auditive wahrnehmung und sprachentwicklung
Post on 13-Feb-2017
235 Views
Preview:
TRANSCRIPT
Bertram Weber
AUDITIVE WAHRNEHMUNG
UND
SPRACHENTWICKLUNG
Diplomarbeit
zur Erlangung des Magistergrades der Philosophie
eingereicht an der geisteswissenschaftlichen Fakultät der
Leopold-Franzens-Universität Innsbruck
bei
a.o. Univ.-Prof. Mag. Dr. Peter Anreiter
Institut für Sprachen und Literaturen
Abteilung Sprachwissenschaft
Innsbruck, im Februar 2004
DANKSAGUNG
Mein Dank geht an a.o. Univ.-Prof. Mag. Dr. Peter Anreiter für seine Betreuung der Arbeit.
Des Weiteren möchte ich meinem Chef, Univ.-Prof. Dr. Patrick Zorowka dafür danken, dass
er es mir durch sein Entgegenkommen überhaupt erst ermöglicht hat, das Studium neben
meiner beruflichen Tätigkeit zu beginnen.
Ein Dankeschön möchte ich auch meinen Kolleginnen und Kollegen an der HSS,
insbesondere denen in der Audiologie, aussprechen, die mich in meiner Studienzeit immer
unterstützt haben.
Besonders danke ich jedoch meiner Frau Moni, die mir auf meinem Weg zwischen Familie,
Beruf und Studium immer zur Seite stand und ohne deren Unterstützung die Verfolgung
dieses Weges nicht möglich gewesen wäre.
Inhaltsverzeichnis I
Inhaltsverzeichnis
VORBEMERKUNG IV
I. EINLEITUNG 1
II. NONVERBALE BASISFAKTOREN DER SPRACHE 4
III. AUDITIVE WAHRNEHMUNG 14
1. Schall 17
2. Peripheres Hörorgan 22
2.1. Anatomische und physiologische Grundlagen 22
2.1.1. Äußeres Ohr 23
2.1.2. Mittelohr 24
2.1.3. Innenohr 25
3. Hörnerv und zentrale Hörbahn 28
3.1. Hörnerv 28
3.2. Zentrale Hörbahn 29
3.3. Schallanalyse in der zentralen Hörbahn 35
3.3.1. Intensitätskodierung 35
3.3.2. Zeitkodierung 37
3.3.3. Frequenzkodierung 38
3.3.4. Lokalisation und Raumorientierung 38
3.3.5. Hören im Störlärm 39
3.4. Zusammenfassung 39
Inhaltsverzeichnis II
4. Modelle der zentral-auditiven Wahrnehmung 40
5. Teilfunktionen der auditiven Wahrnehmung 44
5.1. Lokalisation und Seitenzuordnung 44
5.2. Diskrimination 44
5.3. Lautmustererkennung 45
5.4. Lautheitsempfinden 46
5.5. Zeitliche Verarbeitung 46
5.6. Unterscheidung konkurrierender Signale 48
5.7. Erkennen unvollständiger, veränderter oder abgeschwächter Signale 49
5.8. Aufmerksamkeit 50
5.9. Auditives Gedächtnis 52
5.10. Besonderheiten der auditiven Verarbeitung von Sprache 56
6. Störungen der auditiven Wahrnehmung 60
6.1. Zur Begriffsbestimmung 60
6.2. Häufigkeit und Ätiologie 65
6.3. Diagnose von auditiven Wahrnehmungsstörungen 66
6.3.1. Anamnese und Voruntersuchung 69
6.3.2. Diagnostik der auditiven Teilfunktionen 71
6.3.3. Diagnostik durch nonverbale Verfahren 72
6.3.4. Diagnostik durch verbale Verfahren 80
6.3.5. Diagnostik durch psychometrische Verfahren 83
6.3.6. Diagnostik durch objektive audiometrische Untersuchungen 97
6.3.7. Screening der auditiven Wahrnehmung 105
6.3.8. Probleme der Diagnostik 108
6.4. Therapie von auditiven Wahrnehmungsstörungen 114
6.4.1. Nonverbale Therapieverfahren 118
6.4.2. Verbale Therapieverfahren 125
6.4.3. Zusammenfassung 132
Inhaltsverzeichnis III
IV. AUDITIVE WAHRNEHMUNG UND SPRACHENTWICKLUNG 134
1. Spezifische Störungen der Sprachentwicklung 134
1.1. Begriffsbestimmung 135
1.2. Häufigkeit und Ätiologie 140
2. Sprachentwicklung und Informationsverarbeitung 142
2.1. Sprachentwicklung und auditives Gedächtnis 142
2.2. Sprachentwicklung und zeitliche Verarbeitung 144
2.3. Sprachentwicklung und Prosodie 146
3. „Auditive“ Therapie von Sprachentwicklungsstörungen 149
RESÜMEE 154
LITERATURVERZEICHNIS 157
Vorbemerkung IV
VORBEMERKUNG
Die kindliche Sprachentwicklung ist für mehrere Wissenschaftsdisziplinen von Interesse. Je
nachdem, ob man das Problem aus psychologischer, pädagogischer, medizinischer,
logopädischer oder linguistischer Sicht betrachtet, wird ein anderer Teilbereich der
Sprachentwicklung und ihrer Störungen in den Fokus gestellt. Unterschiedliche
Herangehensweisen an unterschiedliche Problemstellungen führen zu unterschiedlichen
Ergebnissen.
Einerseits hatte und hat das große interdisziplinäre Interesse an der Thematik viele fruchtbare
Erträge. Auf der anderen Seite zeigen Fachliteratur und therapeutische Praxis dadurch ein
äußerst heterogenes Bild. Gerade in Hinblick auf die Berücksichtigung nonverbaler
Leistungen innerhalb einer logopädischen Behandlung herrscht zwischen Fachleuten große
Uneinigkeit.
Die Untersuchung und Behandlung von Sprachentwicklungsauffälligkeiten ist eine schwierige
und verantwortungsvolle Aufgabe, die durch die Heterogenität des Störungsbildes und die
immer noch nicht abgeschlossene Ursachendiskussion zusätzlich erschwert wird.
Sprachentwicklungsgestörte Kinder zeigen neben ihren sprachlichen Symptomen meist auch
Defizite in nonverbalen Entwicklungsbereichen wie Motorik und Wahrnehmung.
Daher verwundert es auch nicht, dass viele Behandlungskonzepte für
Sprachentwicklungsstörungen die Förderung von motorischen und/oder perzeptiven
Leistungen des Kindes verlangen.
Da die Zusammenhänge zwischen Sprache und nonverbalen Faktoren noch vielfach unklar
sind, sind diese „nonverbalen“ Ansätze aber nicht unumstritten.
Ein Ziel dieser Arbeit ist es, einige unterschiedliche Betrachtungsweisen der Zusammenhänge
zwischen Sprachentwicklung und nonverbalen Basisfunktionen aufzuzeigen. Dies soll am
Beispiel der auditiven Wahrnehmung erfolgen, weil ich im Laufe meiner logopädischen
Tätigkeit beobachten konnte, dass sich bei Kindern mit Sprachentwicklungsstörungen häufig
Vorbemerkung V
auch Probleme in der auditiven Verarbeitung von sprachlichen Reizen zeigen, ohne dass eine
periphere Hörstörung vorliegt.
Auditive Verarbeitungsfähigkeiten wie die Differenzierung von Sprachlauten oder das
auditive Gedächtnis scheinen in besonderem Maße mit der Sprachentwicklung verknüpft zu
sein.
Im Folgenden soll die Bedeutung von „nonverbalen Basisfunktionen“ für die
Sprachentwicklung am Beispiel der auditiven Wahrnehmung dargestellt und diskutiert
werden. Modelle und Faktoren der auditiven Wahrnehmung werden präsentiert und die
Bereiche Diagnostik und Therapie von auditiven Wahrnehmungsstörungen sollen hinsichtlich
ihrer Möglichkeiten und Grenzen beleuchtet und in Verbindung zur kindlichen
Sprachentwicklung gesetzt werden.
Einleitung 1
I. EINLEITUNG
„Die kindliche Sprachentwicklung ist kein isolierter Vorgang, sondern Teil einer
umfassenden Gesamtentwicklung, bei der sich sensorische, motorische, sprachliche, kognitive
und sozial-emotionale Funktionsbereiche in ihrer Wirkungsweise wechselweise
beeinflussen.“1
Dieser Umstand wurde und wird mir in meiner logopädischen Arbeit mit
sprachentwicklungsauffälligen Kindern immer wieder vor Augen geführt.
In vielen gängigen Therapiekonzepten wird betont, dass eine sinnvolle therapeutische
Intervention bei der Behandlung von Sprachentwicklungsstörungen nicht nur die sprachlichen
Komponenten behandeln darf, sondern auch nonverbale Faktoren mitberücksichtigen muss.
Manche Konzepte zur Behandlung von Sprachentwicklungsproblemen bestehen zur Gänze
aus der Förderung nonverbaler Komponenten.
Dennoch gibt es eigentlich kaum schlüssige Untersuchungen darüber, wie der genaue
Zusammenhang zwischen Sprache und nonverbalen Entwicklungsbereichen wirklich ist. Die
Komplexität und Vielschichtigkeit der einzelnen Bereiche machen solche Untersuchungen
vermutlich auch schwierig.
Obwohl es für viele nonverbale Faktoren immer noch fraglich ist, ob zwischen ihnen und der
Sprachentwicklung tatsächlich eine Kausalitätsbeziehung von Ursache und Wirkung vorliegt,
ist neben der Förderung und Stimulation der sprachlichen Kompetenz des Kindes die
Unterstützung von nonverbalen Fähigkeiten wie Motorik und Wahrnehmung innerhalb einer
logopädischen Therapie praktisch kaum wegzudenken. Die meisten Therapiekonzepte
unterstreichen eine ganzheitliche Sichtweise, in der Sprache, Wahrnehmung, Motorik und
soziale Kompetenzen des Kindes als eine Einheit gesehen werden.
1 GROHNFELDT 1993:7.
Einleitung 2
Auf der anderen Seite gibt es aber auch Stimmen, die einer Sprachtherapie mit Hilfe der
Förderung von nonverbalen Basisleistungen kritisch gegenüberstehen. Diese Autorinnen und
Autoren führen an, dass sprachliche Leistungen nur durch sprachliche Förderung verbessert
werden könnten, und dass von einer Behandlung der Basisleistungen keine Transferwirkung
auf die Sprache erwartet werden dürfe.
Der oder die in der Behandlung von Sprachstörungen Tätige steht zwischen diesen
widersprüchlichen Auffassungen. Einerseits möchte jede Logopädin und jeder Logopäde, dass
die in der Therapie angewendeten Methoden nachgewiesenermaßen wirksam sind. Ein solcher
Nachweis ist vermutlich auch aufgrund der Komplexität und Heterogenität von
Sprachentwicklungsstörungen in vielen Fällen noch immer schwierig. Auf der anderen Seite
sind nonverbale Defizite bei Kindern mit Sprachentwicklungsproblemen offensichtlich und
fordern eine Auseinandersetzung mit ihnen.
Eine dieser nonverbalen Basisleistungen stellt die auditive Wahrnehmung dar.
„What we do with what we hear“: So beschreibt Katz2 die Prozesse der Verarbeitung von
akustischen Reizen nach der peripheren Schallaufnahme. Der Bereich der auditiven
Verarbeitung ist in den letzten Jahren zunehmend in den Mittelpunkt des Interesses von
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen gerückt.
Forschungs- und Diskussionsgegenstände sind dabei die verschiedenen auditiven Leistungen
des zentralen Hörsystems, ihre Bedeutung für andere Entwicklungsbereiche und ihre
möglichen Störungen mit deren Auswirkungen.
2 KATZ 1992.
Einleitung 3
Die Erkenntnis, dass auch bei normalem peripheren Hörvermögen Defizite in der
Verarbeitung von akustischen Reizen bestehen können, führte zu zahlreichen Untersuchungen
und Schlussfolgerungen, die jedoch keineswegs einheitlich sind.
Für Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen ist besonders interessant, inwiefern solche
auditiven Verarbeitungsstörungen Auswirkungen auf die Sprachentwicklung haben und ob sie
daher auch innerhalb der Therapie von Sprachentwicklungsstörungen Berücksichtigung
finden müssen. Doch auch hier sind die Meinungen geteilt. Obwohl von vielen die
Zusammenhänge zwischen auditiver Wahrnehmung und Sprachentwicklung und ihre
Wichtigkeit betont wird, gibt es auch welche, die das Konzept „Auditive
Wahrnehmungsstörung“ als modalitätsspezifische Beeinträchtigung generell in Frage stellen.
Trotz oder sogar wegen all dieser Widersprüche scheint eine kritische Auseinandersetzung
mit dieser Thematik und ihrer Bedeutung für die Sprachentwicklung notwendig und
lohnenswert.
Nonverbale Basisfaktoren der Sprache 4
II. NONVERBALE BASISFAKTOREN DER SPRACHE
Sprache und Sprachentwicklung können nicht als isoliert ablaufende und bestehende
Phänomene betrachtet werden, sondern müssen in den Gesamtzusammenhang der kindlichen
Entwicklung gesetzt werden. Diese Ansicht über kindliche Sprachentwicklung bestimmt
zahlreiche diagnostische und therapeutische Ansätze der Sprachtherapie und findet auch in
der logopädischen Praxis ihren Niederschlag. Wendlandt3 gibt in seinem „Sprachbaum“ eine
vereinfachte, aber sehr bildhafte Darstellung dieses Gesamtzusammenhangs.
Die Metapher des Baumes verdeutlicht,
dass sich Sprache mit ihren Bereichen
Artikulation, Wortschatz, Grammatik und
Sprachverständnis nur dann entwickeln
kann, wenn eine Reihe grundlegender
Fähigkeiten angemessen ausgebildet ist.
Diese Fähigkeiten, zu denen u.a. die
Sinneswahrnehmungen sowie motorische,
soziale und kognitive Leistungen gehören,
bilden die Basis – eben die Wurzeln des
Sprachbaumes.
Abb. 1: Der Sprachbaum Entnommen aus: WENDLANDT 1992:9.
3 Vgl. WENDLANDT 1992:10.
Nonverbale Basisfaktoren der Sprache 5
Zusätzlich zu diesen basalen Fähigkeiten, zu denen auch das Hören (im weiteren Sinne auch
die auditive Wahrnehmung) gehört, braucht es für die Ausbildung von Sprache auch
ausreichende „Stimulation“ durch die soziale Umwelt (Kommunikation, Sprachanregung,
Akzeptanz etc.). Sind die Wurzeln des Baumes beschädigt oder zu wenig ausgebildet, kommt
es zwangsläufig auch zur Beeinflussung des Wachstums des restlichen Baumes.
Die Wichtigkeit basaler Voraussetzungen wird eigentlich erst dann deutlich, wenn Sprache
sich nicht so entwickelt, wie sie eigentlich sollte. Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen
zeigen häufig Defizite in den genannten Bereichen. Deshalb stellen viele Therapiekonzepte
zur Behandlung von Sprachentwicklungsauffälligkeiten die genannten „sprachtragenden“
Funktionen auch in den Vordergrund der therapeutischen Intervention. Die Menge dieser
unterschiedlichen Ansätze ist kaum überschaubar und je nachdem, welchen Schwerpunkt das
betreffende Konzept verfolgt, werden auch unterschiedliche Gewichtungen innerhalb der
Therapie vorgenommen. So betonen die einen vor allem die Bedeutung motorischer
Leistungen4, taktil-kinästhetischer Funktionen5 sowie visueller oder auditiver6 Fähigkeiten,
während andere die Therapieschwerpunkte auf die soziale Interaktion7 oder einen
handlungsorientierten8 Ansatz legen.
Allen Konzepten gemeinsam ist jedoch eine übergreifende, ganzheitliche Sichtweise, die das
Modul Sprache in einen großen Entwicklungszusammenhang stellt und auch versucht,
mögliche Ursachen von Sprachentwicklungsauffälligkeiten dort anzusiedeln und zu
behandeln. Sprachentwicklung wird hier nicht als isolierter Vorgang verstanden, sondern als
Teil einer umfassenden Gesamtentwicklung, die wiederum in einen Prozess der Sozialisation
eingebettet ist.
Aus diesem Verständnis heraus ergibt sich ein Entwicklungsmodell, welches annimmt, dass
vor (und während) der eigentlichen Sprachentwicklung sensomotorische Prozesse stattfinden
4 Vgl. u.a. AYRES 1992; KESPER & HOTTINGER 1993; OLBRICH 1989; OLBRICH 1989a. 5 Vgl. u.a. AFFOLTER 1987; AFFOLTER & BISCHOFBERGER 1989. 6 Vgl. Kapitel III. 7 Vgl. u.a. FRANKE 1994; JERNBERG 1987; ZOLLINGER 1997; ZOLLINGER 1998. 8 Vgl. u.a. WEIGL & REDDEMANN-TSCHAIKNER 2002.
Nonverbale Basisfaktoren der Sprache 6
müssen, die elementare Bedingungen für das Erreichen höherer Entwicklungsstufen
darstellen.
Grohnfeldt9 betont die Bedeutung der Koordination und Verbindung von Wahrnehmung,
Motorik und sozialen Fähigkeiten für den Verlauf einer ungestörten Sprachentwicklung. Doch
muss der Zusammenhang zwischen verschiedenen Entwicklungsfaktoren und Sprache
wechselseitig gesehen werden. So beeinflusst Sprache z.B. die Ausbildung kognitiver
Strukturen und ist Hauptelement der sozialen Kontaktaufnahme. Die Entwicklung erfolgt also
integrativ, mit gegenseitigen Überlappungen und nach hierarchischen Prinzipien.
Außerdem sind sämtliche Faktoren von biologischen und neurophysiologischen
Voraussetzungen sowie von Umweltbedingungen abhängig.10
Abb. 2: Mehrdimensionales Entwicklungsmodell
Entnommen aus: GROHNFELDT 1993a:20.
Sensomotorische Grundlagen auditiver, motorisch-kinästhetischer und visueller Systeme
bilden die Basis für höhere psychische Funktionen der kognitiven und sprachlichen
Entwicklung, wobei diese Prozesse der Wahrnehmungsverarbeitung und Bewegung im
Rahmen der Eltern-Kind-Interaktion vollzogen werden. Eine solche Einbettung der kindlichen
Kommunikation wird zum Bindeglied zwischen Umwelt und Sensomotorik. Die einzelnen
Bereiche stehen nicht nebeneinander, sondern sind in ihrer Wirkung eng miteinander vernetzt.
Der Erwerb der kindlichen Sprache wird als dynamischer Prozess aufgefasst, bei dem
biologische und neurophysiologische Gegebenheiten des Kindes mit der Umwelt interagieren.
9 Vgl. GROHNFELDT 1993a:19. 10 Vgl. EBENDA:20.
Nonverbale Basisfaktoren der Sprache 7
Die Ausbildung und Reifung dieser Gegebenheiten ist demnach auch von der stimulierenden
Anregung durch die Umwelt abhängig.11
Ein solches (oder ähnliches) faktorenübergreifendes, ganzheitliches Konzept wird zwar von
vielen Autorinnen und Autoren vertreten, dennoch gibt es auch kritische Stimmen, die den
Zusammenhang zwischen Sprache und nonverbalen Basisleistungen zwar nicht leugnen, seine
Bedeutung jedoch für überschätzt halten.
So erklärt Dannenbauer12 den Versuch, mit nichtsprachlichen Mitteln den Grammatikerwerb
beeinflussen zu wollen, als wenig aussichtsreich. Sprachliche Leistungen könnten nur durch
sprachliche Lehr- und Lernprozesse und nicht durch Psychomotorik oder sensorische
Integrationstherapie verbessert werden. Dennoch räumt der Autor ein, dass bei vielen
entwicklungsdysphasischen Kindern diagnostische Gründe bestünden, auch auf anderen
Funktionsebenen (z.B. Motorik und Wahrnehmung) therapeutische Anliegen zu verfolgen.13
Weinert14 bezweifelt den Transfer eines unspezifischen, allgemeinen Wahrnehmungs-, Denk-
oder Motorik-Trainings auf die Sprache. Ebenso hält Dames15 für wahrscheinlich, dass
Sprachstörungen unabhängig von anderen Entwicklungsprozessen behandelt werden können:
„ [...] da bisher keinerlei Beweis für eine mögliche Generalisierung von sprachfreien auf
sprachliche Leistungen angetreten wurde [..., sind] diese Zugänge also eher mit
Zurückhaltung zu betrachten“16.
Kritisiert wird primär aber nicht die Ansicht, dass Sprache eng mit nonverbalen
Basisfunktionen verknüpft ist, sondern gewisse therapeutische Konsequenzen aus einer
verallgemeinernden und unkritische Auslegung dieser Ansicht. Unter dem Vorwand der
Ganzheitlichkeit werde vielfach eine allgemeine und undifferenzierte Förderung von Motorik,
11 Vgl. GROHNFELDT 1993:7. 12 Vgl. DANNENBAUER 1994:84f. 13 Vgl. EBENDA:86. 14 Vgl. WEINERT 2002:53. 15 Vgl. DAMES 1999:159. 16 Vgl. EBENDA:160.
Nonverbale Basisfaktoren der Sprache 8
Wahrnehmung usw. durchgeführt, in der Hoffnung, dass sich dadurch Transferwirkungen auf
sprachliche Leistungen ergeben.
Die unterschiedlichen Auffassungen in der einschlägigen Literatur und der therapeutische
Alltag, in der verschiedenste („nonverbale“) Therapieansätze Platz gefunden haben, spiegeln
lediglich das heterogene Bild wider, das über die kindliche Sprachentwicklung existiert.
Weinert17 stellt fest, dass wir letztendlich nicht genau wissen, unter welchen Bedingungen
und auf welchen Wegen es Kindern gelingt, die komplexen sprachlichen Kategorien, Regeln
und Bedeutungen ihrer Muttersprache zu erwerben. Und genau so wenig, wie eine allgemein
akzeptierte Theorie des Spracherwerbs existiert, gibt es auch kein allgemein gültiges Modell
zur Entstehung von spezifischen Sprachentwicklungsstörungen.
Warum werden dann in so vielen Therapiekonzepten zur Behandlung von
Sprachentwicklungsstörungen überhaupt nonverbale Faktoren berücksichtigt? Dahinter stehen
im Wesentlichen zwei Überlegungen. Die eine ist die, dass beinahe alle Kinder mit
Sprachentwicklungsproblemen auch mehr oder weniger Schwierigkeiten mit nonverbalen
Basisfunktion haben. Die zweite Überlegung sieht diese nicht-sprachlichen Korrelate als
mögliche Verursacher der Sprachentwicklungsprobleme. Beide Überlegungen führen zu
Konsequenzen im diagnostischen und therapeutischen Vorgehen: Es kann nicht genügen, nur
die noch nicht vollständig erworbenen Sprachaspekte zu therapieren, sondern es müssen auch
diejenigen nicht-sprachliche Faktoren in die Therapie einbezogen werden, die als nicht
ausreichend entwickelt diagnostiziert wurden.18
In der therapeutischen Umsetzung dieser Überlegungen ergeben sich mehrere Fragen und
Probleme, auf die ich später - am Beispiel der auditiven Wahrnehmung - etwas ausführlicher
eingehen möchte. Hier nur so viel:
17 Vgl. WEINERT 2002:52. 18 Vgl. GRIMM 1994:12f.
Nonverbale Basisfaktoren der Sprache 9
• Auch wenn die Beobachtungen für sich sprechen, dass Sprache mit nicht-sprachlichen
Faktoren verknüpft ist, bleibt unklar, wie diese Verknüpfung genau aussieht. Die
Frage, welche nicht-sprachlichen Korrelate als potentielle Verursacher von
Sprachentwicklungsstörungen gesehen werden können, bleibt in vielen Fällen schwer
zu beantworten.19
• Auch wenn es gelingt, eine einzelne (nicht-sprachliche) Komponente zu verbessern,
bleibt offen, ob dies auch positive Effekte auf die sprachlichen Fähigkeiten des Kindes
hat. Beobachtbare Effekte lassen sich möglicherweise auch auf andere Ursachen
zurückführen. Empirische Untersuchungen in dieser Richtung existieren kaum.20
Selbst wenn man die Möglichkeiten, die sprachlichen Leistungen eines Kindes durch die
Förderung nonverbaler Komponenten zu beeinflussen, kritisch betrachtet, bleibt die Tatsache
bestehen, dass Sprache (irgendwie) mit diesen Komponenten verknüpft ist. Daraus folgt
unweigerlich, dass diese Komponenten auch in Diagnose und Therapie von
Sprachentwicklungsstörungen berücksichtigt werden müssen. Unklar bleibt dann aber immer
noch, welche nonverbalen Komponenten einen Zusammenhang mit der Sprachentwicklung
aufweisen, wie dieser Zusammenhang genau aussieht und wie sich die Berücksichtigung der
gestörten Komponenten innerhalb einer logopädischen Intervention gestalten sollte. Also
viele offene Fragen!
Akzeptiert man ein „Multifaktoren-Modell“ der Sprachentwicklung, in dem Sprache mit
nonverbalen Faktoren in Interaktion steht, so hat dies auch Konsequenzen für Diagnose und
Therapie von Sprachentwicklungsstörungen. Sprache ist dabei Teil eines Systems, in dem die
einzelnen Elemente voneinander abhängig sind. Die Störung eines einzelnen Elements kann
Auffälligkeiten des gesamten Systems zur Folge haben. Dabei ist es aufgrund der
Komplexität des Gegenstandes unter Umständen schwierig, genau auszumachen, welche
Elemente in welcher Ausprägung betroffen sind und ob hier kausale Zusammenhänge zu
Sprachentwicklungsauffälligkeiten bestehen.
19 Vgl. GRIMM 1994:12. 20 Vgl. EBENDA:13.
Nonverbale Basisfaktoren der Sprache 10
Grohnfeldt21 nennt diagnostische und therapeutische Konsequenzen, die ein solches Modell
für Diagnose und Therapie von Sprachentwicklungsstörungen nach sich zieht:
• Eine Klassifikation nach Oberflächensymptomen ist nicht ausreichend, da
Zusammenhänge zwischen den einzelnen Elementen des Systems und eine
vorliegende Grundstörung unentdeckt bleiben.
• Die Wechselseitigkeit der einzelnen Elemente (Funktionsbereiche) bedingt, dass
Störungen der Sprachentwicklung meist auch multiple Ursachen haben. Ein
eindeutiger Kausalzusammenhang kann nur in Ausnahmefällen gemacht werden.
• Die Diagnose von Sprachentwicklungsstörungen muss über die Beurteilung der rein
sprachlichen Fähigkeiten des Kindes hinausgehen und auch andere Funktionsbereiche
(Wahrnehmung, Motorik, soziale Interaktion etc.) berücksichtigen, um verursachende
Störungen dieser Basisleistungen erkennen zu können.
• Die Therapiemaßnahmen müssen über eine symptomspezifische Behandlung hinaus
gehen. Mechanismen, die dem Störungsbild zugrunde liegen, müssen im Rahmen der
therapeutischen Intervention berücksichtigt werden.
Folgende, sich überschneidende und gegenseitig beeinflussende Entwicklungsbereiche
können – neben der Sprache – unterschieden werden:22
• Wahrnehmung
o Visuelle Wahrnehmung
o Taktil-kinästhetische Wahrnehmung
o Auditive Wahrnehmung
• Motorik
o Grobmotorik
o Feinmotorik
• Kognition
• Sozial-emotionale Entwicklung
21 Vgl. GROHNFELDT 1993:8f. 22 Vgl. GROHNFELDT 1993a:21ff.
Nonverbale Basisfaktoren der Sprache 11
Die einzelnen Bereiche sind nur der Übersicht halber getrennt dargestellt. In der Realität sind
sie eng miteinander verwoben. Sensorik und Motorik beeinflussen sich gegenseitig,
Wahrnehmungsprozesse bilden die Grundlage für kognitive Funktionen und alle Elemente
sind in Bereiche der sozial-emotionalen Entwicklung eingebunden.23
Im Zusammenspiel der einzelnen Entwicklungsbereiche kommt der Wahrnehmung eine
besondere Bedeutung zu. Unser Wahrnehmungssystem orientiert sich dabei zunächst nicht an
Einzelelementen, sondern an differierenden Merkmalen. Mit Hilfe von Sinneserfahrungen
werden Wahrnehmungsmuster gebildet und verändert, indem eine Selektion aus der Menge
der sensorischen Eindrücke erfolgt.24
Tatsächlich können die Bereiche Wahrnehmung und Motorik nicht voneinander getrennt
werden. Beide bilden eine Einheit, deren Elemente voneinander abhängig sind. Dieser
Auffassung trägt auch der Begriff Sensomotorik Rechnung. Ayres25 weist außerdem auf die
Bedeutung der Integration der unterschiedlichen Wahrnehmungsqualitäten hin. Es reicht nicht
aus, dass Informationen aus den verschiedenen Sinnen in unserem Gehirn ankommen. Diese
Informationen müssen auch geordnet und miteinander in Verbindung gebracht werden. Diese
Sensorische Integration ermöglicht erst organisierte und an die Umwelt angepasste
Reaktionen.26
Sensorische Prozesse liefern den Input, den es braucht, um Sprache zu entwickeln. Über
unsere Sinnessysteme können Informationen aus unserer Umwelt und unserem Körper
aufgenommen und verarbeitet werden. So spricht z.B. Affolter27 über die Bedeutung von
taktil-kinästhetischer Spürerfahrung für die Entfaltung sprachlicher Fähigkeiten des Kindes.
23 Vgl. GROHNFELDT 1993:54. 24 Vgl. GROHNFELDT 1993a:21. 25 Vgl. AYRES 1992:6ff. 26 Vgl. EBENDA:17. 27 Vgl. AFFOLTER 1987:307ff.
Nonverbale Basisfaktoren der Sprache 12
Ebenso wie sensorische Komponenten ist auch die Motorik eng mit Sprache und
Sprachentwicklung verknüpft.28 Dabei sind neben den mund- und sprechmotorischen
Fähigkeiten auch grobmotorische Kompetenzen wichtig. Um die Umwelt in ausreichender
Weise zu „erfahren“, ist das Kind auf Bewegung angewiesen. Erst ein gewisses Maß an
motorischer Geschicklichkeit ermöglicht es dem Kind, sich und seine Umwelt in der Weise zu
verändern, dass es auch „Sprachwertes“ erleben kann.
Es ist anzunehmen, dass Störungen der Sprachentwicklung häufig mit Veränderungen der
kognitiven Struktur einhergehen. Unter kognitiver Struktur sind all jene Prozesse zu
verstehen, die mit Wahrnehmungsverarbeitung und Realitätserschließung zu tun haben. Hier
spielen auch Faktoren wie Aufmerksamkeit, Konzentration und Speicherfähigkeit hinein, die
gemeinsam für das individuelle Lernverhalten verantwortlich sind. Bei
sprachentwicklungsauffälligen Kindern mit normaler Intelligenz wurden in hohem Maße auch
Lernbeeinträchtigungen festgestellt, wobei jedoch unklar bleibt, ob sich die Sprachstörung
negativ auf das Lernverhalten auswirkt oder durch eine allgemeine kognitive Schwäche
verursacht wird.29
Es wird auch vermutet, dass spracherwerbsgestörte Kinder Defizite in der hierarchischen
Planung kognitiver Elemente aufweisen, was sich vor allem in morphologischen und
syntaktischen Schwierigkeiten ausdrückt.30
Der Zusammenhang zwischen Sprachentwicklung und sozial-emotionaler Entwicklung
kann wechselseitig gesehen werden. Einerseits können bestimmte soziale Bedingungen zur
Entstehung oder Verstärkung einer Sprachentwicklungsstörung beitragen, andererseits kann
sich eine bestehende Sprachentwicklungsproblematik auf die emotionale, soziale und
familiäre Situation von Kind und Eltern auswirken.31
So konnte z.B. festgestellt werden, dass sich das Sprachangebot von Müttern
sprachentwicklungsauffälliger und sprachgesunder Kinder unterscheidet. Die Mütter der 28 Vgl. u.a. GROHNFELDT 1993:57; KESPER & HOTTINGER 1993:76f. 29 Vgl. GROHNFELDT 1993a:80. 30 Vgl. SZAGUN 1991:298ff. 31 Vgl. GROHNFELDT 1993a:82ff.
Nonverbale Basisfaktoren der Sprache 13
Kinder mit einer Sprachentwicklungsstörung gingen u.a. thematisch weniger auf die
sprachlichen Produktionen ihrer Kinder ein und lieferten weniger Expansionen der kindlichen
Äußerungen. Die Ursache dieses veränderten Interaktionsstils könnte jedoch in einer
Anpassung der Mütter an die eingeschränkten sprachlichen Fähigkeiten des Kindes liegen.
Dadurch wird zwar die Sprachstörung nicht verursacht, dem ohnehin sprachgestörten Kind
jedoch eine weniger reiche sprachliche Umwelt geboten.32
Im Folgenden soll der Bereich der auditiven Wahrnehmung und sein möglicher
Zusammenhang mit der Sprachentwicklung etwas näher dargestellt werden. Erkenntnisse,
Probleme und Fragen in Bezug auf die auditive Wahrnehmung lassen sich teilweise auch auf
andere nonverbale Faktoren wie Motorik, visuelle Wahrnehmung, taktil-kinästhetische
Wahrnehmung, Kognition und sozial-emotionale Situation übertragen.
Die Unklarheit und Uneinigkeit darüber, ob nonverbale Basisfunktionen als verursachend für
Sprachentwicklungsstörungen anzusehen sind, betrifft mehr oder weniger alle nonverbalen
Bereiche. Dadurch entsteht eine Art „therapeutisches Dilemma“, bei dem die Logopädin / der
Logopäde sich zwischen persönlichen Erfahrungen und Einsichten, den Ansprüchen des
Kindes und der Eltern, den unterschiedlichen Therapieansätzen und der kritischen
Auseinandersetzung mit der Therapieeffizienz befindet. Ein Entkommen aus diesem Dilemma
ist vermutlich nicht zur Gänze möglich. Die Konfrontation mit gegensätzlichen
Gesichtspunkten, die Beleuchtung des Problemfeldes Sprachentwicklung aus
unterschiedlichen Perspektiven und eine kritische Hinterfragung des eigenen Vorgehens
mögen aber helfen, einen individuellen Standpunkt zu finden und zu stärken.
32 Vgl. SZAGUN 1991:305ff.
Auditive Wahrnehmung 14
III. AUDITIVE WAHRNEHMUNG
Auditive Wahrnehmung meint nicht das Hören an sich, sondern die Prozesse des
Zentralnervensystems, das Gehörte zu erfassen und zu verarbeiten. Physiologisch gesehen
werden dabei im Sinnesorgan akustische Signale in elektrische Nervenimpulse umgewandelt.
Anschließend erfolgt eine zunehmend bewusste Analyse der auditiven Reize und ihr Einbau
in komplexere Kognitionsprozesse. Das bedeutet, einfache Reizmerkmale werden mit Hilfe
von Bottom-up-Prozessen analysiert und in höhere Kognitionsprozesse eingebunden.
Gleichzeitig ist die auditive Wahrnehmung abhängig von Funktionen, die von einer höheren
Ebene auf den Wahrnehmungs- und Verarbeitungsprozess einwirken. Solche Top-down-
Prozesse sind Funktionen und Zustände wie Aufmerksamkeit, Gedächtnis oder Emotionen.33
Wahrnehmung ist also ein „[...] Prozeß des Informationsgewinns aus Umwelt- und
Körperreizen (äußere und innere Wahrnehmung) einschließlich der damit verbundenen
emotionalen Prozesse und der durch Erfahrung und Denken erfolgenden Modifikation.“34
Zur Wahrnehmung gehören Reizaufnahme, Weiterleitung, Speicherung, Vergleichen mit dem
bisher Wahrgenommenen, Koordination von Einzelreizen, Reizverarbeitung, Reaktion und
die Kontrolle über die erfolgte Rückmeldung.35
Unser ganzes Leben lang sind wir von akustischen Reizen umgeben. Das Sinnesorgan Ohr ist
in seiner Gesamtheit ein Hauptträger der menschlichen Kommunikation und ein
funktionierendes Gehör ist Voraussetzung für die Entwicklung von Lautsprache.
Die komplexen Funktionsabläufe auditiver Prozesse können in einen peripheren und einen
zentralen Anteil gegliedert werden. Der periphere Teil ist im Wesentlichen für die Aufnahme
der akustischen Signale und ihre Weiterleitung bis zum eigentlichen Hörorgan - der Cochlea -
33 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:34f. 34 FRÖHLICH 1990:365. 35 Vgl. FRANKE 1998:223.
Auditive Wahrnehmung 15
verantwortlich. Der zentrale Anteil beinhaltet die Prozesse, die für die Verarbeitung der
akustischen Signale in den zentralen Hörbahnen und den kortikalen Hirnregionen sorgen.36
Schon lange vor der Geburt beginnt die Entwicklung des Hörens. Bereits in der 9.
Schwangerschaftswoche ist der Schneckengang vollständig ausgebildet und in der 12.
Schwangerschaftswoche sind die Haarzellen ausgereift. Nach der Reifung des Corti-Organs
kann ab der 26. Schwangerschaftswoche mechanische Schallenergie in elektrische
Nervenimpulse umgewandelt werden, womit menschliches Hören ermöglicht wird. Das Kind
reagiert auf akustische Stimulation mit einer Intensität von 110 dB bereits ab der 28.
Schwangerschaftswoche mit dem Blinzel– und Startlereflex. In verschiedenen
Untersuchungen37 konnte bewiesen werden, dass Neugeborene die Stimme ihrer Mutter
bevorzugen. „Obwohl es sich bei diesen Untersuchungen in der Regel um
Einzelbeobachtungen handelte, gilt es heute angesichts der Vielzahl sich bestätigender
Untersuchungen als sicher, daß ein Kind bei der Geburt in der Regel schon über eine 12 –
14-wöchige Hörerfahrung verfügt.“38
Während aber die Ausreifung des peripheren Hörorgans (von der Ohrmuschel bis zum
Innenohr) bei der Geburt als weitgehend abgeschlossen gilt, dauert die Ausreifung der
zentralen Hörbahnen mehrere Jahre.39 Damit die zentralen Hörbahnen jedoch ausreifen
können, muss ein (annähernd) normales Gehör bestehen. Akustische Stimulation ist für die
Entwicklung des kindlichen Gehörs notwendig.40
Fehlt diese Stimulation durch Schallreize, kommt es nachgewiesenermaßen zu „[...]
Entwicklungsdefiziten des zentralen Sprachsystems und seiner funktionellen Verknüpfung. Zu
den funktionellen Folgeschäden gehören eine Verzögerung oder ein Ausbleiben einer
entwicklungsgerechten Engrammbildung von Sprachmustern sowie hörbedingte Defizite der
kognitiven, intellektuellen, emotionalen und psychosozialen Entwicklung“41.
36 Vgl. u.a. BÖHME & WELZL-MÜLLER 1998:34 ff; HÖFLER 1995:131ff. 37 Vgl. PTOK & PTOK:1996:2. 38 EBENDA. 39 Vgl. PTOK & PTOK:1996:1ff. 40 Vgl. LAMPRECHT-DINNESEN 1996:7. 41 EBENDA.
Auditive Wahrnehmung 16
Aber auch bei einem gut entwickelten peripheren Hörsystem kann es zu Störungen in der
zentralen Verarbeitung von akustischen Reizen kommen, die an späterer Stelle ausführlicher
behandelt werden sollen.42
In den letzten Jahren ist die Beschäftigung mit der „Auditiven Wahrnehmung“ zunehmend
intensiver geworden. Aus unterschiedlichen Blickwinkeln haben sich mehrere
Wissenschaftsdisziplinen mehr oder weniger unabhängig um dieses komplexe Phänomen und
seine Störungen bemüht. Die Literatur dazu ist zahlreich und nur schwer überschaubar.
Obwohl Erkenntnisse und Einsichten der unterschiedlichen Disziplinen kaum auf einen
Nenner gebracht werden können, erscheint eine kritische Auseinandersetzung mit den
unterschiedlichen Ansätzen und der Versuch ihrer gegenseitigen Integration lohnenswert.
42 Siehe dazu: Kapitel III/6.
Schall 17
1. Schall
Alle Umweltgeräusche, das Zwitschern der Vögel, das Brummen der Motoren und die für uns
so wichtigen Sprachsignale sind mehr oder weniger komplexe Schallereignisse, die in
akustische Parameter zerlegt werden können.
Wird ein Körper in Schwingung versetzt, führt dies zu einer Bewegung der Teilchen im
angrenzenden Medium. Diese Störung breitet sich durch Druckveränderungen im Medium
weiter aus und kann durch verschiedene Parameter beschrieben werden.
Die Intensität der Störung, die wir als laut oder leise empfinden, ist abhängig vom Ausmaß
der Druckänderung im Medium und wird als Schalldruck (p) in der Einheit Pascal (Pascal)
RGHU� �3D� �0LNURSDVFDO�� DQJHJHEHQ�� 'D� GHU� JHULQJVWH�� YRP� 0HQVFKHQ� JHUDGH� QRFK�
ZDKUJHQRPPHQH� 6FKDOOGUXFN� ��� �3D�� GHU� ODXWHVWH�� GHU� RKQH� 6FKPHU]HQ� ZDKUJHQRPPHQ�
werden kann, 100 Pa beträgt, kann dieser Bereich aufgrund der großen Differenz der Werte
nicht linear dargestellt werden. Daher geht man auf eine logarithmische Darstellung, den
Schalldruckpegel (L) mit der Einheit dB (Dezibel), über.43
Die Empfindung von Höhe oder Tiefe eines Schallereignisses wird durch die Frequenz der
Schwingung bestimmt. Die Frequenz f mit der Einheit Hertz (Hz) ist die Anzahl der
Schwingungen pro Sekunde. Hohe Frequenzen werden als hoch, und niedrige Frequenzen
werden als tief empfunden.44
43 Vgl. BÖHME & WELZL-MÜLLER 1998:29f. 44 Vgl. LAUER 2001:9.
Schall 18
Je nach Zeitverlauf und Frequenzspektrum können drei Formen von Schall unterschieden
werden:45
• Töne sind charakterisiert durch eine Frequenz und eine Amplitude. Sie laufen
periodisch ab und kommen in der Natur nicht vor.
• Klänge bestehen aus mehreren „Teiltönen“ (Grundton mit Obertönen bzw.
Partialtönen) mit unterschiedlichen Frequenzen und Amplituden, wobei die subjektiv
empfundene Klanghöhe vom tiefsten Teilton, dem Grundton bestimmt wird. So stellt
das, was wir alltagssprachlich als „Töne“ bezeichnen (z.B. die Töne der Musik), im
akustischen Sinne eigentlich keine Töne, sondern Klänge dar.
• Geräusche: im Gegensatz zu Tönen und Klängen besitzen Geräusche kein sog.
diskretes Spektrum (einzelne, genau definierbare Frequenzen), sondern ein
kontinuierliches Spektrum (einen bestimmten Frequenzbereich).
Abb. 3: Zeitfunktion und Spektrum von Ton (oben), Klang (Mitte) und Geräusch (unten)
Entnommen aus: BÖHME & WELZL-MÜLLER 1998:32.
45 Vgl. BÖHME & WELZL-MÜLLER 1998:32.
Schall 19
In Hinblick auf auditive Wahrnehmung und Sprache lassen sich für Sprachsignale folgende
akustischen Merkmale feststellen:
Sprachsignale bestehen aus Klängen, Geräuschen oder einer Kombination aus beiden.
Innerhalb eines Sprachsystems unterscheidet man die kleinsten bedeutungsunterscheidenden
Einheiten (Phoneme), die durch ihre distinktiven Merkmale voneinander abgegrenzt werden.
Solche Merkmale sind z.B. vokalisch – nicht vokalisch, stimmhaft – stimmlos oder nasal –
oral.
Das System der deutschen Laute besteht aus ca. 19 Vokalen und 21 Konsonanten (je nach
phonematischer Analyse).46
Vokale
Im akustischen Sinne bestehen Vokale aus Klängen mit einem periodischen Bau der
Schwingungskurven und einer annähernd gleichen Grundtonhöhe. Einzelne Vokale
unterscheiden sich weniger durch ihren Grundton, sondern vielmehr durch ihre Klangfarbe.
Diese entsteht durch Verstärkung der im Kehlkopf gemeinsam mit dem Grundton
abgestrahlten Obertöne (Partialtöne). Je nach Ausformung der Mundhöhle durch
unterschiedliche Stellung von Zunge, Lippen und Unterkiefer werden unterschiedliche
Partialtöne durch Resonanz verstärkt. Nicht alle Partialtöne sind gleich wichtig. Für die
Klangfarbe der einzelnen Vokale sind bestimmte Partialtongebiete von großer Intensität
(=Formanten) verantwortlich. Ein Formant ist also ein Partialtongebiet besonderer Intensität,
das für die Klangfarbe eines Vokals entscheidend ist. Man unterscheidet vier Formanten (F1
bis F4). Für die Klassifikation von Vokalen sind im Wesentlichen die zwei unteren Formanten
(F1 und F2) von Bedeutung. Sie sind abhängig von der anatomischen Gestaltung des
Resonanzraums, aber weitgehend unabhängig von der Tonhöhe. F3 und F4 sind wichtig für die
Identifikation der Sprecherin oder des Sprechers.47
F1 wird durch das Volumen des Mund-Rachenraums (hinterer Resonanzraum) bestimmt. Bei
Vorwärtsbewegung des Zungenrückens kommt es z.B. zu einer Erweiterung des Mund-
Rachenraums und dadurch zu einer Frequenzabnahme von F1. F2 ist abhängig vom Volumen
46 Vgl. WIRTH 1990:119ff. 47 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:20f.
Schall 20
des Raumes zwischen Lippen und Zungenrücken (vorderer Resonanzraum). Je weiter die
Zunge nach vorne verlagert wird, desto höher liegt F2.
F3 hängt von der Interaktion zwischen vorderem und hinterem Resonanzraum ab und F4 ist
u.a. abhängig von der Größe des supraglottischen Raums.48
Die folgende Abbildung zeigt die Lage der deutschen Vokalformanten F1 und F2 bei den
unterschiedlichen Vokalen. Deutlich sichtbar ist, wie dicht beieinander die Spektren der
beiden Formanten z.B. beim Vokal /a/ liegen und wie groß die Differenz der Spektren beim
Vokal /i:/ ist.
Abb. 4: Die Lage der deutschen Vokalformanten F1 und F2
Entnommen aus: WIRTH 1990:130.
Konsonanten
Konsonanten bestehen akustisch entweder aus einem Geräusch (stimmlose Konsonanten) oder
aus einem Gemisch von Klängen und Geräuschen (stimmhafte Konsonanten). Bei der Bildung
von Konsonanten wird in Kehlkopf, Rachen oder Mundhöhle eine Hemmstelle gebildet, die
aus einer Verengung oder einem Verschluss der Artikulationsorgane besteht. Diese
Hemmstelle kommt bei den stimmhaften Konsonanten als zweite Schallquelle zu dem von
den Stimmlippen erzeugten Stimmklang hinzu. Bei den stimmlosen Konsonanten ist sie die
einzige Schallquelle.49 48 Vgl. WIRTH 1990:124ff. 49 Vgl. EBENDA:136.
Schall 21
Hinsichtlich ihrer akustischen Eigenschaften lassen sich folgende Konsonantentypen
unterscheiden:50
• Sonanten: Die Hemmstellenbildung führt zu keiner Geräuschentwicklung (/m/, /n/, /l/,
������6LH�KDEHQ�YRNDOLVFKHQ�&KDUDNWHU�
• Echte Konsonanten: Die Hemmstellenbildung führt zur Erzeugung eines Geräusches.
Dabei gibt es jedoch fließende Übergänge von Klängen und Geräuschen.
o Konsonanten mit Klangübergewicht: /r/ oder /R/;
o Konsonanten mit Geräuschübergewicht: /v/, /z/, /b/, /d/, /g/;
o Reine Geräuschkonsonanten: /f/, /s/, /��, /ç/, /x/, /p/, /t/, /k/;
Auch Konsonanten haben Formanten, bei ihnen stehen die Partialtöne jedoch nicht in einem
einfachen mathematischen Verhältnis zueinander. Für die Bildung von Konsonanten sind die
hohen Frequenzen von besonderer Bedeutung. Der Frequenzbereich ist umso höher, je kleiner
die Engstelle ist, die der Phonationsstrom während der Artikulation passieren muss.
So liegt die obere Grenze dieses Bereichs z.B. für /s/ bei 8000 Hz und für /f/ bei 6400 Hz.51
Für die Aufnahme und Verarbeitung von Sprachsignalen sind daher komplexe Fähigkeiten
nötig, die nur ein gesundes und funktionsfähiges auditives System adäquat leisten kann.
Einschränkungen in der Hörverarbeitung (peripher oder zentral) gehen daher auch immer mit
Beeinträchtigungen der Sprachverarbeitung einher.
50 Vgl. WIRTH 1990:136. 51 Vgl. EBENDA:142.
Peripheres Hörorgan 22
2. Peripheres Hörorgan
Da es hier vorrangig um die zentrale Verarbeitung von akustischen Signalen (im Besonderen
von Sprache) geht, soll nur kurz auf die anatomischen und physiologischen Grundlagen des
peripheren Hörorgans eingegangen werden.
Abb. 5: Das menschliche Ohr
Entnommen aus: LAUER 2001:3.
2.1. Anatomische und physiologische Grundlagen
Im medizinischen Sinne können folgende Teile des Ohres unterschieden werden:52
• das äußere Ohr
• das Mittelohr
• das Innenohr
• der Hörnerv und die zentrale Hörbahn.
52 Vgl. HÖFLER 1995:131 ff.
Peripheres Hörorgan 23
2.1.1. Äußeres Ohr
Aufbau
Das äußere Ohr besteht aus der Ohrmuschel (Concha) und dem äußeren Gehörgang.
Die Ohrmuschel wird von einem elastischen Knorpel gebildet, der von Haut (mit Haaren und
Drüsen) überzogen ist.
Der äußere Gehörgang besteht aus einem knorpeligen (nahe der Ohrmuschel) und einem
knöchernen Anteil (nahe dem Trommelfell). Er ist ca. 3 cm lang und wird zum Mittelohr hin
durch das Trommelfell begrenzt.
Funktion
Die Ohrmuschel hat für das Hören des Menschen eher geringe Bedeutung. Dennoch
verbessert sie das Richtungshören vor allem für hochfrequenten Schall.53
Der Gehörgang hat die Aufgabe, den Schall von außen in Richtung Mittelohr weiterzuleiten,
wobei durch seine Eigenresonanz eine Verstärkung des eintreffenden Schalls im Bereich von
ca. 2 – 4 kHz erfolgt. Außerdem schützt der Gehörgang Trommelfell und Mittelohr durch
seinen geknickten Verlauf, seine Haare und die Bildung von Cerumen vor „Einflüssen“ von
außen.54
53 Vgl. HÖFLER 1995:132. 54 Vgl. EBENDA.
Peripheres Hörorgan 24
2.1.2. Mittelohr
Aufbau
Das Trommelfell bildet die Grenze zwischen äußerem Gehörgang und Mittelohr. Es ist eine
häutige Membran von ca. 1 cm Durchmesser, die trichterförmig nach innen gewölbt ist.55
Das Mittelohr besteht aus der normalerweise mit Luft gefüllten Paukenhöhle und den
angrenzenden pneumatischen Zellen. Die Paukenhöhle enthält neben den Gehörknöchelchen
Hammer (Malleus), Amboss (Incus) und Steigbügel (Stapes) die beiden Mittelohrmuskeln
M. tensor tympani und M. stapedius sowie Ligamente.56
Die Tube (Tuba auditiva) verbindet Paukenhöhle und Nasenrachenraum. Sie besteht aus
einem engen, spaltförmigen Gang und führt dem Mittelohr die für eine ungestörte Funktion
notwendige Luft von außen zu.57
Funktion
Die Schallwellen werden vom Trommelfell über die Gehörknöchelchenkette auf die
Steigbügelfußplatte und in das Innenohr weitergeleitet. Dabei findet eine Umwandlung von
Bewegungsenergie mit geringem Druck (Trommelfell) in Druckenergie mit nur kleiner
Bewegung (ovales Fenster) statt. Durch die unterschiedlichen Flächen von Trommelfell und
ovalem Fenster („Stöckelschuheffekt“) sowie durch die Hebelwirkung der Gehörknöchelchen
ergibt sich eine Erhöhung des Schalldruckes auf mehr als das 20-fache. Dies ist nötig, um eine
Impedanzangleichung zwischen äußerem Ohr (Medium Luft) und Innenohr (Medium
Flüssigkeit) zu erreichen. Dank des Mittelohres können 60 % der Schallenergie in das
Innenohr weitergeleitet werden. Bei direktem Auftreffen von Schall auf das ovale Fenster
würden 99 % dieser Energie verloren gehen.58
55 Vgl. ZOROWKA & HÖFLER 2000:326. 56 Vgl. BÖHME & WELZL-MÜLLER 1998:35. 57 Vgl. ZOROWKA & HÖFLER 2000:328. 58 Vgl. HÖFLER 1995:134.
Peripheres Hörorgan 25
2.1.3. Innenohr
Aufbau
Das Innenohr (Labyrinth) enthält einerseits das Gleichgewichtsorgan und andererseits das
eigentliche Hörorgan. Es wird durch Aushöhlungen des Felsenbeins gebildet (knöchernes
Labyrinth), welche mit Flüssigkeit (Perilymphe) gefüllt sind. Darin eingebettet befindet sich
das häutige Labyrinth. Es besteht aus ebenfalls flüssigkeitsgefüllten (Endolymphe)
„Schläuchen“ bzw. „Bläschen“. Die Schnecke (Cochlea) liegt in einem schneckenartig
gewundenen Gang im Knochen, der sich über 2 ½ Windungen erstreckt. Dieser Gang wird
durch 2 Membranen (Basilarmembran und Reissner-Membran) in 3 Hohlräume unterteilt.59
Abb. 6: Querschnitt durch eine Windung der Cochlea
Entnommen aus: LAUER 2001:4.
Das eigentliche Hörorgan (Corti-Organ) liegt auf der Basilarmembran. Es enthält die
Sinneszellen (äußere und innere Haarzellen), Stützzellen und die mit den Sinneshaaren in
Verbindung stehende Deckmembran (Tektorialmembran). Die Sinneszellen wiederum stehen
mit den Nervenendigungen in Verbindung, welche die Signale zum Hörnerv und in die
zentrale Hörbahn weiterleiten.
59 Vgl. HÖFLER 1995:134 ff.
Peripheres Hörorgan 26
Funktion des Corti-Organs
Das Corti-Organ bewirkt die Umwandlung von mechanischer Energie (Wanderwelle) in
elektrische Impulse, die über den Hörnerv zum Gehirn weitergeleitet und dort verarbeitet
werden.60
Nach der Wanderwellentheorie von Békésy führen die von der Steigbügelfußplatte auf die
Perilymphe übertragenen Druckschwankungen zur Ausbildung einer „Wanderwelle“ in der
Schnecke, wobei die Frequenz der anregenden Schwingung die Lage des Wellenmaximums
bestimmt. Bei tiefen Frequenzen ist das Maximum eher an der Schneckenspitze, bei höheren
Frequenzen eher an der Schneckenbasis.61 Diese Zuordnung von Frequenz des Schalls zu
einen bestimmten Ort wird als Tonotopie bezeichnet.62
Abb. 7: Tonotopie auf der Basilarmembran
Entnommen aus: LAUER 2001:4.
60 Vgl. HÖFLER 1995:136. 61 Vgl. ZOROWKA & HÖFLER 2000:330 f. 62 Vgl. BÖHME & WELZL-MÜLLER 1998:39.
Peripheres Hörorgan 27
Außer diesem passiven Vorgang ist in der Cochlea noch ein aktiver wirksam. Er beruht auf
der Fähigkeit der äußeren Haarzellen, auf chemische, akustische und elektrische Reize mit
einer Kontraktion des Zellkörpers zu reagieren.63 Dadurch wird eine Vergrößerung der
Wanderwelle bei niedrigen Amplituden erreicht. Nur so werden die inneren Haarzellen auch
bei leisen Pegeln ausgelenkt und mechanische Impulse können in elektrische umgewandelt
werden. Diese Verstärkerfunktion der äußeren Haarzellen ermöglicht uns also erst das Hören
und Verarbeiten von leisen Pegeln.
Die Cochlea wird durch afferente (von peripher nach zentral), efferente (von zentral nach
peripher) und autonome Fasern innerviert.
95 % der afferenten Fasern endigen an den inneren und nur 5% an den äußeren Haarzellen.
Die efferente Innervation hat ihren Ursprung in der oberen Olive und dient vermutlich zur
Steuerung der Empfindlichkeit der äußeren Haarzellen.64
63 Vgl. BÖHME & WELZL-MÜLLER 1998:40. 64 Vgl. EBENDA:38.
Hörnerv und zentrale Hörbahn 28
3. Hörnerv und zentrale Hörbahn
3.1. Hörnerv
„Der Nervus cochlearis stellt [...] den Eingang aller akustischen Informationen in das
Zentralnervensystem dar.“65
Seine Nervenfasern ziehen von der Cochlea zur Schneckenspindel und bilden dort das
Spiralganglion. Gemeinsam mit den Fasern aus dem Gleichgewichtsorgan ziehen sie als VIII.
Hirnnerv (Nervus cochleovestibularis) zum Hirnstamm. Dort endet der Hörnerv in den
Akustikuskernen (Nucleus cochlearis).66
Das Antwortverhalten der Einzelneurone des Hörnervs auf akustische Reize wird
folgendermaßen beschrieben:67
• Frequenzkodierung: Für jedes Einzelneuron existiert eine bestimmte
„Bestfrequenz“. Bei dieser Frequenz reagiert das Neuron bereits bei geringsten
Pegeln mit Aktionspotentialen. Dieses Verhalten wird durch die Frequenz-
Ortsabbildung (Tonotopie) auf der Basilarmembran verursacht68. Die Information
über die Frequenz des Reizes wird jedoch nicht nur durch die Tonotopie
weitergegeben, sondern auch dadurch, dass die Erregung im N. cochlearis nur zu
einem bestimmten Zeitpunkt der Phase des Reizes erfolgt. Diese sog.
Periodizitätsanalyse ermöglicht es dem Gehirn, die im Entladungsmuster
enthaltene Zeitstruktur auszuwerten und die zugehörigen Schallfrequenzen zu
berechnen. Dieser Mechanismus funktioniert bis zu einer Frequenz von mindestens
5 kHz.69
• Intensitätskodierung: Die Intensität des akustischen Signals wird durch die
Anzahl der Entladungen des Einzelneurons sowie durch die Anzahl der insgesamt
65 BÖHME & WELZL-MÜLLER 1998:41. 66 Vgl. ZOROWKA & HÖFLER 2000:333. 67 Vgl. BÖHME & WELZL-MÜLLER 1998:40 f. 68 Vgl. Kapitel III/2.1.3. 69 Vgl. KLINKE 1995:267.
Hörnerv und zentrale Hörbahn 29
erregten Neurone kodiert.70 Bei zunehmender Intensität einer bestimmten Frequenz
nimmt auch die Aktivität des Neurons bis zu einem Maximum zu („monotone
Intensitätsfunktion“).
Bei höheren Schalldruckpegeln werden aber nicht nur die „betroffenen“, sondern
auch benachbarte Fasern aktiviert.71
• Kodierung der Phase: Für tieffrequentere Reize (unter 4 kHz) besteht ein
Zusammenhang zwischen der Phase des Signals und dem Zeitpunkt der Entladung
der Aktionspotentiale.72
• Adaptation: Die Entladungsrate der Neurone ist abhängig von der Dauer des
Reizes. Bei Beginn eines akustischen Reizes ist die Anzahl der Entladungen hoch
und nimmt dann stetig ab, bis sie einen stationären Zustand erreicht. Auch bei
komplexeren Reizen bestimmen die Komponenten des Signals die Art der
neuronalen Antwort. Dadurch werden Informationen, die im Reiz enthalten sind,
im Muster der Aktionspotentiale verschlüsselt.
3.2. Zentrale Hörbahn
Der zentrale Anteil des Hörorgans ist für die auditive Verarbeitung von akustischen Signalen
nach der erfolgten peripheren Aufnahme durch äußeres Ohr, Mittelohr und Innenohr
verantwortlich.
Dabei erfolgt im Verlauf der Hörbahn eine Verrechnung unterschiedlicher
Schalleigenschaften (Intensität, Frequenz etc.), wodurch die Lokalisation von Schallquellen,
die Analyse und Verarbeitung von zeitlichen Verhältnissen, Musik und Sprache möglich
wird.73
Das zentral-auditorische System beginnt im Cochleariskern (Nucleus cochlearis) und endet im
auditorischen Cortex. Das genaue Ende der Hörbahn bleibt jedoch unklar. Es könnte
70 Vgl. BÖHME & WELZL-MÜLLER 1998:40. 71 Vgl. KLINKE 1995:267. 72 Vgl. BÖHME & WELZL-MÜLLER 1998:40. 73 Vgl. KLINKE 1995:267.
Hörnerv und zentrale Hörbahn 30
irgendwo im efferenten System enden oder möglicherweise auch in einem nicht-auditorischen
Bereich des Gehirns. Außerdem könnte der exakte Verlauf auch abhängig von der Art des
akustischen Signals sein.74 Die Hörbahn ist tonotop gegliedert und verläuft vom Ganglion
spirale zur primären Hörrinde über fünf bis sechs Synapsen.75
Abb. 8: Vereinfachtes Schema der zentralen Hörbahn
Entnommen aus: LAUER 2001:5 (dort modifiziert nach FRANKE 1998:95).
Die Abbildung zeigt eine vereinfachte Darstellung der zentral-akustischen Bahnen vom
Spiralganglion bis zur Hörrinde. Aus Gründen einer besseren Übersichtlichkeit sind lediglich
afferente Verbindungen eingezeichnet.
74 Vgl. MUSIEK & OXHOLM 2003:179. 75 Vgl. KLINKE 1995:267.
Hörnerv und zentrale Hörbahn 31
Die afferenten Fasern, die aus dem Ganglion spirale kommen, teilen sich in zwei Äste. Einer
zieht in den Nucleus cochlearis ventralis, der andere in den Nucleus cochlearis dorsalis.
Im ventralen Nucleus cochlearis gibt es mindestens vier verschiedene Zelltypen, im dorsalen
Nucleus cochlearis fünf, die miteinander in Verbindung stehen. Die Bahnen aus dem Nucleus
cochlearis ventralis ziehen zum Olivenkomplex der gleichen und der gegenüberliegenden
Seite. Die Nervenzellen des Olivenkomplexes erhalten also Informationen von beiden Ohren.
Damit besteht auf dieser Ebene erstmalig die Gelegenheit, akustische Informationen von
beiden Seiten neuronal miteinander zu vergleichen.
Die Bahnen aus dem dorsalen Nucleus cochlearis kreuzen auf die andere Seite und erreichen
dort den lateralen Schleifenkern (Nucleus lemnisci lateralis).
Die Fasern ziehen also vom Olivenkomplex teilweise ipsilateral und teilweise kontralateral
nach oben und erreichen zum Teil den Nucleus lemnisci lateralis, vorwiegend aber direkt den
Colliculus inferior. Die Zellen des Colliculus inferior projizieren in den Colliculus superior.
Fasern aus dem Nucleus lemnisci lateralis ziehen über den Colliculus inferior, das Corpus
geniculatum mediale in die primäre Hörrinde in die Heschl-Querwindung (Brodmann-Areal
41) des Temporallappens.
In der Nachbarschaft der primären Hörrinde befinden sich weitere Projektionsfelder des
auditorischen Systems, die als sekundäre und tertiäre Hörrinde bezeichnet werden.
Bis zur primären Hörrinde besteht die auditorische Bahn also aus mindestens fünf bzw. sechs
Neuronen, die teilweise gekreuzt, teilweise ungekreuzt nach oben ziehen. Die tonotope
Organisation bleibt über den gesamten Verlauf der Hörbahn erhalten.76
Efferente Bahnen, die den sensorischen Input steuern, ziehen von der kontralateralen Olive
gekreuzt vorwiegend zu den äußeren Haarzellen und in geringerem Ausmaß von der
ipsilateralen Olive ungekreuzt zu den afferenten Hörnervenfasern, die von den inneren
Haarzellen abgehen. Die Aufgabe der efferenten Bahnen der zentralen Hörbahn besteht in der
Anpassung des peripheren Hörsystems an die jeweilige Hörsituation in Form eines
Rückkopplungskreises.77
76 Vgl. KLINKE 1995:267f. 77 Vgl. BOENNINGHAUS & LENARZ 2000:32f.
Hörnerv und zentrale Hörbahn 32
Vermutet wird auch, dass das efferente Hörsystem für die aufmerksamkeitsgebundene
Hemmung bestimmter Reizimpulse im auditiven Bereich verantwortlich sein könnte. Genaues
Hinhören, Lauschen und das „Ausblenden“ von Störschall könnten im efferenten System ihre
neurophysiologische Grundlage haben.78
Die Mechanismen Divergenz und laterale Hemmung spielen bei der Weiterleitung von
Informationen innerhalb des Hörsystems eine wichtige Rolle.
Divergenz bedeutet, dass Informationen von einem Neuron an mehrere Neurone höherer
Ebene weitergeleitet werden. Dies ermöglicht, auch schwache Reize von einzelnen
Rezeptoren weiterzugeben.
Laterale Hemmung bedeutet die Abschwächung einzelner Impulse aus der Peripherie der
Basilarmembran durch zwischengeschaltete Neurone, wodurch wesentliche Informationen
besser verarbeitet werden können.79
Cochleariskern (Nucleus cochlearis)
Der Nucleus cochlearis besteht aus (mindestens fünf) unterschiedlichen Zelltypen, die auf
akustische Reize unterschiedlich reagieren.80 Außerdem unterscheiden sich die Funktionen
des ventralen und dorsalen Kerns des Nucleus cochlearis.
Ein Zelltyp des ventralen Kerns („Büschelzellen“) liefert neuronale Antworten, die den
primären Afferenzen sehr ähnlich sind („primary like“). Damit ist es möglich, zeitliche
Information besonders präzise weiterzugeben. Andere Zellen („Sternzellen“) erhalten
Eingänge von vielen Afferenzen und integrieren damit Informationen aus einem größeren
Bereich.81
Im dorsalen Kern werden Information durch neuronale Netze mehrfach umkodiert. So werden
z.B. bestimmte Zellen durch manche Frequenzen aktiviert, durch Nachbarfrequenzen aber
gehemmt. Andere wieder lassen sich nur durch Töne erregen, die frequenzmoduliert sind etc.
Diese Interaktionen der unterschiedlichen Zelltypen ermöglichen erste Schritte zur
78 Vgl. HELLBRÜCK 1993:102. 79 Vgl. HANDWERKER 1998:211ff. 80 Vgl. MUSIEK & OXHOLM 2003:179. 81 Vgl. KLINKE 1995:268.
Hörnerv und zentrale Hörbahn 33
Mustererkennung, da bestimmte Eigenschaften des Schallreizes (Anfang und Ende des
Reizes, Frequenzübergänge etc.) kodiert werden.82
Obere Olive (Olivia superior)
Wie bereits oben angeführt, ist der Olivenkomplex die erste Ebene, wo eine Verschaltung der
akustischen Information beider Seiten erfolgt. In mehreren, wiederum tonotop organisierten
Kerngebieten mit unterschiedlichen Zelltypen werden Informationen der ipsilateralen und
kontralateralen Seite empfangen und miteinander verglichen.83
Damit stellt die Obere Olive eine komplexe „Relay-Station“ innerhalb der auditorischen Bahn
dar, in der durch die Verrechnung der Informationen beider Seiten binaurale Leistungen des
Gehörs möglich werden. So beruht die Lokalisation von Schallquellen vorwiegend auf Zeit-
und Intensitätsunterschieden, die in der Oberen Olive ausgewertet werden.84
Lateraler Schleifenkern (Nucleus lemnisci lateralis)
Der Nucleus lemnisci lateralis erhält afferenten Input von beiden Seiten des Hirnstamms. Ein
großer Anteil der Neurone wird dabei nur durch kontralaterale Stimulation aktiviert. Der
laterale Schleifenkern ist vor allem an der Analyse zeitlicher Strukturen beteiligt.85
Hintere Vierhügel (Colliculus inferior)
Der Colliculus inferior besteht aus mehreren Schichten und Unterkernen. In diesen
unterschiedlichen Schichten werden jeweils bestimmte Frequenzbereiche verarbeitet.
Außerdem sind Zellen des Colliculus inferior wichtig für die Analyse von Zeitstrukturen des
Reizes. Diese Zellen sind dann optimal aktivierbar, wenn im Schallreiz bestimmte
Zeitintervalle vorkommen.86
82 Vgl. KLINKE 1995:269. 83 Vgl. EBENDA. 84 Vgl. MUSIEK & OXHOLM 2003:181. 85 Vgl. EBENDA:182. 86 Vgl. KLINKE 1995:269.
Hörnerv und zentrale Hörbahn 34
Medialer Kniehöcker (Corpus geniculatum mediale)
Die Neurone des Corpus geniculatum mediale projizieren in den primären und sekundären
auditorischen Cortex.
Die Funktionen der Zellen des Corpus geniculatum mediale sind sehr unterschiedlich.
Aufgrund großer Speziesunterschiede können Ergebnisse, die vorwiegend in Tierversuchen
gewonnen wurden, nur bedingt auf den Menschen übertragen werden. Es gibt Zellen, deren
Aktivierung sehr frequenzspezifisch ist. Andere wieder antworten auf breite Frequenzbänder
oder nur auf komplexe Schallmuster.87 Auch Richtung und Geschwindigkeit der
Frequenzänderung bei frequenzmodulierten Reizen können ausgewertet werden. Dies könnte
für die Erkennung von natürlichen Reizen von Bedeutung sein.88
Es bestehen Verbindungen des Corpus geniculatum mediale zur Formatio reticularis, wo eine
Auswahl der Reize getroffen wird, die überhaupt in das Bewusstsein gelangen sollen. Daher
sind Untersuchungen dieser Ebenen auch vom Bewusstseinszustand abhängig.
Hirnrinde (Cortex)
Jeder auditorische Cortex wird von Fasern aus beiden Corti-Organen versorgt, wobei die
kontralateralen Verbindungen dominieren. Die kortikalen Hörsphären beider Seiten sind
wiederum über Balkenfasern miteinander verbunden.89
Aussagen über die Wirkungsweise des auditorischen Cortex sind schwierig, da seine Funktion
von Faktoren wie Aufmerksamkeit oder Bewusstseinszustand abhängig ist. Obwohl die
Tonotopie auch im Cortex repräsentiert bleibt, reagieren kortikale Neurone kaum auf reine
Töne. Sie lassen sich leichter durch veränderliche Reize mit variierenden Frequenzen und
Intensitäten erregen. Solche Frequenz- bzw. Amplitudenmodulationen sind typisch für
biologisch bedeutsame Signale (wie z.B. Sprache). Die hochspezifizierten Reaktionen der
kortikalen Neurone sorgen für eine fortgeschrittene Mustererkennung des akustischen Reizes.
87 Vgl. KLINKE 1995:269. 88 Vgl. KEIDEL & KALLERT 1979:8.92. 89 Vgl. BOENNINGHAUS & LENARZ 2000:32.
Hörnerv und zentrale Hörbahn 35
Zur Sprachanalyse sind aber, zusätzlich zur primären und sekundären Hörrinde, noch andere
kortikale Felder notwendig.90
Die meisten physiologischen Erkenntnisse über die zentrale Hörbahnen stammen von
Untersuchungen an Tieren. Daher sind Ergebnisse nur mit Vorsicht auf den Menschen
übertragbar.
3.3. Schallanalyse in der zentralen Hörbahn
Die Verarbeitung akustischer Signale wird immer komplexer, je zentraler sie stattfindet.
Schon ab dem Nucleus cochlearis finden erste Schritte der Mustererkennung statt. Dabei
reagieren bestimmte Neuronentypen auf bestimmte Merkmale des Signals wie Frequenz oder
Intensität. Komplexe Schallreize können letztlich erst im auditorischen Cortex analysiert
werden. Die akustischen Signale werden dazu über die zentrale Hörbahn zu subkortikalen
Zentren im Mittel- und Zwischenhirn und von dort in die kortikalen Hörzentren im
Temporallappen weitergeleitet. Die Verarbeitung komplexer akustischer Signale erfolgt an
höchster Ebene, der Hörrinde. Weniger komplexe Reize können jedoch bereits auf den
vorgeschalteten Ebenen verarbeitet werden.91
3.3.1. Intensitätskodierung
Bei Zunahme der Intensität eines Schallreizes kommt es üblicherweise auch zu einer
Zunahme der Aktionspotentiale in den Neuronen des Hirnstamms (Ausnahmen s. unten).
Der Abstand zwischen Schwelle und Sättigung der Neurone ist wesentlich kleiner als der
Bereich des menschlichen Hörens. Daher ist eine Kodierung von hohen Intensitätszunahmen
durch einzelne Neurone nicht möglich. Hier muss eine Interaktion von vielen Neuronen
erfolgen. Interaktionen solcherart sind aber noch schlecht erforscht, da sich die meisten
Untersuchungen der Intensitätskodierung auf Einzelneurone beschränken.92
90 Vgl. KLINKE 1995:269; KEIDEL & KALLERT 1979:8.97. 91 Vgl. KLINKE 1995:268f. 92 Vgl. MUSIEK & OXHOLM 2003:184.
Hörnerv und zentrale Hörbahn 36
Je nachdem, wie die Neurone von verschiedenen Hirnstammkernen auf die Intensität eines
akustischen Stimulus reagieren, können 3 Neuronentypen unterschieden werden:93
• Die Neuronenaktivität steigt proportional mit der Zunahme der Intensität des
Reizes an (monotone Intensitätsfunktion).
• Die Neuronenaktivität steigt bei geringen Intensitäten proportional an. Bei weiterer
Zunahme der Intensität bleibt die Aktivität gleich (monotone Intensitätsfunktion
für geringe Pegel).
• Die Neuronenaktivität erreicht entweder schon bei geringen Intensitäten ein
Plateau oder nimmt bei Zunahme der Intensität sogar ab (nicht-monotone
Intensitätsfunktion).
Diese Neuronentypen verteilen sich über den gesamte Hirnstamm, wobei in den
verschiedenen Kerngebieten unterschiedliche Häufungen der einzelnen Typen vorkommen.94
Im auditorischen Cortex konnten Neurone mit monotoner und nicht-monotoner
Intensitätsfunktion identifiziert werden. Außerdem scheinen manche kortikale Neurone
empfindlicher auf akustische Signale zu reagieren, wenn gleichzeitig ein Breitbandrauschen
angeboten wird. Dieses Phänomen könnte ein Weg sein, das auditorische System im Hinblick
auf das Verhältnis zwischen Signal und Störung zu unterstützen und damit ein besseres Hören
im Störschall zu ermöglichen.95
93 Vgl. MUSIEK & OXHOLM 2003:184. 94 Vgl. EBENDA. 95 Vgl. EBENDA:189.
Hörnerv und zentrale Hörbahn 37
3.3.2. Zeitkodierung
Schallreize, die in unserer Umwelt Bedeutung für uns haben, zeichnen sich meist dadurch aus,
dass sie schnelle zeitliche Veränderungen aufweisen. Wir sind z.B. in der Lage,
Veränderungen im Sprachschall von weniger als 10 ms zu verarbeiten. Bei der Bewertung der
Laufzeitdifferenz zwischen beiden Ohren kann das Ohr sogar noch wesentlich geringere
Differenzen analysieren.96
„CANS [central auditory nervous systems] is an elegant time-keeper”.97 So zeigen Neurone
des Hirnstamms unterschiedliche Latenzzeiten, die vom Typ des Neurons oder auch von der
Art des Stimulus abhängen. Es gibt Neurone, die sofort auf den Stimulus reagieren, andere
werden erst nach einer gewissen Zeit aktiviert und wieder andere reagieren auf das Ende des
Stimulus. Besonders in niederen Abschnitten der Hörbahn zeigen Neurone Zusammenhänge
mit der Phase des Reizes, wodurch die Kodierung von Zeitmustern möglich wird.98
Wie im Hirnstamm reagieren auch kortikale Neurone unterschiedlich auf das Einsetzen, die
Dauer oder das Ende eines akustischen Stimulus. Viele Neurone reagieren empfindlich auf
interaurale Phasen- und Intensitätsdifferenzen. Diese Analyse von Zeitmustern im
auditorischen Cortex spielt auch ein Rolle für die Fähigkeit zur Schalllokalisation.99
96 Vgl. HELLBRÜCK 1993:123. 97 MUSIEK & OXHOLM 2003:184. 98 Vgl. EBENDA. 99 Vgl. EBENDA:190.
Hörnerv und zentrale Hörbahn 38
3.3.3. Frequenzkodierung
Bei der Wahrnehmung komplexer akustischer Reize ist das Gehör in der Lage, den Reiz in
seine Frequenzanteile zu analysieren.100
Hinsichtlich der Frequenzkodierung sind im Wesentlichen folgende Aspekte von Interesse:101
• Tonotopie:
Das zentral-auditorische System ist tonotop organisiert. Bestimmte Neurone werden durch
bestimmte Frequenzen optimal aktiviert. Diese Organisation zieht sich bis zum
auditorischen Cortex.
• Frequenzunterscheidung:
Damit ist die Empfindlichkeit von Neuronen auf unterschiedliche Frequenzen gemeint.
Welchen Abstand müssen also die Frequenzen zweier Töne haben, um als unterschiedlich
hoch wahrgenommen zu werden. Bei 1000 Hz z.B. beträgt dieser Unterschied nur 3 Hz.102
3.3.4. Lokalisation und Raumorientierung
Für die Lokalisation und Raumorientierung stellt binaurales Hören eine wichtige
Voraussetzung dar, da die Lokalisation von Schallquellen vorwiegend von interauralen
Differenzen hinsichtlich Zeit und Intensität abhängig ist.103
Die physikalische Grundlage dafür ergibt sich aus dem Umstand, dass meist ein Ohr näher bei
einer Schallquelle ist als das andere. Die dadurch entstehenden Zeit- und
Intensitätsunterschiede werden verarbeitet, wobei es dem auditorischen System möglich ist,
Intensitätsunterschiede von nur 1 Dezibel auszuwerten.104
Die Ausgänge der Neurone der oberen Olive ziehen zum Colliculus inferior, dessen zentraler
Kern wieder Neurone enthält, die von beiden Ohren beeinflusst werden können. Hier erfolgt
u.a. eine Kodierung der Richtungen von Schallquellen, da bestimmte Zelltypen auf einzelne
Zeit- oder Intensitätsdifferenzen mit optimaler Aktivität reagieren. 100 Vgl. HELLBRÜCK 1993:116. 101 Vgl. MUSIEK & OXHOLM 2003:184. 102 Vgl. SILBERNAGL & DESPOPOULOS 1983:322. 103 Vgl. MUSIEK & OXHOLM 2003:181. 104 Vgl. KLINKE 1995:270.
Hörnerv und zentrale Hörbahn 39
Im Colliculus superior, wird eine Art „Karte des Hörraums“ aufgebaut, die im Laufe der
Entwicklung mit der dort ebenfalls etablierten „Karte des Sehraumes“ zur Deckung gebracht
wird. Schließlich gibt es auch im auditorischen Cortex Zellen, die nur dann mit optimaler
Aktivität reagieren, wenn sich die Schallquelle an einem bestimmten Ort befindet.105
Für die Lokalisation von Schallquellen ist neben den zentralen Prozessen auch die
Richtcharakteristik der Ohrmuschel von Bedeutung. Durch Abschwächung und Verstärkung
bestimmter Frequenzkomponenten werden akustische Signale “verzerrt“. Diese Verzerrung
kann wiederum vom zentral-auditiven System ausgewertet und interpretiert werden.106
3.3.5. Hören im Störlärm
Neben der Schallquellenlokalisation und der Raumorientierung sind binaurales Hören und
damit interaurale Zeit- und Intensitätsdifferenzen auch für das Hören im Störlärm von
Bedeutung. Das Zentralnervensystem nutzt diese Differenzen, um den Hintergrundlärm zu
unterdrücken und das Signal hervorzuheben, wodurch die Hörbarkeit eines Signals bis zu
15dB verbessert werden kann. Grundlagen für diese Funktion werden im Colliculus inferior
gelegt.107
3.4. Zusammenfassung
Unser Hörorgan ist ein System aus höchst komplexen und effizient interagierenden Strukturen
und Prozessen. Dabei findet ein hohes Maß an differenzierter Analyse und Verarbeitung
unterschiedlicher akustischer Reize und ihrer Parameter keinesfalls erst in kortikalen Feldern,
sondern bereits auf wesentlich tiefer gelegenen Abschnitten der Hörbahn bzw. schon in der
Cochlea statt. Aufsteigende und absteigende Bahnen bilden ein Netzwerk aus Fasern und
Kernen, in denen die einzelnen Reizparameter analysiert, kodiert und verrechnet werden. Dies
ermöglicht es, uns in unserer akustischen Umwelt auf sehr effektive Weise zurechtzufinden
und auch akustisch sehr „anspruchsvolle“ Signale wie Sprache adäquat zu verarbeiten.
105 Vgl. KLINKE 1995:270. 106 Vgl. EBENDA. 107 Vgl. EBENDA.
Auditive Wahrnehmung 40
4. Modelle der zentral-auditiven Wahrnehmung
Für die zentral-auditive Verarbeitung und Wahrnehmung verbaler und nonverbaler
akustischer Reize wurden im deutschsprachigen Raum unterschiedliche Modelle entworfen.
Dabei wird die auditive Verarbeitung auf zentraler Ebene in verschiedene Komponenten bzw.
Leistungen unterteilt. Modelle der zentral-auditiven Verarbeitung sollen eine Vorstellung
davon geben, wie diese einzelnen Komponenten miteinander in Verbindung stehen.
Modell von Esser et al.
Abb. 9: Modell der auditiven Wahrnehmung
Entnommen aus: ESSER ET AL. 1987:10.
Das Modell von Esser et al.108 zeigt den Verlauf der auditiven Wahrnehmung von der
Schallaufnahme durch den peripheren Anteil des Hörorgans über die Verarbeitung in der
zentralen Hörbahn bis zur auditiven Wahrnehmung im engeren Sinn, die erst am Ende der
Hörbahn, also im Cortex stattfindet. Auf dieser höchsten Ebene werden acht Teilfunktionen
unterschieden: Aufnahme, Speicherung, Selektion, Differenzierung, Analyse, Synthese,
Ergänzung und Integration.
Es wird in diesem Modell allerdings keine hierarchische Gliederung der Teilfunktionen
dargestellt. So finden sich z.B. die Faktoren Aufnahme und Integration auf derselben Ebene. 108 Vgl. ESSER ET AL. 1987:10.
Auditive Wahrnehmung 41
1997 erfolgte eine geringfügige Modifizierung des Modells, in der die Teilfunktion
Differenzierung in unterschiedliche Anteile unterteilt wurde (phonematische Differenzierung,
melodische Differenzierung, rhythmische Differenzierung).109
Modell von Günther & Günther
Günther & Günther110 beschreiben die auditive Wahrnehmung als „Funktionelles System“, in
dem die einzelnen Teilfunktionen als Knoten eines Netzwerks dargestellt sind. Auditive
Wahrnehmung ist ein gesteuertes Zusammenwirken dieser Teilfunktionen, welches nach der
peripheren akustischen Reizaufnahme erfolgt.111
Abb. 10: Funktionelles System der auditiven Wahrnehmung
Entnommen aus: GÜNTHER & GÜNTHER 1991:13.
Die einzelnen Funktionen der auditiven Wahrnehmung ähneln denen, die im Modell von
Esser et al. verwendet werden, es wird jedoch zwischen einer nonverbalen Stufe (1. Info-
Stufe) und einer verbosensorischen Stufe (2. Info-Stufe) unterschieden.
109 Vgl. WURM-DINSE & ESSER 1997:31. 110 Vgl. GÜNTHER & GÜNTHER 1991:13 & GÜNTHER & GÜNTHER 1992:8. 111 Vgl. GÜNTHER & GÜNTHER 1992:7.
Auditive Wahrnehmung 42
Modell von Lauer
Lauer112 kombiniert die genannten Modelle mit einer allgemeinen Vorstellung der
Wahrnehmung113, in der Verarbeitungsprozesse von „top-down“ und „bottom-up“
berücksichtigt werden. Das dadurch entstandene neue Modell der zentral-auditiven
Wahrnehmung ordnet die einzelnen auditiven Funktionen unterschiedlichen
Verarbeitungsebenen zu.
Abb. 11: Modell der zentral-auditiven Verarbeitung (ZAV)
Entnommen aus: LAUER 2001:14.
Nach akustischer Stimulation kommt es zur Empfindung, Wahrnehmung und Klassifikation
des Reizes und schließlich zu weiteren mentalen Prozessen. Diese „aufsteigende“
Weiterleitung und Verarbeitung der Information (bottom-up) wird ständig von den Faktoren
Aufmerksamkeit und Arbeitsspeicher beeinflusst.
112 Vgl. LAUER 2001:13ff. 113 Vgl. ZIMBARDO 1995:159ff.
Auditive Wahrnehmung 43
Zunächst werden auf der Ebene der Empfindung physikalische Eigenschaften des Reizes in
neurale Aktivität umgewandelt, um dann auf der Ebene der Wahrnehmung weiterverarbeitet
zu werden. Die Funktionen Lokalisation, Diskrimination und Selektion sind dieser Ebene
zugeordnet. Erst auf der Ebene Klassifikation wird dem Reiz durch Analyse, Synthese und
Ergänzung eine Bedeutung gegeben. Hier erfolgt die Mustererkennung, die Einordnung des
Gehörten in Bekanntes und Vertrautes.114
Neben dieser „aufsteigenden“ Verarbeitung erfolgt parallel eine Beeinflussung der
Wahrnehmung durch höhere mentale Funktionen wie Motivation, Wissen und Erwartungen
von oben nach unten (top-down).
Die einzelnen Verarbeitungsprozesse sind zwar hierarchisch und seriell dargestellt, die
Autorin betont jedoch, dass es sich tatsächlich um eine parallele Verarbeitung und um
verschwimmende Grenzen zwischen den einzelnen Verarbeitungsstufen handelt.115
Netzwerkmodell der auditiven Verarbeitung
Chermak & Musiek116 unterstreichen die komplexe, vielschichtige und interaktive Natur der
zentral-auditiven Wahrnehmung. Sie favorisieren ein Netzwerkmodell, das eine „verteilte“
Informationsverarbeitung beinhaltet und herkömmliche Bahnenmodelle ersetzt. Seriell,
parallel und verteilt ablaufende Wahrnehmungsprozesse erfolgen dabei nicht in bestimmten,
zugeschriebenen Hirnarealen, sondern sind über zahlreiche zentrale Regionen verteilt. Auch
verlaufen die Wahrnehmungsprozesse weder ausschließlich top-down noch ausschließlich
bottom-up. Der relative Anteil der unterschiedlichen Informationsverarbeitungsrichtungen
wird von den Anforderungen der Hör-Situation bestimmt. So bekommen Top-down-Prozesse
dann mehr Bedeutung, wenn der akustische Stimulus nicht „eindeutig“ ist (z.B. in
geräuschvoller Umgebung).
114 Vgl. LAUER 2001:13f. 115 Vgl. EBENDA:15. 116 Vgl. CHERMAK & MUSIEK 1997:4f.
Auditive Wahrnehmung 44
5. Teilfunktionen der auditiven Wahrnehmung
In der Literatur werden zahlreiche unterschiedliche Einteilungen auditiver Funktionen und
Teilleistungen gemacht.
Ausgehend von der Einteilung, die die American Speech-Language-Hearing Association
(ASHA)117 vorschlägt, werde ich hier auch andere mögliche Gliederungen berücksichtigen.
Insbesondere sollen diejenigen Faktoren Berücksichtigung finden, die auch bedeutend für die
Verarbeitung von Sprachsignalen sind.
5.1. Lokalisation und Seitenzuordnung
(Sound localization and lateralization)
Unser Gehör vermag erstaunlich geringe interaurale Zeit- und Intensitätsdifferenzen zu
verrechnen, was uns ermöglicht, Schallquellen im Raum in horizontaler und vertikaler
Richtung sehr exakt zu orten (Richtungshören).118 Auch Veränderungen der Klangfarbe des
Schallereignisses unterstützen die Lokalisationsleistung.119 Diese Fähigkeit wird durch unser
binaurales Hören wesentlich erleichtert.
Auditive Leistungen wie Lokalisation oder Richtungshören ermöglichen uns u.a., dass wir uns
auch in schwierigen akustischen Situationen (Störlärm, viele Sprecher/innen etc.) dem für uns
wichtigen Signal (z.B. dem/der Gesprächspartner/in) zuwenden können.
5.2. Diskrimination
(Auditory discrimination)
Lautdiskrimination bzw. Differenzierung ist die Fähigkeit, ähnlich klingende akustische Reize
zu unterscheiden (Wahrnehmungstrennschärfe, Lautunterscheidung).120
Diese Unterscheidungsfähigkeit bezieht sich auf auditive Stimuli unterschiedlicher Ebenen.
117 Vgl. ASHA 1996:41. 118 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:36. 119 Vgl. EBENDA:97. 120 Vgl. EBENDA:42.
Auditive Wahrnehmung 45
Auf parasprachlicher Ebene sind akustische Reize aufgrund von Dauer, Intensität und
Frequenz unterscheidbar. Bei sprachlichen Reizen kann eine suprasegmentale und eine
segmentale Ebene unterschieden werden. Für die Diskrimination auf suprasegmentaler Ebene
sind Dauer, Akzent und Intonation des Reizes von Bedeutung, auf segmentaler Ebene
bestimmen die phonetischen Merkmale der Laute die Differenzierung. Je geringer die
Unterschiede in diesen Merkmalen sind, desto schwieriger ist die Diskriminationsleistung.121
Hinzu kommt, dass diese distinktiven Merkmale z.B. in Silben häufig nur sehr kurze Zeit
hörbar sind. So bestehen zwischen den Silben /ba/ und /pa/ Unterschiede nur in den ersten 40
ms. Die exakte Diskrimination des stimmhaften oder stimmlosen Plosivs hängt also davon ab,
ob unser auditives System in der Lage ist, diese Unterschiede zu analysieren.122
5.3. Lautmustererkennung
(Auditory pattern recognition)
Darunter ist einerseits das Erkennen von bestimmten, aufeinanderfolgenden Ton- und
Zeiteinheiten (Rhythmus) gemeint und andererseits die Fähigkeit, akustische Reize
hinsichtlich ihrer Frequenz zu unterscheiden (Tonhöhenunterscheidung).123
Besonders der Erkennung und Erinnerung von Rhythmen kommt in Hinblick auf die
Sprachentwicklung eine große Bedeutung zu. Die Speicherung von prosodischen und
rhythmischen Elementen der Sprache ist eine Voraussetzung für die Ableitung
grammatikalischer Regelhaftigkeiten sowie für Wortbildung und Worterkennung.124
Sprachentwicklungsgestörte Kinder scheinen rhythmische Hinweisreize nicht adäquat für das
Erkennen von Strukturen nutzen zu können, was sich in einer längeren Verarbeitungsdauer
und einem schlechteren Arbeitsgedächtnis niederschlägt.125
121 Vgl. LAUER 2001:17. 122 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:43. 123 Vgl. EBENDA:37. 124 Vgl. PENNER 2002:124 ff. 125 Vgl. GRIMM 1994:29.
Auditive Wahrnehmung 46
5.4. Lautheitsempfinden
(Intensity)
Unter Lautheitsempfinden versteht man die Fähigkeit, akustische Reize unterschiedlicher
Intensität zu unterscheiden.
Ein weiterer Faktor des Lautheitsempfindens ist die sog. Unbehaglichkeitsschwelle, also der
Pegel, ab dem ein akustischer Reiz als unangenehm empfunden wird. 126
Das Gehör ist normalerweise in der Lage, seine Empfindlichkeit an die aktuelle Situation
anzupassen. Dies ermöglicht es, akustische Reize mit unterschiedlichen Pegeln in qualitativ
gleicher Weise wahrzunehmen. Gleichzeitig werden störende Schallereignisse im
Bewusstsein zurückgedrängt, so dass eine „effektivere“ Aufnahme des akustischen Signals
erreicht wird.127 Diese Anpassung an die jeweilige akustische Situation ist auch für die
Verarbeitung von Sprache in akustisch erschwerten Situationen von Bedeutung.
5.5. Zeitliche Verarbeitung
(Temporal aspects of audition)
Die Wichtigkeit der Zeitkodierung für auditive Leistungen wie Lokalisation oder
Richtungshören wurde schon erwähnt. Viele andere auditive Leistungen enthalten bzw.
benötigen eine differenzierte zeitliche Verarbeitung.
Zeitauflösungsvermögen
(Temporal resolution)
Das zeitliche Auflösungsvermögen bezeichnet die Fähigkeit, akustische Signale mit sehr
kurzer Dauer zu verarbeiten. Die in sprachlichen Reizen enthaltenen zeitlichen
Veränderungen betragen oft nur 10 ms oder weniger. Das Gehör ist jedoch in der Lage, auch
noch wesentlich kürzere Reizänderungen zu verarbeiten.128
126 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:37. 127 Vgl. EBENDA:98. 128 Vgl. HELLBRÜCK 1993:123.
Auditive Wahrnehmung 47
Verdeckung
(Temporal masking)
Mehrere gleichzeitig auftretende akustische Reize beeinflussen sich gegenseitig. Dabei
kommt es zum Phänomen der Verdeckung oder Maskierung. Prinzipiell können drei Formen
von Verdeckung unterschieden werden:129
• Gleichzeitige Verdeckung: Signal und Störung treten gleichzeitig auf.
• Vorverdeckung: Signal tritt vor der Störung auf.
• Nachverdeckung: Signal tritt nach der Störung auf.
Das Phänomen der Verdeckung betrifft uns vor allem, wenn wir veranlasst sind, aus einem
Störgeräusch ein akustisches Signal herauszuhören. Für die Sprachperzeption sind dies
Situationen, in denen z.B. viele Sprecherinnen und Sprecher durcheinander reden oder in
denen man eine/n Gesprächspartner/in in geräuschvoller Umgebung verstehen will.
Zeitliche Integration
(Temporal integration)
Treffen akustische Reize auf beide Ohren, muss das Hörsystem in der Lage sein, diese u.U.
unterschiedlichen Signale zu einem Höreindruck zu verarbeiten. Bei zeitlichen Differenzen
der Informationsverarbeitung zwischen links und rechts, können möglicherweise die beiden
Fragmente nicht exakt zeitgleich verbunden und zu einem Ganzen zusammengefügt
werden.130
Zeitliche Ordnung
(Temporal odering)
Die Seitenordnung ist die Fähigkeit, zu erkennen, ob ein akustischer Reiz zuerst dem rechten
oder dem linken Ohr dargeboten wurde. Auch hier spielen zeitliche Prozesse eine wesentliche
Rolle. Treffen akustische Reize zeitversetzt auf unsere beiden Ohren, so hören wir die Reize
zwar hintereinander, können aber erst bei einem zeitlichen Abstand zwischen beiden Reizen
von ca. 15 bis 60 ms sagen, auf welchem Ohr der Reiz zuerst zu hören war. Diejenige
129 Vgl. BÖHME & WELZL-MÜLLER 1998:53ff, 130 Vgl. NICKISCH ET AL. 2001:21f.
Auditive Wahrnehmung 48
Zeitdauer, die man braucht, um zwei gleiche, hintereinander dargebotenen akustische Reize
als getrennt zu erkennen und in eine zeitliche Folge zu bringen, nennt man
Ordnungsschwelle.131
Lückenerkennung
(Gap detection)
Unter Lückenerkennung ist die Fähigkeit gemeint, kurze Pausen in der Abfolge von
akustischen Signalen zu identifizieren. Diese Pausenerkennung ist wichtig, um Sprachsignale
korrekt zu erfassen und zu interpretieren. So kommt es z.B. beim Übergang von Plosiv zu
Vokal zu kurzen Pausen vor dem Stimmeinsatz (voice onset time). Die unterschiedliche Länge
dieser Pausen ermöglicht es uns, den betreffenden Plosiv richtig zu verstehen.132
5.6. Unterscheidung konkurrierender Signale
(Auditory performance decrements with competing acoustic signals)
Oft sind wir beim Hören dazu veranlasst, für uns im Augenblick wichtige akustische Signale
von unwichtigen zu trennen. Diese Nutzschall-Störschall-Filterfähigkeit ist auch eine
wesentliche Voraussetzung für das Verstehen von Sprache im Störlärm. Dabei kann der
Störlärm z.B. durch andere Sprecherinnen oder Sprecher verursacht werden oder auch durch
diverse Umweltgeräusche. Unterhalten wir uns mit einer durchschnittlichen Sprachlautstärke
von 60 – 70 dB, so können wir unsere Gesprächspartner/innen auch dann noch verstehen,
wenn der Umgebungslärm nur 5 dB leiser ist.133
Für das Heraushören eines Signals aus einer Störung sind aber nicht nur Pegelunterschiede,
sondern auch der Frequenzabstand und die zeitliche Abfolge der unterschiedlichen Reize von
Bedeutung.134
131 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:39. 132 Vgl. EBENDA:44f. 133 Vgl. EBENDA:113f. 134 Vgl. BÖHME & WELZL-MÜLLER 1998:53.
Auditive Wahrnehmung 49
5.7. Erkennen unvollständiger, veränderter oder abgeschwächter
Signale
(Auditory performance decrements with degraded acoustic signals)
In vielen natürlichen Hörsituationen sind die akustischen Signale, die an unsere Ohren
dringen, nicht klar und störungsfrei, sondern werden durch äußere Bedingungen verändert
oder abgeschwächt. Dieser Umstand fordert von unserem Hörsystem komplexe analytische,
synthetische und ergänzende Leistungen.
Analyse
Besonders für sprachliche Aufgaben ist die Fähigkeit, komplexe akustische Signale zu
analysieren und einzelne Elemente „herauszuhören“ von großer Bedeutung. Erst wenn es dem
Kind gelingt, sprachliche Lautmuster zu zerlegen, ist z. B. ein Schriftspracherwerb
möglich.135 Auch im Rahmen einer logopädischen Artikulationstherapie müssen die
betroffenen Kinder zunächst lernen, an sich und anderen bestimmte Phoneme zu
identifizieren, bevor sie diese selbst in expressive Sprache umsetzen können.136
Synthese
Neben analytischen Fähigkeiten ist die auditive Synthese Voraussetzung für das Erlernen
schriftsprachlicher Leistungen. Dabei wird unter Synthese die Fähigkeit verstanden, aus
einzelnen akustischen Elementen eine komplexe Gestalt zu bilden. Für sprachliche Reize
bedeutet dies, aus einzelnen Phonemen Silben, aus Silben Wörter, aus Wörtern Sätze zu
bilden.137
Ergänzung
Unvollständige, lückenhafte und veränderte akustische Signale müssen von unserem Gehirn
ergänzt und vervollständigt werden, um korrekt wahrgenommen zu werden.
135 Vgl. TROSSBACH-NEUNER 1991:18. 136 Vgl. LAUER 2001:18. 137 Vgl. EBENDA.
Auditive Wahrnehmung 50
Auch diese Fähigkeit des auditorischen Systems ist sehr komplex und ermöglicht uns, die
vielen akustischen Reize, die unser Gehör in einer unvollkommenen Form erreichen, dennoch
richtig zu interpretieren.138
5.8. Aufmerksamkeit
Aufmerksamkeit kann nicht an einer bestimmten Stelle des Zentralnervensystems lokalisiert
werden. Bei Aufmerksamkeitsleistungen werden immer mehrere Teile des Cortex aktiviert. In
der zentralen Hörbahn bzw. im auditorischen Cortex scheint bei erhöhter Aufmerksamkeit
besonders der sekundäre Hörcortex aktiv zu sein.139
Aufmerksamkeit ist auch keineswegs ein einheitlicher Prozess. Medwetsky140 unterscheidet
unterschiedliche Arten von Aufmerksamkeit:
• Preparatory attention: der/die Zuhörer/in entscheidet, auf welche Stimuli die
Aufmerksamkeit gelenkt wird;
• Rehearsal: die Fähigkeit durch Wiederholung und Elaboration einer Information
die Speicherdauer im Kurzzeitgedächtnis zu erhöhen;
• Focused attention: die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit auf ein Signal in Ruhe oder
im Störgeräusch zu lenken;
• Selective attention: die Fähigkeit, bei mehreren gleichzeitigen Stimuli die
Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Stimulus zu lenken;
• Devided attention: die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit auf mehrere Stimuli
gleichzeitig zu lenken;
• Sustained attention: die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit über einen längeren
Zeitraum aufrecht zu erhalten;
• Vigilance: die „innere Bereitschaft“ auf ein bestimmtes Signal zu reagieren (wie
z.B. die Mutter eines Neugeborenen, die während des Schlafes alle akustischen
Störungen ignorieren kann, aber sofort wach wird, wenn das Baby weint).
138 Vgl. LAUER 2001:18. 139 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:165. 140 Vgl. MEDWETSKY 2001:501.
Auditive Wahrnehmung 51
Der Faktor Aufmerksamkeit ist im engeren Sinne eigentlich keine auditive Teilleistung,
sondern die Fähigkeit, sich auf auditive Stimuli einzustellen und diese bewusst
wahrzunehmen. Damit stellt diese Komponente die Voraussetzung für viele auditive
Funktionen dar, da ohne Aufmerksamkeit keine komplexere Verarbeitung möglich ist.141
Bei Auffälligkeiten der auditiven Wahrnehmungsfunktionen können Defizite in allgemeinen
Aufmerksamkeitsleistungen nicht völlig ausgeschlossen werden. Manche auditive Funktionen
scheinen bei Kindern mit Störungen der allgemeinen Aufmerksamkeit (Aufmerksamkeits-
Defizit-Syndrom, ADS) auffällig zu sein. Dazu zählen im Besonderen das
Lautheitsempfinden (im Sinne einer Hyperakusis), das dichotische Hören und die Störschall-
Nutzschall-Filterfähigkeit.142 Andererseits können auch die Schwierigkeiten des Kindes, den
Sprachfluss adäquat zu erfassen und zu gliedern, zu Aufmerksamkeitsdefiziten führen, da
Aufmerksamkeitsleistungen in hohem Maße von prosodischen Merkmalen der Sprache
abhängen.143
141 Vgl. LAUER 2001:15f. 142 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:166ff. 143 Vgl. RITTERFELD 2003:7.
Auditive Wahrnehmung 52
5.9. Auditives Gedächtnis
Um die Bedeutung und Leistungen der auditiven Gedächtnisfunktion zu erfassen, ist es
zunächst notwendig, sich mit der Gedächtnisentwicklung im Allgemeinen etwas näher zu
befassen.
„Dem menschlichen Gedächtnis wird allgemein die Aufgabe zugeschrieben, Informationen
aufzunehmen, sie kurz,- mittel- und langfristig zu speichern und bei Bedarf wieder zur
Verfügung zu stellen.“144
Dabei wird der größte Anteil der genannten Informationen über die verschiedenen
Sinneskanäle aus der Umwelt aufgenommen. Gedächtnisprozesse werden als Teilprozesse der
Informationsverarbeitung angesehen, die wiederum eng mit Prozessen der Wahrnehmung, des
Denkens oder des Problemlösens in Verbindung stehen.145
Büttner146 nennt folgende Grundannahmen für die Informationsverarbeitung:
• Information wird in mehreren mentalen Schritten verarbeitet, die nacheinander
durchlaufen werden.
• Jeder Verarbeitungsschritt benötigt psychische Ressourcen.
• Einzelne Verarbeitungsschritte können unterschiedlich ressourcenintensiv sein.
Prozesse, die bewusst und kontrolliert ablaufen, benötigen mehr Ressourcen als
automatisierte Prozesse.
• Die Automatisierung von bewussten Verarbeitungsschritten (z.B. durch Üben)
kann die begrenzte Kapazität der menschlichen Verarbeitungsfähigkeit zum Teil
kompensieren.
• Verarbeitete Information kann langfristig als Wissen gespeichert werden. Im
Wissensspeicher kann zwischen deklarativem Faktenwissen („Wie heißt die
144 BÜTTNER 2003:24. 145 Vgl. EBENDA. 146 Vgl. EBENDA:25.
Auditive Wahrnehmung 53
Hauptstadt von Italien?“) und prozeduralem Fertigkeitswissen („Wie bediene ich
die Maus am Computer?“) unterschieden werden.
• Ein Teil des deklarativen bzw. prozeduralen Wissens bezieht sich auf kognitive
Prozesse (Lernen, Gedächtnis, Denken, Wahrnehmen) und deren Bedingungen.
Dieses Wissen wird als Metakognition bezeichnet.
Abb. 12: Mehrspeichermodell des Gedächtnisses
Entnommen aus: BÜTTNER 2003:26.
Im Mehrspeichermodell des Gedächtnisses nach Atkinson und Shiffrin147 werden drei
Speicher unterschieden:
• Sensorisches Register (Ultrakurzzeitregister)
• Kurzzeit- oder Arbeitsgedächtnis
• Langzeitgedächtnis
Diese Speicher sind durch ihre unterschiedliche Kapazität und Speicherdauer charakterisiert.
Das sensorische Register hat eine große Speicherkapazität aber nur eine sehr geringe
Speicherdauer. Es dient zur kurzfristigen Aufnahme der Information aus den Sinneskanälen.
Diese Information wird so lange behalten, bis ihr durch einen Vergleich mit
147 Vgl. ATKINSON & SHIFFRIN 1968.
Auditive Wahrnehmung 54
Wissenselementen aus dem Langzeitgedächtnis vertraute Muster zugeordnet werden können
und die spezifische Information damit eine Bedeutung bekommt.148
Im Kurzzeitgedächtnis – oder besser Arbeitsgedächtnis – finden alle mentalen Aktivitäten
statt. Es kann eine passive und aktive Speicherkapazität des Arbeitsgedächtnisses
unterschieden werden. Die passive Speicherkapazität umfasst die Anzahl der
Informationseinheiten, die aufgenommen und behalten werden kann, ohne dass weitere
Verarbeitungsprozesse stattfinden (z.B. Wiedergabe von Wörtern in der genannten
Reihenfolge). Die aktive Speicherkapazität bezieht sich auf die Anzahl der Items, die
aufgenommen und in spezifischer Weise weiterverarbeitet werden können (z.B. Wiedergabe
von Wörtern in umgekehrter Reihenfolge). Aktive und passive Speicherkapazität des
Arbeitsgedächtnisses sind altersabhängig. Bei Kindern im Grundschulalter beträgt die passive
Speicherkapazität drei bis vier Einheiten und steigt bis in das Erwachsenenalter auf ungefähr
sechs bis sieben Einheiten an. Diese Zunahme ist einerseits durch strukturelle
Reifungsprozesse zu erklären, andererseits führt eine verbesserte Effizienz in der
Informationsverarbeitung zu einer Zunahme der Gedächtniskapazität.149
Die passive Speicherdauer ist auf ca. 30 Sekunden begrenzt, kann aber durch das sog.
„erhaltende Wiederholen“ (Rehearsal) aktiv verlängert werden (z.B. durch leises Vorsagen
einer Telefonnummer).150
Kapazität und Speicherdauer des Langzeitgedächtnisses sind potentiell unbegrenzt. Hier ist
alles Wissen einer Person gespeichert, wobei man zwischen unterschiedlichen
Wissensinhalten unterscheiden kann. Einerseits speichert das Langzeitgedächtnis Wissen über
Fakten und Sachverhalte (deklaratives Wissen) und andererseits Wissen über Fertigkeiten
(prozedurales Wissen).151
148 Vgl. BÜTTNER 2003:26. 149 Vgl. EBENDA:27f. 150 Vgl. EBENDA:26. 151 Vgl. EBENDA.
Auditive Wahrnehmung 55
Funktionen des Arbeitsgedächtnisses
Unter Arbeitsgedächtnis versteht man ein internes kognitives System, das ermöglicht,
mehrere Informationen vorübergehend zu speichern und miteinander in Beziehung zu setzen.
Das klassische Verfahren zur Messung der funktionalen Kapazität des Arbeitsgedächtnisses
ist die sog. „Gedächtnisspanne“. Der Begriff funktionale Kapazität deutet bereits an, dass es
sich beim Arbeitsgedächtnis nicht nur um einen passiven Speicher handelt, sondern dass man
sich darunter ein höchst aktives und funktionsfähiges System vorstellen muss, das
Lernprozesse erleichtert und den Abruf von Gelerntem aus dem Langzeitspeicher ermöglicht.
Ein gute individuelle Leistungsfähigkeit des Arbeitsgedächtnisses wirkt sich auch günstig auf
den frühen Wortschatzerwerb und auf morphosyntaktische Leistungen von Kindern aus.152
Das phonologische Arbeitsgedächtnis
Das Arbeitsgedächtnis scheint aus verschiedenen modalitätsspezifischen Hilfssystemen und
einer „zentralen Exekutive“ zusammengesetzt zu sein. Eines dieser Hilfssysteme ist neben
dem visuell-räumlichen Arbeitsgedächtnis das phonologische Arbeitsgedächtnis, das im
Zusammenhang mit der Sprachentwicklung und ihrer Störungen von besonderem Interesse
ist.153
Das phonologische Arbeitsgedächtnis ist für die Verarbeitung sprachlicher Informationen
zuständig. Man spricht von einer phonologischen Schleife, die aus zwei Komponenten, einem
phonetischen Speicher und einem subvokalen artikulatorischen Kontrollprozess besteht. Im
phonetischen Speicher kann auditiv-verbale Information ca. 1,8 Sekunden lang gespeichert
werden. Durch den Kontrollprozess („inneres Wiederholen“) kann diese Spanne verlängert
werden und die Information steht so länger zur bewussten Verarbeitung zur Verfügung. Die
Leistungsfähigkeit des phonologischen Arbeitsgedächtnisses ist also abhängig von der
Funktionstüchtigkeit des phonetischen Speichers und des artikulatorischen Kontrollprozesses.
Wie bereits oben erwähnt, kann die Leistungsfähigkeit des phonologischen
Arbeitsgedächtnisses durch die Gedächtnisspanne ermittelt werden.154
152 Vgl. HASSELHORN & GRUBE:2003:32. 153 Vgl. EBENDA:33. 154 Vgl. EBENDA.
Auditive Wahrnehmung 56
Als Messverfahren für die Funktion des phonetischen Speichers bei Kindern wird das
Nachsprechen von Kunstwörtern („Nichtwörtern“) vorgeschlagen Damit kann die Güte der
Repräsentationsfähigkeit im phonetischen Speicher besser überprüft werden als mit normalen
Wörtern, weil der semantische Einfluss besser kontrollierbar ist.155
Noch ist nicht ganz eindeutig geklärt, ob strukturelle oder funktionelle Prozesse für den
alterskorrelierten Zuwachs des phonetischen Speichers verantwortlich sind. Da aber ab dem
vierten Lebensjahr keine wesentlichen Entwicklungsveränderungen der strukturellen
Kapazität des phonetischen Speichers mehr erfolgen, ist die mit dem Alter verbesserte
Leistungsfähigkeit des Speichers vermutlich auf funktionale Faktoren (effektivere
Verarbeitung) zurückzuführen.156
5.10. Besonderheiten der auditiven Verarbeitung von Sprache
Bei der Verarbeitung von akustischen Signalen können zahlreiche Teilfunktionen
unterschieden werden, die jedoch nicht unabhängig voneinander ablaufen, sondern in enger
Interaktion stehen. Dieses intramodale Zusammenwirken ist eine wichtige Voraussetzung für
eine funktionsfähige auditive Wahrnehmung.157
Geht es dabei um die Decodierung von Sprachsignalen, bedarf es in besonderem Maße nicht
nur einer rein akustischen Analyse und Verarbeitung, sondern auch noch anderer
Verarbeitungsprozesse wie Aufmerksamkeit und Gedächtnis.
Die Wahrnehmung von Sprache stellt also innerhalb der auditiven Wahrnehmung eine Art
Sonderfall dar, dessen Charakteristika im Folgenden kurz dargestellt werden sollen.
155 Vgl. GRIMM 2001:11; HASSELHORN & WERNER 2000:369f. 156 Vgl. HASSELHORN & GRUBE 2003:34. 157 Vgl. LAUER 2001:18f.
Auditive Wahrnehmung 57
Medwetsky158 präsentiert ein Modell, in dem die wichtigsten Stadien und Prozesse der
Verarbeitung von gesprochener Sprache dargestellt sind:
Abb. 13: Stadien und Prozesse der Verarbeitung von gesprochener Sprache
Entnommen aus: MEDWETSKY 2001:503.
Die Verarbeitung von Sprache verlangt eine parallele und simultane Verarbeitung von
Informationen an zahlreichen Stellen des Zentralnervensystems.
Die akustischen Stimuli werden in neuroelektrische Muster umgewandelt, wobei Merkmale
von Frequenz, Intensität und Zeit (Phase) verschlüsselt und verarbeitet werden
(Transduction).
Diese Informationen werden zunächst im „akustischen Gedächtnis“ (Echoic memory) für eine
Dauer von ca. 250 ms gespeichert. Passiert keine weitere Verarbeitung, geht die Information
158 Vgl. MEDWETSKY 2001:498ff.
Auditive Wahrnehmung 58
über den Stimulus verloren. Das akustische Gedächtnis ermöglicht es, ein Signal weiter zu
verarbeiten, ohne dass es physikalisch weiter existiert.
Auf der nächsten Stufe werden die Informationen gebündelt und zu Einheiten
zusammengefasst, die im Synthesized auditory memory abgespeichert werden. Dieses
Stadium erlaubt uns z.B. die Wahrnehmung von Intonation und Intensität. Passiert jetzt keine
weitere Verarbeitung, kann man sich aber immer noch an die Lautstärke oder Tonhöhe eines
Signals erinnern. Außerdem beginnt in diesem Stadium der Faktor Aufmerksamkeit
Bedeutung zu erlangen, der die Intensität der Signalwahrnehmung modifiziert.
Die Information wird nun mit gespeicherten Mustern aus dem Langzeitgedächtnis verglichen
(Pattern recognition). Dabei spielen die Stärke des Stimulus und die Höhe der
Wahrnehmungsschwelle wichtige Rollen. Jeder Vorgang, der die „Wirksamkeit“ eines
bestimmten Signals erhöht oder die Aktivierungsschwelle im Langzeitgedächtnis senkt,
steigert die Wahrscheinlichkeit, dass ein bestimmtes akustisches Signal auch wahrgenommen
wird.
Die „Wirksamkeit“ eines bestimmten Signals kann durch Faktoren der Aufmerksamkeit
erhöht werden. Die Wahrnehmungsschwelle im Langzeitgedächtnis kann durch
unterschiedliche Komponenten beeinflusst werden (Häufigkeit des Signals, emotionale
Bedeutung, subjektive Erwartungshaltung in Abhängigkeit von der Situation, linguistischer
Kontext etc.). Aber nicht alle aktivierten Muster werden notwendigerweise im
Kurzzeitgedächtnis verarbeitet. In Abhängigkeit von weiteren Informationen (semantisch,
syntaktisch etc.) werden die aktivierten Muster entweder akzeptiert oder abgelehnt. Dies
erklärt auch, warum die akustische Information nicht notwendigerweise vollständig sein
muss, damit wir sie verstehen können. So verstehen wir z.B. auch Sätze, die in ihrer
akustischen Präsentation lückenhaft sind, weil wir aufgrund unseres syntaktischen und
semantischen Wissens die fehlenden Einheiten ergänzen.
Auditive Wahrnehmung 59
Je mehr Aufmerksamkeitsressourcen aktiviert werden, desto größer ist die
Wahrscheinlichkeit, dass die Information letztlich im Langzeitgedächtnis gespeichert wird.
Folglich werden Signale mit geringer „Wirksamkeit“ oder solche, bei denen wenig
Aufmerksamkeit besteht, entweder gar nicht verarbeitet oder sie verschwinden schnell aus
dem Kurzzeitgedächtnis.
Die Verarbeitung von Sprachsignalen hängt außerdem noch vom individuellen
Erregungszustand (Arousal system) einer Person ab. Faktoren wie Ermüdung oder Aufregung
beeinflussen die Leistungsfähigkeit eines Individuums. Bei mittlerem Erregungsgrad ist die
Leistung am besten, schlechter wird sie bei niedrigem (z.B. Langeweile) oder hohem
Erregungsgrad (z.B. Stress). Der Erregungsgrad beeinflusst die Verarbeitung von Sprache
durch die Interaktion mit der zentralen Exekutive. Bei mäßiger Erregung arbeitet die zentral
Exekutive am besten und kann Aufmerksamkeitsprozesse regulieren und Informationen aus
verschiedenen Verarbeitungsregionen integrieren. Dadurch ist es dem Individuum möglich,
seine Aufmerksamkeit auf wichtige Signale zu lenken und gleichzeitig, störende und
unwichtige Stimuli zu ignorieren bzw. abzuschwächen.
Störungen der auditiven Wahrnehmung 60
6. Störungen der auditiven Wahrnehmung
6.1. Zur Begriffsbestimmung
Die schon im vorangegangenen Kapitel angesprochenen Aspekte des zentralen Hörprozesses
und seine Störungen wurden (vor allem in der deutschsprachigen Literatur)159 mit zahlreichen
Begriffen und Definitionen umschrieben, die zum Großteil sehr uneinheitlich und nur vage
definiert waren.
Man sprach (und spricht) von Hörverarbeitungsstörung, zentral-auditiver Verarbeitungs- und
Wahrnehmungsstörung (ZAVWS), zentraler Schwerhörigkeit, zentraler Hörstörung, zentraler
Fehlhörigkeit oder rezeptiver Hörstörung. Diese Vielfalt an Benennungen und ihre
keineswegs einheitlichen oder fehlenden Definitionen haben nicht gerade zur Klärung des
ohnehin vielschichtigen Phänomens beigetragen. Andererseits sind sie vermutlich gerade
Ausdruck der Komplexität und Heterogenität diese Störungsbildes.
1996 schlug die American Speech-Language-Hearing Association (ASHA) in einer
Veröffentlichung (technical report) ihrer Projektgruppe für Auditive Wahrnehmung160 eine
einheitliche Definition des Phänomens vor:
„Central auditory processes are the auditory system mechanisms and processes responsible
for the following behavioral phenomena:
• Sound localization and lateralization
• Auditory discrimination
• Auditory pattern recognition
• Temporal aspects of audition, including
o temporal resolution
o temporal masking
159 Anm.: In der englischsprachigen Literatur wird für dieses Phänomen ziemlich durchgängig der Begriff
„central auditory processes“ verwendet. 160 Task Force on Central Auditory Processing.
Störungen der auditiven Wahrnehmung 61
o temporal integration
o temporal ordering
• Auditory performance decrements with competing acoustic signals
• Auditory performance decrements with degraded acoustic signals
These mechanisms and processes are presumed to apply to nonverbal as well als verbal
signals and to affect many areas of function, including speech and language”.161
Zur Definition von Störungen der auditiven Wahrnehmung wird weiter angeführt:
„A central auditory processing disorder (CAPD) is an observed deficiency in one or more of
the above-listed behaviours. For some persons, CAPD is presumed to result from the
dysfunction of processes and mechanisms dedicated to audition; for others, CAPD may stem
from some more general dysfunction, such as an attention deficit or neural timing deficit, that
affects performance across modalities. It is also possible for CAPD to reflect coexisting
dysfunctions of both sorts.”162
Diese Definition wurde u.a. von Medwetsky kritisch hinterfragt:163
Die Projektgruppe der ASHA würde lediglich alle in der Literatur beschriebenen Defizite
auflisten, aber kein Konzept zu einem besseren Verständnis der Problematik vorlegen.
Dass die ASHA selbst mit dieser Definition vielleicht auch nicht ganz glücklich war, zeigt die
Tatsache, dass sie sich von der Stellungnahme ihrer Projektgruppe distanziert. Es wird in der
Vorbemerkung ausdrücklich betont, dass dieser Bericht nicht die offizielle Politik der ASHA
darstelle: „This report ist not an official policy of ASHA.“164
161 ASHA 1996:43. 162 EBENDA. 163 Vgl. MEDWETSKY 2001:496. 164 ASHA 1996:41.
Störungen der auditiven Wahrnehmung 62
Im April 2000 wurde die CAPD-Definition dann anlässlich einer Konsensus-Konferenz von
14 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Dallas etwas abgewandelt:
„An auditory processing disorder (APD) may be broadly defined as a deficit in the processing
of information that is specific to the auditory modality. It may be associated with difficulties
in listening, speech understanding, language development, and learning. In its pure form,
however, it ist conceptualized as a deficit in the processing of auditory input.”165
Außerdem wurde empfohlen, die Bezeichnung „Central Auditory Processing Disorders
(CAPD)“ durch „Auditory Processing Disorders (APD)“ zu ersetzen, um sich nicht länger auf
anatomische Strukturen festzulegen und die Interaktion zwischen peripherem und zentralem
auditorischen System zu betonen.
Wirklich klar wurde die Definition dadurch aber auch nicht.
Medwetsky166 führt an, dass es immer noch keine einheitliche Meinung darüber gebe, was
eigentlich genau unter CAP zu verstehen sei, obwohl man sich schon seit den 60er Jahren mit
diesem Phänomen beschäftige. Noch uneinheitlicher seien die Ansichten und Meinungen, was
Störungen der auditiven Wahrnehmung beträfe.
Lt. Medwetsky167 gibt es im angloamerikanischen Raum zwei Sichtweisen von CAPD:
Die eine Gruppe hält CAPD für die Ursache von vielen anderen Störungsbildern, während die
andere Gruppe bezweifelt, dass CAPD überhaupt als eigene modalitätsspezifische Störung
existiert.
Eine einseitige und vereinfachte Sichtweise von CAPD sei auf jeden Fall nicht möglich bzw.
sinnvoll, da die Wahrnehmung von Sprache einerseits komplexe auditive
Verarbeitungsleistungen und andererseits auch allgemeinere kognitive
Verarbeitungsfähigkeiten voraussetze.168
165 JERGER & MUSIEK 2000:467. 166 Vgl. MEDWETSKY 2001:495. 167 Vgl. EBENDA:496. 168 Vgl. EBENDA.
Störungen der auditiven Wahrnehmung 63
In Anlehnung an das Papier der ASHA 1996 veröffentlichten die deutschen Phoniater und
Phoniaterinnen im Jahr 2000 ein Konsensus-Statement, das sich mit der Definition des
Problems auditive Verarbeitung und auditive Wahrnehmung beschäftigt.169
Dieses unterscheidet zwischen den Begriffen Verarbeitung und Wahrnehmung:170
Als auditive Verarbeitung wird die neuronale Weiterleitung sowie die
Vorverarbeitung und Filterung von auditiven Signalen bzw. Informationen auf
verschiedenen zentralen Ebenen (Hörnerv, Hirnstamm, Cortex) bezeichnet.
Die auditive Wahrnehmung (Perzeption) wird als Teil der Kognition im Sinne einer
bewussten Analyse auditiver Informationen verstanden. Diese bewusste Signalanalyse,
die zu höheren Zentren hin zunimmt, kommt durch die auditive Verarbeitung (Bottom-
up-Prozesse) und durch zunehmende Beeinflussung durch Vigilanz, Aufmerksamkeit
und Gedächtnis (Top-down-Prozesse) zustande.171
Mit der Einschränkung, efferente Prozesse des zentralen Hörsystems bewusst außer Acht zu
lassen, definiert das deutsche Konsensus-Papier wie folgt:172
„Eine auditive Verarbeitungs- und/oder Wahrnehmungsstörung (AVWS) liegt vor, wenn
zentrale Prozesse des Hörens gestört sind [...]. Zentrale Prozesse des Hörens ermöglichen
u.a. die vorbewusste („preattentive“) und bewusste („attentive“) Analyse von Zeit-,
Frequenz- und Intensitätsbeziehungen akustischer Signale, Prozesse der binauralen
Interaktion (z.B. zur Geräuschlokalisation, Lateralisation und Störgeräuschbefreiung)[...].
Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen können isoliert [...], in Kombination
mit anderen Störungen (z.B. Aufmerksamkeitsstörungen [...], Hyperaktivität, Lernstörungen,
Störungen der Speicher- und Abruffunktionen von Gedächtnisfähigkeiten,
Spracherwerbsstörungen, Einschränkung der allgemeinen Intelligenz) oder als Symptom
solcher Störungen vorliegen. [...] Im Einzelfall kann es sehr schwierig bis unmöglich sein,
diagnostisch eine klare Abgrenzung zwischen solchen Störungen bzw. Krankheitsbildern
vorzunehmen [...].“ 169 Vgl. PTOK ET AL. 2000. 170 Vgl. EBENDA:357. 171 Vgl. EBENDA. 172 PTOK ET AL. 2000:357f.
Störungen der auditiven Wahrnehmung 64
Unterschiedliche Aussagen gibt es auch über den Zusammenhang zwischen peripheren
Hörstörungen und auditiven Wahrnehmungsstörungen. Während im deutschen Sprachraum
eigentlich durchwegs betont wird, dass Störungen der auditiven Wahrnehmung mit einem
normalen peripheren Hörvermögen einhergehen173, wird in der englischsprachigen Literatur
zumindest die Möglichkeit einer Kombination beider Störungsbilder berücksichtigt.174
In Anbetracht der Bedeutung des peripheren Hörens für die Ausbildung und Reifung der
zentralen Hörbahnen175, ist die Vorstellung naheliegend, dass bei einer Beeinträchtigung der
Mittelohr- und/oder Innenohrfunktion auch zentrale Reifungsvorgänge betroffen sind.
Das „Konstrukt“ auditive Wahrnehmungsstörung bietet also ein äußerst heterogenes Bild.
Abgesehen von jenen, die bezweifeln, dass auditive Wahrnehmungsstörungen als isoliertes
Störungsbild überhaupt existieren, gibt es unter den Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftlern doch recht unterschiedliche Auffassungen, was darunter zu verstehen ist.
Manche trennen zwischen auditiver Verarbeitung und auditiver Wahrnehmung und sehen
Störungen dieser Funktionen auch als Symptom anderer Störungsbilder.176 Andere suchen
mögliche Ursachen von Störungen des Spracherwerbs oder Lernschwierigkeiten in einer
insuffizienten auditiven Verarbeitung und/oder Wahrnehmung.177 Die einen wollen auditive
Einzelleistungen voneinander getrennt diagnostizieren und behandeln,178 während andere eine
Trennung von auditiven Funktionen und höheren kognitiven Leistungen wie Aufmerksamkeit
und Gedächtnis für schwierig halten.179
173 Vgl. u.a. HESS 2001:594; LAUER 2001:20; ROSENKÖTTER 2003:78; ZIERATH 2002:113. 174 Vgl. u.a. ASHA 1996:45; JERGER & MUSIEK 2000:472; SCHMINKY & BARAN 1999:6. 175 Vgl. LAMPRECHT-DINNESEN 1996:7. 176 Vgl. u.a. PTOK ET AL. 2000:357f; SUCHODOLETZ 2003:7. 177 Vgl. u.a. GÜNTHER & GÜNTHER 1991:18. 178 Vgl. u.a. ROSENKÖTTER 2003:94ff; LAUER 2001:27ff; FISCHER 2003:157ff. 179 Vgl. u.a. McFARLAND & CACACE 1995:45; CACACE & McFARLAND 1998:367.
Störungen der auditiven Wahrnehmung 65
6.2. Häufigkeit und Ätiologie
Die Häufigkeit von auditiven Wahrnehmungsstörungen wird in der Literatur unterschiedlich
eingeschätzt. Dies dürfte wohl auf die divergierenden Definitionen und die häufige
Kombination mit anderen Störungsbildern zurückzuführen sein. Chermak & Musiek180
schätzen die Häufigkeit von auditiven Wahrnehmungsstörungen bei Kindern auf 2 bis 3%.
Als mögliche Ursachen von auditiven Wahrnehmungsstörungen werden unterschiedliche
Faktoren diskutiert. Neben Umwelteinflüssen im Sinne eines mangelhaften Lernangebots
können medizinische Faktoren als verursachend für auditive Wahrnehmungsstörungen
gesehen werden.181
Zu diesen medizinischen Faktoren zählen neben Hirnreifungsverzögerungen auch
frühkindlichen Hirnschädigungen wie Traumen, Neoplasien, degenerative Erkrankungen oder
Infektionen.182
Auch chronische Mittelohrentzündungen bzw. länger andauernde Mittelohrschwerhörigkeiten
im frühen Kindesalter scheinen sich auf die Entwicklung der zentral-auditiven Bahnen negativ
auszuwirken. Einer frühzeitigen Erkennung und Behandlung auch von gering- und
mittelgradigen Hörstörungen kommt in diesem Zusammenhang noch einmal besondere
Bedeutung zu.
Prinzipiell sind die Ursachen von auditiven Wahrnehmungsstörungen vielschichtig und
immer noch sehr wenig erforscht.183
180 Vgl. CHERMAK & MUSIEK 1997:22. 181 Vgl. LAUER 2001:20. 182 Vgl. BARAN & MUSIEK 2003:497. 183 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:83f.
Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 66
6.3. Diagnose von auditiven Wahrnehmungsstörungen
Die Heterogenität, die schon den Begriff „Auditive Wahrnehmungsstörung“ auszeichnet,
findet sich auch im Bereich der Untersuchung und Diagnostik dieses Störungsbildes. Seit
Jahren wird diskutiert, wie denn auditive Wahrnehmungsstörungen eigentlich zu untersuchen
seien, bzw. welche Verfahren und Tests notwendigerweise durchgeführt werden müssten, um
die Diagnose „Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung“ stellen zu dürfen. Wie zu
erwarten, ist noch lange keine Einheitlichkeit erreicht. Einig ist man sich jedoch darin, dass
auditive Verarbeitungs- und/oder Wahrnehmungsstörungen nicht durch ein einzelnes
Testverfahren identifiziert werden könnten, sondern dass eine ganze Testbatterie dazu
benötigt werde. U.a. warnt Zierath184 vor einer inflationären Verwendung der Diagnose
„auditive Wahrnehmungsstörung“ aufgrund einer auffälligen Teilleistung.
Die meisten Autorinnen und Autoren verlangen vor einer zentral-auditiven Diagnostik auch
den Ausschluss von peripheren Hörstörungen, da zu erwarten wäre, dass Störungen der
Mittelohr- und/oder Innenohrfunktion die Ergebnisse der zentralen Hördiagnostik
beeinträchtigen.185
Neuschäfer-Rube et al. fanden dagegen in einer Untersuchung von 49 Kindern keine
statistisch nachweisbaren Unterschiede zwischen Kindern mit normalem und gering
beeinträchtigtem peripheren Gehör.186
Dennoch ist anzunehmen, dass mittel- oder höhergradige periphere Hörstörungen sich negativ
auf die auditiven Wahrnehmungsleistungen auswirken.
184 Vgl. ZIERATH 2002:115. 185 Vgl. u.a. HESS 2001:594; LAUER 2001:25; ROSENKÖTTER 2003:94; SCHÖNWEILER 2001:21;
ZIERATH 2002:114. 186 Vgl. NEUSCHÄFER-RUBE ET AL. 2000:115.
Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 67
Ausgehend von der Erfassung potentiell auditiv gestörter Kinder im Schulalter unterscheiden
Günther & Günther187 drei Ebenen des diagnostischen Vorgehens:
• eine anamnestische Ebene,
• eine Beobachtungsebene,
• eine diagnostische Ebene (Screening- bzw. Siebtestebene).
In einem Diagnoseraster werden die unterschiedlichen Ebenen der Diagnose dargestellt und
ihre Verbindungen aufgezeigt.
Abb. 14: Diagnoseraster zur Erfassung zentral-auditiver Verarbeitungsstörungen
Entnommen aus: LAUER 2001:24 (dort modifiziert nach GÜNTER & GÜNTHER 1992:11)
Die Autoren weisen darauf hin, dass die Zusammenarbeit eines interdisziplinären Team die
Voraussetzung dafür bildet, ein solches Modell zu verwirklichen.
187 Vgl. GÜNTHER & GÜNTHER 1992:10f.
Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 68
Musiek & Chermak188 unterscheiden zwischen sog. first-order tests und second-order tests.
Testverfahren erster Ordnung sind solche, die in erster Linie zur Erfassung von auditiven
Verarbeitungs- und Wahrnehmungsdefiziten herangezogen werden sollten. Dazu gehören
Verfahren wie dichotische Tests, Tests zur Frequenz- und Zeitmustererkennung sowie
elektrophysiologische Verfahren.
Testverfahren zweiter Ordnung werden zur Ergänzung oder nach Bedarf als Ersatz für
einzelne first-order tests verwendet. Dazu gehören u.a. Aufgaben der interauralen
Zeitverarbeitung.
Im Folgenden soll ein Überblick über die wichtigsten Testverfahren gegeben werden, die im
deutschen Sprachraum zur Diagnostik von auditiven Verarbeitungs- und
Wahrnehmungsstörungen herangezogen werden. Dabei wird keine Vollständigkeit angestrebt,
sondern lediglich eine Auswahl von einzelnen Verfahren vorgenommen.
188 Vgl. MUSIEK & CHERMAK 1994:24f.
Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 69
6.3.1. Anamnese und Voruntersuchung
Vor der eigentlichen Untersuchung auditiver Wahrnehmungsleistungen stehen die Erhebung
der Anamnese und die medizinischen und audiologischen Voruntersuchungen.
Kinder mit Störungen der zentral-auditiven Wahrnehmung fallen im Alltag durch
Besonderheiten auf, die durch entsprechende Fragebögen189 oder aber im Elterngespräch
erfragt werden können.
Nickisch et al.190 nennen einige solcher möglichen Fragen:
• Traten bereits im Säuglingsalter häufiger inkonstante Hörreaktionen auf?
• Kommt es zu häufigem Nachfragen auf verbale Aufforderungen hin?
• Treten inadäquate Reaktionen auf verbale Aufforderungen hin auf?
• Kommt es zu Missverständnissen bei verbalen Aufforderungen?
• Gibt es eine auffallende Unempfindlichkeit oder Überempfindlichkeit auf
Schallreize?
• Kommt es zu vermindertem Sprachverstehen im Lärm oder bei mehreren
Gesprächspartnern/innen?
• Besteht geringes Interesse oder wenig Ausdauer, wenn etwas vorgelesen wird?
• Bestehen Auffälligkeiten beim Richtungshören im Alltag?
• Werden ähnlich klingende Wörter häufig verwechselt?
• Gibt es Probleme beim Auswendiglernen von Versen oder Gedichten?
• Gibt es Merkfähigkeitsschwierigkeiten im Alltag bei mehrteiligen
Aufforderungen?
• Bestehen Lese- und/oder Rechtschreibprobleme bei sonst durchschnittlichen
Schulleistungen?
Weitere Fragen, die einen Hinweis auf eine auditive Funktionsstörung geben könnten, finden
sich u.a. bei Schönweiler191 oder Rosenkötter.192
189 Vgl. auch MEISTER ET AL. [im Druck]. 190 Vgl. NICKISCH ET AL. 2001:17. 191 Vgl. SCHÖNWEILER 2001:20f. 192 Vgl. ROSENKÖTTER 2001:68ff; ROSENKÖTTER 2003:210ff.
Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 70
Zur obligaten Vordiagnostik bei Verdacht auf zentral-auditive Wahrnehmungsstörungen
zählen folgende medizinische und audiologische Verfahren:193
• Ohrmikroskopie.
• Reintonaudiogramm:
Dabei wird die Ruhehörschwelle für Sinustöne über Kopfhörer (Luftleitung) und
über Knochenleitungshörer (Knochenleitung) geprüft. Die Messung erfolgt für
einzelne Frequenzen im Bereich von 125 Hz bis 8 oder 12 kHz. Eine
Reintonaudiometrie ist bei normal intelligenten und kooperativen Kindern ca. ab
Ende des vierten Lebensjahres möglich.194
• Impedanzmessung (Tympanometrie, Stapediusreflexprüfung):
Mit der Messung der akustischen Impedanz wird die Antwort des
Mittelohrsystems auf einen akustischen Reiz ermittelt. Pathologische
Veränderungen in diesem Bereich (Veränderungen am Trommelfell, Sekret im
Mittelohr, Unterbrechungen der Gehörknöchelchenkette etc.) werden in der
Impedanzmessung sichtbar. Die Impedanzmessung ist eine objektive Methode, die
weitgehend von der Mitarbeit des Kindes unabhängig ist.195
• Sprachaudiometrie:
In der Sprachaudiometrie wird das Sprachverstehen überprüft. Für ältere Kinder
und Erwachsene steht im deutschen Sprachraum der Freiburger Sprachtest zur
Verfügung. Für jüngere Kinder (ab 5 Jahren) finden der Mainzer Kindersprachtest
und der Göttinger Kindersprachverständnistest Verwendung.196
• Intelligenzprofil.
• ggf. neuropädiatrische oder kinderpsychiatrische Vordiagnostik zur Beurteilung
ev. übergeordneter Störungen wie z.B. Hyperaktivität, Aufmerksamkeits-Defizit-
Syndrom.
193 Vgl. NICKISCH ET AL. 2001:17. 194 Näheres dazu s. BÖHME & WELZL-MÜLLER 1998. 195 Näheres dazu s. EBENDA:167 ff. 196 Näheres dazu s. EBENDA:157 f.
Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 71
6.3.2. Diagnostik der auditiven Teilfunktionen
So unterschiedlich wie die einzelnen auditiven Teilfunktionen, so unterschiedlich und
zahlreich sind auch die verschiedenen Testmethoden, die in der Literatur genannt werden, um
diese Teilleistungen zu überprüfen. Auch die Einteilung dieser Verfahren erfolgt von den
einzelnen Autorinnen und Autoren nach völlig unterschiedlichen Kriterien.
Manche nehmen eine Trennung zwischen auditiver Verarbeitung und auditiver
Wahrnehmung vor.197 Von ihnen wird eine topographische Zuordnung von auditiver
Leistung und Lokalisation der Schädigung im ZNS vermutet. Auditive
Verarbeitungsstörungen werden dabei in der Hörbahn selbst angesiedelt. Esser et al.198 haben
für diese Art der Funktionsstörung den Begriff „zentrale Fehlhörigkeit“ verwendet.
Auditive Wahrnehmungsstörungen dagegen werden höheren kortikalen Zentren zugeordnet.
Gegen diese Einteilung in auditive Verarbeitung und auditive Wahrnehmung spricht sich
Rosenkötter199 aus. Eine solche Trennung wäre von den anatomischen und physiologischen
Voraussetzungen nicht haltbar, da die Verarbeitung von auditiven Informationen kein
zweistufiger Vorgang, sondern ein kontinuierlicher, parallel ablaufender Prozess auf allen
Ebenen des ZNS sei.
Eine weitere Möglichkeit, die einzelnen Testverfahren zu gliedern, ist die Einteilung nach
Reizdarbietung. Bei monauraler Darbietung wird das Testmaterial nur einem Ohr angeboten.
Die Überprüfung der auditiven Funktion erfolgt für jedes Ohr getrennt. Bei binauraler
Darbietung werden die Reize beiden Ohren angeboten. Die akustischen Informationen der
beiden Ohren müssen dabei entweder miteinander verbunden werden (z.B. bei der auditiven
Integration) oder sie müssen voneinander getrennt werden (z.B. bei
Diskriminationsaufgaben).200
197 Vgl. u.a. ESSER ET AL. 1987:10f; NICKISCH ET AL. 2001:15f; PTOK ET AL. 2000:357. 198 Vgl. ESSER ET AL. 1987:12 und WURM-DINSE & ESSER 1997:29ff. 199 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:79. 200 Vgl. BERWANGER 2001:42.
Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 72
Auch eine Einteilung nach Komplexität des Testmaterials ist denkbar. Dabei werden
Testverfahren mit verhältnismäßig leichten Anforderungen (wie z.B. die Diskrimination von
einzelnen Tönen) von komplexeren Aufgabenstellungen unterschieden (wie z.B. das Merken
von Tonfolgen).
Berwanger201 nimmt eine Einteilung der (subjektiven) Testverfahren nach verbalen und
nonverbalen Verfahren vor. Diese Art der Einteilung scheint mir auch in Hinblick auf den
Zusammenhang zwischen auditiven Wahrnehmungsstörungen und Störungen der
Sprachentwicklung sinnvoll.
Daher möchte ich mich auch in der folgenden Darstellung der wichtigsten Prüfmethoden, die
im deutschen Sprachraum Verwendung finden, an diese Aufteilung zwischen verbalen und
nonverbalen Verfahren halten. Dabei unterteilen sich die verbalen Verfahren wiederum in
primär audiologische Tests (Sprachaudiometrie, dichotische Tests, Tests mit sensibilisierter
Sprache etc.) und in psychometrische Verfahren wie Tests zur Erfassung der
Lautdiskrimination oder des auditiven Gedächtnisses.
6.3.3. Diagnostik durch nonverbale Verfahren
In nonverbalen Testverfahren zur Überprüfung von auditiven Leistungen können
unterschiedliche Prüfreize verwendet werden:202
• Töne
o Dauer
o Frequenz
o Intensität
o Muster
• Klicks
• Rauschen
201 Vgl. BERWANGER 2001:42ff. 202 Vgl. EBENDA:42.
Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 73
Um auditive Leistungen nonverbal zu überprüfen bestehen unterschiedliche Möglichkeiten.
Z.B. können Töne hinsichtlich ihrer Dauer, Frequenz oder Intensität unterschieden werden.
Mehrere Töne können aber auch in Kombination als „Muster“ angeboten werden. Auch die
Verwendung von Klicks (= kurze Rechteckimpulse definierter Dauer) kommt bei nonverbalen
Verfahren zum Einsatz. So wird u.a. die zeitlich Ordnung zweier Reize (Ordnungsschwelle)
oder auch die Fusionsschwelle mit Hilfe von Klicks überprüft. Neben Tönen können natürlich
auch Rauschsignale nach unterschiedlichen Parametern (Dauer, Frequenz, Intensität)
unterschieden werden.
Auditive Teilleistung Testverfahren
Auditive Lokalisation Richtungshören
Auditive Differenzierung Tonhöhendifferenzierung
Tondauerdifferenzierung
Lautstärkedifferenzierung
Binaurale Integration / Summation Fusionsschwelle
Hördynamik / Lautheitsempfinden Unbehaglichkeitsschwelle
Lautheitsskalierung
Auditive Lückenerkennung Gap-Detection-Test (Matulat)
Lückenerkennung
Auditive Zeitordnung
Auditive Seitenordnung
Zeitordnung
Ordnungsschwelle
Tab. 1: Audiologische Prüfmethoden der auditiven Wahrnehmung mit nonverbalen
Prüfreizen
Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 74
Richtungshören
Die interaurale Verarbeitung und Verrechnung von Intensitäts- und Zeitdifferenzen sowie
Veränderungen der Klangfarbe eines Schallereignisses ermöglichen uns, die Richtung und
Entfernung von Schallquellen im Raum einzuordnen.
Die klassische Anordnung bei der Überprüfung des Richtungshörens besteht aus fünf
Lautsprechern, die im Halbkreis einen Meter vor dem Kind aufgestellt sind. Das Kind soll
akustische Signale (z.B. Breitbandrauschen, Schmalbandrauschen, Kinderlieder), die aus den
Lautsprechern kommen, mit Handzeichen lokalisieren.
Nickisch et al.203 geben zu bedenken, dass diese Anordnung jedoch für die Diagnostik von
auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsdefiziten zu ungenau sei. Schallquellen könnten
im Normalfall bei viel geringeren Winkelgraden geortet werden, als dies in der
Versuchsanordnung überhaupt möglich ist. Bereits Fehlortungen von 6° - 8° gelten als
pathologische Werte. Da mit dem oben genannten Setting lediglich hochgradige
Einschränkungen des Richtungshörens messbar seien, empfiehlt sich u.U. die Durchführung
von nicht-standardisierten Methoden.
Auch Rosenkötter204 beschreibt ein solches nicht-standardisiertes Verfahren. Dabei soll das
Kind mit verbundenen Augen eine Geräuschquelle (Rauschgenerator, Knistern mit Papier)
lokalisieren, die um den Kopf bewegt wird. Für Kinder ab dem sechsten Lebensjahre werden
Normwerte von weniger als 10° Abweichung in der Horizontalen und weniger als 15° in der
Vertikalen angegeben.
203 Vgl. NICKISCH ET AL. 2001:19. 204 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:97.
Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 75
Auditive Differenzierung von Tonhöhe, Tondauer und Lautstärke
Der Untersuchungsaufbau ist bei allen drei Untersuchungen ähnlich. Es geht dabei darum,
Unterschiede zwischen zwei Signalen hinsichtlich der Höhe, der Dauer oder der Intensität
wahrzunehmen.
Differenzierung der Tonhöhe:
Hier werden unterschiedliche Vorgehensweisen verwendet:
a. Das Kind hört nacheinander zwei Töne. Davon hat ein Ton immer die gleiche
Tonhöhe (z.B. 1000 Hz). Der andere Ton wird hinsichtlich seiner Frequenz verändert.
Die beiden Töne werden daraufhin in zufälliger Reihenfolge angeboten und das Kind
soll angeben, ob der letzte Ton höher oder tiefer war. Dann werden die Intervalle so
lange verkleinert, bis der Unterschied vom Kind gerade noch wahrgenommen werden
kann. Dieser Frequenzunterschied bezeichnet den Schwellenwert für die
Tonhöhendifferenzierung. Auditiv unauffällige Sechsjährige können ein Intervall von
zwei Halbtönen unterscheiden.205
b. Eine Variation von a besteht darin, dass der Frequenzabstand der Töne gleich bleibt
und das Kind lediglich angibt, ob der letzte Ton höher oder tiefer war.206
c. Eine Tonfolge von drei gleich langen Tönen, von denen einer eine andere Frequenz
hat als die beiden anderen (z.B. hoch – hoch – tief) werden dem Kind in variierender
Reihenfolge vorgespielt. Auf einer Tafel mit drei möglichen Tonfolgen soll das Kind
die vorgespielte Tonfolge anzeigen.207
Bei dieser Testanordnung werden aber neben der Tonhöhenunterscheidung auch
Funktionen wie Mustererkennung und sequentielle Leistungen überprüft.208
d. Paare von zwei gleich oder zwei unterschiedlich hohen Tönen werden dem Kind
vorgespielt. Dieses soll zwischen „gleich“ oder „ungleich“ entscheiden.209
205 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:102. 206 Vgl. FISCHER 2003:63. 207 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:102. 208 Vgl. MUSIEK & CHERMAK 1995:16. 209 Vgl. BERWANGER 2001:47.
Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 76
Differenzierung der Tondauer:
Ähnlich wie bei der Unterscheidung von Tonhöhen können akustische Signale auch
hinsichtlich ihrer Dauer unterschieden werden. Allerdings ist mir eine verbreitete Anwendung
dieser Methode nicht bekannt. Berwanger210 verwendet in ihrer Studie einen selbst
entwickelten Test zur Differenzierung der Tondauer. Dabei werden dem Kind sechzig Paare
von zwei Tönen gleicher oder unterschiedlicher Dauer angeboten. Das Kind soll zeigen, ob
das betreffende Paar gleich oder ungleich war. Die Autorin gibt keine Normwerte an.
Differenzierung der Lautstärke:
Wieder werden dem Kind unterschiedliche Signale (Töne, Rauschen) angeboten. Diesmal
betreffen die Unterschiede die Intensität. Unterschiedliche Testanordnungen sind möglich:
a. Das Kind hört ein Breitbandgeräusch mit festgelegter Intensität und kurz darauf eines,
das etwas leiser oder lauter ist. Daraufhin soll das Kind angeben, ob das zweite
Geräusch lauter oder leiser war. Die Schwelle211 wird ermittelt, bei welcher der
Unterschied noch wahrgenommen wird.212
b. Berwanger213 verwendet auch hier einen selbst entwickelten Test, bei dem Paare von
gleich oder unterschiedlich lauten Tönen angeboten werden. Das Kind muss zwischen
gleich oder ungleich entscheiden. Normwerte werden keine angegeben.
210 Vgl. BERWANGER 2001:47. 211 Vgl. FISCHER 2003:63ff. Fischer verwendet zum Vergleich der Ergebnisse altersabhängige Normwerte, die
anhand von 508 Kontrollpersonen ermittelt wurden. 212 Vgl. FISCHER 2003:61. 213 Vgl. BERWANGER 2001:47.
Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 77
Binaurale Summation
Unter beidohriger Summation oder Fusion versteht man die Verschmelzung der Höreindrücke
von zeitgleich und seitengetrennt dargebotenen Stimuli. Die Überprüfung dieser Funktion ist
mit verbalem oder nonverbalem Prüfmaterial möglich. Eine Testung mit nonverbalen
Signalen bietet die Fusionsschwelle. Dabei werden dem Kind getrennt auf beiden Ohren
Klicks angeboten, zwischen denen die Zeitdifferenz zunehmend kleiner wird. Das Kind soll
entscheiden, ob es sich um einen einzigen oder um zwei getrennte Klicks gehandelt hat.
Damit wird der kleinste Zeitunterschied ermittelt, der noch ein getrenntes Wahrnehmen der
Klicks erlaubt. Dieser Zeitunterschied wird als Fusionsschwelle bezeichnet. Gesunde
Erwachsene und Kinder über 10 Jahren können Klicks ab einer Zeitdifferenz von ca. 3 ms
noch als getrennte Signale erkennen. Normwerte für jüngere Kinder existieren nicht.214
Lautheitsskalierung und Unbehaglichkeitsschwelle
Lt. Nickisch et al.215 leiden Kinder mit zentralen Hörverarbeitungs- und
Hörwahrnehmungsstörungen immer wieder an einer erhöhten Empfindlichkeit gegenüber
lauten Schallereignissen. Eine solch erniedrigte Unbehaglichkeitsschwelle kann mit Hilfe von
Tönen, Rauschen oder Sprache überprüft werden.
Dazu wird das betreffende Signal in zunehmender Lautstärke über Kopfhörer für beide Ohren
getrennt dargeboten. Das Kind soll angeben, wann der Ton, das Rauschen oder das
Sprachsignal als unangenehm laut empfunden wird. Dieser Pegel bezeichnet die
Unbehaglichkeitsschwelle. Die Normwerte von Kindern mit 6 Jahren liegen bei der
Untersuchung mit Tönen bei ca. 70 dB, bei der Untersuchung mit Rauschen bei ca. 60 dB.216
Der Zusammenhang zwischen Pegel und Lautheitsempfinden kann auch über den gesamten
Hörbereich durchgeführt werden. Bei einer solchen Lautheits- oder Hörfeldskalierung
werden Töne oder Schmalbandgeräusche unterschiedlicher Lautstärke angeboten, die das
214 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:112f. 215 Vgl. NICKISCH ET AL. 2001:25. 216 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:99.
Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 78
Kind dann verbal als sehr leise – leise – mittellaut – laut – sehr laut – zu laut beurteilen
muss.217
Dieses Verfahren ist jedoch mit hohem Zeitaufwand verbunden und vor allem für jüngere
Kinder schwierig durchzuführen.218
Lückenerkennung
Im Normalfall ist unser Gehör in der Lage, Lücken von ca. 3 ms in einem
Schmalbandgeräusch zu erkennen. Mit dem Gap-Detection-Test (Matulat) wird diese
Fähigkeit überprüft. In einem Geräusch sollen immer kürzer werdende Lücken identifiziert
werden. Ergebnisse über 10 ms gelten als pathologisch.219
Eine etwas andere Möglichkeit, die Lückenerkennung zu überprüfen, besteht darin, dass
immer Paare von Geräuschen hintereinander angeboten werden, wovon eines eine zeitliche
Lücke aufweist. Das Kind soll angeben, ob die Lücke im ersten oder im zweiten Geräusch
war. Kann dies nicht mehr unterschieden werden, ist die Schwelle erreicht.220
Zeitordnung und Seitenordnung
Zur Ermittlung der Zeitordnungsschwelle werden dem Kind nacheinander zwei Töne
unterschiedlicher Frequenz angeboten. Das Kind soll entscheiden, ob der zweite Ton höher
oder tiefer war. Bis hierher deckt sich das Verfahren mit der Überprüfung für die
Frequenzunterscheidung. Dann wird aber der zeitliche Abstand zwischen den Tönen
zunehmend verringert, bis das Kind den Unterschied nicht mehr wahrnehmen kann. Der
Schwellenwert wird in Millisekunden angegeben.221
Die beidohrige Ordnungsschwelle ist der kleinste Zeitabstand, der nötig ist, um zwei
akustische Signale, die nacheinander dem linken und dem rechten Ohr präsentiert werden,
217 Vgl. NICKISCH ET AL. 2001:25. 218 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:100. 219 Vgl. NICKISCH ET AL. 2001:24f. 220 Vgl. FISCHER 2003:63ff. Fischer verwendet zum Vergleich der Ergebnisse altersabhängige Normwerte, die
anhand von 508 Kontrollpersonen ermittelt wurden. 221 Vgl. EBENDA.
Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 79
gerade noch getrennt wahrzunehmen und sie in eine zeitliche Reihenfolge zu bringen. Das
Kind gibt dabei mit Handbewegungen an, auch welchem Ohr der erste von zwei Klicks gehört
wurde. Der Anfangswert des Zeitunterschieds beträgt meist 500 ms. Die Abstände werden im
Verlauf der Testung zunehmend abgesenkt, bis der Schwellenwert erreicht ist.222
Neben dem oben genannten Verfahren existieren jedoch noch weitere Testvarianten, um die
auditive Ordnungsschwelle zu ermitteln.223
Die Bestimmung der Ordnungsschwelle in der Abklärung von auditiven Verarbeitungs- und
Wahrnehmungsstörungen war im deutschen Sprachraum eine Zeit lang sehr verbreitet. Die
Probleme dieser Methode konnten jedoch von einigen Autoren aufgezeigt werden. Berwanger
et al. 224 belegen in einer Studie, dass die Aufgabe von vielen jüngeren Kindern (unter 9
Jahren) nicht richtig verstanden wird und daher auch keine verlässlichen Ergebnisse liefert.
Obwohl in der Literatur - zumindest für Kinder ab dem Schulalter - Normwerte angegeben
werden225, muss angemerkt werden, dass die interindividuelle Streuung der Schwellenwerte
extrem hoch ist. Kühn-Inacker & Weinmann226 fanden Streuungen zwischen 19 ms und
800 ms. Zwar nicht ganz so große, aber doch auch beträchtliche interindividuelle Streuwerte
von 20 ms bis 100 ms konnten von Meister et al.227 auch bei Erwachsenen festgestellt werden.
Solche Diskrepanzen führen Wedel & Walger228 z.T. auf die Verwendung von
unterschiedlichen Messmethoden zurück, die eigentlich nicht miteinander verglichen werden
dürften. Außerdem erschweren große intra- und interindividuelle Streubreiten und
reifungsbedingte Veränderungen den Einsatz der Ordnungsschwelle in der Diagnostik von
auditiven Leistungen bei Kindern.
222 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:118f. 223 Vgl. KÜHN-INACKER & WEINMANN 2000:120. 224 Vgl. BERWANGER ET AL. 2003:42f. 225 Vgl. u.a. ROSENKÖTTER 2003:119. 226 Vgl. KÜHN-INACKER & WEINMANN 2000:123. 227 Vgl. MEISTER ET AL. 2000:69. 228 Vgl. WEDEL & WALGER 1999:80.
Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 80
6.3.4. Diagnostik durch verbale Verfahren
Neben der Verwendung von nonverbalen Stimuli lassen sich auditive Leistungen auch mittels
Darbietung von Sprachmaterial überprüfen. Dabei kommt der Verwendung von künstlich
veränderter, sog. sensibilisierter Sprache besondere Bedeutung zu, da das Verstehen von
„normaler“ Sprache i.d.R. auch bei Störungen der auditiven Wahrnehmung gelingen kann.
Durch diese „Sensibilisierung“ werden Sprachreize künstlich schwer verständlich gemacht.
Dies kann z.B. durch Beschneidung von Frequenzen, durch Unterbrechungen des
Sprachsignals, durch dichotisches Angebot, durch zeitliche Kompression oder durch
Beimischung eines Störgeräusches erfolgen.229
Auditive Teilleistung Testverfahren
Trennung von Nutz- und Störschall Sprachaudiometrie im Störgeräusch
(Mainzer Kindersprachtest; Göttinger
Kindersprachverständnistest)
Dichotisches Hören Dichotische Hörtests
(Uttenweiler; Neukomm)
Binaurale Summation Binauraler Summationstest (Matzker)
Auditive Zeitauflösung Test mit zeitkomprimierter Sprache (Nickisch)
Tab. 2: Audiologische Prüfmethoden der auditiven Wahrnehmung mit verbalen Prüfreizen
Sprachaudiometrie im Störschall
Die Trennung der nützlichen von den störenden Schallereignissen gehört zu den wichtigsten
Fähigkeiten unseres Gehörs. Häufig finden wir im Alltag Situationen vor, in denen wir dazu
genötigt sind, die für uns wichtigen akustischen Signale aus störenden Nebengeräuschen
herauszufiltern. Diese Fähigkeit kann durch sprachaudiometrische Verfahren und zusätzlicher
Präsentation eines Störgeräusches überprüft werden.
229 Vgl. BERWANGER 2001:42.
Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 81
Für die Untersuchung von Kindern existieren im deutschen Sprachraum der Mainzer
Kindersprachtest und der Göttinger Kindersprachverständnistest. Dabei werden die
Sprachsignale (Wörter) mit einem definierten Pegel über Lautsprecher angeboten.
Gleichzeitig ertönt ebenfalls über Lautsprecher das Störgeräusch. Bei einem Signal-Stör-
Abstand von +5 dB (das Sprachsignal ist um 5 dB lauter als das Störgeräusch) sollten
hörgesunde Kindern ab sechs Jahren 70 – 100% der angebotenen Wörter richtig verstehen.230
Dichotische Hörtests
Bei dichotischen Hörtests werden beiden Ohren gleichzeitig unterschiedliche Sprachsignale
(i.d.R. Wörter) angeboten, die vom Kind wiederholt werden sollen. Normalhörende sind dabei
in der Lage, beide Wörter richtig zu verstehen. Für Kinder ab fünf Jahren kommt im
deutschen Sprachraum der Test nach Uttenweiler oder der Test nach Neukomm zum
Einsatz.231
Beim Test nach Uttenweiler werden kindgerechte dreisilbige Wörter verwendet, die
üblicherweise mit einem Pegel von 60 – 70 dB angeboten werden. Nach einer monauralen
Testphase, werden zwei Wortgruppen à zehn Wortpaaren überprüft. Als pathologisch gilt eine
Seitendifferenz der Leistungen bzw. eine Fehlerzahl von mehr als 30% innerhalb einer
Wortgruppe. Schlechte Ergebnisse könnten aufgrund der Komplexität des Verfahrens jedoch
auch auf Defizite der kindlichen Gedächtnisleistungen zurückzuführen sein. 232
In solchen Fällen empfiehlt Rosenkötter233 die Durchführung des Tests nach Neukomm. Er
beinhaltet 25 zweisilbige Wortpaare, die mit einem Pegel von 60 – 65 dB angeboten werden.
Im Alter von 5 - 7 Jahren gelten mehr als 14 Fehler als pathologisch.
230 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:114f. 231 Vgl. EBENDA:111ff. 232 Vgl. NICKISCH ET AL. 2001:22f; ROSENKÖTTER 2003:112. 233 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:111.
Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 82
Binauraler Summationstest
Der binaurale Summationstest wurde erstmals von Matzker234 1958 vorgestellt. Dabei
werden beiden Ohren unterschiedliche Frequenzbereiche eines Wortes angeboten. Der
Prozentwert der richtig wiederholten Wörter wird notiert.235
Die Aufgabe des Hörsystem ist es, diese beiden Signale zu einer vollständigen Wortgestalt zu
vereinen. Bei Zeitdifferenzen der Informationsverarbeitung ist es vorstellbar, dass dies nicht
angemessen gelingt. Dadurch käme es zu einem verringerten Sprachverstehen und damit zu
schlechteren Ergebnissen im binauralen Summationstest.236
Test mit zeitkomprimierter Sprache
Der Hörtest mit zeitkomprimierter Sprache von Nickisch und Biesalski237 ermöglicht die
Überprüfung des Sprachverstehens bei erhöhter Sprechgeschwindigkeit. Dabei wird das zu
untersuchende Kind durch Sätze aufgefordert, Spielhandlungen mit vorgegebenem Material
durchzuführen. Im Vergleich zur normalen Sprechgeschwindigkeit von ca. 270 Silben pro
Minute wird die Geschwindigkeit der Sätze im Test stufenweise bis maximal um den Faktor
2,2 (das entspricht 600 Silben pro Minute) erhöht. Altersspezifische Toleranzbereiche für
diesen Test liegen für Kinder von 5 – 7 Jahren vor. Normierung im engeren Sinn gibt es
keine. 238
234 MATZKER 1958. 235 Vgl. SCHÖNWEILER 2001:22. 236 Vgl. NIKISCH ET AL. 2001:21f. 237 NICKISCH & BIESALSKI 1984. 238 Vgl. NICKISCH ET AL. 2001:24; ROSENKÖTTER 2003:117.
Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 83
6.3.5. Diagnostik durch psychometrische Verfahren
Neben den primär audiologischen Tests werden zur Überprüfung von auditiven
Teilfunktionen auch psychometrische Verfahren verwendet. Meist sind diese Verfahren aus
anderen Tests (Intelligenztests, Sprachentwicklungstests, Lesetests etc.) „entlehnt“ und in
erster Linie gar nicht für die Diagnose von auditiven Wahrnehmungsstörungen gedacht.
Häufig sind es auch Verfahren, die weder standardisiert noch normiert sind und deren
Ergebnisse daher nur schwierig zu beurteilen sind. Alle diese Methoden überprüfen aufgrund
ihrer Komplexität nicht nur auditive Leistungen, sondern auch übergeordnete Fähigkeiten wie
Aufmerksamkeit oder Gedächtnis.239
Nickisch et al.240 gehen zwar davon aus, dass mit diesen Verfahren eine Beurteilung der
auditiven Wahrnehmung im Gegensatz zur auditiven Verarbeitung möglich ist. Eine solche
klare Trennung von Verarbeitung und Wahrnehmung ist jedoch zweifelhaft, wenn man
bedenkt, dass Hörleistungen nicht hierarchisch und zweistufig ablaufen, sondern beinahe
immer aus kontinuierlichen und parallel ablaufenden Prozessen auf mehreren Ebenen des
Zentralnervensystems bestehen.241
Ähnlich wie bei den bereits angeführten audiologischen Untersuchungsmöglichkeiten gibt es
auch hinsichtlich der Verwendung von psychometrischen Verfahren für die Abklärung von
auditiven Wahrnehmungsdefiziten keinerlei einheitliche Vorgehensweise. In der Literatur
finden sich völlig divergierende Vorschläge zur Anwendung und Bedeutung solcher
Methoden. Auch die Einteilung bzw. Zuordnung einzelner Testverfahren zu bestimmten
auditiven Teilleistungen wird beinahe von jeder Autorin und jedem Autor anders getroffen.
239 Vgl. u.a. BERWANGER 2001:45; LAUER 2001:27; NICKISCH ET AL. 2001:24. 240 Vgl. NICKISCH ET AL. 2001:31, 241 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:79.
Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 84
Im Folgenden soll eine mögliche Einteilung der gängigsten Verfahren im deutschen
Sprachraum dargestellt werden.
Auditive Teilleistung Testverfahren (Auswahl)
Lautdiskrimination Heidelberger Lautdifferenzierungstest
Hannoverscher Lautdiskriminationstest
Wahrnehmungstrennschärfetest (Warnke)
Bremer Lautdiskriminationstest
Differenzierungsprobe (Breuer und Weuffen)
Bildwortserie zur Lautagnosieprüfung (Schäfer)
Auditive Analyse Kein standardisiertes Verfahren
Auditive Synthese Laute verbinden - Subtest des PET
Auditive Ergänzung Wörter ergänzen – Subtest des PET
Auditives Gedächtnis Zahlenfolgegedächtnis – Subtest des PET
Zahlennachsprechen – Subtest des HAWIK-R
Wortfolgegedächtnis – Subtest des SETK 3-5
Imitieren grammatischer Strukturen – Subtest des HSET
Satzgedächtnis – Subtest des SETK 3-5
Textgedächtnis – Subtest des HSET
Mottier-Test
Phonologisches Arbeitsgedächtnis für Nichtwörter – Subtest
des SETK 3-5
Tab. 3: Psychometrische und psycholinguistische Prüfmethoden der auditiven
Wahrnehmung mit verbalem Prüfmaterial
Lautdiskriminationstests
Da die Diskriminationsfähigkeit häufig im Mittelpunkt der Betrachtungen von auditiven
Wahrnehmungsdefiziten steht, sind in diesem Bereich auch mehrere Methoden bekannt. Viele
dieser Verfahren arbeiten mit Minimalpaaren. Dabei werden dem Kind Wörter oder Silben
paarweise vorgesprochen. Bei diesen Wort- oder Silbenpaaren handelt es sich entweder um
zwei gleiche Wörter/Silben oder eben um Minimalpaare, die sich nur in einem Phonem
Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 85
unterscheiden. Das Kind muss die Wort- bzw. Silbenpaare nachsprechen oder auch nur
entscheiden, ob sie gleich oder ungleich waren. Eine andere mögliche Vorgangsweise besteht
darin, dass mit Bildmaterial gearbeitet wird. Auf Abbildungen sind Minimalpaare abgebildet.
Nach dem Vorsprechen eines Wortes muss das Kind auf die richtige Abbildung zeigen. Bei
solchen Testanordnungen werden falsch negative Ergebnisse aufgrund von
Artikulationsproblemen des Kindes verhindert.
Der Hannoversche Lautdiskriminationstest (HLDT) kann ohne oder mit Störgeräusch
durchgeführt werden. Dabei werden über Kopfhörer oder im freien Schallfeld Minimalpaare
bei einer Lautstärke von 65 dB vorgespielt. Das Kind soll entscheiden, ob die Wörter gleich
oder unterschiedlich sind. Normwerte existieren für Kinder ab dem zweiten Schuljahr.242
Ähnlich funktioniert der Heidelberger Lautdifferenzierungstest (HD-LT). Hier werden
Silben- oder Wortpaare vorgesprochen. Das Kind soll wiederum entscheiden ob die
vorgegebenen Items gleich oder ungleich waren und sie dann nachsprechen. Der HD-LT ist
für Kinder der zweiten bis vierten Schulstufe standardisiert.243
Beim Wahrnehmungstrennschärfetest nach Warnke (WTT) werden dem Kind über
Kopfhörer abwechselnd auf jedem Ohr sechzehn sinnfreie Wortgebilde (z.B. ebi, efi, egi, edi,
eki, eti) angeboten. Zusätzlich wird das Angebot von einem monotonen Hintergrundgeräusch
begleitet. Das Kind soll das angebotene Material nachsprechen. Normwerte gibt es für Kinder
ab sechs Jahren. So gelten für Kinder von 6 bis 7 Jahren 4 bis 6 falsch wiedergegebener
Wortgebilde als leicht auffällig, mehr als 6 Fehler als stark auffällig. Der Test kann auch als
orientierendes Verfahren von Eltern durchgeführt werden. Dazu werden die Wortlisten unter
Begleitung eines Rauschens aus der Stereoanlage im Abstand von 3 Metern vorgelesen. Als
„Eichung“ dient der Selbstversuch der Eltern.244 Bei 6 Fehlern empfiehlt Warnke eine weitere
Abklärung durch den/die Arzt/Ärztin bzw. die Durchführung des Tests über CD und
Kopfhörer. Rosenkötter führt an, dass der Wahrnehmungstrennschärfetest von Warnke
besonders für konzentrationsschwache Kinder aufgrund der Eintönigkeit schwierig zu lösen
sei.245 242 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:105. 243 Vgl. NICKISCH ET AL. 2001:32. 244 Vgl. WARNKE 1998:36ff. 245 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:106f.
Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 86
Auch beim Bremer Lautdiskriminationstest (BLDT) müssen vorgesprochene Wortpaare als
gleich oder ungleich differenziert werden. Die unterschiedlichen Phoneme stehen am Anfang,
in der Mitte oder am Ende eines Wortes. Jedes falsch identifiziere Wortpaar gilt als Fehler.
Eine quantitative Auswertung liegt nur für Kinder der zweiten Schulstufe vor.246
Die Differenzierungsprobe nach Breuer und Weuffen ist nach fünf unterschiedlichen
Bereichen gegliedert (optisch-graphomotorisch, akustisch-phonematisch, kinästhetisch-
artikulatorisch, melodisch, rhythmisch). Der Bereich akustisch-phonematische
Differenzierung kann anhand von Minimalpaaren mit Bildtafeln durchgeführt werden. Der/die
Untersuchende nennt ein abgebildetes Objekt, das Kind muss auf das richtige Bild zeigen
(z.B. Kopf / Topf; Gans / Tanz). Für ältere Kinder (ab ca. 6 Jahren) kann der Test auch ohne
Bilder durchgeführt werden. Hier müssen die Kinder wieder angeben, ob sie zwei gleiche
oder verschieden Wörter hören. Als auffällig gelten zwei oder mehr Fehler. Die
Differenzierungsprobe nach Breuer und Weuffen kann jedoch aufgrund ihrer geringen
Itemzahlen nur als grob orientierende Untersuchung angesehen werden.247
Ebenfalls mit Bildern durchgeführt wird die Bildwortserie zur Lautagnosieprüfung von
Schäfer. Sie kann bereits mit 4-jährigen Kindern als standardisiertes Verfahren durchgeführt
werden.248
Neben den genannten Verfahren sind aber auch noch einige andere Varianten oder auch in
Eigenregie entwickelte Tests und Verfahren wie z.B. unterschiedliche Minimalpaarlisten bei
der Überprüfung der auditiven Diskrimination im Einsatz.
246 Vgl. LAUER 2001:28; ROSENKÖTTER 2003:109. 247 Vgl. LAUER 2001:29; ROSENKÖTTER 2003:107f. 248 Vgl. NICKISCH ET AL. 2001:32.
Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 87
Auditive Analyse
Zur Überprüfung der auditiven Analyse liegen derzeit keine standardisierten Tests vor. Unter
Phonemanalyse wird die Fähigkeit verstanden, einzelne Phoneme innerhalb eines Wortes oder
einer Silbe zu identifizieren und auch seine Position anzugeben.249 Zur Anwendung kommen
hier aber nur orientierende, meist selbst entwickelte Verfahren, die keine Vergleichsdaten
aufweisen.
Auditive Synthese
Unter auditiver Synthese wird das Verbinden von Einzellauten oder Silben zu ganzen Wörtern
verstanden (z.B. wird aus der auditiven Vorgabe [m]-[i] -[l] -[ç] das Wort Milch).250
Als Verfahren für solche analytischen Fähigkeiten kommt ein Untertest aus dem
Psycholinguistischen Entwicklungstest (PET) von Angermaier251 zum Einsatz. In diesem
Subtest „Laute Verbinden“ werden Wörter in Form von isoliert nacheinander gesprochenen
Einzellauten angeboten. Das Kind soll die einzelnen Laute zu einem ganzen Wort verbinden.
Normwerte ab 5 Jahren finden sich im Handbuch des PET.
Auditive Ergänzung
Bei dieser Fähigkeit kommt es darauf an, fehlende auditive Informationen zu ergänzen, damit
die Identifikation eines Wortes gelingt. Auch hier bedient man sich eines Untertests aus dem
Psycholinguistischen Entwicklungstest von Angermaier252. Im Subtest „Wörter ergänzen“
werden Wörter vorgesprochen, bei denen einzelne Laute ausgelassen werden. Das Kind soll
die Wörter in vollständiger Form wiederholen (z.B. Scho/olade, Spa/etti, Tee/öffel).
Normwerte für Kinder ab 5 Jahren finden sich wieder im Handbuch des PET.
249 Vgl. NICKISCH ET AL. 2001:35. 250 Vgl. LAUER 2001:29. 251 ANGERMAIER 1977. 252 EBENDA.
Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 88
Wie Rosenkötter253 richtig anmerkt, überprüft man mit den Verfahren Laute verbinden und
Wörter ergänzen nicht nur auditive Diskriminations- bzw. Ergänzungsfähigkeiten, sondern
auch die verbale Intelligenz, da intelligente Kinder auch beim Bestehen einer
Lautunterscheidungsstörung in der Lage sein werden, aus den Bruchstücken das gesuchte
Wort zu rekonstruieren.
Auditives Gedächtnis
Die Überprüfung der Fähigkeiten des auditiven Gedächtnisses spielt im Rahmen der
Abklärung von auditiven Wahrnehmungsdefiziten eine wichtige Rolle. Funktionen des
auditiven Gedächtnisses werden von manchen Autorinnen und Autoren auch als auditive
Speicherung, Sequenzierung oder auditive Merkfähigkeit bezeichnet. Auf den Stellenwert
dieser Leistungen im Zusammenhang mit Sprache und Sprachentwicklung wird noch an
späterer Stelle hingewiesen.254
Als Mess- bzw. Untersuchungsverfahren auditiver Gedächtnisfunktionen (vor allem des
Arbeitsgedächtnisses) finden unterschiedliche Tests Verwendung.
Neben Zahlen, Wörtern, Sätzen und ganzen Texten werden vor allem sog. „Nichtwörter“ oder
„Kunstwörter“ als Prüfmaterial bei der Testung des Arbeitsgedächtnisses verwendet. Wie
bereits im Kapitel III/5.9. erläutert, kann mit dieser Form von Testmaterial die Güte der
Repräsentationsfähigkeit im phonetischen Speicher besser gewährleistet werden, da keine
semantischen Hilfen vorhanden sind.
Neben den eigentlichen Untersuchungsverfahren sind in der Diagnostik von auditiven
Gedächtnisfunktionen auch spezifische anamnestische Fragen von Bedeutung.
253 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:122. 254 Vgl. Kapitel IV.
Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 89
Rosenkötter255 nennt folgende anamnestische Fragen im Zusammenhang mit dem auditiven
Gedächtnis:
• Kann das Kind eine Reihe von Wörtern nachsprechen?
• Kann es eine Reihe von Zahlen nachsprechen?
• Kann es Sätze mit 4-5-6-7-8 Wörtern nachsprechen?
• Kann es einen zweizeiligen Vers nachsprechen?
• Kann es verbale Aufträge gut behalten?
• Kann es sich Gedichte und Kinderreime langfristig merken?
• Kann es sich Liedtexte langfristig merken?
• Kann es sich Bildgeschichten gut merken und auch ohne Vorlage der Bilder
nacherzählen?
• Kann es sich Spielregeln gut merken?
• Kann es kleine Geschichten oder erlebte Begebenheiten gut nacherzählen?
An der gleichen Stelle betont Rosenkötter, dass anamnestische Angaben nicht zwingend mit
den Testergebnissen übereinstimmen müssen, da bei den gängigen Testverfahren meist
Funktionen des Kurzzeitgedächtnisses oder Arbeitsgedächtnisses überprüft würden, während
im anamnestischen Fragekatalog auch Langzeitgedächtnisleistungen abgefragt würden.
Alle Untersuchungsmethoden von auditiven Gedächtnisfunktionen sind Untertests aus
anderen - psycholinguistischen oder psychometrischen - Verfahren. Sie bestehen i.d.R. darin,
dass dem Kind etwas vorgesprochen wird, was es dann nachsprechen soll. Dabei wird in allen
Verfahren bzw. Verfahrensanleitungen betont, dass beim Vorsprechen darauf zu achten ist,
dass das Kind nicht vom Mundbild ablesen kann. Die Untersuchung sollte daher mit
abgewendetem oder zumindest gesenktem Kopf durchgeführt werden.
255 ROSENKÖTTER 2003:61.
Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 90
Im Untertest „Zahlenfolgegedächtnis“ aus dem Psycholinguistischen Entwicklungstest256
muss das Kind altersentsprechend lange Folgen von Zahlen nachsprechen. Es werden dabei
einstellige Zahlen verwendet, die im Tempo von 2 Zahlen pro Sekunde vorgesprochen
werden. Normierungen gibt es von drei bis neun Jahren.
Ein anderer, ähnlicher Subtest stammt aus dem Hamburg-Wechsler-Intelligenz-Test für
Kinder (HAWIK-R) von Tewes.257 Auch hier sollen im Untertest „Zahlennachsprechen“ vom
Kind Zahlen nachgesprochen werden, die in einem Tempo von 1 Zahl pro Sekunde
vorgegeben werden. Eine Normierung existiert für Kinder von sechs bis fünfzehn Jahren.
Neben Zahlen können auch Wörter aus dem kindlichen Wortschatz zur Überprüfung der
Gedächtnisleistung verwendet werden. Möglichkeiten zur einer solchen Überprüfung der
Hörgedächtnisspanne sind in der Regel nicht normiert und werden von verschiedenen
Institutionen und Verlagen angeboten. Einen guten Überblick über die Anbieter von
Diagnose- und Therapiematerialien findet sich bei Rosenkötter.258
Eine weitere Möglichkeit die Merkspanne von Wörtern zu ermitteln, bietet der Untertest
„Gedächtnisspanne für Wortfolgen (GW)“259 des Sprachentwicklungstest für drei- bis
fünfjährige Kinder. Auch in diesem Test wird ein Bereich des phonologischen
Arbeitsgedächtnisses gemessen. Die Gedächtnisspanne für Wortfolgen ist jedoch nicht mit
dem PGN-Test260 austauschbar. Grimm zeigt auch, dass beide Maße nur im mittleren Bereich
korrelieren.261
Im GW wird die Fähigkeit untersucht, bekannte aufeinanderfolgende, aber inhaltlich nicht
zusammenhängende Wörter zu speichern und in der vorgegebenen Reihenfolge
wiederzugeben. Im SETK 3-5 handelt es sich dabei um ausschließlich einsilbige Wörter, die
in 5 Wortfolgen so vorgegeben werden, dass kein semantischer Zusammenhang zwischen
256 ANGERMAIER 1977. 257 TEWES 1983. 258 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:203ff. 259 Vgl. GRIMM 2001:22f. 260 Phonologisches Arbeitsgedächtnis für Nichtwörter. 261 Vgl. GRIMM 2001:59f.
Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 91
ihnen besteht, um die Speicherung der Items mit Hilfe von inhaltlichen Beziehungen nicht zu
erleichtern.
Anzahl der
Wörter
Wortfolgen
Übungsaufgabe HUND
MAUS - TÜR
2 Wörter SCHUH – BETT
MILCH – BAUM
3 Wörter KOPF – LIED – BUCH
KUH – TISCH – MANN
4 Wörter SCHIFF – BALL – KIND – TURM
FRAU – STUHL – PFERD – TÜR
5 Wörter HUND – BETT – MILCH – LIED – KOPF
SCHUH – BAUM – TISCH – MAUS – KIND
6 Wörter BALL – SCHIFF – TURM – PFERD – STUHL
MILCH – BUS – KOPF – MANN – LIED
Tab. 4: Aufgabenstellung: Gedächtnisspanne für Wortfolgen
Entnommen aus: GRIMM 2001, 22.
Bei der Untersuchung werden dem Kind die einzelnen Wortfolgen langsam vorgesprochen,
wobei wiederum ein Ablesen von den Lippen zu vermeiden ist. Nach jeder Wortfolge wird
das Kind aufgefordert, diese zu wiederholen. Der Untertest wird abgebrochen, wenn ein Kind
beide Wortfolgen mit derselben Anzahl von Wörtern nicht richtig wiedergeben kann.
Die Anzahl der Wörter in der längsten korrekt wiederholten Wortfolge wird notiert. Sie ergibt
den Punktwert des Kindes für diesen Untertest. Die Höchstpunkteanzahl beträgt sechs.
Die Merkfähigkeit von längeren Einheiten als einzelnen Wörtern ist z.B. im Untertest
„Imitieren grammatischer Strukturen“ des Heidelberger Sprachentwicklungstests – HSET262
262 GRIMM & SCHÖLER 1991.
Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 92
gefordert. Dabei müssen ganze Sätze nachgesprochen werden, wobei im Vordergrund der
Untersuchung jedoch primär die Grammatik und nicht das Gedächtnis steht.
Ein ähnlicher Untertest ist auch Teil des Sprachentwicklungstests für drei- bis fünfjährige
Kinder (SETK 3-5). In diesem Untertest „Satzgedächtnis (SG)“263 geht es darum,
vorgesprochene Sätze korrekt wiederzugeben. Dabei zeigen sich die Fähigkeiten des Kindes,
grammatisches Wissen zu nutzen, das im Langzeitgedächtnis abgespeichert ist.264
Die verwendeten Sätze sind unterschiedlich lang (sechs bis zehn Wörter) und in zwei
Gruppen geteilt. In der ersten Gruppe werden inhaltlich sinnvolle Sätze angeboten, deren
Komplexität und Länge zunehmen. Die zweite Gruppe besteht aus Sätzen, die zwar
syntaktisch-morphologisch korrekt gebildet sind, inhaltlich aber keinen Sinn ergeben.
Für die Reproduktion der einzelnen Sätze müssen diese zunächst verstanden und in ihren
Elementen repräsentiert werden. Dabei werden vom Kind Weltwissen und linguistische
Eigenschaften des Satzes in Verbindung gebracht. Je besser das linguistische Kenntnissystem
des Kindes, desto besser gelingt die Reproduktion, die wegen der Länge der Sätze nicht allein
auf einer Gedächtnisleistung beruhen kann. Bei der Reproduktion der inhaltlich
unzusammenhängenden Sätze wird das grammatische Regelsystem des Kindes besonders
gefordert, weil es nicht auf sein Weltwissen zurückgreifen kann.265
Satzbeispiele
Die Autos haben gehupt.
Die graue Maus wird von der Katze gejagt.
Die Ente sitzt neben dem Auto.
Lena lacht, nachdem sie gekitzelt wurde.
Ein fröhlicher Junge, der Steine sammelt, hüpft durch den Wald.
Tab. 5: Satzgedächtnis im SETK 3-5 (Beispiele für „sinnvolle“ Sätze)
Entnommen aus: GRIMM 2001:24.
263 Vgl. GRIMM 2001:23. 264 Vgl. EBENDA. 265 Vgl. GRIMM 2001:24.
Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 93
Satzbeispiele
Der Kindergarten wird von den roten Bären geschüttelt.
Eine Mütze, die Berge füttert, schläft.
Anna bellt, nachdem sie getrunken wurde.
Bevor der Goldfisch hinfällt, frisst er aus dem Fenster.
Ein frecher Fußball, der den alten Kasper heiratet, ist müde.
Der viereckige Indianer gießt den glücklichen Kuchen in einen Sack.
Tab. 6: Satzgedächtnis im SETK 3-5 (Beispiele für „sinnfreie“ Sätze)
Entnommen aus: GRIMM 2001:24.
Für die Auswertung werden die korrekt wiederholten Wörter gezählt, wobei die Reihenfolge
der Wörter und der inhaltliche Zusammenhang nicht bewertet werden.
Ein Wort ist nur dann als korrekt zu beurteilen, wenn es genauso konjugiert oder dekliniert ist
wie im vorgegebenen Satz. Für jedes richtig produzierte Wort erhält das Kind einen Punkt.
Zur Erfassung der auditiven Merkfähigkeit von längeren Einheiten kann der Untertest
„Textgedächtnis“ aus dem Heidelberger Sprachentwicklungstest verwendet werden.266
Dabei soll eine vorgelesene Geschichte vom Kind wiedergegeben werden. Natürlich
beeinflussen hier neben den Gedächtnisleistungen auch andere sprachliche und
nichtsprachliche Faktoren das Ergebnis.
Auf die Vorteile einer Überprüfung des auditiven Arbeitsgedächtnisses mit sog.
„Nichtwörtern“ wurde bereits an anderer Stelle hingewiesen.267 Eine solche Untersuchung
ermöglicht der „Mottiertest“, der ein Untertest des Zürcher Lesetests268 ist. Dabei wird von
den Kindern das Nachsprechen von sinnfreien Wortgebilden, die aus einer unterschiedlichen
Anzahl von offenen Silben bestehen, gefordert.
266 GRIMM & SCHÖLER 1991. 267 Vgl. Kapitel III/5.9. 268 LINDER & GRISSEMANN 1996.
Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 94
Der Mottiertest269 wurde von der Logopädin Grete Mottier entwickelt und bildet einen
Untertest bzw. ein Zusatzverfahren des Zürcher Lesetests270. Er besteht aus einer Reihe von
dreißig sinnfreien „Wörtern“. Diese Wortgebilde sind in fünf Gruppen unterteilt. Jede Gruppe
besteht aus sechs Wörtern, wobei die Silbenzahl bei jeder Gruppe um eine Silbe zunimmt,
d.h. es gibt sechs zweisilbige, sechs dreisilbige, sechs viersilbige, sechs fünfsilbige und sechs
sechssilbige Wörter bzw. Wortgebilde. Die einzelnen Wörter bestehen ausschließlich aus
offenen Silben der Konstruktion CV.
Testwortreihe des Mottiertests
rela kapeto pikatura katopinafe pekatorisema
noma giboda gabodila gebidafino dagobilaseta
godu lorema monalura ronamelita leraminofeko
mera topika topakimu tapikusawe kapotilafesa
luri nomari debagusi degobesaro bigadonafera
limo dugabe relomano muralenoka nomalirakosa
Tab. 7: Testwortreihe des Mottiertests
Entnommen aus: WELTE 1981:121.
Die Wörter werden dem Kind bei gleichmäßiger Betonung einzeln und deutlich
vorgesprochen. Dabei ist darauf zu achten, dass nicht von den Lippen abgelesen werden kann.
Das Kind soll jedes Wort möglichst korrekt nachsprechen. Die Antworten werden notiert.
Im Zürcher Lesetest wird der Mottiertest als Verfahren „[...] zur Prüfung der phonematischen
Speicherung der sprechmotorischen Koordination und der Artikulation“271 bezeichnet. Ich
halte es allerdings für zweifelhaft, ob mit dem Mottiertest wirklich eine verlässliche
Überprüfung von sprechmotorischer Koordination und Artikulation möglich ist, da in den
Testwörtern z.B. keine Affrikaten und auch der Laut /���QLFKW�YRUNRPPW��$X�HUGHP�EHVWHKHQ�
alle Wörter aus offenen Silben. Diese Eigenschaften sind aber für die Überprüfung der
269 MOTTIER 1996. 270 LINDER & GRISSEMANN 1996:15-16. 271 MOTTIER 1996:15.
Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 95
Gedächtnisfunktion für Nichtwörter eigentlich von Vorteil, da die Ergebnisse seltener durch
Artikulationsschwierigkeiten verfälscht werden.
Im Zürcher Lesetest sind lediglich Vergleichswerte ab der zweiten Schulstufe angegeben.272
Normwerte für jüngere Kinder (ab 5 Jahren) finden sich bei Welte273 und Rosenkötter274.
Normwerte - Mottiertest
Alter (Jahre) 5 6 7 8 9 10 11 12 >12
Norm 17 19-20 22 23 23-24 24 25 25 26
Reduziert - - 16-18 17-19 18-20 19-21 20-22 20-22 21-23
Stark reduziert - - 12-15 13-16 14-17 15-18 16-19 17-19 18-20
Sehr stark reduziert - - <12 <13 <14 <15 <16 <17 <18
Tab. 8: Normwerte (nach Welte 1981)
Entnommen aus: ROSENKÖTTER 2001:76.
Für die Altersgruppe von 4 – 6 Jahren können also nur teilweise Normwerte angegeben
werden. Welte275 führt jedoch an, dass die Leistungen im Alter von 4 bis 6 Jahren nur
unwesentlich ansteigen. Der Mittelwert liege bei den 4- und 5-jährigen Kindern bei 16
richtigen Antworten, bei den 6-jährigen Kindern bei 17 richtigen Antworten.
Auch im Untertest „Phonologisches Arbeitsgedächtnis für Nichtwörter (PGN)“ des SETK
3-5276 wird überprüft, inwieweit das Kind in der Lage ist, unbekannte Lautmuster zu
speichern und wiederzugeben. Angelehnt an das englischsprachige Vorbild von Gathercole et
al.277 wurde eine Liste von achtzehn zwei- bis fünfsilbigen Nichtwörtern oder Pseudowörtern
272 Vgl. EBENDA. 273 Vgl. WELTE 1981:124. 274 Vgl. ROSENKÖTTER 2001:76. 275 Vgl. WELTE 1981:124. 276 GRIMM 2001. 277 GATHERCOLE ET AL. 1994.
Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 96
kreiert. Die einzelnen Wörter unterscheiden sich neben der Silbenanzahl auch in ihrer
Wortähnlichkeit zu bekannten Wörtern.278
Aufgaben
Übungsaufgabe: MALUK
1. BILLOP
2. KALIFENG
3. DEFSAL
4. RONTERKLABE
5. TOSCHLANDER
6. ENTIERGENT
7. GATTWUTZ
8. GLÖSTERKEIT
9. DILECKTICHKEIT
10. KRAPSELISTONG
11. NEBATSUBST
12. SEREGROPIST
13. SKATAGURP
Tab. 9: Aufgabenstellung: phonologisches Arbeitsgedächtnis für Nichtwörter
Entnommen aus: GRIMM 2001:43.
Während der Untersuchung soll das Kind die einzeln Wörter nachsprechen, wobei wieder
darauf geachtet werden muss, dass ein Ablesen von den Lippen verhindert wird. Jede
(vollständig) richtig gelöste Aufgabe wird mit einem Punkt bewertet.
Bei Kindern mit Artikulationsproblemen (Dyslalien) ist diese Aufgabe naturgemäß schwierig
zu bewerten. Bei artikulatorisch nicht korrekt nachgesprochenen Wörtern bleibt letztendlich
unklar, auf welcher Ebene die Fehler verursacht werden. Die Ursache für ein falsch
nachgesprochenes Nichtwort kann entweder das Artikulationsproblem oder aber eine
fehlerhafte Repräsentation des Wortes im phonologischen Arbeitsgedächtnis sein.
Für den Fall einer multiplen Dyslalie schlägt Grimm eine doppelte Auswertung des Untertests
vor: einmal werden die Daten ohne Rücksicht auf die Dyslalie ausgewertet und einmal
werden die Artikulationsprobleme bei der Auswertung berücksichtigt. Durch den Vergleich
beider Ergebnisse lässt sich die Leistung des phonologischen Arbeitsgedächtnisses zumindest
abschätzen.279
278 Vgl. GRIMM 2001:21. Im Rahmen einer Voruntersuchung für den Test wurden die Nichtwörter von
Studierenden auf ihre semantische Nähe zu bekannten Wörtern eingestuft. 279 Vgl. GRIMM 2001:49.
Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 97
6.3.6. Diagnostik durch objektive audiometrische Untersuchungen
Neben subjektiven audiologischen und psychometrischen Methoden stehen objektive
audiologische Verfahren zur Überprüfung von Hörfunktionen zur Verfügung. Die
Bezeichnung „objektiv“ bezieht sich hier auf die Möglichkeit, diese Verfahren ohne aktive
Mitarbeit der untersuchten Person durchzuführen. Innerhalb der objektiven Methoden haben
für die Abklärung von auditiven Wahrnehmungsstörungen im Besonderen die
Stapediusreflexaudiometrie und die Ableitung von auditorisch evozierten Potentialen
Bedeutung.
Stapediusreflexmessung
Wird ein Ohr ausreichend laut beschallt, erfolgt normalerweise reflektorisch eine bilaterale
Kontraktion des M. stapedius. Die Kontraktion dieses Mittelohrmuskels, der am Steigbügel
(Stapes) ansetzt, führt zu einer Änderung der Schallübertragung im Mittelohr. Dadurch wird
eine Steigerung der akustischen Impedanz erreicht, die zum Schutz des Gehörs vor lauten
Reizen dient.
Der Reflexbogen mit einer Laufzeit von ca. 8 – 10 ms wird durch äußeres Ohr, Mittelohr,
Innenohr, Hörnerv und untere Anteile der zentralen Hörbahn (bis zum oberen Olivenkomplex
und Lemniscus lateralis) bestimmt, ist aber noch nicht in allen Details bekannt.280
Der Stapediusreflex wird durch luftdichtes Einbringen einer Sonde in den Gehörgang
gemessen. Mittels dieser Sonde werden Reize (Töne, Rauschen) definierter Lautstärke
präsentiert und die resultierende Impedanzänderung mit der gleichen Sonde nachgewiesen.
Dies kann ipsilateral (Beschallung und Nachweis auf der gleichen Seite) oder kontralateral
(Beschallung und Nachweis auf verschiedenen Seiten) erfolgen. Normalerweise liegt die
Reflexschwelle281 für Töne zwischen 90 und 115 dB Schalldruckpegel, für Breitbandrauschen
um 75 dB Schalldruckpegel.282
280 Vgl. BÖHME & WELZL-MÜLLER 1998:180. 281 Reflexschwelle = geringster Pegel, bei dem ein Reflex auslösbar ist. 282 Vgl. BÖHME & WELZL-MÜLLER 1998:182.
Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 98
Bei Störungen der Mittelohrfunktion (Mittelohrerguss, Missbildung etc.), bei ausgeprägteren
Innenohrstörungen oder bei Störungen der Hirnnerven V, VII oder VIII ist der Stapediusreflex
häufig beeinträchtigt.283
Bei zentralen Verarbeitungsstörungen fanden Esser et al.284 eine Vergrößerung des Abstandes
zwischen den Stapediusreflexschwellen für Töne und Schmalbandrauschen, der
normalerweise ca. 10 dB beträgt. Die Reflexschwelle für Töne war bei den untersuchten
Personen im Vergleich zur Reflexschwelle für Schmalbandrauschen deutlich erhöht.
Laut Nickisch et al.285 weisen höhere Stapediusreflexschwellen bei kontralateraler Messung
im Vergleich zur ipsilateralen Messung auf Störungen der Reflexverschaltung auf
Hirnstammebene hin. Matulat et al.286 berichten über Auffälligkeiten der
Stapediusreflexschwelle bei 63% der Kinder mit auditiven Verarbeitungs- und
Wahrnehmungsstörungen, wobei nicht genauer angegeben wird, was unter Auffälligkeiten zu
verstehen ist.
283 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:91. 284 Vgl. ESSER ET AL. 1987:12f. 285 Vgl. NICKISCH ET AL. 2001:28 286 Vgl. MATULAT ET AL. 1999:114.
Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 99
Elektrische Reaktionsaudiometrie
Neben der Reflexaudiometrie kommt auch der Ableitung akustisch evozierter Potentiale in
der Abklärung von auditiven Wahrnehmungsstörungen mitunter Bedeutung zu. Dieses
Verfahren wird auch als elektrische Reaktionsaudiometrie bezeichnet.
"Wirkt ein akustischer Reiz auf den Menschen ein, so kommt es zu elektrischen Vorgängen in
den Sinneszellen des Innenohres, dem Hörnerven und den zentralen Hörbahnen einschließlich
der kortikalen Assoziationszentren. Diese Vorgänge führen zu elektrischen Fernfeldern oder
Potentialen und magnetischen Feldern, die von ausgedehnten Bereichen des Schädels
abgeleitet werden können. Man spricht von auditiven Biopotentialen. Die Messung dieser
Biopotentiale am geschlossenen Schädel bezeichnet man als elektrische Reaktionsaudiometrie
(ERA).“287
Merkmale der elektrischen Antworten:
Bei den elektrischen Antworten auf akustische Stimulation unterscheidet man je nach
Latenzzeit (Zeit zwischen Reiz und Antwort) frühe (0 – 12 ms), mittlere (12 – 80 ms) und
späte (80 – 500 ms) Antworten.288
Die durch die akustische Stimulation erzeugten Potentiale sind sehr klein und werden von
Potentialen der Gesamtaktivität des ZNS überlagert. Es ist daher notwendig, ein
Mittelungsverfahren anzuwenden, um nur diese Potentiale darzustellen, die mit dem
akustischen Reiz in einem direkten zeitlichen Zusammenhang stehen.289
Durchführung der Untersuchung:
Die ERA ist eine recht aufwändige Untersuchung, die bestimmte technische Voraussetzungen
verlangt. Die Patienten/innen (bei Kindern die Eltern) müssen vor jeder Messung ausreichend
informiert werden. Der zu untersuchenden Person werden Elektroden angelegt, anschließend
wird sie beschallt und die elektrischen Antworten aufgezeichnet.
287 BÖHME & WELZL-MÜLLER 1998:213. 288 Vgl. ZOROWKA 2000:378. 289 Vgl. EBENDA.
Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 100
Um Störungen zu vermeiden, sind verschiedene Maßnahmen notwendig. Böhme & Welzl-
Müller290 nennen u.a. folgende:
• schallarmer Raum,
• elektrische Abschirmung (Vermeidung störender elektrischer Einflüsse),
• eine entsprechend entspannte Haltung der zu untersuchenden Person
(gegebenenfalls muss eine Sedierung oder Narkose durchgeführt werden),
• sorgfältige Reinigung der Haut (möglichst geringer Übergangswiderstand
zwischen Haut und Elektroden),
• unterschiedliche Führung von Elektroden- und Kopfhörerkabel.
In der allgemeinen pädaudiologischen Diagnostik haben die frühen auditorisch evozierten
Potentiale der Hirnstammaudiometrie (BERA)291 die größte Bedeutung.292
Die normale Hirnstammpotentialkurve besteht aus einem typischen Antwortmuster, das sich
in einer Wellenkonfiguration von 5 (6) Wellen zeigt, die mit den römischen Ziffern von I bis
V (VI) bezeichnet werden. Dabei kann die Entstehung der einzelnen „Wellenspitzen“ (Peaks)
unterschiedlichen anatomischen Arealen zugeordnet werden. Die Wellen I und II entstehen im
peripheren Hörnerv, die Wellen III bis V im Hirnstamm. Vermutlich steht die Welle III in
Verbindung mit dem Nucleus cochlearis, während die Wellen IV und V mehrere Generatoren
aufweisen, bei denen der Obere Olivenkomplex und die Kerne des Lemniscus lateralis eine
bedeutende Rolle spielen.293 Die exakte Zuordnung von Welle und anatomischer Struktur ist
jedoch noch nicht eindeutig geklärt.
290 Vgl. BÖHME & WELZL-MÜLLER 1998:221ff. 291 BERA = Brainstem evoked response audiometry. 292 Vgl. ZOROWKA 2000:378 f. 293 Vgl. CHERMAK & MUSIEK 1997:130f.
Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 101
Nach Böhme & Welzl-Müller294 werden für die Interpretation der Antworten folgende
Parameter herangezogen:
• Morphologie / Muster der Antwort,
• Reaktionsschwelle / Reizantwortschwelle (geringster Pegel, bei dem eine Antwort
nachzuweisen ist),
• absolute Latenzzeiten der Wellen I, III und V,
• interaurale Latenzdifferenz: vor allem der Welle V bei überschwelliger
Stimulation,
• zentrale Leitzeit: Differenz der Latenzzeit zwischen den Wellen I und III, I und V,
III und V.
Diese Ergebnisse hängen von unterschiedlichen Faktoren ab: Messbedingungen, Patient/in
(Alter, Geschlecht), Funktion von Schallleitungsapparat, Cochlea, Nervus cochlearis und der
zentral akustischen Bahnen im Bereich des Hirnstamms.
Schließlich werden die Messergebnisse der Untersuchung mit den Werten von
Normalhörenden verglichen, die man an derselben Apparatur unter denselben Bedingungen
erhalten hat.295
Kinder mit Auffälligkeiten der auditiven Wahrnehmung weisen mitunter verlängerte
Interpeaklatenzen oder auch Seitenunterschiede auf. Die Ergebnisse sind jedoch nicht deutlich
ausgeprägt und auch nicht konsequent nachweisbar.296
Auch Rosenkötter297 führt an, dass die Hirnstammaudiometrie keine spezifischen Befunde
liefert, die zur routinemäßigen Abklärung von auditiven Wahrnehmungsproblemen beitragen
könnten.
Außer dem ist die Durchführung und Bewertung der BERA besonders bei Kindern schwierig,
da es ihnen häufig schwer fällt, während der (recht langen) Untersuchung ruhig genug zu
bleiben, so dass in einem bestimmten Alter häufig eine Sedierung unumgänglich ist.
294 Vgl. BÖHME & WELZL-MÜLLER 1998:231. 295 Vgl. EBENDA:232. 296 Vgl. NICKISCH ET AL. 2001:28. 297 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:93.
Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 102
Als weitere Möglichkeit, auditive Prozesse auf Hirnstammniveau zu untersuchen, empfiehlt
Delb298 das Binaurale Differenzpotential (BDP) früher auditorisch evozierter Potentiale. Es
handelt sich dabei um ein Potentialmuster, das dadurch entsteht, dass trotz identischer
Ableitungsbedingungen die Summe der monaural evozierten Potentiale nicht gleich dem
binaural evozierten Potential ist. Die Subtraktion beider Größen ergibt das binaurale
Differenzpotential. Das BDP scheint Ausdruck der binauralen Interaktion (z.B. beim
Richtungshören) zu sein und wird vorwiegend durch das Vorhandensein eines sog. �-Peaks
identifiziert. Zwar konnten bei Kindern mit Verdacht auf auditive Verarbeitungsstörungen
Amplitudenunterschiede im Vergleich zu Kindern ohne diesen Verdacht festgestellt werden,
allerdings bestehen hinsichtlich der Ableitung binauraler Differenzpotentiale weder Konsens
über die Nomenklatur noch über die Durchführung von Messung und Subtraktion. Außerdem
weist Delb299 darauf hin, dass gerade hinsichtlich der Potentialamplituden große
LQWHULQGLYLGXHOOH�9DULDQ]�EHVWHKW��(U�HPSILHKOW�HKHU�GLH�$XVZHUWXQJ�GHU�/DWHQ]�GHV��-Peaks.
Dennoch räumt der Autor ein, dass für eine routinemäßige Anwendung der BDP noch
umfangreiche Forschungen nötig seien.
Die Ableitung später auditorisch evozierter Potentiale (CERA)300 findet hinsichtlich der
Abklärung von auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen ebenfalls Erwähnung.
Diese späten Antworten mit einer Latenz von 80 – 500 ms sind Ausdruck der Aktivität der
primären Hörrinde und assoziativen Rindenfeldern.301
Als Reize werden bei der CERA meist Ton-bursts302 verwendet, wodurch eine
frequenzabhängige Aussage möglich wird. Das Potential besteht aus der Abfolge einer relativ
raschen positiven Welle P1, der eine langsamere negative Welle N1 und wieder eine positive
Welle P2 folgen.
Die späten Antworten sind sehr vom Bewusstseinszustand der untersuchten Person abhängig.
Unterschiedliche Wachheitsgrade oder eine Sedierung können die Antwort sogar zum
298 Vgl. DELB 2003:99ff. 299 Vgl. EBENDA:102. 300 CERA = Cortical evoked response audiometry. 301 Vgl. CHERMAK & MUSIEK 1997:141. 302 Ton-burst = Ausschnitt aus Tönen unterschiedlicher Frequenz - meist mit trapezförmiger Umhüllenden.
Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 103
Verschwinden bringen. Außerdem wird die Auswertung der CERA durch starke
interindividuelle Schwankungen (Alter, Hirnreifung, Aufmerksamkeit) beeinflusst.303
Im Rahmen von wissenschaftlichen Untersuchungen konnten Auffälligkeiten der CERA in
Verbindung mit auditiven Verarbeitungsstörungen, Sprachentwicklungsstörungen und Lese-
Rechtschreibstörungen gefunden werden. So beschreiben z.B. Esser et al.304 bei auditiv
auffälligen Kindern eine Umgestaltung des evozierten Potentials.
Aufgrund der geringen inter- und intraindividuellen Reproduzierbarkeit und ihrer
Abhängigkeit von Aufmerksamkeit und Vigilanz sind die Aussagen der späten auditorisch
evozierten Potentiale für die Routinediagnostik derzeit aber noch recht beschränkt.305
Ereigniskorrelierte Potentiale (ERP)306 mit einer Latenzzeit bis 350 ms können mit Ton-
oder Sprachsignalen evoziert werden. Bei der Untersuchung werden häufige und seltenere
Stimuli präsentiert und die evozierten Antworten getrennt gemittelt. Die Proband/en/innen
sollen sich auf die seltenen Stimuli konzentrieren oder aber diese Stimuli ignorieren, indem
sie gleichzeitig z.B. ein stummes Video betrachten.307
Bei der Aufforderung, auf die selteneren, abweichenden Reize zu achten, tritt nach etwa
300 ms ein positives Potential auf (P3 oder P300). Solche ereigniskorrelierte Potentiale
scheinen bei Kindern mit auditiven Wahrnehmungsstörungen häufig verzögert zu sein.308
Allerdings verlangt auch diese Untersuchung einen hohen Zeitaufwand sowie die nötige
Mitarbeit des Kindes.309
Werden die Potentiale nach dem Standardreiz und nach dem abweichenden Reiz gemessen,
erhält man durch Kurvensubtraktion der evozierten Antworten das sog. Mismatch-Negativity-
Potential (MMN). Dieses Potential ist unabhängig davon, ob das Kind auf das abweichende
Signal achtet oder nicht. Bei Kindern mit Sprachentwicklungsstörungen berichtet
303 Vgl. BÖHME & WELZL-MÜLLER 1998:234f. 304 Vgl. ESSER ET AL. 1987:12f. 305 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:93. 306 ERP = Evant related potentials. 307 SCHÖNWEILER 2001:23f. 308 Vgl. CHERMAK & MUSIEK 1997:145. 309 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:93.
Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 104
Suchodoletz310 über Veränderungen der MMN auf unterschiedliche Tonhöhen. Diese
Veränderungen zeigten sich jedoch nicht, wenn die Unterschiede der Stimuli die Tondauer
betrafen.
Zusammenfassend muss gesagt werden, dass die kortikal evozierten Potentiale aufgrund der
genannten Schwierigkeiten (hoher Aufwand, nötige Kooperationsfähigkeit der untersuchten
Person, Abhängigkeit von vielen externen Faktoren etc.) und auch aufgrund fehlender
standardisierter Messbedingungen und divergierender Untersuchungsergebnisse in der
Routinediagnostik noch wenig Bedeutung haben.
Auf der anderen Seite betonen Nickisch et al.311, dass in der Ableitung von kortikalen
Potentialen eine Fülle von wissenschaftlichen Möglichkeiten stecken. Der technische
Fortschritt mache durchaus Hoffnung, dass in Zukunft eine Reduktion des Messaufwandes
und eine Vereinheitlichung von Untersuchungs- und Auswertungsbedingungen erreicht
werden könnten.
Auch Chermak & Musiek312 weisen darauf hin, dass trotz der Tatsache, dass MMN und P300
auch von anderen Erkrankungen beeinflusst würden, diese Verfahren prinzipiell die Kapazität
und Flexibilität in sich trügen, komplexe Prozesse der Hörverarbeitung und ihren
Zusammenhang mit kognitiven Fähigkeiten zu überprüfen.
310 Vgl. SUCHODOLETZ 1997:41. 311 Vgl. NICKISCH ET AL. 2001:29. 312 Vgl. CHERMAK & MUSIEK 1997:150.
Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 105
6.3.7. Screening der auditiven Wahrnehmung
Es ist naheliegend, dass bei der riesigen Anzahl an Untersuchungsverfahren und
Testmethoden, die für die Diagnostik von auditiven Funktionen zur Verfügung stehen, das
Verlangen nach einer übersichtlichen und praktikablen, aber dennoch validen Testbatterie
groß ist. Unmöglich kann ein Kind mit Verdacht auf zentral auditive Wahrnehmungsstörung
allen oben genannten Untersuchungen unterzogen werden. Dies würde einerseits die
Kapazität des Kindes aber auch den zu rechtfertigenden Aufwand an Personal- und
Materialkosten deutlich überschreiten.
Auch im Hinblick auf ein Screeningverfahren, das eine erste Identifizierung von Kindern mit
auditiven Wahrnehmungsdefiziten ermöglichen sollte, wäre es von Bedeutung, über eine
geeignete und evaluierte Testzusammenstellung zu verfügen. Dies ist im deutschen
Sprachraum leider noch nicht der Fall.
Das Ziel eines Screening-Verfahrens, einer Aussonderungsdiagnostik ist es, mit hoher
Wahrscheinlichkeit jene Individuen herauszufiltern, die eine bestimmte Erkrankung
aufweisen. Dabei sind u.a. folgende Überlegungen von Bedeutung:313
• Sensitivität und Spezifität der verwendeten Verfahren,314
• Zeit und Kosten des Screenings im Vergleich zur üblichen Testbatterie,
• Aufwand an Personal und Einschulung desselben,
• Kosten für Durchführung und Aufsicht.
Außerdem muss überlegt werden, ob alle Individuen einer bestimmten Population getestet
werden sollen oder nur sog. Risikogruppen (für ein Screening von auditiven
Wahrnehmungsstörungen wären dies vermutlich Kinder mit Entwicklungsbeeinträchtigungen
wie Lernstörungen oder Sprachentwicklungsproblemen).
313 Vgl. MEDWETSKY 2001a:512. 314 Der Begriff Sensitivität bezeichnet, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass bei einem positiven
Testergebnis auch tatsächlich eine Krankheit vorliegt; ausgeschlossen werden müssen deshalb die falsch
positiven Befunde (Proband/in ist gesund, resultiert im Test aber als auffällig). 314 Der Begriff Spezifität bezeichnet, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass bei Vorliegen einer Erkrankung
der/die Patient/in als solche/r auch identifiziert werden kann; ausgeschlossen werden müssen die falsch
negativen Ergebnisse (Proband/in ist krank und resultiert im Test als gesund).
Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 106
In der englischsprachigen Literatur finden sich mehrere Testzusammenstellungen, die als
Screening von auditiven Wahrnehmungsstörungen verwendet werden.
Eines dieser Verfahren ist der „Screening Test for Auditory Disorders (SCAN)“.315 Der
SCAN-Test ist für die Altersgruppe von drei bis elf Jahren konzipiert. Er enthält die vier
Subtests: filtered words (40 einsilbige Wörter, bei denen die tiefen Frequenzen
herausgeschnitten wurden, werden monaural angeboten), auditory figure ground (40
einsilbige Wörter vor dem Hintergrund eines Stimmengewirrs), competing words (100
Einsilber werden als dichotische Wortpaare präsentiert), competing senctences (Sätze werden
dichotisch präsentiert). Ein Screening mit Hilfe des SCAN-Tests ist in ca. 20 Minuten
durchzuführen.316
Als weitere Screening-Methoden werden dichotische Tests, z.B. der „Selective Auditory
Attention Test (SAAT)“317 und die Überprüfung der Gedächtnisspanne für Zahlen
verwendet.318
Anlässlich der Konsensus-Konferenz in Dallas wurde für die Testung von Kindern im Alter
von über sechs Jahren empfohlen, dass ein Screening-Verfahren einen dichotischen Zahlentest
und einen Gap-Detection-Test enthalten sollte. Für jüngere Kinder müssten erst geeignete
Testmethoden entwickelt werden. Hier sei eher die Verwendung von Fragebögen
vorzuziehen.319
Solche Fragebögen oder Skalen für Lehrer/innen, Kindergärtner/innen etc. und/oder Eltern
enthalten Fragen, die sich einerseits auf die allgemeine kindliche Entwicklung beziehen und
anderseits mit spezifischen auditiven Leistungen in Zusammenhang stehen. Im
angloamerikanischen Raum sind mehrere solcher (normierter) Fragebögen im Einsatz.320
Kinder, die in einer solchen Befragung auffallen, müssten dann einer weiteren Abklärung
zugeführt werden.
315 Vgl. KEITH 1986; KEITH 2000. 316 Vgl. MEDWETSKY 2001:513. 317 Vgl. CHERRY 1980. 318 Vgl. MEDWETSKY 2001a:513. 319 Vgl. JERGER & MUSIEK 2000:468ff. 320 Vgl. MEDWETSKY 2001a:512f.
Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 107
Für den deutschen Sprachraum werden zur Erleichterung der Anamnese zwar auch
Fragebögen verwendet, für die es aber kaum Vergleiche von Normgruppen gibt.321
Ein orientierendes Screening-Verfahren für deutschsprachige Kinder wird von Lauer322
vorgeschlagen. Dabei werden die einzelnen auditiven Teilfunktionen (Aufmerksamkeit,
Speicherung und Sequenz, Lokalisation, Diskrimination, Selektion, Analyse, Synthese,
Ergänzung) anhand von jeweils zehn Items orientierend untersucht. Als Material dienen
Bildkarten, ein Kassettenrecorder, eine Kassette mit Umgebungsgeräuschen sowie ein
Untersuchungsbogen. Für die Überprüfung des Richtungshörens (Lokalisation) wird eine
Anlage mit vier Lautsprechern verwendet. Leistungen unter 30% in einer Teilfunktion gelten
als deutlich auffällig und bedürfen einer weiteren Testung durch andere Verfahren. Aufgrund
der geringen Item-Zahl von 10 kann von einer wirklich sicheren Beherrschung einer Funktion
erst ab einer Leistung von 90% ausgegangen werden.323
Auch für diese Test-Zusammenstellung fehlt eine entsprechende Standardisierung.
Altersabhängige Unterschiede hinsichtlich der einzelnen Leistungen werden nicht
berücksichtigt. Lauer betont, dass die vollständige Bewältigung einzelner Aufgaben (z.B. zur
Analyse, Synthese oder Ergänzung) erst ab einem Alter von sechs Jahren zu erwarten sei.
Das Verfahren hat jedoch einen großen Vorteil: Das benötigte Material (bis auf die
Lautsprecheranlage) ist leicht zu beschaffen und die betreffenden Kinder könnten daher gleich
in der logopädischen Praxis (zumindest orientierend) untersucht werden.
321 Vgl. u.a. ROSENKÖTTER 2001:68ff; MEISTER ET AL. [im Druck]. 322 Vgl. LAUER 2001:31ff. 323 Vgl. EBENDA:33.
Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 108
6.3.8. Probleme der Diagnostik
In den vergangenen Kapiteln wurde deutlich, dass es sich bei der Diagnostik von auditiven
Wahrnehmungsstörungen um kein einfaches Unterfangen handelt. Dieser Umstand ergibt sich
schon dadurch, dass nicht einmal völlig geklärt ist, wodurch dieses Störungsbild eigentlich
genau charakterisiert ist. Eine einheitliche, allgemein akzeptierte und spezifische Definition
fehlt. Die vorhandenen Definitionen324 sind so weit gefasst, dass eine Abgrenzung zu anderen
spezifischen Störungen (Aufmerksamkeitsdefiziten, Sprachverarbeitungsstörungen,
Gedächtnisleistung etc.) schwierig ist. Außerdem sind in den Definitionen viele auditive
Einzelfunktionen subsummiert, so dass die Definition an sich unbrauchbar wird, werden diese
einzelnen Funktionen nicht zusätzlich spezifiziert. Dies ist jedoch aufgrund fehlender valider
diagnostischer Kriterien kaum oder nicht möglich.
Weitgehende Einigkeit besteht darin, dass es sich bei auditiven Wahrnehmungsstörungen
nicht um ein einheitliches Konstrukt handelt. Wäre dies der Fall, so wäre es im Grunde
irrelevant, welchen Test man für die Diagnostik verwendet, da sich schlechte auditive
Leistungen in jedem Verfahren zeigen müssten. Tatsächlich ist dies jedoch nicht der Fall.
Dies zeigen auch die geringen Interkorrelationen einzelner auditiver Tests325. Das heißt,
schlechte Leistungen in einem bestimmten Testverfahren bedeuten nicht zwingend auch
schlechte Leistungen in einem anderen Testverfahren. Die einzelnen auditiven Funktionen
zeigen sich weitgehend unabhängig voneinander.
324 Vgl. die Definitionen der ASHA und der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie in Kapitel
III/6.1. 325 Vgl. BERWANGER 2001:55; FISCHER 2003:66.
Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 109
Auditive Wahrnehmungsstörungen sind also ein multifaktorielles und mehrdimensionales
Phänomen, welches nicht anhand eines einzelnen Testverfahrens diagnostiziert werden kann.
Darüber ist man sich einig. Die Einigkeit endet aber dort, wo es um die Auswahl und
Durchführung geeigneter Testverfahren geht. Beinahe jede Forschungsgruppe – meist handelt
es sich dabei um phoniatrisch-pädaudiologische Abteilungen – verwendet ihre eigene, selbst
entwickelte oder zusammengestellte Testbatterie. Ein Vergleich der ermittelten Daten wird
dadurch natürlich sehr schwierig oder sogar unmöglich gemacht.
Die angewandten Testverfahren werfen bezüglich mehrerer Gesichtspunkte Probleme auf. Mit
Ausnahme der Verfahren, die als Subtests aus standardisierten Testbatterien zur Überprüfung
von Intelligenz, Sprachfähigkeiten etc. „entlehnt“ wurden, sind beinahe alle Tests nicht oder
nur unzureichend normiert.
Uttenweiler326 weist darauf hin, dass eine gute Sensitivität und Spezifität eines Testverfahrens
nur dann erreicht werden kann, wenn eine ausreichend große Anzahl von Patient/en/innen mit
klar definierten Störungsbildern untersucht werden kann und die Ergebnisse mit gesunden
Proband/en/innen verglichen werden können. Die Heterogenität der Symptome und Ursachen
von Störungen der zentral-auditiven Wahrnehmung macht solche Vergleiche aber sehr
schwierig.
Die wenigsten Verfahren wurden auf ihre Zuverlässigkeit (Reliabilität) hin überprüft. Eine
Bestimmung der Retest-Reliabilität für den SCAN-Test nach einem Zeitraum von sechs
Monaten ergab keine zufriedenstellenden Ergebnisse.327
326 Vgl. UTTENWEILER 2001:12. 327 Vgl. BERWANGER 2001:44f.
Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 110
Der Zusammenhang zwischen auditiven Funktionen und allgemeinen kognitiven Faktoren
wie Intelligenz, Konzentrationsvermögen, Aufmerksamkeit etc. ist häufig unbekannt. So
bleibt bei der Überprüfung von auditiven Funktionen mit Hilfe von subjektiven Testmethoden
meist fraglich, ob schlechte Ergebnisse tatsächlich aufgrund von Defiziten der auditiven
Leistungen oder aber vielleicht durch Einschränkungen von Aufmerksamkeit und
Konzentrationsfähigkeit erzielt werden. Zwar konnte Berwanger328 in einer
Stichprobenuntersuchung von 126 normal entwickelten Kindern keinen signifikanten
Zusammenhang zwischen Intelligenz und auditiven Leistungen feststellen, auch eine
Abhängigkeit von der allgemeinen Konzentrationsfähigkeit konnte von ihr nur für einzelne
auditive Funktionen nachgewiesen werden. Doch wurden in die Untersuchung nur einzelne
Tests auditiver Funktionen einbezogen, für viele andere Verfahren wurde der Einfluss von
Aufmerksamkeit und Konzentration noch nicht überprüft.
Sehr problematisch für die Diagnostik erweist sich auch die Altersabhängigkeit einzelner
auditiver Leistungen. So zeigt z.B. Fischer329 anhand der Daten von ca. 500 Kontrollpersonen
in unterschiedlichen Altersgruppen, dass einzelne auditive Fähigkeiten
(Lautstärkenunterscheidung, Tonhöhenunterscheidung, Lückenerkennung, Zeitordnung,
Seitenordnung) starken Altersschwankungen unterworfen sind. Bei allen fünf Fähigkeiten
nahm die Leistungsfähigkeit im Alter von 7 bis ca. 20 Jahren deutlich zu, erreichte dann ein
Plateau und nahm für einzelne Fähigkeiten ab ca. 35 Jahren wieder langsam ab. Das bedeutet,
dass die Entwicklung dieser Funktionen sich bis in das junge Erwachsenenalter zieht. Daraus
ergebe sich die Notwendigkeit, Vergleichswerte für unterschiedlicher Altersgruppen zur
Verfügung zu haben, um die untersuchten Kinder mit Verdacht auf eine auditive
Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung überhaupt richtig einordnen zu können. Solche
Vergleichswerte gibt es aber für die meisten Tests nicht.
328 Vgl. BERWANGER 2001:51f. 329 Vgl. FISCHER 2003:64ff.
Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 111
Zahlreiche vorgeschlagene Verfahren zur Überprüfung auditiver Funktionen verlangen ein
hohes Maß an Kooperation sowie ausreichende Aufmerksamkeit der untersuchten Kinder.
Dadurch sind sie zwangsläufig für Kinder im Vorschulalter ungeeignet. So zeigt z.B.
Berwanger330 in der oben angeführten Untersuchung, dass die meisten nonverbalen Verfahren
von Kindern unter 6 Jahren nicht ausreichend verstanden werden und ihre Ergebnisse daher
keine verlässlichen Werte liefern.
Auch objektive Messmethoden wie die elektrische Reaktionsaudiometrie verlangen von den
untersuchten Personen eine gute Kooperationsfähigkeit, die bei Kindern nur in
eingeschränktem Maße gegeben ist. So ist die Anwendung der meisten objektiven Verfahren
wie die CERA oder die Messung von ereigniskorrelierten Potentialen vor allem für die
Diagnostik von jüngeren Kindern kaum brauchbar. Auch intra- und interindividuelle
Varianzen der Ergebnisse solcher Untersuchungen, ihre Beeinflussbarkeit durch externe
Faktoren sowie eine häufig fehlende Standardisierung der Messbedingungen erschweren den
Einsatz dieser Verfahren in der Diagnostik von auditiven Wahrnehmungsdefiziten.
In diesem Zusammenhang muss auch auf eine weitere Schwierigkeit vieler Studien
hingewiesen werden. Oft werden die Untersuchungsergebnisse eines bestimmten
Testverfahrens von Kindern „mit“ und „ohne“ auditive Wahrnehmungsstörung verglichen.
Dabei bleibt sehr häufig unklar, wie diese Trennung von Testgruppe und Kontrollgruppe
erfolgte, bzw. nach welchen Kriterien die Kinder als auditiv wahrnehmungsgestört eingestuft
wurden. Es fehlt also in vielen Fällen ein geeignetes Außenkriterium, das die Testgruppe von
der Kontrollgruppe trennt und dadurch einen Vergleich der Ergebnisse überhaupt möglich
macht.
330 Vgl. BERWANGER 2001:49f.
Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 112
Neben den bereits genannten Schwierigkeiten wirft die Diagnostik von auditiven
Wahrnehmungsstörungen auch noch weitere Probleme auf. So ist für einige Tests unklar,
welchen Stellenwert sie eigentlich für die auditive Wahrnehmung und im Besonderen für
alltagsrelevante Funktionen auditiver Leistungen haben.331
Auch die Aussagekraft, ob und in welcher Form eine Therapie der diagnostizierten Störung
indiziert ist, ist für viele Tests nur mäßig oder gar nicht vorhanden. Ein weiteres Problem ist
die Tatsache, dass viele Verfahren keine ausreichende Selektivität besitzen, da sie meist nicht
nur eine einzelne auditive Funktion messen, sondern mehrere auditive und andere Faktoren
das Ergebnis beeinflussen.
Für die praktische Anwendung sind auch Fragen des technischen und personellen Aufwands
sowie der Kosten einer Untersuchung relevant. Viele Verfahren kommen zur Zeit für eine
routinemäßige Anwendung schon deshalb nicht in Frage, weil ihr technischer, zeitlicher und
personeller Aufwand in keiner Relation zur Aussagekraft der zu erwartenden Ergebnisse
steht. Auch die psychische und physische Kapazität des Kindes begrenzt eine „ungehemmte“
Diagnostik. So muss die Anzahl und Art der möglichen Untersuchungen zwangsläufig so
begrenzt werden, dass diese für das untersuchte Kind auch zumutbar sind. Die Dauer eines
Untersuchungsganges darf in den meisten Fällen nicht mehr als eine Stunde betragen.332
Für eine Klärung des Zusammenhangs von auditiven Wahrnehmungsproblemen und
Störungen der Sprachentwicklung wäre es notwendig, Aussagen über die auditive
Verarbeitungs- und Wahrnehmungsfähigkeit von Kindern im Vorschulalter zu erhalten. Die
oben angeführten Schwierigkeiten, die im Rahmen der Diagnostik von auditiven
Wahrnehmungsproblemen auftreten, erschweren aber im Besonderen die Abklärung jüngerer
Kinder. Die meisten Verfahren können bei diesen Kindern gar nicht durchgeführt werden,
weil sie entweder zu schwierig sind oder ein bestimmtes Maß an Kooperationsfähigkeit
voraussetzen, das in dieser Altersgruppe nur schwer zu erreichen ist.
331 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:84. 332 Vgl. EBENDA:85.
Diagnostik von Störungen der auditiven Wahrnehmung 113
Nonverbale Tests333 und die meisten objektiven Verfahren334 scheiden zumindest für eine
routinemäßige Überprüfung aus diesen Gründen aus.
Unter anderem weist auch Hess335 darauf hin, dass Kinder mit dem Verdacht auf eine auditive
Wahrnehmungsproblematik ein höchst heterogenes Patientenkollektiv bilden. Die
Ausprägung der Symptomatik ist äußerst variabel und manchmal sogar tageszeitabhängig.336
Zusätzlich wird die Durchführung der Diagnostik durch die limitierte Mitarbeit der Kinder
erschwert.
Abgesehen davon, dass auch für einige verbale und psychometrische Methoden
Vergleichswerte von jüngeren Kindern fehlen,337 haben diese Verfahren den Nachteil, dass
mit ihnen nicht nur rein auditive Funktionen, sondern auch Sprachverarbeitungsfähigkeiten
gemessen werden.338 Auf der anderen Seite sind psychometrische Tests ohne großen
technischen und personellen Aufwand durchzuführen und ermöglichen eine orientierende
Untersuchung der Kinder auch in der logopädischen Praxis.
333 Vgl. Kapitel III/6.3.3. 334 Vgl. Kapitel III/6.3.6. 335 Vgl. HESS 2001:594. 336 Vgl. UTTENWEILER 2001:12. 337 Vgl. Kapitel III/6.3.4 und III/6.3.5. 338 Vgl. u.a. NICKISCH ET AL. 2001:24; DELB 2003:100.
Therapie von Störungen der auditiven Wahrnehmung 114
6.4. Therapie von auditiven Wahrnehmungsstörungen
Bis hierher haben wir auditive Wahrnehmungsstörungen als klinisches Phänomen kennen
gelernt, das immer noch einer eindeutigen Definition entbehrt und dessen Diagnostik mit
zahlreichen, zum Teil unüberwindbaren Schwierigkeiten verbunden ist.
Dennoch gibt es bei vielen Kindern beobachtbare Verhaltensweisen, die zumindest intuitiv
auf ein Problem der Verarbeitung von auditiven (im Besonderen von sprachlichen) Reizen
schließen lassen. Defizite beim Behalten von auditiven Informationen, bei der Diskrimination
von Phonemen oder im Umgang mit rhythmischen Elementen zeigen sich z.B. bei vielen
Kindern mit Sprachentwicklungsauffälligkeiten.
Dies führte schon vor geraumer Zeit dazu, dass sich u.a. Logopädinnen und Logopäden über
diese „Verarbeitungsprobleme“ Gedanken machten. Da die Phänomene einerseits
offensichtlich waren, es aber vielfach an theoretischem Hintergrund fehlte, war der
therapeutische Zugang zunächst vorwiegend pragmatisch. Das Training der defizitären
Leistungen wurde einfach in die logopädische Therapie eingebaut. Dabei war es zunächst
egal, ob die kindlichen Schwierigkeiten aufgrund von Gedächtnisdefiziten und
Aufmerksamkeitseinschränkungen im Allgemeinen oder durch eine spezifisch auditive
Störung verursacht wurden.
Durch das enorm wachsende Interesse am Phänomen der auditiven Wahrnehmung und ihrer
möglichen Störung in den letzten Jahren kamen andere Perspektiven und Sichtweisen dazu.
Die Problematik wurde aus phoniatrisch-pädaudiologischer, psychologischer, pädagogischer,
linguistischer und logopädischer Sicht beleuchtet und neu diskutiert. Man begnügte sich nicht
mehr damit, auf beobachtbare Verhaltensweisen in pragmatischer Weise zu reagieren,
sondern wollte und will der Sache auf den Grund gehen. Die Suche nach Ursachen, genau
definierbaren Erscheinungsbildern und diagnostischen Möglichkeiten dieses äußerst
komplexen und heterogenen Phänomens führte dazu, dass die einzelnen Gruppen von
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern teilweise völlig divergierende Ansichten
vertreten.
Diese unterschiedlichen Ansichten und Herangehensweisen spiegeln sich auch in den
Vorschlägen zur Behandlung von auditiven Wahrnehmungsstörungen wider.
Therapie von Störungen der auditiven Wahrnehmung 115
Die Palette der empfohlenen Behandlungsansätze reicht von einem allgemeinen
„Horchtraining“ mit technisch veränderter Musik oder einer Klangtherapie über das Training
einzelner auditiver Leistungen bis hin zu pädagogisch-therapeutischen Übungsprogrammen,
die nonverbale und verbale auditive Übungen beinhalten. Darüber hinaus werden Geräte
angeboten, mit denen auditive Funktionen wie die Ordnungsschwelle oder die
Lückenerkennung geübt werden können. Für die therapeutische Intervention werden auch
Compact-Disks mit auditiven Trainingsaufgaben und „Lauschspielen“, Anlagen zur
verbesserten Schallübertragung in Klassenzimmern oder auch eine Hörgeräteversorgung
empfohlen. Hesse et al. schlagen bei auditiven Wahrnehmungsstörungen sogar eine stationäre
Intensivtherapie vor.339
Wie es bei schon bei den einzelnen Verfahren zur Diagnostik von auditiven
Wahrnehmungsstörungen der Fall war, gibt es auch hinsichtlich der Einteilung der
verschiedenen Therapieansätze und Methoden keine Einheitlichkeit.
Bei Lauer340 findet sich z.B. eine Einteilung nach folgenden Bereichen:
• Teilfunktionsorientierte Ansätze:
Dazu gehören Methoden, die an der Behandlung der einzelnen auditiven
Funktionen (Lokalisation, Diskrimination, Speicherung und Sequenz, Analyse etc.)
ansetzen. Die Behandlung kann in Form von Einzel- oder Gruppentherapie
stattfinden und durch computerunterstützte Verfahren ergänzt werden.
• Psychomotorische Ansätze:
Hier kommen Verbindungen zwischen Motorik und rhythmisch-melodischen
Elementen zum Einsatz. Diese Ansätze fließen vorwiegend in
gruppentherapeutischen Interventionen ein und verfolgen das Ziel einer eher
indirekten Verbesserung der auditiven Wahrnehmung durch die Verbindung von
auditiven Stimuli und Motorik.
339 Vgl. HESSE ET AL. 2001. 340 Vgl. LAUER 2001:35f.
Therapie von Störungen der auditiven Wahrnehmung 116
• Technische Ansätze:
Bei diesen Verfahren wird versucht, mit Hilfe von speziell entwickelten
technischen Geräten Teilaspekte der auditiven Verarbeitung zu trainieren. Zu
diesen Teilaspekten zählen auditive Funktionen wie die Ordnungsschwelle oder
die Tonhöhenunterscheidung. Auch ein allgemeines „Horchtraining“ mit speziell
gefilterter Musik ist in diesem Zusammenhang zu nennen.
• Kompensatorische Ansätze:
Hier wird meist der visuelle Sinneskanal zur „Kompensation“ gestörter auditiver
Leistungen genutzt. Computerprogramme, die eine bildliche Darstellung von
auditiven Reizen ermöglichen, werden dabei als eine Art „Feedback-Methode“
innerhalb der Therapie und zur Übung im häuslichen Bereich eingesetzt. Zu den
kompensatorischen Ansätzen müssen auch der Einsatz von akustischen Anlagen
zur Verbesserung der Raumakustik für einzelne Kinder oder auch ganze
Schulklassen und die Versorgung mit Hörgeräten gezählt werden.
Eine andere Einteilung der einzelnen Therapieverfahren findet sich bei Ferre.341 Sie
unterscheidet zwischen Bottom-up-Therapien und Top-down-Therapien.
Bottom-up-Therapien gehen von einer Informationsverarbeitung aus, die durch die
spezifischen akustischen Eigenschaften des Stimulus beeinflusst wird. Diese Eigenschaften
müssen von den Hörerinnen und Hörern entschlüsselt werden, um weiter verarbeitet werden
zu können. Bei auditiven Wahrnehmungsproblemen ist die Fähigkeit zur Entschlüsselung der
akustischen Signale gestört, kann aber durch entsprechendes Training der gestörten
Funktionen verbessert werden. In Trainingsprogrammen wird das Signal z.B. hinsichtlich
seiner zeitlichen Faktoren zunächst so „vereinfacht“, dass eine Verarbeitung auch bei
gestörter auditiver Wahrnehmung gut möglich ist. Zunehmend wird dann diese
„Vereinfachung“ wieder rückgängig gemacht, um schließlich eine normale
Verarbeitungsfähigkeit zu erlangen. Zu solchen Bottom-up-Therapien zählen Verfahren wie
341 Vgl. FERRE 2001:526ff.
Therapie von Störungen der auditiven Wahrnehmung 117
das Fast ForWord Program342 oder Übungsprogramme zur Verbesserung der zeitlichen
Verarbeitung von akustischen Stimuli.
Top-down-Therapien gehen von der Annahme aus, dass auditive Verarbeitung durch höhere
Ebenen wie Motivation, Wissen und Erwartungen beeinflusst wird. So muss man z.B. in
geräuschvoller Umgebung nicht wirklich alle akustischen Elemente eines Satzes gehört
haben, um ihn dennoch zu verstehen. Aufgrund des linguistischen und situativen
Zusammenhangs sind wir in der Lage, die fehlenden Elemente zu ergänzen. Top-down-
Therapien versuchen, diese metalinguistischen und metakognitiven Strategien zu verbessern.
Dazu gehören u.a. Methoden zur Verbesserung von Gedächtnisfunktion und
Aufmerksamkeit.343
Im Folgenden möchte ich die wichtigsten Behandlungsansätze im deutschsprachigen Raum
übersichtsartig darstellen. Dabei erscheint mir in Hinblick auf ihre Bedeutung für die
Sprachentwicklung die Einteilung der Therapiemethoden in nonverbale und verbale
Verfahren am sinnvollsten.
342 Siehe auch Kapitel III/6.4.1. 343 Vgl. FERRE 2001:582f.
Therapie von Störungen der auditiven Wahrnehmung 118
6.4.1. Nonverbale Therapieverfahren
Signalverbessernde Interventionen
Für Kinder mit auditiven Wahrnehmungsstörungen werden neben gezielten,
störungsspezifischen auditiven Übungen in therapeutischen und häuslichen Settings auch
signalverbessernde Interventionen empfohlen. Dazu gehört z.B. die Veränderung der
Sitzposition der betroffenen Schulkinder innerhalb des Klassenzimmers. Kinder mit auditiven
Schwierigkeiten sollten vorne seitlich sitzen, um eine verbesserte akustische Wahrnehmung
der Lehrer/innen und Mitschüler/innen zu ermöglichen. Da das Mundablesen das
Sprachverstehen unterstützt, ist es für betroffene Kinder günstig, das Mundbild der
sprechenden Personen im Blickfeld zu haben. Auch Räume mit Teppichböden und
schallschluckender Wandverkleidung verbessern die akustische Situation für das Kind.344
Als weitere signalverbessernde Intervention wird neben der strategischen Platzwahl im
Klassenzimmer von einigen Autorinnen und Autoren auch der Einsatz von sog. FM-Anlagen
(Frequenz-Modulations-Anlagen; das sind drahtlose Hör-Sprach-Anlagen zwischen Lehrer/in
und Schüler/n/innen) empfohlen. Außerdem sollte bereits bei Vorliegen einer minimalen
peripheren Hörstörung eine Hörgeräteversorgung überlegt werden, da sich schon
geringgradige Schallempfindungsprobleme deutlich auf die Störschallunterdrückung
auswirken.345
Lt. Rosenkötter346 kann es in Einzelfällen aber auch sinnvoll sein, ein Hörgerät zu verordnen,
selbst wenn keine periphere Hörbeeinträchtigung vorliegt.
Unter anderem weisen jedoch Nickisch et al.347 darauf hin, dass Hörgeräte und FM-Anlagen
wegen ihrer potentiell hörschädigenden Wirkung nur unter strenger pädaudiologischer
Überwachung und nur in Einzelfällen angepasst werden sollen.
344 Vgl. u.a. NICKISCH ET AL. 2001:36f; WURM-DINSE & ESSER 1997:35. 345 Vgl. u.a. NICKISCH ET AL. 2001:36f. 346 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:115. 347 Vgl. NICKISCH ET AL. 2001:37.
Therapie von Störungen der auditiven Wahrnehmung 119
„Horchtraining“ und „Klangtherapie“
Der französische HNO-Arzt Alfred Tomatis entwickelte in den 50er Jahren des 20. Jh. eine
besondere Form der Therapie zur Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit und für die
Behandlung psychischer Störungen.348 Nach seiner Auffassung kommt dem Ohr bzw. dem
„Horchen“ eine zentrale Bedeutung für die menschliche Existenz und ihre Einbindung im
Kosmos zu. Das menschliche Hören werde vor allem durch die vorgeburtlichen
Schallbedingungen im Mutterleib geprägt. Tomatis ging damals von der Vorstellung aus, dass
das Fruchtwasser wie ein Hochpassfilter wirke und daher nur hochfrequente Reize an das
kindliche Ohr gelangen könnten.349 Er schrieb diesen hohen Frequenzen eine besonders
heilsame Wirkung zu und arbeitete in Folge mit speziell gefilterten Klängen und gefilterter
Sprache, die den betroffenen Personen über Kopfhörer zugeführt wurden.350 Die Arbeit
Tomatis´ wurde von seinem Mitarbeiter Guy Bérard modifiziert und fortgeführt. Tomatis-
Zentren haben sich in der ganzen Welt etabliert, während die Therapieform von Bérard
zunächst auf Frankreich, die USA und England beschränkt blieb. In den letzten Jahren wurde
sie jedoch von Claudia Nyffenegger in der Schweiz unter dem Namen „Auricula-Therapie“
weiterentwickelt.351
Allen genannten Vorgangsweisen ist gemeinsam, dass technisch veränderte Musik-, Klang-
und Sprachangebote über Kopfhörer vermittelt werden – in der Hoffnung, nachhaltige Effekte
in zahlreichen Bereichen zu erzielen.
Im Jahr 2000 erfolge eine Stellungnahme der Gesellschaft für Neuropädiatrie, der
Arbeitsgemeinschaft Deutschsprachiger Audiologen und Neurootologen (ADANO), der
Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie und der
Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie zur theoretischen Grundlage und
Wirksamkeit des Hörtrainings nach Tomatis und der Klangtherapie.352
348 Vgl. TOMATIS 2000. 349 Anm.: Tatsächlich hört das ungeborene Kind vorwiegend tiefe Frequenzen (Puls der Mutter, Darmgeräusche,
tieffrequente Geräusche der Außenwelt). 350 Vgl. TOMATIS 1987, 58ff. 351 Vgl. u.a. ROSENKÖTTER 2003:188ff; KARCH ET AL. 2000:334ff. 352 Vgl. KARCH ET AL. 2000.
Therapie von Störungen der auditiven Wahrnehmung 120
Darin distanzieren sich die Autorinnen und Autoren ausdrücklich von den Konzepten und
Vorstellungen Tomatis’. Es sei zwar nachgewiesen, dass Kinder vorgeburtlich bereits
akustische Reize wahrnehmen, eine weitreichende Auswirkung der mütterlichen Stimme für
die Sprachentwicklung und die gesamte psychomotorische Entwicklung des Kindes könne
daraus jedoch nicht abgeleitet werden. Auch die von Tomatis behauptete einzigartige
Bedeutung des Ohres (insbesondere des rechten) für die Sprachentwicklung sei ebenso wenig
nachvollziehbar wie die Vorstellung, dass bei Vertikalisierung des kindlichen Körpers
Klangenergien besser wirksam sein könnten, wie von Tomatis dargelegt wurde.
Ferner wird in der Stellungnahme darauf hingewiesen, dass das Hörtraining nach Tomatis
zwar weite Verbreitung gefunden habe, wobei die Anwendung sowohl für Entwicklungs- und
Lernstörungen als auch für Verhaltensstörungen im Kindesalter propagiert wird, seine
Effektivität aber weder in wissenschaftlicher Hinsicht bewiesen noch schlüssig
nachvollziehbar sei. Es bleibe unwahrscheinlich, dass gefilterte Musik oder Sprache den von
Tomatis geschilderten Effekt auf die Entwicklung des Kindes habe.
Auch die „Klangtherapie“ nach Bérard und Nyffenegger wird in der betreffenden
Stellungnahme sehr kritisch hinterfragt. Zwar unterscheide sich dieses Verfahren vom
Hörtraining nach Tomatis dadurch, dass man sich auf medizinisch und psychologisch
relevante Aspekte beschränke, ohne diese philosophisch und weltanschaulich zu begründen,
ein schlüssiger Nachweis der Effektivität sei jedoch noch nicht erfolgt. Bei den
veröffentlichten Daten handle es sich um z.T. nicht reliable Fragebögen. Die
Patientenkollektive seien sehr heterogen und die Ausgangsbefunde ungenau definiert.353
Zusammenfassend kommen die Autorinnen und Autoren der Stellungnahme zu dem Schluss,
dass die theoretischen Vorstellungen von Tomatis weder wissenschaftlich haltbar noch
nachvollziehbar seien. Die Bedeutung des Hörens würde in nahezu mystischer Weise
überbetont. Das Hör- oder Horchtraining selbst entbehre einer wissenschaftlichen Evaluation
und seine Wirksamkeit sei bis heute nicht bewiesen. Auch bezüglich der Klangtherapie nach
353 Vgl. KARCH ET AL. 2000.
Therapie von Störungen der auditiven Wahrnehmung 121
Bérard und Nyffenegger stünden Studien zur Evaluation noch aus. Beide Verfahren könnten
also zum jetzigen Zeitpunkt nicht empfohlen werden.
Rosenkötter354 dagegen sieht sehr wohl therapeutische Effekte in Hörtraining und
Klangtherapie. Diese seien vorwiegend auf drei Wirkprinzipien zurückzuführen: der
Hochtonfilterung, der Lateralisation und der Sprach-Rückkopplung.
Bei der Hochtonfilterung werden dem Kind die hohen Frequenzen eines Schallereignisses
(Musik, Sprache) verstärkt angeboten, während tiefe Frequenzbereiche abgeschwächt werden.
Die Hochtonfilterung wird von Rosenkötter besonders bei Kindern mit Hyperakusis
(Geräuschüberempfindlichkeit) empfohlen. Nach Minning & Minning355 dient das sog.
Hochtontraining dem besseren Wahrnehmen und Artikulieren einzelner Laute, der Reduktion
von Speicherproblemen und der Verbesserung der Konzentrationsfähigkeit.
Lateralisation bedeutet, dass die Musik durch Veränderung der Lautstärke auf beiden Ohren
in einem langsamen Rhythmus von einem Ohr zum anderen „wandert“. Durch
unterschiedliche Verweilzeiten und Lautstärken will in einzelnen Verfahren eine bestimmte
auditive Dominanz („Ohrigkeit“) hergestellt werden. Die Aufmerksamkeit, das räumliche
Hören und die Figur-Grund-Wahrnehmung solle sich dadurch verbessern.356
Für die Behandlung von Sprachentwicklungsstörungen empfiehlt Rosenkötter357 die
Rückkopplung der eigenen Sprache des Kindes. Dies bringe starke Lerneffekte für
Stimmlage, Satzmelodie und Sprachrhythmik mit sich.
Obwohl Hörtraining und Klangtherapie sich positiv auf Hyperakusis und Störschall-
Nutzschall-Filterfähigkeit auswirkten und auch Verbesserungen der Hörschwelle erreicht
werden könnten, räumt der Autor ein, dass die beobachtbaren Phänomene nicht leicht zu
objektivieren seien und die Wirksamkeit dieser Methoden eher durch Aussagen von
Lehrerinnen und Lehrern sowie Eltern gestützt werde als durch wissenschaftliche Studien.358
354 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:188ff. 355 Vgl. MINNING & MINNING:164. 356 Vgl. EBENDA. 357 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:191. 358 Vgl. EBENDA:202.
Therapie von Störungen der auditiven Wahrnehmung 122
Training einzelner auditiver Funktionen mit nonverbalen Stimuli
Zahlreiche Therapieverfahren zielen darauf ab, die in der Diagnostik auffälligen auditiven
Teilfunktionen zu trainieren.359 Mit Hilfe von eigens dafür entwickelten Geräten werden
Faktoren wie Ordnungsschwelle, Lückenerkennung, Tonhöhenunterscheidung etc. geübt.
In der Regel werden den Kindern dabei auditive Reize über Kopfhörer angeboten und sie
müssen in entsprechender Weise auf das Angebot reagieren.
Beispiele für solche Geräte im deutschen Sprachraum, mit denen z.B. die auditive
Ordnungsschwelle oder auch Funktionen wie Tonhöhen- oder Lautstärkeunterscheidung und
Lückenerkennung geübt werden können360, sind der „Brain-Boy“ und der „Lateraltrainer“361
sowie der „FonoTrain“.362
Im amerikanischen Raum ist ein Therapieprogramm für die Behandlung von auditiven
Wahrnehmungsstörungen weit verbreitet, dass unter dem Namen „Fast ForWord Program“
bekannt geworden ist. Darin werden sprachliche und nichtsprachliche akustische Signale
hinsichtlich der zeitlichen Prozesse künstlich so verändert, dass ihre Wahrnehmung für die
betroffenen Kinder zunächst erleichtert wird. Das Programm beinhaltet Aufgaben zur
Diskrimination, Analyse und Identifikation von Signalen und zur zeitlichen Ordnung von
Stimuli. Durch ein adaptives Verfahren werden die einzelnen Aufgaben, die in Form von
unterschiedlichen Computerspielen363 angeboten werden, zunehmend schwieriger. Technisch
zunächst verlängerte zeitliche Prozesse in den Trainingsaufgaben werden bei guten
Leistungen des trainierenden Kindes also immer kürzer und an die natürliche Situation
angepasst.364
Interessant ist das Ergebnis einer Untersuchung, in der zwei Kinder mit dem Fast ForWord
Program und zwei Kinder mit einem ähnlichen Computerprogramm trainiert wurden. Die
Stimuli des zweiten Computerprogramms waren jedoch ausschließlich sprachlicher Natur und
nicht akustisch verändert. Nach einer Trainingsphase von einem Monat wurden die
359 Vgl. auch Kapitel III/5. 360 Vgl. auch Kapitel III/6.3.3. 361 Vgl. WARNKE 1998:32f. 362 Vgl. FISCHER 2003:203. 363 Vgl. u.a. TALLAL ET AL. 1998; TRAVIS 1996. 364 Vgl. FERRE 2001:527f.
Therapie von Störungen der auditiven Wahrnehmung 123
Ergebnisse der Kinder miteinander verglichen. Dabei zeigte sich, dass bei allen vier Kindern
Verbesserungen der auditiven Aufmerksamkeit und einzelner sprachlicher Fähigkeiten
gemessen werden konnten, und dass kein Unterschied zu erkennen war, ob die Kinder mit
dem Fast ForWord Program oder mit dem anderen Computerprogramm trainiert worden
waren.365
Zur Wirksamkeit nonverbaler Trainingsverfahren existieren sehr widersprüchliche Aussagen.
Die Vertreterinnen und Vertreter der einzelnen Verfahren betonen die heilende Wirkung ihrer
Methoden auf Workshops, Homepages und in Prospekten. Meist wird anhand von
Einzelbeispielen über dramatische Verbesserungen der schulischen Leistungen sowie des
Allgemeinbefindens berichtet. Es wird suggeriert, dass sich Therapieerfolge in vielen
Bereichen schnell und unkompliziert herbeiführen lassen. Wissenschaftliche Untersuchungen
einzelner Methoden geben hier aber ein etwas zurückhaltenderes Bild. So wurde z.B. für das
Training der Ordnungsschwelle mehrfach nachgewiesen, dass es keine Auswirkung auf
Sprachleistungen habe.366
Suchodoletz367 kommt zu dem Schluss, dass sich mit nonverbalen Verfahren zur Behandlung
auditiver Wahrnehmungsstörungen in der Regel zwar die trainierten Leistungen selbst
verbessern lassen, ein Transfereffekt auf die Laut- und Schriftsprache aber nicht erwartet
werden könne. Ein auditives Wahrnehmungstraining sei nach Meinung Suchodoletz’ daher
weder Voraussetzung für das Wirksamwerden einer sprachtherapeutischen Intervention noch
sollte es im Mittelpunkt der Behandlung stehen. Da ein solches Training die auditive
Aufmerksamkeit des Kindes erhöhe, könne es jedoch als Baustein innerhalb eines
multimodalen Therapiekonzeptes durchaus unterstützend wirken.
365 Vgl. GILLAM ET AL. 2001:271f; PHILLIPS 2002:259f; MUSIEK ET AL. 2002:273f. 366 Vgl. u.a. KÜHN-INACKER & WEINMANN 2000:119ff; BERWANGER & SUCHODOLETZ 2003:18f. 367 Vgl. SUCHODOLETZ 2003:9f.
Therapie von Störungen der auditiven Wahrnehmung 124
Computerunterstützte Verfahren
Wie überall zeigen die technischen Entwicklungen der letzten Jahre auch in
sprachtherapeutischen Bereichen ihre Auswirkungen. Dies hat dazu geführt, dass zur
Unterstützung der Behandlung unterschiedlichster Störungsbilder Computerprogramme
angeboten werden. Für die Therapie von auditiven Leistungen sind z.B. die Programme
„Detektiv Langohr“368 und „AudioLog“369 erhältlich.
Das von Trialogo entwickelte Programm „Detektiv Langohr“ enthält ausschließlich Übungen
mit nonverbalem Material. Dabei werden Geräuschübungen u.a. zur Verbesserung von
Aufmerksamkeit, Gedächtnis und auditiver Diskrimination verwendet, die über den PC
abgespielt werden können und mit Bildmaterial unterstützt werden.
Das Programm „AudioLog“ bietet auch Übungen mit sprachlichen Stimuli an und ist in die
Bereiche Perzeption, Gedächtnis, Sequenzen und Diskrimination unterteilt. Auch dieses
Programm enthält visuell unterstützte „Hörspiele“, bei denen es z.B. um die Diskrimination
und Zuordnung von Geräuschen, um Aufgaben für das auditive Gedächtnis oder um
Differenzierungsübungen mit nonverbalen akustischen Stimuli (hoch – tief, kurz – lang) und
mit Minimalpaaren (gleich – ungleich) geht.
Geräuschübungen sind zwar in der Lage, Aufmerksamkeit und Konzentration auf auditive
Stimuli zu steigern, eine direkte Auswirkung auf Übungen mit Sprachmaterial kann allerdings
nicht erwartet werden.370 Der kontrollierte Einsatz von computerunterstützte Verfahren
innerhalb einer therapeutischen Intervention kann allerdings sehr hilfreich sein, da sie in der
Regel hohe Attraktivität für das Kind besitzen und damit als Motivationsanreiz für die
Beschäftigung des Kindes mit auditiven Reizen dienen können.
368 TRIALOGO 1997. 369 FLEXOFT EDUCATION 1996. 370 Vgl. u.a. LAUER 2001:38; SUCHODOLETZ 2003:7.
Therapie von Störungen der auditiven Wahrnehmung 125
6.4.2. Verbale Therapieverfahren
Psychomotorisch orientierte Verfahren
Psychomotorische Therapieansätze versuchen, rhythmische Elemente mit Motorik zu
verbinden. Meist zielen diese Ansätze nicht direkt auf eine Verbesserung der auditiven
Leistungen hin, sondern sind eher als indirekte auditive Stimulation zu verstehen.
Vornehmlich in der Gruppentherapie eingesetzt, kommen psychomotorische Ansätze vor
allem für Kinder mit zusätzlichen motorischen Koordinationsstörungen und Problemen in der
sozialen Adaptation an eine Gruppe in Frage.371
Als ergänzende und unterstützende Maßnahmen sind solche Ansätze jedoch sehr gut geeignet,
in ein umfassendes und strukturiertes Therapieprogramm eingebaut zu werden.
Wahrnehmungsübungen werden mit motorischer Aktivität und Sprachkomponenten in
Verbindung gebracht. Gleichzeitig können sich durch das gruppentherapeutische Setting auch
soziale Prozesse förderlich auf die Gesamtentwicklung des Kindes auswirken.
Beispiele für solche Verfahren finden sich z.B. bei Olbrich372 und Krimm von Fischer373, die
viele praktische Anregungen zur Wahrnehmungsförderung und konkrete Beispiele für
Stundengestaltungen liefern.
Als alleinige Intervention bei Kindern mit auditiven Wahrnehmungsproblemen ist
Psychomotorik jedoch zu wenig differenziert und spezifisch und muss eher als
therapiebegleitende Maßnahme angesehen werden.
In diesem Zusammenhang weist Ferre374 auch auf Möglichkeiten hin, wie Eltern und
Lehrerschaft Kinder mit auditiven Wahrnehmungsproblemen z.B. durch den Einsatz
bestimmter Spiele im Alltag unterstützen können.
371 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:183f. 372 Vgl. OLBRICH 1989. 373 Vgl. KRIMM VON FISCHER 1990. 374 Vgl. FERRE 2002.
Therapie von Störungen der auditiven Wahrnehmung 126
Teilfunktionsorientierte Verfahren
Bei teilfunktionsorientierten Verfahren steht die Behandlung auditiver Einzelfunktionen mit
Hilfe von sprachlichen Stimuli im Vordergrund. Dabei wird versucht, gestörte auditive
Funktionen wie Aufmerksamkeit, Diskrimination, auditives Gedächtnis etc. durch
unterschiedliche Übungen in diesen Bereichen zu verbessern. Dies kann prinzipiell im
einzeltherapeutischen Setting oder auch innerhalb einer gruppentherapeutischen Intervention
erfolgen. Ein guter Überblick über einzelne, im deutschsprachigen Raum erhältliche
Therapiematerialien zur Förderung auditiver Funktionen findet sich z.B. bei Rosenkötter.375
Ich möchte hier nur auf zwei Materialzusammenstellungen bzw. Programme etwas näher
eingehen.
Die eine Übungszusammenstellung wurde von Heber & Burger-Gartner376 in der
Arbeitsmappe „Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen bei Schulkindern“377
vorgestellt und enthält zahlreiche Übungsvorschläge für die Einzel- und Gruppentherapie
sowie viele Hausaufgabenblätter.
Das andere Therapiekonzept wurde von Lauer378 entwickelt und orientiert sich streng an den
einzelnen auditiven Teilfunktionen. Auch dieses Programm bietet Übungsvorschläge für die
verschiedenen Teilfunktionen, wobei es Übungen auf nonverbaler und verbaler Ebene gibt.
Nach Angaben der Autorin ist das Übungsprogramm je nach Schwierigkeitsgrad der Übungen
bereits für Kinder ab ca. 4 Jahren geeignet.
Es bleibt noch zu ergänzen, dass beide Programme gut in die logopädische Therapie (z.B. von
sprachentwicklungsgestörten Kindern) integriert werden können, dass es jedoch für beide
Konzepte keine ausgedehnteren Untersuchungen gibt, die ihre Wirksamkeit nachweisen
würden.
375 Vgl. ROSENKÖTTER 2003:203ff. 376 HEBER & BURGER-GARTNER 2001. 377 NICKISCH ET AL. 2001. 378 LAUER 2001.
Therapie von Störungen der auditiven Wahrnehmung 127
Heber & Burger-Gartner379 geben eine Übungszusammenstellung mit Vorschlägen und
Ideen für das Training auditiver Leistungen. Nach Angaben der Autorinnen bildet ein in der
Diagnose ermitteltes Leistungsprofil die Grundlage für einen individuell zu erstellenden
Therapieplan. Die Therapiedauer wird zunächst auf zwanzig Behandlungsstunden beschränkt.
Sollten nach einer Zwischenuntersuchung noch verbesserungsfähige Defizite bestehen, wird
die Behandlung um weitere zehn Stunden verlängert. Prinzipiell ist die Anwendung der
Materialien in Einzel- und Gruppentherapien möglich. Die Eltern der betroffenen Kinder
sollten bereit sein, während der Therapiedauer mit ihrem Kind zu Hause täglich 15 bis 20
Minuten zu üben. Diese Bereitschaft wird als Voraussetzung dafür gesehen, dass überhaupt
mit einer Therapie begonnen wird. Neben der Beschäftigung mit dem Kind stellt die
Elternarbeit für die Autorinnen einen wesentlichen Bestandteil ihres Konzeptes dar. Vor und
auch während der Therapie finden Elterngespräche oder Elternabende statt, bei denen die
Eltern einerseits eingehende Informationen über das Störungsbild erhalten und anderseits die
Therapieinhalte und Therapieziele vorgestellt werden. Außerdem erfolgt eine persönliche
Anleitung zur Durchführung der „Hausaufgaben“ bzw. des häuslichen Übungsprogramms.
Der Aufbau der Einzelstunden gliedert sich in folgende Einheiten:
1. Hausaufgaben besprechen
2. Allgemeine Konzentration und auditive Aufmerksamkeit
3. Differenzierung / Identifikation
4. Merkfähigkeit / Speicherung / Sequenzierung von Silben und Zahlen
5. Übungen zur Analyse und Synthese
6. Spiel mit „auditivem Hintergrund“
Die Übungen zur auditiven Analyse und Synthese kommen erst nach einigen Stunden hinzu.
379 Vgl. HEBER & BURGER-GARTNER 2001:57ff.
Therapie von Störungen der auditiven Wahrnehmung 128
Mit Hilfe der vorgeschlagenen Materialien und Ideen können folgende Funktionen trainiert
werden:
• Allgemeine Konzentration:
Die Übungsblätter zur allgemeinen Konzentration werden vorwiegend zu Beginn
der Therapiestunde eingesetzt, um die Aufmerksamkeit zu sammeln und zu lenken.
Dazu gehören z.B. Übungsblätter, auf denen Aufgaben zur visuellen
Diskrimination gelöst werden müssen („suche alle Marienkäfer mit 5 Punkten“,
„verbinde die Zahlen von 1 bis 70“ etc.).
• Auditive Aufmerksamkeit:
Dazu gehören u.a. Spiele wie das Lauschen auf Geräusche im Raum oder das
Nachtrommeln unterschiedlicher Rhythmen. Auch das Vorlesen von kurzen
Geschichten, bei denen auf bestimmte Wörter geachtet werden muss
(Wortdiskrimination) oder nach denen Fragen gestellt werden, gehört zu den
Aufgaben für die auditive Aufmerksamkeit.
• Diskrimination und Identifikation:
Dieser Abschnitt beinhaltet Übungen zur „Lautwahrnehmung“. Dazu gehören
Differenzierungsübungen wie z.B. das Vorsprechen von Wortpaaren, bei denen
das Kind entscheiden soll, ob sie gleich oder ungleich sind. Außerdem werden die
Funktionen Erkennen von Lauten und Angabe der Position von Lauten geübt (das
Kind soll bestimmte Laute in vorgesprochenen Wörtern identifizieren und in einer
weiteren Stufe auch die Position des betreffenden Lautes angeben).
• Merkfähigkeit und Sequenzierung:
Dieser Abschnitt enthält Übungen zur Merkfähigkeit für Reihen von Zahlen,
Silben, Wörtern und Sätzen.
• Analyse und Synthese:
Dazu gehört z.B. das Zerlegen von Wörtern in Silben oder Einzellaute, das
Erkennen der Laute am Wortanfang oder Wortende und das Zusammensetzen von
Silben.
Therapie von Störungen der auditiven Wahrnehmung 129
Die einzelnen Übungen sind unterschiedlich schwierig und es bleibt der Therapeutin oder
dem Therapeuten überlassen, jene Übungen auszuwählen, die für das betreffende Kind in
Frage kommen. Außerdem weisen die Autorinnen ausdrücklich darauf hin, dass das
vorliegende Übungsmaterial jederzeit mit eigenen Ideen erweitert und ergänzt werden kann
und soll. Prinzipiell ist das Programm für Kinder ab dem Grundschulalter konzipiert und
enthält daher auch Übungen, die sich auf schriftsprachliche Leistungen beziehen (z.B.
Visualisierungsübungen zu einzelnen Buchstaben). Einzelne Übungen können jedoch auch
mit jüngeren Kindern durchgeführt werden.
Ein weiteres teilfunktionsorientiertes Therapieprogramm wurde von Lauer380 präsentiert. Ihr
Programm gliedert sich in die 8 Bereiche: Aufmerksamkeit, Speicherung und Sequenz,
Lokalisation, Diskrimination, Selektion, Analyse, Synthese und Ergänzung.
Die auditive Aufmerksamkeit wird als Grundlage für die anderen auditiven Funktionen
gesehen. Die betreffenden Übungen sollen das allgemeine Interesse des Kindes an auditiven
Reizen wecken. Übungen zur Verbesserung des auditiven Speichers werden als besonders
wichtig für die Verarbeitung von auditiven Informationen angesehen und stellen somit
ebenfalls eine Voraussetzung für das Beherrschen der anderen Teilfunktionen dar. Durch
Übungen zur Lokalisation solle eine schnelle und effiziente Ortung von Schallquellen
angestrebt werden, was im Hinblick auf die Zuwendung zu sprachrelevanten Informationen
von Bedeutung ist. Übungen zur auditiven Diskrimination sollen auf unterschiedlichen
Ebenen (Geräuschebene, Lautebene, Wortebene etc.) die Differenzierung akustischer Stimuli
verbessern. Die Fähigkeit, akustisch relevante Signale von Stör- und Hintergrundgeräuschen
zu isolieren wird im Funktionsabschnitt Selektion geübt. Die Bereiche Analyse und Synthese
beschäftigen sich mit Identifikationsleistungen und Positionsbestimmung (z.B. eines Lautes
innerhalb eines Wortes) und mit dem Zusammensetzten akustischer Einzelinformationen zu
einem komplexen Ganzen (z.B. Silben zu einem Wort). Und schließlich beinhaltet der
Abschnitt Ergänzung Übungen, in denen akustisch unvollständige Informationen zu einer
sinnvollen Einheit ergänzt werden sollen.
380 LAUER 2001:44ff.
Therapie von Störungen der auditiven Wahrnehmung 130
Das gesamte Konzept ist so aufgebaut, dass zu jedem Bereich Übungen auf außersprachlicher
und sprachlicher Ebene vorgeschlagen werden. Die außersprachlichen Übungen mit
Geräuschen und dergleichen dienen dabei in der Regel zur Vorbereitung auf die verbale
Übungsebene und sollen Aufmerksamkeit und Motivation des Kindes verbessern. Die Autorin
weist jedoch darauf hin, dass durch Übungen auf Geräuschebene keine Übertragung von
Übungseffekten auf die sprachliche Ebene erwartet werden kann.381
Abb. 15: Therapiekonzept zur Behandlung zentral-auditiver Verarbeitungsstörungen
Entnommen aus: LAUER 2001:47.
Vor der Behandlung müssen die individuell betroffenen Bereiche des Kindes ermittelt
werden, die in der folgenden Therapie dann auch geübt werden sollen. Die Behandlung selbst
sollte auf der Ebene ansetzen, die vom Kind gerade noch bewältigt werden kann. Dies muss
aber nicht zwingend die außersprachliche Ebene sein.
In der Therapie selbst sollten immer wenige Items intensiv geübt werden und erst, wenn der
Großteil der Übung vom Kind beherrscht wird, soll auf die nächste Übungsstufe
übergegangen werden. Dabei dürfen auch andere Verarbeitungs- und Entwicklungsbereiche in
der Therapie nicht außer acht gelassen werden. Lauer betont, dass die Schwierigkeiten des
381 Vgl. LAUER 2001:44.
Therapie von Störungen der auditiven Wahrnehmung 131
Kindes im Gesamtzusammenhang des Störungsbildes zu sehen sind und nicht auf die auditive
Verarbeitung allein reduziert werden dürfen.382
Die Autorin gibt zu jeder Funktion und jedem Schwierigkeitsgrad exemplarisch
Übungsbeispiele, die jedoch durch eigene Ideen erweitert werden können. Für jede
Teilfunktion (außer der Funktion Aufmerksamkeit) wird außerdem ein „Hilfensystem“
angegeben, das für die Therapeutin oder den Therapeuten als Leitfaden für eine abgestufte
Intervention dient. Die Hilfestellungen reichen von unspezifischen Hinweisen („das stimmt
nicht, überlege noch einmal“) bis zum gemeinsamen Erarbeiten der Lösung.
Die Autorin präsentiert außerdem eine kleine „Therapiestudie“ mit 2 Kindern, in der die
Wirksamkeit des Verfahrens untersucht wurde.383 Darin war eine Verbesserung einzelner
auditiver Teilfunktionen durch eine gezielte und strukturierte Therapie nach dem oben
genannten Konzept möglich. Jedoch weist Lauer darauf hin, dass sich aufgrund des geringen
Datenmaterials keine Rückschlüsse auf eine allgemeine Wirksamkeit des Verfahrens ziehen
lassen. Das Konzept müsse durch weitere Untersuchungen überprüft werden, biete jedoch
praktisch tätigen Therapeutinnen und Therapeuten die Möglichkeit, die Behandlung auditiver
Verarbeitungsstörungen individuell und sinnvoll zu strukturieren.384
382 Vgl. LAUER 2001:45. 383 Vgl. EBENDA:49ff. 384 Vgl. EBENDA:75.
Therapie von Störungen der auditiven Wahrnehmung 132
6.4.3. Zusammenfassung
Hinsichtlich der Therapie von auditiven Wahrnehmungsproblemen ergeben sich ähnliche
Schwierigkeiten, wie sie schon im Rahmen der Diagnostik offensichtlich wurden. Obwohl
inzwischen ein sehr großes Angebot von unterschiedlichsten Therapieverfahren zur
Verbesserung auditiver Leistungen zur Verfügung steht, ist die Effizienz vieler dieser
Verfahren mehr als umstritten.385
Methoden wie das sog. „Horchtraining“ und die „Klangtherapie“ versprechen zwar eine
Verbesserung in vielen Bereichen, ihre Erklärungsmodelle sind jedoch wenig plausibel und
der Nachweis ihrer Wirksamkeit ist noch ausständig.
Für andere nonverbale Verfahren wie für das einige Zeit lang recht „moderne“ Training der
auditiven Ordnungsschwelle oder für Methoden zur Verbesserung von
Tonhöhenunterscheidung, Lückenerkennung etc. konnten ebenfalls keine Transfereffekte auf
sprachliche Leistungen nachgewiesen werden. Außerdem ist anzuzweifeln, dass sich die
komplexen Abläufe der Hörverarbeitung auf eine einzelne auditive Funktion reduzieren
lassen.
Auch signalverbessernde Interventionen wie der Einsatz von Hörgeräten erscheint nur bei
sehr ausgewählten Patientinnen und Patienten wirklich sinnvoll und kann bei einem Fehlen
dieser kritischen Auswahl sogar zu einer Schädigung der peripheren Hörfunktion führen.
Psychomotorische Ansätze dagegen haben innerhalb einer therapeutischen Intervention sicher
ihren Platz. Da sie jedoch die Bereiche auditive Wahrnehmung, Sprache, Motorik und
Sozialverhalten in einen großen Entwicklungszusammenhang stellen und die Maßnahmen
daher eher allgemein angelegt sind, sind sie als direkte „auditive“ Therapie zu unspezifisch.
385 Vgl. dazu auch WERTZ ET AL. 2002.
Therapie von Störungen der auditiven Wahrnehmung 133
Das Training auditiver Funktionen mit Hilfe von verbalen Methoden berührt neben den
primär auditiven Funktionen auch immer Sprachverarbeitungsleistungen und übergeordnete
Funktionen wie Gedächtnis und Aufmerksamkeit. Dies wird teilweise als Problem oder
Schwierigkeit dieser Verfahren angesehen, da sie z.B. nicht zwischen rein auditiven
Funktionen und Sprachverarbeitungsfunktionen differenzieren. Meiner Meinung nach ist
jedoch die Tatsache, dass sich diese Methoden auf sprachliche Leistungen beziehen und auch
Faktoren wie Gedächtnis und Aufmerksamkeit berücksichtigen, weder ein Problem noch eine
Schwierigkeit, sondern ihr großer Vorzug. Da die Relevanz isolierter auditiver Teilfunktionen
für den „Hör- und Sprachalltag“ fraglich ist, ist es nicht sinnvoll diese Teilfunktionen
unabhängig von sprachlichen Faktoren zu trainieren.
Für die Therapie auditiver Leistungen von sprachentwicklungsgestörten Kindern erscheint ein
kombiniertes Verfahren am sinnvollsten. Zunächst sollte allgemein die Aufmerksamkeit auf
auditive Signale erhöht werden. Dies kann durch vorbereitende Übungen mit
nichtsprachlichen Stimuli (wie z.B. bei Lauer beschrieben) geschehen.386 In weiterer Folge
sollten jedoch systematisch und gezielt jene Funktionen trainiert werden, in denen das
betreffende Kind Schwierigkeiten hat. Vor dem Hintergrund, dass der Zusammenhang
zwischen der Verarbeitung von nonverbalen Signalen und Sprachverarbeitung nicht schlüssig
bewiesen ist, sollte dieses Training vorrangig mit Sprachmaterial erfolgen. Auch eine
Unterstützung der Therapie durch den Einsatz von entsprechenden CD-ROMs und
Computerspielen mag für viele Kinder sehr motivierend sein.
386 Vgl. Kapitel III/6.4.2.
Auditive Wahrnehmung und Sprachentwicklung 134
IV. AUDITIVE WAHRNEHMUNG UND SPRACHENTWICKLUNG
1. Spezifische Störungen der Sprachentwicklung
Umschriebene Sprachentwicklungsstörungen bieten in der sprachtherapeutischen Praxis ein
sehr vielfältiges und heterogenes Bild. Die betroffenen Kinder zeigen eine individuell
ausgeprägte Symptomatik, die hinsichtlich Schweregrad und Art der Störung sehr
unterschiedlich sein kann. Abgesehen davon, dass die verschiedenen sprachlichen Bereiche
unterschiedlich stark betroffen sein können, erstrecken sich die beobachtbaren Defizite meist
nicht nur auf die sprachlichen Ebene, sondern auch auf andere Entwicklungsbereiche wie
Wahrnehmung und Motorik. Der kontrovers diskutierte Zusammenhang zwischen
Sprachentwicklung und nonverbalen Basisfaktoren der Sprache wurde bereits in Kapitel II
angesprochen.
Geht man davon aus, dass sich einzelne Funktionen der auditiven Wahrnehmung wie z.B.
Diskrimination, Analyse oder auditive Merkfähigkeit isolieren lassen, und dass es zu
Störungen dieser Teilfunktionen kommen kann, dann ist es auch plausibel anzunehmen, dass
eine Störung dieser Funktionen sich auch auf den Spracherwerb auswirkt.
Abgesehen von der Plausibilität dieser Annahme lassen sich bei Kindern mit
Sprachentwicklungsstörungen tatsächlich sehr häufig Einschränkungen in diesen Bereichen
beobachten. In meiner logopädischen Arbeit konnte ich immer wieder sehen, dass die
betroffenen Kinder u.a. Schwierigkeiten hatten, Phoneme zu unterscheiden oder sich eine
Folge aus Silben oder Wörtern zu merken.
Nach dem, was bisher gesagt wurde, birgt der Zusammenhang zwischen Sprachentwicklung
und auditiver Wahrnehmung jedoch viele Unsicherheiten und muss genauer hinterfragt
werden.
Auditive Wahrnehmung und Sprachentwicklung 135
1.1. Begriffsbestimmung
Die Definitionen des Symptomenkomplexes Sprachentwicklungsstörung (SES) werfen zwar
nicht ganz so viele Probleme auf, wie dies bei der Begriffsbestimmung der auditiven
Wahrnehmungsstörungen der Fall war, eine einheitliche, allgemein gültige und von
jedermann akzeptierte Definition gibt es aber auch hier nicht. Dies hat unterschiedliche
Gründe. Zum einen gibt es da das Problem der Abgrenzung zu anderen Störungsbildern.
Sprachentwicklungsauffälligkeiten können prinzipiell (eher) isoliert und mehr oder weniger
unabhängig von anderen Entwicklungsstörungen auftreten. Sie können aber auch Teil einer
umfassenden Entwicklungsbeeinträchtigung sein, bei der neben den sprachlichen Faktoren
mehrere Entwicklungsbereiche als auffällig diagnostiziert werden. Zum anderen lässt sich die
Grenze von Sprachauffälligkeiten zu dem als normal angesehenen Sprachverhalten nicht
immer eindeutig bestimmen, weil sich jede Beurteilung von Entwicklung an
Normvorstellungen orientiert und daher grundsätzlich relativ ist.387
Dies hat zur Folge, dass in der Literatur unterschiedliche Definitionen existieren, und dass
auch die Angaben zur Häufigkeit von Sprachentwicklungsstörungen sehr variieren.
Ähnlich wie es schon bei den auditiven Wahrnehmungsstörungen der Fall war, ist auch hier
die Uneinigkeit in der Nomenklatur Ausdruck der erwähnten Definitionsprobleme. Im
deutschen Sprachraum spannt sich der begriffliche Bogen von Ausdrücken wie
Sprachentwicklungsverzögerung und Sprachentwicklungsstörung über Spracherwerbsstörung
und Entwicklungsdysphasie bis hin zu den Termini Dysgrammatismus und spezifische
Störung der Sprachentwicklung. Aber auch im Englischen existiert eine Vielzahl an
Benennungen. Neben specific disorder of language development und development dysphasia
sind auch noch Bezeichnungen wie specific language impairment, developmental speech
disorder syndrome, language retardation oder developmental aphasia gebräuchlich.388
387 Vgl. GROHNFELDT 1993:61f. 388 Vgl. GRIMM 1999:103f.
Auditive Wahrnehmung und Sprachentwicklung 136
Ich werde im Folgenden die Bezeichnung spezifische Sprachentwicklungsstörung bzw.
vereinfacht Sprachentwicklungsstörung verwenden, da sie meiner Meinung nach immer noch
eine der treffendsten Bezeichnungen darstellt. Mit dem Attribut „spezifisch“ soll ausgedrückt
werden, dass es sich dabei nicht um ein Störungsbild handelt, das sekundär im Rahmen einer
allgemeinen Entwicklungsbeeinträchtigung, einer neurologischen oder sensorischen
Schädigung oder einer geistigen Behinderung auftritt, sondern eben um eine spezifische
Störung der sprachlichen Leistungen. Die Bezeichnung „Störung“ soll eine Abgrenzung zu
einer lediglich zeitlich verzögerten Sprachentwicklung im Sinne einer
Sprachentwicklungsverzögerung ermöglichen. Dies ist deshalb wichtig, weil
Sprachentwicklungsstörungen dadurch gekennzeichnet sind, dass sich die sprachlichen
Fähigkeiten der betroffenen Kinder nicht nur langsamer entwickeln als dies bei
Sprachgesunden der Fall ist, sondern dass sich auch qualitative Abweichungen zeigen. So
produzieren sprachentwicklungsgestörte Kinder Sätze, die nicht Bestandteil einer
Entwicklungsstufe sind, wie sie von sprachgesunden oder lediglich
sprachentwicklungsverzögerten Kindern durchlaufen werden.389
Beispielhaft sollen im Folgenden einige Definitionen bzw. Definitionsversuche von
(spezifischen) Sprachentwicklungsstörungen gegeben werden:
Grohnfeldt definiert Sprachentwicklungsstörung folgendermaßen: „Unter Störungen der
Sprachentwicklung sollen damit als auffällig erlebte Lernprozesse im Rahmen der kindlichen
Entwicklung verstanden werden, die sich nach ihrer sprachlichen Symptomatik als
Abweichungen auf der phonetisch-phonologischen, semantisch-lexikalischen und syntaktisch-
morphologischen Ebene sowie im pragmatischen Bereich auswirken können und nicht
Ausdruck eines Hörschadens oder einer dominierenden Intelligenzbeeinträchtigung sind. [...]
Sprachentwicklungsstörungen können dabei isoliert eine Sprachebene betreffen, sich
strukturell auf mehreren Sprachebenen auswirken und komplex mit Störungen der
Wahrnehmung, Motorik, Kognition und im psychosozialen Bereich verbunden sein.“ 390
389 Vgl. GRIMM 1999:117. 390 GROHNFELDT 1993:60.
Auditive Wahrnehmung und Sprachentwicklung 137
Der Autor weist jedoch auch auf die vielfältigen Probleme hin, die sich bei dem Versuch
ergeben, eine befriedigende Definition für dieses Störungsbild zu finden.
Szagun beschreibt den gestörten Spracherwerb so: „Ich spreche hier global von „gestörtem
Spracherwerb“ und „Spracherwerbsstörungen“, wenn ich über ein Verhalten spreche, das
mindestens folgende Charakteristika aufweist:
1. Die Sprachentwicklung ist deutlich verzögert im Vergleich zum normalen Verlauf.
2. Die Störungen befinden sich vorwiegend im formal-sprachlichen Bereich – so der
Syntax und Morphologie.
3. Die Intelligenz der Kinder, gemessen durch Intelligenztests, liegt im Normalbereich.
4. Die Kinder haben keinen Hörschaden.
5. Die Kinder haben keine massiven emotionalen Störungen.
Dieses ist [...] eine Auflistung der Minimalkriterien einer Spracherwerbsstörung. Offen bleibt,
ob und wieweit der Bereich der Bedeutungen von Wörtern und der pragmatische Bereich
betroffen sind [...].“391
Bei Grimm werden spezifische Störungen der Sprachentwicklung durch den Ausschluss
einzelner Kriterien näher bestimmt: „Das wichtigste Ausschlußkriterium ist, daß eine
spezifische Störung der Sprachentwicklung nicht sekundärer Natur ist [...]. Die betroffenen
Kinder weisen keine generelle mentale Retardierung auf, sie sind weder blind noch haben sie
gravierende Hörprobleme, sie leiden unter keinen Lähmungen oder Mißbildungen der
Sprechwerkzeuge, sie haben keine schweren neurologischen Schädigungen, keine
offensichtlichen emotionalen Probleme und sind auch nicht autistisch.“ 392
391 SZAGUN 1991:283. 392 GRIMM 1999:101.
Auditive Wahrnehmung und Sprachentwicklung 138
In der internationalen Klassifikation der Krankheiten der WHO (ICD-10)393 werden
umschriebene Störungen der Sprachentwicklung wie folgt definiert bzw. klassifiziert:
„F 80. Umschriebene Entwicklungsstörungen des Sprechens und der Sprache
Es handelt sich um Störungen, bei denen die normalen Muster des Spracherwerbs von frühen
Entwicklungsstadien an beeinträchtigt sind. Die Störungen können nicht direkt
neurologischen Störungen oder Veränderungen des Sprachablaufs, sensorischen
Beeinträchtigungen, Intelligenzminderung oder Umweltfaktoren zugeordnet werden.
Umschriebene Entwicklungsstörungen des Sprechens und der Sprache ziehen oft sekundäre
Folgen nach sich, wie Schwierigkeiten beim Lesen und Rechtschreiben, Störungen im Bereich
der zwischenmenschlichen Beziehungen, im emotionalen und Verhaltensbereich.“
Weiter wird unterteilt in:
„F80.0. Artikulationsstörung
Eine umschriebene Entwicklungsstörung, bei der die Artikulation des Kindes
unterhalb des seinem Intelligenzalter angemessenen Niveaus liegt, seine sprachlichen
Fähigkeiten jedoch im Normbereich liegen.
F80.1. Expressive Sprachstörung
Eine umschriebene Entwicklungsstörung, bei der die Fähigkeit des Kindes, die
expressiv gesprochene Sprache zu gebrauchen, deutlich unterhalb des seinem
Intelligenzalter angemessenen Niveaus liegt, das Sprachverständnis liegt jedoch im
Normbereich. Störungen der Artikulation können vorkommen.
F80.2. Rezeptive Sprachstörung
Eine umschriebene Entwicklungsstörung, bei der das Sprachverständnis des Kindes
unterhalb des seinem Intelligenzalter angemessenen Niveaus liegt. In praktisch allen
Fällen ist auch die expressive Sprache deutlich beeinflußt, Störungen in der Wort-
Laut-Produktion sind häufig.“
393 DIMDI 2003:[Internet].
Auditive Wahrnehmung und Sprachentwicklung 139
Die angeführten Definitionen könnten noch durch zahlreiche weitere Definitionsversuche, die
in der Fachliteratur zu finden sind, ergänzt werden.
Ich möchte in diesem Zusammenhang nur auf die spezifische Sprachentwicklungsstörung
Bezug nehmen, die nicht als sekundäre Störung schwerwiegender neurologischer
Beeinträchtigungen oder einer sensorischen Behinderung auftritt, sondern als primäre Störung
der Sprachentwicklung gesehen werden muss.
Eine spezifische Störung der Sprachentwicklung ist durch folgende Merkmale
gekennzeichnet:
Merkmale der spezifischen Sprachentwicklungsstörung
Die Störung ist primärer Natur, so dass ausgeschlossen sind:
• sensorische Schädigungen
• schwerwiegende neurologische Schädigungen
• emotionale Schädigungen
• geistige Behinderung
Charakteristisch sind:
• verspäteter Sprechbeginn
• verlangsamter Spracherwerb mit möglicher Plateaubildung
• Sprachverständnis > Sprachproduktion
• formale Merkmale (Syntax / Morphologie) sind gestörter als Semantik / Pragmatik
• nonverbale Testintelligenz im Normalbereich
Tab. 10: Merkmale der spezifischen Störung der Sprachentwicklung
Entnommen aus: GRIMM 1999:102.
Auditive Wahrnehmung und Sprachentwicklung 140
1.2. Häufigkeit und Ätiologie
Die Häufigkeitsangaben für spezifische Störungen der Sprachentwicklung schwanken
erheblich. So werden in der Fachliteratur Zahlen zwischen 4% und 40% für Kinder im
Vorschulalter genannt.
Diese Schwankungen hängen vermutlich von mehreren Faktoren ab:394
• Es gibt keine einheitlichen Kriterien und diagnostische Mittel, um eine
Sprachentwicklungsstörung zu diagnostizieren.
• Die Beurteilung, ob die Sprachentwicklung eines Kindes auffällig verläuft oder
nicht, orientiert sich an den (individuellen) Normvorstellungen der
unterschiedlichen Diagnostikerinnen und Diagnostiker. Die Entscheidung, ab
welcher qualitativen und/oder quantitativen Abweichung die Sprachentwicklung
als auffällig bezeichnet werden muss, kann nicht einheitlich getroffen werden.
• Es gibt keine allgemein gültige Einteilung von Sprachauffälligkeiten. Die
Abgrenzung einer spezifischen Störung der Sprachentwicklung von anderen
Beeinträchtigungen der Sprachfähigkeit ist manchmal schwer durchführbar.
Auch nach vorsichtiger Beurteilung der angegebenen Zahlen muss im Vorschulalter jedoch
mit ca. 10 - 30% an sprachentwicklungsgestörten Kindern gerechnet werden. Damit stellt die
Sprachentwicklungsstörung die häufigste aller Sprachauffälligkeiten dar.395
394 Vgl. GROHNFELDT 1993a:62. 395 Vgl. EBENDA; GRIMM 1999:109.
Auditive Wahrnehmung und Sprachentwicklung 141
Die Ursachen von Sprachentwicklungsstörungen sind äußerst vielfältig. Je nachdem, welche
Definition von Sprachentwicklungsstörung man anwendet, lassen sich auch andere mögliche
Ursachen bestimmen.
Bezieht man sich auf spezifische Störungen der Sprachentwicklung, also auf sprachliche
Defizite, die nicht durch sensorische Beeinträchtigungen, schwerwiegende neurologische
Schädigungen, emotionale Störungen oder eine geistige Behinderung verursacht werden, so
ist die Ursachenfrage noch schwieriger zu beantworten.
Grimm396 formuliert dieses Problem folgendermaßen:
„Wie ist es möglich, daß eine pervasive Sprachentwicklungsstörung von Kindern ausgebildet
wird, die einen völlig normalen Eindruck machen? Welche inneren und/oder äußeren
Bedingungen sind es, die den Kindern den Erwerb ihrer Muttersprache so schwer machen?“
Eine eindeutige Beantwortung dieser Frage, die für alle Erscheinungsformen von
Sprachentwicklungsstörungen gelten kann, ist aufgrund des derzeitigen Wissensstandes noch
nicht möglich. Man kann jedoch davon ausgehen, dass Sprachentwicklungsstörungen nicht
durch einen einzigen Faktor verursacht werden, sondern dass man multikausale
Zusammenhänge vermuten muss.397
Die Ursachen von spezifischen Sprachentwicklungsstörungen lassen sich im Wesentlichen
drei Bereichen zuordnen:398 dem Bereich der Umwelt, dem biologisch-genetischen Bereich
und dem Bereich von Kognition und Informationsverarbeitung.
Um der Frage nach der Bedeutung der auditiven Wahrnehmung für die Sprachentwicklung
nachzugehen, möchte ich mich hier nur mit dem dritten Bereich, der
Informationsverarbeitung, näher befassen.
396 GRIMM 1999:122. 397 Vgl. u.a. EBENDA; GROHNFELDT 1993a:92ff; ROSENKÖTTER 2003:138f. 398 Vgl. GRIMM 1999:122ff.
Auditive Wahrnehmung und Sprachentwicklung 142
2. Sprachentwicklung und Informationsverarbeitung
Die Fähigkeit, Sprache in adäquater Weise zu erwerben, setzt eine funktionstüchtige
Verarbeitung des sprachlichen Inputs voraus. Defizite dieser Verarbeitungsfähigkeit werden
von zahlreichen Autorinnen und Autoren für das Auftreten spezifischer
Sprachentwicklungsstörungen verantwortlich gemacht.399
Grimm400 nennt in diesem Zusammenhang u.a. folgende Bereiche, in denen Defizite zu einer
Störung der Sprachentwicklung führen können:
• Auditives Arbeitsgedächtnis für die Verarbeitung und Speicherung von Sprache.
• Geschwindigkeit von Verarbeitungsprozessen.
• Nutzung prosodischer Information im Sprachangebot.
2.1. Sprachentwicklung und auditives Gedächtnis
Die Bedeutung des auditiven Gedächtnisses für die Sprachentwicklung ist leicht
nachzuvollziehen. Der sprachliche Input muss nicht nur aufgenommen, sondern auch
repräsentiert werden, damit er erkannt und als artikulatorischer Output wiedergegeben werden
kann. Nur aus gespeicherten sprachlichen Einheiten können Regelmäßigkeiten abgeleitet
werden, die bestimmend für die eigene Sprachproduktion und das Sprachverstehen sind.401
Die allgemeine Funktionsweise und Bedeutung des (phonologischen) Arbeitsgedächtnisses
wurden bereits in Kapitel III/5.9. näher erläutert. Die „phonologische Schleife“ aus
phonetischem Speicher und dem sog. rehearsal, einem „inneres Wiederholen“, ist
399 Vgl. u.a. FLÖTHER 2003; GRIMM 1999; GRIMM 2001; GUENTHER & GÜNTHER 1991;
GROHNFELDT 1993a; MOTSCH 2002; ROSENKÖTTER 2003; SZAGUN 1991; WAGNER 1994;
SCHÖLER & SCHAKIB-EKBATAN 2001. 400 Vgl. GRIMM 1999:134. 401 Vgl. GRIMM 2001:11.
Auditive Wahrnehmung und Sprachentwicklung 143
verantwortlich für die Verarbeitung von sprachlicher Information.402 Die Funktionstüchtigkeit
dieser phonologischen Schleife ermöglicht es dem Kind, größere, noch unanalysierte
Einheiten im phonologischen Arbeitsgedächtnis zur Verfügung zu halten. Dies wiederum ist
eine notwendige Voraussetzung für das Kind, um formalsprachliche Regelmäßigkeiten
ableiten zu können. Damit stehen Wortschatzerwerb und Grammatikentwicklung in einer
kausalen Beziehung zu diesem Gedächtnissystem.403
Einige Untersuchungen belegen die Tatsache, dass sprachentwicklungsauffällige Kinder
tatsächlich signifikant schlechtere Leistungen des phonologischen Arbeitsgedächtnisses
zeigen als sprachunauffällige Kinder des gleichen Alters.404
Vor allem das Nachsprechen von Kunstwörtern, die mehr als drei Silben aufweisen, scheint
für diese Kinder besonders schwierig zu sein. Da keine geringere Kapazität des phonetischen
Speichers festgestellt werden konnte, führen Hasselhorn & Grube405 diese Ergebnisse auf eine
Störung der klanglichen Qualität zurück, mit der akustische Informationen im phonetischen
Speicher repräsentiert werden. Diese Vermutung wurde dadurch bestätigt, dass durch die
Präsentation der Kunstwörter in einer leicht „verrauschten“ Version die (sprachgesunde)
Kontrollgruppe deutlich schlechtere Ergebnisse lieferte, während die Ergebnisse der
sprachauffälligen Gruppe dadurch nicht beeinträchtigt wurden.406
Auch Weinert407 berichtet über eine Studie, die zeigte, dass dysphasische Kinder zwar
Probleme haben, Wort- und Zahlenfolgen wiederzugeben, bei nicht-sprachlichen
Gedächtnisaufgaben jedoch unauffällig sind. Die Autorin vermutet die zugrunde liegenden
Schwierigkeiten eher bei der Aufnahme, Strukturierung, Speicherung und beim Abruf
sprachlicher Informationen.
402 Vgl. GRIMM 1999:135f. 403 Vgl. GRIMM 2001:11f. 404 Vgl. u.a. GRIMM 1999:134f; GRIMM 2001:12f; HASSELHORN & GRUBE 2003:35. 405 Vgl. HASSELHORN & GRUBE 2003:35. 406 Vgl. EBENDA. 407 Vgl. WEINERT 1994:47.
Auditive Wahrnehmung und Sprachentwicklung 144
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Leistungsdefizite des phonologischen
Arbeitsgedächtnisses für den Spracherwerb und die Sprachverarbeitung von wesentlicher
Bedeutung zu sein scheinen und zu den ursächlichen Faktoren für eine
Sprachentwicklungsstörung gezählt werden können.408
2.2. Sprachentwicklung und zeitliche Verarbeitung
Neben Defiziten der auditive Gedächtnisfunktionen werden auch Schwierigkeiten in der
zeitlichen Verarbeitung von Sprachsignalen eng mit Sprachentwicklungsstörungen in
Verbindung gebracht.
Bereits in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts hat in diesem Zusammenhang die
Forschungsgruppe um Paula Tallal409 in vielen Untersuchungen nachgewiesen, dass es
sprachentwicklungsgestörten Kindern schwer fällt, kurze bzw. schnell aufeinanderfolgende
sprachliche Reize adäquat zu verarbeiten. In diesen, beinahe schon klassischen Experimenten
ging es darum, das Auftreten von unterschiedlichen akustischen Signalen durch Drücken einer
entsprechenden Taste anzuzeigen. So mussten die Versuchspersonen z.B. die Reihenfolge
zweier unterschiedlicher akustischer Signale angeben, die hintereinander angeboten wurden.
Variiert wurde die Dauer der Pause zwischen den einzelnen Signalen, das sog. Inter-Stimulus-
Interval (ISI). Sprachentwicklungsgestörte Kinder bekamen dann Schwierigkeiten, die
Reihenfolge der Signale zu bestimmen, wenn das Inter-Stimulus-Interval einen bestimmten
Zeitwert (ca. 150 ms) unterschritt. Diese Untersuchungen, die mit Tönen durchgeführt worden
waren, wurden zu einem späteren Zeitpunkt mit sprachlichen Lauten wiederholt.410 Hier
zeigte sich, dass sprachentwicklungsgestörte Kinder vor allem Probleme hatten, (naturgemäß
eher kurze) Konsonanten zu diskriminieren, während die Wahrnehmung von (naturgemäß
eher langen) Vokalen unauffällig war. Wurden Vokale und Konsonanten hinsichtlich ihrer
Länge künstlich verändert, so drehte sich der Effekt um. Die Auffälligkeiten bestanden nun
bei den (künstlich verkürzten) Vokalen und nicht mehr bei den (künstlich verlängerten)
Konsonanten. Tallal & Piercy folgerten daraus, dass Kinder mit 408 Vgl. GRIMM 2001:14; HASSELHORN & GRUBE 2003:35. 409 Vgl. TALLAL & PIERCY 1973, 1974, 1975. 410 Vgl. TALLAL & PIERCY 1974.
Auditive Wahrnehmung und Sprachentwicklung 145
Sprachentwicklungsstörungen auch Defizite in der Verarbeitung von schnell
aufeinanderfolgenden Reizen aufweisen. Da bei einer ähnlichen Versuchsanordnung mit
Lichtsignalen anstatt der akustischen Reize keine Schwierigkeiten
sprachentwicklungsauffälliger Kinder gefunden werden konnten, nahmen Tallal & Piercy an,
dass die Störung nur auf die auditive Modalität bezogen auftritt.411
Dieses Ergebnis konnte jedoch von anderen Untersucherinnen und Untersuchern nicht
nachvollzogen werden.412 Auch wurde u.a. kritisiert, dass den Überlegungen ein theoretisches
Gerüst fehle, welches den Zusammenhang zwischen der Verarbeitungsgeschwindigkeit von
auditiven Signalen und Defiziten im formal-sprachlichen Bereich erkläre.413
Obwohl die Ergebnisse der Forschungen Tallals nicht unumstritten sind, bieten sie
aufschlussreiche Erkenntnisse über den Zusammenhang von zeitlicher Verarbeitung und
Sprachentwicklung. Dennoch bleibt unklar, ob zwischen der Schwäche in der Wahrnehmung
von schnell aufeinanderfolgenden Signalen und der Sprachentwicklung tatsächlich ein
Verhältnis von Ursache und Wirkung vorliegt. Szagun414 vermutet, dass diese auditive
Schwäche eher eine Begleiterscheinung einer Sprachentwicklungsstörung ist, nicht jedoch
deren Ursache.
411 Vgl. TALLAL & PIERCY 1978. 412 Vgl. u.a. SZAGUN 1991:296f. 413 Vgl. GRIMM 1991, 83ff. 414 Vgl. SZAGUN 1991:297.
Auditive Wahrnehmung und Sprachentwicklung 146
2.3. Sprachentwicklung und Prosodie
Sprache ist durch prosodische Elemente wie Rhythmus, Intonation und Pausen
gekennzeichnet. Einerseits haben Sprachmelodie und Sprachrhythmus die Funktionen,
unterschiedliche Gefühlsqualitäten zu vermitteln und wichtige Informationen hervorzuheben,
andererseits bewirkt die prosodische Gliederung des Sprachangebots auch eine
Gedächtniserleichterung. Darüber hinaus liefern Sprachrhythmus und Sprachmelodie auch
Hinweise auf die grammatische Gliederung der Sprache, die das Sprachverstehen für Kinder
und Erwachsene wesentlich erleichtern. Schon in sehr jungem Alter nutzen Kinder diese
rhythmisch-prosodischen Merkmale des Sprachangebots, um daraus für den Spracherwerb
wichtige Regeln abzuleiten.415
In mehreren Untersuchungen an Vorschulkindern und Erwachsenen zeigte Weinert416 die
Bedeutung der prosodischen Gliederung für den Erwerb grammatischer Regeln. Bei diesen
Untersuchungen hörten die Versuchspersonen eine begrenzte Anzahl von Sätzen einer
speziell konstruierten Kunstsprache, der einige sprachanaloge, den untersuchten Personen
aber unbekannte grammatische Regeln zugrunde lagen. Überprüft wurde, ob es möglich war,
aufgrund der angebotenen Beispielsätze aus der „Miniatursprache“ grammatische Regeln
dieser Sprache abzuleiten. Um die Bedeutung der Prosodie zu erfassen, wurde das
Kunstsprachangebot entweder mit oder ohne rhythmisch-prosodische Hinweise auf die
Phrasenstruktur der Sätze vorgesprochen. Alle Untersuchungen ergaben, dass ein Erwerb der
zugrundeliegenden Regeln der „Miniatursprache“ nur dann möglich war, wenn das
Sprachangebot rhythmisch-prosodische Gliederungshinweise enthielt.
415 Vgl. GRIMM 1994:29; GRIMM 1999:14; CHERMAK & MUSIEK 2002:303. 416 Vgl. WEINERT 1994:51.
Auditive Wahrnehmung und Sprachentwicklung 147
Penner417 liefert weitere Belege für die Bedeutung prosodischer Merkmale für die kindliche
Sprachentwicklung. Anhand des Erwerbs der Wortprosodie zeigt der Autor, wie wichtig es
für den kindlichen Spracherwerb ist, dass Kinder prosodische Parameter des Sprachangebots
korrekt analysieren und repräsentieren können. Für das deutschlernende Kind bedeutet dies,
dass es aus drei sprachrhythmischen Parametern entsprechende Regeln ableitet. Nach Penner
gehören zu diesen Parametern neben der Grundbetonungsregel und der Zeitstruktur des
zweisilbigen, minimalen Wortes die Mechanismen der Wortrandmarkierung.
Die Grundbetonungsregel für das zweisilbige, minimale Wort im Deutschen ist der Trochäus,
d.h. die Betonung liegt auf der linken Seite des Wortes. Hinsichtlich der Zeitstruktur weist die
betonte Silbe innerhalb des Trochäus mehr „Gewicht“ auf als die unbetonte (d.h. eine längere
Dauer). Prosodisch prototypische Zweisilber des Deutschen sind demnach Wörter wie „Nase“
oder „Hose“.418
Auch zur Markierung des Wortrandes werden prosodische Mechanismen verwendet. Der
linke Wortrand (Wortanlaut) ist primär durch die Betonung markiert. Der rechte Wortrand
wird im Deutschen bei prototypischen Zwei- oder Mehrsilbern durch den „Schwa-Laut“
markiert („Nase“, „Banane“). Die Mechanismen der Wortrandmarkierung werden vom Kind
dazu genutzt, um Worteinheiten aus dem kontinuierlichen Sprachsignal zu segmentieren. Mit
den Parametern Betonung und Zeitstruktur bildet das Kind eine Art prosodisches „Gerüst“ für
Wörter, denen im Verlauf des Lexikonerwerbs Bedeutungen zugeordnet werden. Penner führt
an, dass von normal entwickelten Kindern die Wortprosodie bereits im Alter von ca. 2;6
vollständig erworben wird.419
417 Vgl. PENNER 2002:124ff. 418 Vgl. EBENDA. 419 Vgl. PENNER 2002:125. Das „Schwa“ (hebr.: š•w• = nichts) bezeichnet den neutralen Kurzvokal, der mit
neutraler Zungenstellung gebildet wird und im Deutschen nur in unbetonten Silben vorkommt.
Auditive Wahrnehmung und Sprachentwicklung 148
Aufgrund dieser Aussagen ist unschwer nachzuvollziehen, dass Kinder, die Probleme haben,
prosodische Elemente des Sprachflusses adäquat zu erfassen, auch Schwierigkeiten haben
werden, bestimmte Regeln daraus abzuleiten. Die Untersuchungen von Weinert420 und
Penner421 zeigten übereinstimmend, dass sprachentwicklungsgestörte Kinder schlechter in der
Lage waren, solche prosodisch-rhythmischen Daten für ihren Spracherwerb zu nutzen. Daraus
ableitend vermutet Weinert: „[...] daß dysphasisch-sprachgestörte Kinder gravierende
Defizite bei der Verarbeitung und Nutzung von Sprachmelodie und Sprachrhythmus haben,
die (mit)erklärend für ihre Spracherwerbsprobleme sein könnten.“422
420 Vgl. WEINERT 1994:52. 421 Vgl. PENNER 2002:128f. 422 WEINERT 1994:52.
Auditive Wahrnehmung und Sprachentwicklung 149
3. „Auditive“ Therapie von Sprachentwicklungsstörungen
Die Vielfalt an unterschiedlichen Therapieansätzen und Behandlungsmethoden von
spezifischen Sprachentwicklungsstörungen bietet ein weitläufiges, uneinheitliches und kaum
überschaubares Bild. Den behandelnden Fachpersonen steht eine lange Liste an Ansätzen zur
Auswahl. Auf dieser Liste finden sich Bezeichnungen wie sensorische Integrationstherapie,
Wahrnehmungstherapie, handlungsorientierter Ansatz, entwicklungsproximaler Ansatz,
kommunikativer Ansatz, Padovan-Therapie, Kinesiologie und noch viele mehr.
Jeder dieser Ansätze vertritt dabei eigene Ansichten über Ursachen und Bedingungen der
Sprachentwicklungsstörung und über die nötigen Interventionsmaßnahmen. Meist hängt die
Entscheidung für die Auswahl einer bestimmten Methode von den persönlichen Erfahrungen
der Therapeutin oder des Therapeuten ab, seltener finden Fragen nach theoretischer
Fundiertheit einer Methode Berücksichtigung.
Ich möchte im Folgenden weder auf die einzelnen Ansätze eingehen noch ihre therapeutische
Relevanz diskutieren, sondern vielmehr die Frage verfolgen, inwiefern Aspekte der auditiven
Wahrnehmung im Rahmen einer Therapie von Sprachentwicklungsstörungen
Berücksichtigung finden sollen.
Auf der Grundlage des bisher Gesagten sind auditive Wahrnehmungsstörungen ein eher vages
Konstrukt, dessen Existenz auf tönernen Füßen steht. Andererseits sind auditive Defizite bei
sprachentwicklungsauffälligen Kindern offensichtlich und verlangen ebenso nach einer
Behandlung wie die Sprachstörung an sich.
Bei Kindern mit spezifischen Störungen der Sprachentwicklung konnten neben Defiziten des
auditiven Gedächtnisses u.a. auch Auffälligkeiten in der zeitlichen Verarbeitung und der
Verarbeitung von prosodischen Merkmalen der Sprache festgestellt werden. Unklar bleibt
aber weiterhin, ob diese Merkmale tatsächlich Verursacher der Sprachentwicklungsstörung
sind oder nur als deren „Begleiter“ bezeichnet werden müssen. Eindeutige empirische Belege
stehen dafür noch aus.
Auditive Wahrnehmung und Sprachentwicklung 150
Trotz der bestehenden Unsicherheiten sprechen viele Belege dafür, dass auditive
Wahrnehmungsprobleme zumindest mitverursachend für Sprachentwicklungsstörungen sein
können und daher auch innerhalb einer therapeutischen Intervention nicht ignoriert werden
dürfen.
Es stellt sich nun die Frage, in welcher Form und in welchem Ausmaß auditive
Wahrnehmungsprobleme im Rahmen der Therapie von Sprachentwicklungsstörungen
berücksichtigt werden können.
In diesem Zusammenhang kann zwischen einer indirekten und einer direkten Verbesserung
der auditiven Wahrnehmung unterschieden werden. Einerseits ist es möglich, den
sprachlichen Input so zu optimieren, dass die Perzeption für Kinder mit auditiven
Wahrnehmungsproblemen besser möglich ist, andererseits kann auch versucht werden,
defizitäre auditive Funktionen direkt zu verbessern.
„Indirekte“ auditive Therapie
Da Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen verschlechterte Leistungen in der auditiven
Informationsverarbeitung zeigen, ist es eine logische therapeutische Konsequenz, den
sprachlichen Input so zu verändern, dass er für die betroffenen Kinder besser verarbeitet
werden kann. Innerhalb der Therapie sollte also - vor allem in ausgewählten, therapeutisch
kritischen Situationen - eine Optimierung der Sprachsignale erfolgen. Damit ist eine
Anpassung (so weit möglich) der „Therapie-Sprache“ an die reduzierten auditiven
Fähigkeiten des Kindes gemeint. Motsch423 spricht in diesem Zusammenhang von
Kontextoptimierung.424 D.h. der sprachliche Kontext wird in Abstimmung mit der speziellen
Situation, der sprachlichen Zielstruktur und mit den Fähigkeiten des Kindes optimiert. Dazu
gehören einerseits der Einsatz einer verlangsamten und durch verstärkte Prosodie
423 Vgl. MOTSCH 2002:93ff. 424 Anm.: Unter „Kontext“ versteht MOTSCH die zu „übende“ grammatische Zielstruktur, die Hilfen zum
Entdecken und Anwenden dieser Zielstruktur, den situativen Kontext, in dem die Zielstruktur funktional
erlebt werden soll und schließlich den sprachlichen Kontext, für den die sprachliche Realisierung durch
die/den Therapeutin/Therapeuten von besonderer Bedeutung ist.
Auditive Wahrnehmung und Sprachentwicklung 151
gekennzeichneten Sprechweise und andererseits die Sensibilisierung des Kindes auf
bestimmte morphologische Merkmale der Zielstruktur.
Mit Hilfe einer bewusst veränderten therapeutischen Sprechweise, die durch akzentuiertes
Betonen, gezieltes Dehnen oder Verlangsamen und bewusstes Setzen von Pausen (vor und
nach der betreffenden Zielstruktur) gekennzeichnet ist, wird die Aufmerksamkeit des Kindes
auf die Zielstruktur verbessert und ein auditives Verarbeitungsdefizit des Kindes
ausgeglichen.425
Die Tatsache, dass morphologische Markierungen phonetisch häufig wenig markant sind (z.B.
Konsonanten am Wortende), führt dazu, dass es Kindern mit auditiven Defiziten schwer fällt,
diese Markierungen wahrzunehmen und ihre Bedeutung zu erkennen. Zusätzlich zu einer
willkürlich optimierten therapeutischen Sprechweise ist es in diesen Fällen nötig, die
Aufmerksamkeit des Kindes auf die Relevanz dieser morphologischen Merkmale zu lenken.
Eine solche Sensibilisierung kann in Spielen erfolgen, in denen zunächst lediglich die
Differenzierung einzelner Morphemmarkierungen gefordert wird.426 Wäre die Zielstruktur
beispielsweise die Verbform der zweiten Person, Singular müsste vor dem Einsatz dieser
Verbform eine Sensibilisierung auf das Verbsuffix –st erfolgen. Dazu könnte z.B. ein Spiel
angeboten werden, in dem Wörter mit –st am Wortende von Wörtern ohne eine solche
Endung differenziert werden müssen.
425 Vgl. MOTSCH 2002:96. 426 Vgl. EBENDA:95.
Auditive Wahrnehmung und Sprachentwicklung 152
„Direkte“ auditive Therapie
Neben den angeführten, eher indirekten Maßnahmen einer Optimierung des sprachlichen
Inputs sollten auditive Defizite auch im Rahmen der Therapie von
Sprachentwicklungsstörungen berücksichtigt und behandelt werden. Obwohl von manchen
Vertreterinnen und Vertretern einzelner auditiver Konzepte suggeriert wird, dass ihr
(auditives) Behandlungsprogramm auch die sprachlichen Fähigkeiten der behandelten Kinder
verbessere, können m.E. logopädische und sprachtherapeutische Interventionen nicht durch
auditive Therapiemaßnahmen ersetzt werden. Eine Erweiterung und Ergänzung des
sprachtherapeutischen Angebots ist jedoch in vielen Fällen möglich und sinnvoll.
Dazu sollte bei Kindern mit Sprachentwicklungsproblemen zunächst die Aufmerksamkeit für
auditive Signale verbessert werden. Durch die Sensibilisierung auf akustische Reize (durch
Horchspiele etc.) wird die Bereitschaft des Kindes, sich überhaupt auf den auditiven Kanal
einzulassen, geschaffen bzw. vergrößert. Dabei spielt es in diesem Zusammenhang noch
kaum eine Rolle, ob diese Spiele mit sprachlichem oder nicht-sprachlichem Material
durchgeführt werden. Anregungen für solche Spiele finden sich u.a. bei Olbrich427, Krimm
von Fischer428 und Küspert & Schneider429.
Das „Training“ einzelner auditiver Leistungen (Diskrimination, Speicherung, Analyse,
Synthese etc.) sollte in die sprachtherapeutische Intervention eingebaut werden. Hier ist die
Berücksichtigung des Alters der Kinder und damit die Auswahl altersgerechter Spiele von
Bedeutung. Da, wie bereits erwähnt,430 der Zusammenhang zwischen der Verarbeitung von
nonverbalen Signalen und Sprache noch nicht eindeutig geklärt ist, sollte eine auditive
Therapie der gestörten Funktionen vorrangig mit Sprachmaterial erfolgen. So muss z.B. im
Rahmen einer phonologischen Dyslaliebehandlung die auditive Diskrimination der
betreffenden Phoneme durch das Kind gewährleistet sein, bevor eine Veränderung der
Sprachproduktion erwartet werden kann.
427 Vgl. OLBRICH 1989. 428 Vgl. KRIMM -VON-FISCHER 1990. 429 Vgl. KÜSPERT & SCHNEIDER 2000. 430 Vgl. Kapitel III/6.4.1
Auditive Wahrnehmung und Sprachentwicklung 153
Von einem alleinigen Training auditiver Teilfunktionen mit Hilfe nonverbaler Stimuli
(Ordnungsschwellentraining, Lückenerkennung, Tonhöhenunterscheidung etc.) ist im
Zusammenhang mit einer Behandlung von Sprachentwicklungsstörungen m.E. abzusehen, da
gezeigt werden konnte, dass durch ein solches Training kein Transfer auf sprachliche
Fähigkeiten erwartet werden darf.431 Anregungen für eine Therapie auditiver Teilfunktionen
mit sprachlichen Stimuli, die auch gut in eine logopädische Behandlung von
Sprachentwicklungsstörungen eingebaut werden können, geben u.a. Lauer432 und Heber &
Burger-Gartner433.
Neben der allgemeinen Sensibilisierung des Kindes auf auditive Reize und dem Training
einzelner auditiver Teilfunktionen mit Hilfe von Sprachmaterial stellt der therapeutisch
begleitete Einsatz von „auditiven“ Computerspielen434 eine gute Möglichkeit dar, die
sprachtherapeutische Intervention aufzulockern und die Motivation des Kindes hoch zu
halten.
431 Vgl. u.a. KÜHN-INACKER & WEINMANN 2000:119ff; BERWANGER & SUCHODOLETZ 2003:18f;
SUCHODOLETZ 2003:9f. 432 Vgl. LAUER 2001. 433 Vgl. HEBER & BURGER-GARTNER 2001. 434 Vgl. u.a. TRIALOGO 1997; FLEXOFT EDUCATION 1996.
Resümee 154
RESÜMEE
Die Effektivität unseres Hörsinns beruht auf dem Funktionieren und Interagieren zahlreicher
Strukturen und Prozesse. Der Weg von der Schallaufnahme bis zur zentralen Repräsentation
eines akustischen Signals ist gekennzeichnet durch das Zusammenspiel komplexer Netzwerke
aus Fasern und Kernen, in denen eine höchst differenzierte Analyse und Verarbeitung der
einzelnen Reizparameter erfolgt.
Zusätzlich beeinflussen höhere, mentale Faktoren wie Aufmerksamkeit und Gedächtnis die
Effektivität des Hörvorgangs. Einiges von diesen Abläufen ist nur unzureichend erforscht und
wirft immer noch viele Fragen auf.
In den letzten Jahren hat das Interesse für zentral-auditive Prozesse stark zugenommen.
Inzwischen bestehen verschiedene Modelle, die den Ablauf der zentral-auditiven
Verarbeitung und Wahrnehmung erklären sollen. Dabei werden auditive Teilfunktionen wie
Lokalisation, Diskrimination, Lautmustererkennung, Lautheitsempfinden etc. unterschieden.
Störungen dieser Funktionen werden von manchen auch für das Entstehen von
Sprachentwicklungsproblemen verantwortlich gemacht.
Die Diagnose auditiver Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen wirft jedoch viele
Probleme auf. Obwohl bereits zahlreiche Testbatterien zur Erfassung solcher Störungen im
Einsatz sind, ist eine eindeutige Diagnostik immer noch schwierig. Viele Verfahren sind nicht
normiert, sondern „hausgemacht“. Dadurch wird ein Vergleich der Ergebnisse erschwert bzw.
unmöglich gemacht. Außerdem entbehrt der Untersuchungsgegenstand selbst immer noch
einer einheitlichen, spezifischen Definition. Die vorhandenen Definitionen sind zu allgemein
gefasst oder beinhalten Teilfunktionen, die wiederum nicht genau spezifiziert sind, so dass die
gesamte Definition unbrauchbar wird. Der Zusammenhang zwischen auditiver Wahrnehmung
und allgemeinen kognitiven Faktoren wie Intelligenz, Aufmerksamkeit und Gedächtnis ist
noch weitgehend ungeklärt. Dies und die Altersabhängigkeit der einzelnen auditiven
Teilfunktionen tragen ebenfalls nicht zu einer Vereinfachung der Diagnostik bei.
Resümee 155
Für die Therapie auditiver Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen kommen zahlreiche
Methoden zum Einsatz. Empfohlen werden u.a. das Training einzelner auditiver
Teilfunktionen mittels eigens dafür konzipierter Geräte sowie signalverbessernde Maßnahmen
wie der Einsatz von FM-Anlagen und Hörgeräten. Daneben kommen auch psychomotorische
Ansätze und das Training auditiver Funktionen mit sprachlichen Stimuli zum Einsatz.
Viele dieser Verfahren sind umstritten und ihre Effizienz wird unterschiedlich beurteilt.
Durch das nonverbale Training auditiver Funktionen konnte in verschiedenen
Untersuchungen zwar eine Verbesserung der einzelnen Funktionen erreicht werden, ein
Transfer auf sprachliche Leistungen ließ sich jedoch nicht beobachten.
In Hinblick auf Ursachenforschung und Therapieauswahl bei Sprachentwicklungsstörungen
ist es wichtig, der Frage nach dem Zusammenhang zwischen Sprache und auditiver
Wahrnehmung nachzugehen. Die Fähigkeit, den sprachlichen Input wirksam aufzunehmen
und zu verarbeiten, stellt eine Voraussetzung für den ungestörten Verlauf des Spracherwerbs
dar. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass sich bei vielen Kindern mit
Sprachentwicklungsproblemen auch Defizite der auditiven Verarbeitung zeigen. Im
Besonderen sind hier das auditive Gedächtnis, die zeitliche Verarbeitung von Sprachsignalen
und die Nutzung prosodischer Merkmale aus dem Sprachangebot betroffen.
Sprachentwicklungsgestörten Kindern fällt es schwer, längere sprachliche Einheiten in ihrem
phonologischen Arbeitsgedächtnis für die weitere Verarbeitung zur Verfügung zu halten.
Außerdem scheinen Sprachentwicklungsprobleme auch mit der Schwierigkeit verbunden zu
sein, akustische Signale kurzer Dauer, durch die z.B. Plosive gekennzeichnet sind,
entsprechend wahrzunehmen. Auch eine gestörte Wahrnehmung für prosodisch-rhythmische
Elemente der Sprache, die eine Voraussetzung für die Ableitung grammatischer Regeln
darstellen, lässt sich bei sprachentwicklungsauffälligen Kindern beobachten.
Für die Behandlung der genannten Defizite im Rahmen einer Sprachtherapie kann zunächst
versucht werden, die allgemeine Aufmerksamkeit des Kindes auf akustische Reize zu
erhöhen. Dies kann mit verschiedenen Hör- und Horchspielen geschehen, wie sie in der
einschlägigen Literatur beschrieben werden. Außerdem sollte der sprachliche Input so
verbessert werden, dass die auditive Perzeption für die betroffenen Kinder erleichtert wird.
Resümee 156
Durch eine bewusst betonte, verlangsamte Sprechweise und das gezielte Setzen von
Sprechpausen kann die Aufmerksamkeit des Kindes auf eine bestimmte (phonologische oder
morphologische) Zielstruktur gelenkt werden. Daneben kann z.B. in entsprechenden
„Differenzierungsspielen“ eine Sensibilisierung des Kindes auf relevante Sprachmerkmale
erfolgen.
Das Training auditiver Teilfunktionen sollte vorrangig mit sprachlichem Material erfolgen, da
durch ein rein nonverbales Training keine Verbesserung sprachlicher Fähigkeiten erwartet
werden kann. Alle diese Maßnahmen können gut in eine logopädische Behandlung von
Sprachentwicklungsstörungen eingebaut und durch den Einsatz von motivationssteigernden
Computerspielen ergänzt werden.
Trotz zahlreicher Untersuchungen, Veröffentlichungen und intensiver Forschungsarbeit
unterschiedlicher Disziplinen stellen zentral-auditive Verarbeitungs- und
Wahrnehmungsstörungen immer noch einen Bereich dar, der von Unklarheit und
Widersprüchen geprägt ist. Um eine sinnvolle weitere Beschäftigung mit dieser Thematik zu
ermöglichen, sollte zunächst versucht werden, sich auf eine spezifische und einheitliche
Definition des Gegenstandes zu einigen. Auch die Normierung und Vereinheitlichung
diagnostischer sowie therapeutischer Maßnahmen würden es erleichtern,
Untersuchungsergebnisse in entsprechender Weise miteinander zu vergleichen. Zum
gegenwärtigen Zeitpunkt lässt die Forschung in diesem komplexen Bereich noch viele Fragen
offen.
Literaturverzeichnis 157
L ITERATURVERZEICHNIS
AFFOLTER & BISCHOFBERGER 1989 = Affolter, Felicie & Bischofberger, Walter:
Wahrnehmung und Sprache. In: Grohnfeldt, Manfred (Hrsg.): Grundlagen der
Sprachtherapie. Berlin: Ed. Marhold im Wiss.-Verl. Spieß. (Handbuch der Sprachtherapie;
1); 213 – 218.
AFFOLTER 1987 = Affolter, Felicie: Wahrnehmung, Wirklichkeit und Sprache. Villingen-
Schwenningen: Neckar-Verlag.
ANGERMAIER 1977 = Angermaier, Michael J.: Psycholinguistischer Entwicklungstest –
PET. 2. Aufl. Weinheim [u.a.]: Beltz.
ASHA 1996 = American Speech-Language-Hearing Association, Task Force on Central
Auditory Processing Consensus Development: Central auditory processing. Current status
of research and implications for clinical practice. In: American Journal of Audiology; 5
(2); 41 – 54.
ATKINSON & SHIFFRIN 1968 = Atkinson, R. C. & Shiffrin, R. M.: Human memory. A
proposed system and its control processes. In: Spence, K.W. & Spence, J. T. (Eds.): The
psychology of learning and motivation; 2. New York: Acad. Pr.; 90 – 197.
AYRES 1992 = Ayres, A. Jean: Bausteine der kindlichen Entwicklung. 2. Aufl. Berlin:
Springer.
BARAN & MUSIEK 2003 = Baran, Jane. A. & Musiek, Frank E.: Central auditory disorders.
In: Textbook of audiological medicine. London: Martin Dunitz; 495 – 511.
BERENDES ET AL. 1979 = Berendes, Julius; Link, Rudolf & Zöllner, F. (Hrsg.): Hals-
Nasen-Ohren-Heilkunde in Praxis und Klinik. 2. Aufl. In 6 Bänden. Stuttgart [u.a.]:
Thieme.
Literaturverzeichnis 158
BERWANGER 2001 = Berwanger, Dagmar: Untersuchungsverfahren zur Beurteilung der
auditiven Wahrnehmung. In: Minning, Sabine; Minning, Uwe & Rosenkötter, Henning:
Auditive Wahrnehmung und Hörtraining. Kandern-Holzen: AUDIVA, Inst. für Hören und
Bewegen; 40 – 58.
BERWANGER & SUCHODOLETZ 2003 = Berwanger, Dagmar & Suchodoletz, Waldemar
von: Evaluation eines Trainings von Ordnungsschwelle und Richtungshören. In: Forum
Logopädie; 17 (6); 12 – 19-
BERWANGER ET AL. 2003 = Berwanger, Dagmar; Wittmann, Marc & Suchodoletz,
Waldemar von: Möglichkeiten der Messung auditiver Ordnungsschwellen und deren
Zuverlässigkeit. In: Sprache – Stimme – Gehör; 27 (1); 38 – 45.
BÖHME & WELZL-MÜLLER 1998 = Böhme, Gerhard & Welzl–Müller, Kunigunde:
Audiometrie. Hörprüfungen im Erwachsenen- und Kindesalter; 4. Aufl. Bern [u.a.]: Huber.
BOENNINGHAUS & LENARZ 2000 = Boenninghaus, Hans-Georg & Lenarz, Thomas:
Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde. Für Studierende der Medizin. 11. Aufl. Berlin [u.a.]:
Springer.
BÜTTNER 2003 = Büttner, Gerhard: Gedächtnisentwicklung im Kindes- und Jugendalter. In:
Sprache – Stimme – Gehör; 27 (1); 24 – 30.
CACACE & McFARLAND 1998 = Cacace, Anthony T. & McFarland, Dennis J.: Central
auditory processing disorder in school-aged children. A critical review. In: Journal of
Speech, Language, and Hearing Research; 41; 355 – 373.
CHERMAK & MUSIEK 1997 = Chermak, Gail D. & Musiek, Frank E.: Central auditory
processing disorders. New perspectives. San Diego [u.a.]: Singular Publ. Group.
CHERMAK & MUSIEK 2002 = Chermak, Gail. D. & Musiek, Frank E.: Auditory training.
Principles and approaches for remediating and managing auditory processing disorders. In:
Seminars in Hearing; 4; 297 – 308.
CHERRY 1980 = Cherry, R.: Selective auditory attention test. St. Louis: Auditec of St. Louis.
Literaturverzeichnis 159
DAMES 1999 = Dames, Konstanze: Zur Therapie umschriebener
Sprachentwicklungsstörungen. In: Sprache, Stimme, Gehör; 23; 159 – 161.
DANNENBAUER 1994 = Dannenbauer, Friedrich M.: Zur Praxis der
entwicklungsproximalen Intervention. In: Grimm, Hannelore & Weinert, Sabine (Hrsg.):
Intervention bei sprachgestörten Kindern. Stuttgart: G. Fischer; 83 – 104.
DELB 2003 = Delb, Wolfgang: Objektive Diagnostik der zentralen auditiven Verarbeitungs-
und Wahrnehmungsstörung (AVWS). In: HNO;50 (2); 99 – 103.
DIMDI 2003 = Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information: ICD-10,
Internationale Statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter
Gesundheitsprobleme. 10. Revision. Version 2004. Kap. V: Psychische und
Verhaltensstörungen. Köln [u.a.]: DIMDI / WHO. URL:http://www.dimdi.de/de/klassi/
diagnosen/icd10/htmlamtl2004/fr-icd.htm
[Letzte Aktualisierung: 30. 7. 2003] [Stand 2003-11-15].
ESSER ET AL. 1987 = Esser, Günter; Anderski, Ch.; Birken, A.; Breuer, E. et al.: Auditive
Wahrnehmungsstörungen und Fehlhörigkeit bei Kindern im Schulalter. In: Sprache –
Stimme – Gehör; 11 (1); 10 – 16.
FERRE 2001 = Ferre, Jeanane M.: Behavioral therapeutic approaches for central auditory
problems. In: Handbook of Clinical Audiology. 5. ed. Philadelphia [u.a.]: Lippincott
Williams & Wilkins; 525 – 531.
FERRE 2002 = Ferre, Jeanane M.: Managing children’s central auditory processing deficits
in the real world. What teachers and parents want to know. In: Seminars in Hearing; 4;
319-326.
FISCHER 2003 = Fischer, Burkhart: Hören – Sehen – Blicken – Zählen. Teilleistungen und
ihre Störungen. Bern [u.a.]: Huber.
FLEXOFT EDUCATION 1996 = Flexoft Education: AudioLog. Schwerte: Flexoft Education.
Literaturverzeichnis 160
FLÖTHER 2003 = Flöther, Manfred: Auditive Verarbeitung und Wahrnehmung als
Voraussetzung für den Schriftspracherwerb. In: Die Sprachheilarbeit; 48 (4); 164 – 172.
FRANKE 1994 = Franke, Ulrike: Theraplay mit spracherwerbsgestörten Kindern. Ein
Fallbeispiel. In: Grimm, Hannelore & Weinert, Sabine: Intervention bei sprachgestörten
Kindern. Stuttgart: G. Fischer; 139 - 154
FRANKE 1998 = Franke, Ulrike: Logopädisches Handlexikon. 5. Aufl. München [u.a.]:
Reinhardt. (UTB für Wissenschaft: Uni-Taschenbücher; 771).
FRIEDRICH & BIGENZAHN 1995 = Friedrich, Gerhard & Bigenzahn, Wolfgang:
Phoniatrie. Einführung in die medizinischen, psychologischen und linguistischen
Grundlagen von Stimme und Sprache. Unter Mitarb. von: D.-M. Denk [u.a.]. Bern [u.a.]:
Huber.
FRIEDRICH ET AL. 2000 = Friedrich, Gerhard; Bigenzahn, Wolfgang & Zorowka, Patrick:
Phoniatrie und Pädaudiologie. Einführung in die medizinischen, psychologischen und
linguistischen Grundlagen von Stimme, Sprache und Gehör. 2. Aufl. Bern [u.a.]: Huber.
FRÖHLICH 1990 = Fröhlich, Werner D. (Hrsg.): Wörterbuch zur Psychologie. 17. Aufl.
München: Deutscher Taschenbuch-Verlag.
GATHERCOLE ET AL. 1994 = Gathercole, Susan E.; Willis, C.; Baddeley, A. A. & Emslie,
H.: The Children’s Test of Nonword Repetition. A test of phonological working memory.
In: Memory; 2; 103 – 127.
GILLAM ET AL. 2001 = Gillam, Ronald B.; Frome Loeb, Diane & Friel-Patti, Sandy:
Looking back: a summary of five exploratory studies of Fast ForWord. In: American
Journal of Speech-Language Pathology; 10; 269 – 273.
GRIMM 1991 = Grimm, Hannelore: Kognition – Grammatik – Interaktion.
Entwicklungspsychologische Interpretationen der Entwicklungsdysphasie. In: Grohnfeldt,
Manfred (Hrsg.): Störungen der Grammatik; Berlin: Ed. Marhold im Wiss.-Verl. Spieß.
(Handbuch der Sprachtherapie; 4); 83 – 109.
Literaturverzeichnis 161
GRIMM 1994 = Grimm, Hannelore: Sprachentwicklungsstörung. Diagnose und
Konsequenzen für die Therapie. In: Grimm, Hannelore & Weinert, Sabine (Hrsg.):
Intervention bei sprachgestörten Kindern. Stuttgart: G. Fischer; 3 – 32.
GRIMM 1999 = Grimm, Hannelore: Störungen der Sprachentwicklung. Grundlagen,
Ursachen, Diagnose, Intervention, Prävention. Göttingen [u.a.]: Hogrefe.
GRIMM 2001 = Grimm, Hannelore: SETK 3-5. Sprachentwicklungstest für drei- bis
fünfjährige Kinder. Göttingen [u.a.]: Hogrefe – Verl. für Psychologie.
GRIMM & SCHÖLER 1991 = Grimm, Hannelore & Schöler, Hermann: Heidelberger
Sprachentwicklungstest (HSET). 2. Aufl. Göttingen: Hogrefe.
GRIMM & WEINERT 1994 = Grimm, Hannelore & Weinert, Sabine (Hrsg.): Intervention
bei sprachgestörten Kindern. Voraussetzungen, Möglichkeiten und Grenzen. Stuttgart: G.
Fischer.
GROHNFELDT 1989 = Grohnfeldt, Manfred (Hrsg.): Grundlagen der Sprachtherapie.
Berlin: Ed. Marhold im Wiss.-Verl. Spieß. (Handbuch der Sprachtherapie; 1).
GROHNFELDT 1991 = Grohnfeldt, Manfred (Hrsg.): Handbuch der Sprachtherapie.
Band 1 - 4. Hrsg. Berlin: Ed. Marhold im Wiss.-Verl. Spieß.
GROHNFELDT 1991a = Grohnfeldt, Manfred (Hrsg.): Störungen der Grammatik. Berlin:
Ed. Marhold im Wiss.-Verl. Spieß. (Handbuch der Sprachtherapie; 4).
GROHNFELDT 1993 = Grohnfeldt, Manfred: Grundlagen der Therapie bei
sprachentwicklungsgestörten Kindern. 3. Aufl. Berlin: Ed. Marhold.
GROHNFELDT 1993a = Grohnfeldt, Manfred: Störungen der Sprachentwicklung. 6. Aufl.
Berlin: Ed. Marhold.
GROHNFELDT 2001 = Grohnfeldt, Manfred (Hrsg.): Lehrbuch der Sprachheilpädagogik
und Logopädie. Band 2: Erscheinungsformen und Störungsbilder. Stuttgart: Kohlhammer.
Literaturverzeichnis 162
GÜNTHER & GÜNTHER 1991 = Günther, Herbert & Günther, Willi: Auditive
Dysfunktionen und Sprachentwicklungsstörungen. Theoretische Überlegungen und
empirische Daten zu einem verborgenem Problemzusammenhang. In: Sprache, Stimme,
Gehör; 15; 12 – 18.
GÜNTHER & GÜNTHER 1992 = Günther, Herbert & Günther, Willi: Diagnose auditiver
Störungen bei Sprachauffälligkeiten und Lese-Rechtschreibschwierigkeiten im
Primarbereich. In: Die Sprachheilarbeit; 37; 5 – 19.
HANDBOOK OF CLINICAL AUDIOLOGY 2001 = Handbook of Clinical Audiology. 5. ed.
Ed.: Katz, Jack. Assoc. ed.: Robert F. Burkard & Medwetsky; Larry. Philadelphia [u.a.]:
Lippincott Williams & Wilkins.
HANDWERKER 1998 = Handwerker, Hermann O.: Allgemeine Sinnesphysiologie. In:
Schmidt, Robert F. (Hrsg.): Neuro- und Sinnesphysiologie. 3. Aufl. Berlin [u.a.]: Springer;
201 – 220.
HASSELHORN & GRUBE 2003 = Hasselhorn, Marcus & Grube, Dietmar: Das
Arbeitsgedächtnis. Funktionsweise, Entwicklung und Bedeutung für kognitive
Leistungsstörungen. In: Sprache – Stimme – Gehör; 27 (1); 31 – 37.
HASSELHORN & WERNER 2000 = Hasselhorn, Marcus & Werner, Ines: Zur Bedeutung
des phonologischen Arbeitsgedächtnisses für die Sprachentwicklung. In: Enzyklopädie der
Psychologie, CIII, Bd. 3: Sprachentwicklung. Göttingen: Hogrefe; 363-378.
HEBER & BURGER-GARTNER 2001 = Heber, Dolores & Burger-Gartner, Jutta: Auditive
Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen – Therapie. In: Nickisch, Andreas; Heber,
Dolores & Burger-Gartner, Jutta: Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen.
Dortmund: Verlag Modernes Lernen; 49 – 215.
HELLBRÜCK 1993 = Hellbrück, Jürgen: Hören. Physiologie, Psychologie und Pathologie.
Göttingen [u.a.]: Hogrefe.
Literaturverzeichnis 163
HESS 2001 = Hess, M.: Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen im
Kindesalter. In: HNO; 49 (8); 593 – 597.
HESSE ET AL. 2001 = Hesse, Gerhard; Nelting, Manfred; Mohrmann, B.; Laubert, A. &
Ptok, M.: Die stationäre Intensivtherapie bei auditiven Verarbeitungs- und
Wahrnehmungsstörungen im Kindesalter. In: HNO; 49 (8); 636 – 641.
HÖFLER 1995 = Höfler, Heribert: Hörstörungen. In: Friedrich, Gerhard & Bigenzahn,
Wolfgang: Phoniatrie. Unter Mitarb. von: Doris-Maria Denk [u.a.]. Bern [u.a.]: Huber; 145
– 156.
JERGER & MUSIEK 2000 = Jerger, James & Musiek, Frank: Report of the Consensus
Conference on the Diagnosis of Auditory Processing Disorders in School-Age Children.
In: Journal of the American Academy of Audiology; 11; 467 – 474.
JERNBERG 1987 = Jernberg, Ann M.: Theraplay. Eine direktive Spieltherapie. Stuttgart
[u.a.]: G. Fischer.
KARCH ET AL. 2000 = Karch, Dieter; Uttenweiler, Viktor; Groß-Selbeck, E.; Kruse, E;
Rating, D; Ritz, A.; Schlack, Hans Georg & Wedel, Hasso von: „Hörtraining“ nach
Tomatis und „Klangtherapie“. In: Millner, Michael (Hrsg.): Aktuelle Neuropädiatrie 1999.
Nürnberg: Novartis Pharma Verlag; 334 – 247.
KATZ 1992 = Katz, Jack: Classification of auditory processing disorders. In Katz, J.;
Stecker, Nancy & Henderson, Donald (Eds.), Central auditory processing. St. Louis:
Mosby; 81 – 92.
KATZ ET AL. 1992 = Katz, Jack; Stecker, Nancy & Henderson, Donald (Eds.):. Central
Auditory Processing: A Transdisciplinary View. St. Louis: Mosby.
KEIDEL & KALLERT 1979 = Keidel, Wolf D. & Kallert, Siegfried: Physiologie des
afferenten akustischen Systems. In: Berendes, Julius; Link, Rudolf & Zöllner, F. (Hrsg.):
Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde in Praxis und Klinik; 5. Stuttgart: Thieme; 8.1 – 8. 113.
Literaturverzeichnis 164
KEITH 1986 = Keith, Robert W.: SCAN – a screening test for auditory processing disorders.
San Diego: The Psychological Corporation.
KEITH 2000 = Keith, Robert W.: SCAN-C – test for auditory processing disorders in
children - revised. San Diego: The Psychological Corporation.
KESPER & HOTTINGER 1993 = Kesper, Gudrun & Hottinger, Cornelia: Mototherapie bei
sensorischen Integrationsstörungen. Eine Anleitung zur Praxis. 2. Aufl. München [u.a.]:
Reinhardt-Verl.
KLINKE 1995 = Klinke, Rainer: Hören und Sprechen. In: Schmidt, Robert F. & Thews,
Gerhard (Hrsg.): Physiologie des Menschen. 26. Aufl. Berlin [u.a.]: Springer; 258 – 277.
KRIMM -VON-FISCHER 1990 = Krimm von Fischer, Catherine: Rhythmik und
Sprachanbahnung. 2. Aufl. Heidelberg: Ed. Schindele. (Arbeitshefte zur
heilpädagogischen Übungsbehandlung ; 2)
KÜHN-INACKER & WEINMANN 2000 = Kühn-Inacker, Heike & Weinmann, S.: Training
der Ordnungsschwelle - Ein Ansatz zur Förderung der Sprachwahrnehmung bei Kindern
mit einer Zentral Auditiven Verarbeitungsstörung (ZAVS)? In: Sprache – Stimme – Gehör;
24 (3); 119 – 125.
KÜSPERT & SCHNEIDER 2000 = Küspert, Petra & Schneider, Wolfgang: Hören, lauschen,
lernen. Sprachspiele für Kinder im Vorschulalter. 2. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck &
Ruprecht.
LAMPRECHT-DINNESEN 1996 = Lamprecht-Dinnesen, Antoinette.: Zur Notwendigkeit
eines generellen Hörscreenings bei Neugeborenen. In: Sprache - Stimme – Gehör; 20, 1; 6
– 10.
LAUER 2001 = Lauer, Norina: Zentral-auditive Verarbeitungsstörungen im Kindesalter.
Grundlagen, Klinik, Diagnostik, Therapie. 2. Aufl. Stuttgart [u.a.]: Thieme.
LINDER & GRISSEMANN 1996 = Linder, Maria & Grissemann, Hans: ZLT - Zürcher
Lesetest. Förderdiagnostik bei gestörtem Schriftspracherwerb. 5. Auf. Bern: Huber.
Literaturverzeichnis 165
MATULAT ET AL. 1999 = Matulat, Peter; Bersenbrügge, Hendrik & Lamprecht-Dinnesen,
Antoinette: Diagnose zentraler Hörverarbeitungsstörungen und auditiver
Wahrnehmungsstörungen. Eine retrospektive Erhebung. In: Zeitschrift für Audiologie;
Suppl. II; 112 – 114.
MATZKER 1958 = Matzker, Joseph: Ein binauraler Hörsynthese Test zum Nachweis
cerebraler Hörstörungen. Stuttgart [u.a.]: Thieme.
McFARLAND & CACACE 1995 = McFarland, Dennis J. & Cacace, Anthony T.: Modality
specificity as a criterion for diagnosis central auditory processing disorders. In: American
Journal of Audiology; 4; 36 – 48.
MEDWETSKY 2001 = Medwetsky, Larry: Central auditory processing. In: Handbook of
Clinical Audiology. 5. ed. Philadelphia [u.a.]: Lippincott Williams & Wilkins; 495 – 508.
MEDWETSKY 2001a = Medwetsky, Larry: Central auditory processing testing. A battery
approach. In: Handbook of Clinical Audiology. 5. ed. Philadelphia [u.a.]: Lippincott
Williams & Wilkins; 510 – 524.
MEISTER ET AL. 2000 = Meister, Hartmut; Klüser, H.; Ernst, S., Först, A., Walger, M. &
Wedel, Hasso von: Auditive Ordnungsschwellen normalhörender Versuchspersonen. In:
Sprache – Stimme – Gehör; 24 (2); 65 – 70.
MEISTER ET AL. [im Druck] = Meister, Hartmut; Wedel, Hasso von; Walger, Martin:
Psychometric evaluation of children with suspected auditory processing disorders (APD)
using a parents-answered survey. In: International Journal of Audiology [im Druck].
MILLNER 2000 = Millner, Michael (Hrsg.): Aktuelle Neuropädiatrie 1999. Nürnberg:
Novartis Pharma Verlag.
MINNING & MINNING 2001 = Minning, Sabine & Minning, Uwe: Praktischer Einsatz des
Hörtrainings in der Therapie und Förderung. In: Minning, Sabine; Minning, Uwe &
Rosenkötter, Henning: Auditive Wahrnehmung und Hörtraining. Kandern-Holzen:
AUDIVA, Inst. für Hören und Bewegen; 160 – 177.
Literaturverzeichnis 166
MINNING ET AL. 2001 = Minning, Sabine; Minning, Uwe & Rosenkötter, Henning (Hrsg):
Auditive Wahrnehmung und Hörtraining. Kandern-Holzen: AUDIVA, Inst. für Hören und
Bewegen.
MOTTIER 1996 = Mottier, Grete: Der Mottier-Test. In Linder, Maria & Grissemann, Hans:
ZLT - Zürcher Lesetest. (Handanweisung). 5. Aufl. Bern: Huber; 15 – 16.
MOTSCH 2002 = Motsch, Hans-Joachim: Effektivitätssteigerung durch Kontextoptimierung
in der Therapie spezifischer Sprachentwicklungsstörungen. In: Suchodoletz, Waldemar
von (Hrsg.): Therapie von Sprachentwicklungsstörungen. Stuttgart: Kohlhammer; 83 –
105.
MUSIEK & CHERMAK 1994 = Musiek, Frank E. & Chermak, Gail D.: Three commonly
asked questions about central auditory processing disorders: assessment. In: American
Journal of Audiology; 3; 23 - 27.
MUSIEK & CHERMAK 1995 = Musiek, Frank E. & Chermak, Gail D.: Three commonly
asked questions about central auditory processing disorders: management. In: American
Journal of Audiology; 4; 15 – 18.
MUSIEK & OXHOLM 2003 = Musiek, Frank E. & Oxholm, Victoria B.: Central auditory
anatomy and function. In: Textbook of audiological medicine. London: Martin Dunitz; 179
– 198.
MUSIEK ET AL. 2002 = Musiek, Frank. E.; Shinn, Jennifer & Hare, Christine: Plasticity,
auditory training, and auditory processing disorders. In: Seminars in Hearing; 4; 263 - 276
NEUSCHÄFER-RUBE ET AL. 2000 = Neuschäfer-Rube, Christiane; Matern, G.; Meixner,
R.; Klajman, S., Neumann H.: Zur Problematik auditiver Verarbeitungsstörungen.
Erhebungen und Bewertungen aus interdisziplinärer Sicht. In: Sprache – Stimme – Gehör;
24(3); 113 – 118.
NICKISCH & BIESALSKI 1984 = Nickisch, Andreas & Biesalski, Peter: Ein Hörtest mit
zeitkomprimierter Sprache für Kinder. In: Sprache – Stimme – Gehör; 8; 31 – 34.
Literaturverzeichnis 167
NICKISCH ET AL. 2001 = Nickisch, Andreas; Heber, Dolores & Burger-Gartner, Jutta:
Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen bei Schulkindern. Diagnostik und
Therapie. Dortmund: Verl. Modernes Lernen.
OLBRICH 1989 = Olbrich, Ingrid: Auditive Wahrnehmung und Sprache. Dortmund: Verl.
Modernes Lernen.
OLBRICH 1989a = Olbrich, Ingrid: Die integrierte Sprach- und Bewegungstherapie. In:
Grohnfeldt, Manfred (Hrsg.): Grundlagen der Sprachtherapie; Berlin: Ed. Marhold im
Wiss.-Verl. Spieß. (Handbuch der Sprachtherapie; 1); 252 – 262.
PENNER 2002 = Penner, Zvi: Plädoyer für eine präventive Frühintervention bei Kindern mit
Spracherwerbsstörungen. In: Suchodoletz, Waldemar von (Hrsg.): Therapie von
Sprachentwicklungsstörungen. Stuttgart: Kohlhammer; 106 – 142.
PHILLIPS 2002 = Phillips, Dennis P.: Central auditory system and central auditory
processing disorders. Some conceptual issues. In: Seminars in Hearing; 4; 251 – 262.
PTOK & PTOK 1996 = Ptok, Martin & Ptok Angelika: Die Entwicklung des Hörens. In:
Sprache - Stimme – Gehör; 20 (1); 1 – 5.
PTOK ET AL. 2000 = Ptok, Martin; Berger, R.; Von Deuster, C.; Gross, M.; Lamprecht-
Dinnesen, A.; Nickisch, A.; Radü, H.-J. & Uttenweiler, V.: Auditive Verarbeitungs- und
Wahrnehmungsstörungen. Konsensus-Statement. In: HNO; 48 (5); 357 – 360.
RITTERFELD 2003 = Ritterfeld, Ute: Auditive Aufmerksamkeit und Sprachlernen.
Explikation eines impliziten Zusammenhangs. In: Die Sprachheilarbeit; 48 (1); 4 – 10.
ROSENKÖTTER 2001 = Rosenkötter, Henning: Diagnose der auditiven Wahrnehmung und
Hörtraining. In: Minning, Sabine; Minning, Uwe & Rosenkötter, Henning: Auditive
Wahrnehmung und Hörtraining. Kandern-Holzen: AUDIVA, Inst. für Hören und
Bewegen; 59 – 83.
ROSENKÖTTER 2003 = Rosenkötter, Henning: Auditive Wahrnehmungsstörungen. Kinder
mit Lern- und Sprachschwierigkeiten behandeln. Stuttgart: Klett-Cotta.
Literaturverzeichnis 168
SCHMIDT & THEWS 1995 = Schmidt, Robert F. & Thews, Gerhard (Hrsg.): Physiologie
des Menschen. 26. Aufl. Berlin [u.a.]: Springer.
SCHMIDT 1998 = Schmidt, Robert F. (Hrsg.): Neuro- und Sinnesphysiologie. 3.Aufl. Berlin
[u.a.]: Springer.
SCHMINKY & BARAN 1999 = Schminky, Mignon M. & Baran, Jane A.: Central auditory
processing disorders. An overview of assessment and management practices. In: Deaf-
Blind Perspectives; 7 (1); 1-7.
SCHÖLER & SCHAKIB-EKBATAN 2001 = Schöler, Hermann & Schakib-Ekbatan, Karin:
Sprachentwicklungsstörungen und Verarbeitungs- bzw. Lernstörungen. In: Grohnfeld,
Manfred (Hrsg.): Lehrbuch der Sprachheilpädagogik und Logopädie. Band 2:
Erscheinungsformen und Störungsbilder; 88 – 101. Stuttgart: Kohlhammer
SCHÖNWEILER 2001 = Schönweiler, Rainer: Diagnostik auditiver
Wahrnehmungsstörungen. In: Minning, Sabine; Minning, Uwe & Rosenkötter, Henning:
Auditive Wahrnehmung und Hörtraining. Kandern-Holzen: AUDIVA, Inst. für Hören und
Bewegen; 17 - 27.
SILBERNAGL & DESPOPOULOS 1983 = Silbernagl, Stefan & Despopoulos, Agamemnon:
Taschenatlas Physiologie. 2. Aufl. Stuttgart [u.a.]: Thieme.
SPENCE & SPENCE 1968 = Spence, Kenneth W. & Spence, Janet T. (Eds.): The psychology
of learning and motivation. New York: Acad. Pr.
SUCHODOLETZ 1997 = Suchodoletz, Waldemar von: Neurobiologische Befunde bei
Kindern mit umschriebenen Sprachentwicklungsstörungen. In: Zeitschrift für Kinder- und
Jungendpsychiatrie; 25; 35 – 45.
SUCHODOLETZ 2002 = Suchodoletz, Waldemar von (Hrsg.): Therapie von
Sprachentwicklungsstörungen. Anspruch und Realität. Stuttgart: Kohlhammer.
Literaturverzeichnis 169
SUCHODOLETZ 2003 = Suchodoletz, Waldemar von: Behandlung auditiver
Wahrnehmungsstörungen. Methoden und Wirksamkeit. In: Forum Logopädie; 17 (6); 6 –
11.
SZAGUN 1991 = Szagun, Gisela: Sprachentwicklung beim Kind. 4. Aufl. München:
Psychologie Verl.-Union.
TALLAL & PIERCY 1973 = Tallal, Paula & Piercy, Malcolm: Developmental aphasia.
Impaired rate of non-verbal processing as a function of sensory modality. In:
Neuropsychologia; 11 (4); 389 - 398.
TALLAL & PIERCY 1974 = Tallal, Paula & Piercy, Malcolm: Developmental aphasia. Rate
of auditory processing and selective impairment of consonant perception. In:
Neuropsychologia; 12 (1); 83 – 93.
TALLAL & PIERCY 1975 = Tallal, Paula & Piercy, Malcolm: Developmental aphasia. The
perception of brief vowels and extended stop consonants. In: Neuropsychologia; 13 (1); 69
- 74.
TALLAL & PIERCY 1978 = Tallal, Paula & Piercy, Malcolm: Defects of auditory perception
in children with developmental dysphasia. In: Wyke, M. (Ed.): Developmental dysphasia.
London [u.a.]: Acad. Press; 63 – 84.
TALLAL ET AL. 1998 = Tallal, Paula; Merzenich, Michael; Miller, Steve & Jenkins,
William: Language learning impairment. Integrating research and remediation. In:
Scandinavian Journal of Psychology; 39; 197 – 199.
TEWES 1983 = Tewes, Uwe: Hamburg-Wechsler-Intelligenz-Test für Kinder, Revision
(HAWIK-R). Bern [u.a.]: Huber.
TEXTBOOK OF AUDIOLOGICAL MEDICINE 2003 = Textbook of audiological medicine.
Clinical spects of hearing and balance. Ed. by Linda M. Luxon. London: Martin Dunitz.
Literaturverzeichnis 170
TOMATIS 1987 = Tomatis, Alfred A.: Der Klang des Lebens. Vorgeburtliche
Kommunikation – die Anfänge der seelischen Entwicklung. Reinbek bei Hamburg:
Rowohlt.
TOMATIS 2000 = Tomatis, Alfred A.: Das Ohr und das Leben. Erforschung der seelischen
Klangwelt. 2. Aufl. Düsseldorf [u.a.]: Walter.
TRAVIS 1996 = Travis, John: Let the games begin. Brain-training video games and stretched
speech may help language-impaired kids and dyslexics. In: Science news; 149; 104 – 106.
TRIALOGO 1997 = Trialogo: Detektiv Langohr. Übungsset zur Förderung der auditiven
Wahrnehmung – Geräusche. Konstanz: Trialogo.
TROSSBACH-NEUNER 1991 = Trossbach-Neuner, Eva: Förderung der auditiven
Wahrnehmung als Hilfe zum Ausbau phonemischer Bewusstheit im Schriftspracherwerb
sprachbehinderter Kinder. In: Die Sprachheilarbeit; 36; 17 – 23.
UTTENWEILER 2001 = Uttenweiler, Viktor: Physiologie des Hörens und zentrale
Hörverarbeitung. In: Minning, Sabine; Minning, Uwe & Rosenkötter, Henning: Auditive
Wahrnehmung und Hörtraining. Kandern-Holzen: AUDIVA, Inst. für Hören und
Bewegen; 3 - 16.
WAGNER 1994 = Wagner, H.: Auditive Wahrnehmungsprobleme und verbale und
nonverbale Intelligenzleistungen. In: Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie;
1994, 43 (3); 106 – 109.
WARNKE 1998 = Warnke, Fred: Was Hänschen nicht hört ... Elternratgeber Lese-
Rechtschreib-Schwäche. 3. Aufl. Kirchzarten bei Freiburg: VAK Verl.-GmbH.
WEDEL & WALGER 1999 = Wedel, Hasso von & Walter, Martin: Ordnungsschwellen und
binaurale Interaktion im Hinblick auf Diagnostik und Therapie. In: Zeitschrift für
Audiologie; Suppl. II; 79 - 85.
Literaturverzeichnis 171
WEIGL & REDDEMANN-TSCHAIKNER 2002 = Weigl, Irina & Reddemann-Tschaikner
Marianne: HOT – ein handlungsorientierter Therapieansatz. Für Kinder mit
Sprachentwicklungsstörungen. Stuttgart [u.a.]: Thieme. (Forum Logopädie).
WEINERT 1994 = Weinert, Sabine: Interventionsforschung und Interventionspraxis bei
dysphasisch-sprachgestörten Kindern. Psychologische Perspektiven. In: Grimm,
Hannelore & Weinert, Sabine (Hrsg.): Intervention bei sprachgestörten Kindern. Stuttgart:
G. Fischer; 33 – 57.
WEINERT 2002 = Weinert, Sabine: Therapie bei Sprachentwicklungsstörungen. Forschung
und Praxis. In: Suchodoletz, Waldemar von (Hrsg.): Therapie von
Sprachentwicklungsstörungen. Stuttgart: Kohlhammer; 46 – 69.
WELTE 1981 = Welte, Verena: Mottier-Test. Der Mottier-Test, ein Prüfmittel für die
Lautdifferenzierungsfähigkeit und die auditive Merkfähigkeit. In: Sprache – Stimme –
Gehör; 5 (3); 121 – 125.
WENDLANDT 1992 = Wendlandt, Wolfgang: Sprachstörungen im Kindesalter. Materialien
zur Früherkennung und Beratung. Stuttgart [u.a.]: Thieme.
WERTZ ET AL. 2002 = Wertz, Diane; Hall, James W. & Davis, Wes: Auditory Processing
Disorders. Management approaches past to present. In: Seminars in Hearing; 4; 277 – 286.
WIRTH 1990 = Wirth, Günther: Sprachstörungen, Sprechstörungen, kindliche Hörstörungen.
3. Aufl. Köln: Dt. Ärzteverlag.
WURM-DINSE & ESSER 1997 = Wurm-Dinse, Ulrich & Esser, Günther: Kinder mit
zentraler Fehlhörigkeit. In: Logos interdisziplinär; 5 (1); 28 – 35.
WYKE 1978 = Wyke, Maria A. (Ed.): Developmental dysphasia. London [u.a.]: Acad. Press.
ZIMBARDO 1995 = Zimbardo, Philip G.: Psychologie. 6. Aufl. Berlin [u.a.]: Springer.
Literaturverzeichnis 172
ZIERATH 2002 = Zierath, Peter: Diagnostik und Förderung bei Kindern mit auditiven
Wahrnehmungs- und Verarbeitungsstörungen durch Bildungseinrichtungen für
Hörgeschädigte. In: Sprache – Stimme – Gehör; 26 (3); 111 – 116.
ZOLLINGER 1997 = Zollinger, Barbara: Die Entdeckung der Sprache. 3. Aufl. Bern: Haupt.
(Beiträge zur Heil- und Sonderpädagogik ; 16)
ZOLLINGER 1998 = Zollinger, Barbara (Hrsg.): Kinder im Vorschulalter. Bern [u.a.]: Haupt.
ZOROWKA & HÖFLER 2000 = Zorowka, Patrick & Höfler, Heribert: Grundlagen V: Ohr
und Gehör. In: Friedrich, Gerhard; Bigenzahn, Wolfgang & Zorowka, Patrick: Phoniatrie
und Pädaudiologie. 2. Aufl.; Bern [u.a.] Huber; 325 – 339.
ZOROWKA 2000 = Zorowka, Patrick: Pädaudiologie. In: Friedrich, Gerhard; Bigenzahn,
Wolfgang & Zorowka, Patrick: Phoniatrie und Pädaudiologie. 2. Aufl.; Bern [u.a.] Huber;
341 – 404.
173
EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG
Ich erkläre hiermit an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbständig verfasst
und angefertigt habe.
Die aus fremden Quellen direkt oder indirekt übernommenen Gedanken und Zitate sind als
solche kenntlich gemacht.
Die Arbeit wurde bisher weder in gleicher noch in ähnlicher Form einer anderen
Prüfungsbehörde vorgelegt und auch nicht veröffentlicht.
Innsbruck, im Februar 2004
Bertram Weber
174
LEBENSLAUF
Bertram Weber
Geboren am 6. 4. 1964 in Spittal/Drau
Adresse: Weingartnerstraße 35, 6020 Innsbruck
Verheiratet mit Monika Weber
2 Töchter (Sarah, geb. 1985 und Timna, geb. 1995)
1970 – 1974 Volksschule Lind im Drautal
1974 – 1978 Bundesrealgymnasium Klagenfurt, Expositur Tanzenberg
1978 – 1982 Bundesoberstufenrealgymnasium Spittal/Drau,
Reifeprüfung am 2. 7. 1982
1983 Ableistung des Präsenzdienstes
1983 – 1984 Besuch der Bildungsanstalt für Erzieher in Pfaffenhofen/Tirol
Befähigungsprüfung zum Hort- und Heimerzieher am 7. 6. 1984
1984 – 1991 Universitätsbibliothekar an der Universitätsbibliothek Innsbruck
1991 – 1993 Ausbildung zum Logopäden am Ausbildungszentrum West
Innsbruck, Diplomprüfung am 29. 9. 1993
seit 1994 Logopäde an der Klinischen Abteilung für Hör-, Stimm- und
Sprachstörungen Innsbruck
seit 2001 Studium der Allgemeinen und Angewandten
Sprachwissenschaft an der Universität Innsbruck
top related