die entwicklung der geographie als wissenschaft im spiegel der … · 2014-08-17 · nach dem...
Post on 12-Jul-2020
1 Views
Preview:
TRANSCRIPT
13
Die Geographie ist als Disziplin sowohl den Natur- als auch den Geisteswissen-
schaften zuzuordnen. Ihr Spektrum greift in beide wissenschaftliche Hemisphären
hinein. Allerdings sind durch die frühere Verwissenschaftlichung des naturwissen-
schaftlichen Astes innerfachliche Transfers des geowissenschaftlichen Forschungs-
stils in die kultur- und sozialwissenschaftliche Geographie erfolgt, so dass eine
isolierte Darstellung der Wissenschaftsgeschichte der Geographie des Menschen
Fehlinterpretationen zur Folge hätte.
Aus der Sicht der Geographie ist die menschliche Gesellschaft an den Planeten
Erde gebunden. Welche Ideologie auch immer diese Mensch-Umwelt-Relation
aufgrund der technologischen Entwicklung und der zeitspezifischen geistigen
Strömungen haben mag, so bleibt sie doch für alle globalen Fragen des Faches
maßgebend.
Die Geographie ist ein altes und überaus komplexes Fach, das letzte Fach, das
in den abgelaufenen 150 Jahren nicht nur eine Aufspaltung in Sektoren, sondern
in immer kleinere Teilstücke erfahren hat. Ihre Fachvertreter sind zum Unter-
schied von den Vertretern der systematischen Disziplinen mit dem immanenten
Nachteil konfrontiert, dass das Informations- und Forschungsterrain durch die
drei Dimensionen von Raum, Zeit und sachlichen Bezügen definiert wird. Die-
ser Informationsraum des Faches ist nun äußerst ungleichmäßig besetzt. Es sind
große Leerräume vorhanden, die als Unterbrecher wirken, andererseits kommt
es in manchen Bereichen zur Ballung und Intensivierung von Kontakten, wobei
gegenwärtig – dem individualistischen Zeitgeist entsprechend und weltweit über
Zitierkartelle ausstilisiert – die Kleingruppenbildung fortschreitet und globale
Fragen vergessen werden.
Die Entwicklung der Geographie als Wissenschaft im Spiegel der Institutionspolitik und Biographieforschung
Elisabeth Lichtenberger
Präambel*
Vom Großstaat der k.u.k. Monarchie zum Kleinstaat der Zweiten Republik
*) Die vorliegende Fassung ist ein überarbeiteter und erweiterter Abdruck einer Abhandlung, welche in dem von Karl ACHAM herausgegebenen Sammelwerk: „Geschichte der österreichischen Human-wissenschaften“ in Band 2: „Lebensraum und Organismus des Menschen“ im Jahr 2000 beim Pas-sagen Verlag Wien, unter dem Titel „Geographie“ erschienen ist. Sie wurde im Juli 2008 abgeschlos-sen. Unter Bezug auf die institutionelle und die generationale Perspektive wurde der Titel geändert und ein Kapitel über die institutionelle Sonderstellung Österreichs hinsichtlich der Konsequenzen
des Universitätsorganisationsgesetzes 1975 aufgenommen. Diese sogenannte „Lex Firnberg“ gehört zwar aufgrund des 2002 erlassenen neuen Universitätsorganisationsgesetzes der Vergangenheit an, hat jedoch ein schweres Erbe hinsichtlich der universitären Forschung hinterlassen. Zur Sonder-stellung Österreichs zählt ebenso die an den östlichen Staaten Europas orientierte sehr bedeutende und synchron zur Lex Firnberg ausgebaute Forschungslandschaft der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, zu der auch geographische Einrichtungen zählen.
I. Tendenzen der Fachentwicklung seit dem 19. JahrhundertII. Die politisch-institutionellen Perioden der Wissenschaftsentwicklung in ÖsterreichIII. Generationsfolgen und SchulenIV. Die Chancen der geographischen Forschung in einem KleinstaatV. Die institutionelle Sonderstellung der Österreichischen Geographie.
Rückblick und Ausblick.
14
Es ist daher ein äußerst schwieriges Unterfangen, eine Wissenschaftsgeschichte
der Geographie in Österreich zu schreiben. Als Grundlage für die Aussagen wur-
den die Würdigungen und Nachrufe aller österreichischen Universitätsprofes-
soren bis zum Geburtsjahrgang 1928 herangezogen. Folgende Leitthemen ordnen
das vorhandene Kaleidoskop an Informationen:
1. Welche generellen Tendenzen haben die Fachentwicklung in diesem Zeitraum
geprägt?
2. Welche Effekte hatte der politische Zusammenbruch der Donaumonarchie,
des größten Staates Europas nach Russland? Welche Reduzierung hat das For-
schungspotential des Faches im österreichischen Kleinstaat in der Ersten und
Zweiten Republik erfahren?
3. Welche Schulen wurden dem HUMBOLDTschen Universitätsideal folgend be-
gründet? Wer sind die Gründerfiguren gewesen? Welche Forschungsstränge
sind von Österreich ausgegangen?
4. Die Schlussfragen lauten: Worin besteht das spezifische Forschungsprofil der
Geographie in der österreichischen Wissenschaftslandschaft? Welche Chan-
cen hat die Geographie in Österreich, im gegenwärtigen Prozess der Globali-
sierung mitzuhalten?
I. Tendenzen der Fachentwicklung seit dem 19. Jahrhundert
1. Überblick
Die abgelaufenen eineinhalb Jahrhunderte der Fachentwicklung in der Geogra-
phie folgten vier Tendenzen:
1. Aus der „Frontierdisziplin“ im Entdeckungszeitalter der Erde entstand schritt-
weise eine „Normaldisziplin“.
2. Hinsichtlich der Erforschung der Beziehung zwischen der natürlichen Um-
welt – der Erde – und dem Menschen kam es zu einer Umdrehung der Sicht-
weise.
3. Im gleichen Zeitraum hat sich die Geographie in Subdisziplinen aufgespaltet
und das Verhältnis des Faches zu den Nachbardisziplinen geändert.
4. Die Rangordnung in der geographischen Forschung hat sich zwischen den
großen Sprachräumen verschoben. Der deutsche Sprachraum musste sei-
ne Führungsposition nach dem Zweiten Weltkrieg an den angelsächsischen
Sprachraum abgeben.
Die Geographie ist keine Wissenschaft im elfenbeinernen Turm, sondern hat
aufgrund ihres räumlichen Bezugssystems stets vier außerwissenschaftliche
Funktionen von allerdings wechselnder Bedeutung besessen, von denen Rück-
koppelungseffekte auf die wissenschaftlichen Fragestellungen ausgegangen sind:
1. Die Geographie war stets ein politisches Fach und aufgrund ihrer system-
stabilisierenden und -erhaltenden Funktionen als Bildungsdisziplin von den
jeweils aktuellen politischen Ideologien abhängig.
2. Die Geographie war stets auch ein geostrategisch und damit militärisch wich-
tiges Fach. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden auf beiden Seiten Geographen
als Experten bei den Friedensverträgen herangezogen.1 Im Zweiten Weltkrieg
waren Geographen in den Forschungsstaffeln der deutschen Wehrmacht, aber
ebenso bei den Alliierten tätig.
3. Die Geographie hat stets Informationsaufgaben für die Wirtschaft und die
Medien wahrgenommen. Geographen hatten daher früh Schlüsselpositionen
bei Verlagen inne. Umgekehrt haben Verlage „Geographische Reihen“ heraus-
gebracht.
4. Als für die „Ordnung des Raumes“ zuständige Disziplin hat sich die „Raum-
forschung“ als ein wichtiger interdisziplinärer Bereich, der in Österreich von
Geographen begründet und aufgebaut wurde, zwischen Wissenschaft, Politik
und Technik entwickelt.
2. Die Frontierdisziplin Geographie und das Ende des Zeitalters der Entdeckungen
Die Geographie war als Entdeckungswissenschaft der Erde im 19. Jahrhundert
eine „Frontierdisziplin“. Aus dieser Positionierung im damaligen Forschungsfeld
der Disziplinen resultierten Merkmale, welche stets wissenschaftlichen Frontier-
disziplinen eigen sind: Interdisziplinarität, Interesse der politischen Entschei-
dungsträger und öffentliches Ansehen.2
Das Merkmal der Interdisziplinarität bedeutete, dass einerseits der Bereich
der geowissenschaftlichen Geographie und andererseits der Bereich der „histo-
rischen Geographie“ ohne Abgrenzung mit anderen Wissenschaften, den Geo-
1) Im Büro der Geographical Society in New York wurden von dem amerikanischen Geographen BOWMANN die Unterlagen für die Aufteilung der Habsburgermonarchie ausgearbeitet, wobei Kar-ten des serbischen Geographen J. CVIJICS die Strukturierung der Nachfolgestaaten, vor allem die von Jugoslawien, entscheidend mitbestimmt haben. Auf österreichischer Seite war zwar der Geograph Robert SIEGER bei den Friedensverhandlungen anwesend, doch blieb ihm ein Erfolg verwehrt.
2) Das wissenschaftliche Ansehen des Faches sei mit zwei Eckdaten belegt: 1871 fand der erste in-ternationale Geographenkongress in Antwerpen statt; 1922, knapp nach Beginn der Periode des Völkerbundes, wurde die IGU (Internationale Geographische Union) gegründet.
Elisabeth Lichtenberger
15
wissenschaften bzw. den Geistes- und Kulturwissenschaften, verbunden und ein
Karrierewechsel über Fachgrenzen hinweg für Hochbegabte möglich war (vgl.
Kap. III 2 und III 3).
Das Entdeckungszeitalter wird im Allgemeinen mit dem Zeitalter der Euro-
päisierung der Erde und der Kolonialisierung gleichgesetzt. Österreich, seit 1867
die österreichisch-ungarische Monarchie, war zwar der größte Staat des Konti-
nents nach Russland, hat jedoch niemals Kolonien besessen. Österreichische For-
schungsreisende haben daher immer für andere Staaten geforscht und sind nicht
selten in fremde Kolonialdienste getreten, in spanische, portugiesische, englische,
angloägyptische, belgische und in solche des Deutschen Reiches. In der doku-
mentarischen Veröffentlichung von Hugo HASSINGER „Der Anteil Österreichs an
der Erforschung der Erde“ sind die Einzelheiten der räumlich und sachlich weit
gestreuten Partizipation Österreichs an der Beseitigung der „weißen Flecken auf
der Landkarte“ nachzulesen. Die großen Forschungsreisen begannen in Öster-
reich überdies nicht mit der Zielsetzung der Entdeckung von Neuland, sondern
sie erfolgten seit dem 18. Jahrhundert im Auftrag des Kaiserhauses und dienten
der Vermehrung der kaiserlichen Sammlungen.3 In der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts wurden die überseeischen Forschungen unter der Mitwirkung der
Kriegsmarine durchgeführt. Dabei war die bekannte „Novara-Expedition“ vom
30. April 1857 bis 30. August 1859 keineswegs die erste Erdumsegelung, sondern
sie folgte dem Beispiel anderer Staaten.4 Der Schwerpunkt des Unternehmens lag
auf der akribischen geographisch-enzyklopädischen Aufnahme der Sachverhalte
in den angesteuerten Häfen.5
Auch die beiden österreichischen Polarexpeditionen (1872–1874 und 1882/83)
sind wesentlich unter Mitwirkung der Kriegsmarine zustande gekommen. Die
Entdeckung des Franz Joseph Landes 1873 ist der PAYER-WEYPRECHT-Expediti-
on zu verdanken. Die ozeanographische Erforschung des östlichen Mittelmeer-
beckens und des Roten Meeres wurde durch die „Pola“ (1890–1898) durchgeführt.
3) Von dem kaiserlichen Auftrag (1755) an Nikolaus Josef JACQUIN (1727–1817) profitierte die Bota-nik. JACQUIN hat sich 1752 als Arzt in Wien niedergelassen und wurde 1753 zum Direktor des neu gegründeten Botanischen Gartens in Schönbrunn und zum Professor der Botanik und Chemie an der Universität bestellt. Es entstand seine „Flora Austriaca“ (Wien 1773–1778) in fünf Bänden mit 500 kolorierten Karten.
4) Britische Fregatte „Herald“, 1845–1851; dänische Fregatte „Galatea“, 1845–1848; schwedische Fre-gatte „Eugenie“, 1851–1853; Vereinigte Staaten von Nordamerika Expeditions-Escadre 1853–1855; vgl. MÖGG 1857, Ausführungen des Freiherrn von REDEN, S. 20. Das Kommando der Novara hatte WÜLLERSTORF-URBAIR, der auch die ozeanographischen und meteorologischen Beobachtungen leitete. Route: Madeira–Rio de Janeiro–Kapstadt–Neu-Amsterdam–Ceylon–Singapur–Batavia–Manila–Hongkong–Shanghai–Sydney–Oakland–Tahiti–Valparaiso.
5) Vgl. F. W. von REDEN in MÖGG 1857, S. 21: „Als Hauptaufgabe betrachte ich das Studium der auf ihrer Reise berührten Theile der Erde, in Beziehung auf deren natürliche Beschaffenheit, Bewohner, Erwerbs- und Verkehrsverhältnisse.“
Die geplante Antarktis-Expedition von Graf WILCZEK scheiterte infolge des Aus-
bruchs des Ersten Weltkrieges. Das von Deutschland gekaufte Expeditionsschiff
„Gauß“, dessen Ausrüstung die Geographische Gesellschaft finanziert hatte, lag
aufbruchsbereit im Hafen von Triest, als mit den Schüssen von Sarajevo die lange
Friedenszeit des liberalen Zeitalters zu Ende ging.
Es ist einsichtig, dass das Fehlen von Kolonien eine verstärkte Binnensicht zur
Folge hatte. Doch profitierten davon in erster Linie die museal verankerten Fächer
wie die Völkerkunde und Volkskunde6 sowie die bereits in der Mitte des 18. Jahr-
hunderts universitär etablierte Botanik.7 Das sogenannte „Kronprinzenwerk“, die
15-bändige Deskription der „Monarchie in Wort und Bild“, kann das Verdienst
einer breiten Illustrationssammlung für sich in Anspruch nehmen.8 Darin spiegelt
sich die von Kaiserhaus und Adel unterstützte Sammeltätigkeit von Objekten für
Museen wie das k.u.k. Naturhistori sche Hofmuseum, das Museum für Völkerkun-
de und das Museum für Österreichische Volkskunde wider.9
Eine Länderkunde der Monarchie kam in dem Vielvölkerstaat nicht mehr zu-
stande. Die Absicht von Albrecht PENCK, eine zu schreiben, gelangte aufgrund
seiner Berufung nach Berlin nicht zur Ausführung.10 Die österreichische und die
ungarische Reichshälfte separierten sich seit dem Ausgleich mit Ungarn 1867
nicht nur in der Wirtschaftspolitik, sondern auch in der Wissenschaftspolitik. Die
wichtige Institution des statistischen Dienstes wurde geteilt. Der Vielvölkerstaat
der Monarchie war nicht imstande, eine reichsübergreifende institutionelle Infor-
mationsstruktur für die wissenschaftlichen Disziplinen zu schaffen. Dies galt auch
für das Fach Geographie.11
Der Zerfall der Monarchie 1918 beendete die Existenz des Großreiches, nicht
jedoch das Ende des Entdeckungszeitalters. Einzelne Österreicher haben bis
6) Die Völkerkunde der Monarchie wurde in den grundlegenden Werken des Freiherrn von CZOERNIG „Ethnographie der Österreichischen Monarchie“, 3 Bände, Wien 1855–1857, und Adolf FICKERs „Die Völkerstämme der österreichisch-ungarischen Monarchie“, Wien 1869, sowie in den großen Sammelwerken „Die Völker Österreich-Ungarns“(15 Bände, Teschen 1881–1889) ausführlich be-handelt.
7) Die Pflanzengeographie Österreich-Ungarns hat Antont KERNER von MARILAUN begründet.8) „Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild.“ Auf Anregung und unter Mitwir-
kung des Kronprinzen Rudolf, Verlag der Kaiserlich-Königlichen Hof- und Staatsdruckerei, Graz, 1888–1891.
9) Seine Gründung geht auf Michael HABERLANDT, einen Schüler von Albrecht PENCK und Eugen OBERHUMMER, zurück.
10) Das kleine Goeschen-Bändchen von A. GRUND über die österreichisch-ungarische Monarchie bie-tet nur eine erste Information.
11) In diesem Zusammenhang erscheint von Interesse, dass Eduard BRÜCKNER als Rektor der Univer-sität Bern den 5. Internationalen Geographenkongress 1891 in die Schweiz, Albrecht PENCK im gleichen Jahr den Deutschen Geographentag nach Wien geholt haben. 1912 hat Albrecht PENCK als Vorsitzender des Zentralausschusses von Berlin aus den Deutschen Geographentag unter dem Vorsitz Franz von WIESERs nach Innsbruck gebracht.
Die Entwicklung der Geographie als Wissenschaft
16
herauf in die Nachkriegszeit beachtliche Leistungen vollbracht. Verwiesen sei auf
Alphons GABRIELs Querung der Wüste Lut, die topographischen Aufnahmen von
Hans BOBEK im Elbursgebirge, und vor allem auf Hermann von WISSMANNS For-
schungen in Arabien und in China.12
3. Die Änderung der Basisideologien in der Mensch-Umwelt-Relation
In der Brückenfunktion der Geographie zwischen den Geowissenschaften und
den Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften (konkret: in der Erforschung der
Beziehung zwischen der natürlichen Umwelt – der Erde – und dem Menschen)
haben sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts die Sichtweisen grundlegend geän-
dert. Schiebt man die teleologische Perspektive von Carl RITTER, dem Begründer
der Länderkunde, beiseite, der die Erde als „Erziehungshaus für die Menschheit“
aufgefasst hat, so war die Weltsicht im 19. Jahrhundert weitgehend vom Determi-
nismus, d.h. der Auffassung von der Bestimmung des Menschen durch die natür-
liche Umwelt, geprägt.
Der erste Ausbruch aus der deterministischen Interpretation erfolgte in Rich-
tung auf einen Possibilismus durch die Kulturkreislehre Friedrich RATZELs, welche
von großem Einfluss auf alle Kulturwissenschaften gewesen ist, wonach Innovati-
on und Diffusion von Phänomenen als selbststeuernde Prozesse aufzufassen sind.
Hugo HASSINGER hat in seinem Werk über „Die Geographie des Menschen“ den Ein-
fluss der Naturlandschaft auf den Menschen (physische und psychische Anthropo-
geographie) und den Einfluss des Menschen auf die Naturlandschaft und ihre Um-
gestaltung zur Kulturlandschaft unterschieden. Ohne es explizit auszuführen, hat
die sozialgeographische Kulturstufenlehre von Hans BOBEK bereits den Gedanken
der schrittweisen Emanzipation von der natürlichen Umwelt enthalten.
Inzwischen ist eine weitere Veränderung erfolgt. Die wissenschaftliche Frage
lautet nicht mehr, welcher Wandel hat sich von der Naturlandschaft zur Kultur-
landschaft vollzogen, wie dies noch bis herauf in die 1960er Jahre der Fall war, son-
dern im Gefolge der grünen Bewegung und der globalen Modelle wird nunmehr
die Zerstörung der biologischen Umwelt auf der Erde durch den Menschen in
12) Hermann von WISSMANN war einer der letzten Forschungsreisenden, der noch im Stil des zweiten Entdeckungszeitalters in langen Karawanenreisen das Gesehene mit Bussole, Schrittmaß und Zei-chenstift festgehalten hat. Hingewiesen sei noch auf den Kartographen Erik ARNBERGER, der sich vor der Welle des Tourismus in die Inselwelt des Indischen und Pazifischen Ozeans hineinbegeben hat und dessen posthum von seiner Frau Hertha ARNBERGER herausgegebenes Werk über „Die tro-pischen Inseln des Indischen und Pazifischen Ozeans“ (Deuticke, Wien 1988) einen Überblick über 38.000 Inseln bietet. Die englische Übersetzung ist im Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften erschienen.
das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Während sich die menschliche Gesell-
schaft in den entwickelten Staaten zum Teil ein künstliches Klima der Behausung
und Umwelt schaffen konnte, haben Vegetation und Tierwelt tiefgreifende globale
Zerstörungen erfahren, Wasser und Luft sind durch Emissionen der modernen
Industrien und Technologien bedroht.
4. Die Änderung der Position zu den Nachbardisziplinen
Immanuel KANT hat im preußischen Staat in den Jahren 1757 bis 1797 29-mal
sein Bildungskolleg „Physische Geographie“ gelesen. Zitieren wir KANT: „Die Geo-
graphie betrifft Erscheinungen, die sich, in Ansehung des Raums, zu gleicher Zeit er-
eignen. Nach den verschiedenen Gegenständen, mit denen sie sich beschäftigt, erhält
sie verschiedene Namen. Demzufolge heißt sie bald die physische, die mathematische,
die politische, bald die moralische, die theologische, litterarische oder mercantilische
Geographie. Die Geschichte desjenigen, was zu verschiedenen Zeiten geschieht, und
welches die eigentliche Historie ist, ist nichts anders als eine continuierliche Geogra-
phie, daher es eine der größten historischen Unvollständigkeiten ist, wenn man nicht
weiß, an welchem Orte etwas geschehen sei, oder welche Beschaffenheit es damit ge-
habt habe. Die Historie ist also von der Geographie nur in Ansehung des Raumes
und der Zeit verschieden. Wir können aber beides, Geschichte und Geographie, auch
gleichmäßig eine Beschreibung nennen, doch mit dem Unterschiede, daß erstere
eine Beschreibung der Zeit, letztere eine Beschreibung dem Raume nach ist“.13 Die
KANTsche Definition der Geographie als Raumwissenschaft und ihre Trennung
von der Geschichte bieten den Einstieg für eine Reihe von Aussagen.
Die Trennung von raum- und sachspezifischer Forschung
Die Trennung zwischen raum- und sachspezifischer Forschung lässt sich, wie
die Wissenschaftsgeschichte belegt, nicht mittels wissenschaftstheoretischer Krite-
rien festlegen, sondern vollzieht sich in Abhängigkeit von den wissenschaftlichen
Organisationsformen des jeweiligen politischen Systems und der darin agierenden
Wissenschafter in den großen Sprachräumen der entwickelten Welt in recht unter-
schiedlicher Weise. Sie folgt nämlich nicht zwangsläufig einer bestimmten Raum-
bzw. Sachlogik, sondern ist von den Persönlichkeiten abhängig, welche imstan-
de sind, zwischen Raum- und Sachthematik gelegene Forschungsstrukturen zu
schaffen und institutionell zu verankern.
Es bestehen beachtliche Unterschiede zwischen der deutschen und der nord-
amerikanischen Geographie, und zwar in der physischen Geographie durch die
13) BECK 1973, S. 163.
Elisabeth Lichtenberger
17
frühe Verselbständigung der Morphologie von der Geologie und in der Geogra-
phie des Menschen durch die Begründung der geographischen Stadtforschung an
der Schnittstelle zur Architekturgeschichte und zum Städtebau sowie durch die
Separierung der Sozialgeographie von der Soziologie.
Die Aufspaltung des Faches in Teildisziplinen
Die Fachentwicklung ist seit KANT durch eine schrittweise Verwissenschaftli-
chung gekennzeichnet. Die Geographie löste sich als letztes großes Fach in ein-
zelne wissenschaftliche Teildisziplinen auf. Bei diesem Prozess ist die geowissen-
schaftliche Geographie vorangegangen, während der Vorgang der Aufspaltung des
humanwissenschaftlichen Teilbereiches in theoriegestützte Bestandteile bis zur
Gegenwart herauf anhält und noch nicht abgeschlossen ist.
Dieser Unterschied kann begründet werden: Alle Teilfächer der physischen Ge-
ographie, mit Ausnahme der Morphologie, verfügen über systematische natur-
wissenschaftliche Nachbardisziplinen. Im humanwissenschaftlichen Teilbereich
bestehen dagegen nur zwei „geowissenschaftlich“ fundierbare Subdisziplinen,
nämlich die Siedlungsgeographie (des ländlichen Raumes) und die Stadtgeogra-
phie. Letztere verfügt über eine sehr komplexe Forschungsstruktur und stellt die
theoretisch-methodisch am weitesten ausgebaute Subdisziplin des Faches dar. Sie
besitzt keine Nachbarwissenschaft, sondern nur eine technische Siedlungslehre als
Propädeutik an den Technischen Universitäten. Ebenso wie die Morphologie weist
sie eigene Theorien und Klassifikationssysteme auf. Dementsprechend ist auch
die Verselbständigung der geographischen Stadtforschung als internationales Fach
am weitesten fortgeschritten. Sie ist die Wachstumsdisziplin par excellence und
verfügt über ein breites Spektrum an Zeitschriften.
Die noch sehr stark in der Tradition der historischen Kulturlandschaftsfor-
schung verankerte Siedlungsgeographie ist mit dieser zu den historischen Diszi-
plinen „abgewandert“, wo sich ein interdisziplinärer, von Historikern dominierter
Verbund rings um die Zeitschrift „Siedlungsforschung“ entwickelt hat. Primär von
systematischen Nachbardisziplinen bestimmt sind dagegen die Bevölkerungsgeo-
graphie und die Wirtschaftsgeographie mit ihren Teilbereichen.14 „Neue“ human-
wissenschaftliche Geographien des Verhaltens, der Bildung sowie des Arbeits- und
Wohnungsmarktes sind durch den Import von Theorien aus Nachbardisziplinen
durch österreichische Geographen seit den 1970er Jahren begründet worden.15
14) Infolge der Einrichtung eines Ordinariats an der Exportakademie, der späteren Hochschule für Welthandel und der heutigen Wirtschaftsuniversität in Wien, ist schon früh eine Aufgabenteilung gegenüber den universitären Geographieinstituten eingetreten.
15) MEUSBURGER, Peter: Beiträge zur Geographie des Bildungs- und Qualifikationswesens. Regionale und soziale Unterschiede des Ausbildungsniveaus der österreichischen Bevölkerung. Innsbrucker
Der „geographische“ Maßstab
Die Frage des Raumes führt mit Notwendigkeit zur Frage, welcher Maßstab dem
Fach Geographie eigen ist. Beginnend in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
bis herauf an die Schwelle der Gegenwart, wurde der geographische Maßstab mit
dem Landschaftsbegriff identifiziert und etwa mit dem Maßstab 1:25 000 gleich-
gesetzt. In dem genannten Zeitraum hat sich die Forschung in den physischen
Nachbardisziplinen der Geographie vom Makro- zum Mikromaßstab hin bewegt.
Diese Aussage gilt für die Vegetationsforschung, die Geologie, Petrographie, Mi-
neralogie und Bodenkunde. Technologische Fortschritte im Laboratorium, u.a.
das Elektronenmikroskop, haben hierzu entscheidend beigetragen. Damit liegt
die räumliche Bezugsebene bei der empirischen Analyse in den Nachbarwissen-
schaften vielfach tiefer als in den jeweiligen geographischen Teildisziplinen. Dies
führt dazu, dass physische Geographen überall dort, wo sich ihre systematischen
Kontrahenten bereits auf den Mikromaßstab zu bewegen, ebenfalls den For-
schungsmaßstab tiefer legen müssen bzw. „übersprungene“ und datenmäßig nicht
genutzte Räume besetzen.
Die Aussagen für die humanwissenschaftlichen Subdisziplinen und ihre Nach-
barfächer lauten anders. Bei diesen besteht eine deutliche Zweiteilung hinsichtlich
der Theoriehorizonte und des Forschungsmaßstabs. Zwei Disziplinen, nämlich
die Volkskunde und die Völkerkunde, haben sich bereits im 19. Jahrhundert klar
unterhalb des von der Humangeographie untersuchten Landschaftsmaßstabs im
Realobjektraum angesiedelt und eigene Forschungsclaims abgesteckt.
In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg ist im Zuge des Take-offs der
analytischen Geographie eine zweite Gruppe von Nachbarwissenschaften in engen
Kontakt mit der Geographie geraten. Ihre Hauptvertreter sind die Soziologie, die
Ökonomie und die Politologie. Ihre Theorien sind zum Großteil aräumlich bzw. be-
wegen sich dort, wo sie sich auf räumliche Einheiten beziehen, zumeist im kleinen
Maßstab von Staaten und Großregionen. Im Zuge der generellen Wissenschafts-
entwicklung folgen jedoch auch sie, allen voran die Soziologie, dem Trend zur For-
schungsarbeit in kleineren Räumen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Geoäste
der genannten Nachbardisziplinen tiefere räumliche Bezugsebenen erreichen wer-
den. Damit wird ein Druck auf die benachbarten Teildisziplinen der Geographie
ausgeübt, deren gegenwärtiges Problem darin besteht, dass sie, um Theorien aus
Geographische Studien 7, Innsbruck 1980. FASSMANN, Heinz: Arbeitsmarktsegmentation und Berufslaufbahnen. Ein Beitrag zur Arbeits-marktgeographie Österreichs. Beiträge zur Stadt und Regionalforschung 11, Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 1993. MATZNETTER, Walter: Wohnbauträger zwischen Staat und Markt. Strukturen des sozialen Woh-nungsbaus in Wien. Frankfurt a. M. u.a.: Campus, 1991.
Die Entwicklung der Geographie als Wissenschaft
18
den Nachbarwissenschaften integrieren zu können, wie die Wirtschaftsgeographie
und teilweise auch die Sozialgeographie, den geographischen Maßstab verlassen
und eine höhere räumliche Bezugsebene als Forschungsebene wählen müssen, und
zwar diejenige, auf der diese Nachbarwissenschaften operieren.
Mit der Abbildung 1 wird das immanente Problem der Forschungsstruktur der
Geographie offengelegt, wonach die einzelnen Teildisziplinen aufgrund des not-
wendigen Konnexes mit den Nachbarwissenschaften in verschiedenen Maßstäben
arbeiten müssen. Nun wäre es unrichtig, der Geographie des Menschen ein sta-
tisches Verharren auf der Maßstabsleiste zuzuschreiben. Auch sie hat in der empi-
rischen Forschung die Maßstabsgrenzen in der Nachkriegszeit immer tiefer gelegt,
und zwar über den Katastermaßstab mit Parzellenschärfe zum Maßstab von 1:100
bei Haus- und Wohnungsgrundrissen. Es wurde eine Maßstabsgrenze erreicht,
welche sich nicht mehr von den Arbeitsmaßstäben der Architekten, Völker- und
Volkskundler unterscheidet.
In der Sozialgeographie haben sich die Untersuchungsobjekte von Sozial-
schichten über Sozialgruppen bis zu Individuen hin verschoben, gleichzeitig
wurden immer diffizilere Fragen aus den Sozialwissenschaften aufgegriffen, wie
Verhaltensmuster, Aktionsräume, Lebensläufe, Wohnketten usf., und damit an
der Nahtstelle zu den Sozialwissenschaften Terrains erreicht, bei denen sich die
grundsätzliche Frage stellt, ob und in welcher Weise räumliche Differenzierungen
besser von systematischen Nachbardisziplinen in eigenen Geoästen als Fragestel-
lungen aufgegriffen und bearbeitet werden bzw. ob und inwieweit systematische
Fragen bei einer Integration in die Humangeographie einer besseren Lösung zu-
geführt werden können. Es ist einsichtig, dass, solange das Verbundpotential von
geowissenschaftlicher und geistes- und kulturwissenschaftlicher Methodik von
Geographen genutzt wird, diese einen Vorteil überall dort besitzen, wo die Pro-
blemlösung das Wissen um räumliche Strukturen voraussetzt, wie dies u.a. bei
Fragen der Raumforschung der Fall ist.
Der Stellenwert von allgemeiner und regionaler Geographie
Die KANTsche Definition von der Geographie als Raumwissenschaft hat, ver-
stärkt durch ihre Funktion als Bildungsfach an der höheren Schule und in der
Öffentlichkeit, zur Auffassung geführt, dass die regionale Geographie, d.h. die
Länderkunde, „die Krönung des Faches“ darstellt. Derart wurde und wird die
Entstehung immer weiterer Subdisziplinen, d.h. „neuer Geographien“, von vie-
len Geographen mit Misstrauen betrachtet und abgelehnt. Andererseits ergab sich
aus der bildungs- und staatspolitischen Funktion der regionalen Geographie die
Notwendigkeit einer Popularisierung von Sachinhalten, welche die Vertreter von
Subdisziplinen vielfach dazu brachte, die regionale Geographie aufgrund „der Un-
wissenschaftlichkeit ihrer Deskriptionen und des fehlenden theoretischen Über-
baus“ abzulehnen.
In der Generationenfolge der universitären Geographie ist das Beispiel von
Norbert KREBS (1876–1947), dem Auslandsösterreicher und langjährigen Lehr-
kanzelinhaber in Berlin, anzuführen, der nahezu ausschließlich Länderkunden
geschrieben hat und für den die Länderkunde nicht Gegenstand einer metatheo-
retischen Diskussion, sondern in erster Linie ein Problem der Darstellung, d.h. der
Herausarbeitung der jeweils landesspezifischen Eigenart, gewesen ist. Umgekehrt
haben sich am Berliner Institut in Opposition zum Institutschef alle Dozenten
auf Teilgebiete der Geographie spezialisiert und neue Subdisziplinen geschaffen
und damit die ersten zwei Jahrzehnte der Nachkriegsentwicklung im deutschen
Sprachraum und darüber hinaus entscheidend bestimmt: Julius BÜDEL (1903–
1983) die Klimamorphologie, Carl TROLL (1899–1975) die Landschaftsökologie,
Hans BOBEK (1903–1990) die Sozialgeographie. Herbert LOUIS (1900–1985) eta-
blierte sich in der Strukturmorphologie und Anneliese KRENZLIN (1903–1993) in
der historischen Siedlungsgeographie.
Der Rückblick auf eineinhalb Jahrhunderte Fachgeschichte führt zur Aussage
eines generationsweisen Wechsels der Präferenzen zwischen allgemeiner und regi-
onaler Geographie. In Zeiten politischer Umbrüche bei gleichzeitig akkumuliertem
Human-geographie
PhysischeGeographie
Geographischer Maßstab(Landschaft)
aktueller Theoriehorizont
Makromaßstab MikromaßstabSystematischeDisziplinen
Siedlungs-geographie
Morphologie
Abbildung 1: Geographischer Maßstab und aktuelle Theorie-horizonte von Nachbar-disziplinen der Geographie (Quelle: Lichtenberger, 1985, S. 64)
Elisabeth Lichtenberger
19
neuem Wissen in den allgemeinen Disziplinen gehört die Abfassung von Länder-
kunden zum Pflichtprogramm derjenigen, die über den Forschungsstand in den
Subdisziplinen Bescheid wissen und die regionale Darstellung als eine Aufgabe an-
sehen. Die Schaffung der Europäischen Union hat über den deutschen Sprachraum
hinaus an der Wende zum 21. Jahrhundert erneut eine Welle der Abfassung von
Länderkunden gebracht.16
II. Die politisch-institutionellen Perioden der Wissenschaftsentwicklung in Österreich
1. Einleitung
Jede Wissenschaft bedarf der Institutionen, um Stabilität und Kontinuität der
Forschung zu erhalten und den „Fortschritt durch Irrtum“ zu finanzieren. Die
Einrichtung von wissenschaftlichen Institutionen ist in den abgelaufenen zwei
Jahrhunderten eine Angelegenheit des Staates gewesen. Der Staat hat in Öster-
reich niemals das Informationsmonopol aus der Hand gegeben und auch die For-
schung entscheidend durch seine Bereitschaft und Möglichkeiten zur Einrichtung
und Finanzierung wissenschaftlicher Institutionen bestimmt. Eine Institutionsge-
schichte der Wissenschaften kann daher nur synchron zur politischen Geschichte
des Staates geschrieben werden. Diese Aussage schließt das Fach Geographie ein.
Entsprechend der politischen Entwicklung lassen sich vier Perioden der instituti-
onellen Fachentwicklung unterscheiden:
1. Die Vorphase des aufgeklärten Absolutismus der Habsburgermonarchie bis
zur Mitte des 19. Jahrhunderts schuf die Grundlagen, welche die geogra-
phische Forschung benötigt:
- exakte topographische Karten und
- statistische Daten über Bevölkerung, Siedlung und Wirtschaft.
Für diese Informationsblöcke entstanden die institutionellen Vorausset-
zungen einerseits durch die Militärkartographie und andererseits durch die
Einrichtung eines statistischen Dienstes.
2. Die liberale Gründerzeit war das Zeitalter der Industrialisierung und des
Bahnbaus sowie das Zeitalter der staatlichen Gründungen von wissenschaft-
lichen Institutionen, darunter auch von zahlreichen geographischen Lehr-
kanzeln.
16) Die wissenschaftliche Buchgesellschaft und der Verlag Klett in der Bundesrepublik Deutschland sowie der Verlag Reclus in Frankreich haben neue Reihen der Länderkunde eröffnet.
3. Der Zusammenbruch der Donaumonarchie, des größten Staates Europas, hat
alle Bereiche der Bevölkerung und Wirtschaft betroffen und änderte die „Wis-
senschaftslandschaft“ grundlegend. Alle wissenschaftlichen Einrichtungen
waren plötzlich zu groß dimensioniert und wurden in die Krise hineingeris-
sen. Die Erste Republik war ein krisengeschüttelter Kleinstaat. Bereits im Jahr
1934, dann wieder 1938 und schließlich 1945 sind universitäre Fachvertreter
in den Strudel politischer Ereignisse geraten.17
4. Die Zweite Republik konnte dank der ökonomischen Prosperität an der
universitären Gründungswelle der Nachkriegszeit in Europa partizipieren,
wobei durch die Gleichzeitigkeit einer egalitären Universitätsreform mit der
Vermehrung der universitären Dienstposten und der Gründung von außer-
universitären Forschungseinrichtungen spezifisch österreichische Lösungen
auch im Fach Geographie entstanden sind.
2. Die Vorphase bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts
Österreich hat sich am Kolonialzeitalter der europäischen Großmächte nicht
beteiligt. Es hatte im 18. und 19. Jahrhundert Aufbauarbeit in den weiten, z. T.
verwüsteten und siedlungsleeren Räumen der östlichen Reichshälfte zu leisten,
welche Jahrhunderte unter osmanischer Herrschaft gestanden hatten und „Ent-
wicklungshilfe“ für alle Bereiche der Wirtschaft ebenso benötigten wie den geord-
neten Ausbau von Siedlung und Verkehr. Beamtenstand und Militär bildeten die
Säulen für die Administration des Großreiches. Die akribische Durchführung der
statistischen Zählungen war ein Verdienst des Beamtenstandes, die Schaffung der
topographischen Grundlagen dasjenige der Ingenieursoffiziere.
Militärkartographische Aufnahmen
Die Errichtung der kaiserlichen Ingenieurakademien in Wien und Brüssel
(1717) bildete Marksteine für die Entwicklung einer wissenschaftlich begründeten
österreichischen Kartographie. Seit damals wurden in der Monarchie die topogra-
phischen Aufnahmen als Teil der Offiziersausbildung durchgeführt. Infolge der
räumlich weitgespannten Politik der Monarchie erlangte die Militärkartographie
Österreichs europäische Bedeutung, denn wo immer Heere des Kaiserreichs mar-
schierten, machten Ingenieursoffiziere Landesaufnahmen.18
17) 1934 Entlassung von METZ in Innsbruck, MACHATSCHEK in Wien; 1938 Außerdienststellung von SÖLCH, Selbstmord LICHTENECKERs, beides in Wien; 1945 Tod von LUZERNA in Prag.
18) Die Militärkartographie erhielt ihre geodätische Grundlage durch den Jesuitenpater Josef LIESGANIG, der Direktor der Wiener Sternwarte war. Auf Befehl MARIA THERESIAs maß er 1762 eine Dreieckbasis bei Wie-ner Neustadt, eine zweite in Marchfeld, 1769 zwei weitere Grundlinien in Ungarn. Ihm ist die erste Grad-messung auf deutschem Boden zu verdanken (Meridianbogen Brünn/Varazdin) (HASSINGER 1950, S. 98).
Die Entwicklung der Geographie als Wissenschaft
20
Die planmäßige Aufnahme aller österreichischen Länder auf Blättern 1:28.800
begann 1763 und dauerte bis 1787. Sie ist als Josephinische Aufnahme in die Ge-
schichte der Kartographie eingegangen.19 Ein Jahrhundert später folgte die von
Erzherzog Karl angeregte Francisceische Aufnahme im Katastermaßstab 1:2.880,
welche von 1860 bis 1869 ausgeführt wurde.20 Die Auswertung beider Aufnahmen
und der Vergleich mit Kartierungen im Gelände, um die Veränderungen der Kul-
turlandschaft zu untersuchen, gehören seit Hugo HASSINGER zum methodischen
Repertoire der österreichischen kulturgeographischen Forschung.
Mit der Aufnahme und Herausgabe der topographischen Karten in der Hoch-
gründerzeit (1873–1889) in den Maßstäben 1:25.000 und 1:75.000 für die gesamte
Monarchie hat das k.u.k. militärgeographische Institut eine außerordentliche Lei-
stung vollbracht, welche mit der Kartierung der Britischen Inseln und dem Riesen-
werk des Indienatlas in der langen Regierungszeit von Königin Viktoria verglichen
werden kann. Die Tätigkeit des Militärgeographischen Instituts hat sich nämlich
nicht auf die Monarchie beschränkt. Die sogenannte Generalkarte von Mitteleu-
ropa erstreckte sich im Maßstab 1:200.000 über ganz Italien, umfasste auch die
Balkanhalbinsel und reichte bis in die heutige Ukraine hinein.
Die Periode der Lexika
Bereits 100 Jahre vor der Einrichtung universitärer Institute, in der Periode des
aufgeklärten Absolutismus, hat die Monarchie die statistischen Grundlagen für
die politische Arithmetik geschaffen; eine Leistung, die nicht hoch genug ein-
zuschätzen ist. Synchron zu Katasterkarten, Stadtplänen und topographischen
Karten erfolgten topographisch genaue Zählungen der Siedlung, Bevölkerung
und Wirtschaft durch den statistischen Dienst. Sie bildeten die Grundlage für to-
pographische Lexika und Adressbücher, welche z.T. auch durch private Initiative
entstanden sind. Manufakturisten, Handels- und Gewerbetreibende sowie Unter-
nehmer waren die Interessenten.
Im folgenden seien nur die wichtigsten topographischen Lexika für den Gesamt-
staat genannt. Bereits 1782 wurde von F. G. HERMANN in Wien der wirtschaftlich
ausgerichtete „Abriß der physikalischen Beschaffenheit der österreichischen Staaten
und des gegenwärtigen Zustandes der Landwirtschaft, Gewerbe, Manufakturen,
Fabriken und Handlungen in denselben“ herausgegeben; 1787–1791 erschien das
19) Über 5.400 Originalblätter (Sektionen) dieses Werkes liegen im Wiener Kriegsarchiv. Die Sektions-blätter der josephinischen Karte sind aquarellierte Handzeichnungen, die lange Zeit streng geheim-gehalten wurden.
20) Das für ihre Zeit vorbildliche Werk der francisceischen Katasterkarte 1:2.880 mit ihren „Fassionen“ wurde ebenfalls nicht gedruckt.
sechsbändige „Handbuch des österreichischen Staates“ von Ignaz DE LUCA, Pro-
fessor der Statistik an der Universität Wien (1746–1799); das „Topographische
Postlexikon aller Ortschaften der kaiserlichen Erbländer“ in 24 Bänden wurde von
Christian CRUSIUS in Wien von 1798 bis 1828 herausgebracht. Der Begriff Geo-
graphie wurde zum ersten Mal von Max Josef Freiherr von LIECHTENSTERN für
das 1817/18 veröffentlichte dreibändige „Handbuch der neuesten Geographien des
österreichischen Kaiserstaates“ verwendet.
Eine zweite Reihe von landeskundlichen Monographien stammt aus dem Vor-
märz. G. W. BLUMENBACH verfasste ein dreibändiges Werk des Fabrik- und Ge-
werbewesens im österreichischen Kaiserstaat (Wien, 1819–1824). Sein populär-
wissenschaftliches Werk „Neueste Gemälde der österreichischen Monarchie“ (Wien,
1830–1833) erschien in verbesserter zweiter Auflage 1837 in drei Bänden. Franz
RAFFELSBERGER (1793–1861) veröffentlichte in Wien (1846–1853) das „Geogra-
phische Lexikon des österreichischen Kaiserstaates“ in 10 Bänden.
3. Die Gründerzeit der wissenschaftlichen Institutionen in der österreichisch-ungarischen Monarchie
Das liberale Zeitalter ist eine Periode des unglaublichen Aufbruchs aller Wissen-
schaften und ebenso eine Periode der Neugründung von Institutionen gewesen.
Der hier extensiv gefasste Begriff Gründerzeit (1848–1918) gilt nicht nur für die
Bevölkerungs-, Wirtschafts- und Stadtentwicklung, sondern auch für die Entwick-
lung der wissenschaftlichen Institutionen. Der Staat war zugleich Bauherr, Grün-
der und Finanzier der Einrichtungen. In der Metropole Wien wurden zunächst
die baulichen Dimensionen gestaltet, die rechtlichen Normen festgesetzt und die
Aufgaben der Institutionen definiert, die nach 1867 von Budapest und schließlich
von den Hauptstädten der Kronländer nachgeahmt worden sind. In Wien ent-
standen um die Mitte des 19. Jahrhunderts knapp nacheinander drei große staat-
liche Forschungseinrichtungen: 1847 wurde die Österreichische Akademie der
Wissenschaften gegründet, 1849 die Geologische Reichsanstalt und 1851 die k.u.k.
Zentralanstalt für Meteorologie und Erdmagnetismus.
Zu den Mitgliedern der Akademie der Wissenschaften gehörten von Anfang
an auch Geographen.21 Die Akademie der Wissenschaften übernahm die wissen-
21) Bei der Gründung befanden sich unter 40 wirklichen Mitgliedern zwei Geographen: Adrian EDLER von BALBI, k.u.k. Rat in Mailand (er war Verfasser eines „Atlas Ethnographique du Globe“, Lon-don 1826 sowie eines „Abrege de Geographie“, London 1832, in deutscher Übersetzung; 8. Auflage neu bearbeitet von F. HEIDERICH, Wien 1892 bis 1894, 3 Bände), und der Forschungsreisende Karl Freiherr von HÜGEL. Eine der ersten Denkschriften der Akademie (1850) enthielt sein Werk „Das Kabulbecken und die Gebirge zwischen dem Hindukusch und der Sutlej“. Unter den gewählten ausländischen Ehrenmitgliedern befanden sich Carl RITTER und Alexander von HUMBOLDT (Ber-
Elisabeth Lichtenberger
21
schaftliche Schirmherrschaft über die bereits genannten Expeditionen, die No-
vara-Expedition und die beiden Polarexpeditionen und publizierte deren Ergeb-
nisse. Sie förderte aber auch die geologische Erforschung der Balkanländer und
Griechenlands ganz wesentlich.22
Der Direktor der Geologischen Reichsanstalt, Franz von HAUER, brachte ab 1867
eine geologische Übersichtskarte der Monarchie heraus. Anlässlich des 50jährigen
Regierungsjubiläums von Kaiser FRANZ JOSEPH (1898) erschienen die ersten Blät-
ter der geologischen Spezialkarte.
Die Zentralanstalt für Meteorologie und Erdmagnetismus erlangte unter der
Leitung von Julius HANN (vgl. unten) Weltruf, wobei durch die Messungen auf
den neu eingerichteten Hochstationen des Obir (2.047 m) und des Sonnblicks
(3.105 m) bisherige meteorologische Auffassungen grundsätzlich revidiert wer-
den konnten. Um die Jahrhundertwende bestanden 400 Stationen. 1865 wurde
die Österreichische Gesellschaft für Meteorologie gegründet. Sie unterstützte und
ergänzte die Arbeiten der Zentralanstalt. Die von ihr herausgegebene meteorolo-
gische Zeitschrift wurde das führende Organ der meteorologischen Wissenschaft.
Der geowissenschaftlichen Aufbruchsstimmung der frühen Gründerzeit, die
sich in den großen Weltumsegelungen (vgl. oben) äußert, entsprach es auch, dass
an der Wiener Universität bereits 1851 das erste Ordinariat für Geographie ein-
gerichtet und mit einem Naturforscher, Friedrich SIMONY, besetzt worden war.
Dies war zu einem Zeitpunkt als in Deutschland nach dem Tode Carl RITTERs kein
einziger ordentlicher Lehrstuhl für Geographie bestanden hatte.23
Nahezu zwei Jahrzehnte blieb die Wiener Lehrkanzel die einzige in der Monar-
chie. Erst in der Hochgründerzeit (1870–1895) und somit um zwei Jahrzehnte
später als die Gründung der großen staatlichen Forschungseinrichtungen setzte
die große Gründungswelle von geographischen Lehrkanzeln an den Universi-
täten ein. Ungarn erhielt die erste Lehrkanzel für Geographie 1870 in Budapest,
die zweite 1875 in Klausenburg; in der österreichischen Reichshälfte wurde nach
Wien zuerst 1877 ein Lehrstuhl in Prag eingerichtet. Gleichzeitig entstanden Ex-
traordinariate in Graz und Krakau, 1880 weitere in Innsbruck und Czernowitz,
die dann innerhalb weniger Jahre in Ordinariate umgewandelt wurden; 1882 ka-
men Lemberg in Galizien und 1884 Agram (Zagreb) in Kroatien hinzu. Von der
lin) und der Direktor des Geographischen Instituts in Brüssel, Philip MAELEN. Aktuar der Akade-mie wurde der Geograph Dozent Dr. Adolf SCHMIDL.
22) Die Veröffentlichungen der Balkankommission, die südarabische Expedition und A. MUSILs Reisen in Nordarabien sowie die Mission von R. POECH nach Südafrika sind zu nennen.
23) In Berlin war Heinrich KIPPERT zunächst nur als außerordentlicher Professor tätig, in Göttingen und Breslau war die Geographie kein selbständiges Lehrfach, sondern mit Statistik (J. E. WAPPAEUS) und alter Geschichte (Karl NEUMANN) verbunden.
Fertigstellung des Gebäudes der Neuen Universität an der Ringstraße profitierte
die Wiener Geographie. 1885 wurden nach der Emeritierung von SIMONY zwei
Lehrkanzeln eingerichtet, und zwar für „physikalische Geographie“ und für „hi-
storische Geographie“. Damit war die institutionelle Gründungswelle der univer-
sitären Geographie abgeschlossen.
In der Spätphase der Gründerzeit (1890–1918) erfolgte 1893 die Gründung
des Hydrographischen Zentralbüros und damit die Organisation des hydrogra-
phischen Beobachtungsdienstes in Österreich, der in weiterer Folge weniger den
Interessen der Binnenschifffahrt, sondern denen der Wasserwirtschaft und dem
Hochwasserschutz zugute gekommen ist.
Knapp vor der Jahrhundertwende, 1898, wurde in Wien die Exportakademie er-
richtet und 1919 in die Hochschule für Welthandel umgewandelt. Die Wirtschafts-
geographie verfügte zunächst über eine, später sogar über zwei Lehrkanzeln.
Während die „Lehrkanzeln“ entsprechend ihrer Bezeichnung von Anfang an
für die „Lehre“ des jeweiligen Fachgebietes eingerichtet waren und ihnen keine
Mittel für Publikationen zur Verfügung standen, übernahmen fachspezifische
Vereine die Aufgabe der Veröffentlichung von wissenschaftlichen Informationen
und Ergebnissen. Sie wurden von den damaligen politischen, ökonomischen und
intellektuellen Eliten gegründet.
Es war ein bemerkenswerter Zufall, dass nahezu gleichzeitig mit dem Hand-
schreiben von Kaiser Franz Joseph zur Entfestigung von Wien und zum Bau der
Ringstraße, nämlich am 26. 9. 1856, die kaiserliche Genehmigung der Statuten der
k. k. Geographischen Gesellschaft erteilt worden ist.24 J. SÖLCH, der erste Rektor
der Universität Wien nach 1945, schrieb in den Mitteilungen der Geographischen
Gesellschaft 1951 (S. 4): „Die angesehensten Männer des Staates, hohe Militärs, Ad-
miralität, hohe Beamte, wissenschaftlich Interessierte des Hochadels, führende Män-
ner des Wirtschaftslebens waren an der Gründung beteiligt, selbst Mitglieder des Kai-
serhauses, darunter Kronprinz Rudolf, befanden sich unter den Förderern.“
Dem Stil des Zeitgeistes entsprechend wurden Stiftungen eingerichtet und
namhafte Preise vergeben. Es entstand eine bedeutende geowissenschaftliche
Vortragstradition, welche fächerübergreifend Geologen, Botaniker, Geophysiker,
24) Die Gründung der Geographischen Gesellschaft in Wien erfolgte eine Generation später als in Paris (1821), Berlin (1828) und London (1830). Zur Zeit der Gründung bestanden in Europa bereits 12 geographische Gesellschaften. Hugo HASSINGER hat darauf hingewiesen (ebd., S. 100), dass P. Marco Vinzenco CORONELLI (1615–1718) schon um 1684 in Venedig eine Accademia Cosmogra-fica degli Argonauti zur Förderung der Herausgabe von Globen und Karten und zur Förderung der Kosmographie geschaffen hat. Ein wechselvolles Schicksal führte herauf zur Gründung des Coronelli-Weltbundes der Globusfreunde (1952), der noch heute in Wien besteht (Internationale Coronelli-Gesellschaft für Globenkunde).
Die Entwicklung der Geographie als Wissenschaft
22
Anthropologen und Ethnologen vereinigte. Die engen wissenschaftlichen Bezie-
hungen zu den großen geowissenschaftlichen Institutionen, wie zur Geologischen
Bundesanstalt und zur Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik und zum
Militärgeographischen Institut, äußerten sich im Wechsel der Präsidentschaft.25
Neben die 1856 gegründete k.u.k. Geographische Gesellschaft in Wien trat 1872
die Ungarische Geographische Gesellschaft in Budapest, 1904 die Böhmische Geo-
graphische Gesellschaft in Prag.26
4. Die Krise der Institutionen in der Ersten Republik
Der Zusammenbruch der Monarchie und der Fortbestand Österreichs als Klein-
staat brachten nicht nur den Verlust der staatlichen Identität, sondern änderten
auch den Bedingungsrahmen dessen, was als staatsbürgerliche Erziehung und Bil-
dung in den Lehrbüchern der Monarchie verankert gewesen war. Die Verarmung
des Adels und der Unternehmer sowie die Verluste der Positionen des Beamten-
tums in den weiten Provinzen des Reiches gingen konform mit der Eliminierung
der geographischen Inhalte aus der politischen Vergangenheit des Großreiches in
den Lehrbüchern.
Die Krise der Wirtschaft hatte eine dramatische Krise der Institutionen zur Fol-
ge. Das Statistische Zentralamt, in der Monarchie eine der führenden Instituti-
onen in Europa, konnte die Volkszählungen des Kleinstaates in den Jahren 1923
und 1934 nicht wie bisher durchführen und veröffentlichen. Die kartographische
Landesaufnahme verlor ihre militärische Funktion und war nicht einmal imstan-
de, die topographischen Karten evident zu halten. Die wissenschaftlichen Vereine,
darunter auch die Geographische Gesellschaft, verloren mit der Verarmung von
Adel, Unternehmern und Beamten den Großteil ihrer Mäzene.
25) 1856 Gründungspräsident der Gesellschaft Wilhelm von HAIDINGER, Direktor der Geologischen Reichsanstalt; 1859 der Ethnograph Karl FREIHERR von CZOERNIG; 1861 der Reformator des wis-senschaftlichen Lebens in Österreich Leo Graf von THUN-HOHENSTEIN; 1862 der Kommandant des Expeditionsschiffs Novara, Bernhard Freiherr von WÜLLERSDORF-URBAIR; 1864 der Orientforscher Theodor KOTSCHY; 1865 der Feldzeugmeister Franz Ritter von HAUSLAB; 1866 der Direktor des Mi-litärgeographischen Instituts Franz STEINHAUSER; 1867 der Geologe Ferdinand von HOCHSTETTER; 1882 Hans Graf WILCZEK; 1889 der Direktor der Geologischen Reichsanstalt Franz Ritter von HAUER; 1897 der Feldzeugmeister Christian Freiherr von STEEB; 1900 der Direktor der Geolo-gischen Reichsanstalt Emil TIETZE; erst 1907–1914 der Geograph Eugen OBERHUMMER; 1915–1920 der Geograph Eduard BRÜCKNER.
26) Bezüglich der wissenschaftlichen Veröffentlichungen vgl. HASSINGER 1950, S. 138. In diesem Zu-sammenhang darf darauf hingewiesen werden, dass von den Fachzeitschriften die Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft in Wien die ältesten darstellen, welche nahezu gleichzeitig mit Petermann‘s Geographischen Mitteilungen begonnen wurden und zum Unterschied von diesen kontinuierlich bis heute erscheinen. Erst seit 1866 wurde die Zeitschrift der Gesellschaft für Erd-kunde zu Berlin herausgegeben.
Der Zusammenbruch konnte jedoch eines nicht vernichten: das Wissen in den
Köpfen der Menschen, welche die Chance gehabt hatten, noch in der Monarchie
ihre universitäre Ausbildung zu erhalten und in einem Vielvölkerstaat aufgewach-
sen zu sein. Es gehört daher zu den interessanten Paradoxien, dass die Erste Re-
publik, deren Existenzfähigkeit von der Bevölkerung bezweifelt wurde, eine ganz
erstaunliche Anzahl von Wissenschaftern in allen Sparten, darunter auch in der
Geographie, aufgewiesen hat. Die Besetzungslisten der österreichischen Universi-
täten in Wien, Graz und Innsbruck während der Zwischenkriegszeit bezeugen dies
nachdrücklich, enthielten sie doch durchwegs Spitzenvertreter des Faches: Hugo
HASSINGER (Wien), Otto MAULL (Graz), Fritz MACHATSCHEK (Wien), Johann
SÖLCH (Innsbruck, Wien), die nicht zuletzt dank der großen, von ihnen verfassten
Handbücher ganz wesentlich zum Ansehen der deutschsprachigen Geographie
beigetragen haben.
Auf ein zweites, ebenso erstaunliches Phänomen sei hingewiesen, nämlich, dass
die noch in der Gründerzeit geborene Generation von Geographen auch Heraus-
geber und Autoren für die Reihe „Enzyklopädie der Erdkunde“ gestellt haben, die
– was ebenso erstaunlich war – von dem im deutschen Sprachraum immer noch
renommierten Verlag Deuticke in Wien herausgebracht worden ist. Alle wichtigen
Bereiche der allgemeinen physischen Geographie waren darin vertreten: Glet-
scherkunde, Klimatologie, Morphologie.
5. Der universitäre Ausbau in der Zweiten Republik
Der universitäre Ausbau in der Zweiten Republik erfolgte unter einem anderen
Vorzeichen als in der Ersten Republik. Hatte in dieser nach dem Zerfall der Donau-
monarchie ein enormer Überhang an wissenschaftlichem Potential und Eliten, nicht
zuletzt auch in der Geographie, bestanden, so wurde dieses bedeutende Reservoir
im Verlauf der Nachkriegszeit weitgehend verbraucht. Österreich entwickelte sich
zu einem Abwanderungsland für junge talentierte Akademiker und Wissenschafter
aus allen Bereichen, während andererseits die Zuwanderung von Wissenschaftern
aus dem westlichen Ausland im Verhältnis dazu unzureichend blieb.
Auch auf dem Felde der wissenschaftlichen Geographie haben sich die Kommu-
nikationsmuster zum Teil einseitig entwickelt. Konzepte und Methoden strömten
aus dem vielfach größeren Nachbarstaat Deutschland nach Österreich ein und
wurden häufig erst mit deutlicher Phasenverschiebung wirksam, während es an-
dererseits nur einzelnen Fachvertretern der österreichischen Universitäten gelun-
gen ist, jenseits der Grenze mit eigenen Forschungen zur Kenntnis genommen
zu werden.
Elisabeth Lichtenberger
23
Diese Angleichung der wissenschaftlichen Kapazitäten an die Dimensionen
eines Kleinstaates vollzog sich dabei unter anderen ökonomischen Vorzeichen als
in der Ersten Republik. Das „österreichische Wirtschaftswunder“ folgte dem des
benachbarten westlichen Auslandes. Der generelle Wachstumsprozess der Wirt-
schaft und die allgemeine Wohlstandssteigerung führten zur Neugründung von
Institutionen durch den Staat. Österreich partizipierte an der europaweiten Neu-
gründungswelle von Universitäten. Auf der föderalistischen Struktur des Staates
beruhten die Bestrebungen „jedem Bundesland seine Universität“ zu geben. 1964
wurde die Universität Salzburg wiedereröffnet, 1972 wurde die sozialwissenschaft-
liche Universität in Linz und 1978 die bildungswissenschaftliche Universität in
Klagenfurt gegründet. In Salzburg und Klagenfurt wurden Geographische Insti-
tute eingerichtet. Es ist die „Heimkehrergeneration“ gewesen, auf deren Initia-
tive als „Aufbaugeneration“ die Neuerrichtung und Ausstattung vieler Institute
zurückging ebenso wie die Stärkung des inneruniversitären Ansehens des Faches
durch Rektoren und Dekane aus dem Fach Geographie.27
Der österreichische Staat übernahm auch die Förderung der Wissenschaft durch
öffentliche Fonds, darunter den Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen For-
schung, der allerdings, anders als die Deutsche Forschungsgemeinschaft in der
Bundesrepublik Deutschland, keine „staatliche Exportförderung“ der Forschung
für das Fach Geographie betrieben hat, so dass Auslandsforschung und Über-
seeforschung in Österreich weit weniger gefördert wurden als im Nachbarstaat
Deutschland. Daraus resultierte eine stärkere Bindung etablierter Wissenschafter
an den nationalen Rahmen, wodurch die Herstellung des österreichischen Natio-
nalatlasses ebenso möglich gewesen ist wie ein stärkeres territoriales Engagement
in angewandter geographischer Forschung.
Österreich partizipierte auch an der Umwandlung der HUMBOLDTschen Uni-
versität zur Massenuniversität im sozialen Wohlfahrtsstaat. Damit vollzog sich ein
grundsätzlicher Wandel des Lehr- und Forschungsstils (vgl. unten). Der geradezu
spektakuläre Ausbau der Geographie an den Universitäten sei an Hand von drei
Querschnitten für die Jahre 1955, 1977 und 2003 mittels der Zahl der Lehrenden
dokumentiert. Unvorstellbar bescheiden war die Zahl der Professoren und Assi-
stenten zum Zeitpunkt der österreichischen Staatsvertrages 1955 (vgl. Tabelle 1).
In den bereits in der Gründerzeit bestehenden 4 Geographieinstituten an den Uni-
versitäten Wien, Graz und Innsbruck hatte sich ebenso wie an der Wirtschaftsu-
niversität die Stellenzahl nicht verändert. Im Wiener Institut hatten 2 Lehrkan-
zelinhaber mit 3 Assistenten und 3 Lehrbeauftragten, durchwegs sogenannten
27) Rektoren waren in der Nachkriegszeit: KINZL und FLIRI (Universität Innsbruck); SÖLCH und SPREITZER (einstimmig gewählt, dann aus Gesundheitsgründen zurückgetreten) an der Universität Wien, SCHEIDL an der Hochschule für Welthandel in Wien und LENDL an der Universität Salzburg.
Privatdozenten, den Andrang der Jahrgänge des Babybooms des NS-Regimes von
mindestens 150 neu Inskribierten in jedem Studienjahr zu bewältigen.
Die größte Zahl an Privatdozenten (PD) wies damals das Geographische In-
stitut an der Hochschule für Welthandel auf. Insgesamt hatte die 1968 diskrimi-
nierte Ordinarienuniversität mit einer heute unvorstellbaren kleinen Zahl von 5
Lehrkanzeln, 3 Extraordinarien, 7 Assistenten und 10 durchwegs renommierten
Lehrbeauftragten nahezu ein Jahrzehnt – ungeachtet des enormen Andranges von
Studierenden – den Lehr- und Forschungsbetrieb aufrecht erhalten, auf dessen
Struktur im folgenden Kapitel eingegangen werden wird.
In der beschriebenen Gründungsphase der Universitäten erfolgte dann in den
1970er Jahren eine ganz wesentliche Vermehrung der Stellenzahl (vgl. Tabelle 2).
Das Geographische Taschenbuch 1977 belegt das Wachstum des Lehrpersonals
auf 14 Ordinariate, 5 Extraordinariate, 38 Assistentenstellen und 17 Stellen von
Lehrbeauftragten (LB) bzw. sogenannten wissenschaftlichen Hilfskräften (wH).
Im Jahr 1977 war das neue Universitätsorganisationsgesetz bereits gültig, auf
dessen Erbe noch eingegangen wird (vgl. unten). Die in seinem Zeichen vollzo-
genen Veränderungen sind aus dem Vergleich der Angaben von H. FASSMANN für
Wien 2 3 PD 3 + 2
Graz 1 1 1?
Innsbruck 1 1 (tit.) 1Hochschulef. Welthandel 1 1 2 PD 5
Summe 5 3 7 10
Universität Lehrkanzel a.o. Prof. Assistenten LehrbeauftragteStand 1955
Tabelle 1: Das Lehrpersonal an Geographischen Instituten in Österreich 1955(Quelle: Geographisches Taschenbuch 1954/55 und 1956/57)
Wien 5 14 wH 9
Graz 2 2 4
Innsbruck 2 8 1WU Wien Geogr. Inst. 1 1 4 Raumordnung 1 3
Summe 14 5 38 17
Universität Lehrkanzel a.o. Prof. Assistenten LehrbeauftragteStand 1977
Salzburg 2 2 5 LB 7
Klagenfurt 1 8 1
Tabelle 2: Das Lehrpersonal an Geographischen Instituten in Österreich 1977(Quelle: Geographisches Taschenbuch 1977)
Die Entwicklung der Geographie als Wissenschaft
24
das Jahr 2003 zu entnehmen. In allen Universitäten wurden zumindest 2 Ordinari-
ate, jeweils für physische Geographie und Humangeographie, eingerichtet. Damit
hat sich die Zahl der Ordinariate mäßig vermehrt, während durch die Verschie-
bung von habilitierten Assistenten in die Position von außerordentlichen Profes-
soren eine sehr starke Zunahme dieser Gruppe eingetreten ist und andererseits die
Zahl der Assistenten leicht abgenommen hat. Außerordentlich stark gewachsen ist
die Gruppe der Lehrbeauftragten.
Diese quantitativen und qualitativen Veränderungen waren mit einem Wandel
im Forschungs- und Lehrstil verbunden, der die gesamte Institution Universität
umfasste und das Fach Geographie stark betroffen hat.
6. Der Wandel im Forschungs- und Lehrstil
Der Wandel der HUMBOLDTschen Universität des Bildungsbürgertums zur Mas-
senuniversität des sozialen Wohlfahrtsstaates erfolgte über Europa hinweg, freilich
mit unterschiedlichen juristischen Konsequenzen. Österreich, welches in seiner
politischen Struktur eine Übergangsposition zum Osten besaß, weist auch auf
dem universitären Sektor eine Sonderentwicklung auf (vgl. Kap. II 7). Im Fol-
genden einige Stichworte zu den allgemeinen Veränderungen:
» Mit der HUMBOLDTschen Universität war die Lebensform des Gelehrten ver-
bunden gewesen. Sie stirbt nun nahezu schlagartig aus. Bezahlte wissenschaft-
liche Angestellte mit egalitären Ansprüchen an Freizeit und Privatleben treten
an ihre Stelle. An einzelne Persönlichkeiten gebundene Schulen, gekennzeich-
net durch die Einheit von wissenschaftlichem Weltbild, theoretischen Sicht-
weisen und instrumentellen Techniken laufen damit aus.
» Wissenschaftliche Grundlagenforschung wird durch die Marktforschung ver-
drängt, verliert an Ansehen und Attraktivität und ist auf staatliche Finanzie-
rung angewiesen. Wissen wird zu einem Marktprodukt. Gleichzeitig wird die
Lebensdauer wissenschaftlicher Produkte stark reduziert.
» Die Mitglieder des Faches versuchen daher häufig, in geschützten Nischen
dem Dilemma zu entkommen, dass die Entwicklung der menschlichen Ge-
sellschaft und der von ihr entscheidend umgestalteten natürlichen Umwelt
sich in einem so rasanten Tempo vollzieht, dass jede Querschnittsanalyse zum
Zeitpunkt ihrer Fertigstellung bereits überholt ist.
» Der Forschungsstil ändert sich grundsätzlich. Die Feldforschung wird vielfach
durch die Schreibtischarbeit, persönliche Erkundungen durch Internetre-
cherchen substituiert. Wissen aus zweiter und dritter Hand in immer neuer
Verpackung tritt an die Stelle der Primärforschung, welche dort, wo es um
Befragungen und Erhebungen geht, durch Datenschutz immer schwieriger
und teurer wird.
» Die Forschungsorganisation hat sich zuerst im geowissenschaftlichen Ast aus
der Einzelforschung gelöst und in Richtung auf ein Teamwork entwickelt,
eine Tendenz, welche inzwischen auch den humanwissenschaftlichen Zweig
erfasst hat.
» Aus der Eigenfinanzierung von Forschung ist seit den 1970er Jahren Schritt für
Schritt eine Projektfinanzierung geworden.
» Damit hat das Ranking von Einzelpersonen und Institutionen eine Verände-
rung erfahren. Nicht mehr nur die internationale Präsenz durch Publikati-
onen und Vorträge, sondern die Einbringung von Forschungsmitteln ist zu
einem Kriterium von zunehmender Bedeutung geworden. Hierbei hat sich
die Skala von regionalen, über nationale bis zu internationalen und EU-
finanzierten Projekten erweitert.
» Die universitäre Ausbildung hat sich grundlegend verändert. Eine Analogie
zum Gastgewerbe sei gestattet. Anstelle des Menüs eines klar definierten Aus-
bildungsganges tritt nunmehr das „À-la-carte“-Studieren, begünstigt durch
die Zunahme der Zahl von Lehrenden aller Qualitätsstufen, ohne klare Eti-
kettierung und auch ohne Kontrolle der Qualität. Der „Normalkonsument“
wird mit „aufgewärmten“ Produkten abgespeist. Neue Diskriminierungen
entstehen, darunter die Diskriminierung der frontalen Großvorlesung, Klein-
gruppen sind „in“, die billige Ware wird nicht nur im Supermarkt, sondern
auch auf der Universität zum „Verkaufsschlager“. Ein Bonus belohnt dabei die
Besuchstreue der a priori definierten Zahl der Teilnehmer.
» Aus dem selbständigen Studium mit wenigen Pflichtveranstaltungen und Prü-
fungen über umfangreichen Stoff ist eine Scheine-Sammelwirtschaft geworden.
Elisabeth Lichtenberger
Wien 6 7 7 33
Graz 2 4 2 18
Innsbruck 2 6 1 14
WU Wien 3 11 19
Summe 19 21 29 113,5
Universität Lehrkanzel a.o. Prof. Assistenten LehrbeauftragteStand 2003
Salzburg 4 4 4 20
Klagenfurt 2 4 9,5
Tabelle 3: Das Lehrpersonal an Geo-graphischen Instituten in Österreich 2003(Quelle: Fassmann 2004, S. 17–32)
25
» Mit dem Ende der Paternalisierung in den Familien bei gleichzeitiger Beibe-
haltung der Alimentierung – auch durch den Staat – ist überdies das Massen-
phänomen der neuen Lebensform des auf wenig Mühe und viel Spaß ausge-
richteten postmodernen Studierenden entstanden, der erwartet, dass Reisen
in Form von Exkursionen vom Staat mitfinanziert wird.
7. Das Erbe der Lex Firnberg
Staatliche Forschungspolitik und politökonomische Konzeptionen beeinflus-
sen Forschungsziele und Forschungsstile tiefgreifend. Unter der Überschrift „Lex
FIRNBERG“ wird das 1975 von Frau Bundesminister Hertha FIRNBERG erlassene
Universitätsorganisationsgesetz verstanden, welches grundstürzende Änderungen
für die universitäre Lehre und Forschung in Österreich gebracht hat.
Positiv ist zu vermerken, dass es im Zuge der gesetzlichen Neuordnung von
Studiengängen am Institut für Geographie in Wien gelungen ist, zwei neue Stu-
dienzweige, nämlich „Raumforschung und Raumordnung“ und „Kartographie“,
einzurichten und damit sehr viel früher als in Deutschland eine Chance des Faches
wahrzunehmen. Die starke formalwissenschaftliche bzw. technische Ausrichtung,
d.h. die starke Betonung von Methoden der Informatik und Statistik sowie der
Luftbildauswertung, der EDV-Graphik und von GIS sowie der Praxisbezug der
Fragestellung, d.h. die Projektorientierung der Ausbildung haben beide Studi-
enzweige zu einem Erfolg gemacht. Dem stehen folgende nachteilige Verände-
rungen durch die Lex FIRNBERG gegenüber:
1. Mit dem Hochschulstudiengesetz wurden die Anstellungserfordernisse für
Akademiker im gesamten öffentlichen Dienst geändert, d.h. das Doktorat
durch das Magisterium ersetzt. Diese argumentativ unter Bezug auf die an-
gelsächsische Universitätsstruktur begründete Herabstufung der Zugangsbe-
dingungen zum akademischen Arbeitsmarkt hat inflationistische Wirkungen
gezeigt. Es ist in Hinblick auf die Zahl der Dissertationen ein UOG-Schock
erfolgt. Die Zunahme der Studentenzahlen bewirkte keine Zunahme der Zahl
an Dissertationen. Es kam vielmehr zu einer Abnahme. Hierbei ließ sich ein
zentral-peripherer Effekt beobachten, insofern als in Innsbruck und Graz
noch längere Zeit Dissertationen verfasst wurden, während in Wien der Stu-
dienabschluss in Form von Diplomarbeiten erledigt worden ist.
2. Durch die Festlegung von schulmäßigen Studienplänen und eine Aufglie-
derung der Übungen und Seminare in kleine Gruppen war es erforderlich,
Lektoren in großer Zahl in den universitären Lehrbetrieb hereinzunehmen,
wobei die Hälfte der Lektoren aus den benachbarten Sachdisziplinen bzw.
technischen Wissenschaften stammt.
3. Nur einzelnen Angehörigen der Universität gelang es, ökologische Nischen
für die eigene Forschungsarbeit zu finden, während insgesamt durch den
wachsenden Organisations- und Verwaltungsaufwand die Forschung eine re-
siduale Position im Zeitbudget erhalten hat.
4. Insgesamt hat die nahezu drei Jahrzehnte gültige Lex FIRNBERG mit der Ab-
schaffung der traditionellen Ordinarienuniversität und ihrem Ersatz durch
drittelparitätische Entscheidungsgremien von Professoren, Mittelbauvertre-
tern und Studenten das wissenschaftliche Niveau nicht stimuliert, sondern
auf ein Mittelmaß reduziert. Es wurden keine Spitzenwissenschaftler, sondern
bestenfalls mittelmäßige Funktionäre erzeugt. Überdies waren vielfach Haus-
berufungen die Regel, während talentierte Wissenschaftler ins Ausland gin-
gen. Im internationalen Ranking sind die österreichischen Universitäten auf
tiefere Plätze gerutscht.
Mit dem Universitätsorganisationsgesetz 2002 hat sich die Situation mehr-
fach geändert. Die Universitäten wurden mit Unternehmen gleichgestellt, welche
Leistungsvereinbarungen mit dem Ministerium abschließen und dem Rektor die
Rechte der Unternehmensleitung geben. Den Professoren wurde die Mehrheit in
den Gremien zurückgegeben. Wissenschaftliche Leistung ist wieder gefragt.
Die Abfolge der Karrierepfade (vgl. Kap. III, Abb. 2) hat damit zu Beginn des 21.
Jahrhunderts einen neuen Abschnitt erhalten, in dem analog zur Gründerzeit wie-
der der Import von Geographen, vor allem aus Deutschland bei der Pensionierung
der Mitglieder der Babyboom-Generation zum Tragen kommt. Eine neue Seite in
der Entwicklung der Geographie wird damit aufgeschlagen (vgl. unten).
Die Entwicklung der Geographie als Wissenschaft
26
III. Generationenfolgen und Schulen
1. Die Generationenfolge der geographischen Ordinariate an österreichischen Universitäten
In der sozialwissenschaftlichen Biographie- und Lebenslaufforschung wird die
Frage nach der Abfolge der Generationen hinsichtlich Bildung, Vermögen, beruf-
licher Profession und Lebensstilen gestellt. In der wissenschaftlichen Welt geht es
um Kontinuität und Wandel bzw. um Abkehr von traditionellen und die Generie-
rung von neuen Theorien, um methodischen Fortschritt und die Operationalisie-
rung von Fragestellungen.
Bei der Anwendung der Konzeption der Generationenfolge auf die Wissen-
schaftsgeschichte der Geographie in Österreich im Zeitraum von eineinhalb Jahr-
hunderten wurde versucht, die Abfolge der Generationen zu erfassen sowie die
Weitergabe und den Aufgriff von neuen Themen zu spezifizieren (vgl. Anhang).
Es ist einsichtig, dass zwei Bezüge herzustellen sind:
1. jener zur generellen wissenschaftlichen Entwicklung und
2. jener zum politisch-institutionellen Schicksal der einzelnen Generationen.
Die universitäre Gründungsphase der Geographie wird von den Mitgliedern der
Frontiergeneration getragen, die aus anderen Disziplinen gekommen sind und
Autodidakten waren. Hierzu die Beispiele aus dem benachbarten Deutschland:
Alexander von HUMBOLDT (1769–1859) begann seinen Weg zur Geographie als
Botaniker, Carl RITTER (1779–1859) als Historiker, Adolf STIELER (1775–1883)
hatte Jurisprudenz studiert, bevor er die wissenschaftliche Atlaskartographie be-
gründete. Damit stehen am Beginn der Wissenschaftsgeschichte der Geographie
drei Männer, die noch im 18. Jahrhundert geboren wurden und deren wissen-
schaftliche Lebensarbeitszeit zum Großteil vor dem Eisenbahnzeitalter lag.
Mit einer deutlichen Zäsur von zwei Generationen folgen die nächsten bedeu-
tenden Wissenschafter, welche die Geographie im liberalen Zeitalter als univer-
sitäre Profession eingerichtet haben. Auch ihre Hauptrepräsentanten sind Auto-
didakten gewesen: Friedrich RATZEL (1844–1904) hat Pharmazie und Zoologie
studiert, Joseph PARTSCH (1851–1925) Geschichte, Siegfried PASSARGE (1866–
1958) Medizin und Geologie, Robert GRADMANN (1865–1950) Theologie bzw.
Botanik und Oscar PESCHEL (1826–1875) kam von der Journalistik. Als Beispiele
für die Herkunft aus der Geologie sind Ferdinand von RICHTHOFEN (1833–1905)
und Erich von DRYGALSKI (1865–1949) anzuführen. Diese „Immigranten“ aus an-
deren Disziplinen haben aus diesen das wissenschaftliche Gepäck in Form von
theoretischer Ausrüstung und methodischer Praxis mitgebracht.
Blenden wir an dieser Stelle die Fachgeschichte in Österreich ein. Sie eröffnet
später als im Deutschen Reich mit der interessanten Persönlichkeit von Fried-
rich SIMONY (1813–1896), der rund ein halbes Jahrhundert nach Alexander von
HUMBOLDT und eine Generation vor Friedrich RATZEL geboren wurde. Er war
seiner Ausbildung nach ein Pharmazeut, seinem persönlichen Hobby nach ein
leidenschaftlicher Naturfreund und Alpinist. Mit seiner Ernennung 1851 zum Or-
dinarius für Geographie in Wien wird die Schiene für das Fach in die Zukunft ge-
legt. Die geographische Forschung in Österreich bleibt mit den Geowissenschaften
verkettet. Das belegt das Curriculum der Schüler von Friedrich SIMONY, welche
der Generation von Friedrich RATZEL angehören.
Von den drei wichtigen Schülern SIMONYs blieb nur Eduard RICHTER (1847–
1905) im Fachgebiet der Geographie. Julius HANN (1839–1921) habilitierte sich
zwar 1869 bei SIMONY und wurde 1874 zum a.o. Professor für physikalische Geo-
graphie ernannt, um drei Jahre später zum Direktor der Zentralanstalt für Mete-
orologie und Erdmagnetismus bestellt zu werden und das Schwergewicht seiner
Forschungen auf das Gebiet der Klimatologie und Geophysik zu verlegen. Carl
DIENER (1862–1928) hatte ebenfalls bei SIMONY studiert und sich 1885 in der Ge-
ographie habilitiert, 1893 wurde seine Venia auf Geologie übertragen, 1903 er-
folgte seine Ernennung zum außerordentlichen, 1906 zum ordentlichen Professor
der Paläontologie. Ein weiterer SIMONY-Schüler, Alexander SUPAN (1846–1920),
eröffnete die Reihe von Geographen, welche die Möglichkeit einer außeruniversi-
tären Karriere bei Verlagen ergriffen haben.
Der Beginn der universitären Profession Geographie, d.h. die Verwissenschaft-
lichung der Geographie als universitäre Forschungsdisziplin, hat sich in Österreich
einerseits im physischen Bereich auf der Grundlage der Geologie und andererseits
im humanwissenschaftlichen Bereich auf der Grundlage der Sprachwissenschaft
und Philologie vollzogen. Die Curricula belegen, dass die Fachgrenzen weiter-
hin offen geblieben sind. Als im Jahre 1885 Albrecht PENCK (1858–1945), seinem
Universitätsstudium nach Geologe, als Nachfolger von Friedrich SIMONY zum or-
dentlichen Professor für physikalische Geographie in Wien ernannt worden ist,
war nicht vorherzusehen, dass damit der „Stammvater der österreichischen Geo-
graphie“ berufen wurde, dessen „Urenkel“ noch in der Gegenwart geographische
Ordinariate besetzen. Albrecht PENCK, Ehrenmitglied der mathematisch-natur-
wissenschaftlichen Klasse der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, hat
eine mächtige und weit verzweigte Schule hinterlassen, welche von seinen beiden
Wirkungsstätten Wien und Berlin aus bis herauf in die Zwischenkriegszeit und die
ersten Jahre der Nachkriegszeit die physische Geographie im deutschen Sprach-
raum entscheidend mitbestimmt, aber auch weit darüber hinaus gegriffen hat.
Elisabeth Lichtenberger
27
Der zweite universitäre Entwicklungsast kam von der Geschichtswissenschaft
und Philologie. Franz von WIESER (1848–1923), der die Reihe der Ordinariate in
Innsbruck eröffnete, hat noch in seiner Abschiedsvorlesung betont, dass er immer
Historiker geblieben ist. Die Kenntnisse von Wilhelm TOMASCHEK (1841–1901),
der 1885 auf die neu eingerichtete zweite Lehrkanzel für „Historische Geogra-
phie“ in Wien berufen worden war, umfassten vor allem die antike Literatur und
Geschichte sowie das weite Feld des Sprachvergleichs (vgl. unten). Auch der als
Nachfolger von Wilhelm TOMASCHEK 1901 berufene Otto OBERHUMMER (1859–
1944) beschäftigte sich mit der historischen Geographie unter Heranziehung von
abendländischen und orientalischen Quellen.
Während es Albrecht PENCK gelungen ist, in der Morphologie gleichsam in
einem Zug die weitgehende Abtrennung des jüngsten Abschnitts der Erdgeschich-
te, nämlich des Zeitraums des Quartärs, von der Geologie zu erreichen, hat dieser
Vorgang der Separierung der Geographie von der Geschichte, den KANT katego-
risch postuliert hat, in der Geographie des Menschen mehrere Generationen in
Anspruch genommen, in denen ein Heraufrücken des geographischen Zeithori-
zonts der Forschung erfolgt ist. Anders als in der physischen Geographie fehlt da-
her bei den Vertretern der historischen Geographie die Kontinuität der Weitergabe
von Ideen in der Generationskette des Faches und damit verbunden die Weiterga-
be des methodischen Instrumentariums. Selbst der institutionell sehr engagierte
und wissenschaftlich talentierte Otto OBERHUMMER konnte keine Schule grün-
den. Es sind PENCK-Schüler gewesen, welche vor dem Ersten Weltkrieg die ös-
terreichischen Universitäten besetzten, wie Franz HEIDERICH (1863–1926), der an
der Exportakademie die Geographie des Welthandels begründet hat, und Robert
SIEGER (1864–1926) in Graz, der den Vorschlag von Albrecht PENCK aufgegriffen
hat, sich mit der Almwirtschaft zu beschäftigen, welche PENCK als Teilaspekt in
den Überlegungen über die Tragfähigkeit der Hochgebirge im Zusammenhang
mit der Bonitierung der Erde wichtig erschienen ist.
In der Generation der zwei Weltkriege hat sich die Professionalisierung des
Faches vollzogen. Es handelt sich um eine interessante Generation, welche den
technologischen Fortschritt von der Eisenbahn zum Flugzeug und zum Auto
ebenso miterlebte, wie den zweimaligen politisch-militärischen Zusammenbruch
in Zentraleuropa. Ihre Mitglieder waren noch im Großreich der Monarchie auf-
gewachsen, hatten ihre professorale Karriere aber erst in der Zwischenkriegszeit
gemacht. Sie besaßen noch ein enzyklopädisches Fachverständnis und eine an den
Dimensionen eines Vielvölkerstaates orientierte Weltsicht, andererseits war ihnen
nationales Bewusstsein selbstverständlich. Noch nicht abgelenkt durch Massen-
medien des Rundfunks und Fernsehens nützten sie alle Chancen der Globalisie-
rung der Printmedien und Statistiken. Die meisten schrieben aus heutiger Sicht
eine geradezu unglaubliche Zahl von Handbüchern der allgemeinen und regio-
nalen Geographie.
Mehrere PENCK-Schüler befinden sich darunter: Norbert KREBS (1876–1947),
der zuerst nach Würzburg, dann nach Berlin als Nachfolger von Albrecht PENCK
berufen wird; Fritz MACHATSCHEK (1876–1957), dessen Karrierepfad über Prag
nach Wien und schließlich nach München führt; Hugo HASSINGER (1877–1952),
der die Auslandsschleife über Basel und Freiburg zurück nach Wien zieht und auf
den als Begründer der Stadtgeographie und Kulturlandschaftsforschung noch
eingegangen wird; Johann SÖLCH (1883–1951), der von Innsbruck nach Heidel-
berg geht und von dort als Nachfolger von Fritz MACHATSCHEK nach Wien be-
rufen wird und Otto LEHMANN (1884–1941), der an die TU Zürich berufen, in
der Schweiz bleibt. Schließlich ist noch Otto MAULL (1867–1957), ein gebürtiger
Frankfurter, zu nennen, der den Ruf nach Graz erhält und mit dem die Reihe der
PENCK-Schüler endet. Insgesamt sind acht PENCK-Schüler Ordinarien an österrei-
chischen Universitäten gewesen.
Seit den 1930er Jahren kommen andere Schulen, wie die HETTNER-Schule mit
dem Landeskundler Friedrich METZ (1890–1969), der eine Zwischenetappe seiner
Berufskarriere in Innsbruck absolviert, bzw. Mitglieder der „Enkel-Generation“
von Albrecht PENCK wie Hans SPREITZER (1897–1973), ein SIEGER-Schüler, und
Hans KINZL (1898–1979), ein SÖLCH-Schüler, bei den Besetzungen zum Zug. In
einer Zeit kärglicher finanzieller Mittel gelingt es nicht, den bedeutenden deut-
schen Arabien- und Chinaforscher Hermann von WISSMANN (1895–1979), der in
Wien studiert und eine beispielgebende Forschungsarbeit über das Bergbauern-
problem im Ennstal vorgelegt hat, nach Österreich zurückzuholen.
Die Generation des 20. Jahrhunderts, welche im Ersten Weltkrieg noch zu jung
war, um einberufen zu werden, bildet eine kleine Gruppe. Zu ihr gehörte Hans
BOBEK (1903–1990), der als SÖLCH-Schüler und damit PENCK-Enkel im Stamm-
baum aufscheint. Er wird zum Gründer der Sozialgeographie und zur dominie-
renden Persönlichkeit der österreichischen Geographie in der ersten Hälfte der
Nachkriegszeit. Hochbegabt, konnte er sich vom Schicksal seiner Kohorte, welche
zwei politische Zusammenbrüche miterlebte, abkoppeln, deren Vertretern, wie
Egon LENDL (1906–1989) und Herbert PASCHINGER (1911–1992), nur mehr eine
späte innerösterreichische Karriere offen stand.
Die Berufungspolitik auf österreichische Ordinariate überließ Hans BOBEK
in der Heimkehrergeneration, die man als Aufbaugeneration bezeichnen kann,
einem anderen SÖLCH-Schüler, nämlich Hans KINZL in Innsbruck. Dessen Schüler
Die Entwicklung der Geographie als Wissenschaft
28
besetzten mit Franz FLIRI (1918–2008) und Adolf LEIDLMAIR (1919–) die Inns-
brucker Ordinariate, mit Helmut HEUBERGER (1923 –) das Salzburger Ordinariat.
Relativ spät kam der oben genannte KINZL-Assistent Herbert PASCHINGER auf den
Grazer Lehrstuhl.
Auf die Verdienste der Aufbaugeneration wurde hingewiesen. Es handelt sich
um eine Kohorte mit einer sehr großen Breite an Sichtweisen, vielfach noch aus-
gestattet mit einem von den Mitgliedern der jüngeren Kohorten belächelten en-
zyklopädischen Fachverständnis und mit großem topographischem Wissen. Sie
hat den wissenschaftlichen Standard noch an der Komplettheit und Akribie der
Literaturzitate gemessen. Andererseits sah sie sich mit der „quantitativen Revo-
lution“ des Faches konfrontiert, bei der sich allerdings einige Mitglieder dieser
Generation als Spitzenreiter im deutschen Sprachraum etablieren konnten (Franz
FLIRI, Innsbruck; Elisabeth LICHTENBERGER, Wien).
Die finanziellen Engpässe bezüglich der Auslandsforschung haben in den ersten
drei Jahrzehnten der Nachkriegszeit eine Konzentration der Fachvertreter auf die
Forschung im eigenen Lande erzwungen. Daraus resultiert andererseits eine er-
freuliche institutionelle Aussage für die Geographie Österreichs, insofern als dyna-
mische und talentierte Mitglieder der Babyboom-Generation des Dritten Reiches,
d.h. der Nachkriegsgeneration, wichtige Positionen in Regierungs- und Verwal-
tungsstellen innehaben. An erster Stelle ist die große Bedeutung von Geographen
in der österreichischen Statistik zu nennen, die z.T. durch das Fehlen demogra-
phischer Lehrkanzeln mitbedingt ist. Von 1971 bis zu Beginn des 21.Jahrhunderts
befand sich die Leitung der Großzählungen in Österreich in geographischer Hand
(Heimold HELCZMANOVSZKI, Richard GISSER). Damit wurden geographische
Konzeptionen bei der Primärerhebung und bei der räumlichen und sachlichen
Aggregierung der Daten in die österreichische Statistik eingebracht. Auch stati-
stische Landesämter werden von Geographen geleitet, ferner die Österreichische
Raumordnungskonferenz (vgl. oben), eine Verbindungsstelle zum Bundeskanz-
leramt, welche sehr wichtige Informationsaufgaben zwischen Wissenschaft, Re-
gierung und Verwaltung wahrnimmt, überdies sind Geographen in nahezu allen
Landesplanungsstellen tätig.
Die Generation des 21.Jahrhunderts unterscheidet sich von der Nachkriegsge-
neration ganz wesentlich. Die Konsequenzen der oben gekennzeichneten Lex Firn-
berg haben die Entstehung eines international konkurrenzfähigen Nachwuchses
für die österreichischen Ordinariate verhindert. Diese Aussage gilt nicht nur für
die Geographie, sondern für weite Bereiche der universitären Landschaft. Damit
fehlen, von wenigen Geographen abgesehen, die aus dem Ausland zurückberufen
wurden, qualifizierte österreichische Bewerber für die ausgeschriebenen Profes-
sorenstellen. Bewerber aus der Bundesrepublik Deutschland kommen zum Zug.
2. Generationenfolge und Karrieretypen
Die Antwort auf die Frage nach der Generationenfolge und damit nach der Bil-
dung von Schulen zeichnet die wissenschaftlichen Stammbäume nach. Eine zweite
Aussagenebene bieten die Karrieretypen. Gerade in einem Kleinstaat wie Öster-
reich ist hierbei die Frage nach dem „Import“ und „Export“ von Wissenschaftern
von entscheidender Bedeutung, d.h. die ausländische universitäre Nachfrage nach
österreichischen Geographen bzw. umgekehrt die Berufung ausländischer Wis-
senschafter auf österreichische Lehrstühle. Demnach sind vier Typen von Karrie-
ren zu unterscheiden:
1. Berufungen von Geographen aus dem Ausland;
2. ins Ausland berufene und dort verbliebene österreichische Geographen;
3. österreichische Geographen mit Auslandsschleifen von unterschiedlicher
Dauer, welche an ausländische Universitäten berufen wurden und wieder
nach Österreich zurückgekehrt sind.
4. Als „österreichische Lösungen“ werden die Pfade bezeichnet, bei denen sich
die gesamte Laufbahn an der Studienuniversität abgespielt hat und eine
Hausberufung bzw. eine Berufung an eine andere österreichische Universität
erfolgt ist.
Abbildung 2 belegt recht eindrucksvoll die Unterschiede der Karrieretypen in
der Generationenfolge.
Abbildung 2:Karrieretypen in der Generationsfolge(Quelle: Lichtenberger)
1. Autodidakten in der Gründerzeit
KarrieretypenGenerationenfolge
Import Österr.Lösung
Auslands-schleife
Export
2. Spätgründerzeit - Zwischenkriegszeit
3. Generation der zwei Weltkriege
4. Generation des 20. Jahrhunderts
5. Heimkehrergeneration des 2. Weltkrieges
6. Nachkriegsgeneration
7. Generation des 21. Jahrhunderts
Elisabeth Lichtenberger
29
Die institutionellen Anfänge der Fachentwicklung in der Gründerzeit an den
Universitäten waren durch „österreichische Lösungen“ gekennzeichnet. Es gab
weder Berufungen aus dem Ausland, noch wurden Österreicher auf ausländische
Universitäten berufen. Am Beginn der Einrichtung von Lehrstühlen sind in jedem
Fach Autodidakten die Regel. Der Beginn der Professionalisierung des Univer-
sitätsfaches Geographie war dagegen in der Spätgründer- und Zwischenkriegs-
zeit durch den „Import“ von Wissenschaftern aus dem Ausland gekennzeichnet.
Es handelte sich um sehr bedeutende Persönlichkeiten: Albrecht PENCK, der aus
Sachsen stammte, Eugen OBERHUMMER, der in München geboren worden war,
und den Baltendeutschen Eduard BRÜCKNER (1862-1927) aus Dorpat (heute
Tartu, Estland). Diese Importphase, welche mit dem Ausbau des Faches Geogra-
phie in der Hochgründerzeit verbunden war, blieb im 20. Jahrhundert allerdings
ein einmaliges Ereignis. Entsprechend dem Bedeutungsgewinn des Faches än-
derten sich die Karrieretypen in der Generation der zwei Weltkriege entschei-
dend. Österreichische Geographen wurden in beachtlicher Zahl auf Lehrstühle
im deutschen Sprachraum berufen. In Österreich selbst erfolgte keine Berufung
ohne Auslandsschleife, als Beispiele seien Johann SÖLCH und Hugo HASSINGER
angeführt. „Österreichische Lösungen“ fehlten, mit Ausnahme der Hochschule
für Welthandel.
In der zahlenmäßig kleinen Gruppe von Fachvertretern, die der Generation des
20. Jahrhunderts angehören, dominieren dagegen „österreichische Lösungen“ bei
Angehörigen einer Kohorte, welche von den Effekten des NS-Regimes und des
Zweiten Weltkriegs betroffen war. Diese Aussage traf auch auf einen großen Teil
der Aufbaugeneration nach dem Zweiten Weltkrieg zu, bei der allerdings die Zahl
der Mitglieder mit Auslandserfahrungen mit der Zahl der in Österreich verbliebe-
nen nahezu gleichziehen konnte.
Bei der Nachkriegsgeneration, die im Wesentlichen auf den Babyboom des
Dritten Reiches zurückgeht, ist andererseits die große Zahl von Exporten be-
sonders auffällig, welche die geringen Chancen im eigenen Land ebenso wie den
Überschuss an wissenschaftlichem Potential dokumentiert. Den sechs „Exporten“
stehen andererseits nur zwei „Importe“ gegenüber. Von den neun Mitgliedern die-
ser Generation auf österreichischen Lehrstühlen handelt es sich in sieben Fällen
um österreichische Lösungen ohne Auslandserfahrungen und nur in zwei Fällen
um Personen mit Auslandsschleifen. Unter den Bedingungen der Lex FIRNBERG
war eine Rückkehr von Wissenschaftlern an österreichische Universitäten von ge-
ringem Interesse. Dasselbe galt für Fachvertreter aus dem westlichen Ausland.
Die Generation des 21. Jahrhunderts spiegelt den Wandel in der Universitäts-
politik wider. Auf die Defizite des österreichischen Nachwuchses durch die Lex
FIRNBERG wurde hingewiesen. Der Nachwuchs für die österreichischen Universi-
täten kommt im 21. Jahrhundert in erster Linie aus dem Ausland, vor allem aus
der Bundesrepublik. Sieben Zuwanderern stehen bisher (2008) nur zwei österrei-
chische Professoren mit einer Auslandsschleife gegenüber.
Überblickt man den gesamten Zeitraum, so sind zwei Aussagen abgesichert:
» Mit Ausnahme der Professionalisierungsphase des Faches ist Österreich in
der wissenschaftlichen Geographie bis zum Endes des 20. Jahrhunderts ein
Land mit Exportüberschuss geblieben (vgl. Abb. 2). Ferner hat bis herauf in
Abbildung 3: Österrei-chische Geographen auf Ordinariaten im mitteleuro-päischen Ausland, Ende 20. Jahrhundert(Quelle: Lichtenberger)
Die Entwicklung der Geographie als Wissenschaft
30
die ersten Nachkriegsjahrzehnte die eiserne Regel gegolten, dass Auslandser-
fahrung eine unabdingbare Voraussetzung für eine Rückberufung bildet. Sie
wurde erst in der Wachstumsphase der Universitäten in den 1970er Jahren
partiell außer Kraft gesetzt. „Österreichische Lösungen“ für Ordinariate und
der Export von Wissenschaftern auf ausländische Ordinariate ohne allzu
große Rückkehrchancen und Rückkehrinteresse standen einander gegenüber.
Im 21. Jahrhundert ist schließlich der Kleinstaat Österreich – wie nie zuvor –
auf die Zuwanderung von universitären Eliten aus Deutschland und anderen
Staaten angewiesen. Die Zeit einer Überschussproduktion ist zu Ende.
» Österreichische Geographen haben im abgelaufenen 20. Jahrhundert, wie aus
der obigen Aufstellung zu entnehmen ist, eine beachtliche Anzahl von Lehr-
stühlen in der Bundesrepublik Deutschland und in der Schweiz innegehabt.
Insgesamt handelt es sich um 20 Institute, wobei an manchen Instituten im
Laufe der Zeit mehrere österreichische Ordinarien der Geographie tätig wa-
ren (wie in Freiburg, Heidelberg und Frankfurt) (vgl. Abb. 3).
3.BiographienvonGründerfiguren
Albrecht Penck (1858–1945) – Begründer der Morphologie und Eiszeitforschung in Wien und Berlin
Wien war um die Jahrhundertwende mit dem Dreige-
stirn von Albrecht PENCK, Eduard SUESS und Julius von
HANN ein Zentrum der europäischen Geowissenschaft in
den Fächern Morphologie, Geologie und Meteorologie.
Albrecht PENCK, seiner Herkunft nach ein Sachse, gehört
zu den zahlreichen ausländischen Künstlern und Wissen-
schaftern, welche die kaiserliche Weltstadt Wien in der
Gründerzeit angezogen hat. Hochbegabt, widerlegt Alb-
recht PENCK bereits mit 19 Jahren durch Beobachtung von
nordischen Basalten in den eiszeitlichen Ablagerungen im
Leipziger Raum in seiner ersten wissenschaftlichen Arbeit
die herrschende Drifttheorie zur Erklärung der Inlandeis-
vergletscherung. In München schreibt er mit 24 Jahren sein
erstes großes Werk „Die Vergletscherung der deutschen Al-
pen, ihre Ursachen, periodische Wiederkehr und ihr Ein-
fluß auf die Bodengestaltung“ (1882) und legt darin die
Grundstrukturen seines späteren Werkes über „Die Alpen
im Eiszeitalter“ fest.
PENCKs Karriere ist ein Beispiel für die Chancen von Hochbegabten in der
Gründerzeit. Mit 25 Jahren wird er in München als Privatdozent für Geographie
habilitiert, mit 27 Jahren (1885) auf die Lehrkanzel für physikalische Geographie
als Nachfolger von Friedrich SIMONY in Wien berufen.
In der Wiener Zeit begründet PENCK mit dem Werk „Die Alpen im Eiszeitalter“,
in dem Eduard BRÜCKNER die Gletscher der Nordschweiz, das Schweizer Rhône-
gebiet und die Gletscher der Südalpen westlich der Etsch behandelt, seinen inter-
nationalen Ruf. In Wien verfasst er, einer Aufforderung Friedrich RATZELs folgend,
in mehr als zehnjähriger Arbeit das erste Lehrbuch der systematischen Morpho-
logie der Erdoberfläche, in dem nicht nur die Morphographie, sondern auch die
Morphometrie und Fragen der Geophysik behandelt werden. In die Wiener Zeit
fallen damit die Hauptleistungen von Albrecht PENCK:
» die Trennung der Morphologie von der Geologie und ihre Etablierung als geo-
graphische Subdisziplin mit der Aufgabe der Klassifikation, Beschreibung
und Erklärung der endogenen Oberflächenformen der Erde sowie
» die Erforschung des Eiszeitalters in Hinblick auf Morphologie, Stratigraphie,
Chronologie, Klimatologie und prähistorische Archäologie. Über die Erfor-
schung der eiszeitlichen Phänomene hinaus gelang damit die Abtrennung des
Quartärs als jüngster Teil der Erdgeschichte von der historischen Geologie
und Paläontologie und die Etablierung als interdisziplinärer, stark von der
Geographie dominierter Forschungsbereich.
In der Wiener Zeit entstehen von PENCK angeregte und geförderte Arbeiten
zur hydrographischen Forschung von Seen, Flüssen28 und Karstgewässern.29 In
Fortführung der Untersuchungen von Friedrich SIMONY und in Zusammenar-
beit mit Eduard RICHTER in Graz entsteht der Atlas der österreichischen Alpen-
seen. Darüber hinaus werden Seenstudien zur Untersuchung des Problems der
Klimaschwankungen durchgeführt.30 Albrecht PENCK war auch der Mitbegründer
der biologischen Station Lunz.
Entsprechend seiner globalen Weltsicht forderte Albrecht PENCK bereits 1891
auf dem internationalen Geographenkongress in Bern, die Herstellung einer Welt-
karte im Maßstab 1:1,000.000 und erlebte 1909 die Genugtuung, dass sich das
internationale Map-Komitee über das Programm einigen konnte. 1906 wird Alb-
recht PENCK als Nachfolger Ferdinand von RICHTHOFENs an die Universität Ber-
28) Zur Hydrographie des fließenden Wassers wurden berühmt gewordene Untersuchungen von V. RUVARAC (Elbe in Böhmen) und P. VUJEVIC (Theiß) durchgeführt.
29) Zur Karstforschung sind die Arbeiten von J. CVIJIC, N. G. KLEB, A. GRUND und seine eigenen Beiträ-ge zur Karsthydrographie anzuführen.
30) Am Neusiedler See durch Anton SWAROVSKI, an den innerafrikanischen und den hocharmenischen Seen durch Robert SIEGER.
Abbildung 4: Albrecht Penck (1858-1945) (Foto: ÖGG)
Elisabeth Lichtenberger
31
lin berufen.31 Sein internationaler Ruf wächst, als er von dort 1908 als Austausch-
professor nach Amerika geht und andererseits William Morris DAVIS nach Berlin
zu Vorlesungen kommt, dessen morphologische Zyklustheorie rasch Eingang in
deutsche Lehrbücher findet.
In Berlin setzt Albrecht PENCK das Entdeckungszeitalter auf dem Lande, auf den
Weltmeeren und in der Antarktis fort. Bereits in Wien hat sich PENCK mit Adria-
forschung beschäftigt, in Berlin übernimmt er die Direktion des Museums für
Meereskunde und kann bei der Schaffung einer Professur für Meereskunde seinen
Wiener Schüler Alfred MERZ vorschlagen, dem er auch die Leitung des Museums
überlässt. Mit der Antarktisforschung hat sich PENCK ebenfalls schon in Wien be-
schäftigt, er führt sie in Berlin fort. Die beispielgebenden Forschungsfahrten der
„Meteor“ verdanken nicht zuletzt ihm ihre Verwirklichung.
Die Ereignisse des Krieges und der Folgejahre veranlassen Albrecht PENCK, sich
mit Fragen der politischen Geographie zu beschäftigen. Auf ihn geht der Begriff
„Zwischeneuropa“ zurück. Sehr ausführlich befasst sich PENCK mit der Frage der
Tragfähigkeit der Erde, die er als ein Hauptproblem der physischen Anthropo-
geographie auffasst.32 In seiner ersten Arbeit schätzt PENCK die größtmögliche
Bevölkerung der Erde auf rund 8 Mrd., nach ihm kommt FISCHER zu bloß 6,2
Mrd., HOLLSTEIN dagegen zu 13,3 Mrd., und zwar aufgrund des Hektarertrags der
nutzbaren Fläche. In der zweiten Arbeit schreibt PENCK „als Lebensfläche kann
man heute das gesamte Gebiet der Erdoberfläche ansehen, die Grenzen der Öko-
nomene sind gefallen“. Mit der Untersuchung der Tragfähigkeit der Erde hat Alb-
recht PENCK eine neue immanente Fragestellung in der Geographie eröffnet.
Versucht man ein wissenschaftliches Persönlichkeitsprofil von PENCK zu zeich-
nen, so wäre m. E. der LORENZsche Satz von der „Freude an der gekonnten Be-
wegung“ in abgewandelter Form auf ihn anzuwenden. Es war die „Freude an der
gekonnten Beobachtung“ idealtypisch definierter Sachverhalte der realen phy-
sischen Objektwelt, welche als ganz entscheidender Motor des wissenschaftlichen
Arbeitens fungiert hat. Albrecht PENCK besaß die intuitive Fähigkeit, in der ex-
plorativen Feldforschung äußerst rasch die Schlüsselstellen für das Erkennen der
Zusammenhänge zu finden und das Puzzle der Beobachtungen in globale Modelle
einzufügen. Von seinen Schülern sind die Anforderungen beschrieben worden, die
er stellte: scharfe Problemstellung, gründliche Beobachtung, völlige Vertrautheit
mit der einschlägigen Literatur, kritisches Urteil, Kombinationsgabe, unermüd-
liche Arbeit, körperliche Leistungsfähigkeit und Ausdauer, vollste Hingabe an das
Fach, aber keineswegs Beschränkung auf dieses.
31) PENCK lehrte bis 1926 in Berlin und war 1917 Rektor.32) „Bonitierung der Erdoberfläche“, Verhandlungen des 21. deutschen Geographentages in Breslau,
(1925), S. 211–220; Lebensraumfragen europäischer Völker, Bd.I., Leipzig 1941, S. 10–32.
Eine Vorstellung vom Einfluss Albrecht PENCKs auf die Geographie im deut-
schen Sprachraum gibt Abb. 5, aus der ersichtlich ist, wie von Wien aus in erster
Linie der süddeutsche Raum, von Berlin aus Norddeutschland bei der Berufungs-
politik unter PENCKs „Kontrolle“ bei der Berufungspolitik geraten ist.
Die zwei Jahrzehnte akademischer Tätigkeit in Wien sind die wissenschaftlich
besten Jahre von Albrecht PENCK gewesen. Aus allen Teilen des Vielvölkerreiches
strömten ihm talentierte Studierende zu, ebenso aber auch dem Ausland, besonders
aus den Balkanstaaten, die damals noch keine eigenen Hochschulen besaßen.33
33) Im Folgenden die Liste von PENCKs Schülern. Die ersten waren nicht viel jünger als er selbst: E. BRÜCKNER, R. SIEGER, F. HEIDERICH, J. MÜLLNER, J. CVIJIC, A. E. FORSTER, V. RUVARAC,
Abbildung 5: Albrecht Pencks Schüler in Wien und Berlin auf Ordinariaten im deutschen Sprachraum(Quelle: Lichtenberger)
Die Entwicklung der Geographie als Wissenschaft
32
Hugo hassinger (1877–1952) – Begründer der Wiener Schule der Stadt- und Kulturgeographie
Die Leistungen von Hugo HASSINGER liegen auf dem Ge-
biet der Geographie des Menschen. In seinem umfassenden
Beitrag zum „Handbuch der geographischen Wissenschaft“
repräsentiert er sich als letzter Vertreter einer enzyklopä-
dischen Fachtradition, welche er in das Gebiet der Geogra-
phie des Menschen hineingetragen hat. Der RATZELschen
Kulturkreislehre folgend, spannte er den globalen Bogen der
Information von der Rassenlehre, Völkerkunde und Volks-
kunde bis zu den Kapiteln über Bevölkerung, Siedlung,
Wirtschaft und Verkehr. Das Werk ist ein Schlussstein einer
Epoche. Es dokumentiert den Forschungsstand auf allen ge-
nannten Gebieten in der Zwischenkriegszeit, d.h. vor mehr
als zwei Generationen.34
Hugo HASSINGERs Arbeiten sind als Zeitdokumente auf-
zufassen. Das gilt vor allem für seine Forschungen über das
donauländische Grenz- und Inseldeutschtum, das durch die
politischen Ereignisse fast vollständig vernichtet wurde.
Methodisch beispielgebend blieb der Stil seiner kulturgeographischen Arbeits-
methodik, allen voran sein eigenes kunstgeographisches Werk über den alten Bau-
bestand in Wien,35 die Einführung der Isochronenmethode in der Stadtgeographie
und die Verwendung eines Assoziations- und Sukzessionsprinzips in der sozio-
graphischen Analyse von Städten, mit dem er das Konzept der sozialökologischen
Schule von Chicago bereits vorweggenommen hat, jedoch ohne es als allgemeines
Prinzip herauszustellen.
Hugo HASSINGER war in seinem Denken Enzyklopädist und in diesem Geist hat
er stets die Ideen von umfassenden Regionalatlanten zu verwirklichen getrach-
A. SWAROVSKY und A. BECKER. Einer späteren Reihe gehörten an: N. KREBS, F. MACHATSCHEK, A. GRUND, H. HASSINGER, R. LUZERNA, R. HÖDL und R. ROTHAUG. Die Folge seiner Wiener Schü-ler schließt mit G. GÖTZINGER, A. MERZ, J. SÖLCH, O. LEHMANN, M. KLEB und L. von SAWICKY. Seine beiden Assistenten waren gleichzeitig Privatdozenten, die beiden SIMONY-Schüler Philip PAULITSCHKE und Carl DIENER. Auch aus dem Ausland kam eine Reihe von Schülern, der Wie-ner Schüler PENCKs, J. CVIJIC, wurde der bedeutendste Geograph Jugoslawiens. Stepan RUDNYCKJ wirkte in der Ukraine, in Utrecht OESTRIJCH, in Japan JAMASAKI, um nur die bekanntesten zu nen-nen. Von den ausländischen Studenten in Berlin ist noch hinzuweisen auf die Italiener R. ALMAGIA und G. BAINELLE, ferner auf den Franzosen E. de MARTONNE sowie auf J. E. ROSBERG, L. von SAWI-CKY und A. WATANABE.
34) HASSINGER, H.: Die Geographie des Menschen, in: Handbuch der Geographischen Wissenschaft, Akademische Verlagsgesellschaft Potsdam 1933, 2. Teil, S. 169–558.
35) Kunsthistorischer Atlas 1917.
tet. Mit seinem oben genannten „Kunsthistorischen Atlas von Wien“ ist er der
Begründer des Denkmalschutzes und schließlich ebenso der Raumforschung in
Österreich gewesen.
Hugo HASSINGERs Karrierepfad gehört einer späteren Generation als der von
PENCK an. Die Zahl der Assistentenstellen war in der Spätgründerzeit unzurei-
chend, die Bezahlung schlecht, das Curriculum führte über das Mittelschullehramt
und die Habilitation und war durch die Hoffnung auf eine Berufung mitmotiviert.
HASSINGER promovierte 1902 bei PENCK mit „Geomorphologische Studien aus dem
inneralpinen Becken und seinem Randgebirge“ (veröffentlicht 1905), deren sorgfäl-
tige morphometrische Deskription ihre Gültigkeit nicht verloren hat. 1903 legte
HASSINGER die Lehramtsprüfung für Mittelschulen ab und wurde Lehrer am Gym-
nasium zuerst in Mährisch-Weißenkirchen (bis 1906), dann in Wien. 1914 habili-
tierte er sich als Mittelschullehrer mit „Die mährische Pforte und ihre benachbarten
Landschaften“. 1917 erschien der erwähnte „Kunsthistorische Atlas der Stadt Wien“.
1918 wurde HASSINGER zunächst als außerordentlicher, dann als ordentlicher
Professor an die Universität Basel berufen. Hier konnte er bereits sein institu-
tionelles Engagement beweisen. Er wirkte als Dekan, war Mitbegründer der
Geographisch-Ethnographischen Gesellschaft in Basel, leitete eine Zeitlang die
Naturforschende Gesellschaft und entwarf ein Programm der Haus- und Sied-
lungsforschung für die Schweizerische Gesellschaft für Volkskunde. In Basel
schrieb HASSINGER die „Länderkunde der Tschechoslowakei“ (1925).
Berufungen an die Universitäten Frankfurt am Main, Graz und an die Hoch-
schule für Welthandel lehnte er ab, doch folgte er 1927 einer Berufung an die
Universität Freiburg. Hier behandelte er für das Werk von R. KJELLEN „Die Groß-
mächte vor und nach dem Weltkrieg“ Österreich-Ungarn bzw. die Nachfolgestaaten
sowie Frankreich und Italien und verfasste „Die geographischen Grundlagen der
Geschichte“, welche 1931 erschienen. Im gleichen Jahr wurde er als Nachfolger von
Eugen OBERHUMMER nach Wien berufen. In Wien schrieb er „Die allgemeine Geo-
graphie des Menschen“ (1937) in KLUTEs Handbuch der Geographischen Wissen-
schaften (vgl. oben).
Institutionell war Hugo HASSINGER auch in Wien außerordentlich aktiv. Er
betrachtete es als Aufgabe der österreichischen Geographie vor allem den euro-
päischen Osten, insbesondere die deutsche Kulturleistung, zu erforschen. Bereits
1931 begründete er die Südostdeutsche Forschungsgemeinschaft an der Univer-
sität Wien und konzipierte den „Atlas des Donauraums“, welcher freilich erst in
der Nachkriegszeit von seinem Schüler Josef BREU – anders strukturiert – im
Ost- und Südosteuropa-Institut herausgebracht werden konnte. 1939 übernahm
Abbildung 6: Hugo hassinger (1877–1952)(Foto: ÖGG)
Elisabeth Lichtenberger
33
er die Arbeitsgemeinschaft für Raumforschung an der Universität Wien und ver-
öffentlichte gemeinsam mit Fritz BODO den „Burgenlandatlas“, der dieses jüngste
Bundesland Österreichs zu einem der best erforschten Gebiete gemacht hat. Hugo
HASSINGER verstand es, diesen Arbeitsbereich nach dem Zweiten Weltkrieg in
Form einer Kommission an die Österreichische Akademie der Wissenschaften hin-
überzuretten. In dieser begann er 1951 den „Atlas von Niederösterreich“, der von
seinem Schüler ARNBERGER nach seinem Unfalltod fertig gestellt worden ist.
In der Notzeit der unmittelbaren Nachkriegsjahre gelang es Hugo HASSINGER
ferner, die maßgeblichen wissenschaftlichen Vereinigungen Österreichs in dem
„Notring der wissenschaftlichen Verbände Österreichs“ zusammenzufassen, der die
Forderungen der Wissenschaft bei den Behörden und der Regierung vertrat.
In einem seiner letzten Werke hat Hugo HASSINGER „Österreichs Anteil an der
Erforschung der Erde“ (1950) in dokumentarischer Form festgehalten. Die un-
gemein zahlreichen, teilweise unveröffentlichten Berichte, kritischen Referate,
Gutachten, Eingaben an Behörden und Denkschriften über die verschiedensten
Angelegenheiten sind für Hugo HASSINGER ebenso bezeichnend gewesen wie
seine wissenschaftlichen Arbeiten. Aufgrund der persönlichen Ideologie als An-
hänger einer großdeutschen Lösung in der Ersten Republik und seines Engage-
ments in Fragen des deutschen Volkstums in Südosteuropa ist Hugo HASSINGER,
m. E. völlig zu Unrecht, in der deutschen Wissenschaftsgeschichte stiefmütterlich
behandelt worden.36
Er war der letzte bedeutende Fachvertreter mit einem enzyklopädischen Wis-
sen über „Die Geographie des Menschen“ auf der Erde. Einerseits dem klassischen
historischen Kulturlandschaftsparadigma verpflichtet, war er andererseits ein zu
früh Geborener, um mit gesellschaftsrelevanter Forschung in die Politik in größe-
rem Maße hineinwirken zu können.
Hans bobek (1903–1990) – Begründer der Sozialgeographie
Am 15. Februar 1990 starb der emeritierte ordentliche Universitätsprofessor
für Geographie DDr. h.c. Hans BOBEK im 87. Lebensjahr. Die deutschsprachige
Geographie verlor einen Gelehrten, welcher das Weltbild einer Disziplin mitge-
staltet hat. Das von BOBEK Anfang der 1950er Jahre konzipierte „Logische System
der Geographie“37 hat das Landschaftskonzept von Otto SCHLÜTER zur Basiside-
36) Vgl. HEINRITZ, G./G., SANDNER/R., WIESSNER (Hg.): Der Weg der deutschen Geographie. Rückblick und Ausblick, Stuttgart 1996.
37) „Gedanken über das logische System der Geographie“, MÖGG, 99, (1957): S. 122–145. Wiederab-druck in: STORKEBAUM, W. (Hg.): Zum Gegenstand und zur Methode der Geographie, Wiss. Buch-gesell, Darmstadt 1967, S. 289–329.
ologie des Faches im deutschen Sprachraum gemacht.38 Noch
einmal wurde die bereits im „Handbuch der Geographischen
Wissenschaft“, (herausgegeben von Fritz KLUTE, 2 Bände, Pots-
dam 1933), in der Zwischenkriegszeit fassbare Aufspaltung der
Geographie in weitgehend unabhängige Geoäste von systema-
tischen Disziplinen zu überspielen versucht.
Der Einbruch des neuen, in der angelsächsischen Welt ent-
standenen Paradigmas der analytischen und quantitativen Geo-
graphie auf dem Kieler Geographentag 1968,39 wo neomarxi-
stische und „analytische“ Studenten vereint gegen die klassische
Geographie zu Felde zogen, wurde von dem nahezu 70jährigen
in der Abschiedsvorlesung „Die Entwicklung der Geographie
– Kontinuität und Umbruch“40 mit der Akzeptanz des Pluralis-
mus des wissenschaftstheoretischen Zugangs in der Geographie
quittiert.
Die Kapitelüberschriften in der Wissenschaftsgeschichte der Geographie gelten
heute dem Sozialgeographen Hans BOBEK und damit dem Begründer einer neuen
Forschungsperspektive.41
Allerdings hat Hans BOBEK seine zahlreichen neuen Ideenskizzen, wie die über
das Problem des Fortschritts und die Entfaltung der Zivilisation, die Hauptstu-
fen der Entwicklung von Gesellschaft und Wirtschaft, die Überlagerung und
Auseinandersetzung verschiedener Gesellschafts- und Wirtschaftssysteme, nie-
mals selbst in eine Forschungsstrategie umgesetzt. Dies gilt u.a. für die Theorie
des Rentenkapitalismus, welche er in Fortführung der Ideen von Max WEBER und
Werner SOMBART aus seiner Forschungserfahrung im Vorderen Orient auf der
Metaebene42 konzipiert hat und welche aus der Entwicklungsländerforschung43
nicht mehr wegzudenken ist.
Hans BOBEK hat k e i n e „Wiener Schule der Sozialgeographie" geschaffen, ganz
zum Unterschied von der Münchener Schule der Sozialgeographie,44 welche in
38) Mit J. SCHMITHÜSEN: „Die Landschaft im logischen System der Geographie“, Erdkunde, III, (1949), S. 112–120.
39) LICHTENBERGER, E.: „Quantitative Geography in the German-Speaking Countries“, Tijdschrift voor Economische en Sociale Geografie 69,6 (1978), S. 362–373.
40) MÖGG, 114 (1972), S. 3–18.41) „Stellung und Bedeutung der Sozialgeographie“, Erdkunde, II, 1/3, (1948), S. 118–125.42) „Zum Konzept des Rentenkapitalismus“, Tijdschrift voor Economische en Sociale Geografie, 65/2
(1974), S. 74–78.43) „Zur Problematik der unterentwickelten Länder“, MÖGG, 104 (1962), S. 1–24, 3 Tafeln.44) MAIER, K./R. PAESLER/K. RUPPERT/F. SCHAFFER: Sozialgeographie, Das Geographische Seminar,
Braunschweig 1977.
Abbildung 7:Hans bobek (1903-1990)(Foto: Photo Fayer, Wien)
Die Entwicklung der Geographie als Wissenschaft
34
induktiver Tradition den methodischen Zugang auf der Mikroebene von Sozial-
gruppen wählte, deren Details Hans BOBEK „niemals so genau wissen wollte“.45
BOBEKs sozialgeographischen Konzeptionen sind freilich auf einer Metaebene in
weite Teile der Humangeographie diffundiert, darunter in die Wohnungs- und
Arbeitsmarktforschung, in die Forschungen über den ländlichen Raum, in die Er-
forschung der Freizeitgesellschaft und last, not least, in die Stadtgeographie der
Wiener Schule.
Infolge der Etikettierung als Sozialgeograph wird gerne übersehen, dass Hans
BOBEK – seiner Zeit weit voraus – mit seiner Dissertation über Innsbruck46 die
funktionelle Sichtweise von Städten und die Stadt-Umland-Forschung begründet
hat.47 Er hat als erster verschiedene Modelle von Stadt-Land-Beziehungen, insbe-
sondere monofunktionelle Revierbildungen, untersucht48 und schließlich Walter
CHRISTALLERs zentralörtliche Theorie49 nicht nur kritisch ergänzt, sondern mit
der Zentrale-Orte-Forschung an der Kommission für Raumforschung der Öster-
reichischen Akademie der Wissenschaften eine Grundlage für die Regional- und
Raumplanung in Österreich geschaffen.50
Nur in Stichworten können die Stationen des Karrierepfads nachgezeichnet
werden: Das Studium an der Innsbrucker Universität (1921–1926: Geographie,
Geschichte, Sozialwissenschaften) begründete zwei Forschungslinien: mit der Un-
tersuchung der Stadt vor der Haustüre der Universität die funktionelle Stadtfor-
schung, fortgeführt in späteren Lebensjahrzehnten als Zentrale-Orte-Forschung,
und unter dem Einfluss von Johann SÖLCH, auch motiviert durch die Freude am
Alpinismus, die Beschäftigung mit der Quartärforschung.51
Mit 28 Jahren von Norbert KREBS nach Berlin (1931–1939/40) auf eine Assi-
stentenstelle geholt, erhielt Hans Bobek damit die Chance, an das damals führende
45) Der in der wissenschaftstheoretischen Literatur verwendete Begriff der „Wien-Münchner Schule der Sozialgeographie“, den P. WEICHHART in „Entwicklungslinien der Sozialgeographie“ verwen-det, ist bedauerlicherweise unrichtig. Es wäre zweckmäßig gewesen, Frau Dr. Maria BOBEK-FESL zu befragen, wie dies in der Biographieforschung üblich ist.
46) Innsbruck, eine Gebirgsstadt, ihr Lebensraum und ihre Erscheinung. Forsch. zur Dt. Landes- u. Volkskunde, 1928.
47) „Grundfragen der Stadtgeographie“, Geogr. Anzeiger (1927), S. 213–224. Wiederabdruck in SCHÖLLER P. (Hg.): Allgemeine Stadtgeographie. Wege der Forschung 181, Darmstadt 1969, S. 195–219.
48) „Über einige funktionelle Stadttypen und ihre Beziehungen zum Lande“, Comptes Rendus Congr. Intern. Geogr. Amsterdam (1938), t.III, S. 88–102. Wiederabdruck in, P. SCHÖLLER (Hg.): Allgemei-ne Stadtgeographie. Wege der Forschung 181, Darmstadt 1969, S. 269–288.
49) „Die Theorie der zentralen Orte im Industriezeitalter“, Tagungsberichte u. wiss. Abh. Dt. Geogr. Tag Bad Godesberg (1967), S. 199–213.
50) Mit M. FESL: Das System der Zentralen Orte Österreichs – Eine empirische Untersuchung. Schriften d. Komm. f. Raumforschung, Bd. 3, Graz-Köln 1978; ebenfalls mit M. FESL: Zentrale Orte Österrei-chs II. Beiträge zur Regionalforschung, Bd. 4, Verlag d. Österr. Akademie d. Wissensch. Wien 1983.
51) Die jüngere Geschichte der Inntalterrasse und der Rückzug der letzten Vergletscherung im Inntal. Jahrbuch d. Geol. Bundesanstalt, Wien 1935, S. 135–189.
Geographische Institut zu kommen und in den Kreis von jungen Wissenschaftern
zu gelangen, die nach dem Krieg die Fachentwicklung im deutschen Sprachraum
entscheidend bestimmt haben (vgl. oben).52 Der Standort Berlin bot die Mög-
lichkeit zur Auslandsforschung. Hans BOBEK wählte den Orient, im Speziellen
den Iran, da hier „erst wenige Geographen gearbeitet hatten“, ferner fand er einen
ausgezeichneten Lehrer des Persischen. Mit dieser Entscheidung hat der damals
Dreißigjährige den regionalen Schwerpunkt der eigenen Forschung – vermutlich
ohne dies voraussehen zu können – für sein Leben fixiert.53
Die Jahre des Zweiten Weltkrieges bedeuteten für Hans BOBEK nicht wissen-
schaftlich verlorene Jahre. Er hatte vielmehr das Glück, durch die Tätigkeit bei der
militärgeographischen Abteilung des Oberkommandos des Heeres (1940–1943)
und die Leitung der Arbeitsgruppe über den Vorderen und Mittleren Orient, spä-
ter auch über Nordafrika, Zugang zu allen damals verfügbaren Karten, Luftbildern,
gedruckten und ungedruckten Texten gewinnen zu können. Hier schrieb er die
„Soziallandschaften des Orients“, ein Manuskript, das leider nie gedruckt worden
ist, als Grundlage der späteren sozialgeographischen Arbeiten. Seit 1944 bei den
Kommandos der Forschungsstaffel, von Russland bis Jugoslawien und Norditalien,
zum Schluss in Prag, konnte er seine geographischen Kenntnisse erweitern. Zusam-
menarbeit und Gespräche mit ökologisch ausgerichteten Botanikern, wie Heinz
ELLENBERG und Josef SCHMITHÜSEN, öffneten ihm den Zugang zu einer geoöko-
logischen Fragestellung, die in eigenen Forschungen im Iran einen Niederschlag
fand.54
Die erste Berufung in der Nachkriegszeit führte Hans BOBEK nach Freiburg
(1946–1948). Hier schrieb er als Mittvierziger bahnbrechende Aufsätze über „Die
Stellung und Bedeutung der Sozialgeographie“ (vgl. oben), „Soziale Raumbildungen
am Beispiel des Vorderen Orients“55 und „Die Landschaft im logischen System der
Geographie“.
Nach einem kurzen Zwischenspiel an der Wirtschaftsuniversität Wien (1949–
1951) wurde er schließlich als Nachfolger von Hugo HASSINGER an das Geo-
graphische Institut der Universität Wien berufen (1951–1971). Er kam in eine
52) LICHTENBERGER, E., „The German-Speaking Countries“, in: Geography since the 2nd World War. An International Survey, London 1984, S. 156–184, 4 Tab., 3 Fig.
53) Forschungsreisen im Iran: 1934 (8 Monate), 1936 (3 Monate), 1956 (7 Monate gem. mit dem Lim-nologen H. LÖFFLER), 1958/59 (mehrere Reisen und Gastprofessur an der Universität Teheran), 1975 (1 Monat), 1978 (1 Monat) Publikation: Iran. Probleme eines unterentwickelten Landes alter Kultur, Frankfurt-Berlin-Bonn 1962.
54) Die natürlichen Wälder und Gehölzfluren Irans. Bonner Geogr. Abh. H. 8, Bonn 1951, 62 S., 18 Abb. auf 4 Tafeln, 1 vierfarbige Karte 1: 4 Mio. „Beiträge zur klimaökologischen Gliederung Irans“, Erdkunde, VI, (1952), S. 65–84.
55) Tagungsbericht Dt. Geographentag München 1948, Amt f. Landeskunde, Landshut, 1951, 15 S.
Elisabeth Lichtenberger
35
institutionelle und personelle Konstellation, die das letzte Drittel seines wissen-
schaftlichen Lebens entscheidend bestimmt hat; einerseits durch die Übernahme
der Kommission für Raumforschung an der Österreichischen Akademie der Wis-
senschaften (1954) und andererseits durch die intensiven persönlichen Kontakte
mit Erik ARNBERGER56 und Rudolf WURZER.
Für Rudolf WURZER entwarf Hans BOBEK das Konzept des ersten regionalen
Planungsatlasses (über das Lavanttal), unterstützte den nach Wien berufenen Pro-
fessor für Städtebau und Raumplanung bei der Gründung der Österreichischen
Gesellschaft zur Förderung von Landesforschung und Landesplanung57 und ließ
sich zur Mitarbeit an einem umfangreichen Gutachten für die Regierung KLAUS
gewinnen.58 1955 fasste Hans BOBEK seinen Entschluss, gemeinsam mit Erik
ARNBERGER einen „Nationalatlas der Republik Österreich“ herauszugeben.59
Als Obmann der Kommission für Raumforschung der Österreichischen Akade-
mie der Wissenschaften (1954–1983)60 gelang es Hans BOBEK trotz sehr beschei-
dener Mittel, die intellektuelle Elite der Aufbaugeneration in allen mit räumlichen
Fragestellungen arbeitenden Disziplinen zur Mitarbeit am „Atlas der Republik Ös-
terreich“ zu gewinnen. Nahezu fünfzig Karten wurden hierbei von ihm selbst mit-
strukturiert. Originelle und erstmalige Darstellungen gelten wichtigen Themen,
wie Klimatypen, ökologische Gesamtwertung, Gemeindetypen, Zentrale Orte und
wirtschaftsräumliche Strukturen. Mit diesem Atlas und den damit verbundenen
Publikationen hat Hans BOBEK im letzten Drittel seines wissenschaftlichen Lebens
ein singuläres Dokument für die räumliche Kenntnis des österreichischen Staates
geschaffen61 und letztlich die Ausformulierung seines umfassenden Konzepts der
Sozialgeographie beiseite geschoben.62
56) LICHTENBERGER, E.: „Erik Arnberger-Nachruf“, Almanach d. Österr. Akademie der Wissenschaften, 138 (1988), S. 412–418.
57) Umbenannt in Österreichische Gesellschaft für Raumforschung und Raumplanung: Gründungs-mitglied, stellvertretender Vorsitzender 1954–1969. Auflösung der Gesellschaft 1990.
58) „Strukturanalyse des österreichischen Bundesgebietes“, hg. v. WURZER, R., Schriftenreihe d. Österr. Ges. f. Raumforschung und Raumplanung, 2 (1979): (a) „Ausgliederung der Strukturgebiete der österreichischen Wirtschaft“ S. 451–460, (b) „Die zentralen Orte und ihre Versorgungsbereiche“, S. 475–504.
59) „Österreichs Regionalstruktur im Spiegel des Atlas der Republik Österreich“, MÖGG, 117 (1975), S. 117–164.
60) Herausgabe, wissenschaftliche und entwurfskartographische Gesamtleitung des „Atlas der Repu-blik Österreich“; Herausgabe der „Schriften der Kommission für Raumforschung“ und der „Beiträ-ge zur Regionalforschung“.
61) „Österreichs Regionalstruktur im Spiegel des Atlas der Republik Österreich“, in: Österreich. Geo-graphie, Kartographie, Raumordnung 1945–1975, Wien 1975, S. 116–164.
62) Im Nachlass ist das letzte Inhaltsverzeichnis mit September 1965 datiert.
4. Schulen und Forschungsstränge: Ein Rückblick
Die oben herausgearbeitete beherrschende Rolle der PENCK-Schule hatte Kon-
sequenzen für die „Normalkarriere“ und damit den Forschungsstil. Es gehörte bis
herauf zur Heimkehrergeneration zur „Normalkarriere“, zuerst auf dem Gebiet
der physischen Geographie gearbeitet zu haben und sich erst dann, wenn über-
haupt, in das Gebiet der kultur- und sozialwissenschaftlichen Geographie hinein-
zubewegen. Dies war andererseits eine Voraussetzung dafür, um informative Län-
derkunden schreiben zu können.63
In der wissenschaftlichen Grundhaltung der geowissenschaftlichen Geographen
dominierte ein „schlichter“ Positivismus. „Schlicht“ deswegen, da wissenschafts-
theoretische Überlegungen hinsichtlich der Einbindung von Wissenschaftern
in die gesellschaftspolitischen Ideologien nicht stattgefunden haben. Daraus re-
sultierte mit Notwendigkeit eine „naive“ Sichtweise gegenüber politischen Fra-
gestellungen, wie sie vor allem in der Zwischenkriegszeit gegenüber der damals
boomenden Geopolitik von Seiten der gleichfalls boomenden politischen Geogra-
phie an der Tagesordnung gewesen ist.
Albrecht PENCK hat – ebenso wie vor ihm schon Ferdinand von RICHTHOFEN
in Berlin – wesentliche Merkmale der geologischen Forschung in die Geographie
eingebracht. Das bedeutete: Die Kenntnis der vorliegenden Literatur über die For-
schung wurde als „Pflicht“ in den wissenschaftlichen Ehrenkodex integriert, der
Feldforschung absolute Priorität gegenüber sekundären Quellen eingeräumt, die
kartierende Aufnahmetechnik weiterentwickelt und ausgebaut. In der Glazialmor-
phologie und Quartärforschung sind damit analog zur Deckentektonik bestimmte
Aufschlüsse zu den Kernstücken der prozessualen Erklärung avanciert.
Die Forschungsfragen selbst haben sich in der Generationenfolge geändert bzw.
grundsätzliche Fragen sind durch dokumentarische Publikationen zu einem gewis-
sen Abschluss gelangt. Im Folgenden einige Stichworte zu den Klassikern: Am Anfang
steht das Werk von Albrecht PENCK und Eduard BRÜCKNER „Die Alpen im Eiszeital-
ter“ (1909), in dem am Beispiel der Alpen die bis heute gültige Viergliederung der
Eiszeit und die Formenserie einer Eisstromvergletscherung belegt worden sind.
Die Auffassung PENCKs vom „gewaltigen“ Ausmaß der Glazialerosion wurde
in der Modellstudie von Johann SÖLCH über „Fluß- und Eiswerk in den Alpen“
entscheidend revidiert. Die Thematik der geologisch-tektonisch bedingten, sehr
unterschiedlichen regionalen Morphogenese der Großformen der Erde hat Fritz
MACHATSCHEK in dem zweibändigen Werk „Das Relief der Erde“ (1. Auflage 1937,
63) Nur zwei Schüler von Hugo HASSINGER haben nicht physisch-geographisch gearbeitet: Egon LENDL und Josef MATZNETTER.
Die Entwicklung der Geographie als Wissenschaft
36
2. Auflage 1955) aufgearbeitet und damit als international interessantes Thema
abgeschlossen. Zwei Jahrzehnte später wurde von Julius BÜDEL, der dem Berliner
Kreis um Norbert KREBS angehörte, bereits das „Handbuch der Klima-Geomorpho-
logie“ (1977) mit der neuen Fragestellung der klimatisch bedingten Formen der
Erdoberfläche herausgebracht, an der sich freilich österreichische Morphologen
nur mehr als Mitläufer beteiligt haben.
Durch die beschriebene Normalkarriere erfolgte ein Transfer der positivi-
stischen Grundhaltung und geowissenschaftlicher Methodik in die Geographie
des Menschen. Allerdings sonderten sich dabei von Anfang „Kerndisziplinen“, wie
die Stadtgeographie und die Kulturlandschaftsgeographie, von den „Randdiszi-
plinen“ der Bevölkerungs-, Wirtschafts- und Verkehrsgeographie, in denen das
Landschaftsparadigma von Hans BOBEK (vgl. oben) und damit auch die Kartie-
rung von im Realobjektraum identifizierten Typologien und Klassifikationssyste-
men stets nur randliche Bedeutung hatten und Statistiken das Grundgerüst der
Informationen bildeten.
Die Kartierung hat als geowissenschaftliche Methode zum ersten Mal in Hugo
HASSINGERs „Kunsthistorischer Atlas von Wien“ (1917) ihre Effizienz bewiesen, als
sie zur Herausarbeitung der sozialhistorischen Wohnbautypen eingesetzt worden
ist. Damit wurde der Grundstein für die Wiener Schule der Stadtgeographie gelegt.
Die haus- und parzellenweise Kartierung von Baubestand, Betrieben und Flächen-
nutzung welche in den Jahren 1955 bis 1958 im Rahmen des Lehrbetriebs von der
Autorin auf der Grundlage des Feuerwehrplans von Wien durchgeführt wurde, ist
als historisches Dokument dem Historischen Museum der Stadt Wien übergeben
worden. In generalisierter Form hat diese Stadtkartierung von Wien mehrere Jahr-
zehnte die Grundlage des Flächenwidmungsplans der Stadt gebildet.
Bereits seit dem Zweiten Weltkrieg und dann in der Nachkriegszeit sind Luftbild-
auswertung und -interpretation64 sowie Techniken des Remote Sensing als „Kar-
tierung vom Schreibtisch“ zu geowissenschaftlichen Methoden von wachsender
Bedeutung geworden und haben der Forschung eine neue Dimension eröffnet.
Während die geowissenschaftlichen Subdisziplinen der Geographie keine
Schwierigkeiten hatten, eine „glückliche Ehe“ mit geographischen Informationssy-
stemen und Datenbanken einzugehen, ist die Entwicklung im Bereich der Geogra-
phie des Menschen seit dem Kieler Geographentag 1968 und dem gleichzeitigen
Auftreten der Analytik und des Neomarxismus durch einen Bruch gekennzeichnet,
der nur teilweise durch die Generierung eines neuen Primärforschungsstils über-
wunden werden konnte.65 Von diesem Bruch sind zwei Strukturen betroffen:
1. das Verhältnis der Geographie des Menschen zur Zeitdimension und
2. das Verhältnis zu den Nachbardisziplinen.
1. Das Verhältnis der Geographie des Menschen zur Zeitdimension
Grundsätzlich führte der Weg in den abgelaufenen eineinhalb Jahrhunderten
zu einer Verschiebung auf der Zeitachse, und zwar von einer bis in die Prähistorie
und die antiken Hochkulturen zurückreichenden „historischen Geographie“ über
mehrere Etappen bis herauf zur geographischen Zukunftsforschung. Hierzu im
Folgenden einige Stichworte.
Die Kenntnisse von Wilhelm TOMASCHEK, der 1885 auf die neu eingerichte-
te historisch-geographische Lehrkanzel in Wien berufen worden ist, umfassten
vor allem die antike Literatur und Geschichte sowie das weite Feld der Sprach-
vergleichung. Er besaß ausgedehnte Kenntnisse der indogermanischen und ural-
altaischen Sprachen, ebenso aber auch des Arabischen. Sein Arbeitsfeld war der
Orient; er studierte die historische Topographie Kleinasiens auf der Grundlage
von römischen und mittelalterlichen Quellen. Sein wissenschaftliches Anliegen in
der historischen Geographie basierte auf linguistischer Grundlage.
Eugen OBERHUMMER, der Zeitgenosse von Albrecht PENCK, der 1901 nach dem
Tode von Wilhelm TOMASCHEK berufen wurde, war einer der letzten deutschen
64) BOBEK, H.: Luftbild und Geomorphologie - Luftbild und Luftbildmessung, Nr. 20, hg. v. Hansa Luftbild, Berlin 1941, 8–160.
65) LICHTENBERGER, E.: Gastarbeiter – Leben in zwei Gesellschaften. Unter Mitarbeit von H. FASS-MANN, EDV-Technologie, Wien u.a. 1984. LICHTENBERGER, E.: Stadtverfall und Stadterneuerung. Beiträge zur Stadt- und Regionalforschung, Bd. 10. Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 1990.
STADTFORSCHUNGHistorische Disziplinen
Stadt-, Sozial-,Wirtschafts-,
Architektur-geschichte Kommunal-
wissenschaft
Gesellschafts-wissenschaft
Factorial Ecology
Stadt-wirtschaftslehre
STÄDTEBAU STADTPLANUNG
Zentralitätsforschung
KlassischeStadtgeographie
AnalytischeStadtgeographie
physischeStadtplanung
Stadtentwicklungs-planung
Landnutzungsmodelle,Flächenbilanzierung,Prognosen für Umbau-prozesse, Slumsanierung,Stadterneuerung,Zentrenplanung
mathematischeArbeits-Wohn-Standortmodelle,Optimierung derStandorte sozialerEinrichtungen
Stadt-Umwelt-forschung
Wohnbauforschung
Abbildung 8:Das Spektrum der Nach-barwissenschaften der klassischen und analy-tischen Stadtgeographie(Quelle: Lichtenberger 1980, S. 109)
Elisabeth Lichtenberger
37
Vertreter der historisch ausgerichteten Geographie, der zur klassischen Altertums-
wissenschaft und zur Geschichte der Erdkunde in der Kartographie enge Bezie-
hungen unterhielt. Er brach eine Lanze dafür, dass die Anthropogeographie sich
der Methoden bedienen muss, welche die historischen Wissenschaften, wie die
Archäologie, die Epigraphik, die Numismatik sowie die Sprachwissenschaften, zur
Verfügung stellen. In diesem Sinne wurde von ihm die historische Geographie als
raumbezogene Alte Geschichte verstanden.
Das Heraufrücken der Forschung in der Zeitachse vollzog dann der PENCK-
Schüler Alfred GRUND (1875–1914, gefallen), der mit seinem viel zu wenig beach-
teten Buch über „Die Veränderungen der Topographie im Wiener Wald und Wiener
Becken“(1901) die mittelalterliche Wüstungsforschung als Teil der historischen
Kulturlandschaftsforschung in einem interdisziplinären Forschungsterrain be-
gründet hat und in einer Zeit ethnisch determinierter historischer Flurforschung
nachweisen konnte, dass Haus- und Hofformen nur mit großer Einschränkung
zur Feststellung ethnischer Raumgliederung verwendbar sind. Bei der Bearbei-
tung der Blätter von Niederösterreich des „Historischen Atlasses der österrei-
chischen Alpenländer“ wurde erkannt, dass die Grenzen der Sprengel der hohen
oder Blutgerichtsbarkeit weit dauerhafter sind als die Grenzen anderer räumlicher
Gliederungen wie die des Herrschaftsbesitzes, der Niedergerichtsbarkeit oder
der Pfarreinteilung und mit den alten Grafschaften und vielfach mit den Gauen
zusammenfallen.
Hugo HASSINGERs globale Sichtweise, die er in mehreren Büchern niedergelegt hat,
ist durch die folgenden Sätze im geographischen Einleitungsband zur „Geschichte
der führenden Völker“ belegt: „Aufgabe einer historischen Geographie muß es sein, die
Kulturlandschaften vergangener Zeiten zu rekonstruieren und aus den kulturellen und
politischen Verhältnissen ihrer Entstehungszeit zu erklären. Aufgabe einer Anthropogeo-
graphie ist es, die heutige Kulturlandschaft als ein Compositum von ererbten und ent-
standenen Formen zu betrachten“ (2. Auflage, Herder Verlag, Freiburg 1953, S. 6/7).
Schulebildend war nicht zuletzt der bereits genannte „Kunsthistorische Atlas von
Wien“, der seine Fortsetzung in den Baualterplänen der österreichischen Städte und
im ländlichen Raum in der Siedlungs- und Flurformenkarte von Adalbert KLAAR
gefunden hat und die zahlreichen auf der Auswertung des Josephinischen und Fran-
zisceischen Katasters beruhenden Arbeiten seiner Schüler, welche einen spezifischen
Stil der österreichischen Kulturlandschaftsforschung begründet haben.
Mit der Übernahme des Paradigmas der analytischen Geographie in den 1970er
Jahren änderte sich der Zeitbegriff grundlegend. Die Zeit wird zu einer Variablen
der Systemanalyse. Diese Tatsache hat begreiflicherweise Vertreter der klassischen
Kulturlandschaftsforschung verstört, sie hat andererseits durch den Einbau von
Prognosetechniken auch der Geographie den Weg zur Zukunftsforschung geöff-
net. Damit ist es möglich geworden, die Frage nach der programmierten und der
ungewissen Zukunft der Gesellschaft in den räumlichen Kontext zu stellen. Ös-
terreichische Geographen haben als erste im deutschen Sprachraum eine geogra-
phische Zukunftsforschung etabliert (vgl. unten).
2. Die Veränderung des Spektrums der Nachbarwissenschaften der Geographie des Menschen
vollzog sich in drei Etappen. In der ersten Etappe, welche bis zu HASSINGERs An-
thropogeographie heraufreicht, bestanden engste Verbindungen zur Völkerkunde
und Volkskunde. Noch Friedrich RATZEL konnte eine dreibändige Völkerkunde
herausgeben.66
Die Basislektüre der Jahrgänge unmittelbar vor und nach dem Zweiten Welt-
krieg bildete das „Handbuch der Geographie“ von KLUTE, in dem Hugo HASSINGER
die Geographie des Menschen geschrieben hat, mit Schnittstellen zur Rassenlehre,
Anthropologie, Völkerkunde und Volkskunde. Mit der Sozialgeographie von Hans
BOBEK verschob sich das Spektrum der Nachbarwissenschaften. Völkerkunde und
Volkskunde rückten aus dem Gesichtskreis der Humangeographie. Die Soziologie
wurde zur wichtigsten Nachbarwissenschaft und blieb es vielfach bis heute. Eine
Vorstellung von dem breiten gegenwärtigen Spektrum der systematischen Diszi-
plinen bietet die Stadtgeographie. Sie stellt derzeit die am weitesten entwickelte
Subdisziplin des Faches dar. Die Abbildung 8 dokumentiert das Spektrum der
Nachbarwissenschaften der klassischen und der analytischen Stadtgeographie.67
Auf der Grundlage des Stadtlandschaftskonzepts hat bereits Hugo HASSINGER
eine Brücke zum Städtebau geschlagen. Darüber hinaus bestehen in der histo-
rischen Stadtlandschaftsforschung enge Beziehungen zu den historischen Diszi-
plinen. Dem stehen andererseits die Verbindungen der analytischen Stadtgeog-
raphie zur Regional Science, Stadtwirtschaftslehre, analytischen Psychologie und
Verhaltensforschung gegenüber. In der angelsächsischen Welt entstand zuerst ein
fächerübergreifender Zitierverbund, in dem die Grenzen zwischen räumlich und
systematisch orientierter Forschung verschwunden sind. Er ist inzwischen auch
im deutschen Sprachraum vorhanden.
66) Leipzig 1886/88, 2. Auflage in 2 Bänden, 1894/95. Diese enge Beziehung dokumentiert auch der Vortrag von Eugen OBERHUMMER über „Völkerpsychologie und Völkerkunde“ bei der feierlichen Sitzung der Akademie der Wissenschaften am 31. Mai 1922. Darin verweist er auf die Entstehung des Begriffes Völkerpsychologie. Dieser wurde durch Moritz LAZARUS geprägt, der sich mit dem Verhältnis von Geographie und Psychologie beschäftigt hat.
67) LICHTENBERGER, E.: Stadtgeographie, Stuttgart: Teubner, 3. Auflage, 1998.
Die Entwicklung der Geographie als Wissenschaft
38
IV. Die Chancen der geographischen Forschung in einem Kleinstaat
Die Frage dieses Kapitels ist zweigeteilt. Sie lautet:
1. Worin besteht das Forschungsprofil der Geographie in der österreichischen
Wissenschaftslandschaft?
2. Welche Chancen hat die österreichische Geographie im gegenwärtigen Pro-
zess der Globalisierung der Wissenschaft mitzuhalten? Welche Forschungs-
felder haben Zukunft?
1.DasForschungsprofilderösterreichischenGeographie
Das Forschungsprofil der österreichischen Geographie weist mehrere Kennzei-
chen auf:
1. Bemerkenswert ist die bis zur Gegenwart heraufreichende Allianz von Geo-
graphie und Kartographie, welche durch die technologisch neuen Schienen
von Fernerkundung und Geographischen Informationssystemen (GIS) er-
weitert worden ist.
2. Klassische Forschungsfelder mit Zukunft – so lautet die These – sind abhängig
von den natürlichen Ressourcen des Staates und den historischen Mehrwertpo-
sitionen, welche europäisches Format besitzen. Sie liegen im traditionsreichen
Untersuchungsterrain vor der Haustüre der österreichischen Universitäten,
wo für das Aufgreifen von neuen Fragestellungen der Vorteil einer sowohl hi-
storisch tief gestaffelten als auch leicht zugänglichen aktuellen Informations-
struktur besteht. Forschungsfelder mit Zukunft liegen erstens im Alpenstaat
Österreich in der geo- und humanwissenschaftlichen Hochgebirgsforschung,
zweitens, beruhend auf der Funktion der Hauptstadt Wien als ehemalige Welt-
stadt und Eurometropole, in der Stadt- und Metropolenforschung
3. Jede Disziplin bedarf des Aufgriffs neuer ungelöster Probleme, neuer Sichtwei-
sen und neuer Methoden, um eine Zukunft zu besitzen. Neue Forschungsfelder
haben sich zwischen Gesellschaft, Wirtschaft und Politik entwickelt: In der Mi-
grationsforschung, Bildungs- Wohnungs- und Arbeitsmarktforschung und
nach der politischen Wende 1989 in der Transformationsforschung in Südost-
und Osteuropa. Hervorhebung verdient das singuläre Programm eines For-
schungsschwerpunkts über „Österreich: Raum und Gesellschaft“ das auf einer
vernetzten geo- und sozialwissenschaftlichen Forschungsmethodik beruhte.
4. Last, not least, hat die österreichische Geographie neben der universitären
Forschung im 21. Jahrhundert zusätzlich zu der von Hugo HASSINGER ge-
gründeten Kommission für Raumforschung und Wiederaufbau, welche 1986
in das Institut für Stadt- und Regionalforschung umgewandelt wurde, an der
Österreichischen Akademie der Wissenschaften, weitere drei Einrichtungen
erhalten, deren summierte Forschungskapazität inzwischen jene an den Uni-
versitäten übertrifft.
2. Die Allianz von Geographie und Kartographie
Geographen sind stets auch Kartographen gewesen und haben zur Kartographie
und zur Kartenproduktion ein Naheverhältnis besessen. Sie mussten einerseits als
Forschungsreisende mit der Technik der Kartenaufnahme vertraut sein und waren
andererseits Herausgeber von historischen Kartenwerken, wie Franz von WIESER,
Eugen OBERHUMMER und Hans KINZL.
Aufnahmen des Katasters und von topographischen Karten sind der geowissen-
schaftlichen und humanwissenschaftlichen Forschung um mehr als ein Jahrhundert
vorausgegangen. Damit erhielt die Kartographie eine propädeutische Funktion und
bestimmte mit dem aus militärisch-strategischer Sicht definierten geometrischen
Gerüst und den Inhalten topographischer Karten sowie den Generalisierungs-
schritten der Maßstabsstufen auch die Forschung im Realobjektraum.
Diese unreflektierte Allianz zwischen beiden Disziplinen hat um die Wende
vom 19. zum 20.Jahrhundert internationale Leistungen vollbracht, wie den "Atlas
der Alpenseen" und den "Historischen Atlas der österreichischen Alpenländer". Nach
der Krise der Zwischenkriegszeit ist nochmals, und zwar durch Akzentuierung
der Bedeutung des Realobjektraums als Planungsraum von Hugo HASSINGER,
eine neue "Produktionsphase" von Länderatlanten eingeleitet worden. Auf de-
ren Hauptleistung, den Österreich-Atlas, der aus der Zusammenarbeit von Hans
BOBEK mit Erik ARNBERGER in 30-jähriger Arbeit (1955–1985) entstanden ist,
wurde hingewiesen. Diese bemerkenswerte Phase der Atlasproduktion kann als
glanzvolles Aufleben einer bis heute nicht völlig beiseite geschobenen enzyklopä-
dischen Fachtradition interpretiert werden, wobei auch neue Fragestellungen der
Forschung, wie z.B. die Hierarchie der Zentralen Orte und Bereiche in Österreich,
kartographisch dokumentiert worden sind.68
Wie häufig in der Fachgeschichte lässt sich dabei die Gleichzeitigkeit des Un-
gleichzeitigen beobachten. Die kartographische Produktion erfolgte nämlich zur
gleichen Zeit, als einerseits die physischen Fächer mit ihren Proben aus dem Ge-
68) Im Rahmen des im Anschluss an den Forschungsschwerpunkt „Österreich“ von A. BORSDORF am ISR durchgeführten interdisziplinären Projektes „RAUMALP – Raumstrukturelle Probleme im Al-penraum“ wurde ein EDV-Atlas „Das neue Bild Österreichs. Strukturen und Entwicklungen im Alpenraum und in den Vorländern.“ Wien: Verlag der ÖAW 2005 herausgegeben.
Elisabeth Lichtenberger
39
lände ins Labor gingen und nur mehr der räumliche Standort der Probenwahl
noch seine Wichtigkeit beibehielt, und sich andererseits in der Humangeographie
die Forschungsfront aus dem Realobjektraum in den Wahrnehmungs- und Ak-
tionsraum des einzelnen Mitglieds der Gesellschaft und mittels standorttheore-
tischer Raumbegriffe in funktionelle Zusammenhänge von Regionen verlagerte.
Diese „Atlantenphase“ hat andererseits, wesentlich unterstützt durch die EDV-
Technologie, die Abkoppelung der Kartographie von der Geographie und die Eta-
blierung einer eigenen Disziplin entscheidend gefördert.
Die durch den gesamten Zeitraum vorhandene Allianz zwischen der Geogra-
phie und der Kartographie hat zu „Exportprodukten“ geführt. Hierzu gehört der
von Adolf LEIDLMAIR am Institut für Landeskunde in Innsbruck herausgegebene
„Tirol-Atlas“, welcher Nord- und Südtirol umspannt und der unter Leitung von
Josef Breu vom Institut für Südosteuropaforschung in Wien herausgegebene
„Atlas von Südosteuropa“. Derzeit ist seine Fortsetzung in Form eines EDV-Atlasses
und mit neuen Fragestellungen im Gang. Am Ende des Jahrhunderts wurde ferner
vom Institut für Südosteuropaforschung zusammen mit der Russischen Akademie
der Wissenschaften und dem Verlag Hölzel in Wien ein „World Atlas of Resources
and Environment“ auf der Grundlage der russischen Fernerkundungsdaten he-
rausgegeben (1999).69
3. Klassische Forschungsfelder
Hochgebirgsforschung
Österreich ist ein Alpenstaat. Die Alpen waren und sind ein Eldorado der geo-
wissenschaftlichen Forschung. Gemäß den Maßstäben von Internationalität und
Interdisziplinarität der Forschung besitzen vier Forschungsfelder einen guten
Rangplatz an der internationalen Forschungsfront:
» Quartärforschung,
» Gletscherforschung,
» Karstforschung und
» Witterungsklimatologie (synoptische Klimatologie).
Sie sind das Ergebnis einer Konzentration der Forschung auf wenige Bereiche
der historischen geowissenschaftlichen Fachtradition.
69) Peter JORDAN ist es im 2007 geschlossenen Ost- und Südosteuropa-Institut als Herausgeber ge-lungen, einen institutionellen Verbund aufzubauen, welcher die wissenschaftlichen Netzwerke des einstigen Großreiches der Donaumonarchie nachzeichnet.
Ihr Stellenwert ist durch eine günstige Informationssituation zu begründen. Die
Quartärforschung konnte die lange Tradition sorgfältiger Aufschlussprotokollie-
rung für sich verbuchen, bevor sie mit ihren Proben ins Labor ging. Der Gletscher-
forschung kam der Enthusiasmus zahlreicher Alpenvereinsmitglieder zugute, wel-
che jahrzehntelang freiwillige Messungen betrieben haben. Ebenso verdankt die
Karstforschung ihre Fortschritte dem Zusammenspiel von Einzelleistungen und
vereinsmäßiger Organisation. Die genannten drei Forschungsrichtungen sind fer-
ner durch ein reiches Sortiment von neuen, spezialisierten Techniken wesentlich
besser ausgerüstet als die Bereiche der klassischen Morphologie. Dies gilt insbe-
sondere für die Speläologie und Karsthydrologie im Vergleich zur Karstmorpholo-
gie. Besonders reichhaltig ist die Vernetzung bei der Quartärforschung. Sie reicht
von den traditionellen Kooperationen mit der Archäologie und Paläopedologie
bis zur Isotopenforschung. Insbesondere in der Gletscherforschung und in der
Karsthydrologie werden auch mathematisch-physikalische Modelle verwendet. In
Richtung auf Ingenieurgeologie und Wasserbau hat sich die Karsthydrologie ein
Forschungsfeld aufgebaut. Der Witterungsklimatologie kam die EDV-Technologie
zugute, mit der es gelang, den Informationsgehalt der verfügbaren meteorolo-
gischen Messreihen tiefer auszuloten.
Insgesamt sind die genannten Subdisziplinen der physischen Geographie durch
sehr starke zentrifugale Bewegungen in Richtung auf die naturwissenschaftlichen
Anrainer gekennzeichnet. Ihre künftige institutionelle Positionierung wird daher
von den tragenden Persönlichkeiten abhängen.
Mit der Aufgabe der Rekonstruktion der jüngeren Erdgeschichte anhand von
bruchstückhaften und zumeist nur durch Hypothesen interpretierbaren Fakten
hat die Quartärforschung auf einzelne Fachvertreter dieselbe Faszination aus-
geübt wie die Rekonstruktion der Menschheitsgeschichte mittels Ausgrabungen
auf Archäologen und Prähistoriker. Stets wurden prominente Fachvertreter von
dieser Aufgabe angezogen. Die zunächst nur als geowissenschaftliche Grundlagen-
forschung interpretierbaren Untersuchungen der eiszeitlichen Ablagerungen ha-
ben inzwischen durch die Weiterentwicklung und Verfeinerung der Chronologie
auch Relevanz für die aktuelle brisante Diskussion um die Klimaveränderung des
“Planeten Erde” erhalten.70 Dasselbe gilt für die Gletscherforschung, zu deren
70) Dabei hat sich der Schwerpunkt der Forschung von Wien nach Innsbruck verlagert. Dies hängt mit dem frühen Tod von Julius FINK zusammen, der ein Verbundsystem der Quartär-gpstdivoh wpo Útufssfjdi bvt nju efo Obdicbstubbufo Vohbso, DTTS voe Svnėojfo mėohtder Donau als Bezugssystem aufbauen und die Lössforschung als Subdisziplin begründen konnte. Beides ist inzwischen von Nachbardisziplinen übernommen worden. Die Unter-suchungen der Innsbrucker Schule in den Inntalsedimenten erbrachten den zeitlichen Ab-lauf des Auf- und Abbaus der letzten Vergletscherung (Würm), welche sich mit einem Zeit-maß von 30.000 Jahren als sehr viel kürzer erwiesen hat, als bisher angenommen wurde. Vor 14. 000 Jahren war das Inntal wieder eisfrei.
Die Entwicklung der Geographie als Wissenschaft
40
international beachtenswerten Leistungen die Erstellung des „Österreichischen
Gletscherkatasters” und die Etablierung einer „Österreichischen Gletscherdaten-
bank” mit rund 60 Merkmalen je Gletscher ab 1969 und eine Wiederholung der
Aufnahme 1996–1998 gehören. Die Ergebnisse hinsichtlich der Volumens- und
Flächenreduzierungen der österreichischen Gletscher in den abgelaufenen drei
Jahrzehnten besitzen für die Fragen der Naturrisken im Hochgebirge, den Touris-
mus und die Wasserwirtschaft ebenso Relevanz wie für die Thematik der Klima-
veränderungen.71
In der Karstforschung konnten zwei Bereiche dank der herausragenden
Leistungen von einzelnen Wissenschaftlern die internationale Tradition wah-
ren. In der Höhlenforschung hat Hubert TRIMMEL mit der Kompletterstellung
eines Höhlenkatasters von rund 4.400 Höhlen, unterstützt von den zahlreichen
Höhlenvereinen, eine enorme Leistung vollbracht, welche internationale Vorbild-
funktion besitzt. Die Erforschung und Erschließung der Riesenhöhlen ist dem
internationalen Tourismus zugute gekommen.72 In der Karsthydrologie ist die
von Josef G. ZÖTL, einem Schüler von Hans SPREITZER, 1966 eingeführte Methode
der Anwendung von Markierungsstoffen zur Verfolgung unterirdischer Wässer
zu einem unentbehrlichen Instrument bei der Klärung von technischen Fragen
im Speicher- und Stollenbau ebenso wie von Problemen der Wasserwirtschaft ge-
worden.73 Es ist ein Netz von Stationen mit Routinemessungen, analog zu dem für
Niederschlagsbeobachtungen, entstanden.
In einer Zeit rasant gestiegenen Verkehrsaufkommens und zunehmender An-
sprüche der Freizeitgesellschaft an den Alpenraum erhält die Witterungsklima-
tologie der Alpen ebenfalls steigende Bedeutung. Sie wurde in Österreich durch
Franz FLIRI begründet, der damit, in kritischer Reflexion von Bauernregeln über
das Wetter, einen Ausgriff in das von der Meteorologie nicht bearbeitete Feld
71) Die erste Erhebung wurde im Zusammenhang mit der internationalen hydrologischen De-kade unter Leitung von G. PATZELT im Rahmen des Instituts für Hochgebirgsforschung ge-meinsam mit G. GROSS (und anderen) in Form der photogrammetrischen Messungen von 925 Gletschern durchgeführt. Die Ergebnisse konnten zum größten Teil in der „Zeit-schrift für Gletscherkunde und Glazialgeologie“ (Herausgeber: M. KUHN und G. PAT-ZELT) veröffentlicht werden, die eine Brücke zum internationalen Fortschritt bildet. Die Organisation der Wiederholung der Aufnahme durch M. KUHN erfolgte mit Hilfe von Flugauf-nahmen des österreichischen Bundesheers (1996–1998).
72) Drei Viertel der im gegenwärtigen Höhlenkataster aufgenommenen Höhlen sind erst in der Nach-kriegszeit bekannt und erforscht worden, darunter auch mehr als 20 Riesenhöhlen. Mit einem An-teil von 10% an der Liste der großen Höhlen auf der Erde besitzt der Kleinstaat Österreich eine beachtliche Position. Dank der interdisziplinären Kooperation mit der Archäologie, Sedimentpe-trographie, Paläontologie, Quartärforschung und verschiedenen Spezialfächern konnten wesent-liche neue Forschungsergebnisse gewonnen worden.
73) Die Spanne der neuen Forschungsmethode der Isotopenmessung reicht von der Ermittlung der Verweildauer des Wassers im Untergrund, der mittleren Höhe des Einzugsgebietes von Quellen bis zur Erarbeitung von Typen karsthydrographischer Landschaften.
der synoptischen Klimatologie der Alpen unternommen hat.74 Österreich zählt
in Hinblick auf die regionale Witterungsklimatologie zu den besterforschten
Räumen Europas.
Mehrere Subdisziplinen sind der physischen Geographie seit der Gründerzeit
verlorengegangen. Dazu gehört die von Albrecht PENCK stark geförderte hydro-
graphische Forschung, ebenso die bedeutende Seenforschung, die längst zu einer
Angelegenheit der Biologen geworden ist. Die Hydrobiologie hat sich dank der Ex-
istenz von biologischen Stationen (Lunzer See, Neusiedler See) zu einer wichtigen
Grundlagenwissenschaft der Wasserwirtschaft gemausert. Es war der Biologe H.
LÖFFLER, welcher im Rahmen von UNESCO-Programmen die Leitung der inter-
disziplinären Seenforschung in die Hand genommen hat. Eine „biologische Geogra-
phie” hat es in Österreich mit Ausnahme von Ansätzen nicht gegeben, daher ist auch
kein nennenswerter Beitrag der Geographie zur Umweltforschung vorzuweisen.
In der humanwissenschaftlichen Hochgebirgsforschung reicht die Thematik
der Überlebenschancen des Bergbauerntums bereits ins späte 19. Jahrhundert. Sie
ist aufgrund der Agrarüberschüsse in der EU und der bis vor kurzem niedrigen
Weltmarktpreise ein Dauerthema gewesen wie die Untersuchung der Effekte der
Überlagerung der bergbäuerlichen Gesellschaft durch die Freizeitgesellschaft in
den Hochgebirgen Europas, bei denen die bisher nur für Städte verwendete so-
zialökologische Theorie erstmals auf die dritte Dimension der Siedlungsräume
des Hochgebirges übertragen und mit innovations- und diffusionstheoretischen
Ansätzen verknüpft werden konnte. Normative Aufgaben der Ausgliederung von
Nationalparks für die Europäische Union stehen am Horizont ebenso wie noch
recht unscharfe Konzepte von einer „nachhaltigen Entwicklung“ der alpinen Kul-
turlandschaft.75
Eine sektorale Sonderstellung bezieht die Geographie des Fremdenverkehrs
und der Freizeitgesellschaft, die sich einer problemorientierten Zusammenar-
74) Eine völlige Neubearbeitung der täglichen Beobachtungen von mehr als 1.000 Stationen für 30 Jahre war hierzu erforderlich; sie erbrachte 1962 mit dem Hauptwerk „Die Wetterlagenkunde von Tirol“ grundsätzlich neue Erkenntnisse über Klassifikationssysteme der Wetterlagen und als Ne-benprodukt das erste Lehrbuch über statistische Methoden in der deutschsprachigen Geographie („Statistik und Diagramm“). Die Arbeiten von F. FLIRI und seinen Schülern im Westen Österreichs werden nunmehr von W. WAKONIGG und seinen Schülern im Osten ergänzt bzw. fortgeführt.
75) LICHTENBERGER, E.: „Die Sukzession von der Agrar- zur Freizeitgesellschaft in den Hochgebirgen Europas“, Innsbrucker Geographische Studien 5 (Festschrift für Prof. A. LEIDLMAIR), S. 401–436.
PENZ, H.: „Die Stellung der Landwirtschaft im Modernisierungsprozeß Österreichs nach dem Zwei-ten Weltkrieg“. Ergebnisse von Untersuchungen im Rahmen des Teilprojektes Landwirtschaft des Forschungsschwerpunktes der FWF „Österreich – Raum und Gesellschaft“, in: MÖGG, 139, (1997), S. 77–100.
WEIXELBAUMER, N.: Gebietsschutz in Europa. Konzeption-Perzeption- Akzeptanz. Ein Beispiel an-gewandter Sozialgeographie am Fall des Regionalkonzepts in Friaul-Julisch Venetien. Beiträge zur Bevölkerungs - und Sozialgeographie, Bd. 8, Wien (1998), 415 S.
Elisabeth Lichtenberger
41
beit mit anderen Disziplinen geöffnet und den Praxisbezug ebenso gefestigt wie
die raumordnungspolitischen Perspektiven akzeptiert hat. Geographen beteiligen
sich an der verwaltungsinternen Grundlagenforschung und partizipieren an der
direkten Auftragsforschung, andererseits ist zum Unterschied von der Bundesre-
publik Deutschland die Tourismusforschung im Ausland von geringer Bedeutung
geblieben.
Die geographische Stadtforschung – eine Wachstumsdisziplin
Auf die Wiener Schule der geographischen Stadtforschung wurde wiederholt
hingewiesen. Wien verfügt auf dem Gebiet der Stadtforschung über eine heraus-
ragende Position, deren Bedeutung weit über den Rang als Hauptstadt eines
Kleinstaates hinausgeht. Die Weltstadtperiode Wiens hat die Tradition einer be-
deutenden Stadtforschung hinterlassen, die in der Nachkriegszeit stets an der For-
schungsfront des Faches fortgeführt werden konnte.76
Die Reihe der immanenten Themen reicht von der Frage nach der Konvergenz
der Stadtentwicklung in der entwickelten Welt aufgrund der Globalisierung der
Ökonomie und Technologie zu dem neuen Problem des Recycling der gebauten
Kubatur. Galt bis in die Nachkriegszeit die Regel, dass die Lebenserwartung der
physischen Struktur von Städten länger ist als die Lebenserwartung der darin woh-
nenden städtischen Bevölkerung, womit der Wandel der städtischen Gesellschaft
im baulichen Gehäuse thematisiert werden musste, so hat diese Regel inzwischen
ihre Allgemeingültigkeit verloren. Damit reduziert sich auch der Erklärungswert
der in die sozialökologische Theorie integrierten Filtering-down-Konzeption,
welche einen Baubestand voraussetzt, dessen Lebensdauer lang genug ist, um ein
Abwohnen in der Abfolge von Generationen zu ermöglichen. Aufgrund der Ver-
längerung der Lebenserwartung der Bevölkerung überschneiden sich nunmehr
zwei Kurven, und zwar die Kurve der abnehmenden Lebenserwartung der Be-
standteile der physischen Struktur von Städten und die Kurve der zunehmenden
Lebenserwartung der städtischen Bevölkerung. Es geht damit die Periode des
Wandels im baulichen Gehäuse der Stadt zu Ende, die Periode des Recyclings der
gebauten Kubatur innerhalb der Lebenszeit der Generationen beginnt. Daraus
resultiert die Thematik von Stadtverfall und Stadterneuerung im intermetropoli-
tanen Vergleich. Die Theorie des Lebens in zwei Gesellschaften definiert ein neues
Phänomen. Sie gründet sich auf die Aufspaltung der Wohnstandorte einerseits
von Gastarbeitern zwischen Herkunfts- und Zuwanderungsgebiet und anderer-
76 ) Vgl. LICHTENBERGER, E.: Stadtgeographie I: Begriffe, Konzepte, Modelle, Prozesse, Stuttgart, 1. Auf-lage 1986, 2. Auflage 1992, 3. Auflage 1998.
Italienische Übersetzung von 2. Auflage: Geografia dello spazio urbano. A cura di Marcella Schmidt di Friedberg. Milano, 1993.
seits von großstädtischer Bevölkerung zwischen Arbeits- und Freizeitwohnungen.
In beiden Fällen entstehen Unter- bzw. Überschichtungsphänomene, und zwar ei-
nerseits in den Großstädten und andererseits im ländlichen Raum. Entsprechend
den rhythmischen Phänomenen der arbeitsteiligen und der Freizeitgesellschaft
bzw. der Verschiebung des Wohnstandortes im Laufe des Lebenszyklus, werden die
Einwohner von großen Städten in zunehmendem Maße zu „Bewohnern auf Zeit“.
Ein „postindustrielles städtisches Nomadentum“ entsteht, welches neue kommu-
nalpolitische Interessenskonflikte bewirkt.
Nordamerika ist der Trendsetter in der Globalisierung der Ökonomie, der
Metropolitanisierung und der interkontinentalen Migration. Seine Metropolen
sind Problemfelder ersten Ranges durch das Entstehen von Megaghettos in den
Kernstädten, eine exorbitant steigende Zahl von Haushalten von alleinerziehen-
den Frauen, die Ausschließung der „underclass“ aus der Arbeitsgesellschaft, das
erschreckende Phänomen einer neuen Obdachlosigkeit und einer steigenden Zahl
von Outlaws. Es ist eine neue immanente Forschungsfrage entstanden. Sie lau-
tet: Werden die europäischen Metropolen ebenso zu Problemfeldern werden oder
kann die Regionalpolitik der sozialen Wohlfahrtsstaaten bzw. der Munizipalsozial-
ismus diese Probleme verhindern bzw. eindämmen und welche Probleme gehören
zur „Globalisierung gesellschaftlicher Prozesse“?77
Es ist verständlich, dass eine so stark expandierende Richtung wie die geo-
graphische Stadtforschung auch in der Auslandsforschung vertreten ist. Mono-
graphische Trittsteine folgen den Raumbezügen des Staates von Athen in Griech-
enland in den Vorderen Orient über Istanbul nach Teheran und schließlich nach
Bombay in Indien.78 In der Stadtforschung der USA sind die Untersuchungen von
K. FRANTZ über das neue Phänomen der Gated Communities verankert, mit dem
er sich in der internationalen Forschung einen Namen gemacht hat.79
Das Forschungsterrain in Ost- und Südosteuropa
Es zählt zu den Usancen der geographischen Forschung in der Bundesrepub-
lik Deutschland, dass aufgrund der Förderung der Auslandsforschung durch die
Deutsche Forschungsgemeinschaft der einzelne Wissenschafter seine regionalen
Forschungsinteressen wie die Schnecke das Gehäuse von einem Universitäts-
77) LICHTENBERGER, E.: Stadtverfall und Stadterneuerung, Wien: Verlag der Österreichischen Akade-mie der Wissenschaften, 1990.
LICHTENBERGER, E.: Gastarbeiter – Leben in zwei Gesellschaften, Unter Mitarbeit von H. FASSMANN (EDV-Technologie), Wien-Köln-Graz: Böhlau 1984.
78) KERN, W.: Athen, LEITNER, W.: Istanbul, SEGER, M.: Istanbul, Teheran, NISSEL, H.: Bombay.79) FRANTZ K., Gastprofessur an der Akademie der Wissenschaften.
Publikationen vgl. www.uibk.ac.at/ geographie/personal/frantz/ publikationen.html.
Die Entwicklung der Geographie als Wissenschaft
42
standort zu einem anderen mitnehmen kann. Von derartigen individuellen In-
teressentransfers ist hier nicht die Rede. Zukunftsfelder der geographischen For-
schung im Ausland bedürfen in einem Kleinstaat der institutionellen Absich-
erung, d.h. sie müssen durch ein längerfristiges Forschungsprogramm von Insti-
tutionen abgedeckt sein. In diesem Zusammenhang sind zwei Institutionen zu
nennen: das bereits oben angeführte, inzwischen geschlossene Ost- und Südosteu-
ropa-Institut80 und das Institut für Stadt- und Regionalforschung an der Öster-
reichischen Akademie der Wissenschaften, welche mittels institutioneller Netz-
werke Forschungsstrukturen in Ost- und Südosteuropa aufgebaut haben. Geog-
raphische Forschung in senso strictu wurde und wird nur an letzterem betrieben.
Der Aufbau eines Forschungsnetzwerkes begann hier schon in den 1980er Jahren
und war durch die institutionelle Verflechtung der Österreichischen Akademie der
Wissenschaften mit den Akademien der östlichen Nachbarstaaten begünstigt und
erleichtert. Dadurch ergab sich nach dem Wegziehen der kommunistischen Decke
der „Vorteil der ersten Stunde“ für eine breite Transformationsforschung in den
postsozialistischen Staaten Ungarn, Tschechien, Polen und der Slowakei, die bei
der EU-Erweiterung 2004 in die EU eingegliedert wurden.
Mehrere Thesen konnten inzwischen bestätigt werden. Demnach wird in den
postsozialistischen Staaten keine gegenüber dem Westen Europas nur zeitlich ver-
schobene Entwicklung stattfinden, sondern manche Entwicklungen werden ak-
zeleriert, andere zögernd ablaufen. Es hat eine neue Gründerzeit mit schlagartig
auftretenden Effekten der Liberalisierung, Privatisierung und Kommerzialisierung
eingesetzt. Zu den Transformationsprozessen im Spannungsfeld von Internatio-
nalisierung und Restrukturierung zählen die vom internationalen Kapital ge-
steuerten Investitionen auf dem Immobilienmarkt, bei der Gründung von Ban-
ken, Versicherungen und Großhandelsketten ebenso wie die Deindustrialisierung
und Entstaatlichung des Arbeitsmarktes. Übersprungseffekte der modernen Tech-
nologien und des quartären Sektors begünstigen die Metropolen und verstärken
das West-Ost-Gefälle.
Es erwies sich die These als richtig, dass Teile der physischen Strukturen und
Organisationssysteme aus dem Staatssozialismus erhalten bleiben. Wenn man von
Polen absieht, in dem eine Kollektivierung der kleinbäuerlichen Betriebe nicht
stattgefunden hat, so hat eine echte Reprivatisierung der Landwirtschaft mit der
Rückführung zu Kleinbetrieben nur in einem einzigen Staat, nämlich in Rumä-
nien in umfassender Form stattgefunden, ansonsten wird die großbetriebliche
Landwirtschaft – wenn auch mit anderen Eigentümerstrukturen – fortbestehen.
80) Aufgrund von Budgetkürzungen wurde das Institut 2007 geschlossen. Doch gelang es 2008 Peter JORDAN und den von ihm herausgegebenen Atlas am Institut für Stadt- und Regionalforschung zu verankern und dessen Weiterführung zu sichern.
Irreversibel sind ferner die Reduzierung des kleinbetrieblichen Einzelhandels und
des Gewerbes. Die kleinen und die mittleren Zentralen Orte waren die Verlierer im
Staatskapitalismus und sie werden es bleiben.
Mit zwei Schneisen konnten neue Forschungsfronten bei der Untersuchung der
Transformation vom Plan zum Markt eröffnet werden. Längs der einen Schnei-
se wurden Vergleichsanalysen von Immobilien-, Wohnungs- und Arbeitsmärkten
in Metropolen81, Zentralen Orten und ländlichen Regionen unternommen und
die Übersprungseffekte durch den internationalen Immobilienmarkt analysiert
sowie die Kommerzialisierung und Restrukturierung auf dem Wohnungsmarkt
und die Tertiärisierung als Gegensteuerung zur Entindustrialisierung auf dem
Arbeitsmarkt untersucht.
Längs der zweiten Schneise wurde „Die Rückkehr der Regionen“ thematisi-
ert und zwar einerseits in Hinblick auf die unterschiedlichen räumlichen Konse-
quenzen der nationalen Modelle der Transformation, die sich zwischen neoklas-
sischer und KEYNESianischer Richtung anordnen, und andererseits in Hinblick
auf das erneute Aufbrechen der durch den Staatskapitalismus reduzierten region-
alen Disparitäten.82
81) SCHULZ, M.: Der Tauschwohnungsmarkt in der zentralistischen Planwirtschaft – das Beispiel von Ostberlin. ISR-Forschungsberichte 3, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 1991.
SCHMIDT, H.: Die metropolitane Region Leipzig – Erbe der sozialistischen Planwirtschaft und Zukunftschancen. ISR-Forschungsberichte 4, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissen-schaften, Wien 1991.
WECLAWOWICZ, G.: Die sozialräumliche Struktur Warschaus – Ausgangslage und postkommuni-stische Umgestaltung. ISR-Forschungsberichte 8, Verlag der Österreichischen Akademie der Wis-senschaften, Wien 1993.
SEIDL, M.: Stadtverfall in Bratislava. ISR-Forschungsberichte 9, Verlag der Österreichischen Akade-mie der Wissenschaften, Wien 1993.
LICHTENBERGER, E.: Wien-Prag. Metropolenforschung. Wien-Köln-Weimar: Böhlau, 1993. LICHTENBERGER, E./Z. CSEFALVAY/M. PAAL: Stadtverfall und Stadterneuerung in Budapest. Beiträge
zur Stadt- und Regionalforschung, Bd. 12. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wis-senschaften, 1994.
MYDEL, R./K. VORAUER: Krakau – Städtebauliche Entwicklung und Denkmalschutz, MÖGG, 136 (1994), S. 119–142.
82) FASSMANN, H. (Hg.): Die Rückkehr der Regionen – Beiträge zur regionalen Transformation Ost-mitteleuropas, Beiträge zur Stadt- und Regionalforschung, Bd. 15, Verlag der Österreichischen Aka-demie der Wissenschaften, Wien 1997.
FASSMANN, H./E. LICHTENBERGER (Hg.): Märkte in Bewegung, Metropolen und Regionen in Ost-mitteleuropa, Wien-Köln-Weimar: Böhlau, 1995.
LICHTENBERGER, E.: „Metropolen und periphere Regionen: Probleme der Sozialpolitik in den USA und in Europa“, in: Int. Symposium der Österr. Akademie der Wissenschaften. Verlag der Österr. Akademie der Wissenschaften 1999, S. 93–139.
Elisabeth Lichtenberger
43
4. Zukunftsforschung und Schwerpunktprogramm: „Österreich – Raum und Gesellschaft am Ende des 20. Jahrhunderts“
Die Geographie hat bis in die 1980er Jahre die Zukunftsforschung den aus Sta-
tistikern gemauserten Zukunftsforschern überlassen. Globale bzw. nationale Mo-
delle waren das Ergebnis.
Im Jahr 1987 wurden erstmals von österreichischen Geographen die Chancen
einer regionalgeographischen Zukunftsforschung in dem bisher ausschließlich
von Vertretern der systematischen Disziplinen und Statistikern besetzten Terrain
wahrgenommen. In Kontrastszenarien wurden einerseits die räumlichen Effekte
eines Beitritts zur EG und andererseits einer Öffnung Österreichs gegen den Osten
in sektoralen Modellanalysen hinsichtlich Bevölkerung, Landwirtschaft, Fremden-
verkehr und Industrie berechnet, wobei die multiregionale Bevölkerungsprognose
von Michael SAUBERER die Plattform für den Verbund der sektoralen Modellrech-
nungen bis zum Jahr 2000 bzw. 2030 gebildet hat.
Die vor der Öffnung des Eisernen Vorhangs im Jänner 1989 fertiggestellte Pu-
blikation ist noch vor dem Hintergrund der festzementierten räumlichen Struktur
eines geteilten Europas entstanden. Sie hat die Konsequenzen der Öffnung nach
dem Osten in Hinblick auf die Zuwanderung richtig eingeschätzt und war für den
Meinungsbildungsprozess auf der politischen Entscheidungsebene hinsichtlich
des Beitrittsansuchens Österreichs an die EG von Bedeutung.83
Durch die politische Trendwende von säkularem Ausmaß sind beide als Szenarien
simulierten Alternativen g l e i c h z e i t i g Wirklichkeit geworden: Die Öffnung der
Grenzen nach dem Osten und der Beitritt zur EU. Dadurch liegt nunmehr Öster-
reich in der Mitte von Europa in einem Schnittpunkt des Transfers von Bevölkerung,
Arbeitskräften und Kapital. Die Jahrzehnte der Nachkriegszeit, in denen Österreich
als östlichster Staat von Westeuropa weit in den Ostblock hineinragte, sind zu Ende.
Eine neue Standortbestimmung von Raum und Gesellschaft war erforderlich.
Diese Jahrhundertchance der geographischen Wissenschaft wurde genutzt, um
eine externe Analyse des Quantensprungs gegen den Hintergrund europäischer
Regionen sowie eine interne Analyse der räumlichen Konsequenzen in den er-
sten Beitrittsjahren durchzuführen. 1994, im Jahr der Volksabstimmung über den
Beitritt Österreichs in die Europäische Union, wurde vom FWF der auf 5 Jahre
anberaumte Forschungsschwerpunkt „Österreich. Raum und Gesellschaft“ einge-
83) LICHTENBERGER, E. (Hg.): Österreich zu Beginn des 3. Jahrtausends. Raum und Gesellschaft. Pro-gnosen, Modellrechnungen und Szenarien. Beiträge zur Stadt- und Regionalforschung, Bd. 9, Wien 1989.
richtet, welcher der geographischen Forschung im Kleinstaat Österreich einen we-
sentlichen Auftrieb gebracht hat.84
Mit dem Zuschnitt auf ganz Österreich und der Verknüpfung von technolo-
gischem Fortschritt und innovativen sozialwissenschaftlichen Fragestellungen
hatte der Forschungsschwerpunkt im deutschen Sprachraum eine singuläre Po-
sition. Sein technologisch-wissenschaftlicher Fortschritt bestand in der Erfüllung
der vom Fonds erstellten Auflage „ein digitalisiertes Bild von Österreich anhand
der Auswertung der russischen Satellitenbilder auf der topographischen Grundla-
ge 1:50.000“ zu erstellen und ein GIS der österreichischen Gemeinden zu schaffen,
in welchem durch den erstmaligen Zugriff auf anonymisierte Individualdaten, die
sogenannten Aggregatdaten der Großzählungen 1990 und 1991, ein völlig neues
Informationsterrain für die geographische Mikroanalyse erschlossen worden ist.
Der Schwerpunkt zentrierte um mehrere Fragestellungen. Hierzu eine Auswahl:
1. Die Retrospektive auf den „erfolgreichen österreichischen Weg“ in der Nach-
kriegszeit bediente sich des heuristischen Prinzips der Modernisierungs-
84) ÖSTERREICHISCHE GEOGRAPHISCHE GESELLSCHAFT (Hg.): Österreich – Raum und Gesellschaft. Schwerpunkt des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung: Programm und erste Ergebnisse, MÖGG, 137 (1995), S. 274–426.
Abbildung 9:Teilprojekte und Mitglieder des Forschungsschwer-punktes „Österreich - Raum und Gesellschaft“
P 1
KO
OR
DIN
ATIO
N U
ND
MA
NA
GE
ME
NT
E. L
icht
enbe
rger
P 2 GIS UND EDV-KARTOGRAPHIEF. Kelnhofer
P 3 FERNERKUNDUNG UND LANDSCHAFTSVERBRAUCHM. Seger
P 4 RÄUMLICHE ORGANISATION VON STADT UND LANDE. Lichtenberger
P 5 REGIONALE DEMOGRAPHIEM. Sauberer
P 6 RÄUMLICHE ORGANISATION DER GESELLSCHAFTM. Sauberer6.1 DER RÄUMLICHE KONTEXT IM POLITISCHEN SYSTEM
D. Wastl-Walter
P 7 RÄUMLICHE ORGANISATION DER WIRTSCHAFTG. Palme7.1 LANDWIRTSCHAFT
H. Penz7.2 PRODUKTIONSSTILE IM TOURISMUS
F. Zimmermann7.3 WETTBEWERBSFÄHIGKEIT DER ÖSTERR. GROSSSTÄDTE
Z. Cefalvay, H. Fassmann
P 8 MODELLSTUDIE ÖTZTALG. Patzelt
Die Entwicklung der Geographie als Wissenschaft
44
theorie, mit welcher synchron die „stille Revolution der Gesellschaft“, (H.
FASSMANN), der Vorgang der chaotischen Urbanisierung (E. LICHTENBERGER)
und die Phänomene der Entagrarisierung (H. PENZ) und Tertiärisierung un-
tersucht wurden.
2. Die Analyse und Herausarbeitung der aktuellen österreichspezifischen Phä-
nomene im Kontext von Raum und Gesellschaft vor dem Hintergrund des
„gemeinsamen Hauses Europa“ umfasste mehrere Sektoren (vgl. unten). Der
Beitritt Österreichs zur EU hat der ökonomischen Frage nach der Wettbe-
werbsfähigkeit österreichischer Städte und Regionen einen zentralen Stellen-
wert zugeordnet.
» Die Vergleichsanalyse der Aufgaben der Landwirtschaft, nämlich der Produk-
tionsfunktion und der Funktion der Landschaftspflege, erbrachte einerseits
eine weitgehende Emanzipation von den agrarökologischen Bedingungen
und andererseits eine Wahrnehmung der Landschaftspflege als integrale Auf-
gabe durch die lokale Bevölkerung und die Gemeinden des ländlichen Raums
(H. PENZ).
» Die Immobilienmarktforschung ermöglichte durch die Monetarisierung des
Siedlungssystems neue Zugänge zu klassischen Forschungsfragen, wie der re-
gionalen Disparitätenforschung und der Zentrale-Orte-Forschung, Die bri-
santen Aussagen der umfangreichen Printmedienanalyse (n=29.621) lauten:
Die enorme Neubautätigkeit in der Nachkriegszeit in Form des Einfamilien-
hausbaus hat weder die künftigen Marktpreise kalkuliert, noch den potenti-
ellen Bedarf berücksichtigt. Derart ist eine enorme regionale Überproduktion
erfolgt, die erst beim Generationswechsel sichtbar werden wird.
» Die EDVisierung der klassischen Forschungsarbeit von Hans BOBEK über die
Zentralen Orte aus den 1960er Jahren und eine umfassende Neuerhebung
(n=39.000 Betriebe) erbrachten den Nachweis der grundstürzenden Verän-
derung der Ränge und Einzugsbereiche der Zentralen Orte im Neoliberalis-
mus durch das Filialsystem. Einzelne Stufen des Zentrale-Orte-Systems wur-
den nahezu eliminiert und die Ortskerne von Verfall erfasst. Nur ein Teil der
Zentralen Orte wird den ökonomischen Konzentrationsprozess überstehen
(E. LICHTENBERGER).
» Die Erreichbarkeit stellt den Basisparameter für die Standortqualität eines
Gebietes bzw. eines Ortes dar, wobei die metrische Distanz durch die Zeit-
Kosten-Mühe-Relation erweitert werden muss. Auf Gemeindebasis konnte
eine „zentrale Peripherie“ des österreichischen Staates belegt, und die Aussa-
ge einer Inversion des THÜNENschen Modells getroffen werden. Ferner gelang
der Nachweis der sozialen Auseinanderschichtung der Bevölkerung durch
den öffentlichen Verkehr, in dessen städtischen Zentren sich höher gestellte
Bevölkerungsschichten und Migranten gruppieren, während im suburbanen
Raum Facharbeiter überproportional vertreten sind.
3. Die Herausarbeitung von „programmierter" und „ungewisser" Zukunft
konzentrierte sich auf die Effekte der Ostöffnung, welche Österreich in eine
komplizierte Schnittstellenlage in der Mitte Europas versetzt haben. Zwei
räumlich einander entgegengesetzte Bewegungen treten auf: erstens die Ost-
West-Wanderung der Bevölkerung und zweitens die West-Ost-Verschiebung
des Kapitals, wodurch Österreich immer mehr in den Einflussbereich des glo-
balen Finanzkapitals gerät, während andererseits österreichisches Finanzka-
pital in den östlichen Anrainerstaaten investiert wird. Hierbei ist als positiver
Effekt der Eingliederung Österreichs in die EU und der Ostöffnung die Ent-
stehung eines ökonomischen Glacis mit zahlreichen Filialen österreichischer
Betriebe in den Bereichen des Bankenwesens und der Erdölwirtschaft außer-
halb der Staatsgrenzen zu werten.
Elisabeth Lichtenberger
45
V. Die institutionelle Sonderstellung der Öster- reichischen Geographie. Rückblick und Ausblick
1. Das Erbe der Donaumonarchie
Die Entwicklung der Geographie begann in Österreich in einem Großstaat, der
Donaumonarchie, nach Russland dem größten Staat auf dem Kontinent. Damit
ist die Frage nach dem Erbe dieses Großreiches zu stellen. Es besteht in den bereits
auf die Zeit des aufgeklärten Absolutismus zurückgehenden exakten Katasterauf-
nahmen und statistischen Daten über Bevölkerung, Siedlung und Wirtschaft. Für
diese Informationsblöcke entstanden die institutionellen Voraussetzungen einer-
seits durch die Militärkartographie und andererseits durch die Einrichtung eines
statistischen Dienstes. Bis zur Gegenwart herauf bieten die Wiener Archive einma-
lige Informationsschätze nicht nur über den Raum der Monarchie, sondern weit
in das ehemalige Osmanische Reich hinein.
Die liberale Gründerzeit war nicht nur das Zeitalter der Industrialisierung und
des Bahnbaus, sondern auch das Zeitalter der staatlichen Gründungen von wis-
senschaftlichen Institutionen, darunter auch von zahlreichen geographischen
Lehrkanzeln in der gesamten österreichischen Reichshälfte. Mit Stolz kann ver-
merkt werden, dass an der Wiener Universität 1851 bereits das erste Ordinariat
für Geographie eingerichtet und mit einem Naturforscher, Friedrich SIMONY, be-
setzt worden war. – Zu einem Zeitpunkt als in Deutschland nach dem Tode Carl
RITTERs kein einziger ordentlicher Lehrstuhl für Geographie bestanden hatte. Es
ist auch nicht weiter erstaunlich, dass in Europa führende Persönlichkeiten auf
der Wiener Universität, darunter auch in der Geographie gelehrt haben. So war
Albrecht PENCK, der Begründer der Morphologie und Eiszeitforschung, zuerst
in Wien und dann in Berlin tätig und kann als Stammvater der österreichischen
Geographie bezeichnet werden. Auf die von ihm gegründete sehr umfangreiche
Schule wurde besonders eingegangen. Die beherrschende Rolle der PENCK-Schule
hatte Konsequenzen für die „Normalkarriere“ und damit den Forschungsstil. Es
gehörte bis herauf zur Heimkehrergeneration zur „Normalkarriere“, zuerst auf
dem Gebiet der physischen Geographie gearbeitet zu haben und sich erst dann,
wenn überhaupt, in das Gebiet der kultur- und sozialwissenschaftlichen Geogra-
phie hineinzubewegen.
Aus der liberalen Gründerzeit stammt auch die Aufgabenteilung zwischen uni-
versitärer Lehre und Publikationstätigkeit durch Vereine. Während die „Lehrkan-
zeln“ entsprechend ihrer Bezeichnung von Anfang an für die „Lehre“ des jeweiligen
Fachgebietes eingerichtet waren und keine Mittel für Publikationen zur Verfügung
standen, übernahmen fachspezifische Vereine, im Falle der Geographie die 1856
gegründete Geographische Gesellschaft, die Aufgabe der Veröffentlichung von
wissenschaftlichen Ergebnissen.
Der Zerfall der Monarchie hat alle Bereiche der Bevölkerung, Wirtschaft und
Wissenschaft betroffen. Alle wissenschaftlichen Einrichtungen der Ersten Repu-
blik waren zu groß dimensioniert und wurden in die enorme Krise hineingerissen.
Diese konnte jedoch eines nicht vernichten: das Wissen in den Köpfen der Men-
schen, welche die Chance gehabt hatten, noch in der Monarchie ihre universitäre
Ausbildung zu erhalten und in einem Vielvölkerstaat aufgewachsen zu sein. Damit
sind bis herauf in die 1960er Jahre hervorragende Fachvertreter der Geographie
als Ordinarien in Wien an der Universität und der Hochschule für Welthandel,
in Innsbruck und in Graz tätig gewesen: Hugo HASSINGER (Wien), Otto MAULL
(Graz), Fritz MACHATSCHEK (Wien), Johann SÖLCH (Innsbruck, Wien), die nicht
zuletzt dank der großen, von ihnen verfassten Handbücher ganz wesentlich zum
Ansehen der deutschsprachigen Geographie beigetragen haben.
Das Forschungsprofil umfasste die Hochgebirgsmorphologie ebenso wie die geo-
graphische Stadtforschung, die politische Geographie, die geographische Bevöl-
kerungsforschung und die Länderkunde von Europas und der Nachfolgestaaten.
Dieser Überschuss an wissenschaftlichem Potential äußerte sich auch in dem Ex-
port von Geographen aus Österreich ins Ausland und kam nochmals in den 1950er
und 1960er Jahren der Zweiten Republik zum Tragen. Es verdient Hervorhebung,
dass sich alle genannten Subdisziplinen bis zur Gegenwart herauf erhalten haben
und erst im 21. Jahrhundert durch die Übernahme der Ordinariate durch bundes-
deutsche Geographen, welche ihr individuelles wissenschaftliche Gepäck mitbrin-
gen, Veränderungen des Forschungsspektrums stattfinden.
2. Effekte des Föderalismus und der Lex Firnberg
Die Zweite Republik konnte dank der ökonomischen Prosperität an der universi-
tären Gründungswelle der Nachkriegszeit in Europa partizipieren, wobei durch die
Gleichzeitigkeit einer egalitären Universitätsreform mit der Vermehrung der uni-
versitären Dienstposten und der Gründung von außeruniversitären Forschungsein-
richtungen spezifisch österreichische Lösungen auch im Fach Geographie entstan-
den sind. Auf der föderalistischen Struktur des Staates beruhten die Bestrebungen
„jedem Bundesland seine Universität“ zu geben. Es ist die „Heimkehrergeneration“
gewesen, auf deren Initiative als „Aufbaugeneration“ die Errichtung und Ausstat-
tung vieler Institute zurückging ebenso wie die Stärkung des inneruniversitären
Ansehens des Faches durch Rektoren und Dekane aus dem Fach Geographie.
Die Entwicklung der Geographie als Wissenschaft
46
In den 1970er Jahren kippte das System. Die Umwandlung der HUMBOLDT-
schen Universität des Bildungsbürgertums in die Massenuniversität des sozialen
Wohlfahrtsstaates vollzog sich in Österreich in Form eines Wachstumssyndroms
unter dem Vorzeichnen der Lex FIRNBERG (1975–2002), welche die elitäre Ge-
lehrtenuniversität abgeschafft und durch eine drittelparitätische Konstruktion
von Kurien der Professoren, Assistenten und Studenten ersetzt hat. Eine Nivellie-
rung des wissenschaftlichen Lehr- und Forschungsniveaus war die Folge. Damit
wurde eine Hypothek aufgenommen, welche die österreichischen Universitäten
im 21. Jahrhundert bezahlen müssen, denn es wurden zwar mittelmäßige Funkti-
onäre, jedoch kaum der internationalen Konkurrenz gewachsene Wissenschaftler
produziert.
Positiv ist zu vermerken, dass es im Zuge der gesetzlichen Neuordnung von
Studiengängen am Institut für Geographie in Wien gelungen ist, zwei neue Stu-
dienzweige, nämlich „Raumforschung und Raumordnung“ und „Kartographie“
einzurichten und damit sehr viel früher als in Deutschland eine Chance des Faches
wahrzunehmen. Österreichische Geographen hatten seit Hugo HASSINGER einen
wesentlichen Anteil an der Etablierung der Raumforschung als universitäres Fach
und als staatliche Institution. Es ist gelungen, aufgrund der bedeutenden ange-
wandten Forschung im Ziviltechnikergesetz die Gleichstellung von Berufsgeo-
graphen mit Zivilingenieuren zu erreichen.
Eine erfreuliche Begleiterscheinung des Wachstumssyndroms der Universitäts-
institute war der Ausbau der Zweigvereine der Österreichischen Geographischen
Gesellschaft, gleichzeitig ein Beleg für die Möglichkeit einer glücklichen Ehe zwi-
schen Zentralismus und Föderalismus
3. Die Forschung an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
In der Zeit des geteilten Europa war Österreich ein Staat zwischen West und
Ost mit einem interessanten Amalgam zwischen dem Staatskapitalismus östlicher
Prägung, einem Erbe der russischen Besatzungszeit, d.h. einer verstaatlichten
Großindustrie, und einem verstaatlichten Finanzwesen. Dazu kam in der Ära
KREISKY der Einfluss östlicher Forschungsmodelle der dortigen Akademien der
Wissenschaften. Damit ist die Grundlage für die heutige Sonderstellung der Ös-
terreichischen Akademie der Wissenschaften innerhalb der EU gelegt worden, die
sich aus einer Gelehrtengesellschaft zu einem Forschungsunternehmen mit über
1.100 wissenschaftlichen Mitarbeitern entwickelt hat, welches sich budgetär zwi-
schen den Universitäten Klagenfurt und Linz einordnet.
Dabei erfolgte in den 1970er Jahren, in der Ära FIRNBERG, – synchron zur be-
schriebenen Umstrukturierung der Universitäten – die erste große Gründungs-
welle von wissenschaftlichen Instituten, die in erster Linie den Naturwissen-
schaften zugute gekommen ist. Eine zweite Welle in den 1990er Jahren schloss sich
an, als im Zuge der Privatisierungstendenzen Allianzen mit Privatunternehmen
der Pharmaindustrie geschlossen und die Verbindungen mit den Bundesländern
ausgebaut worden sind. Von diesem enormen Aufschwung der Akademie hat auch
die Geographie profitieren können.
Derzeit bestehen vier von Geographen geleitete Forschungseinrichtungen an
der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, davon drei im Zentrum So-
zialwissenschaften der phil.-hist. Klasse und eine in der math.-nat.Klasse im For-
schungsbereich Geowissenschaften.85
1. Das Institut für Stadt- und Regionalforschung ist 1986 aufgrund der Initia-
tive der Autorin aus der von Hugo HASSINGER gegründeten Kommission für
Raumforschung entstanden.
2. Die Kommission für Migrations- und Integrationsforschung wurde 2004
auf-grund eines Vorschlags der Autorin eingerichtet und inzwischen durch
Personalunion und räumlich mit dem Institut für Stadt- und Regionalfor-
schung verbunden. Sie hat die Zielsetzung, eine Plattform für die österrei-
chische und europäische Migrationsforschung zu bilden.
3. die Forschungsstelle für Gebirgsforschung: Mensch und Umwelt ist 2006 als
„Tochterunternehmen“ aus dem Institut für Stadt- und Regionalforschung in
Innsbruck entstanden und kooperiert mit dem diesbezüglichen Forschungs-
cluster der Universität.
4. Die Forschungsstelle für Geographic Information Science ist 2007 in Salz-
burg von der Landeshauptfrau BURGSTALLER gemeinsam mit der Österrei-
chischen Akademie der Wissenschaften eingerichtet worden.
Summiert man die wissenschaftlichen Kapazitäten aller genannten Einrich-
tungen, so übertreffen sie bereits die Forschungskapazität der Universitätsinsti-
tute des Faches Geographie. Im Folgenden wird nur auf das Forschungsprofil
des Instituts für Stadt- und Regionalforschung eingegangen, die Programme und
Ziele der anderen erst im 21. Jahrhundert gegründeten Einrichtungen sind aus
den Webauftritten zu entnehmen.
Die von Hugo HASSINGER 1946 gegründete Kommission für Raumforschung
und Wiederaufbau, welche von Hans BOBEK 1954 bei der Übernahme der Leitung
85) Vgl.http://www.oeaw.ac.at/deutsch/forschung/einrichtungen/zentren.html sowie http://www.oeaw-giscience.org/.
Elisabeth Lichtenberger
47
in die Kommission für Raumforschung umbenannt worden ist, wurde zur Atlas-
Institution des Kleinstaates, an welcher nach dem Burgenlandatlas von Hugo
HASSINGER der Niederösterreich-Atlas in Angriff genommen und von seinem
Schüler Erik ARNBERGER herausgegeben worden ist. Gemeinsam mit diesem hat
dann Hans BOBEK in 20-jähriger Arbeit den Österreich-Atlas herausgebracht, auf
den bereits eingegangen wurde. Nochmals hingewiesen sei auf seine Analyse des
Systems der Zentralen Orte in Österreich, welche er mit seiner zweiten Frau und
langjährigen Mitarbeiterin, Frau Dr. Maria BOBEK-FESL durchgeführt hat. Die in
umfangreichen Publikationen und Karten niedergelegten theoretischen Zugän-
ge, Begriffe und Ergebnisse bildeten eine Grundlage der Raumordnungspolitik
der 1960er und 1970er Jahre und sind für weitere Forschungen unverzichtbar
geworden.
1983 übernahm die Autorin die Leitung der Kommission. Damit begann ein
neuer Abschnitt der wissenschaftlichen Forschung, welcher die Umwandlung der
Kommission für Raumforschung in das Institut für Stadt- und Regionalforschung
mit Beschluss der Gesamtsitzung der Akademie am 18. 12. 1988 zur Folge hatte.
Der persönliche Stil der Großforschungsprojekte in der Einheit von Forschung
und Lehre an der Universität Wien wurde an die Österreichischen Akademie der
Wissenschaften transferiert und damit die Möglichkeiten einer neuen Ära genutzt,
in der Forschungsmittel des Staates und von privaten Stiftungen auch im Ausland
bereitstanden. Bei diesen Großprojekten ging es stets um Primärforschung mittels
sozialwissenschaftlicher Surveys, Archivstudien und Feldforschung. Dies erzwang
die Beschäftigung mit der Frage der Arbeitsökonomie von Forschungsprojekten,
darunter die „Gewinn- und Verlustrechnung“ von den Rohdaten bis zu den For-
schungsdaten.
Drei Projekte sind zu nennen, und zwar über Gastarbeiter, Stadtverfall und Stad-
terneuerung und über Transformation in den postsozialistischen Staaten.
Die Gastarbeiterforschung in Wien besitzt in der europäischen Migrationsfor-
schung eine singuläre Position durch die zweimalige Durchführung (1974, 1981) eine
singüläre Positon, weiters durch die bilaterale Zusammenarbeit und die tragfähige
Konzeption einer bilateralen Schichtungstheorie, welche durch die Untersuchung in
der Heimat und am Arbeitsort operationalisiert worden ist.
Mit dem schockierenden Titel „Stadtverfall“ wurde das von der Gemeinde Wien
unterstützte Großprojekt benannt, welches die haus- und betriebsweise Erfassung
von Residential, Industrial und Commercial Blight im geschlossen verbauten grün-
derzeitlichen Stadtraum von Wien mit 40.000 Bauobjekten als Grundlagenfor-
schung für die politischen Entscheidungsträger zum Ziel hatte und in der Folge
dann auch in modifizierter Form auf Budapest und Prag ausgedehnt worden ist.
Auf die Transformationsforschung in Ostmitteleuropa wurde bereits hinge-
wiesen. Sie führte zur Schaffung eines internationalen Forschungsverbunds mit
ostmitteleuropäischen Universitäten und Akademien sowie zur Abfassung von
Forschungsberichten.
In Zusammenhang mit der EDVisierung der Primärforschung entstand eine
Datenbank auf der Grundlage von Gemeinden und ein geographischen Infor-
mationssystem von Österreich, welches die Ausgangsbasis des Schwerpunktpro-
gramms „Österreich – Raum und Gesellschaft“ bildete und dessen Kerndaten an
die Mitarbeiter desselben weitergegeben worden sind.
Spannt man den Bogen von der Gründungszeit des Instituts zur Gegenwart, so
ist die derzeitige Forschungsthematik im Internet nachzulesen. Hervorzuheben
ist die Verbreiterung der Stadtforschung in Richtung auf den suburbanen und
postsuburbanen Raum. Vor allem aber wurde durch den derzeitigen Leiter des
Instituts, Heinz FASSMANN, die Bearbeitung migrationsbezogener Themen, nicht
zuletzt aufgrund der bereits erwähnten Personalunion mit der Kommission für
Migrations- und Integrationsforschung, weiter ausgebaut. Ferner gelang es ihm,
das Institut für Stadt- und Regionalforschung (ISR) in ein EU-weites Network
of Excellence (IMISCOE) einzubinden und durch die Gewinnung mehrerer EU-
finanzierter Projekte die internationale Sichtbarkeit und Präsenz des Instituts
ganz wesentlich zu steigern.
Die Entwicklung der Geographie als Wissenschaft
48
Literatur
l. Allgemeine Literatur zur Wissenschaftsgeschichte der Geographie
BECK H. (1973), Geographie. Europäische Entwicklungen in Texten und Erläuterungen.
Freiburg u.a.
BECK H. (1992), Große Geographen: Pioniere – Außenseiter – Gelehrte. Berlin.
BOBEK H. (1935), Die jüngere Geschichte der Inntalterrasse und der Rückzug der letzten Verglet-
scherung im Inntal. In: Jahrbuch d. Geol. Bundesanstalt. Wien. S. 135–189.
BOWMAN I. (1942), Geography versus Geopolitics. In: Geographical Review XXXII, 4.
S. 646–658.
BROGIATO H. P. (1995), Die Schulgeographie im Spiegel der Deutschen Geographentage. In: Geo-
graphische Rundschau, 47, 9. S. 484–490.
BÜDEL J. (1977), Klima-Geomorphologie. Berlin, Stuttgart.
BUTTIMER A. (1983), The Practice of Geography. London, New York.
DUNBAR G. S. (Hrsg.) (1991), Modern Geography: An Encyclopedic Survey. New York, London.
FREEMAN T. W. (1965), A Hundred Years of Geography. London.
FREEMAN T. W. (1967), The Geographer’s Craft. Manchester.
HETTNER A. (1898), Die Entwicklung der Geographie im 19. Jahrhundert. In: GZ, 4. S. 305–320.
HEINRITZ G., SANDNER G., WIESSNER R. (Hrsg.) (1996), Der Weg der deutschen Geographie.
Rückblick und Ausblick, Stuttgart.
LICHTENBERGER E. (1974), Theoretische Konzepte der Geographie als Grundlagen für die Sied-
lungsgeschichte. In: INSTITUT FÜR ÖSTERREICHKUNDE (Hrsg.): Siedlungs- und Bevölkerungsge-
schichte Österreichs. Wien. S. 5–33.
LICHTENBERGER E. (1978a), Klassische und theoretisch-quantitative Geographie im deutschen
Sprachraum. In: Berichte zur Raumforschung und Raumplanung, 22, l. S. 9–21.
LICHTENBERGER E. (1978b), Quantitative Geography in the German-Speaking Countries. In: Tijd-
schrift voor economische en sociale geografie, 69, 6. S. 362–373.
LICHTENBERGER E. (1979), The Impact of Political Systems upon Geography: The Case of the
Federal Republic of Germany and the German Democratic Republic. In: Professional Geographer,
31, 2. S. 201–211.
LICHTENBERGER, E. (1980), Perspektiven der Stadtgeographie. In: 42. Deutscher Geographentag,
Göttingen 1979, Tagungsbericht u. wissenschaftliche Abhandlungen, Wiesbaden. S. 103–128.
LICHTENBERGER E. (1981), The Impact of Institutional Forces on the State of University Geogra-
phy in the Federal Republic of Germany in Comparison with Britain. In: BENNET R. J. (Hrsg.),
European Progress in Spatial Analysis, London. S. 112–130.
LICHTENBERGER E. (1986), The German-Speaking Countries. In: JOHNSTON R. J., CLAVAL P.
(Hrsg.): Geography since the 2nd World War: An International Survey, London 1984. S. 156–184;
Italienische Übersetzung: La Geografia Dopo La Seconda Guerra Mondiale – un confronto inter-
nazionale. Milano. S. 161–185.
LICHTENBERGER E. (1987), Zum Standort der Geographie als Universitätsdisziplin. Vortrag, ge-
halten anlässlich der 100-Jahr-Feier der Schweiz. Geograph. Gesellschaft in Bern, Dezember 1984.
In: Geographica Helvetica, 2 (1985). S. 55–66 (gekürzte Fassung abgedruckt in: Geographil 1,
S. 16–24.)
LICHTENBERGER E. (1997), Zum Standort der Geographie. Vortrag anlässlich der Verleihung der
Hauer-Medaille. In: MÖGG, 138. S. 7–16.
LIVINGSTONE D. (1992), The Geographical Tradition. Oxford, Cambridge.
OVERBECK H. (1954), Die Entwicklung der Anthropogeographie (insbesondere in Deutschland)
seit der Jahrhundertwende und ihre Bedeutung für die geschichtliche Landesforschung. In: Blät-
ter für deutsche Landesgeschichte, 91. S. 182–244.
RICHTHOFEN F. von (1905), Triebkräfte und Richtungen der Erdkunde im neunzehnten Jahrhun-
dert. In: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde. Berlin. S. 655–692.
SCHULTZ H.-D. (1980), Die deutschsprachige Geographie von 1800 bis 1970. Ein Beitrag zur Ge-
schichte der Methodologie. In: Abhandlungen des Geographischen Instituts – Anthropogeogra-
phie. Band 29. Berlin.
STODDART D. (1986), On Geography and its History. Oxford, New York.
WARDENGA U., HÖNSCH I. (Hrsg.) (1990), Kontinuität und Diskontinuität der deutschen Geogra-
phie in Umbruchphasen. Studien zur Geschichte der Geographie. In: Münstersche Geographische
Arbeiten. Münster.
WIRTH E. (1995), Einhundert Jahre Geographie in Erlangen. In: Mitteilungen der Fränkischen
Geographischen Gesellschaft, 42. S. 3–32.
2. Zur Wissenschaftsgeschichte der Geographie in Österreich
ARNBERGER E. (1975), Österreichische Leistungen auf dem Gebiet der Kartographie in der zwei-
ten Hälfte des 20. Jahrhunderts, hg. v. d. Österr. Geogr. Ges. anlässlich des 40. Dt. Geographen-
tages Innsbruck 1975. In: MÖGG, 117, 1–2. S. 165–214.
BERNLEITHNER E. (1955), Die Entwicklung der österreichischen Länderkunde von ihren Anfän-
gen bis zur Errichtung der ersten Lehrkanzel für Geographie in Wien (1851). In: MÖGG, 97. S.
111–127.
BERNLEITHNER E. (1953-54), Das Geographische Institut an der Universität Wien. In: GJÖ XXV,
S. 132–145.
BERNLEITHNER E. (1965), Studien zur Geschichte der Universität Wien. Band 111, Sonderdruck.
Graz u. a.
FASSMANN H. (2004), Geography in Austria. In: Belgeo, 1. S. 17–32.
HAFFNER M. (1996), Aus der Geschichte des Instituts für Geographie in Innsbruck. In:
BORSDORF A. (Hrsg.): Geographische Forschung in Innsbruck, in: Innsbrucker Geographische
Gesellschaft, Jahresbericht, Sonderheft, Innsbruck. S. 37–56.
HASSINGER H. (1950), Österreichs Anteil an der Erforschung der Erde. Wien.
KOLLM G. (Hrsg.) (1891), Verhandlungen des neunten deutschen Geographentages zu Wien. Ber-
lin.
Elisabeth Lichtenberger
49
LICHTENBERGER E. (1975), Forschungsrichtungen der Geographie. Das österreichische Beispiel
1945–1975. In: Österreich, Geographie, Kartographie, Raumordnung 1945–1975, hg. v. d. Ös-
terr. Geogr. Ges. anlässlich des 40. Dt. Geographentages Innsbruck 1975. In: MÖGG 117, 1-2. S.
1–115.
LICHTENBERGER E. (1986), Standort und Entwicklung der österreichischen Geographie 1975 bis
1986. In: GJÖ, 45. S. 41–80.
LICHTENBERGER E. (1991), Austria: Austrian Academy of Sciences, Institute for Urban and Regio-
nal Research. Austrian Geographical Society. In: DUNBAR G. S. (Hrsg.), S. 9, 10 und 105.
MACHATSCHEK F. (1928), Die Physiogeographie an der Wiener Universität. In: MÖGG, 71.
S. 228–240.
MORAWETZ S., PASCHINGER H. (1987), Das Institut für Geographie der Universität Graz, 1871–
1980. In: Arbeiten aus dem Institut f. Geographie der Karl-Franzens-Universität Graz, 28. Graz.
NEUNTEUFL J. (1948), Österreichs Anteil an der Erforschung der Arktis. In: MÖGG, 90. S. 180–
186.
MITTEILUNGEN DER K. K. GEOGRAPHISCHEN GESELLSCHAFT IN WIEN (1857), (1858), (1859), darin:
Berichte zur „Novara-Expedition“.
OBERHUMMER E. (1908), Die Entwicklung der Erdkunde in Österreich seit der Mitte des 19. Jahr-
hunderts. In: MÖGG, 51. S. 453–452.
SPREITZER H. (1957), Zum Hundertjährigen Bestand der Geographischen Gesellschaft in Wien.
Rückschau und Ausblick. In: Festschrift zur Hundertjahrfeier der Geographischen Gesellschaft in
Wien 1856–1956. Wien. S. XV–XXXV.
STIGLBAUER K. (1975), Geographie und Raumordnung. Anmerkungen zu einem Literaturver-
zeichnis, hg. v. d. Österr. Geogr. Ges. anlässlich des 40. Dt. Geographentages Innsbruck 1975. In:
MÖGG, 117, 1–2. S. 215–260.
UMLAUFT F. (1898), Die Pflege der Erdkunde 1848 bis 1898, Festschrift der k. k. Geographischen
Gesellschaft. Wien.
Anmerkung Eine ausführliche Österreich-Bibliographie der Autorin findet sich in folgendem Beitrag:
LICHTENBERGER E. (2001), Geographie. In: Die Geschichte der österreichischen Humanwis-
senschaften – ein zentraleuropäisches Vermächtnis. Band 2: Lebensraum und Organismus des
Menschen. S. 71–148. Wien.
Anhang - Generationenfolgen
I Importe, Ö österr. Lösung, A Auslandsschleifen, E Exporte
1. Autodidakten in der Gründerzeit
Friedrich SIMONY (1813–1896) Wien Ö Pharmazie >> Gletscherforschung, Waldökologie
Wilhelm TOMASCHEK (1841–1901) Graz–Wien Ö Antike Literatur, Geschichte > Historische Geographie
Eduard RICHTER (1847–1905) Graz Ö Gletscherforschung, Historische Geographie (SIMONY-Schüler)
Franz von WIESER (1848–1923) Innsbruck Ö Geschichtswissenschaft und Philologie > Historische Geographie
2. Spätgründerzeit - Zwischenkriegszeit: Beginn der Profession
Albrecht PENCK (1858–1945) Wien–Berlin I Geologie >> Morphologie-Eiszeitforschung
Otto OBERHUMMER (1859–1944) München–Wien I Historische Geographie, politische Geographie (RATZEL-Schüler)
Eduard BRÜCKNER (1862–1927) Bern–Wien I Eiszeitforschung, Klimaschwankungen (PENCK-Koop.)
Franz HEIDERICH (1863–1926) Wien–WU Ö Welthandel (PENCK-Schüler)
Robert SIEGER (1864–1926) Wien–WU–Graz Ö politische Geographie, Almforschung (PENCK-Schüler)
3. Die Generation der zwei Weltkriege
Alfred GRUND (1875–1914 gefallen) Prag E Wüstungsforschung, Karsthydrographie (PENCK-Schüler)
Norbert KREBS (1876–1947) Würzburg– E Länderkunde (PENCK-Schüler) Freiburg–Berlin
Fritz MACHATSCHEK (1876–1957) Zürich–Prag– E
Die Entwicklung der Geographie als Wissenschaft
50
Relief der Erde, Länderkunde (PENCK-Schüler) Wien–München
Hugo HASSINGER (1877–1952) Basel–Freiburg– A Morphologie, Anthropogeographie, München Südosteuropa (PENCK-Schüler)
Johann SÖLCH (1883–1951) Innsbruck– A Hochgebirgsmorphologie, Heidelberg–Wien Großbritannien (PENCK-Schüler)
Otto LEHMANN (1884–1941) Wien–Zürich-TU E Theoretische Morphologie (PENCK-Schüler)
Otto MAULL (1887–1957) Frankfurt–Graz I Morphologie, Anthropogeographie, politische Geographie (PENCK-Schüler)
Friedrich METZ (1890–1969) Innsbruck kurzer I Landeskunde (HETTNER-Schüler)
Randolf RUNGALDIER (WU) (1892–1981) Prag–WU-Wien A Geographie des Welthandels
Hermann von WISSMANN (1895–1979) China–Tübingen E Letzter Forschungsreisender Arabien, China (OBERHUMMER-Schüler)
Hans SPREITZER (1897–1973) Prag–Graz–Wien A Morphologie, historische Siedlungsforschung (SIEGER-Schüler)
Hans KINZL (1898–1979) Innsbruck A Gletscherforschung, Bevölkerungsgeographie, Lateinamerika (SÖLCH-Schüler)
4. Die Generation des 20. Jahrhunderts
Hans BOBEK (1903–1990) (Berlin) Freiburg– A Theorie der Geographie, Sozialgeographie, WU-Wien Zentrale-Orte, Persien (SÖLCH-Schüler)
Sieghard MORAWETZ (1903 –1993) Graz Ö Morphologie, steirische Landeskunde (SIEGER-Schüler)
Leopold SCHEIDL (WU) (1904–1974) Graz–WU-Wien Ö Wirtschaftsgeographie, Japan
Herbert SCHLENGER (1904–1968) Graz kurzer I historische Siedlungsgeographie
Egon LENDL (1906–1989) Salzburg Ö Kulturgeographie Südosteuropa (HASSINGER-Schüler)
Ernst NEEF (1908–1986) Leipzig E Labormorphologie, Zentrale-Orte (SÖLCH-Schüler)
Walter STRZYGOWSKI (1908–1970) WU-Wien Ö Stadt- und Raumplanung
(HASSINGER-Schüler)
Herbert PASCHINGER (1911–1992) Graz Ö Eiszeitforschung (KINZL-Schüler)
Wolfgang PILLEWITZER (1911–1999) TU-Dresden– A Expeditionen, Gletscherbewegungen, TU-Wien Kartographie (MAULL-Schüler)
5. Die Aufbaugeneration nach dem Zweiten Weltkrieg
Konrad WICHE (1913– ? ) Mainz E Periglazialforschung (SÖLCH-Schüler)
Josef BREU (1914–1998) Leiter OSI Ö Atlaskartographie, Ortsnamenforschung (HASSINGER-Schüler)
Josef MATZNETTER (1917–1990) Frankfurt E Fremdenverkehrsgeographie, Kanarische Inseln (HASSINGER-Schüler)
Julius FINK (1918–1981) Wien Ö Quartär- und Lössforschung, Bodenkunde (SÖLCH-Schüler)
Erik ARNBERGER (1918–1987) Wien Ö Kartographie Enzyklopädie (HASSINGER-Schüler)
Franz FLIRI (1918–2008) Innsbruck Ö Witterungsklimatologie, Bevölkerungsgeographie, Quartärforschung (KINZL-Schüler)
Adolf LEIDLMAIR (1919–) Karlsruhe–TU-Bonn A Kulturgeographie, Südtirol, –Innsbruck Hadramaut (KINZL-Schüler)
Karl SINNHUBER (1919–) Großbritannien– A Wirtschaftsgeographie WU-Wien
Erhart WINKLER (1921–2005) St. Gallen– A Wirtschaftsgeographie (HASSINGER-Schüler) WU-Wien
Herfried BERGER (1922–1984) Regensburg E Morphologie (SPREITZER-Schüler)
Helmut HEUBERGER (1923–) München– A Hochgebirgsforschung (KINZL-Schüler) Salzburg
Elisabeth LICHTENBERGER (1925–) Kent, Ohio– A Hochgebirgsforschung, Stadtforschung, Ottawa, Kanada, Gastarbeiterforschung (SÖLCH-Schülerin) Erlangen–Wien
Ernest TROGER (1926–1988) Wien Ö Bevölkerungsgeographie, Thailand (KINZL-Schüler)
Karl STIGLBAUER (1927–) Wien Ö
Elisabeth Lichtenberger
51
Kulturgeographie, Raumordnung (HASSINGER-Schüler)
Wilhelm LEITNER (1926–1999) Graz Ö Kulturgeographie, Türkei (SCHLENGER-Schüler)
Ferdinand MAYER (WU) (1927–1995) Westermann- A Atlaskartographie, Digitale Kartographie Verlag, Wien
6. Die Nachkriegsgeneration
Hans FISCHER (1931–) Köln–Wien A Klassische Morphologie (SPREITZER-Schüler)
Bruno BACKE (1932–) Klagenfurt Ö Stadtgeographie (LICHTENBERGER-Habil.)
Helmut RIEDL (1933–) Salzburg Ö Morphologie, Griechenland (SPREITZER-Schüler)
Wigand RITTER (1933–) Nürnberg E Wirtschaftsgeographie (STRZYGOWSKI -Schüler)
Gerhard ABELE (1937–1994) Mainz–Innsbruck I (D) Bergstürze, Hochgebirgsforschung (LEIDLMAIR-Schüler)
Christoph STADEL (1938–) Brandon/Kanada– I (D) Hochgebirgsforschung, Salzburg Lateinamerika, Kanada (METZ-Schüler)
Gernot PATZELT (1939–) Innsbruck Ö Quartär- und Gletscherforschung (FLIRI-Schüler)
Martin SEGER (1940–) Klagenfurt Ö Stadtforschung Ökologie, Satellitenbildforschung (LICHTENBERGER-Habil.)
Josef STEINBACH (1941–) Eichstätt E Wirtschaftsgeographie (LICHTENBERGER-Habil.)
Peter MEUSBURGER (1942–) Heidelberg E Humangeographie, Bildungsforschung (KINZL-Schüler)
WAKONIGG Herwig (1942–) Graz Ö Gletscherforschung (PASCHINGER-Schüler)
Michael SAUBERER (1942–) Klagenfurt Ö Zukunftsforschung (LICHTENBERGER-Habil.)
Manfred M . FISCHER (1947–) Erlangen–WU-Wien I (D) Mathematische Geographie
Peter WEICHHART (1947–) Salzburg–Wien Ö Theoretische Geographie
Axel BORSDORF (1948–) Innsbruck I (D) Stadtforschung, Lateinamerika (WILHELMY-Schüler)
Helga LEITNER (1949–) Minnesota, USA E Stadtgeographie (LICHTENBERGER-Schülerin)
Helmut WOHLSCHLÄGL (1949–) Wien Ö Bevölkerungssgeographie (TROGER-Schüler)
Friedrich ZIMMERMANN (1951–) Klagenfurt–Graz Ö Fremdenverkehrsgeographie
Doris WASTL-WALTER (1953–) Klagenfurt–Bern E
Politische Geographie
7. Die Generation des 21. Jahrhundertes
Wolfgang KAINZ (1954–) TU-Graz–Wien A Informatik - GIS
Martin COY (1954–) Innsbruck I (D) Entwicklungsländerforschung
Heinz FASSMANN (1955–) München–Wien A Migrations-Arbeitsmarkt-, Stadtforschung, Raumordnung
Johann STÖTTER (1956–) Innsbruck I (D) Gletscherforschung, Hazard research, Island
Jürgen BREUSTE (1956–) Salzburg I (D) Stadt- und Landschaftsökologie
Josef STROBL (1958–) Salzburg Ö Geographische Informationssysteme, UNIGS, Geogis OEAW
Lothar SCHROTT (1962–) Salzburg I (D) Geomorphologie und Umwelt
Christian ZELLER (1962–) Salzburg I(CH) Wirtschaftsgeographie
Andreas KOCH (1965–) Salzburg I (D) Kommunikation, Finanzdienstleistungen
Thomas GLADE (1964–) Wien I (D) Geomorphologische Prozesse, Risikoforschung
Die Entwicklung der Geographie als Wissenschaft
top related