europäisches steuerrecht prof. dr. roman seer lehrstuhl für steuerrecht sommersemester 2014
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Europäisches Steuerrecht
Prof. Dr. Roman Seer
Lehrstuhl für Steuerrecht
Sommersemester 2014
Kompetenzen der EU
Überblick über die Kompetenzen der EU im Hinblick auf direkte und
indirekte Steuern
Kompetenzen der EU auf dem Gebiet der direkten Steuern?
Kompetenzen für jede Art von Rechtsakt
Nicht für direkte Steuern: Harmonisierung der
indirekten Steuern (Art. 113 AEUV)
Rechtsangleichung im Binnenmarkt (Art. 114 Abs. 1 AEUV) – gilt ausdrücklich nicht für Steuern (Art. 114 Abs. 2 AEUV)
Auffang-Kompetenz für Ausnahmefälle (Art. 352 AEUV) – kommt bislang praktisch kaum zur Anwendung
Richtlinienkompetenz Nicht für direkte
Steuern gedacht, aber ggf. auch hierfür einsetzbar: Angleichung von
Rechtsvorschriften zur Errichtung oder Erhaltung der Funktionsfähigkeit des gemeinsamen Marktes (Art. 115 AEUV)
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Kompetenzen der EU auf dem Gebiet der direkten Steuern?
Keine Unionskompetenz für multilaterale Doppelbesteuerungsabkommen
Es bleibt letztlich die allgemeine Kompetenz des Art. 115 AEUV zur Rechtsangleichung (Einstimmigkeitsprinzip)
gleichzeitig gilt aber das Beihilfenverbot der Art. 107 ff. AEUV für direkte Steuern
Primärrecht mit steuerlichem Bezug
Unions-GrundrechteArt. 6 Abs. 1 EUV i.V.m. EU-GRCh
BeihilferechtArt. 107 -109 AEUV
GrundfreiheitenArt. 28, 45 ff., 49, 56, 63 AEUV
Harmonisierungsauftrag und Rechtssetzungskompetenz für die indirekten Steuern, Art. 113 AEUV
Akte bzgl. direkter Steuern aufBasis von Art. 115 AEUV
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Fusions-RL
Mutter-Tochter-
RL
Zins- u. Lizenz-
RL
Zins-RL (private Zinsein-künfte)
Zusam-men-
arbeits-RL
---------
Beitrei-bungs-
RL
Verstärkte Zusammenarbeit in Steuersachen
Art. 20 EUV i.V. mit Art. 326-334 AEUV: mindestens 9 Mitgliedstaaten im Rat auf Vorschlag der EU-Kommission mit Zustimmung des EU-Parlaments
Voraussetzungen: Keine Wettbewerbsverzerrungen und keine Hindernisse für einen funktionierenden Binnenmarkt
Antrag an die Kommission von derzeit 10 Mitgliedstaaten (darunter DL), eine Finanztransaktionssteuer zum 1.1.2016 einzuführen
Grundfreiheiten
Überblick
Grundfreiheiten und allg. Diskriminierungsverbot
Freier Warenverkehr(Art. 34 ff. AEUV)
Arbeitnehmerfreizügigkeit(Art. 45 AEUV)
Freier Dienstleistungsverkehr(Art. 56 AEUV)
Freier Kapitalverkehr(Art. 63 AEUV)
Niederlassungsfreiheit(Art. 49 AEUV)
Allgemeines Diskriminierungsverbot(Art. 18 AEUV)
Problem: Abgrenzung
Der Binnenmarkt, Art. 2 EUV
Mögliche Handelshemmnisse durch: Physische Hindernisse: Passkontrollen an
den inneren Grenzen der Gemeinschaft Technische Hindernisse: Bsp.:
unterschiedliche Standards in elektronischem Zubehör
Fiskalische Hindernisse: Bsp.: die nationalen Systeme zur Erhebung indirekter Steuern
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Anwendungsbereich des Unionsrechts
Nationale Voraussetzungen Nationalität eines MS
Unternehmen mit Sitz in einem MS
Grenzüberschreitender Sachverhalt Ausschließlich inländische Sachverhalte nicht erfasst
Grundsätzlich Sachverhalte mit Bezug zu Drittstaaten nicht erfasst (Ausnahme: Kapitalverkehrsfreiheit)
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Grundfreiheiten des AEUV
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Freier Waren-verkehr
(Art. 30, 34-37 AEUV)
Freier Personen-
verkehr
Freier Dienst-
leistungs-verkehr
(Art. 56-62 AEUV)
Freier Kapital-verkehr
(Art. 63-65 AEUV)
Niederlas-sungsfreiheit(Art. 49 AEUV)
Arbeitnehmer-Freizügigkeit(Art. 45 AEUV)
Beschränkungen der Grundfreiheiten I
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DiskriminierungsverbotVerbot nicht-diskriminierender
Beschränkungen
Offene Diskrimi-nierung
Versteckte Diskrimi-nierung
Keine Beschränkung des Wegzugs aus einem MS
(Adressat: Wohnsitzstaat)
Keine Beschränkung
des Zugangs zu einem MS (Adressat:
Aufnahmestaat)
Beschränkungen der Grundfreiheiten II
Diskriminierung Differenzierung zwischen grenzüberschreitenden und
innerstaatlichen Sachverhalten Betrachtungsobjekt: (Ausschnitt der) steuerliche(n)
Situation des Vergleichspaars Beschränkung auf einzelne Regelungen (kompensierende
Effekte nur teilweise zu berücksichtigen) Offene Diskriminierung: nach Staatsangehörigkeit oder
Sitz Versteckte Diskriminierung: nach Wohnsitz,
gewöhnlichem Aufenthalt, Ort der Tätigkeit oder Zahlungsort
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Beschränkungen der Grundfreiheiten III
Beschränkungen Unterschiedliche Rechtssysteme können Marktbarrieren
errichten Wortlaut der Art. 45 und 49 AEUV geht über ein bloßes
Diskriminierungsverbots hinaus; extensive Auslegung durch EuGH
Beschränkungen sind Beschränkungen des Zugangs oder Weggangs zu einem
MS durch einen Mitgliedstaat (grenzüberschreitender Sachverhalt)
durch nationale beschränkende Regelungen ohne, dass die Beschränkung durch ein überwiegendes
öffentliches Interesse gerechtfertigt wäre.
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Rechtfertigung von Beschränkungen der Grundfreiheiten
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Rechtfertigungsprüfung Legitimes Ziel
“ordre public” Öffentliche Ordnung Öffentliche Sicherheit oder Gesundheit
andere zwingende Gründe des Allgemeinwohls Kohärenz des Steuersystems Territorialitätsprinzip, Steuerüberwachung
durch den Vertrag zugelassene Beschränkungen, Verhältnismäßigkeit i. w. S.
Geeignetheit der Beschränkung zur Erreichung des Ziels.
Erforderlichkeit der Beschränkung zur Erreichung des Ziels.
Angemessenheit der Beschränkungen im Verhältnis zur Zielerreichung.
Rechtfertigungsgründe in der EuGH-Rechtsprechung
Beispiele für vom EuGH nicht zugelassene Rechtfertigungsgründe Auswirkungen auf den Haushalt Fehlender Grad der Harmonisierung der
Steuersysteme Verweis auf in Zusammenhang stehende anderweitige
Vorteile, die kompensierend wirken Beispiel für (restriktiv) angewendete
Rechtfertigungsgründe Eingeschränkte Informations- und Kontrollmöglich-
keiten der Finanzverwaltung (Steueraufsicht) Kohärenz des Steuersystems, Territorialitätsprinzip Missbrauchsvermeidung (nur, wenn Gegenbeweis im
Einzelfall hinreichend einfach zu erbringen)
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Anwendung der Grundfreiheiten auf die direkten Steuern
Grundlegende EuGH-Rechtsprechung auf dem
Gebiet der Einkommensteuer
Geltung der Grundfreiheiten für direkte Steuern?
Grundsatz: EU hat keine Kompetenz auf dem Gebiet der direkten Steuern
Kompetenz verbleibt ausschließlich bei den Mitgliedstaaten
EuGH: Auch auf Gebieten, auf denen die EU keine
Kompetenzen hat, sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, ihr Recht unionsrechtskonform auszugestalten.
Daher gelten die Grundfreiheiten als grundlegende Vorschriften des Unionsrechts auch für Rechtsgebiete ohne Kompetenzzuweisung an die EU.
Historisch wohl nicht so gewollt, aber heute geltendes Richterrecht
Der Fall „Schumacker“
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Unbeschränkte Steuerpflicht:
Einkünfte aus unselbständiger Arbeit in Deutschland besteuert (Art. 15 DBA-Belgien)
Beschränkte Steuerpflicht:
Steuerliche Berücksichtigung der persönlichen Situation oblag dem
Wohnsitzstaat und wurde beschränkt Steuerpflichtigen nicht gewährt
Grenzpendler
Belgien Deutschland
EuGH Urteil v. 14.02.1995, C-279/93 – Schumacker, Slg. 1995, I-225 = DB 1995, 407
Arbeitnehmerfreizügigkeit Art. 45 ff. AEUV
Subjektiver Anwendungsbereich: Unionsbürger (Art. 20 AEUV) Arbeitnehmer sind frei
innerhalb des Territoriums eines Mitgliedstaats jegliches Arbeitsverhältnis einzugehen und sich In jedem Mitgliedstaat niederzulassen
Verstöße Offene Diskriminierung Versteckte Diskriminierung Nicht gerechtfertigte Beschränkungen
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Arbeitnehmerfreizügigkeit Art. 45 ff. AEUV
Rechtfertigungen Ausdrückliche Schranken des Art. 45 Abs. 3 AEUV
Öffentliche Sittlichkeit Ordnung und Sicherheit
Verhältnismäßigkeit der Beschränkung zum legitimen Ziel
im steuerlichen Kontext: Kohärenz des Steuersystems,
Territorialitätsprinzip Steueraufsicht, -überwachung
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Schumacker-Doktrin
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Auf dem Gebiet der direkten Steuern sind die Situationen von unbeschränkt und beschränkt Steuerpflichtigen grundsätzlich nicht vergleichbar.
Steuerliche Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse obliegt grundsätzlich dem Ansässigkeitsstaat.
Bezieht der Steuerpflichtige jedoch kein oder nur einen geringen Anteil seines Einkommens aus seinem Ansässigkeitsstaat und bezieht den ganz überwiegenden Teil seines Einkommens aus einem anderen Mitgliedstaat (Quellenstaat), obliegt dem Quellenstaat ausnahmsweise die steuerliche Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen.
Unterlässt der Quellenstaat dies, handelt er diskriminierend, da die persönlichen Verhältnisse dann in keinem Staat berücksichtigt werden.
Der Fall „Gschwind”
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Unbeschränkte Steuerpflicht:
Freistellung mit Progressionsvorbehalt auf Deutsche Einkünfte
Beschränkte Steuerpflicht:
Keine steuerliche Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse in
Deutschland
Kein Splittingtarif
Einkommen der Ehefrau: 42% = 27 T€ Einkommen des Ehemanns: 58% = 37 T€
Ehemann = Grenzpendler
Niederlande Deutschland
EuGH-Urteil v. 14.09.1999 C-391/97 – Gschwind, Slg. 1999, I-5453 = DStR 1999, 1610
Gschwind-Entscheidung bestätigt die Schumacker-Doktrin
Auf dem Gebiet der direkten Steuern sind die Situationen von unbeschränkt und beschränkt Steuerpflichtigen grundsätzlich nicht vergleichbar.
Wenn genügend Einkünfte im Ansässigkeits-staat vorhanden sind, hat der Ansässigkeitsstaat die persönlichen Verhältnisse bei der Besteuerung zu berücksichtigen.
Deshalb sind die absoluten und relativen Einkommensgrenzen in § 1a Abs. 1 EStG gemeinschaftsrechtskonform.
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Beispiel: Mehrstaatenkonstellation
E
E hat Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in Belgien. Er ist als Geschäftsführer für drei Kapitalgesellschaften tätig, die jeweils in Belgien, Deutschland und den Niederlanden liegen. Jede Gesellschaft zahlt ihm ein Gehalt iHv 50.000 €. DBAs vermeiden eine Doppelbesteuerung (Freistellung).
1) Wer muss die persönlichen Verhältnisse berücksichtigen?2) Ist es relevant, wenn ein Staat die persönlichen Verhältnisse anteilig berücksichtigt, obwohl er es nicht muss?
Der Fall „Danner“
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Gesetzliche Rentenversicherung
BerufsständischeRentenversicherung
Beitragsleistung
Beitragsleistung
Finnland Deutschland
Finnisch/Deutscher Doppel-Staatsangehöriger– zog von Deutschland nach Finnland– Beitragsleistungen in Finnland nicht abziehbar
EuGH-Urteil v. 03.10.2002, C-136/00 – Danner, Slg. 2002, I-8147 = DStRE 2002, 1449
DienstleistungsfreiheitArt. 56-62 AEUV
Gewährleistungsinhalt Aktive Dienstleistungsfreiheit:
Leistender erbringt Dienstleistungen in einem MS, in dem er keinen Betrieb unterhält, oder
Passive Dienstleistungsfreiheit: Leistungsempfänger reist in einen anderen MS als
seinen Wohnsitzstaat, um dort Dienstleistungen zu erhalten
Grenzüberschreitende Dienstleistung, ohne dass tatsächlich ein grenzüberschreitender Reisevorgang vorliegt
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DienstleistungsfreiheitArt. 56-62 AEUV
Anwendungsbereich Sachlicher Anwendungsbereich:
Dienstleistung: Legaldefinition in Art. 57 AEUV Grenzüberschreitender Sachverhalt (Art. 56 Abs. 1 AEUV) Entgeltlichkeit
Persönlicher Anwendungsbereich Natürliche Personen: Unionsbürger (Art. 20 AEUV) Juristische Personen: Zuordnung zur Rechtsordnung eines
Mitgliedstaats (Sitztheorie/Gründungstheorie) Verstöße
Offene Diskriminierung Versteckte Diskriminierung Beschränkungen
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DienstleistungsfreiheitArt. 56-62 AEUV
Rechtfertigungen Geschriebene Rechtfertigungen (Art. 62 AEUV verweist auf Art.
51-54 AEUV): Öffentliche Sittlichkeit Ordnung und Sicherheit Schutz der Gesundheit und des Lebens von
Menschen Ungeschriebene Rechtfertigungen: „Zwingende Gründe des
Allgemeinwohls“ (Cassis de Dijon-Formel) in ständiger EuGH-Rechtsprechung sowohl für Diskriminierungen als auch für Beschränkungen
Verhältnismäßigkeit der Beschränkung zum legitimen Ziel
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Schlussfolgerungen aus dem Fall „Danner“
Art. 56 AEUV steht einer Regelung eines MS entgegen, nach der Beitragsleistungen zu freiwilligen Rentenversicherungen, die an Anbieter anderer MS gezahlt werden, steuerlich nicht berücksichtigt werden, obwohl solche Zahlungen an ansässige Anbieter berücksichtigt würden.
Dienstleistungsfreiheit wird verletzt, indem Steuerpflichtige davon abgehalten werden, Versicherungsleistungen ausländischer Anbieter zu beziehen.
Kohärenz der Steuersysteme kann diese Beschränkung nicht rechtfertigen, weil keine unmittelbare Verbindung zwischen der Abzugsfähigkeit der Beitragsleistungen und der Besteuerung der (ausländischen) Rentenbezüge existiere.
Kritik?
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Der Fall „Turpeinen“
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Staatliche Pensionskasse
Wegzug
Ruhegehalt
Finnland Spanien
Finnische Staatsangehörigezog von Finnland nach Spanien
DBA Finnland-Spanien: KassenstaatsprinzipFinnland: pauschaler Quellensteuersatz 35% statt28,5%
EuGH-Urteil v. 09.11.2006, C-520/04 – Turpeinen, Slg. 2006 I-10685 = DStRE 2007, 862
Freizügigkeit - Fall „Turpeinen“
Art. 21 AEUV tritt als Auffang-Freizügigkeitsrecht an die Stelle von Art. 45 AEUV (Unionsbürgerstatuts)
Schumacker-Doktrin ist auch im Rahmen des Art. 21 AEUV anwendbar
Persönliche Freizügigkeit wird verletzt, indem der Gebietsfremde steuerlich diskriminiert wird.
Wirksamkeit der Steuererhebung/Steueraufsicht kann diese Beschränkung nicht rechtfertigen, weil Amtshilfe-RL und der Beitreibungs-RL hinreichende Möglichkeiten zur Sachaufklärung und Durchsetzung des Steueranspruchs böten
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Der Fall „Schempp“
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Hr. Schempp
Geschiedene Fr.Schempp
Deutschland
Österreich
Unterhalt
Abzug der Unterhaltszahlung in Deutschland?
Korrespondenzprinzip: Abzugsfähigkeit setzt Versteuerung beim Empfänger voraus
kein Abzug für Unterhaltszahlungen und daher auch keine Versteuerung von bezogenem Unterhalt
EuGH-Urteil v. 12.07.2005, C-403/03 – Schempp, Slg. 2005, I-6421 = DStR 2005, 1265
Schlussfolgerungen aus dem Fall „Schempp“
Schutzbereich der Grundfreiheiten kann ggf. auch eröffnet sein, wenn die geschützte Person nicht selbst von ihren Grundfreiheiten Gebrauch macht.
Deutschland gewährt Abzug nur, wenn im anderen Mitgliedstaat die Einkünfte besteuert werden – derartige Bezugnahme auf fremdes Steuersystem beinhaltet nach dem EuGH keine Diskriminierung
Unerheblich, ob im Inlandssachverhalt die gleiche Voraussetzung greift.
Grenzüberschreitende Sachverhalte können mangels Harmonisierung weiterhin hinzunehmende Nachteile auslösen.
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Unbeschränkte Steuerpflicht:
Freistellung mit Progressionsvorbehalt auf Deutsche Einkünfte (Art. 20 III DBA-NL)
Beschränkte Steuerpflicht:
Keine steuerliche Berücksichtigung der
persönlichen Verhältnisse
Keine anteiliger Grundfreibetrag
Bruttoeinkünfte 28.000 €
3.000 €
Deutsche Abzugsteuer:- § 50a EStG- 25% der Bruttoeinkünfte- Kein Betriebsausgabenabzug
Der Fall „Gerritse“Niederlande Deutschland
EuGH-Urteil v. 12.06.2003, C-234/01 – Gerritse Slg. 2003, I-5933 = DStR 2003, 1112
Schlussfolgerungen aus „Gerritse“ Eine Regelung, die (unter bestimmten Umständen) nur die
Einkünfte und keine Betriebsausgaben berücksichtigt, stellt eine Diskriminierung dar, wenn ansässige Steuerpflichtige in einer vergleichbaren Situation zum Betriebsausgabenabzug berechtigt sind.
Die steuerliche Berücksichtigung des Existenzminimums obliegt dem Staat, in dem der Steuerpflichtige des ganz überwiegenden Teil seiner Einkünfte bezieht.
Hinsichtlich des Steuersatzes befinden sich Ansässige und Nicht-Ansässige in einer vergleichbaren Situation. Deshalb ist ein fester Steuersatz für beschränkt Steuerpflichtige grds. diskriminierend, wenn sich unter dem progressiven Tarif des Mitgliedstaats für Ansässige ein niedrigerer Steuersatz ergeben hätte.
Reaktion des JStG 2009 v. 19.12.2008: Abschaffung der Mindestbesteuerung des § 50 III EStG, Möglichkeit einer Nettobesteuerung in § 50a III EStG 2009 statt abgeltende Bruttobesteuerung i.H.v. 15%
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100 %-tige Beteiligung an einerdeutschen Kapitalgesellschaft
T
V
S
V überträgt seine 100%-tige GmbH-Beteiligung zu gleichen Anteilen auf seine Kinder T und S (je 50 %). Diese verpflichten sich zur Erbringung lebenslanger Versorgungsleistungen. Sowohl T als auch S werden bei der GmbH Geschäftsführer. S hat Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in den Niederlanden.
EuGH v. 31.3.2011 – Rs. C-450/09, IStR 2011, 301
Der Fall „Schröder “
Kapitalverkehrsfreiheit Art. 63-65 AEUV
Anwendungsbereich Beschränkung von Kapitalbewegungen zwischen den
Mitgliedstaaten auch Beschränkungen zwischen Mitgliedstaaten und
Drittstaaten Keine Definition von “Kapitalverkehr” im AEUV Definition abgeleitet aus der Kapitalverkehrsrichtlinie
Verletzungen Diskriminierung des grenzüberschreitenden
Kapitalverkehrs aufgrund von Nationalität Aufenthaltsort Ort der Investition
Beschränkungen 40
Kapitalverkehrsfreiheit Art. 63-65 AEUV
Rechtfertigung Art. 64 AEUV: sog. „standstill-clause“ Steuervorbehalt des Art. 65 Abs. 1 a) AEUV:
ausdrückliche Rechtfertigung, wenn keine willkürliche Diskriminierung oder “verschleierte Beschränkung” vorliegt
Art. 65 Abs. 1 b) AEUV: öffentliche Ordnung und Sicherheit: effektive Steueraufsicht
Art. 65 Abs. 3 AEUV: Verbot einer verschleierten Diskriminierung/Beschränkung EuGH: innerhalb der EU regelmäßig Verweis auf die
Amtshilferichtlinie Im Verhältnis zu Drittstaaten wohl deutlich kritischer
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Steuerliche Würdigung in Ansehung von S
Beschränkte Steuerpflicht mit seinen Einkünften als Geschäftsführer der GmbH bzw. mit etwaigen Ausschüttungen aus der GmbH
Problem: Gemäß § 50 I 3 EStG ist § 10 I Nr. 1a EStG im Falle der beschränkten Steuerpflicht nicht anwendbar. Im Gegensatz zu T würde S mithin den Sonderausgabenabzug nicht bekommen
Vereinbarkeit mit den Grundfreiheiten?
Problem im Fall Schröder
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Vereinbarkeit der §§ 50 I 3; 10 I Nr. 1a EStG mit den Grundfreiheiten?
1. Schutzbereich
EuGH: Kapitalverkehrsfreiheit betroffen, da Schenkung = vorweggenommene Erbfolge (Problem: Teilentgelt-lichkeit)
2. Eingriff
Mittelbare Diskriminierung aus Sicht des Empfängers des Vermögens? Entscheidende Frage: Befinden sich Gebietsansässige (hier T) und Gebietsfremde (hier S) in einer objektiv vergleichbaren Situation?
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EuGH: Ja, weil es beim Abzug als Sonderausgaben nach § 10 I Nr. 1a EStG um Aufwendungen gehe, die mit Einkünften in einem inneren Zusammenhang stehen. Die Tatsache, dass der dt. Gesetzgeber die Versorgungsleistungen dem subjektiven Nettoprinzip zugeordnet habe, sei irrelevant; es gehe nicht um persönliche Aufwendungen, die von dem Staat zu berücksichtigen seien, der als Ansässigkeitsstaat das Welteinkommen besteuert.
Ungeachtet dessen:
Beschränkung aus Sicht des Schenkers (Übertragung des Vermögens an einen im EU-Ausland ansässigen Angehörigen wird unattraktiv)?
EuGH im Fall Schröder
Grundfreiheiten und Gemeinnützigkeitsrecht
„Centro di Musicologoia Walter Stauffer“) -
Centro di Musicologia Walter Stauffer
(Stiftung italienischen rechts)
Italien Deutschland
EuGH v. 14.09.2006 - C-386/04, Slg. 2006 I-8203 = DStR 2006, 1736
Vermietungseinkünfte
Steuerbefreiung des § 5 Abs.2 Nr.3 KStG?
Folgerungen aus BFH vom 20.12.2006, I R 94/02, BStBl. II 2010, 331
Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit ( Art. 63 AEUV) bei Auslegung nach BMF v. 20.09.2005 Auslegung des § 5 Abs.2 Nr.3 KStG im Sinne der
Kapitalverkehrsfreiheit erforderlich
Einschränkung auf lediglich nationale Zwecke muss gesetzlich geregelt sein
Stiftungszwecke ausschließlich im Ausland schaden nicht der Förderung der Allgemeinheit i. S. des § 52 AO
Folgerungen aus BFH I R 94/02
Die ausländische Stiftung muss jedoch den Anforderungen an eine deutsche Stiftung entsprechen Die Anforderungen sind zu Überprüfen durch die
deutsche Steuerverwaltung
Durch Amtshilfe der anderen Mitgliedstaaten Durch Mitwirkungspflichten der Stiftung, die
die Steuerbefreiung begehrt nach § 90 AO.
- „Persche“
Hein Persche
(Spender)
Deutschland Portugal
Sachspende
Spendenabzug nach § 10b EStG?
EuGH v. 27.01.2009 - C-318/07, Slg. 2009 I-359 = DStR 2009, 207
Centro Popular di Lagoa
Grenzüberschreitende (Sach-)Spenden an in der EU ansässige Körperschaften werden durch die Kapitalverkehrsfreiheit ( Art. 63 AEUV) geschützt Beschränkung auf im Inland ansässige
Spendenempfänger verletzen Art. 63 AEUV Erfordernisse der Steueraufsicht können den generellen
Ausschluss des Spendenabzugs nicht rechtfertigen Nationales Steuergesetz kann aber Anforderungen an den
Nachweis der Gemeinnützigkeit des ausländischen Spendenempfängers stellen, muss nicht die Mittel des grenzüberschreitenden Informationsaustausches (EU- Amtshilfe, s. Kooperations-RL 2011/16/EU) nutzen!
- „Persche“
EuGH v. 27.01.2009 - C-318/07, Slg. 2009 I-359 = DStR 2009, 207
Abzugsmöglichkeit von Auslandsspenden
Mitgliedstaat ist berechtigt, allgemein den Nachweis über die Gemeinnützigkeit des Spendenempfängers zu verlangen, den er für die Überprüfung notwendig und angemessen hält
Stpfl. trägt die objektive Beweislast
Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu berücksichtigen: Die Unterlagen für den Nachweis befinden sich nicht in der Sphäre des Stpfl., sondern in der eines ausländ. Dritten!
Folgerung: Änderung der §§ 10b I EStG, 9 I Nr. 2 KStG, 9 Nr. 5 GewStG
Gesetz v. 8.4.2010, BGBl. I 386:
Erweiterung auf in EU/EWR-Staaten ansässige Körperschaften, die nach § 5 I Nr. 9, II KStG steuerbefreit wären, wenn sie inländ. Einkünfte erzielen würden
Voraussetzungen: ausländ. Staat leistet nach Maßgabe der Amtshilfe- u. BeitrRL grenzüberschreitende Hilfe
Widerspruch: Art. 63 AEUV schützt auch den Kapital-verkehr mit Drittstaaten. Spenden sind aber nach wie vor nicht abzugsfähig.
Grundfreiheiten und Erbschaftsteuerrecht
- „Margarete Block“
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Erblasserin
Deutschland Spanien
Spanien: beschränkte Erbschaftsteuerpflicht = Territorialitätsprinzip bezogen auf das in einer span. Bank gehaltene Kapitalvermögen
EuGH-Urteil v. 12.2.2009, C-67/08 – Block, Slg. 2009 I-883 = DStR 2009, 373
AlleinerbinBlock
DL: unbeschränkte Erbschaftsteuerpflicht = Weltvermögensprinzip, keine Anrechnung spanischer ErbSt n. § 21 II Nr.1 ErbStG i.V. mit §121 BewG
„Block“-Entscheidung Erbschaft = Kapitalverkehr i.S. des Art. 63
AEUV. Es entsteht zwar eine Doppelbesteuerung. Diese
wird aber nicht durch eine Diskriminierung eines Staates (hier durch DL) ausgelöst, sondern durch die gleichzeitige Ausübung ihrer Steuersouveränität durch 2 Mitgliedstaaten.
EU-Recht zwingt weder zum Abschluss eines ErbSt-DBA noch zur Harmonisierung der ErbSt innerhalb der EU!
EU-Recht zwingt nicht dazu, dass die Verlegung des Wohnsitzes in einen anderen EU-Staat steuerneutral ist!
Deutschland
Niederlande
Mutter Mattner schenkt das in DL belegene Grundstück; beide leben seit vielen Jahren in den NL
Beschränkte Stpfl. In DL:
Freibetrag nur 2 T€ statt 400 T€
Der Fall „Vera Mattner“EuGH v. 22.4.2010 – C 310/08, Slg. 2010 I-3553 = DStR 2010, 861
„Mattner“-Entscheidung Schenkung = Kapitalverkehr i.S. des Art. 63
AEUV. DL beschränkt den Kapitalverkehr, indem es an
die Schenkung inländ. Vermögens unter Gebietsfremden eine höhere Steuer knüpft als unter Gebietsansässigen
Rechtfertigung: nicht durch Schumacker-Doktrin; Gefahr kumulierter Steuerfreibeträge (DL+NL); FB-Regelung in DL nimmt aber keine Rücksicht darauf
Auch Kohärenzgedanke rechtfertigt Schlechterstellung der Gebietsfremden nicht
Folgerung: Ergänzung des ErbStG um § 2 III ErbStG
BeitrRLUmsG v. 7.12.2011, BGBl. I 2592:
Option zur unbeschränkten Steuerpflicht, wenn Erblasser, Schenker oder Erwerber im Zeitpunkt des Erwerbs in einem EU/EWR-Staat ansässig war
Freibeträge nach § 16 I ErbStG sind anwendbar
Widerspruch: Art. 63 AEUV schützt auch den Kapital-verkehr mit Drittstaaten. Gebietsansässige von Drittstaaten sind aber weiterhin von der Option ausgenommen.
Deutschland
Schweiz
Beschränkte Stpfl. In DL:
Freibetrag nur 2 T€ statt 500 T€
Der Fall „Eheleute Weite“EuGH v. 17.10.2013 – C 181/12, IStR 2013, 954
Eheleute Weite lebten seit Jahren in der Schweiz, der Erblasserin Frau Weite gehörte neben Schweizer Geldvermögen (ca.170 T€), Geldvermögen (ca. 33 T€) und das Grdstck. In Deutschland Alleinerbe Ehemann Weite wird beschränkt stpfl. in DL wegen des geerbten Grdstcks.
Unternehmensbesteuerung in Europa
Besteuerung von Gesellschaften und
Gesellschaftern
„P Oy“ – EuGH v. 18.7.2013 – C-6/12, DStR 2013, 1588
P Oy
Ges.-Anteil
Verlustvortrag
Finn. Mantelkaufregelung:
Verlustvortrag geht unter bei Veräußerung
von Ges‘-Anteilen > 50%
aber Dispensfähigkeit bei bestimmten Fallgruppen
Mehrheitsges‘er
A
Frage: Dispens = unzulässige steuerliche Beihilfe?
B
Entscheidungsgründe P Oy Verlustabzug kann als steuerlicher Vorteil eine
Beihilfe i.S.d. Art. 107 AEUV sein Dazu muss die steuerliche Maßnahme selektiv sein
dazu ist das Referenzssystem („normale Regelung“) zu bestimmen
im zweiten Schritt: Frage der Abweichung von diesem Referenzsystem
Wettbewerbsbeeinträchtigung zwischen den MS Genehmigungsverfahren
- Weites Ermessen, wo außersteuerliche Erwägungen (z.B. Erhalt von Arbeitsplätzen) relevant sind, führt zur Selektivität und Wettbewerbsbeeinträchtigung
- EuGH: Bezugssystem enthalte den Ausschluss des Verlustabzugs, daher sei die Genehmigung eine Abweichung (Fraglich in DL im Zusammenhang mit § 8c Ia KStG)
KapGes
Belgien
Frankreich
Verkehrswert > AnschaffungskostenWegzugsteuer
auf stille Reserven?
Der Fall „Lasteyrie du Saillant“
> 25% der Anteile
EuGH v. 11.3.2004 – Rs. C-9/02, Slg. 2004 I-2431 = DStR 2004, 551
NiederlassungsfreiheitArt. 49 ff. AEUV Anwendungsbereich
Sachlicher Anwendungsbereich: NiederlassungAusübung einer wirtschaftlichen TätigkeitMittels einer festen EinrichtungIn stabiler und kontinuierlicher Weise
Persönlicher Anwendungsbereich Natürliche Personen: Unionsbürger (Art. 20 AEUV) Juristische Personen: Zuordnung zur
Rechtsordnung eines Mitgliedstaats (Sitztheorie/Gründungstheorie)
Bereichsausnahme in Art. 51 AEUV Verstöße
Offene Diskriminierung Versteckte Diskriminierung Beschränkungen
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NiederlassungsfreiheitArt. 49 ff. AEUV
Rechtfertigungen Geschriebene Rechtfertigungen (Art. 52 Abs. 1 AEUV):
Öffentliche Sittlichkeit Ordnung und Sicherheit Schutz der Gesundheit und des Lebens von
Menschen Ungeschriebene Rechtfertigungen: „Zwingende
Gründe des Allgemeinwohls“ (Cassis de Dijon-Formel) Verhältnismäßigkeit der Beschränkung zum legitimen
Ziel
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Schlussfolgerungen aus „Lasteyrie du Saillant“
Wegzugsbesteuerung bewirkt eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV)
Rechtfertigungsgründe: Wegzugsbesteuerung ist kein generelles Mittel gegen die
Steuerumgehung Wegzugsbesteuerung ist nicht erforderlich, um die
Kohärenz des französ. Steuersystems zu sichern: kein angemessenes Mittel, um die während der französ. Steuerpflicht eingetretenen Wertsteigerungen zu besteuern
Nicht ausreichend: Steuerstundung gegen Sicherheitsleistung, da gegenseitige EG-Amtshilfe möglich sei
Reaktion durch das sog. SEStEG v. 7.12.2006: - § 6 V AStG: Stundung des Entstrickungsgewinns- §§ 4 I 4, 4g EStG: Entnahmegewinn innerhalb von 5 Jahren
als Ausgleichsposten aufzulösen
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„National Grid Indus“- EuGH (Große Kammer) v. 29.11.2011 – C-371/10, Slg. 2011 I-12273 =
IStR 2012, 27
Großbritannien
Niederlande
Wegzugsteuer auf stille Reserven in NL?
Forderung: Kursgewinn
National Grid Indus B.V.
National Grid Company plc.
Sitzverlegung nach GB, Betriebsstätte nur noch in GB
Besteuerungsrecht DBA NL/GB nur noch GB
Entscheidungsgründe „National Grid Indus“
Niederlassungsfreiheit Art. 49, 54 AEUV verbietet auch, dass der Herkunftsstaat die
Niederlassung eines Staatsangehörigen/inländ. KapGes. in anderem Mitgliedstaat behindert
sofortige Besteuerung des bisher nicht realisierten Wertzuwachses kann Gesellschaft vom Wegzug in einen anderen MS abhalten
Rechtfertigung: zwingende Gemeinwohlgründe können Bedürfnisse der Aufteilung der Steuerhoheiten sein aber Verhältnismäßig-keitsgrundsatz zu wahren!
Entscheidungsgründe „National Grid Indus“
Rechtfertigungsgrund „Aufteilung der Steuerhoheiten“ – „Schranken-Schranke“ des Verhältnismäßigkeitsprinzips Wirkt auf den Zeitpunkt der Wertzuwachsbe-
steuerung: Besteuerung bereits bei Wegzug gefährdet Liquidität des Unternehmens
Lt. EuGH ist sofortige Besteuerung nicht notwendig, um Aufteilung der Steuerhoheiten zu bewirken; (Festsetzung) reiche aus (Wahlrecht der Sofortbesteuerung)
Risiko der Nichteinziehung: dem kann durch Sicherheitsleistung begegnet werden; außerdem hilft BeitrRL 2010/24/EU
EuGH v. 06.06.2000 – C-35/98 -, Slg. 2000 I-4113 = DStRE 2000, 742 „Verkooijen“
Niederlande
Belgien
Steuerbefreiung für einen niederländ. Anteilseigner, wenn der ausgeschüttete Gewinn keiner niederländischen Steuer, aber einer
belgischen Quellensteuer von 25% unterlag?
Petrofina NV
Gewinnausschüttung
Mr. Verkooijen
„Verkooijen“-Entscheidung Wird eine Steuerbefreiung für Stpfl., die
Ausschüttungen für Anteile an eine Gesellschaft, die in einem anderen MS sitzt, versagt, liegt darin eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit i.S. des Art. 63 AEUV.
Effekt: Niederländ. Staatsangehörige werden davon abgehalten, ihr Kapital in Unternehmen mit Sitz in anderen MS‘en zu investieren.
Keine Rechtfertigung durch das Kohärenz-prinzip weil kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Steuerbefreiung und der Dividenden-besteuerung existiere (separate Steuern die unterschiedlichen Stpfl. auferlegt werden).
EuGH v. 7.9.2004 – C-319/02, Slg. 2004 I-7498 = DStRE 2004, 1220 -
„Manninen“
Finnland
Schweden
Steueranrechnung für einen finnischen Anteilseigner im finnischen Anrechnungsverfahren für Ausschüttungen einer schwedischen AG,
deren Gewinn mit schwedischer Körperschaftsteuer belastet ist?
schwedische AG
Gewinnausschüttung
Petri Manninen
„Manninen“ Entscheidung – I. Vergleichspaar: Finnischer Anteilseigner hält
Anteile an finnischer oder schwedischer AG ► Das Halten von Anteilen an schwedischer
Gesellschaft ist weniger günstig wegen der Verweigerung der Steueranrechnung
Effekte: Erschwerung für schwedische Gesellschaften, Kapital
aus Finnland zu akquirieren Hält finnische Anteilseigner von Investments in
Schweden ab ► Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit
„Manninen“ Entscheidung – II.
Keine ausdrückliche Rechtfertigung i.S. des Art. 65 I AEUV
Abgelehnte Rechtfertigungsgründe: Verlust an nationalem
Steueraufkommen Territorialitätsprinzip Kohärenz des des finnischen
Steuersystems
Folgerungen aus „Manninen“
MS mit KSt-Anrechnungsverfahren müssen ausländ. KSt anderer MS anrechnen.
KSt-Anrechnungsverfahren ist bei rein nationaler Ausrichtung mit EG-Recht unvereinbar
Aber: MS wollen nicht das Steueraufkommen anderer MS finanzieren
Problem: KSt-Anrechnungsverfahren ist die konsequenteste Methode, die wirtschaftl. Doppelbelastung zwischen KapGes u. Ges‘er zu vermeiden
Folgerungen aus „Manninnen“
EuGH verneinte die Rechtfertigungsgründe des Kohärenz- u. Territorialitätsprinzips
Frage: Was bleibt als dogmatischer Inhalt dieser Rechtfertigungsgründe?
In Abweichung zu Verkooijen hat der EuGH hier wenigstens nicht mehr darauf abge-stellt, dass das Kohärenzprinzip bereits wegen dem Vorliegen zweier unter-schiedlicher Steuersubjekte ausscheide.
Eigene Ansicht – Seer, European Taxation 2006, 470 ff.
Kohärenz meint Konsequenz u. Folgerichtigkeit des einzelnen nationalen Steuersystem als Konkretisierung des Territorialitätsprinzips und Ausdruck der Souveränität der nationalen MS im Bereich der direkten Steuern
Eine formale Sicht der Kohärenz überzeugt nicht: Systemkonsequenz ist nicht auf eine Steuerart und einen Steuerschuldner beschränkt
Grundfreiheiten und nationale Steuersystem-konsequenz müssen zu einem möglichst schonenden (neutralen Ausgleich) gebracht werden
EuGH v. 6.3.2007- C 292/04, Slg. 2007 I-1835 = DStR 2007, 485 u. EuGH v. 30.6.2011 – C-262/09, DStR 2011, 1262
„Meilicke I+II“
Deutschland
Andere MS’en
KSt-Anrechnung für einen deutschen Anteilseigner, der Ausschüttungen ausländischer AG’en erhält, die in den anderen
MS’en dort der KSt unterlegen haben?
Dänische u. niederländ. AG
Gewinnausschüttungen
Wienand Meilicke
„Meilicke“ - Entscheidungen
Parallele zur Meilicke-Entscheidung Wirkung der EuGH-Entscheidung = ex tunc Begrenzungs-Antrag Deutschlands:
Fiskalische Auswirkungen seien zu groß Deutschland habe die KSt-Anrechnung im
Vertrauen auf die Europarechtskonformität erlassen
Seit der Verkooijen-Entscheidung konnte die deutschen Bundesregierung nicht mehr länger auf die Europarechtskonformität vertrauen
„Meilicke“ - Entscheidung
Auffassung der GAin Stix-Hackl (versus früheren GA Tizzano) wurde bestätigt keine Begrenzung der Urteilswirkungen des
EuGH
Evaluation Die Position des EuGH im Verhältnis zu den MS
wäre deutlich geschwächt Rechtsfolgenlotterie ist verhindert worden!
Niederlande
Bosal Holding N.V.
Abzug der Finanzierungs-kosten als Betriebsaus-gaben?
Tochterges. 1
Ausschüttung
„Bosal“ – EuGH v. 18.9.2003 -168/01, Slg. 2003 I-9430
……...
In 9 anderen Mitgliedstaaten:
Tochterges. 2
Tochterges. 3
Entscheidung - „Bosal“
Mutter-Tochter-Richtlinie ermöglicht den Ausschluss von Holdingkosten vom Abzug auf der Ebene der Mutterges. aber: Grundfreiheiten sind vorrangig gegenüber der
Richtlinie! Abzugsverbot für Holdingkosten = Beschränkung
der Niederlassungsfreiheit bei Gründung von Tochterges. in anderen MS, Art. 49, 54 AEUV Keine Rechtfertigung durch das Kohärenzprinzip (NL-
Steuersystem), weil kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen einer Steuervergünstigung und dem Abzugsverbot bestehe (unterschiedliche Stpfl. und unterschiedliche Steuern)
Deutschland
Österreich
Keller Holding GmbH
Keller Grundbau GmbH
Keller Wien GmbH
Gewinnausschüttung
Gewinnausschüttung
„Keller Holding“ – EuGH v. 3.2.2006 – C-471/04, Slg. 2006 I-2107 = BStBl. II 2008, 834
Abzug der Finanzierungs-kosten als Betriebsaus-gaben?
Keller-Holding-Entscheidung
Die Entscheidungsgründe „Bosal“ gelten auch für indirekte Holdings
Abzugsverbot für Holdingkosten = Beschränkung der Niederlassungsfreiheit bei Gründung von Tochterges. in anderen MS, Art. 49, 54 AEUV keine Rechtfertigung durch das Kohärenzprinzip bzg.
des deutschen Steuersystems, weil kein unmittelbarer Zusammenhang i.S. einer Korrespondenz zwischen der Abzugsfähigkeit der Finanzierungskosten der Mutterges. und der Steuerbarkeit des Gewinns der Tochterges. bestehe
Aus demselben Grund wird die Beschränkung auch nicht durch das Territorialitätsprinzip gerechtfertigt
Lankhorst-Hohorst GmbH
Lankhorst-Hohorst B.V.
Lankhorst Taselaar B.V.
100 %
100 %Darlehen
Zinsen
Deutschland Niederlande
„Lankhorst-Hohorst“- EuGH v. 12.12.2002 – C-324/00 Slg. 2002 I-11802 = DStR 2003, 25
„Lankhorst-Hohorst“-Entscheidung
Vergleichspaar: Deutsche Enkelges. mit Deutscher Mutter/EU-Mutter
Diskriminierung/Beschränkung (Art. 49, 54 AEUV)
Keine Rechtfertigungsgründe Nationale Steuerausfälle
Here: keine Missbrauchsintention ersichtlich Here: keine bloß künstliche Gestaltung
„Lankhorst-Hohorst“-Entscheidung
Kohärenz Idee = jeder im Inland erzielte Gewinn hat einmal einer
inländischen Steuer zu unterliegen Dieses Prinzip kann der Anteilseigner leicht durch
eine Darlehenskonstruktion umgehen: Steuerüberwachung
EG-Amtshilfe-RL
Konsequenz des nationalen Gesetzgebers: Ausdehnung des § 8a KStG auf rein nationale Sachverhalte (heute: sog. Zinsschranke - § 4h EStG)
Unternehmensbesteuerung in Europa
Grenzüberschreitende Zuordnung von Gewinn
und Verlusten
Großbritannien
Niederlande
Marks & Spencer plc
Marks & Spencer International Holding Ltd.
Marks & Spencer S.A.
Marks & Spencer Netherlands B.V.
Marks & Spencer N.V.
Marks & Spencer GmbH
Frankreich Belgien Deutschland
Verluste
VerlusteVerlusteVerluste
keine grenzüber-schreitende Berücksichtigung von Verlusten
„Marks & Spencer“ – EuGH v. 13.12.2005, C-446/03, Slg. 2005 I-10866 = DStR 2005, 2168
Rechtfertigungsgründe -„Marks & Spencer“ Niederlassungsfreiheit Art. 49, 54 AEUV:
Territorialitätsprinzip: Aufteilung der Steuergewalt zwischen den MS: nur
inländ. Gewinn, dann ggf. auch kein Verlustabzug Risiko einer doppelten Verlustberücksichtigung Risiko einer Steuerumgehung
Unterschied ist gerechtfertigt! Aber Verhältnismäßigkeitsprüfung:
beschränkende Maßnahme darf nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um die verfolgten Ziele zu erreichen (Suche nach weniger belastenden Maßnahmen).
Folgerungen aus „Marks & Spencer“
Sitz-Staat der Mutterges. muss ultima ratio die Verluste berücksichtigen, wenn keine Möglichkeit mehr bei den ausländ. Tochterges. besteht
Nachweispflichtig ist das Unternehmen Problem: Unionsrechtswidrigkeit hängt
vom Umfang des Verlustabzugs der MS der Tochterges. ab!
„A Oy“ – EuGH v. 21.2.2013 – C-123/11, DStR 2013, 392
A OyFinnland
Betriebsstätten
Schweden
nur VerlusteKeine Berücksichtigung des Verlustes:
a)Schweden: kein Gewinn
b)Finnland: keine grenzüberschreitende Verlustverrechnung
Tochter A Oy-
Schweden
Fusion
Folgerungen aus „A Oy“ Gleichstellung von ausländ. mit inländ.
Tochtergesellschaften Mutterges. muss ultima ratio die Verluste
berücksichtigen, wenn keine Möglichkeit mehr bei den ausländ. Tochterges. besteht (finale Verluste)
Nationale Gerichte haben zu prüfen, ob A Oy nachgewiesen hat, dass alle Möglichkeiten zur Verlustnutzung in Schweden ausgeschöpft worden sind
Verlustfinalität wird aber nicht allein durch umwandlungsbedingten Untergang begründet
„Lidl Belgium “ – EuGH v. 15.05.2008 – C-414/06 Slg 2008 I-3601 = DStR 2008, 1030
Lidl Belgium (GmbH & Co. KG)
Deutschland
Betriebsstätte
Luxemburg
Verlust
Keine Berücksichtigung des Verlustes
Verlustverrechnung in späteren Besteuerungszeiträumen
EuGH v. 15.05.2008 – C-414/06 „Lidl Belgium “ - Slg 2008 I-3601
Übertragung der Grundsätze von „Marks & Spencer“ auf Betriebsstätten
Beschränkung der Niederlassungsfreiheit ist gerechtfertigt Aufteilung der Besteuerungsbefugnis unter den
MS Risiko der doppelten Verlustberücksichtigung Verhältnismäßigkeitsprüfung ist vorzunehmen.
Folgerungen aus „Lidl Belgium“
Gleichstellung von ausländischen Betriebsstätten mit ausländischen Tochtergesellschaften Sitz-Staat des Stammhauses muss ultima ratio
die Verluste berücksichtigen, wenn keine Möglichkeit mehr bei den ausländ. Betriebsstätten besteht (finale Verluste)
Nachweispflichtig ist das Unternehmen Gemeinschaftsrechtswidrigkeit hängt vom
Verlustabzug im Betriebsstättenstaat ab.
Weitere Entscheidungen zur grenzüber-schreitenden Verlustverrechnung
EuGH v. 23.10.2008 – C-157/07, Slg. 2008 I-8061 = DStRE 2009, 556 (Krankenheim Ruhesitz Wannsee)
EuGH v. 25.2.2010 – C- 337/08, Slg. 2010 I-1215 = DStR 2010, 427 (X-Holding BV)
Unternehmensbesteuerung in Europa
Grenzüberschreitende Zuordnung von Gewinnen u.
Verlusten–
“Controlled Foreign Companies”
CFCAktives und passives Einkommen
Deutsches AStG Klassifizierung von Einkommen
Aktive Einkünfte: Produktion u.ä. Passive Einkünfte: Kapitalüberlassung u.ä.
GB – Steuersatz 55%
Irland (IFSC) –
Steuersatz 10%
Cadbury Schweppes plc
Cadbury Schweppes Overseas Ltd.
Cadbury Schweppes Treasury Services
Cadbury Schweppes Treasury International
VerlusteGewinne
„Cadbury Schweppes“ – EuGH v. 12.9.2006, C-196/04, Slg. 2006 I-7995 = DStR 2006, 1686
Entscheidungsgründe „Cadbury Schweppes“
Anwendung der Grundfreiheiten Niederlassung in einem MS, um eine niedrige
Besteuerung auszunutzen, stellt noch keinen Missbrauch von Grundfreiheiten dar
GB: wenn Steuer > 75% der GB-Steuer, keine Zusatz „CFC“-Steuer ist anwendbar; anders wenn Steuer < 75% der GB-Steuer
Eine derartige CFC-Gesetzgebung kann die Ausübung der Niederlassungsfreiheit hindern → Beschränkung der Art. 49, 54 AEUV
Folgerungen von „Cadbury Schweppes“
Rechtfertigung: zwingende Gründe des öffentlichen Interesses = Steuerumgehung Verhältnismäßigkeitsprüfung = 3 Elemente
öffentliches Interesse ist zu definieren Mittel muss zur Verwirklichung des öffentlichen Interesses
geeignet sein Eingriff in die Grundfreiheit darf nicht über das erforderliche
Maß hinausgehen Es gibt keine generelle Vermutung der
Steuerhinterziehung Maßnahme muss sich speziell gegen rein künstliche
Gestaltungen richten Echte Niederlassung (= tatsächliche Ausübung einer
festen Einrichtung auf unbestimmte Zeit) fällt nicht darunter
Folgerungen aus „Cadbury Schweppes“
Wirtschaftlicher Substanztest Niederlassung verfolgt eigenständiges wirtschaftliches
Ziel Niederlassung ist sachlich u. personell in für die
wirtschaftliche Aktivität angemessener Weise ausgestattet
Ausgestaltung CFC-Gesetzgebung Steuerumgehung muss für jeden Fall analysiert
werden Keine generelle Umgehung ohne Möglichkeit
des Gegenbeweises der wirtschaftliche Gründe des Gegenbeweises der hinreichenden Ausstattung
Reaktion des deutschen Gesetzgebers im JStG 2008
§ 8 II AStG: Entlastungsbeweis einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit
Voraussetzung: EG-Amtshilfe-RL 77/799/EWG v. 19.12.77 oder Amtshilfe-Abkommen ermöglichen gegenseitige Auskünfte der MS
BMF-Schreiben BStBl. I 2007, 99
„Columbus Container Services“- BFH v. 21.10.2009, BStBl. II 2010, 774
Kommanditgesellschaft belgischen Rechts
GesellschafterPersonengesellschaft
Steuersatz < 30 %
Belgien
DeutschlandAnwendung § 20 Abs.2 AStG a.F.?(Anrechnungsmethode)
(Anschlussurteil zu EuGH v. 06.12.2007 – C 298/05 „Columbus Container Services“, Slg. 2007, I-10451 = DStR 2007, 2308)
Gewerbliche Einkünfte
„Columbus Container Services“- BFH v. 21.10.2009, BStBl. II 2010, 774
Entscheidung des EuGH v. 06.12.2007, Slg. 2007, I- 10451 (Vorlage des FG Münster): Niederlassungsfreiheit Art.49 AEUV und
Kapitalverkehrsfreiheit Art.63 AEUV stehen den Umschaltklauseln des § 20 Abs.2, 3 AStG a.F. nicht entgegen.
BFH: Verstoß gegen Niederlassungsfreiheit bei Bestehen des sog. Motivtestes Nach Ansicht des BFH ist die Vorlagefrage und
damit die Entscheidung unvollständig, da keine Einbeziehung der §§ 7 ff. AStG a.F
Folgerungen aus BFH v. 21.10.2009
§ 20 Abs.2 AStG ist nicht anzuwenden, wenn der Motivtest bestanden wird. § 20 Abs.2, 3 AStG ist eine Vorschrift zur Verhinderung
von Missbrauch §§ 7 AStG sind tatbestandliche Voraussetzung für § 20
Abs.2, 3 AStG Rechtsgrundsätze aus „Cadburry Schweppes“ sind auch
in diesem Fall anzuwenden Der sog. Motivtest ist EU- rechtskonform in die Regelung
hineinzulesen. Rechtslage eindeutig nach BFH, daher keine
erneute Vorlage an EuGH
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