catherine und ihre verrückte welt
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--- LESEPROBE ---
Catherine und ihre
verrückte Welt
Kuriose Küchen-Eskapaden, mit Liebe
gekocht
Ceren Ucar
„[…]ein humorvoller und sehr liebevoll geschriebener Roman, der die Stärken und Schwächen der Protagonisten analysiert
und diese dadurch sehr sympathisch erscheinen lässt.“
S.B. auf Amazon
„Sehr fesselnd! Die Autorin schreibt auch sehr emotional und man kann sich sehr gut in die Lage der Protagonistin
hineinversetzen.“
KekeCat „huibu“ auf Amazon
„Ein wirklich wundervoller Roman, der mich zum Schmunzeln aber auch zum Nachdenken gebracht hat. Eine gelungene
und runde Geschichte.“
Renate P. per E-Mail
Über das Buch
Eines Tages Köchin zu werden war schon immer Catherines
größter Wunsch. Bereits als Kind experimentiert sie
leidenschaftlich gern mit Zutaten und Geschmäckern und
verwandelt die heimische Küche in ihr persönliches
Kochshow-Studio.
Mit 21 Jahren hat sie ihr Ziel erreicht: Sie lebt in Manhattan
und arbeitet dort als Köchin in einem renommierten
Restaurant. Dummerweise muss Catherine aber nicht nur mit
ihrer recht eigenwilligen Chefin zurechtkommen, sondern sich
auch noch mit ihren verrückten und kuriosen Nachbarn
herumschlagen.
Und dann geht plötzlich alles ganz schnell: Eine unbedachte
Entscheidung, ein geheimnisvoller Anruf, ein unverhofftes
Wiedersehen, eine zündende Idee – und Catherines
verrückte Welt steht Kopf …
Über die Autorin
Ceren Ucar wurde 1995 im österreichischen Wien geboren
und lebt bis heute dort. Seit dem Jahr 2010 besucht sie die
Höhere Lehranstalt für Tourismus und wirtschaftliche Berufe
Bergheidengasse mit Ausbildungsschwerpunkt Tourismus und
Freizeitmanagement. Zu ihren Leidenschaften zählen neben
dem Lesen und Schreiben ihre Reisen in fremde Städte.
Impressum
Catherine und ihre verrückte Welt (1. Auflage 2014)
Autor: Ceren Ucar
Lektorat: Iris Bachmeier
Covergestaltung: Jasmin Waisburd
Bild: © Bigstockphoto.com
Roman Verlag © 2014
http://www.romanverlag.com
207 Taaffe Place, Office 3A
Brooklyn, NY 11205, USA
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt.
Alle Rechte, auch die der Übersetzung, des Nachdrucks und
der Vervielfältigung des Werkes oder Teilen daraus, sind
vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf ohne schriftliche
Genehmigung des Verlags in irgendeiner Form (Fotokopie,
Mikrofilm oder ein anderes Verfahren), auch nicht für Zwecke
der Unterrichtsgestaltung, reproduziert oder unter
Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt
oder verbreitet werden.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen,
Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch
ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass
solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und
Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären
und daher von jedermann benutzt werden dürften.
Trotz sorgfältigem Lektorat können sich Fehler einschleichen.
Autor und Verlag sind deshalb dankbar für diesbezügliche
Hinweise. Jegliche Haftung ist ausgeschlossen, alle Rechte
bleiben vorbehalten.
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1 Prolog
„Wenn Sie nach einer gewissen Zeit fertig sind, wenn Sie ihre
Ziele schon erreicht haben, wenn Sie nicht mehr den Weg
gehen müssen, den Sie schon zuvor gegangen sind, dann
gratuliere ich Ihnen, Sie können gehen … Sie können Ihre
Koffer zusammenpacken und sich nie wieder blicken lassen.
Gehen Sie nur, los, verschwinden Sie doch! Schaffen Sie
Platz für andere, die genauso denken, wie Sie damals vor
langer Zeit gedacht haben.
Oh ja, wie sehr Sie auf diesen Tag fixiert waren. Das
Einzige, woran Sie noch denken konnten, war dieser Tag.
Dieser Moment, wo Sie ihre Koffer zusammenpacken dürfen.
Haben Sie sich das Ganze so vorgestellt? Haben Sie Jahre
nur mit Streben verbracht, damit man Sie nie wiedersehen
darf? Ich glaube, das haben Sie. Vielleicht wussten Sie
damals nicht, dass Sie eines Tages so enden würden, aber
das ändert nichts an der Tatsache, dass Sie nun gehen
müssen. Achten Sie darauf, dass ich nicht ‚können‘ gesagt
habe, sondern ‚müssen‘.
Sie müssen gehen … Und falls Sie noch immer nicht
glauben, dass Sie gehen müssen, werde ich Ihnen eine
Geschichte darüber erzählen …“, ging es mir durch den Kopf.
Keine Ahnung, was der Direktor einer Schülerin sagen
würde, die ihre Schule absolviert hat, aber ich schätze, er
würde so ähnlich reagieren und mir solchen Kram erzählen,
dass ich jetzt fertig sei und gehen dürfe.
Es war so weit. Ich hatte es bald geschafft und stand vor
dem Ziel. Ehrlich gesagt, ich wusste wirklich nicht, was in den
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vergangenen Jahren aus mir hätte werden sollen und was
eigentlich aus mir geworden war.
Meine Abschlussprüfungen hatte ich hinter mir, meine
Projekte, die ich beenden musste, waren endgültig vorbei.
Jetzt konnte ich noch einen Schritt weitergehen und einen
Blick in die Arbeitswelt werfen. Oder ich würde zu Hause
bleiben, vor dem Fernseher hocken und weiterhin sehen, wie
die Zeit davonrennt.
Ich würde zu den „Probierern“ gehören. Stimmte das?
Gehörte ich zu der Kategorie, die das nur probieren wollten?
Selbst wenn ich eine Karriere beginnen würde, würde ich
das auch nur aus Lust und Laune machen und wäre dann nur
das Probieren mein Ausgangspunkt? Oder wusste ich genau,
was ich machen würde, nur fiel es mir vor lauter Freude nicht
ein? So schwer war es anscheinend, eine richtige
Entscheidung zu treffen, wenn man reif genug für gewisse
Entscheidungen war.
Ich plagte mich so sehr mit dem Thema, dass ich mir nach
einer Weile nur noch ein Bild von meiner zukünftigen Karriere
machte. Wie sich mein Leben verändern würde und in
welcher Position ich sein könnte. Meine Entwicklung, meine
Erlebnisse und die Erfahrungen, die ich machen würde. So
leicht es auch klang, es würde immer ein Auf und Ab geben
und ich würde öfter Entscheidungen treffen, die ich mir
nachher anders überlegen würde.
Der Direktor in meinem Unterbewusstsein hatte vermutlich
recht, das Glauben und Wollen ist entscheidend. Sobald
man an sich glaubt, ist man bereit, sich von der Klippe fallen
zu lassen. Die Augen schließen und einfach nur fallen lassen,
ob man am Ende am Boden landet oder irgendwo im
Nirgendwo, davon hängt es gar nicht ab. Hatte der Direktor
versucht, mir das zu erklären? Wollte er mich überreden,
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dass ich in die Leere springe und warte, bis etwas auf mich
zukommt? „Falls Sie zu den Probierern gehören, dann sollten
Sie auch dahinterstehen und es wenigstens probieren“, hörte
ich ihn noch einmal sagen.
„Und was passiert, wenn ich nicht wirklich dort lande,
wo ich eigentlich landen wollte, und ich dann irgendwo liege
und denke, dass ich doch nicht hätte springen sollen?“
„Würden Sie es bereuen, wenn Sie eine Torte kreieren,
die Ihnen gelingt und gut schmeckt, aber nicht gut aussieht …
Würden Sie es dann bereuen, dass Sie diese Torte überhaupt
gebacken haben?“, fragte er mich.
Die Torte … über die dachte ich eine Weile nach. Der
Direktor würde auf keinen Fall mit mir über das Fallen von
einer Klippe reden oder über eine gelungene oder nicht
gelungene Torte oder was weiß ich. Das wären zu
persönliche Themen, zu direkt, tabu … Das wären Passagen,
über die man mit einem Direktor nicht reden könnte …
Ob ich die Torte wirklich bereuen würde? Darüber
dachte ich sehr lange nach, zumindest kam mir die
Zeitspanne sehr lange vor. Aber meine Gedanken
veränderten sich nicht und das Einzige, was ich wusste, war,
dass ich gar nichts wusste.
„Ich weiß es nicht, Herr Direktor, ich weiß es wirklich nicht
…“
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Es ist nicht lange her, dass ich mich auf die Waage gestellt habe und mit meinem Gewicht zufrieden war, aber siehe da - ich habe reichlich zugenommen. Mein ganzer Körper hat Fett angesetzt. Meine Brustgröße hat sich verdoppelt. So verdoppelt, dass ich sie als weibliche Person gar nicht würde anfassen wollen. Ich meine, was fange ich mit diesen megagroßen Hängebusen an? Nicht einmal ein Baby würde daran saugen wollen, wenn ich eines hätte.
Und ein sexy gebauter, muskulöser, junger Mann schon gar nicht! Groß? Schön und gut, aber fett und hängend? Nein, danke. So würde vermutlich jeder denken. Also bin ich froh, dass sie sie gar nicht sehen und ich bin mehrfach froh, dass sie nicht mit ihnen in Berührung kommen müssen. Wenn nur meine Titten das Problem wären, würde mich dies beruhigen und ich würde mir keine Sorgen um mein Gewicht und Aussehen machen, aber da fängt es leider erst an. Über meine Hüften will ich gar nicht reden. Man würde glauben, ich wäre von einem fitten und attraktiven Menschen (Na schön, vielleicht war das Adjektiv „attraktiv“ nun wirklich übertrieben.) zu einem übergewichtigen Menschen mutiert. Ich könnte kotzen, wenn ich meine umfangreichen Oberschenkel im Spiegel sehen muss. Noch dazu habe ich wieder Pickel im Gesicht, als wäre ich eine Mischung aus Erwachsener und Teenager. Oh Gott, die Vorstellung ist schon Angst erregend! Langsam mache ich mir Sogen um mich …
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Als ich mit dem Kritisieren fertig war, habe ich mich auf
mein Bett gesetzt und angefangen, über meine gewaltige
Veränderung nachzudenken. Wann hatte es angefangen?
Wie hatte ich das geschafft? Nachdem mir einfiel, wo
der Haken war, habe ich angefangen zu weinen. Ich saß da,
allein und verzweifelt, bedeckte mein Gesicht mit den
Händen und heulte. Ab und zu schluchzte ich so laut, dass
ich mir kurzfristig Gedanken über meine Nachbarschaft
machen musste. Ob sie wirklich gehört hatten, dass eine
junge Dame wie ich kreischte wie ein kleines Kind, wenn sie
mal zu weinen begann? Darüber konnte ich mir den Kopf
nicht zerbrechen, schließlich hatte ich andere Probleme, über
die ich mir Gedanken machen sollte.
Was interessierte mich meine Nachbarschaft? Ich hätte
mich auch über Mrs. Alen beschweren können, die ich
manchmal in der Nacht stöhnen hörte, obwohl sie
alleinstehend war. Da konnte ich richtige Grimassen
schneiden, wenn es mal dazu kommen sollte, dass ich auch
Gerüchte verbreiten musste.
Oder der alte Typ von nebenan, der jeden Tag
Selbstgespräche mit seinen Katzen führte? Sollte man solche
Leute nicht als „psychisch gestört“ bezeichnen? Leuten wie
Mr. Andrew fällt es nicht auf, wie merkwürdig sie sich
benehmen. Aber wenn man mal seinen Gefühlen freien Lauf
ließ und auf übertriebene Art und Weise weinte, dann war
man die schlimmste Person, die man in der Nachbarschaft
sein kann. Und dann würden sie ständig nur über einen
reden und Gerüchte verbreiten, die mit der Realität kaum
etwas zu tun hatten.
Ich hätte wetten können, dass Mrs. Alen morgen früh vor
der Tür von Mr. Andrew, dem alten Typen, stand und sagte:
„Schönen guten Morgen, Mr. Andrew!“ Oh, schönen guten
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Morgen, Mr. Andrew! Was für unglaubwürdige
Begrüßungen manche Menschen von sich geben konnten!
Das war ja auch nur der erste Satz, dann ging es noch
schräger weiter. Mrs. Alen war eine moderne, typische
elegante Frau. Deswegen benahm sie sich auch weiblicher
als alle anderen Frauen. Sie faltete jedes Mal ihre Hände,
wenn sie vor Mr. Andrews Haustür stand und ihm über den
vergangenen Tag erzählen wollte. Das machte sie sehr
häufig oder besser gesagt, fast immer.
„Haben Sie gehört, wie Catherine gestern geweint hat?
Wie peeeeeeinlich!!!“, würde sie fortfahren. Anschließend
würde sie anfangen, laut zu lachen, sodass es jeder hörte
und dachte, dass sie eine glückliche Person wäre und immer
einen Grund hätte, über etwas zu lachen. Dabei wirkte sie
nicht glücklich, sondern gestört. So richtig, richtig gestört!
Aber das wusste sie selber nicht und ich dachte, niemand
würde sie darauf aufmerksam machen. Ob sie auch wollte,
dass die anderen dachten, sie hätte eine Art Beziehung mit
Mr. Andrew, da war ich mir noch nicht ganz sicher.
Schließlich lachte er immer mit, obwohl er keine Ahnung
hatte, weshalb und worüber sie lachten. Dieser humorvolle
Moment (wenn man ihn als humorvoll bezeichnen kann) und
diese Lacherei gingen eine Weile weiter, bis sie sich wieder
beruhigt hatten. Und wenn sie sich beruhigt hatten, dann
atmeten sie einmal tief durch und wünschten einander noch
einen schönen Tag. Anhand dieser Begrüßung und diesem
vollendeten Abschied hätte man, selbst wenn man diese
beiden überverrückten Personen gar nicht kannte, gleich
feststellen können, dass an ihrer Persönlichkeit etwas faul
war.
Ich habe mir manchmal überlegt, ob Mr. Andrew nur
Gespräche mit seinen Katzen führte, weil er außer seinen
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Tieren niemanden hatte, war mir aber dann doch nicht sicher
und blieb fest überzeugt, dass er in gewisser Hinsicht
verrückt war. Seine Katzen waren von großer Bedeutung für
ihn. Jeden Tag streichelte er sie liebevoll und sprach mit
ihnen, erzählte ihnen über seine Vergangenheit, Gegenwart
und Zukunft. Wie zärtlich und geschmeidig er jedes Fell
berührte, wie rücksichtsvoll er mit ihnen umging. Belehrte sie
über die Einsamkeit, unter der er jahrelang gelitten hatte. Mr.
Andrew filterte jedes einzelne Wort in seinem Mund und
sprach sie sorgfältig aus, als würde er ein Kleinkind in den
Schlaf wiegen. Er redete manchmal über „Samantha“.
Flüsternd und besorgt klang er, wenn er den Namen
„Samantha“ aussprach. Seine Stimme zitterte jedes Mal,
wenn er sagte „Samantha würde das nicht akzeptieren“
oder „Samantha hat uns das verboten …“
Bis jetzt hatte ich nicht genau feststellen können, wer
Samantha war, und traute mich nicht, ihn darauf
anzusprechen, denn wenn er über sie sprach und ich an ihm
vorbeiging, schaute er mich kurz an und verschwand mit
seinen Katzen im Haus.
„Kommt, meine Lieben, kommt. Samantha möchte, dass
wir nach Hause gehen“, sagte er, während er sie auf den
Schoß nahm.
Ich schnäuzte mir und versuchte mich wieder aufrecht
hinzusetzen, sodass ich mir vorstellen konnte, ich könnte mich
selbst motivieren und mir einreden, ich könnte diese Kalorien,
die ich zu mir genommen hatte, wieder verbrennen.
Natürlich war das reine Einbildung, wie sollte ich eine
derartige Fettmasse wieder wegkriegen? Natürlich war ich
selber schuld, das war mir schon klar, aber wie hätte ich
wissen sollen, dass die Konsequenzen so hart sein würden?
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Als Kind denkt man gar nicht daran, wie sehr sich sein
Leben verändert, wenn man einmal das wird, was man
werden wollte. Ich war oft abenteuerlustig und habe mich
immer gefreut, wenn ich mit verschiedenen Lebensmitteln
experimentieren durfte und Essbares dann nachher essen
konnte.
Einmal habe ich Mehl mit Wasser vermischt. Dann
Lebensmittelfarbe hinzugefügt und kräftig mit den Händen
durchgeknetet. Danach gab ich Backpulver, Milch und
geriebene Mandeln dazu und knetete die Masse wieder
schön durch, sodass Mehl an meinen Wangen kleben blieb
und ich ein Stück vom Teig auf der Nase hatte. Dann gab ich
meistens Zucker und Eier dazu. Wesentlich mehr Zucker, als
ich dazugeben sollte, und verarbeitete ihn erneut. Dabei
führte ich Selbstgespräche wie Mr. Andrew von nebenan und
bildete mir ein, ich wäre eine der berühmten Köchinnen, die
man so im Fernsehen zu sehen bekam.
„Willkommen bei Catherines Show! Heute werden wir
wieder ganz tolle Leckereien kochen, zumindest hoffe ich
das, versprechen kann ich’s nicht! Aber selbst wenn aus
diesen Rezepturen nichts wird (die eigentlich keine
Rezepturen sind, weil ich sie nämlich ganz spontan erfinde),
dann werden wir uns trotzdem freuen und denken, dass wir
zumindest eine nette Zeit verbracht haben. Also bleibt
dran!“, rief ich laut in der Küche. Martha Stewart wäre
wahrscheinlich enttäuscht von mir gewesen, wenn sie mich
und meinen ordinären Körper gesehen hätte.
„Habe ich dir das so beigebracht? Hast du gedacht, du
würdest so werden wie ich?“, hörte ich ihre Stimme in
meinem Kopf schwingen. Sie war wirklich ein Vorbild für
mich. Es gab auch Momente, wo ich mich als Martha
Stewart ausgegeben habe.
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Einmal fragte mich Mrs. McKenzie, eine neue Lehrerin,
die wir in der zweiten Klasse bekamen, nach meinem
Namen.
„Martha Stewart, sehr erfreut“, sagte ich stolz und reichte
ihr meine Hand. Sie warf mir einen seltsamen Blick zu, den
ich nicht deuten konnte. „Mögen Sie denn Martha Stewart
nicht?“, fragte ich enttäuscht, nachdem ich nicht wusste,
weshalb sie mich dermaßen merkwürdig anguckte. Und ihr
Gesichtsausdruck veränderte sich auch nicht, als sie eine
Augenbraue hob und wie in Zeitlupe nickte.
„Ganz meinerseits, Mrs. Stewart“, sagte sie, aber in
meinen Ohren klang es eher so: „Deinen Namen werde ich
mir merken, und ich bin sicher, wir beide werden uns sehr
amüsieren.“ Ob wir uns amüsiert haben? Ich denke, ich
konnte froh sein, dass wir überhaupt miteinander
zurechtkamen.
Was ich da gezaubert hatte, hatte eher wenig
Ähnlichkeit mit einem Teig. Zumindest sah es nicht appetitlich
aus und heute würde es mir den Magen umdrehen, wenn ich
das essen müsste. Aber mit mehr Erfahrung hätte es sich zu
einem leckeren Makronenteig entwickeln können, wenn ich
so eine französische Köstlichkeit in dem Alter schon gekannt
hätte.
Manchmal versteckte ich mich unter dem Bett und nahm
so viel zu essen mit, dass mir im Nachhinein immer schlecht
wurde. Zuerst leckte ich zum Beispiel an einer Erdbeere und
ließ das Aroma auf meiner Zunge zergehen. Dann roch ich
an Sojasauce und rieb ein Stück Schokolade an meinen
Zähnen, sodass geriebene Schokostückchen in meinem
Mund blieben. Warum ich an der Sojasauce roch, weiß ich
nicht, aber ich hatte wohl unbewusst die Tatsache im Kopf,
dass Süßes und Pikantes beziehungsweise Salziges eine gute
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Kombination ist. Dann biss ich ein Stück von der Erdbeere ab
und schon hatte ich ein Gefühl, als hätte ich die Erdbeere in
Schokoladenfondue eingetunkt und das dann genossen.
Diesen Vorgang wiederholte ich mit fast allen Früchten.
Damals ist es mir nicht aufgefallen, aber ich muss sagen,
dass das mein erster Schritt war, welcher mich zu meiner
Kochkarriere hinführte, und der wesentliche Grund, weshalb
ich heute so dick geworden bin und mein Spiegelbild nicht
ertragen kann. Wie gesagt, ich bin unter großer Mühe und
durch einen starken Willen Köchin geworden. Ich habe nicht
behauptet, dass aus mir eine „erfolgreiche Köchin“
geworden ist. Ziemlich weit weg bin ich von dieser
Bezeichnung, aber kochen werde ich wohl können, wenn ich
Köchin von Beruf bin.
Nachdem ich mich zusammengerissen hatte, stand ich auf
und machte mich auf den Weg zum Badezimmer. Ich öffnete
meinen Zopf und ging mit den Fingern durch meine braunen,
langen Haare. Dabei konzentrierte ich mich auf meine
blauen Augen in meinem Spiegelbild. Wenn ich meinen
Körper hätte übersehen können, dann hätte ich gesagt: „Du
bist zum Anbeißen!“
Da ich das nicht konnte, zog ich meine Kleidung aus und
stellte mich in die Dusche. Langsam ließ ich warmes Wasser
über mein Gesicht laufen und dachte dabei an den
kommenden Tag, den ich wieder in der Küche verbringen
wollte. Seit einigen Monaten arbeitete ich in einem sehr
berühmten Restaurant in Manhattan, New York, und ich muss
sagen, ich war begeistert, obwohl ich am Anfang Vorurteile
hatte. Eigentlich habe ich sie fast bei jedem und bei allem.
Ich denke, Vorurteil bedeutet Sicherheit und Vorsicht.
Vielleicht wäre es schlimmer, wenn ich gar nicht vorurteilsvoll
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wäre. Zumindest habe ich diese Seite meines Charakters
noch nie bereut. Das Restaurant sah sehr altmodisch aus, war
aber von innen sehr modern. Designerstühle und -tische
befanden sich darin, und die kreativsten Porträts und Bilder
von den berühmtesten Künstlern der ganzen Welt hingen an
den Wänden.
Die Gäste kamen nicht nur aus Manhattan, sondern auch
von anderen Städten und Orten. Sie kamen von überall. Am
Anfang war das ziemlich ungewohnt für mich, aber mit der
Zeit habe ich mich daran gewöhnt. Da ich in meiner Schulzeit
die Ehre hatte, mit vielen Sprachen Bekanntschaft machen zu
dürfen, war das nicht so ein riesiges Drama für mich. Ich
spreche sie zwar nicht alle fließend, aber meistens bilde ich
eine Kombination aus verschiedenen Sprachen und mische
viele Wörter zusammen. Und wenn diese Methode auch
nicht klappt, dann verwende ich die Körpersprache!
Nachdem manche Bewegungen international sind, denke
ich, wäre das der letzte Ausweg, um sich erfolgreich
verständigen zu können. Zwei Klassiker wären zum Beispiel
„Daumen hoch“ oder „Daumen runter“. Das mache ich,
wenn ich wissen will, ob alles im grünen Bereich ist oder
wenn ich jemandem zustimmen will. Wobei ich erwähnen
muss, dass auch diese Zeichen von verschiedener Bedeutung
sein können. Wenn ich in Australien oder Nigeria wäre,
würde ein „Daumen hoch“ zu einem Problem führen,
schließlich wäre das dort ein obszönes Schimpfwort.
Natürlich kann die Körpersprache auch missverstanden
werden, da in verschieden Kulturen manches anders
wahrgenommen wird. In Amerika sollte man zum Beispiel
jeden oder jede anlächeln, in Japan dagegen ist das anders.
Männer sollten in der Öffentlichkeit nicht viel lachen und
Frauen dürfen beim Lachen nicht ihre Zähne zeigen. Also:
Achtung bei Japanern und Japanerinnen!
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Nachdem ich mit dem Duschen fertig war, zog ich mich
an und machte mich startbereit für den heutigen Tag. Ich
blickte noch kurz in den Spiegel (Das war wirklich ein kurzer
Blick, schließlich hätte ich es nicht gewagt, das
hervorstehende Fett an meinen Hüften zu betrachten, denn
ich war mir sicher, mir würden die Würstchen hochkommen,
die ich in der Früh schnell verschlungen hatte.), holte meine
Autoschlüssel und ging aus dem Haus. Seit vielen Monaten
wohnte ich in einem von diesen Reihenhäusern. Ich habe
noch nie zuvor in einem Reihenhaus gewohnt, deswegen
brauchte ich noch eine Weile, bis ich mich daran gewöhnt
hatte, das Gefühl zu ignorieren, sich von den anderen nicht
zu unterscheiden. Ich meine, ich gehe hinaus und sehe eine
Reihe von gleichen Häusern und die meisten in der
Nachbarschaft gehen selbstverständlich arbeiten und
kommen ungefähr zur selben Zeit wieder nach Hause.
Ich stieg in mein Auto, aber der Motor wollte partout
nicht anspringen. Nach ein paar Versuchen gab ich es auf
und stieg aus dem Auto. Die Minuten kamen mir wie Stunden
vor, denn ich wusste nicht, was ich tun sollte, und geriet in
Panik. Statt mir schnell eine alternative Lösung auszudenken,
bekam ich einen Wutanfall und fing an, den hinteren Reifen
meines Autos mit meinem rechten Fuß zu attackieren. Dabei
schrie ich, soweit ich es mitbekommen habe, den Reifen
verärgert an und machte nach jedem Wort eine kurze Pause.
„Du verflixter, runder, nutzloser, schwarzer, hässlicher
Reifen!“, blieb mir im Kopf hängen. Dann versuchte ich die
Ruhe zu bewahren und tat nun das Sinnvollste, nämlich das,
was ich vor der Attacke schon hätte machen sollen, und
suchte eine Lösung. „Also gut, Catherine, schön tief
durchatmen!“, murmelte ich vor mich hin. Ein Taxi würde zu
lange brauchen, bis es bei mir ankam, und Mrs. Alen, die
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Tussi von nebenan, wollte ich schon gar nicht fragen, ob sie
so nett wäre und mich in die Arbeit fahren könnte.
„Oh, schönen guten Morgen, Mrs. Alen! Wären Sie so
nett und könnten mich zur Arbeit fahren?“, müsste ich mit
gefalteten Händen sagen. Sie würde mir im Auto derart auf
die Nerven gehen und ich müsste jederzeit damit rechnen,
dass sie mir den Moment vor Augen halten würde, wo ich
geweint hatte. Dann würde ich sie anbrüllen und sie frech
fragen, wie es in der vergangenen Nacht war und ob ihr
imaginärer Freund es ihr richtig besorgt hatte. „Na Mrs. Alen,
wie war es denn gestern Nacht? Mir schien, die Performance
ihrer Hand war hervorragend! Sie sollten sie öfters
anwenden“, würde ich sagen.
Also beschloss ich, mein Fahrrad zu benutzen. Ich weiß,
es klingt verrückt, aber ich hatte keine andere Wahl. Eine 21-
Jährige, die seit ihrer Kindheit immer unfähig war und kein
Fahrrad lenken konnte, saß nun auf dem Fahrradsitz, um in
die Arbeit fahren zu können.
Soweit ich mich erinnern kann, habe ich mein Fahrrad für
meine Kochexperimente benützt. Dass ich, während die
Reifen sich drehten, auf dem Fahrradsitz einen Handstand
machte und gleichzeitig versuchte, mit der Zunge
Vanillepudding aus der Schüssel zu essen, die ich am Sitz
festgebunden hatte, war sehr ausgefallen. Sicher bin ich kurz
darauf am Boden gelandet, aber das war es wert.
Nachdem ich mit dem Fahrrad in die Arbeit fuhr, musste
ich mir keine großartigen Gedanken über den Verkehr in der
Stadt machen. Ich fuhr zwar nicht auf dem Fahrradweg, gab
aber trotzdem Acht auf Personen, die sich jedes Mal
aufregten, wenn ich an ihnen vorbeifuhr. „Entschuldigung!“,
oder „Tut mir leid!“, oder „Verzeihung!“, rief ich hinter ihnen
her. Ob sie meine Entschuldigung annahmen, daran war ich
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nicht interessiert. Hauptsache, ich schaffte es noch rechtzeitig
in die Arbeit.
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3
Als ich bei der Arbeit ankam, war ich froh, dass Mrs. Hall,
die Besitzerin des Restaurants, nicht in der Nähe zu sehen
war.
Mann, Catherine, du Glückspilz! Du hast richtig Schwein
gehabt, meine Liebe!, dachte ich und stellte mein Fahrrad
ab. Also diese Frau, meine Chefin, konnte einen richtig
niedermachen, wenn sie jemanden sah, der zu spät zur
Arbeit erschien. Sie würde mit einem Mixer in die Augen
desjenigen hineinfahren und diese zuerst durchmixen, bis die
Hälfte der beiden Augen hinausfiele. Dann kämen ihre Füße
an die Reihe. Sie würde die halben Augäpfel mit dem Fuß zu
einer flüssigen Masse zerstampfen. Anschließend würde sie
einen anlächeln und fragen, ob man gut geschlafen hätte,
schließlich gäbe es gar keinen anderen Grund für das
Zuspätkommen. Wohnte man nicht in der Nähe, dann sollte
man auf den Schlaf verzichten. Hatte man in der
vergangenen Nacht eine fette Party veranstaltet, so sollte
man wieder auf den Schlaf verzichten und früher aufstehen.
Das Beste war, sie würde nicht einmal auf die Antwort
warten und eine akzeptable Erklärung verlangen, sondern
einem mit der Hand den Kopf hinunterdrücken und die
flüssige Masse, die sie zuvor hergestellt hatte, vor die Nase
halten, bis einem schlecht wurde.
„Falls das noch einmal passieren sollte, werden Sie Ihre
pürierten Augen essen müssen, verstanden?“, würde sie
drohen. Und wieder würde sie nicht auf die Antwort warten,
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sondern einfach gehen. Ich gebe zu, dass das jetzt
übertrieben war, aber sie war wirklich unerträglich. Am
besten, man erfüllte ihre Wünsche und ging ihr aus den
Augen, sonst hatte man das starke Bedürfnis, diese Frau an
einen Lastwagen anzuhängen und in der Gegend
herumzuschleifen.
Als ich im Umkleideraum stand und mit dem Umziehen
fertig war, dachte ich, dass dieser Abschnitt meines Lebens
mein letzter wäre. Noch wollte ich durch die Tür hinausgehen
und den Raum verlassen, aber wen sah ich? Mrs. Hall, die
blonde Hexe mit ihren langen Beinen. In Wahrheit war das
ein Kompliment für sie, denn das waren die einzigen
Körperteile, dich ich an ihr mochte. Mit diesen langen Beinen
hätte sie „Miss Universe“ werden können, das schwöre ich.
Mein ganzer Körper zitterte vor Angst und ich wusste nicht,
was ich sagen sollte. Der Boden bebte unter meinen Füßen,
und sie blickte nur in meine Augen, als würde sie mich gleich
köpfen. Dass ich sie furchteinflößend fand, lag nicht an ihrer
starken Persönlichkeit oder ihren strengen Regeln. Den Job,
für den ich hart gearbeitet hatte, wollte ich nicht verlieren.
Das Restaurant war eines der besten, die es in Manhattan
gab. Deswegen konnte sie sich solche Aktionen leisten, was
die Pünktlichkeit oder die Leistung betraf. Mrs. Hall hätte
Hunderte von Mitarbeitern finden können, die Schlange
gestanden hätten, um in diesem Restaurant arbeiten zu
dürfen.
Sie näherte ihr Gesicht, bis es nur noch ein paar
Millimeter von mir entfernt war, und ich spürte ihren Atem.
Auf der Nase, auf meinen Lippen und sogar auf meinen
Wangen.
„Miss Catherine …“, erklärte sie. Ehe ich noch eine
Antwort geben konnte, beendete sie ihren Satz und sprach
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weiter: „Ich beobachte Sie genau, das wissen Sie doch,
oder?“ Ich nickte nur, und sie verschwand. Mrs. Hall wusste,
dass ich zu spät kam, aber anscheinend wollte sie mich nicht
feuern. Diese Drohung sollte ein Zeichen dafür sein, dass sie
über alles informiert war. Schnell schnappte ich noch meine
Kochmütze und begab mich in Richtung Küche.
Dort lief es einigermaßen gut. George, der Südafrikaner,
hatte die Küche und das Personal im Griff. Er konnte das und
er wusste, wie man mit Stress umgeht. Eigentlich wusste er
generell, wie der Tag ablaufen sollte, obwohl er nicht der
Küchenchef war. Man hätte ihn sogar als Experten
bezeichnen können, was das Führen einer Küche anging.
George war einer der wenigen, mit denen ich mich verstand
und mit denen ich über mein Privatleben reden konnte. Er
hatte in seiner Heimat eine Kochschule absolviert und genug
Erfahrung gesammelt. Als wir uns zum ersten Mal sahen,
erzählte er mir, wie er eine Europatour gemacht hatte. Der
29-Jährige war für seine Arbeitgeber von wichtiger
Bedeutung. Seine Karriere begann in Paris, wo er als Chef de
Partie arbeitete, aber seinen Durchbruch hatte er
erstaunlicherweise in Italien, obwohl er fast keine Ahnung
von der italienischen Küche hatte. Nach Manhattan kam er
erst später, weil seine Freundin Alice versetzt wurde und er
ohne sie nicht konnte.
Also begrüßte ich George wie jeden Morgen: „Hey, du
Kuvertüre, wie läuft’s denn so?“ Ich nannte ihn manchmal so,
weil mich seine Hautfarbe immer an diese leckeren, kleinen,
braunen Schokostückchen erinnerte. Außerdem liebten wir
beide Schokolade über alles, und das war schon ein Grund,
ihn Kuvertüre zu nennen.
„Perfekt, wie soll es denn laufen? Ich sollte wohl eher
fragen, wie es bei dir läuft? Ich denke, nicht so gut?“, sagte
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er und grinste. Er machte sich öfter über mich lustig, daran
war ich gewöhnt, aber dass er mich an Mrs. Hall erinnerte,
machte mich wahnsinnig. Wir konnten sie beide nie leiden,
nicht weil sie unsympathisch war oder aus irgendeinem
Grund, der mit ihren Eigenschaften zu tun hatte. Sie war … sie
war einfach seltsam. Oh ja, ich denke, dass das die richtige
Bezeichnung für Mrs. Hall ist.
„Wie soll es denn laufen!“, antwortete ich und verdrehte
die Augen. Kuvertüre lachte natürlich wieder und meinte, ich
solle ihm bei der heutigen kalten Vorspeise helfen. In der
Küche waren noch Tom der Dicke, Leonardo, der Spezialist
für die mexikanische Küche, Charlotte, die ständig etwas zu
meckern hatte, und noch eine paar Chefs und Commis, die
ich kaum kannte. Tom war im Gegensatz zu mir richtig dick,
aber das lag daran, dass er ständig aß, während er etwas
zubereitete. Er war der Lustigste von allen, und auch ein
bisschen naiv. Ob er auch rohe Eier essen würde, wenn er
nur Spiegeleier machen müsste?
Leonardo war eher ein Romantiker, liebte die
mexikanische Küche und war scharf auf scharf. Sein Leben
bestand aus seiner Frau, der Liebe und mexikanischem Essen.
Oder doch umgekehrt? Auf jeden Fall waren das die
wichtigsten Punkte, die er aufgezählt hätte, wenn man ihn
darauf ansprach. Charlotte, die blöde Kuh, die sich ständig
aufregte, war im Großen und Ganzen eigentlich okay. Außer,
dass ich die Haarfarbe nicht mochte, die sie seit Kurzem trug.
So viel zu den schrägsten Mitarbeitern, die man je haben
konnte.
Mit der kalten Vorspeise war ich fast fertig. Den Salat mit
Mozzarella und Tomaten musste ich noch würzen und dann
konnte man ihn schon servieren. Die Vorspeise gab ich weiter
und war froh, für ein paar Minuten Luft schnappen zu
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können. Während George mit dem Dessert beschäftigt war,
stellte ich mich zu ihm und versuchte ein Gespräch
aufzubauen, damit ich mich in diesen Minuten nicht
langweilen musste. Ich fragte ihn nach Alice, wie es ihr ginge
und ob sie sich schon überlegt habe, wie es wäre, wenn sie
ein Kind zur Welt bringen würde. Alice war etwas nervös,
wenn es um Kinder ging. Sie wäre eine zu besorgte Mutter
und hätte Angst, Fehler zu begehen. Fehler, die sie bei der
Erziehung nie wiedergutmachen könnte. Aber das gehörte
eben dazu, und selbst wenn sie das Schwangerwerden jetzt
verschob, würde irgendwann die Zeit kommen. Länger
konnte sie sich nicht mehr drücken.
„Sie ist sich noch nicht ganz sicher. Ich verstehe sie auch,
aber wir sind schon seit einer Ewigkeit zusammen und ich
würde sie unterstützen, soweit ich kann. Verstehst du?“,
fragte er und klang sehr verzweifelt.
„Ich verstehe dich, aber wichtig ist, dass Alice dich
versteht“, antwortete ich und hoffte, dass ich ihn beruhigen
konnte. Meiner Meinung nach sollte George ganz anders
reagieren. Es würde mir ungeheuer auf die Nerven gehen,
wenn meine Frau das Schwangerwerden immer wieder
verschieben würde. Frauen sind empfindlich, und ein Kind ist
eine ungewöhnliche Sache für sie, aber das Davonrennen
wäre auch keine Lösung.
Als ich so in Gedanken vertieft war, war es Georges
Stimme, die mich in die Gegenwart zurückholte. „Catherine,
Catherine!“, hörte ich ihn rufen. Er wiederholte meinen
Namen so oft, dass ich nach einiger Zeit genug hatte.
„Was ist?!“, rief ich so laut, dass George
zusammenzuckte. „Ach, tut mir leid. Ich wollte nicht so laut
reden“, teilte ich ihm mit, was in Wahrheit gar nicht stimmte.
Warum sollte ich laut reden, wenn ich gar nicht laut reden
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will. Aber ihm schien das auch ziemlich egal zu sein, denn er
gab keine Antwort und setzte fort, was er zuvor sagen wollte.
„Catherine, bitte sag mir, womit du die Vorspeise
gewürzt hast?“, fragte er besorgt.
„Die Vorspeise habe ich mariniert, wieso fragst du?“
„Das ist mir schon klar, dass du eine Marinade hergestellt
hast. Ich möchte wissen, welche Gewürze da drin waren!“
„Mann, George, reg dich mal ab! Ich habe eine ganz
gewöhnliche Marinade aus Öl, Essig, Salz und Pfeffer
gemacht. Und kannst du jetzt so nett sein und mir sagen,
warum du dich so aufregst und wissen willst, was in dieser
blöden Marinade war?“ Also das war der übertriebenste
Moment, den ich je mit der Kuvertüre erlebt hatte. Es war nur
eine Marinade und kein Chemieexperiment, bei dem ein
Fehler zu einer Explosion führen konnte.
„Und was ist mit diesem Zuckerbehälter vor dir?“, fragte
er neugierig. Nun wusste ich, worauf er hinauswollte. Von
diesem Augenblick an war mir klar, dass kleine Fehler sich zu
großen Fehlern entwickeln konnten. Kurz gesagt: Ich war am
Arsch. Sofort machte ich einen Aufstand und plapperte
dahin, dass Mrs. Hall mich entführen und in den Wald
verschleppen würde, wenn sie das erfuhr. Dort würde sie
mich kopfüber an einem Baum aufhängen und mir mein Haar
abschneiden. George fasste mich am Arm und teilte mir mit,
dass ich mich beruhigen solle.
„Sie wird sicher nicht darauf kommen, dass du so dumm
warst und eine Menge Zucker statt Salz in die Vorspeise
gekippt hast“, erklärte er liebevoll und lachte wieder.
Ich war verloren, ich war am Ende … Schon hatte ich ein
Leben ohne Job vor Augen. Was ich machen würde, wenn
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ich kein gutes Einkommen mehr hätte, und wie es mit meiner
Karriere, die sich eigentlich nie zu einer Karriere entwickelt
hatte, weitergehen würde. Arbeitslos oder sogar obdachlos
würde ich sein. Kein Zuhause, kein Auto und kein Fahrrad …
Auf der Straße müsste ich leben und vielleicht sogar ab und
zu von der Ferne das Restaurant beobachten. George würde
mir Geld geben, wenn er mich auf der Straße herumwandern
sah. Und sogar Mrs. Alen würde sich über mich lustig
machen, weil ich wieder weinen würde. Meine ehemalige
Nachbarin würde sich neben mich setzen und vielleicht
würde ich mir sogar ihre Geschichten über ihre
Selbstbefriedigung anhören.
Ich musste einsehen, dass ich jetzt gehen durfte. Also
nahm ich meine Kochmütze in die Hand und machte mich auf
den Weg zu Mrs. Halls Zimmer. Meine Beine spürte ich kaum
und mein Kopf fühlte sich so an, als würde er in wenigen
Sekunden platzen. Trotzdem hatte ich vor, zu kündigen,
bevor sie es tat. Damit hätte ich mein Leben lang nicht fertig
werden können. Meine Eltern wären enttäuscht von mir,
wenn sie erfahren würden, dass meine Chefin mir gekündigt
hätte, daher dachte ich, es wäre besser, wenn ich meinen
Job aufgab. Dann konnte ich meinen Eltern zumindest sagen,
dass mir die Arbeitsbedingungen nicht mehr gefielen und ich
nicht weiterhin in diesem Betrieb arbeiten wollte. Vielleicht
konnten sie das verstehen und würden nicht denken, dass ich
unfähig war und keine Marinade zustande bringen konnte.
Vermutlich war das auch das Ende meiner Kochkarriere, ich
meine, selbst wenn ich mich in einem anderen Restaurant
bewarb, musste ich eine Erklärung für meine Kündigung
haben, aber die hatte ich nicht. Das Gespräch würde
ungefähr auf diese Weise ablaufen:
„Guten Tag, was führt Sie zu uns?“
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„Ich möchte in Ihrem Betrieb als Köchin arbeiten und bin
der Meinung, dass ich hervorragend koche“, würde meine
Antwort lauten.
„Warum haben Sie Ihren ehemaligen Job aufgegeben?“
„Weil ich gekündigt habe“ Was für ein
Selbstbewusstsein! Da konnten wir gleich über schmutzige
Themen reden, wie zum Beispiel Analverkehr oder „Was ist
deine Lieblingsposition“.
„Weil Sie gekündigt haben, habe ich das richtig
verstanden? Und warum haben Sie gekündigt, wenn ich
fragen darf?“
„Ich war unfähig, eine Marinade herzustellen!“
„Danke, wir werden Sie demnächst anrufen!“, wäre die
letzte Antwort, die ich von dieser Person bekäme, denn
dieser Satz war gleichbedeutend mit „Wir werden Sie nicht
anrufen!“
Nachdem ich mir Gedanken über meine
Vorstellungsgespräche gemacht hatte und mich das noch
mehr demotivierte, überlegte ich, wie sehr ich auch meine
Eltern vermisste. Lucie und Camilla, so heißen meine
Schwestern. Lucie, die Jüngere, arbeitete bei einer
Werbeagentur. Sie war sehr tollpatschig und redete zu viel.
Manchmal stellte ich sie mir wie eine computergesteuerte
Maschine vor, die darauf programmiert war, wie ein
Wasserfall zu reden. Aber sie war die Einzige in der Familie,
die ein wenig Verständnis für meine Kochexperimente hatte.
„Weißt du was, Catherine? Ich finde deine abartigen
Ideen, was das Kochen angeht, sehr interessant. Vor allem,
weil du dir so richtig Mühe gibst und dir jeden Tag anhörst,
was Martha Stewart treibt. Dass du dich dabei nicht
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langweilst, wundert mich sehr, aber das ist ‘ne andere
Sache. Du kannst dir sicher sein, dass du auf dem richtigen
Weg bist, und du darfst nie den Fehler begehen und darauf
hören, was die anderen über dich sagen. Damit meine ich
Camilla, Tante Janette, Tante Susanne, Onkel Boris, unsere
Cousine Charlotte, Kevin, Großvater, Großmutter und den
Rest“, plapperte sie vor sich hin, als wir beide auf unseren
Betten saßen.
„Lucie, ich glaube, du hast mittlerweile die ganze Familie
aufgezählt“, antwortete ich.
„Oh nein, da sind noch viele, die ich nicht erwähnt habe!
Deine Lehrerin, Mrs. McKenzie, deine Sitznachbarin, ich
meine die mit den Locken ...“ Und da bereute ich es schon,
dass ich ihr überhaupt eine Antwort gegeben hatte. Den
letzten Teil ihrer Aufzählung habe ich nicht mehr mitgekriegt,
weil ich schon genug davon hatte.
Lucie hatte richtige Locken, und ihre Haarfarbe war nicht
blond, sondern eher brünett. Die Haarfarbe hatte sie von
meiner Großmutter, zumindest behauptete das meine Mama.
Meine älteste Schwester Camilla war die Intellektuellste von
allen. Sie beschwerte sich immer, wenn man irgendetwas tat,
das nicht ordnungsgemäß oder falsch war, und sie forschte
liebend gern. Camilla war außerdem sehr genau. Wenn man
ihr sagte, dass man sie so sehr liebt, dann hätte sie einen
angeschaut und gefragt: „Wenn du deine Liebe abwiegen
würdest, wie viel Kilogramm würde sie wiegen?“ Oder sie
hätte mich gefragt, wie ich die Liebe, die ich für sie empfand,
definieren würde. „Kannst du mir sagen, wie du das
definierst? Schließlich muss ich mir vorstellen können, was du
unter Liebe verstehst.“
Von diesem Zeitpunkt an wusste ich, ich durfte ihr nie
wieder sagen, wie sehr ich sie liebte. Aber an ihre Fragen
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hatten wir uns schon gewöhnt und konnten sie ignorieren.
Und ich muss zugeben, sie war auch die Schönste von allen.
Camilla hatte richtig glänzendes, dunkelbraunes Haar, blau-
graue Augen und eine schöne, geschmeidige Haut. Seit einer
langen Zeit lebte meine Familie in Paris. Ich dagegen wohnte
schon seit meinem Abschluss in Manhattan.
Als ich eine Weile an meine Familie dachte, hatte ich
nicht bemerkt, dass ich in der Zwischenzeit schon vor Mrs.
Halls Zimmer stand. Meine Hand ballte sich zu einer Faust
und weigerte sich, an die Tür zu klopfen. Tränen stiegen mir
in die Augen. Mein Hals brannte so stark, dass ich kaum
noch schlucken konnte. War das wirklich meine Belohnung
für die ganze Mühe und für all die Jahre, die ich geopfert
hatte, damit aus mir das wurde, was ich werden wollte? Ich
dachte an meine Lehrerin, Mrs. McKenzie, die mich am
ersten Schultag fragte, was mein Traumberuf sei.
Anschließend sammelte ich meinen Mut und öffnete, ohne
davor zu klopfen, die Tür von Mrs. Hall. Plötzlich befand ich
mich drinnen und fühlte ihren erstaunten Blick auf meinem
Gesicht. Das Einzige, woran ich noch dachte, war die
Antwort, die ich meiner Lehrerin gegeben hatte: „Ich möchte
Köchin werden, Mrs. McKenzie.“
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Ende der Leseprobe
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