das dia-system der sprache

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Das Dia-System Das Dia-System der Spracheder Sprache

Grundbegriffe der VariationslinguistikGrundbegriffe der Variationslinguistik

Prof. Dr. Ioan Lăzărescu

Auffassungen über die Sprache

• Sprachen = homogene Systeme(idealisierende Vorstellung von

Ferdinand de Saussure)

• heutige Sicht:

Subkodes der Sprachen = auch Systeme Varietäten

Auffassungen über die Sprache

Sprache = eine Menge/die Summe von Varietäten (von verschiedenen

Sprachgebrauchssystemen),deren Eigenschaften in einem

mehrdimensionalen Raum(z.B. als Schnittpunkte historischer, regionaler,

sozialer, situativer Koordinaten)festgelegt sind.

TTerminologierminologisscchheess• VVarietarietäätt = Subsystem einer natürlichen Sprache, die

bestimmte Eigenschaften aufweist z. B. lokale V.:

Bundesdeutsch vs. österreichisches DeutschFranzösisch in Frankreich vs. Französisch in Belgien

British English vs. American English etc.

• VVariantariantee = variables Element ~ lexikalisch: Abitur (De) – Matura (A)~ phonetisch: Pension [pãn-](De) – [pn-] (A)~ grammatisch: die Cola (De: f.) – das Cola (A: n.)~ phraseologisch: auf dem Laufenden (De) – am Laufenden (A)~ orthografisch: Küken (De) – Kücken (A)

4

Terminologische ErklärungenÜbergänge/Grenzen zwischen einzelnen

Varietäten = fließend:

• z.B.: Niederdeutsch/Plattdeutsch = dem Niederländischen näher als dem Hochdeutschen

• Kein Linguist vermag heute wohlfundierte Grenzen zw. Holländisch, Friesisch, Holsteinisch, Hochdeutsch und Schweizerdeutsch zu ziehen.

““NieNiedederdeutschrdeutsch”” vs. vs.

“ “HochdeutschHochdeutsch””

Anm.: Kriteriulm = Reliefform(“hoch” = höher gelegen, bergig“nieder” = Ebene)

6

DeutschlandDeutschland: : administrativadministrative Landkarte e Landkarte + + NachbarnNachbarn 7

Friesische Küsten- und Inselgebiete

8

Terminologische Erklärungen

• Synonym zu „Varietät“ = „Lekt“

• kommt meistens präfigiert vor:Dia~, Sozio~, Idio~ usw.

• Die meisten Sprecher

panlektale Sprachkompetenzpanlektale Sprachkompetenz

Richard Hudson (1980): Sociolinguistics.Cambridge: Cambridge University Press.

“The term 'variety of language' can be used to different manifestations of it, in just the same way as one may take 'music' as a general phenomenon and then distinguish different 'varieties of music'.”

John Gumperz (1982): Language and social identity. Cambridge: Cambridge University Press.

"… the actual differences in pronunciation, grammar, lexicon, styles of speaking" …"but must ultimately depend on the discovery of which differences are recognized by members of the group as conveying meaning of some kind".

Bewusstsein der Sprecher einer Sprachgemeinschaft

Norbert Dittmar (1997): Grundlagen der Soziolinguistik – Ein Arbeitsbuch mit Aufgaben. Tübingen: Max Niemeyer.

Varietäten = Menge sprachlicher Strukturen (Phonologie, Morphologie, Syntax, Semantik, Lexikon, Pragmatik), die relativ zu außersprachlichen Faktoren (z.B. Alter, Geschlecht, Gruppe, Region, historische Periode, Stil etc.) in einem Varietätenraum geordnet sind.

Jeder Variablen (Gruppe/Schicht, Geschlecht, Alter, geogr. Raum, Institution usw.)

entspricht eine Varietät!

Eugenio Coseriu (1974): Synchronie, Diachronie und Geschichte. Das Problem des Sprachwandels. München: Fink.

• "Eine historische Sprache (d.h. eine historisch abgegrenzte und normalerweise mit einem 'adjectivum proprium' identifizierte Sprache: z.B. 'deutsche Sprache', 'französische Sprache', 'englische Sprache' ist keine homogene Technik der Rede, sondern normalerweise ein kompliziertes Gefüge von z.T. übereinstimmenden und z.T. voneinander abweichenden Sprachtraditionen; sie weist Unterschiede im Raume, zwischen den soziokulturellen Schichten und zwischen situationell bedingten Typen von Ausdrucksmodalitäten (diatopische, diastratische und diaphasische Unterschiede) auf und ist deshalb ein Gefüge von Mundarten, Sprachniveaus und Sprachstilen.„

• Den drei genannten Dimensionen ist als vierte die diachrone Dimension hinzuzufügen.

Norbert Dittmar (1997): Grundlagen der Soziolinguistik – Ein Arbeitsbuch mit Aufgaben. Tübingen: Max Niemeyer.

Ordnungsdimensionen der sprachlichen Variation

1. Ordnungsdimension: PERSON

• individuelle Identität:- Idiolekt- Lernerlekt (“interlanguage”

, Interimlekt)

Ordnungsdimensionen der sprachlichen Variation

2. Ordnungsdimension: RAUM

• lokale Identität:

- regionale Varietät: Dialekt- städtische Varietät: Urbanolekt- überregionale Varietät:

Regiolekt Umgangssprache (kolloquiale Redeweise)

Ordnungsdimensionen der sprachlichen Variation

3. Ordnungsdimension: GRUPPE

(Wertesystem/Wertekonflikt)

- schichtspezifische Varietät: Soziolekt- geschlechtsspezifische Varietät („Gender“-

Varietät): Sexolekt oder MW-Lekt- altersspezifische Varietät: Gerontolekt,

Jugendsprache- gruppenspezifische Varietäten: Argot,

Rotwelsch, Slang, Obdachlosensprache, Gaunersprache …

Ordnungsdimensionen der sprachlichen Variation

4. Ordnungsdimension: KODIFIZIERUNG

(normative Korrektheit)- Standardvarietät- standardnahe Umgangssprache (close-to-

standard/near-standard variety )

Anm.:

Unterschied: close-to-standard vs. substandardpositiv besetzt oft: negativ besetzt

(dt: “Grenzfall des Standards”)

Ordnungsdimensionen der sprachlichen Variation

5. Ordnungsdimension: SITUATION(Kontext-/Musterwissen)

(dt. Musterwissen, Handlungsmuster; engl. action patterns)

- Register- Stile- Fachsprachen, Berufssprachen usw.

Ordnungsdimensionen der sprachlichen Variation

6. Ordnungsdimension: KONTAKT(politische, militärische, wirtschaftliche,

kulturelle Macht)

- Pidgins- Kreolsprachen

- Dialekte prestigebesetzter Weltsprachen außerhalb des Mutterlandes

(wo diese als Muttersprachen gesprochen werden)

Ordnungsdimensionen der sprachlichen Variation

• Anmerkungen:

Einige Varietäten stehen noch am Anfang ihrer Untersuchung!

Andere wiederum werden noch als Kellerkinder der Sprachwissenschaft betrachtet!?!

1. Personale Dimension: Individuelle Varietät ('Idiolekt')

= Sprache/Sprachäußerung eines Individuums

(griech. idios 'persönlich, eigentümlich, privat')

Idiolekt Bernard Bloch (1948): A Set of Postulates for Phonemic Analysis. In: Language 24.

"The totality of the possible utterances of one speaker at one time in using a language to interact with one other speaker…

It is at least unlikely that a given speaker will use two or more styles in addressing a single person."

Idiolekt

• => Sprachbesitz und Verhaltensweise eines Individuums

oder

• => die individuelle Realisierung des Sprachsystems

Idiolekt

Els Oksaar (1987): Idiolekt. In: Ammon, U./Dittmar, N./Mattheier, K. (Hgg.): Soziolinguistik I., Bewrlin/New York: Walter de Gruyter.

"Idiolekt wird auf die Gesamtheit sprecherunterscheidender sprachlicher Besonderheiten bezogen, seien diese sozial, professional, areal oder psycho-physisch."

fokussiert die Einheit der Persönlichkeit

Idiolekt

Die Untersuchung des Idiolekts umfasst alle Ebenen der sprachlichen und nichtsprachlichen Verhaltensweisen (Grammatik, Semantik, Pragmatik)(Grammatik, Semantik, Pragmatik)

aber auch:

parasprachliches (i.e. prosodischesprosodisches) und non-verbales Verhalten

Idiolekt

Sprechweise und VerhaltensweiseSprechweise und Verhaltensweise

• gegenüber Kleinkindern, guten Freunden, Fremden;

• in der „Rolle“ des Vorgesetzten, Lehrers, Vaters, Kollegen, Richters u.a.

Nächstes MalNächstes Malweiter!weiter!

2. Diatopische Variation:

lokale/regionale Varietäten(‘Dialekte‘)

Einordnungsinstanz = Raum (griech. dialectos (phoné)/lat. dialectus

'die im Umgang gesprochene Sprache')

Raumskala: 'kleinräumig – mittelräumig – großräumig'=>=> lokal – regional – überregional lokal – regional – überregional

Dialekt

“Mischungen” auf den gehobeneren Niveaus des Sprachgebrauchs

zwischen lokalem Dialekt und Standard

=>=> ‘SubstandardSubstandard‘ (oder ‘InterdialektInterdialekt‘)

29

Dialekt

DialektDialekt = der älteste Begriff der sprachlichen Variation – bisher am eingehendsten erforscht, und zwar nach den Dimensionen :

• synchronisch vs. diachronisch• Individuum vs. Gruppe• System vs. Usus/Gebrauch• Selbsteinschätzung seitens der Sprecher vs. Fremdeinschätzung durch Forscher• niedrige vs. hohe kommunikative Leistungsfähigkeit (performance)• mündlich vs. schriftlich• lokal vs. überregional• positive vs. Negative Bewertung (evaluation )

Definition von Dialekt = genauso schwierig wie die Definition von 'Sprache' 30

Dialekt

Hadumod Bußmann (1990): Lexikon der Sprachwissenschaft. Stuttgart: Alfred Kröner.

SprachsystemSprachsystem, das(a)zu anderen Systemen ein hohes Maß an Ähnlichkeit aufweist, so dass eine – zumindest partielle – wechselseitige Verstehbarkeit möglich ist(b)regional gebunden ist => die regionale Verbreitung dieses Systems überlappt das Gebrauchsgebiet eines anderen Systems nicht(c)keine Schriftlichkeit bzw. Standardisierung im Sinne offiziell normierter orthografischer und grammatischer Regeln aufweist. 31

Dialekt

Peter Trudgill (1974): Sociolinguistics. An Introduction. Harmondsworth (Penguin Books).

"The term dialect refers, strictly speaking, to differences between kinds of language which are differences of vocabulary and grammar as well as pronunciation."

32

Dialekt

Dialekt als:

Relikt (er wird nur noch von älteren Leuten gesprochen) – z.B. Donauschwäbisch in Ungarn, siebenbürgisch-sächsische oder Banater schwäbische Mundarten soziales Symbol – z.B. im Elsass

Hauptvarietät (mit positiven Konnotationen im Alltagsgebrauch – z.B. Schwyzerdütsch in der Schweiz)

33

Dialekt

Schwierigkeiten bei der Erforschung von Dialekten:

1.Empirische Untersuchungen sind aufwändig und langwierig.2.Es fehlt an Linguisten mit polylektaler Kompetenz (= Kompetenz in mehreren unterschiedlichen Dialekten, die interdialektale Vergleiche anzustellen vermögen).3.In Vergleich zu Standardsprachen sind Dialekte bis dato weniger gut beschrieben: es fehlen Untersuchungen zur Semantik, Pragmatik; diejenigen zur Syntax sind spärlich. (Gut beschrieben = Phonetik, Morphologie, Wortbildung)

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Dialekt

Begriff 'D'DIALEIALEKKTT'' zum ersten Mal belegt:

o im Englischen – 1563o im Französischen – 1579 (auch: 'Patois')o im Deutschen – 1649 (auch: 'Mundart')

35

Dialekt

weitere Unterscheidungskriterien:

BinnendialekteBinnendialekte: von einer Standardsprache überdachte Varietäten z.B. Bairisch, Schwäbisch, Hessisch ... vs.

(Hoch)Deutsch

AußendialekteAußendialekte: von der Standardsprachgemeinschaft isoliert (= Sprachinseln) – z.B. russlanddeutsche Dialekte

36

Dialekt

Anm.:

Wichtig ist aber auch das Zugehörigkeitsgefühl!

(z.B.: Die Elsässer sind vom Standarddeutschen NICHT überdacht und empfinden sich eher

der französischen Sprachgemeinschaft zugehörig!)

37

Dialekt

Folgende Dimensionen wären noch zu berücksichtigen:

1.Benutzerkreis (users): Arbeiter und Bauern vs. Intelektuelle untere soziale Schicht vs. höhere Einheimische vs. Zugereiste/Fremde

2.Verwendungsebene:mündlicher vs. schriftlicher Gebrauch formelle vs. informelle Situationen öffentlich vs. nicht-öffentlichprivate vs. institutionelle Thematik

Anm.: Schweizerdeutsch = Sonderstellung!!!

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Dialekt

3. Kommunikative Leistungsfähigkeit: eingeschränkte vs. breite kommunikative Leistung distanzmindernd vs. distanzfördernd (zwischen Sprechpartnern)

4. Kommunikative Reichweite: kleiner vs. großer kommunikativer Radius niedriger vs. hoher Grad an interdialektaler Verstehbarkeit

5. Einstellungen: positive vs. negative Bewertung “Prestige” vs. “Stigma” 'schön, gepflegt, richtig' vs. 'schlecht, ungebildet, falsch'

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3. Diastratische Dimension: Gruppen- und schichtspezifische

Varietäten:

('Soziolekte') auch: vertikale Dimension der Sprache

Anm.: Schon im 19. Jh. wurde beobachtet, dass die soziale Schichtung eine die räumliche Gliederung von Dialekten in verschiedenen Ausdrucksformen ergänzende ist.

Nicht nur soziale Schichten, sondern auch soziale Gruppen nach Berufs-, Tätigkeits- oder Statusmerkmalen definiert

BerufssprachenBerufssprachen,,FachsprachenFachsprachen,,SondersprachenSondersprachen etc. => VARIETÄTEN => VARIETÄTEN 40

Soziolekt

In der Regel kookkuriert eine diastratische Varietät mit einem lokalen/regionalen Dialekt. Aber auch eine Überlappung mit diaphasischen Faktoren ist deutlich.

Der grundlegende Bezug der diastratischen Dimension zur Variation ist die Gruppe!

- SchichtSchichtgruppen gruppen (soziale Schicht/Klasse usw.)- StatusStatusgruppen gruppen (sozialer Status)

geborenes Merkmal der diastratischen Dimension == “WertekonfliktWertekonflikt””

Vertikale Skala von Werten:gut/gepflegt/gebildet vs. schlecht/unschön/ungebildet

“Prestige” vs. “Stigma”

Anm.: Vorurteile gegenüber low varieties. (Unterschichtvarietäten werden – verglichen mit der Oberschicht – oft mit negativen

Vorurteilen verbunden.) 41

Soziolekt

engl. Fachliteratur: 'social dialect' oder 'sociolect'(= "nonregional differences")

Richard Hudson (1980): Sociolinguistics. Cambridge: Cambridge University Press.

"A speaker may show more similarity in his language to people from the same social group in a different area than to people from a different social group in the same area. Indeed, one of the characteristics of the hierarchical social structure of a country like Britain is that social class takes presidence over geography as a determinant of speech, so that there is far more geographical variation among people in the lower social classes than there is amongst those at the 'top' of the social heap." 42

Soziolekt

Hudsons Hypothese:

für eher traditionelle, weniger industrialisierte Gesellschaften ist die dialektale

für moderne, hochindustrialisierte Gesellschaften ist die soziolektale Variation ein dominantes Merkmal

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Soziolekt

Verhältnis zwischen Dialekt (D1, 2…) und Soziolekt (S1, 2…)(nach Steinig 1976)

S1S2 vertikale Bewertungsdimension: ‘besser/schlechter‘‘besser/schlechter‘ alsS3 D1 D2 D3 Horizontale Bewertungsdimension: ‘anders‘anders‘ als

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4. Verschränkung von diatopischerdiatopischer und diastratischer diastratischer

VariationVariation 4.1. Urbanolekte (Stadtsprachen) lassen sich räumlich einordnen sind in der Regel sozial stratifiziert

(z.B. Berlin, Köln, Wien usw.)(Pionieruntersuchungen von William Labov in New York!)

Werner Kallmeyer (1994): Kommunikation in der Stadt (I). Berlin/New York: de Gruyter.

Im Zuge der Wanderungsbewegungen Land > Stadt:

städtische Sprache = 'Ausgleichssprache', die die Unterschiede zwischen verschiedenen Dialekten einebnet und eine mittlere Sprachschicht zwischen Dialekt und Standardsprache bildet

= städtische Umgangssprache

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Urbanolekt – Beispiel: Berlinische Umgangssprache (Berlinerisch) Schönfeld (1987):

"Die älteste gesprochene Sprache der Berliner Bürger war die auch in der Umgebung übliche niederdeutsche Mundart, und zwar der mittelbrandenburgische Dialekt. Deutsche Siedler aus dem westelbischen Raum hatten die nd. Mundart mitgebracht. Ihr spezifisches mittelbrandenburgisches Gepräge erhielt sie durch den sprachlichen Einfluss der hier im 12. Jh. siedelnden Niederländer. Diese Mundart (=Dialekt) wurde im 19. Jh. auch noch in den Berlin umgebenden Dörfern und in mehreren der 1920 eingegliederten Stadtteile gesprochen. Durch die Übernahme der Schriftsprache auf ostmitteldeutscher Grundlage im 16./17. Jh. wurden viele niederdeutsche Eigenheiten abgelegt und überregionale – auch obersächsische – Formen angenommen. Es entstand eine Stadtsprache mit zahlreichen Mundartmerkmalen, die sich allmählich – vor allem in Anlehnung an die Schriftsprache – von einer Halbmundart zu einer städtischen Umgangssprache mit vielen lokalen Besonderheiten entwickelte. Diese Umgangssprache, die sich organisch herausbildete, wurde von den Berlinern geschaffen. Sie ist ein sprachliches System mit eigenen sprachlichen Regeln, in dem die einzelnen Elemente nicht wahllos verwendet werden können. […] Wir verstehen also unter Berlinisch die Berlinische Umgangssprache, die von den in Berlin Aufgewachsenen vor allem im zwanglosen Gespräch verwendete Sprache. Sie wurde und wird von Berlinern unterschiedlicher sozialer Gruppen (nach Beruf, Schulbildung, Alter usw.) in verschiedenartigen Situationen gebraucht." 46

Urbanolekt – Beispiel: Berlinische Umgangssprache (Berlinerisch)

nicht nur eine räumliche Dynamik zwischen Stadt und Land, sondern vor allem eine soziale/diastratische:

auch von Pendlern nach Berlin und in das Umland getragen:

lange Zeit stigmatisiert,denn ihre Sprecher finden sich bis heute

eher in den unteren Schichtenoder in den unteren Mittelschichten

47

4.2. Regiolekte ([über]regionale Umgangssprachen)Umgangssprache liegt diatopisch im mittleren Bereich zwischen

kleinräumigen lokalen Dialekten großräumigem Standard

Hadumod Bußmann (1990): Lexikon der Sprachwissenschaft. Stuttgart: Kröner.

'Ausgleichsvarietät' zwischen Hochsprache und Dialekt, die zwar deutliche regionale Färbung, jedoch keine extremen Dialektismen aufweist.

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Regiolekt

Horst Munske (1983): Umgangssprache als Sprachenkontakterscheinung. In: Besch, W. et. al: Dialektologie. Ein Handbuch zur deutschen und allgemeinen Dialektforschung(2). Berlin/New York: de Gruyter.

= an eine informelle, dialogische Kommunikationssituation gebundene Redeweise= zahlreiche regionale Varianten gesprochener Sprache, die

nicht mehr Dialekt und noch nicht Hochsprache sind.

nicht nur diatopische und diastratische Faktoren, sondern auch diasituative

(formelle vs. informelle Sprachstile) 49

Regiolekt

Horst Munske (s. supra):

“Umgangssprachen sind das Resultat eines strukturellen Ausgleichs zwischen Dialekt und Hochsprache, wobei komplexere dialektale Strukturen einfacheren hochsprachlichen angepasst werden.Dadurch wird Umgangssprache auch überregional verstehbar.”

Sprachhistorische Erklärung:

“Durch solchen Sprachwandel wird die genuine Entwicklung der Dialekte abgebrochen, sie verlieren ihre sprachgeschichtliche Selbständigkeit und treten nunmehr in ein abhängiges, ein deszendentes Verhältnis von Hochsprache.”

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Regiolekt

Ingulf Radtke (1973): Die Umgangssprache. Ein weiterhin ungeklärtes Problem der Sprachwissenschaft. In: Muttersprache 83.

"Wir bezeichnen mit Umgangssprache die gesprochene deutsche Sprache eines jeweiligen synchronen Zeitabschnitts (darin ist also auch die sprachhistorische Komponente enthalten), die überregional gesprochen und verstanden wird, nicht fachgebunden (Fachsprache) und verhüllend (Sondersprache) ist, aber durchaus landschaftliche Züge (etwa in den Intonationsverhältnissen) aufweisen kann."

in der neueren linguistischen Forschung > Terminus “SUBSTANDARDSUBSTANDARD”.

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5. Normativ-präskriptive Dimension in der Fachliteratur verwendete Termini:

Standardsprache “Hochsprache” Literatursprache Nationalsprache Einheitssprache Schriftsprache BildungsspracheKultursprache Gemeinsprache usw. 52

Standardsprache wird geschrieben ist schriftlich kodifiziert (System von Vorschriften) besitzt überregionale Reichweite und Gültigkeit wird vorzugsweise in institutionellen und offiziellen Kommunikationssituationen benutzt findet Anwendung in allen formalen Kontexten, die Sanktionen befürchten lassen, wenn sie nicht korrekt benutzt wird wird in den Schulen gelehrt sein Gebrauch verschafft Prestige und begünstigt den Erwerb sozialer Privilegien erscheint NIEMALS in ihrer idealtypisch kodifizierten Norm!!!

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Standardsprache

Vier Funktionen der Standardvarietät (SV):

1.einigende Funktion (Kontrolle verschiedener Dialekte durch eine SV)2.separierende Funktion (Abgrenzung gegenüber anderer Sprachen)3.“Prestige”-funktion4.normativer Bezugsrahmen für die Orientierung ihrer Sprecher (Korrektheitsnormen)

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Standardsprache

Unter konkurrierenden Varietäten muss von der Gemeinschaft eine ausgewählt werden (=Selektion).

Die Standardvarietät muss

1.durch legitimierte Institutionen (z.B. eine Akademie)2.in Wörterbüchern, Grammatiken etc. normiert werden ('Kodifizierung')3.in relevanten Kontexten (Institutionen, Literatur, Medien, überregionale Öffentlichkeit etc.)4.zweckfunktional genutzt werden ('Ausbau')5.von einem relevanten Anteil der Bevölkerung mit positiven Einstellungen angenommen werden ('Akzeptanz').

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6. Diaphasische Dimension:: 'Situolecte'diaphasisch oder diasituativ = domänenspezifische

Konstellationen

Joshua Fishman (1971): Sociolinguistics. A Brief Introduction. Rowley/Massachusetts: Newbury House Publ.

Wer mit wem wie in welchem sozialen Kontext (Kaufhaus, Straßenbahn, Schule, Kirche, Privathaushalt) über was (Thema) redet.

wer mit wem = “interaction partners” → soziale Rollen (verstanden als Menge kulturell definierter gegenseitiger Rechte und Verpflichtungen)soziales Umfeld → (private oder geschäftliche Beziehungen) wie → Medium (schriftlich oder mündlich)

soziale Rollen: Käufer-Verkäufer, Patient-Arzt, Kirchgänger-Pfarrer,Kinder-Eltern/Familie 56

6.1. RegisterJohn Rupert Firth (1957): A new approach to grammar. London.

sprachliche Zeichen gehen direkte Beziehungen mit dem Kontext ein, d.h. sie werden in direkter Abhängigkeit von der Situation und dem Kontext gebraucht. Michael Halliday (1978): Language as social semiotics. The social interpretation of language and meaning. London: E. Arnold.

unterscheidet Dialekt als Varietät des Sprachbenutzers von Register als Varietät des Sprachgebrauchs:

"The dialect is what a person speaks, determined by who he is; the register is what a person is speaking, determined by what he is doing at the time." 57

Register Charles Ferguson / Charles De Bose (1977): Simplified Registers, broken language and Gastarbeiterdeutsch. Kronberg.

Rollenkonstellation, funktionale Angemessenheit und Situation:

Baby-Register (Motherese) Fremdenregister (Foreigner Talk) Register der Sportberichterstatter (Sport Announcer Talk)usw.

Hypothese: Ein Kind erwirbt zuerst die diatopische Dimension, dann die diastratische und schließlich die diasituativen Unterschiede (Register).

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6.2. Foreigner Talk → ('Xenolekt')Native speakers/Muttersprachler verändern (=vereinfachen) in der Interaktion mit Nicht-Muttersprachlern ihre Sprache, um sich verständlich zu machen und Sprachbarrieren zu überwinden.

(= kompetenzausgleichende Vereinfachungen)Ähnlich demMother-/Parents-Register oder Baby-Talk oder Bambinolekt

(NICHT zu verwechseln mit der “Kindersprache”!!!)

Terminus ‚Xenolekt' stammt von Jörg Roche (1987): Xenolekte. Struktur und Variation im Deutsch gegenüber Ausländern. Berlin/New Yoprk: Walter de Gruyter. - Stil der Rede mitAusländern:

höflich und kooperativ vs. arrogant, abweisend - Modus:

“gerade noch” grammatisch bis “schon” ungrammatisch “gerade noch” akzeptabel bis “schon nicht mehr ” akzeptabel

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Xenolekt

Charles Ferguson/Charles de Bose (1977): Simplified Registers, broken language and pidginization. Bloomington.

Foreigner Talk features include the following: slow, exaggerated enunciation; greater overall loudness; use of full forms instead of contractions; short sentences; parataxis; repetition of words, analytic paraphrases of lexical items and certain constructions; reduction of inflections; selection of one or two all-purpose forms; infinitive for all verb forms; lack of function words (e.g. articles, prepositions, auxiliaries); special lexicon quantifiers, intensifiers and modal particles; use of foreign or foreign-sounding words.

60

7. Sondersprachen: → 'Argot(olekt)'/Slang/Jargon

Gruppen--sprachen

Standes-/Berufs-

=> sozialgebundene Sondersprachen im Gegensatz zu sachgebundenen Sondersprachen (= Fachsprachen)

(Berufsjargon: Jägersprache, Druckersprache, Verbrechersprache

etc.) 61

Jargon / Argot (Rotwelsch) / Slang

Bußmann (1990):

"Die Unterschiede zur Standardsprache liegen vor allem in dem nach gruppenspezifischen Interessen und Bedürfnissen entwickelten Sonderwortschatz, wie er sich besonders auffällig bei Jägern, Fischern, Bergleuten, Weinbauern, Druckern, Studenten, Bettlern und Gaunern (Rotwelsch) nachweisen lässt."

Jargon / Argot (Rotwelsch) / Slang

Sornig (1981): 'Slang' Domaschnev (1987): 'Jargon'

"In Gemeinschaften von Menschen, die eine gemeinsame berufliche oder außerberufliche Betätigung ausüben, die ständig miteinander

verkehren oder enger zusammenleben, entstehen Wörter und Wendungen, mit welchen die

Sprechenden die gewöhnlichen Ausdrücke ersetzen."

Jargon / Argot (Rotwelsch) / Slang

Ken George (1993): Alternative French. In: Carol Sanders (ed.): French today. Language in its social context. Cambridge.

"Jargon is a sine qua non (for example each plant must have one and only one official name, which is universally excepted and used throughout the botanical world), argot is an adjunct and allows a degree of subjectivity (nanna, Julie, gonzesse, frangine, meuf, poupée, pouliche; etc. are all potentially available as alternatives to femme).Of course, argot can exist within the jargon. The surgeon will write in his report about the results of a nécropsie (post mortem), but may well use the abbreviated form nécrops when chatting informally with the colleague."

64

Abgrenzung Jargon – Argot (Rotwelsch, Slang)Jargon – Argot (Rotwelsch, Slang)

= schwierig!!!

Jargon / Argot (Rotwelsch) / Slang

Argot intendiert, Nicht-Gruppenmitglieder auszuschließen, indem gleichzeitig die Gruppenidentität erhalten und verstärkt wird.

Verglichen mit dem Jargon ist Argot kreativ (=> kreative Alternativen für etablierte Begriffe) – oft nicht durchsichtig:

z.B. passé au piano 'Fingerabdrücke nehmen'(Im Französischen – ca. 30 Alternativen zum Verb mourir.)

66

8. Geschlechtsspezifische Varietäten (“gender”-Varietäten):

→ ‘Sexolekte‘

oder:

m/w - Varietäten= durch die natürlichen Geschlechterrollen bestimmt

Gisela Klann-Delius (1987): Sex and Language. Berlin/New York: W. de Gruyter.

"There are no sex differences with respect to basic linguistic capacities but there are differences with respect to the uses of language structure and social interaction.“

Anm.: noch zu wenig untersucht!!! 67

9. Altersbedingte Varietäten: → ‘Gerontolecte‘Nicht nur:

Jugendsprasche(n)

Schwierigkeiten bei der Definition des Alters/der 'Jugend'

als biologische Altersphase als soziale Altersgruppe als Subkultur als Problemgruppe(n) Teilhabe an spezifischen Organisationsformen (Sport,

Musik usw.)68

10. Kontaktvarietäten:

Pidgin Kreol Lernervarietäten

69

Kontaktvarietäten

Whinnom, Keith (1975): Linguistic hybridization and the „special case“ of pidgins and creoles. In: Hymes, Dell (ed.) (1971): Pidginization and Creolization of Languages. University of West Indies, Mona, Jamaica.Pidgin:(1)ist niemandes ersterlernte Sprache(2)wird in speziellen Kontaktsituationen gesprochen(3)setzt eine ethnisch gemischte Sprachgemeinschaft voraus(4)ist Ergebnis ungesteuerter Lernprozesse(5)ist in ihren inhaltlichen und thematischen Ausdrucksfunktionen beschränkt(6)umfasst bestimmte Vereinfachungen in Morphologie, Syntax und Semantik + begrenztes Lexikon(7)entwickelt eigene Normen der Kommunikation(8)ist von eingeschränkter Lebensdauer (=> verschwindet, wenn die Kontaktsituation aufhört oder das Pidgin sich zu einer kreolischen Sprachform weiterentwickelt, die von Kindern als Erstsprache erworben wird)(9)wird von Angehörigen der unteren sozialen Schichten gesprochen (mit geringster Bildung!) 70

Kontaktvarietäten

umstrittene Etymologie:

sprachliche Deformierung von 'business' durch chinesische Sprecher

Verschmelzung von engl. 'business' und port. 'ocupaçao‚

port. 'pequeno' (klein) ['pequeno portugues' analog zu 'petit nègre']

71

Kontaktvarietäten

Kreolische Varietäten:

Pidgins können entstehen und rasch wieder verschwinden

oderzu kreolischen Sprachen ausgebaut werden.

72

Kontaktvarietäten

Zyklus:Zyklus:

Pidginisierung → Pidgin → Entpidginisierung → Kreolisierung → Kreol → Entkreolisierung →

Standardisierung → Standard

(Jede neue Kategorie hat einen Input, der Output kann ein positiver oder negativer Zustand sein.)

73

Kontaktvarietäten

Wichtigstes Unterscheidungsmerkmal Pidgin – Kreol Pidgin – Kreol : letzteres wird von Kindern als Muttersprache

gelernt/erworben (=> stabiler als Pidgins).

Etymologie: port. crioulo/criolo:

"passé au français par l'intermédiaire de l'espagnol et est dérivé vraisemblablement du participe passé criado du verbe

criar (lat. creare) signifiant 'élevé dans le foyer du maitre, domestique'. Dans les Amériques ce terme prit d'abord le

sens d'enfant né aux colonies de parents européens."74

Kontaktvarietäten

Lernervarietäten ('Lernerlekte', 'Interimlekte', auch: Interlanguages)

= die erfolgreiche bzw. die nicht-erfolgreiche Dynamik der Aneignung einer zweiten Sprache in verschiedenen Übergangsstadien von der Ausgangssprache bis hin zur

Zielsprache

Parallelen zwischen:

• Pidgins, Kreolsprachen und Lernerlekten: erstere sind Erscheinungen eines kollektiven Lernprozesses (durch Sprachkontakt bedingt!)

• Idiolekt und Lernerlekt: Lerner (=erwachsene Zweitsprachenlernende) erwerben die zweite Sprache in mehr oder weniger großen

Zeitspannen als Individuen mit besonderen Persönlichkeitsmerkmalen in Abhängigkeit vom sozialen Kontext.

75

Vielen Dank!Vielen Dank!

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