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Allg. Pädagogik II 1
Allgemeine Pädagogik IIRenate Buchmayr
Es gibt für jedes Problem eine einfache Lösung – und die ist falsch (Umberto Eco)
Allg. Pädagogik II 2
Vorlesungsmodule
I. Pädagogik/ErziehungswissenschaftPosition, wissenschaftstheoretische Grundlagen
Begriffe, Methoden, theoretische Konzepte, Ideengeschichte
II. Pädagogische Anthropologie
III. Menschenbilder in der PädagogikIV. Erziehung zwischen Moderne und
Postmoderne
Allg. Pädagogik II 3
Pädagogik/ErziehungswissenschaftEntwicklung
• Unreflektierte Gewöhnung und Tradierung• Philosophie/Theologie/Normativität• Eigenständigkeit als wissenschaftliche Disziplin
(18./19. Jahrhundert)• Wende von der geisteswissenschaftlichen Pädagogik
zur empirischen Erziehungswissenschaft• Pädagogische Anthropologie als Basiswissenschaft• Emanzipative Wende• Antipädagogische Wende• Postmoderne Pluralität
Allg. Pädagogik II 4
Pädagogik/ErziehungswissenschaftForschungsbereich
Allgemeine Pädagogik als:
• Teil der Erziehungswissenschaft
• Praxis mit institutionellen Strukturen
• Erziehungslehre mit Ziel- und Methodenfokussierung
• Wissenschaft für das Gesamtspektrum von Theorie und Praxis
Allg. Pädagogik II 5
Wissenschaftstheoretische Grundlagen
Erziehungswissenschaft ist ein System wissenschaftlicher Sätze über
Erziehungspraxis
als
• Metatheorie normativ
oder
• Objekttheorie deskriptiv
Allg. Pädagogik II 6
Wissenschaftstheorie und Erkenntnistheorieabendländische Erkenntniswege
• Magisch-mythisch: Sammler-Wildbeutergesellschaft
• Deduktiv-dogmatisch: bäuerliche Feudalgesellschaft
• Induktiv-empirisch: Frühkapitalismus• Deduktiv-theoriekritisch: Spätkapitalismus• Dialektisch: Sozialismus• Methodenpluralistisch-konstruktivistisch:
Postmoderne
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Wissenschaftstheorie und Erkenntnistheorieabendländische Erkenntniswege
Der Wissenszugang ist:
• im Mythos animistisch• in der Religion
dogmatisch/institutionalisiert • in der Philosophie demokratisch• in der Wissenschaft
expertenorientiert/institutionalisiert
Allg. Pädagogik II 8
Die Sonderstellung der Pädagogik als Wissenschaft
• Begriffe: Erziehung/Sozialisation/Bildung
• Forschungsfeld: Wissenschaft und Alltag
• Ambivalenz: Erziehung und Autonomie
• Naturalistischer Fehlschluss: Sein und Sollen
• Organisationsstruktur: Institution und Interaktion
• Personalkstruktur: Nähe und Distanz
Allg. Pädagogik II 9
Forschungsmethoden der Erziehungswissenschaft
• Hermeneutik: zirkuläre Interpretation von Texten• Empirie: überprüfbare Daten
qualitativer und quantitativer Art• Handlungsforschung (action research)
Es besteht immer eine Wechselwirkung zwischen Forschungsmethode, Forschungssubjekt, Forschungsobjekt und Forschungsergebnis
Allg. Pädagogik II 10
Theoretische Konzepte der Erziehungswissenschaft
• Geisteswissenschaftliche Pädagogik: (Dilthey, Nohl, Litt, Spranger, Flitner, Weniger)
• Empirische Erziehungswissenschaft: (Meumann, Lay, Petersen, Fischer, Roth, Brezinka)
• Kritische Erziehungswissenschaft: (Klafki, Blankertz, Mollenhauer)
• Danach: technologische, phänomenologische, konstruktivistische, postmoderne, soziobiologische, ökonomische Wende
Allg. Pädagogik II 11
Pädagogische AnthropologieAufgaben
• Sammlung von erziehungsrelevanten Aussagen aus allen Wissenschaften
• Integration dieser Aussagen in den eigenen Wissenschaftsbereich (Integrationsfunktion)
• Kontrolle pädagogischer Sinn- und Zielvorstellungen unter anthropologischen Aspekten (Kontrollfunktion)
Allg. Pädagogik II 12
Pädagogische AnthropologiePositionierungen
Anthropologie als Lehre vom Menschen aus der Sicht der
•Philosophie
•Biologie / Evolutionstheorie
•Soziologie / Geschichte / Kultur
Als:
•Implizite / explizite
•Regionale / integrale
•Realanthropologie / Sinnanthropologie
•Pädagogische Anthropologie:
Grundaxiom ist der Mensch als erziehungsbedürftiges und erziehungsfähiges Wesen. Sie nimmt erziehungsrelevante Wissenselemente auf und liefert ihrerseits Erkenntnisse an andere Anthropologien.
Allg. Pädagogik II 13
Pädagogische Anthropologie Die Doppelnatur des Menschen
Empirische Forschung: die Natur des MenschenSeine Phylogenese und OntogeneseProximate Fragestellung (Wie – Funktion)Ultimate Fragestellung (Warum – Zweck)
Geisteswissenschaftlich-hermeneutische Forschung:das Wesen des Menschen Seine Ratio und TranszendenzFrage nach den Grunddimensionen menschlichen SeinsKant: „Was kann ich wissen - was soll ich tun - was darf ich hoffen – Was ist der Mensch ?“Spannungsfeld von Sein und Sollen
Allg. Pädagogik II 14
Anthropologische Ansätze in der Erziehungswissenschaft
• Der integrale Ansatz sieht ihn als erziehbares und erziehungsbedürftiges Wesen (Flitner, Roth, Liedtke)
• Der philosophische Ansatz sieht den Menschen als offenes System (Bollnow, Derbolav, Loch)
• Der phänomenologische Ansatz sieht ihn als homo distinctus, als Kind, Erwachsenen, Lehrer, Schüler usw. (Langeveld, Lassahn, Rang)
• Der dialektisch-reflexive Ansatz sieht ihn als zoon politikon im Lichte sozialer und individueller Selbstverwirklichung (Adorno, Buber, Klafki)
• Der texturale Ansatz sieht ihn als autopoietischen Text (Foucault)
• Der plural-historische Ansatz sieht ihn als homo absconditus im Modus der Pluralität (Wulf, Kamper, Lenzen)
Allg. Pädagogik II 15
Anthropologievergleich
Philosophische A.• normativ• generalisierend• wissenschaftsunkritisch• geisteswissenschaftlich
orientiert• Ausschluss von
historischen und gesellschaftlichen Bedingungen
Historische A.• historisch-
gesellschaftliche Perspektive
• dekonstruktiv• reflexiv• pluralistisch• Aussagen über den
Menschen sind historisch bedingte Konstrukte
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Menschenbildkonstrukte
Das antik-christliche Modell• Der Mensch wird von oben
her (von den Göttern) definiert und hat Anteil am Logos.
• Seine unsterbliche Seele ist der Zeitlinie Schöpfung-Sündenfall-Tod-Auferstehung unterworfen. Als Abbild des Schöpfers hat er Anteil an der Schöpfung
Das naturalistisch-materialistische Modell
• Der Mensch ist Teil einer mechanistisch definierten Natur
• Er unterliegt wie die Natur zweckmäßigen Formen des Zufalls der Selektion
• Vergleichende Verhaltensforschung liefert zulässige Aussagen über den Menschen
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• Mythos: Anthropomorphismus, Animismus, Ethnozentrismus
• Antike: homo sapiens mit Anteil am Logos
• Mittelalter (Scholastik): Mensch als Mikrokosmos mit Erlösungsbedarf
• Renaissance: Anthropozentrismus (Pico della Mirandola – Über die Würde des Menschen)Rationalismus (Descartes – Subjekt-Objekt-Trennung)Empirismus (Bacon, Locke, Hume)
• Aufklärung (Kant – Vernunft und Erziehung)
• Naturalistische Wende (homo faber, Kybernetik, Evolutionstheorie)
• Wissenschaftskritik (Kuhn, Feyerabend)
• Konstruktivismus (Glasersfeld, von Foerster, Maturana, Varela)
• Systemtheorien (Luhmann)
Menschenbilder und Erkenntniswege
Allg. Pädagogik II 18
Implizite Menschenbilder 1
• Aristoteles: Erziehung durch Mäeutik (Anleitung zum Denken durch Fragen)
• Platon: Höhlengleichnis vom Schein realer Dinge zur Welt der Ideen
• Augustinus: dogmatische „Glaubenspädagogik“
• Erasmus von Rotterdam: „Zum Menschen wird man nicht durch Geburt, sondern durch Erziehung und Bildung.“
• Pico della Mirandola: „Rede über die Würde des Menschen“
• Comenius: Weltordnung durch eine Didaktik „allen alles auf alle Weise zu lehren.“
• Kant: „Der Mensch ist das einzige Geschöpf das erzogen werden muss“
Allg. Pädagogik II 19
Implizite Menschenbilder 2
• Jean Jacques Rousseau (Der Mensch ist von Natur aus gut, die Kultur hat ihn verdorben)
• Johann Heinrich Pestalozzi ( Erziehung als Werk der Natur, der Gesellschaft und der menschlichen Person)
• Johann Friedrich Herbart (Erziehung bindet den Willen des Zöglings in Freiheit an das Sollen)
• Friedrich Daniel Schleiermacher (ethische Erziehung zur Einigung von Natur und Vernunft, Idealem und Realem, Spekulation und Empirie)
• Wilhelm von Humboldt (Im Mittelpunkt...steht der Mensch, der...die Kräfte seiner Natur stärken und erhöhen, seinem Wesen Wert und Dauer verschaffen will.)
Allg. Pädagogik II 20
Implizite Menschenbilder 3
• Karl Marx (Im Gegensatz zum Tier kann der Mensch die Bedingungen seines Lebens selbst hervorbringen.)
• Wilhelm Dilthey (geschichtlich-kulturelle Zusammenhänge vollziehen sich nur hermeneutisch verstehbar)
• John Dewey (Die menschliche Natur ist ein Ergebnis kultureller Evolution. Das Individuum verändert die Umgebung und wird von ihr verändert)
• Martin Wagenschein (Eine falsche Anthropologie des Kindes ist, wenn man behauptet, Kinder müssten zum Lernen gezwungen oder verführt werden ... damit zerstört man die Lust am Verstehen)
Allg. Pädagogik II 21
Evolutionsbiologische Aspekte Grundprinzipen der Evolutionstheorie
• Alle Lebewesen haben die Tendenz sich exponentiell zu vermehren
• Dadurch vererben sie angeborene Eigenschaften auf lange Sicht mit leichten Veränderungen (Mutation)
• Alle Lebewesen sind so in langen Zeiträumen entstanden und können deshalb auf eine gemeinsame Abstammung zurückgeführt werden (Deszendenztheorie)
• Auf Grund von Ressourcenknappheit gibt es einen Kampf ums Dasein
• Lebewesen mit nützlichen Varianten haben größere Überlebens- und Fortpflanzungschancen (Selektion)
• Der Mensch bildet keine Ausnahme sondern ist ebenfalls ein Produkt von Variabilität und Selektion
Allg. Pädagogik II 22
Evolutionsbiologische Aspekte/ Ethologie
Mensch• Instinktreduziert• Weltoffen (Wirkwelt)• Kulturschaffend • Erziehungsbedürftig• Als „Erster
Freigelassener der Schöpfung“
Tier• Instinktgesteuert • Umweltgebunden
(Merkwelt)• Lernfähig durch
Appetenzverhalten, Prägung und Konditionierung
Allg. Pädagogik II 23
Postdarwinistische MenschenbilderIn der PhilosophieScheler (Stufentheorie)
Hartmann (Schichtenontologie)Plessner (Kategorie der Positionalität)In der KultursoziologieGehlen (Kompensationstheoretisches Modell)In der Biologie Portmann (Mensch als „Geistnatur - Einheitsmodell)Hassenstein (Mensch als verhaltensgesteuertes Lebewesen- Reflexmodell)
Allg. Pädagogik II 24
Postdarwinistische Menschenbilder
• Adolf Portmann (Zoologie und das neue Bild vom Menschen 1956)
• Max Scheler (Die Stellung des Menschen im Kosmos 1928)
• Helmut Plessner (Die Stufen des Organischen und des Menschen 1928)
• Arnold Gehlen (Der Mensch, seine Natur und seine Stellung in der Welt 1940)
Allg. Pädagogik II 25
Leib/Körper-Begriff
Körper• Physikalisch• Außenseite des
Menschen• Sichtbar/messbar• Wahrnehmung durch
Sinne
Leib• Innenseite des Körpers• Gegenbegriff zur
Seele• Nicht messbar aber
erlebbar• Wahrnehmung durch
Empfindung
Allg. Pädagogik II 26
Seele/Geist-Begriff
Seele• Formendes Lebensprinzip
der Materie (Entelechie)
• Unsterblicher Teil des Menschen (jüdisch/christlich)
• Dualismustheorie (Descartes, Popper)
Geist Verstand (Ratio, Wissen)
Geist (Vernunft, Sinn)
Gehirn (Neuronenverknüpfungen)
Allg. Pädagogik II 27
Menschenbild bei Max Scheler
• Abgrenzung von Organisch und Anorganisch• 1. Stufe = Gefühlsdrang (Pflanze)• 2. Stufe = Instinkt• 3. Stufe = assoziatives Gedächtnis (Tier)• 4. Stufe = praktische Intelligenz• Sonderstellung des Menschen durch Geist,
Weltoffenheit, Sachlichkeit, Selbstbewusstsein
Allg. Pädagogik II 28
Menschenbild bei Helmut Plessner
•Positionalität der exzentrischen Form: Mensch•Positionalität der geschlossenen, zentrischen Form: Tier•Positionalität der offenen Form: Pflanze
Durch die Möglichkeit der Reflexion tritt der Mensch aus sich heraus, wird exzentrisch
Plessner differenziert zwischen Körper, Leib, Seele und Geist
Allg. Pädagogik II 29
Menschenbild bei Arnold Gehlen
• Im Tier/Mensch-Vergleich: Mängelwesentheorie
• Daraus resultiert die Kompensationstheorie„Der Mensch ist von Natur aus ein Kulturwesen“
• Kultur als Entlastungsfaktor für den „Sonderentwurf der Natur“
Allg. Pädagogik II 30
Menschenbild bei Adolf Portmann
Der Mensch ist Geist-Natur von Anfang an
Im Vergleich zum Tier ist er:• eine physiologische Frühgeburt• ein gefesselter Nestflüchter• ein sekundärer Nesthocker
Das erste Lebensjahr ist ein extra-uterines Frühjahr
Allg. Pädagogik II 31
Menschenbild bei Bernhard Hassenstein
• Säugetiertypen: Nesthocker, Nestflüchter, Tragling
• Mensch: ein ehemaliger passiver Tragling (Handgreifreflex, Klammerreflex)
• Als Natur- und Kulturwesen kann der Mensch verantwortlich handeln (Verhaltenssteuerung)
Allg. Pädagogik II 32
Postmoderne
Postmoderne - das Ende der großen Erzählungen (Lyotard)
Identitätskonstruktion im Spannungsfeld von• Globalisierung• Naturentfremdung• Egalisierung von Werten und Normen• Gentechnologie
Allg. Pädagogik II 33
Geschichte der Kindheit
• Mittelalter: Kinder als kleine Erwachsene
• 17./18. Jahrhundert: Kindheit als Formung zum Menschen durch Erziehung (Bücher, Spielzeug)
• 19. Jahrhundert: Industriegesellschaft, großbürgerliche Kernfamilie- Kinderkultur, Arbeiter- und bäuerliche Familie – Kinderarbeit
• 20. Jahrhundert: Kindheit als eigene Lebensperiode, Reformpädagogik, entwicklungspsychologische Erkenntnisse
Allg. Pädagogik II 34
Literatur
• Hein Retter: Grundrichtungen pädagogischen Denkens 1997
• Alfred Treml: Einführung in die Allgemeine Pädagogik• Raithel/Dollinger/Hörmann: Einführung Pädagogik
(2007)• Alfred Treml: Pädagogische Ideengeschichte (2005)• Eckhard König: Theorie der Erziehungswissenschaft
Band1 (1975)• Hierdeis/Hug: Pädagogische Alltagstheorien und
erziehungswissenschaftliche Theorien. 1997
Allg. Pädagogik II 35
Literatur
• Heinz-Hermann Krüger: Einführung in Theorien und Methoden der Erziehungswissenschaften (2006)
• Herbert Gudjons: Pädagogisches Grundwissen (2001)• Hans Berner: Aktuelle Strömungen in der Pädagogik
(1994)• Bruno Harmann: Pädagogische Anthropologie (2005)• Manfred Gerspach: Einführung in pädagogisches
Denken (2000)• Christoph Wulf: Anthropologie der Erziehung 2001
Allg. Pädagogik II 36
Literatur
• Sabine Andresen / Isabell Diehm (Hrsg.): Kinder, Kindheiten, Konstruktionen (2006)
• Gerold Scholz: Die Konstruktion des Kindes (1994)
• Peter Kemper (Hrsg.): Postmoderne oder Der Kampf um die Zukunft (1988)
• Georg Hörmann (Hrsg.): Pädagogische Anthropologie (2003)
• Dieter Baacke / Andrea Frank / Jürgen Frese / Friedhelm Nonne: Am Ende – postmodern? (1985)
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