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Erfassung psychischer Belastung und Rückwirkung auf die Arbeitsgestaltung
– Grenzen der Aussagekraft subjektiver Belastungsanalysen mit Hilfe von
Befragungsinstrumenten aus arbeitswissenschaftlicher Sicht –
Friedhelm Nachreiner
Gesellschaft für Arbeits-, Wirtschafts- und Organisationspsychologische Forschung e.V.
Psychische Belastung ?
3
Psychische Belastung ?
Psychische Belastung ?
• Hat das alles wirklich was mit psychischer Belastung zu tun?
• Ist das nicht was ganz anderes?
• Kriegt man nicht was völlig anderes raus, wenn man die Mitarbeiter mal nach ihrer psychischen Belastung befragt ?
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Arbeitsbelastung in NRW
Basis: n =2019
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0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%
Sexuelle Beläs tigung
soziale Isolierung
Unterforderung
Probleme mit Computern/ Telekomm.
Monotonie
Überforderung durch kompliz ierte Aufgaben
Infektionsgefahr
ungünstige A rbeitszeiten
Unfall-, Absturzgefahr
Lange Anfahrtsw ege zur A rbeitsstelle
Stof fe, die die Gesundheit belas ten
Schmutz
Ä rger mit Vorgesetz ten
Klimatische Bedingungen
körperlich schw er
Ä rger mit Kunden
Ä rger mit Kollegen
Lärm
mangelnde Information
körperliche Zw angshaltung
keine Handlungsspielräume
Überforderung durch A rbeitsmenge
hoher Zeitdruck
hohe V erantw ortung
Anteil stark/ z iemlich Belas tete A nteil etw as Belas tete A nteil gar nicht Belas tete
Belastungsfaktoren
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Arbeitsbelastung in NRW
Bewältigungsformen bei Beschwerden/ Belastungen
610
1218
303435
4955
626970
0 10 20 30 40 50 60 70 80
keine Angabe
Einnahme von Medikamenten
Beratungsgespräch
betriebliche Möglichkeiten nutzen
Entspannungsübungen
Arztbesuch und dergleichen
ein Gläschen trinken
hängen lassen, z.B. Fernsehen
sportliche Aktivitäten
Gespräche im privaten Bereich
Freizeitaktivitäten, Hobbys
Aktivitäten mit Familie/ Freunden
in %
Psychische Belastungen
(AOK-Mitarbeiterbefragungen 95 - 98)
große Arbeitsmenge (36,6%)Schnelligkeit (35,1%)große Genauigkeit (33,7%)ständige Aufmerksamkeit, Konzentration (33,3%)
Betriebsklima als bedeutsamer Faktor
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Fragen
Was wurde da eigentlich gemessen ?Psychische Belastung ?Psychische Beanspruchung?subjektiv empfundene psychische Belastung ?eine subjektive Bewertung der wahrgenommenen Belastungssituation ?Arbeitszufriedenheit
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2
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weitere Fragen
Was für ein Konzept / Modell von psychischer Belastung steckt dahinter ?
Belastung als etwas, das (zwangsläufig) zu negativen Folgen führt, z.B. Gefährdung
Belastung als ein negativ bewerteter Bewußtseinsinhalt
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2
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Was wird mit solchen Fragen gemessen ?
• psychische Belastungoder • gefühlte psychische Belastung
Das muss nicht unbedingt dasselbe sein!
Psychische Belastung
Was ist das eigentlich?
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Psychische Belastung
3.1 Psychische Belastung
Die Gesamtheit aller erfaßbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken.
DIN EN ISO 10075-1: 2000-11: Ergonomische Grundlagen bezüglich psychischer Arbeitsbelastung. Teil 1: Allgemeines und Begriffe
Konzeptionelles
Kann man so etwas messen ?
• wahrscheinlich nicht !• wahrscheinlich aber einzelne
Komponenten !
• aber auf welchen Dimensionen ?
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Psychische Beanspruchung
3.2 Psychische Beanspruchung
Die unmittelbare (nicht die langfristige) Auswirkung der psychischen Belastung im Individuum in Abhängigkeit von seinen jeweiligen überdauernden und augenblicklichen Voraussetzungen, einschließlich der individuellen Bewältigungsstrategien.
DIN EN ISO 10075-1: 2000-11: Ergonomische Grundlagen bezüglich psychischer Arbeitsbelastung. Teil 1: Allgemeines und Begriffe
Konzeptionelles
Kann man so etwas messen ?
• auf einer einheitlichen Dimension– in / auf der alles integriert wird ?
• Versuche dazu gibt es– aber bisher ohne allzu großen Erfolg
weil eindimensionale Messversuche ein multidimensionales Konstrukt nicht angemessen abbilden können
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Belastungs-Beanspruchungs-Modell
Arbeitsbedingungen
technische soziale organisationaleorganisatorische umgebungsbezogene
psychische Belastung
psychische Beanspruchung
Beanspruchungsfolgen
kurzfristige , z.B. Ermüdung, Monotonie, Stress
langfristige , z.B. Burnout, Gesundheit
individuelle Merkmale
Einstellungen
Konzeptionelles
• Psychische Belastung
• Psychische Belastungen– mehrere Gesamtheiten ???
• Psychische Fehlbelastungen
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Konzeptionelles
Psychische Fehlbelastungen
• Belastungen die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu negativen Konsequenzen führen
– bei wem eigentlich ?– brauchbares Konzept ?– kann nicht jede Belastung zur Fehlbelastung werden ?– Ist so ein Konstrukt wirklich hilfreich ?
(LASI, 2002)
Konzeptionelles
Psychische Belastung
• ist konzeptionell personenunabhängig
• individuelle / personenbezogene Ansätze der Intervention (z.B. Ressourcenaufbau) zur Optimierung der Belastung sind daher konzeptinadäquat
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Psychische Belastung
Was ist das eigentlich?
Warum soll man sich darum kümmern?
humane Gründe Gründe der EffektivitätGründe der Effizienzgesetzliche Gründe
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2
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Methodische Zugänge
"Die Einschätzung bzw. Erfassung psychischer Belastungen kann durch die Analyse der Arbeitsabläufe oder durch die Befragung der Beschäftigten erfolgen."
(BMAS)
Methodische Zugänge
• Messen beide Zugänge dasselbe ?• Sind die Ergebnisse äquivalent• Sind die Ergebnisse ineinander
überführbar / umrechenbar?
• oder werden damit unterschiedliche Messgegenstände erfasst ?
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Objektive vs subjektive Analyse
subjektiv
objektiv
kritisch
unkritisch
kritisch unkritisch
Korrelationen zwischen objektiven und subjektiven Daten der Arbeitsanalyse
(nach Demerouti 1999)
physische Belastunginformatorische Belastung
ZeitdruckArbeitszeit
UmgebungsbedingungenTätigkeitsvielfalt
KontrolleVerantwortungRückmeldung
PartizipationPersonalmangel
FührungKommunikation
RollenkonflikteBelohnung
BürokratisierungsgradArbeitsplatzsicherheit
0 0,2 0,4 0,6 0,8 1-0,2-0,4
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Anforderungen an Verfahren (BMAS)Verfahren, die im Betrieb zur Erfassung psychischer Belastungen eingesetzt werden, sollten grundsätzlich
psychische Belastungen zuverlässig und objektiv erfasseneine wirtschaftliche Durchführung (Erhebungs- und Auswertungsaufwand) ermöglichenüber einen eindeutig festgelegten Untersuchungsbereich verfügeneine praktikable Handhabung bietendie Kennzeichnung von Belastungsschwerpunkten erlaubendie Umsetzbarkeit der Ergebnisse in Gestaltungslösungen anbietennachvollziehbare Beispielfälle enthalten
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Anforderungen an Verfahren
Angabe des Meßbereiches(Belastung, Beanspruchung, Beanspruchungsfolgen)
ObjektivitätReliabilität (Zuverlässigkeit)Validität (Gültigkeit)Sensitivität (Empfindlichkeit)Diagnostizität (Hinweise auf Defizite)Generalisierbarkeit
2
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2
(nach DIN EN ISO 10075-3)
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Mögliche Fehlerquellen
• Subjektive Referenzstandards für SOLL• Subjektive Referenzstandards für IST• Evaluative / konotative Komponenten• Intentionale Komponenten• Betroffenheit
neben allgemeinen Beurteilungsfehlern wie z.B.– Halo-Effekte– Kognitive Dissonanz– etc.
Die Beurteilung / Beantwortung ist das Ergebnis sozialer Wahrnehmung / Urteilsbildung !
Subjektive Referenz-Standards
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Psychische Belastung ?
Konnotation des Begriffs Belastung
• in der Ergonomie / Arbeitspsychologie– wertneutral
• im Alltagsgebrauch / -verständnis– eindeutig negativ, – LAST und MÜHE als sinnverwandte Konzepte– belästigend
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Konsequenz
• Was muss man auf die Frage:„Was belastet Sie bei Ihrer täglichen Arbeit (am meisten) ?“dann wohl erwarten ?
• Dinge, die den so Befragten „stinken“• Dinge, durch die sie sich belästigt fühlen• Dinge mit denen sie unzufrieden sind
Konsequenz
• Aber ist das dasselbe wie psychische Belastung ?
• oder eher psychische Belästigung ?
• oder Unzufriedenheit ?
• und was sollte eigentlich wirklich gemessen werden?
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Intentionalität / Interessengebundenheit
Halten Sie es für akzeptabel, zur Feststellung der tatsächlichen Fahrtüchtigkeit nach Alkoholgenuss die Fahrer zu fragen, ob sie noch fahrtüchtig sind?
Intentionalität / Interessengebundenheit
Messungen mit der Anstrengungsskala Innerhalb vs. zwischen VPn Designs
• Effekte der Arbeitsdauer im Untersuchungsplan mit wiederholten Messungen
• keine Effekte der Arbeitsdauer im Untersuchungsplan mit unabhängigen Messungen
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Messung des Führungsverhaltens (SBD)
(Nachreiner, 1978)
Messung des Führungsverhaltens (FVVB)
(Nachreiner, 1978)
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Durchschnittliche relative Effekte im [(b:p)xi]-Design bei Singleratern:
σ2i = 3%
σ2p =13%
σ2pi =12%
σ2b,pb=26%
σ2ib,pib,e=45%
(Waldmann, 2003)
Varianzaufklärung bei personenorientiertkonstruierten Skalen
FührungsverhaltenBeteiligte vs unabhängige Beobachter
Untersuchungen von Lennerlöf (Schweden) zeigen
• Die Grund-Dimensionen (C / IS) lassen sich sowohl per Fragebogen wie über die Einschätzung unabhängiger Beobachter nachweisen
• Allerdings korrelieren die Einschätzungen der Betroffenen und der Beobachter zu nahezu Null
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Messung der Belastung durch Rückschluss
wenn B‘ eine Funktion von B, (B‘ = f (B))
dann B‘ B (über die Umkehrfunktion)
d.h. es muss möglich sein von der Beanspruchung, oder den Beanspruchungsfolgen, auf die Belastung zu schließen (indirekte Messung), mit den MA als Messinstrumenten
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Beanspruchung Belastung
• setzt die ordnungsgemäße Messung der Beanspruchung (oder ihrer Folgen) voraus,
• und zwar als bedingungsbezogene,• nicht als personenbezogene Messung der
– psychischen Beanspruchung, – Folgen psychischer Beanspruchung
(vgl. DIN EN ISO 10075 – 3)
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220Außerordentlich anstrengendSehr stark anstrengend
Stark anstrengend
Ziemlich anstrengend
Einigermaßen anstrengend
Etwas anstrengendKaum anstrengend
020406080
100120140160180200
Anstrengungsskala
(Schütte, 2002)
020406080
100120140
RB2 RUN RCO RDO RIN GRR
Aufgaben der AGARD-Stres-Batterie
Skal
iert
eA
nstr
engu
ng
NiedrigeBelastung
HoheBelastung
MittlereBelastung
Beanspruchung - Anstrengung
(Schütte, 2002)
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Diagnostizität
H∗PH∗A∗PA∗PH∗A P
Personen
H
Höhe derBelastung
A
Art derBelastung
(Schütte, 2002)
Reliabilität Kollegen (relative G-Koeffizienten aus D-Studie)
71 2 3 64 5
Zahl der Beobachter (Kollegen)
Skala 2
Skala 1
0
0,1
0,2
0,3
0,4
0,5
0,6
0,7
0,8
Reliabilität als Funktion der Zahl der beobachtenden Kollegen (bei jeweils 16 zufälligen Items)
(Waldmann, 2003)
Abschätzung der Messgenauigkeit
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Befragungsdaten doch brauchbar ?
Befragungsdaten können also durchaus zur Erfassung / Abschätzung / Messung spezifischer Komponenten der Belastung herangezogen werden und geeignete Gestaltungshinweise liefern
• wenn es sich um gut konstruierte (spezifische) Instrumente handelt
• deren Gütekriterien bedingungsbezogengeprüft sind
• die den gewünschten Rückschluss belegbar erlauben
• und es gelingt, individuelle Varianzanteile zu kontrollieren oder abzuschätzen
Fazit (1)
• Mitarbeiterbefragungen erscheinen zur direkten und validen Messung von Belastungskomponenten weniger geeignet
– besser über unabhängige, fachkompetente Beobachter, mit gut konstruierten, spezifischen Erhebungsverfahren
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Fazit (2)
• Indirekte Messungen - über den Rückschluss von Beanspruchungseinschätzungen oder die Beurteilung von Beanspruchungsfolgen (z.B. BMS) per Fragebogen - sind dagegen bei gut konstruierten, bedingungsbezogen validierten Verfahren erfolgversprechend
Fazit (3)
Der Einsatz von Befragungsinstrumenten
• ist erheblich komplizierter als es auf den ersten Blick erscheinen mag
• erfordert die entsprechenden inhaltlichen und methodischen Kompetenzen, um zu validen Ergebnissen zu kommen
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