gambensaiten aus anderem material als darm · gambensaiten aus anderem material als darm - 5 - der...
Post on 02-Nov-2019
5 Views
Preview:
TRANSCRIPT
Gambensaiten aus anderem Material als Darm - 1 -
Gambensaiten aus anderem Material als Darm
Vor einigen Jahren machte mich Walter Waidosch darauf aufmerksam, dass die historischen
Gambenspieler sich hohe Saiten auch aus Seide hergestellt haben. Als ich später bei meiner
Pardessus-Gambe das Problem hatte, dass die hohe g-Saite nach kürzester Zeit riss, erinnerte ich mich
wieder an diesen Hinweis und begann zu experimentieren.
Ich fertigte Saiten, indem ich ungewachste Zahnseide drillte und probierte sie auf dem Instrument
aus. Schon nach wenigen Versuchen kam ich zu sehr zufriedenstellenden Ergebnissen, die auch
klanglich überzeugten. Subjektiv erlebe ich einen kaum wahrnehmbaren Unterschied zu Darmsaiten,
den ich als Spieler in einer geringfügig anderen Ansprache und vielleicht auch in einer minimal
anderen Klangfarbe zu bemerken glaube. Die Unterschiede sind für mein Empfinden aber so gering, dass sie auch als Phänomen „Neue Saite“, die noch eingespielt werden muss, gedeutet werden
könnten, denn schon nach kurzer Zeit habe ich mich an den Klang und die Ansprache der Saite
gewöhnt und empfinde sie als völlig normal. Das Einzige, das für mich lange ungewohnt blieb, war die
Drillung auf der hohen Saite, die man sehr deutlich unter dem Finger spürt. Das Gefühl beim
Lagenwechsel unterscheidet sich deutlich von dem, das man bei einer glatten Darmsaite hat.
Nachdem ich aber nun seit weit über einem Jahr auf solchen Saiten spiele, habe ich mich völlig daran
gewöhnt.
Längst ist es nicht mehr bei der hohen g-Saite der Pardessus geblieben. Wenig später stellte ich nach
dem gleichen Verfahren d- und a-Saiten für die Bassgambe her und bin dabei geblieben. Keinem
Außenstehenden fiel bei meiner Bassgambe eine mögliche Klangveränderung auf, weil eine solche, wenn überhaupt so unbedeutend ist, dass sie nicht ins Gewicht fällt. Auf Kursen wurde meine andere
Besaitung, nicht am Klang, sondern am Aussehen bemerkt: „ Was ist das für eine Saite auf deiner
Gambe, die sieht ganz anders aus?“
Kurz, ich will damit sagen: Ich habe mit dieser Saitenkreation ein Ergebnis gefunden, das sehr haltbar
ist und mich und andere klanglich völlig befriedigt.
Außerdem ist es eine Variante, die jeder, der etwas geschickt ist, leicht selber herstellen kann. Die
Kosten sind vergleichsweise gering. 50m ungewachste Zahnseide kosten etwa 2,-Euro. Zur
Herstellung einer d-Saite für die Bassgambe benötigt man ca. 7m. Das wären dann 7 d-Saiten für
insgesamt 2,- Euro. Wenn man dann noch bedenkt, dass die Saite aus Zahnseide die vielfache
Lebensdauer einer Darmsaite hat, unterstreicht das die Rentabilität nochmals erheblich. Zur Herstellung:
a/ Länge des Fadens:
Der zu drillende Faden muss mehr als doppelt so lang sein, wie die Länge der Saite, die man herstellen
will, da sich die Saite durch das Drillen je nach Drillgrad mehr oder weniger verkürzt und die
Schlaufen, die man zur Einspannung zwischen Aufhängung und Drillhaken machen muss, später von
dem Endergebnis abgeschnitten werden.
Beispiel: Angestrebte Endlänge der Saite 70cm, Länge des Fadens vor Drillung 170cm
b/ Drillzeit:
Die Dauer des Drillens entscheidet darüber, wie stark sich der Faden anschließend verdrillt. Je länger ich drille, umso enger werden nachher die Drill-Lagen. Allerdings erhöhe ich auch durch längeres
Drillen die innere Spannung des Fadens, was das sorgfältige Arbeiten unter Spannung zunehmend
schwieriger macht und irgendwann auch die Reissfestigkeit des Materials zu sehr beansprucht.
c/ Drillgrad:
Den Drillgrad bestimme ich, indem ich messe, wieviel
halbe Windungen die fertige Saite pro cm hat.
In der Abbildung fallen ca. 3 halbe Windungen auf
einen cm. (Das entspräche in meiner Terminologie
dem „Drillgrad 3“.)
Die Bestimmung des Drillgrades macht Sinn, wenn man verschiedene Ergebnisse miteinander vergleichen
will.
Gambensaiten aus anderem Material als Darm - 2 -
d/ das Drillen: Zum Drillen verwende ich einen Akkuschrauber, in
dessen Bohrfutter ich einen aus einem Draht (Ø 2mm)
gebogenen Haken einsetze.
Ich lasse den Akkuschrauber mit Höchstgeschwindigkeit
laufen und notiere die Laufzeit, die ja mit dem erzielten
Drillgrad bei gleicher Fadenlänge korreliert. So kann ich
jederzeit vergleichbare oder gezielt veränderte
Ergebnisse herstellen.
(siehe nachfolgende Tabellenübersicht!). (Die Höchstgeschwindigkeit meines Akkuschraubers ist
mit 1450 Umdrehungen pro Minute angegeben!)
Wenn ich nur einen einzelnen Faden drille,
mache ich an jedes Ende eine Schlaufe. Eine
Schlaufe hänge ich über eine Türklinke, die
andere in den Drillhaken. Gedrillt wird mit
sanfter Spannung, die der Elastizität des zu
drillenden Fadens angemessen sein muss.
Wenn eine doppelte Fadenlage gedrillt werden soll, ziehe ich den Faden über die
Türklinke und hänge beide Schlaufen in den
Drillhaken (oder umgekehrt). Bei dreifacher
(oder mehrfacher) Lage verfährt man
entsprechend weiter, also Schlaufe in die
Klinke, Faden über Drillhaken zurück zur
Klinke und wieder zurück zum Drillhaken
(etc.).
Nach dem Drillen mit dem Akkuschrauber
legt man den
gedrillten Faden unter
ständiger Spannung in
zwei Lagen zusam-
men , indem man alle
Schlaufen an einen
Haken hängt und mit
einem Gewicht beschwert. Ich hänge
in diesem Fall alle
Schlaufen auf den
Drillhaken,
übernehme also mit
dem Drillhaken die
Schlaufen von der
Klinke
(siehe Abbildung!).
Zum Beschweren nehme ich ein 125g-Gewicht. Wenn man die ständige Spannung nicht aufrecht erhält, beginnt der gedrillte Faden sofort sich
unkontrolliert zu verdrehen. Das Resultat kann man dann nur noch wegwerfen!
Gambensaiten aus anderem Material als Darm - 3 -
Die folgenden Bilder zeigen das Einhängen
des Gewichtes und die
Phase, in der sich der
gedrillte Faden frei
hängend mit dem
Gewicht belastet durch
Torsion entspannt und
dadurch zu dem
gewünschten Ergebnis
führt:
Schwieriger stellt sich
die Situation dar, wenn
man als Ergebnis eine
ungerade Fadenlage
anstrebt, also z.B. eine
3-fache Lage. Dann
müsste die
Ausgangssituation ja ein
1,5-facher Faden sein. Man drillt in diesem Fall
einen Faden wie bisher
beschrieben, hält
diesen gedrillten Faden unter
Spannung, während man einen
zweiten halb so langen Faden mit
halber Drillzeit drillt. Dann muss
dieser kurze gedrillte Faden unter
ständiger Spannung mit dem langen
doppelt zusammengelegten Faden gemeinsam mit dem Gewicht
beschwert werden. Am oberen Ende
müssen die nun parallel liegenden
drei Fadenteile gut festgehalten
werden, während das ganze Gebilde sich durch Torsion entspannt. (Das Arbeiten zu zweit erleichtert
diese Prozedur!) Zu diesem komplizierten Verfahren kann man gezwungen sein, wenn man
ausschließlich mit dem Material Zahnseide arbeitet. Es gibt bei Zahnseide keine Unterschiede in der
Garnstärke. Bei einer Vertriebsfirma wurde mir mitgeteilt, dass die Zahnseide in China nur in dieser
einen Stärke hergestellt wird. Gerade bei dünnen Saiten kann es von besonderem Interesse sein, wenn man die Stärke der Saite in
feineren Abstufungen bestimmen kann. Diese Möglichkeit ist also bei Zahnseide eingeschränkt.
Weitere Überlegungen in diesem Zusammenhang ergeben sich bei den Betrachtungen zu anderen
Materialgruppen weiter unten.
e/ Endfertigung:
Nachdem sich die entstehende Saite durch Torsion völlig
entspannt hat, wird das Gewicht entnommen. Die Öse,
die dabei am Ende der Saite frei wird, dient als wichtige
Voraussetzung zur Aufhängung der Saite am Saitenhalter.
An ihrem vorderen Ende befinden sich noch die Schlaufen mit ihren Knoten. Diese werden abgeschnitten, nachdem
zuvor der betreffende Fadenteil (Saitenanfang) mit Uhu
eingerieben und damit fixiert wurde, so dass ein Auffasern
Gambensaiten aus anderem Material als Darm - 4 -
der Saite beim abschneiden verhindert ist. (siehe Abbildungen!)
Durch das Einreiben mit Uhu bekommt der
Saitenanfang eine gewisse Steifigkeit, die das Einfädeln
durch die Löcher im Saitenhalter und im Wirbel
entscheidend erleichtert. Durch die Öse wird die Saite
gefädelt, nachdem sie zuvor durch das Loch des
Saitenhalters geschoben wurde.
Bisher habe ich hauptsächlich mit Zahnseide
experimentiert und gebe meine Ergebnisse in der
nachfolgenden Tabelle wieder: Mit Sicherheit kann man diese Ergebnisse noch verfeinern und verbessern. Zumindest sollten sie am
jeweiligen Instrument ausprobiert und evtl. entsprechend modifiziert werden.
Instrument: Mensur
(in cm):
Lagen
vor
Drillung:
Länge
(cm) vor
Drillung:
Drillzeit:
(in Sek.)
Lagen
nach
Drillung:
Länge
(cm) nach
Drillung:
Drillgrad: Ton: Notwendige
Länge:
(cm)
Pardessus 32 1x 170 30 2x 75? 6,5 g‘‘ 55
Pardessus 30,5 1x 210 45 2x 95 7,0 g‘‘ 48
Pardessus 30,5 1,5x 170/85 15/7,5 3x 80 5,5 g‘‘ 48
Bassgambe 70 3x 220 30 6x 100 3,5 d‘ 98
Bassgambe 70 4x 250 30 8x 120 3,2 a‘ 110
Zum Material:
Zahnseide ist keine Seide, sondern ein Produkt aus einer synthetischen Faser. Unter dem Mikroskop
zeigt sich, dass sie aus etwa 200 feinen
völlig gleichgeformten miteinander
versponnenen Kunstfasern mit einem
Durchmesser von 23µm besteht.
In Versuchen stellt sich heraus, dass ein
Zahnseidenfaden eine Dauerlast von 3
kg aushält. Das heißt, jede Faser kann
lang dauernd eine Spannung von 15g aushalten.
Seide zeigt unter dem Mikroskop eine
ähnliche Struktur wie die Faser der
Kunstseide. Die einzelnen Seidenfasern
sind allerdings weniger gleichmäßig
sowohl in der Form als auch in der
Stärke. Die Stärke der Seidenfasern schwankt
zwischen 8 bis 15 µm, wobei die überwiegende Menge der Fasern eine Stärke von etwa 13 µm
hat. Die Reißfestigkeit der Seidenfasern ist
erstaunlich hoch. Nach meinen Messungen kann
ein Seidenfaden, der aus etwa 145 Einzelfasern
besteht eine Dauerbelastung von 300g aushalten.
Pro Faser sind das 2g. Wenn man mit der
Kunstseidenfaser vergleicht: (Volumenmäßig
entspricht eine Kunstseidenfaser etwa 3
Seidenfasern.)
3 Seidenfasern tragen 6g. Das bedeutet, dass das Seidenfasermaterial immerhin knapp die Hälfte
Gambensaiten aus anderem Material als Darm - 5 -
der Spannung aushält, die die Kunstseidenfaser tragen kann. Die klanglichen Ergebnisse mit Seide haben mich bei einem Versuch mit einer d‘‘-Saite für die
Pardessus-Gambe nicht restlos überzeugt, was natürlich nicht maßgeblich sein muss. Die d‘‘-Saite
wurde aus Seidengarn mit einer Stärke von 680 Fasern 6-fach verdrillt. Die Haltekraft der Saite liegt
damit bei ca. 8kg (680 x 6 x 2g = 8160g). Eine Messung der Spannung auf dem Instrument ergab einen
Wert von 5,8kg (tiefe Stimmung). Bei einer g‘‘-Saite, die vermutlich mit einer 4-fachen Drillung dieser
Garnsorte hinkäme, läge die Haltekraft der Saite bei ca. 5,4kg (680 x 4 x 2g = 5440g). Damit dürfte sie
gerade noch in dem Spannungsbereich liegen, der sich auf dem Instrument ergeben könnte. Es zeigt
sich daran, dass Seide bei den ganz hohen Saiten der Gambe in die Nähe des nicht mehr
verkraftbaren Belastungsbereichs kommen kann. Die Spannung der höchsten Darmsaiten liegen bei
meinen Gamben je nach tiefer oder hoher Stimmung beim Pardessus zwischen 4 bis 4,5kg, beim Diskant zwischen 6,5 bis 7,5kg und beim Bass zwischen 9 bis 10kg.
Seide ist als Garn heute offenbar auch nicht mehr so leicht zu bekommen. An ihrer Stelle wird aktuell
das wesentlich belastbarere Polyester-Garn, das auch auf Feuchtigkeit nicht reagiert (Seide läuft ein!),
gehandelt. Ich konnte in einem Fachgeschäft noch ein paar Restposten ergattern.
Im übrigen ist Seide natürlich auch nicht billig, was dem Gesichtspunkt ‘preiswerte Alternative‘
widerspricht.
Da ich mit der preiswerten Zahnseide bisher sehr gute Ergebnisse erzielt habe, sehe ich mich akut
nicht veranlasst, meine Versuche mit Seide zu vertiefen.
Jedoch halte ich es für interessant, Polyestergarn, das es in sehr feiner Form gibt, als Zuschlagmaterial
zur Zahnseide zu testen. Polyestergarn besteht aus sehr feinen, gleichmäßigen
Fasern von etwa 14 µm Durchmesser, wie
man unter dem Mikroskop erkennen
kann. Mit seiner Hilfe könnte der oben
beschriebene Schwachpunkt, dass
Zahnseide nur in einer Stärke zu haben ist,
mit hoher Wahrscheinlichkeit ideal
kompensiert werden und die komplizierte
Prozedur zur Herstellung einer dreifachen
oder fünffachen Garnlage vermieden werden, indem man mit den
entsprechenden Beimischungen zum
gleichen Ergebnis kommt. Grundsätzlich
steht dem Experimentieren mit anderen
Kunstfasern nichts im Wege.
Ich wünsche allen denjenigen, die sich auf
diesem Gebiet betätigen wollen viel Erfolg
und würde mich über eine Rückmeldung auch bei Entdeckung neuer Erfolgsvarianten oder
Verbesserungen freuen. Rudolf Krönung [r.kroenung@da-gamba.de]
top related