre erlaubte der Stadt, großflächig den Grund und
Boden zu erwerben, um danach einheitlich, schnell und großzügig nach e i-
nem geschlossenen Konzept neu bauen zu können. Die Vorstellungen einer
„Moderne“, die mit den Planungen für die Blockentkernungen und Straßen-
durchbrüche der späten 1920er Jahre begann, die Vorstellungen der NS-
Planer, die den großflächigen Zugriff auf städtischen Boden bereits 1937 mit
ihrem Gesetz zur Neugestaltung der deutschen Städte geregelt hatten, und
auf das sich Heinicke anfangs berief, fließen hier, rein instrumentell betrach-
tet, zusammen mit den Moderne-Vorstellungen der Sozialdemokratie der
Nachkriegszeit. In Bezug auf die Beseitigung der tradierten Parzellenstruktur
ist das Ergebnis das gleiche. Gerade hierin sahen die Planer damals den b e-
sonderen Fortschritt. Die Vorgehensweise zum Aufbau in Form von Aufbau-
gemeinschaften, w ie sie in Bremen und NRW vielerorts Anwendung fand, ist
in Kassel nicht einmal diskutiert wo rden.
So wurde es möglich, die Altstadt unter weitgehender Aufgabe des histori-
schen Grundrisses im Rahmen eines wiederum in Deutschland einzigartigen
Stadtumbaus als siedlungsartiges Gebilde aufzubauen.
Es handelt sich hier um einen Sonderfall des fordistischen, nämlich des sozi-
alstaatlichen Entwicklungsmodells. Sozialstaatlich, weil die Elemente der
fordistischen M odernisierung, das funktionalistische Stadtmodell a us City,
Großsiedlungen und verbindenden, leistungsfähigen Straßen maßgeblich über
öffentliche Verfahren und mit öffentlichen Subventionen realisiert wu rden.
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FORSCHUNGSBERICHT
2 72 7
Sonderfall, weil im Mittelpunkt nicht einfach die City, sondern die Kombina-
tion von City und Wohnsiedlung (mit Läden für den täglichen Bedarf) stand.
Der besondere Erfolg, den die Zeitgenossen in diesem speziellen Aspekt
sahen, lag in der durchgreifenden Kommunalisierung des Bodens. Diese g e-
lang in viel größeren Maße als die, mit dem etwa Hannovers Kr euzkirchen-
viertel aufwarten konnte: Die Zahl der Eigentümer von Kassels Altstadtpar-
zellen schnurrte dramatisch zusammen – eine Voraussetzung für die Bebau-
ung vor al lem durch die großen Wohnungsbaugesellschaften. Sie waren die
einzigen, die die dringend benötigten Wohnungen für die 7.600 Altstadtbe-
wohner aus dem Boden stampfen konnten. Da sie hier vor allem ihre Erfah-
rung aus ihrem eher ländlich orientierten Wirkungsfeld des vorangegangenen
Jahrzehnts einbrachten, standen die Siedlungsbilder der ab 1936 g ebauten
Vierjahresplansiedlungen Cornberg und Sontra eigenartigerweise im Mittel-
punkt der fordistischen „Neuen Stadt auf altem Grund.“
Der faktische Aufbau begann nach Aufhebung der Bausperre erst 1951. Im
Bereich der ehemaligen Altstadt erfolgte er dafür in der Regie der öffentli-
chen Wohnungsbaugesellschaften b esonders zügig. Das im Verhältnis zu
anderen Städten späte Einsetzen bot die Gelegenheit, die modernsten Prob-
lemlösungen zu berücksichtigen und damit eine besonders durchgreifende
„vollständige“ Modernisierung zu verwirklichen – am auffälligsten im Bereich
des Autoverkehrs und in der neuen Funktionsgliederung in Wohnbereiche
und Geschäfts - und Andienungszonen mit Parkplätzen. Letztere entstanden
im Bereich der barocken Oberneustadt.
Schnell wurden die Realisierungen der Stolz des neuen Stadtbaurats, Wolf-
gang Bangert. Die Altstadt, sagte er, „hat nichts mehr gemein mit dem alten
verwinkelten Baugewirr. Allenthalben Grünflächen und Abstellflächen für den
ruhenden Verkehr“. Und „In der kühlen nordhessischen Wesensart hat man
sein Herz nicht an Vergangenes gehängt.“
So wurde Kassel geradezu Musterstadt des Aufbaus, Modellprojekt der for-
distischen Moderne. Unter seinen ersten drei sozialdemokratischen Oberbür-
germeistern schrieb Kassel Geschichte: mit der ersten Documenta 1955, der
Bundesgartenschau, der Fußgänger - und Treppenstrasse, Parkhochhäusern,
sogar mit Hubschrauberlandeplatz, Fußgängertunnels, Ringstraßen, moder-
nen Kreuzungen, Pionieren des Rechtsabbiegeverkehrs, den Großsiedlungen.
Die Berliner Zeitung analysierte: „Man hat den Mut gehabt, länger als andere
in Lumpen zu gehen, zu überlegen, zu warten... Es wurde nicht restauriert,
nicht sentimentalisiert.“
K A S S E L I M U N T E R S U C H UK A S S E L I M U N T E R S U C H U N G S Z E I T R A U M 1 9 6 0 B I SN G S Z E I T R A U M 1 9 6 0 B I S 2 0 0 2 2 0 0 2
S o z i o ö k o n o m i s c h e S i t u a t i o nS o z i o ö k o n o m i s c h e S i t u a t i o n
Generell steht der Anfang der 60er Jahre in Kassel, wie in der gesamten Bun-
desrepublik, noch voll im Zeichen des „Wirtschaftswunders“ der Wiederauf-
bauzeit. Die Stadt prosperiert und richtet sich auf weiteres Wachstum ein.
Abzulesen ist dies unter anderem an der Bevölkerungsentwicklung. Die star-
ke Bevölkerungszunahme der 50er Jahre setzt sich noch bis 1965 ungebro-
chen fort und pendelt sich in den Folgejahren auf e inem Rekordniveau von
fast 215 000 Menschen ein. Mit der Wir tschaftskrise 1973 setzt in Kassel ein
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LÖCHER IN DER STADT – STRATEGIEN DES STADTUMBAUS
2 82 8
Schrumpfungsprozess bis auf 184 000 Einwohner im Jahre 1986 ein. In der
Zeit vor und nach der Wiedervereinigung 1990 gewinnt die Stadt wieder neue
Einwohner und erreicht für einige Jahre erneut die magische Grenze von 200
000. Seit 1997 gehört Kassel wiederum zu den schrum pfenden Städten und
hat derzeit noch etwa 195 000 Einwohner. Die Einwohnerentwicklung ist zum
Teil natürlich eng verknüpft mit der wirtschaftlichen Gesamtentwicklung und
der ökonomischen Situation der Region Nordhessen. Kassel als eine Stadt im
strukturschwachen Raum war vom Ende der bundesrepublikanischen Wachs-
tumsphase Anfang der 70er Jahre überproportional stark betroffen und seit-
dem stark von Transferleistungen wie der Zonenrandförderung abhängig. Die
mit der Grenzöffnung und der Wiedervereinigung verbundene Hoffnung auf
Standortvorteile durch eine neue Zentralität b escherte der Stadt einen kurzen
Aufschwung, hatte aber nicht die erhofften längerfristigen Effekte. Der dra-
matische Bevölkerungsverlust zwischen 1973 und 1986 von über 30.000
Einwohnern ist darüber hinaus aber noch stark in der hessischen Gebietsre-
form 1973 begründet, durch die Kassel keine Eingemeindungen verzeichnen
konnte. Die allgemein zu verzeichnende Stadtrandwanderung der Besserver-
dienenden kommt im Großraum Kassel deshalb fast ausschließlich den Um-
landgemeinden zugute.
Bevölkerungsentwicklung in KasselBevölkerungsentwicklung in Kassel
165.000
170.000
175.000
180.000185.000
190.000
195.000
200.000
205.000210.000
215.000
220.000
1960
1962
1964
/196
5
1966
1969
1971
1973
1975
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1979
1981
1983
1985
1987
1989
1991
1993
1995
1997
1999
JahrJahr
Ein
wo
hn
er
Ein
wo
hn
er
Arbeitslose und Arbeitslosenquote im Hauptamtsbezirk Kassel ab Arbeitslose und Arbeitslosenquote im Hauptamtsbezirk Kassel ab 1948 1948
02.0004.0006.0008.000
10.00012.00014.00016.00018.00020.00022.000
1948
1951
1954
1957
1960
1963
1966
1969
1972
1975
1978
1981
1984
1987
1990
1993
1996
1999
An
zah
l
0,0
5,0
10,0
15,0
20,0
25,0
%
ArbeitsloseArbeitslose ArbeitslosenquoteArbeitslosenquoteHauptamt Stadt Kassel - Statistikstelle -Quelle: Arbeitsverwaltung Kassel
-
FORSCHUNGSBERICHT
2 92 9
Schuldenstand in KasselSchuldenstand in Kassel
0
100.000
200.000
300.000
400.000
500.000
600.000
700.000
800.000
900.000
1960
1962
1964
/196
5
1966
1969
1971
1973
1976
1978
1980
1982
1984
1986
1988
1990
1992
1994
1996
1998
Jahr
DM
(B
etr
ag
in
1.0
00
DM
)
Anteil des sekundären Sektors an der Beschäftigung in Kassel 1960 - 2000
46,8%41,0% 43,0%
27,3% 28,5% 29,3% 25,1% 26,8% 22,2%
82.000
84.000
86.000
88.000
90.000
92.000
94.000
96.000
98.000
100.000
102.000
1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 19990%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
90%
100%
Beschäftigte davon sekundärer Sektor in %
P o l i t i s c h e R a h m e n b e d i n g u n g e nP o l i t i s c h e R a h m e n b e d i n g u n g e n
Kennzeichnend für die politische Situation Kassels ist die traditionelle, bis in
die 90er Jahre ungebrochene Dominanz der Sozialdemokratie. Seit der Grün-
dung der Bundesrepublik kann die SPD in Nordhessen fast durchgängig auf
eine ähnlich gesicherte Basis setzen wie die CSU in Bayern. In den Landkrei-
sen besteht diese sozialdemokratische H egemonie bis heute fort, in der Stadt
Kassel konnte die SPD bis zum Beginn der 80er Jahre auf absolute Mehrheiten
bauen. Unter Hans Eichel, der 1975 zum Oberbürgermeister gewählt wird,
arbeitet die SPD von 1981 bis 1985 zum ersten Mal in Deutschland mit den
Grünen zusammen, danach können die Sozialdemokraten noch für 2 Legisla-
turperioden auf absolute Mehrheiten zurückgreifen, bevor 1993 ein tiefer
Absturz von ehemals über 50% auf unter 30% erfolgt. Zum ersten Mal stellt
die CDU 1993 die Mehrheitsfraktion, d er Christdemokrat Georg Lewandowski
amtiert seitdem als direkt gewählter Oberbürgermeister. Mit der Kommunal-
wahl 1997 wird die SPD erneut stärkste Fraktion in der Stadtverordnetenver-
sam mlung, es gelingt aber nicht, langfristig stabile Mehrheiten zu erreichen.
In schnellem Wechsel kommt es ab 1997 zu Kooperationen zwischen Grünen
und SPD, CDU und SPD und ab 2003 schließlich zu einer Zusammenarbeit von
CDU und Grünen.
-
LÖCHER IN DER STADT – STRATEGIEN DES STADTUMBAUS
3 03 0
Ergebnisse Kommunalwahlen in KasselErgebnisse Kommunalwahlen in Kassel
0,0
10,0
20,0
30,0
40,0
50,0
60,0
70,0
in P
roze
nt
SPD 54,4 57,9 53,7 57,1 48,6 45,4 51,7 50,5 29,8 36,0 35,7
CDU 25,4 27,4 27,6 33,1 42,3 41,3 33,6 29,5 36,9 33,0 35,5
FDP 14,3 10,7 11,5 8,5 6,5 6,0 5,7 6,6 7,7 3,3 5,2
Grüne 6,7 8,5 12,3 14,0 15,6 17,1
1960 1964 1968 1972 1977 1981 1985 1989 1993 1997 2001
S t ä d t e b a u l i c h e M o d e r n eS t ä d t e b a u l i c h e M o d e r n e
Städtebauliches Merkmal des Wiederaufbaus in den 50er Jahren mit dauer-
haften Auswirkungen auf Stadtbild und Stadtstruktur ist die konsequente
Umsetzung der Prinzipien der Moderne. Durch drastische bodenrechtliche
Maßnahmen wird die zerstör te Altstadt durch die Neubebauung unkenntlich
gemacht, d er Großteil der erhaltenswerten stadtbildprägenden Gebäude wie
beispielsweise das Theater am Friedrichsplatz durch m oderne Neubauten
ersetzt und mit der Treppenstrasse Deutschlands erste Fußgängerzone g e-
schaffen. Kassel wird dadurch zu einem international beachteten Vorzeige-
objekt der städtebaulichen Moderne. Nennenswerte Kritik an der Überfor-
mung tr aditioneller Strukturen ist nicht zu verzeichnen. Der eingeschlagene
Weg wird deshalb auch in den folgenden Jahren konsequent weiterverfolgt.
Zur Deckung der Wo hnraumnachfrage werden in den 60er und bis weit in die
70er Jahre nach dem Prinzip der Funktionstrennung auch in Kassel Großsied-
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