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Technische Universitat Dresden -Fakultat BauingenieurwesenInstitut fiir Wasserbau und Teclmische HydromechanikDresdner Wasserbaukolloquium 2010
„Wasserbau und Umwelt - Anforderungen, Methoden, Ldsungen"IWD
Altgewasser - ()kologie, Sanierung und Neuanlage
1 Einleitung
Heinz Patt
Altgewasser (Altarme und Altwasser) sind Bestandteile naturlicher Flussauen.
Sie sind eigenstaindige Lebensraumtypen mit einer speziellen Flora und Fauna,aber auch Teillebensraum far zahlreiche Tiere des Okosystems Flussaue. Sie
sind Laichgewasser fk Amphibien, Lebensraum der Kaulquappen, flir Fische
Laichgewasser, Audvuchsgebiet r Jungfische und Uberwinterungshabitat.
In unseren Flusslandschaften sind heute kaum noch Altgewasser zu finden. Sie
zahlen deshalb in quantitativer und qualitativer Sicht zu den am meisten gefahr-deten Lebensrtumen und stellen in vielen Gewasserauen Mangelbiotope dar
oder fehlen ganz (Riecken et aL, 2006).
Stehen Gewassemutzungen im Vordergrund, gerat der erforderliche sensible
Umgang mit diesen wertvollen Bestandteilen der Gewasserlandschaften oft ins
Hintertreffen. Dies ist insbesondere an denjenigen Altgewassem bedenklich, die
aufgrund ihrer geschutzten Lebensraumtypen als NATURA 2000 - Gebiete ge-
meldet worden sind bzw. in solchen Gebieten liegen.
2 Typisierung der Altgewiisser
Altgewasser (Altarme, Altwasser und Qualmgewasser) sind ehemalige Fluss-
strecken. Sie sind als dauerd oder regelmliBig ilber langere Zeit wasserftibrende
Gewiisser unmittelbar oder mittelbar oberirdisch und / oder unterirdisch mit dem
Abflussregime eines Flusses verbunden. Unterschieden wird zwischen den fol-
genden Altgewasser-Typen (s. Abbildung 1):
• Altarme - Sie stehen als ehemalige Flussstrecken dauemd einseitig oder
beidseitig mit dem FlieBgewasser in Verbindung. Bei einer beidseitigen An-
bindung durfen die Gewasser jedoch nicht dauernd durchflossen sein, da es
in diesem Falle Flussarme wiiren.
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212 Altgewasser - Okologie. Sanienmg und Neuanlage
• Altwasser - Sind natitrlich oder kilnstlich abgetrennte Flussstrecken, die nur
bei Oberschwemmungen noch mit dem FlieBgewasser in Verbindung stehen.
• Qualmgewasser - Sind abgetrennte ehemalige Flussstrecken, die zwar durcheinen Deich von Oberschwemmungen des Flusses abgesclmitten sind, aberunterirdisch uber das Qualmwasser mit dem Wasserregime des Flusses kor-
respondieren.
Dementsprechend zahlen der Fluss selbst, dauernd durchstromte Flussarme,durchflossene Seen sowie Quellseen nicht zu den Altgewiissern. Gleiches gilt fir
Totarme, wenn diese als ehemalige Flussstrecken weder ober- noch unterirdischmit dem Flussregime verbunden sind. Kurzlebige (ephemere) Aue-Gewasser,wie Flutmulden und Auetampel, sind in der Regel ebenfalls keine Altgewasser,es sei denn, sie sind ehemalige Flussstrecken, die im Zuge der Entwicklung na-
turlich gealtert sind.
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.-<li-& Rmy.Abbildung 1: Schematischer Grundriss und Querschnitt einer Flussaue mit unterschiedli-
chen Typen von Gewassem
Auch Kiesseen in der Aue sind meist keine Altgewiisser. Diese unterliegen zwar
dem Abflussregime, sind jedoch keine ehemaligen Flussstrecken und weichendaher von diesen in der Regel morphologisch stark ab. Nur wenn Kiesseen ehe-
maligen Flussstrecken morphologisch entsprechen, sind diese den Altgewassernzuzzlordnen, da sie dann auch die dkologischen Funktionen von Altgewassemubernehmen kannen.
Dresdner Wasserbaukolloquium 2010. „Wasserbau und Umweit"213
Dresdner Wasserbautiche Mitteitungen, Heft 40
3 Begriffe
Fitr die 6kologischen Verhaltnisse in der Aue ist die Art der Uberschwemmungwesentlich. Man unterscheidet Oberflutung (= flieBendes Wasser) und Uber-
stauung (= stehendes Wasser). Beide haben unterschiedliche Auswirkungen auf
Geschiebe-, Nahrstoff- und Sauerstoffhaushalt.
Bei der Alterung von Altgewassern wird zwischen Auflandung und Verlandungunterschieden:
• Auflandungen entwickeln sich insbesondere durch Geschiebe- und Schweb-
stoffablagerungen bei Cberschwemmungen. Die entsprechenden Ablagerun-gen bestehen aus uberwiegend mineralischem Material.
• Verlandungen entstehen biogen insbesondere durch Pflanzenwuchs und Ab-
lagerungen abgestorbener organischer Substanzen, die im Altgewasser er-
zeugt wurden.12.F.
Zur Alterung von Altgewassem tragen Auflandung und Verlandung in unter-
schiedlichen Anteilen gemeinsam bei. Durch menschliche Aktivititten k6rmen
Auflandung und Verlandung entscheidend beschleunigt werden, zum Beispieldurch Verfallung, Ablagerungen, Eutrophierung, zunehmende Erosion von Bo-
den durch die Umgestaltung der Kulturlandschaft und auf diese Weise erh6hte
Feststofffrachten (Schwebstoffe und Geschiebe) bewirken. Weitergehende Aus-
wirkungen hat die Entlandung eines Altgewassers. Darunter wird die Heraus-
nahme von Material, das dort namrlich (Auf- und Verlandung) oder kanstlich
(Verfallung) eingebracht worden ist, verstanden.
4 Entstehung von Altarmen und Altwassern
Natikliche FlieSgewasser unterliegen aufgrund ihres Abflussverhaltens einer
naturlichen Gewasserdynamik. Sie verandem entsprechend der naturraumtypi-schen Gegebenheiten bei Hochwasserereignissen immer wieder ihre Linienfith-
rung und Bettgestalt. Unterschieden wird zwischen gestreckten, verzweigten und
gewundenen Laufformen (s. u. a. Mangelsdorf & Scheuermann, 1980; LUA
NRW, 2001a; Jurging & Patt, 2005, Patt et cd., 2008, DWA, 2010).
Bei gestreckten Flussen (Oberlaufcharakter) konnen Altgewasser nicht entste-
hen. Aufgrund der Beschrankung durch die Talform ist eine seitliche Entwick-
lung kaum m6glich. Flusse mit gr6Berem und mittlerem Gefalle (Mittellaufcha-
214 Altgewdsser - Okologie, Saniemng und Neuanlage
rakter) k6nnen bei erosionsanflilligem Ufermaterial eine verzweigte Laufform
ausbilden. Die Gewasserarme und Kiesbanke unterliegen jedoch einer standigenDynamik, so dass sich Nebenarme, aber keine langlebigen Altgewasser ausbil-
den.
Gunstige Voraussetzungen far das Entstehen von Altgewassern sind bei gewun-denen Flussen mit geringem Gefille (Unterlaufcharakter) gegeben. Sie sind in
der Regel durch eine Aufeinanderfolge von jeweils typischen Flussschlingen,den Miiandem, gekennzeichnet und neigen zu Laufveranderungen. Dadurch ent-
stehen insbesondere bei Durchbruchen der Miianderschlingen neue Altgewasser(Abbildung 2). Dies trifft nicht nur for den Unterlauf eines Hauptgewassers,sondem auch flir die kleineren Zuflusse zu.
Abbildung 2: Entwicklungsabfolge von Altgewassern
5 Entwicklungsprozesse (Alterung) von Altgewiissern
Einmal entstandene naturliche oder kunstliche Altarme nehmen mit fortschrei-tendem Alter durch Auflandung (morphogen) oder Verlandung (biogen) immer
weniger am Abflussgeschehen teil. Entsprechend den geringeren FlieBge-schwindigkeiten setzt eine vermehrte Sedimentation von Feststoffen ein, die zu
einer Abschnurung der Altarme filhrt. Der Weg hin zzim Altwasser zeichnet sich
ab.
Parallel zu den rein physikalischen Auflandungen setzen aber auch zunehmend
biogen verursachte Verlandungsprozesse ein. In einem Altarm, mehr noch in
einem Altwasser, herrschen im Vergleich zu FlieBgewassem im Sommer h8here
Wassertemperaturen, die zu einer verstarkten Biomasseproduktion fithren. Zu-
dem fehlt uber langere Zeitspannen die Verdriftung von Lebewesen, so dass
Massenentwicklungen, zum Beispiel von Phytoplanktonarten, auftreten ki nnen.
-67566Maander Altarm Altarm Altwasser
beidseilig einseitigangeschlossen angeschlossen
Dresdner Wasserbaukolloquium 2010: „Wasserbau und Umwelt"
Dresdner Wasserbautiche Mitteilungen, Heft 40
Die einzelnen Phasen einer naturlichen Entwicklung (Alterung) von Altgewas-ser zeigen die Bilder 3 bis 8. Bei naturlichen Altarmen und Altwassern ist die
Verlandung oftmals nach mehr als einem Jahrhundert noch nicht abgeschlossen,wahrend unter eutrophen Bedingungen hierzu wenige Jahrzebnte ausreichen
k6nnen.
Phase 1 Altarm
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Abbildung 3: Das jungste Stadium eines Altgewassers ist der Altarm, der mit beiden Enden
an das FlieBgewasser angeschlossen ist. (Foto: W. Binder)
Phase 2 Entwicklung eines Altarmes zu einem Altwasser
Abbildung 4: Der beim Ausbau belassene Altarm wird durch Geschiebeablagerungen vom
Flie8gewasser abgeschnurt, bis schlieBlich nur noch bei Hochwasser eine
Verbindung mit dem Fluss besteht. (Foto: P. Jurging)
216 Altgewasser- Okologie, Sanierang und Neuanlage
Phase 3 Beginnende Verlandung
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Abbildung 5: Die Pioniergesellschaften der Altarme werden im A twasser von langlebigenDauergesellschaften ersetzt, die in der klassischen Zonierung eines Stillge-wassers auftreten. (Foto: P. Tirging)
Phase 4 Fortgeschrittene Verlandung
Abbildung 6: Bei der beginnenden Verlandung ist noch reichlich offenes Wasser vorhan-den. Diese freien Wasserfltichen kannen bei fortschreitender Verlandung im-mer mehr von freischwinimenden Wasserpflanzen eingenommen werden, diezunehmend far eine weitere Bemhigung der Wasseroberflache sorgen, so
dass sich letztlich eine nahezu geschlossene Vegetationsdecke auf dem Was-ser ausbilden kam. (Foto: H.-J. Dahl)
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Dresdner Wasserbauliche Mitteitungen, Heft 40
Phase 5 Nahezu verlandetes Altwasser
Abbildung 7:
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Itilli' -Zlf#4 lt-j .''·,i· :! Vom Gewasserrand ausgehend werden die schwimmenden Vegetationsde-cken der fortgeschrittenen Verlandung im immer seichter werdenden Wasserschrittweise von Rahrichten, vor allem vom Schilfrthricht, durchdrungen undschlie81ich vollkommen abgelast, und die ersten Gehulze drangen bereitsvom Ufer aus nach. (Foto: P. Jarging)
Phase 6 Verlandetes Altwasser
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Abbildung 8: Ist das Altwasser soweit verlandet, dass die Rahrichte im Sommer trockenfal-len, so kannen auf den vorwiegend organischen B6den Geholze keimen undin wenigen Jahren das lichtliebende Rahricht vollkommen verdrangen. (Foto:P. mrging)
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218 Altgewasser - Okologie, Saniemng und Neuanlage
6 Lebensgemeinschaften, Natur- und Wasserhaushalt
Die Lebensbedingungen in Altgewassem sind umso verschiedener von denen
der zugehorigen FlieBgewiisser, je weniger (Altarm) und seltener (Altwasser) sie
mit letzteren in Verbindung stehen. Mit fortschreitender Verlandung und / oder
Auflandung :indern sich zwangslaufig die Standortfaktoren, so dass sich an ei-
nem ganz bestimmten Ort im Laufe der Zeit verschiedene Pflanzengesellschaf-ten nacheinander langsam abl6sen (Jurging & Patt, 2005).
Der Reichtum an Wasserpflanzen ist far zahlreiche Tierarten von groBer Bedeu-
tung. Frische und verwesende Pflanzenteile dienen als Nabrung. Viele Tiere le-
gen ihre Laichballen und -schnure in dem Blattwerk submerser Pflanzen ab, an-
dere heften ihre Eier auf die Oberseite oder an die Unterseite von Schwimm-
blattpflanzen. Zahllose Tiere finden in den Pflanzenbestanden die unterschied-
lichsten Unterschlupfm6glichkeiten. Gleichzeitig lauer in diesen Schutzberei-
chen Rauber aufvorbeischwimmende Beute.
Altarme, und zom Teil Altwasser, sind aber auch wichtig als Ruckzugsgebietebei Hochwasser und bei kurzzeitigen Beeintrachtigungen der Wasserqualitat im
Hauptgewiisser. In Extremfallen kann in Altgewassern zumindest ein Teil des
Fischbestandes ein Schadensereignis uberleben, so dass anschlieBend das
Hauptgewasser aus dem Altgewasser heraus wiederbesiedelt werden kann. Sie
haben einen positiven Einfluss auf die Wasserableitung und tragen zu einer Ver-
besserung der biologischen Wirksamkeit bei.
Die Wasserflachen der Altarme und Altwasser wirken ausgleichend auf das Lo-
kai- und Kleinklima; dies ist in Talniederungen bei der Gefahr von Frah- und
Spatfrasten besonders erwonscht. Zudem erhoht sich bei Strahlungswetter die
Evapotranspiration, d. h. Gewasser, Feuchtwalder und Rahrichte fithren zu einer
Erh6hung der relativen Luftfeuchtigkeit.
Bei Oberschwemmungen kann auch aus Altarmen und Altwassern zusatzliches
Wasser in das Grundwasser eingespeist werden, sofern die Gewassersollie nicht
bereits durch abgelagerte Feinsedimente gedichtet ist. GrOBere Altarme und
Altwasser kannen als naturliche Retentionsrtiume fungieren und auf diese Weise
dazu beitragen, Hochwasserspitzen zu entscharfen
Trotz einer gewissen Schematisierbarkeit der Abfolge an Lebensraumen und
damit auch Lebensgemeinschaften, ist in Wirklichkeit jede Phase der Entwick-
lung als ein eigenes individuelles System, sozusagen als Unikat, zu betrachten.
Dresdner Wasserbaukolloquium 2010: „Wasserbai und Umwelt'·
Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 40
Entsprechend der Seltenheit und Einmaligkeit derartiger Lebensrliume, sind indiesem Zusammenhang auch die Regelungen in den europaischen Rechtsnormen
(u. a. EG-Wasserrahmenrichtlinie, EG-Hochwasserschutzrichtlinie, Flora-
Fauna-Habitat-(FFH)-Richtlinie sowie EG-Vogelschutzrichtlinie) bzw. der deut-
schen Wasser- und Naturschutzgesetzgebung (11. a. Wasserhaushalts- und Bun-
desnaturschutzgesetz) zu beachten. Altgewasser beherbergen haufig Rote-Liste-Arten und sind somit von erheblicher naturschutzfachlicher Bedeutung (s. u. a.
Riecken et al, 2006).
7 Sanierung und Neuanlage - Allgemeine Hinweise
Die Sanierung von naturfemen und anthropogen beeintrachtigten Altarmen,Altwassem und Totar:men ist gleichzusetzen mit der Wiederherstellung m6g-lichst naturnaher Verhaltnisse im und am Altgewasser unter ausschlieBlicher
Berucksichtigung Okologischer Aspekte.
Zimachst muss daher gepraft werden, inwieweit gg£ vorhandene Reste einesAltgewassers noch ihre Funktion flir den Natur- und Wasserhaushalt erfallenbzw. nach einer Sanierung erfullen konnen. Naturnahe Altgewasser bzw. natur-nahe Teile von Altgewassern sind grundsatzlich zu belassen. Altgewasser, diedurch schiidigende Nutzungen beeintrachtigt sind, mussen durch Abbau von Be-
lastungen und Storeinflussen saniert werden, damit eine m6glichst naturnahe
Entwicklung wieder einsetzen kann.
Weiterhin ist damr Sorge zu tragen, dass sanierte und neu angelegte Altarmeund Altwasser durch entsprechende Schutzgebietsverordnungen (z. B. Natur-
schutzgebiet, Fischschongebiet) vor milainftigen Beeintrachtigungen geschutztwerden. Dazu sind zunachst die Vorgaben fitr NATURA2000-, FPH- und Vo-gelschutzgebiete zu ubemehmen und un:tzusetzen.
7.1 Empfehlungen fiir die Sanierung
Bei einer Sanierung sind in erster Linie alle naturfremden Einflusse, die sich di-rekt oder indirekt negativ auf den Lebensraum und somit auf die Lebensgemein-schaften auswirken k6nnen, weitestgehend zu entfernen bzw. derart zu gestalten,dass die Einflusse vermindert oder vollstandig abgestellt werden (Patt &Stadtler, 2009).
EF-
219
220 Altgewasser - Okologie, Sanierung und Neuanlage
Eine Entlandung sollte allenfalls als letzter Ausweg gewahlt werden, wenn z. B.
auf eine bestimmte Nutzung nicht verzichtet werden kann oder weil die unnatar-
liche Entwicklung zu weit fortgeschritten ist (z. B. im Falle einer anthropogenbedingten Auflandung oder durch eine Flusssohleneintiefung). Hierbei wird der
Lebensraum zumindest in Teilbereichen in aller Regel durch Entnahme der Auf-
landungen in ein Anfangsstadium seiner Entwicklung zuruckversetzt. Dabei
ergibt sich zwangslaufig oft eine „Verjungung" auf mehr oder minder groBen,bisher naturfemen Teilflachen.
Bei Entlandungen ist u. a. daraufzu achten, dass die Entsorgung belasteten Aus-
hubs gewahrleistet ist, dass das dabei anfallende Material grundsatzlich auBer-
halb des Oberschwemmungsgebietes abgelagert oder aufgespult wird, weil das
Aufflillen von Mulden und Senken im Uberschwemmungsbereich jeglicher Oko-
logisch orientierten Zielsetzung zuwider lauft, funktionsfihige Restlebensraume
als Wiederbesiedlungspotenziale erhalten bleiben (d. h. bestimmte Teilflachen
vollig unberithrt bleiben) und dass die MaBnahmen zeitlich so durchgefithrtwerden, dass die Entwicklung der wertbestimmenden Pflanzen- und Tierwelt
maglichst wenig beeintrachtigt wird.
7.2 Neuanlage von Altgewassern
Auf naturliche Weise kdnnen an unseren ausgebauten bzw. regulierten FlieBge-wiissem nahezu keine Altarme und Altwasser mehr entstehen. Die Neuanlagevon Altgewassem hat daher heute mehr und mehr an Bedeutung gewonnen.
Bei der Neuanlage von Altgewassem sollte - wenn mdglich - das jungste Ent-
wicklungsstadium, namlich ein beidseitig an den Fluss angeschlossener Altarm,
geschaffen werden, so dass er im Laufe einer maglichst naturnahen Entwicklungalle Sukzessionsstadien durchlaufen kann. Zu diesem Zweck lieBen sich auch
bestimmte Nassabgrabungen oder Teile von Nassabgrabungen nutzen
(Dingethal et aL, 1998). Sofern die generell erwunschte eigendynamische Ent-
wicklung zum Schutz bestimmter Einrichtungen begrenzt werden muss, sollte
auch dies vorzugsweise mit ingenieurbiologischen Bauweisen geschehen (Pattet al, 2009).
Die B6schungen der Altgewasser sollten nicht mit Mutterboden abgedeckt wer-
den, weil Rohbaden in naturnahen Flussauen eine typische Erscheinung sind
und wichtige Kleinlebensrdume fit viele Pflanzen- und Tierarten darstellen. Auf
Anpflanzungen sollte grundsatzlich verzichtet werden, um bewusst natitrliche
Sukzessionen in der normalerweise durch Dynamik gepragten Flussaue ablaufen
Dresdner Wasserbaukolloquium 2010: „Wasserbau und UmweIt'•
Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen, Heft 40
zu lassen. Initialpflanzungen k6nnen allerdings sinnvoll sein, wentl die Entwick-
lung von Auwald angestrebt wird und durch konkurrenzstarke Stauden- bzw.
Grasgesellschaften, ggf. mit hohem Neophytenanteil, for lange Zeit verhindertwerden konnen (weiteres zur Neuanlage von Altgewassern s. DWA, 2010). Bei
groBem Erholungsdruck ist durch geeignete Wegefiibrung und durch Anlagevon Beobachtungsstanden der Besucherstrom zu lenken (DWA, 200D.
Die besten Voraussetzungen zur Um- und Durchsetzung von „neuen" Altgewas-sern sind dann gegeben, wenn diese Gewasser einschlieBlich eines Uferrand-
streifens im Eigentum der Offentlichen Hand liegen und somit die erforderlichengewassemahen Flachen bereitgestellt werden kannen. Dies unterstreicht noch-mals die Bedeutung der gewassernahen Bereiche far die FlieBgewasser- und
Auenentwicklung (DFWK-GlG, 2006).
8 Danksagung
Der hier abgedruckte Fachbeitrag uber die Altgewasser basiert im Wesentlichenauf den fachlichen Zuarbeiten der Mitglieder der DWA-Arbeitsgruppe FA GB
2.7, „Altgewasser", und eigenen Veraffentichungen zum Thema,Altgewasser"(u. a. Patt et al, 2009; Patt & Stadder, 2009). Das entsprechende Merkblatt,DWA M 607 „Altgewasser - Okologie, Sanierung und Neuanlage", gibt weitereHinweise zum Themenkomplex Altgewiissern.
9 Literatur
DVWK - Gemeinnutzige Fortbildungsgesellschaft far Wasserwirtschaft und Land-
Schaftsentwicklung mbH - GfG (Hrsg.) (2006): Randstreifen an Gewassern.
Empfehlungen zur Umsetzung und Unterhaltung. Autor: Karl Kaltenbrunner, 2006,Mainz
DWA - Deutsche Vereinigung far Wasserwktschaft, Abwasser und Abfall (Hrsg.)(2007): Freizeit und Erholung an Flie8gewassem. DWA-Merkblatt M 603, Hennef
DWA - Deutsche Vereinigung far Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (Hrsg.)(2010): Altgewasser - Okologie, Sanierung und Neuanlage. DWA-Merkblatt M
607, Hentlef (im Druck)Dingethal, F.J.; Jurging, P.; Kaule, G.; Weinzierl, H. (1998): Kiesgrube und Landschaft.
-Verlag Ludwig Auer, Donauw6rth
Jurging, P.; Patt, H. (2005): FlieBgewasser- und Auenentwicklung, Springer-Verlag,Berlin, New YorkHeidelberg,
221
222 Altgewisser - Okologie, Sanierung und Neuanlage
LUA NRW - Landesumweltamt Nordrhein-Westfalen (200la): Leitbilder fir die
mittelgroBen bis groBen Flie8gewasser in Nordrhein-Westfalen - Flusstypen.Merkblatter 34, Essen
LUA NRW - Landesumweltamt Nordrhein-Westfalen (2001b): VegetationskundlicheLeitbilder und Referenzgewasser mr die Ufer- und Auenvegetation der
FlieBgewasser von Nordrhein-Westfalen. Merkblatter 32, Essen
Mangelsdorf, H.; K. Scheuermann (1980): Flussmorphologie - Ein Leitfaden far
Naturwissenschaftler und Ingenieure. R. Oldenbourg, Munchen - Wien
Patt, H.; Jarging, P.; Kraus, W. (2009): Naturnaher Wasserbau - Entwicklung und
Gestaltung von FlieBgewassem. 3. Au ., Springer-Verlag, Berlin, HeidelbergPatt, H.; Gross, J., Stadtler, E., Weih, A. (2009): Altgewasser - Okologie, Sanierung und
Neuanlage, Teil I: Grundlagen. KW Korrespondenz Wasserwirtschaft, 1. Jahrg.,Heft Nr. 2/2009
Patt, H., Stadtier, E. (2009): Altgewasser - Okologie, Sanierung und Neuanlage, Teil 2:
Beispiele Rir Schutz, Neuanlage und Sanierung. KW KorrespondenzWasserwirtschaft, 1. Jahrg., Heft Nr. 3/2009
Riecken, U.; Finck, P.; Raths, U.; Schrader, E.; Ssymank, A. (2006): Rote Liste der
gefahrdeten Biotoptypen Deutschlands. Zweite fortgeschriebene Fassung 2006,Naturschutz und Biologische Vielfalt 34, Bonn-Bad Godesborg
Autor:
Prof Dr.-Ing. habil. Heinz Patt
Institute for Environment and Human Resources (E :IS)College ofAssociated Scientists and Advisors (CASA)United Nations University (UNU)Hermann-Ehlers-Str. 10
D-53113 Bonn
Tel.:E-Mail:
+49 172 251 80 54
patt@ehs.unu.edu
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