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Bundeserwerbslosenkonferenz 2011
Geschäftsbericht 2007 – 2010 Erwerbslosenarbeit vom Januar 2007 bis Dezember 2010
Aktionen und Debatten 2 – 12
Beratung und Gremienarbeit 13 – 20
Existenzsicherung mit und ohne Arbeit 21 – 32
2
Aktionen & Debatten
Probleme der Existenzsicherung mit und ohne Arbeit bestimmten in den vergangenen
vier Jahren die Debatten und Aktionen der ver.di-Erwerbslosen. Im Zentrum der
Auseinandersetzungen standen eine bessere soziale Mindestsicherung für Kinder und
Erwachsene, existenzsichernde Erwerbsarbeit und der gesetzliche Mindestlohn sowie die
Beratung von Kolleginnen und Kollegen bei Problemen mit dem Arbeitslosengeld und
der Grundsicherung.
In den Debatten wurde zunehmend deutlich, dass die Existenzsicherung weit über einen
höheren Hartz-IV-Regelsatz und einen gesetzlichen Mindestlohn hinausreicht. Erforder-
lich ist vielmehr ein umfassender Ansatz:
- Erhöhung des Alg-II-Regelsatzes auf zunächst mindestens 435 Euro
- Vollständige Übernahme der Wohnkosten beim Alg II
- Umfassende Regelungen zu Härtefällen und Mehrbedarfen
- Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro pro Stunde
- Recht auf existenzsichernde Arbeit statt Workfare und Hungerlöhne
- Existenzsicherung der ganzen Familie statt Scheinmodelle für Kinder
- Umfassende Krankenversicherung und gute Gesundheitsversorgung
- Umfassende Daseinsvorsorge und bessere Finanzausstattung der Kommunen
- Altersübergänge ohne erzwungene Rentenabschlägen und Altersarmut
- Schutz vor Willkür und ein tatsächlicher Zugang zum Rechtsstaat für Alle
- Bürgerfreundlich, sozial- und rechtsstaatlich handelnde Job-Center
- Keine existenzbedrohenden Sanktionen bei der Grundsicherung
- Informationelle Selbstbestimmung und Datenschutz.
Für diese Forderungen haben sich die Erwerbslosen im ver.di- und DGB-Kontext sowie
darüber hinaus eingesetzt. Einige Erfolge konnten erzielt werden.
1.) Rechtsstaat auch für Einkommensarme zugänglich halten !
Sozialgerichtsgebühren, Beratungs- & Prozesskostenhilfe
Die ver.di-Erwerbslosen haben eine erfolgreiche Unterschriftenaktion für die
Zugänglichkeit des Rechtsstaats für einkommensschwache Personen durchgeführt.
Insbesondere FDP- und CDU-regierte Bundesländer sowie neoliberale Wirtschafts-
lobbyisten versuchen seit vielen Jahren, die Hartz-Agenda mit Hilfe einer
Verbarrikadierung der Rechtswege durch happige Gebühren, die Einkommensarme
kaum bezahlen können, auszuweiten. Hauptsächlich richten sich die liberal-
konservativen Angriffe gegen die Zugänglichkeit der Sozialgerichte für Menschen mit
Grundsicherungseinkommen. Auf subtile Weise soll am Ende die Grundsicherung auch
im Verwaltungsalltag weiter beschnitten und prekäre Beschäftigung stärker ausgedehnt
werden. Auch alle anderen Rechtswege sind ebenso bedroht. Betroffen wären
insbesondere Familien, untere und mittlere Lohngruppen und Erwerbslose.
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Die ver.di-Erwerbslosen haben eine sehr erfolgreiche Unterschriftenaktion für die
Zugänglichkeit bzw. gegen die Verbarrikadierung des Rechtsstaats für Einkommensarme
konzipiert und durchgeführt. Die Aktion fand 2007 in ver.di und weit darüber hinaus
großen Anklang. In einer Zwischenbilanz wurde die Umsetzung der Aktion vor Ort
ausgewertet. Es konnten auch prominente Unterzeichner/innen gewonnen werden.
Anlässlich der Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestages zur Prozesskostenhilfe
konnte der BEA-Vorstand am 14. November 2007 ein Paket mit den ersten
10.000 Unterschriften gegen Gebühren für Sozialrechtsverfahren, Prozesskosten- und
Beratungshilfe an den zuständigen Berichterstatter des Rechtsausschusses überreichen.
Das von einigen Bundesländern auf Initiative von Baden-Württemberg eingebrachte
Gesetz zur Einführung von Sozialgerichtsgebühren erreichte den Bundestag im Januar
2008 eröffnet. Bei der Prozesskostenhilfe bzw. der Zivilprozessordnung dauerte das
Gesetzgebungsverfahren an. Die Unterschriftenaktion wurde daher auch 2008
fortgesetzt.
Über die Prozesskostenhilfe hinaus sollte 2008 auch die Beratungshilfe in mehrerlei
Hinsicht verschlechtert werden. Wir haben deswegen unsere Informationen und die
Unterschriftenliste modifiziert und auch in 2009 fortgesetzt.
Beim Sozialgerichtsgesetz, der Prozesskostenhilfe und der Beratungshilfe wurden vom
Bundestag 2008 und 2009 einige Änderung vorgenommen. Die Verbarrikadierung
durch Gebühren für Sozialgerichte, Prozesskosten- und Beratungshilfe unterblieb. Die
ver.di-Erwerbslosen haben – u.a. zusammen mit dem DGB und anderen Akteuren –
daran mitgewirkt, die von Bundesländern geplanten massiven Verschlechterungen zu
verhindern.
Siehe auch Informationen zur Unterschriftenaktion in Anlage
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2.) Eine bessere Existenzsicherung im Alter !
Zwangsabschläge bei der Rente abschaffen !
Für die freie Entscheidung über einen frühzeitigen Eintritt in die Altersrente unter
Inkaufnahme von Abschlägen auch für prekär Beschäftigte und Erwerbslose und gegen
die von der schwarz-roten Bundesregierung ausgearbeitete Gesetzesvorlage zur
Einführung einer erzwungenen Abschlagsrente!
Das Thema Zwangsrente konnte von ver.di, namentlich durch den Vorsitzenden, von
DGB und IG Metall durch gezielte politische Aktivitäten zu einem wichtigen Thema in
den Medien und im Parlament gemacht werden. Gewerkschaften, Sozialverbänden und
Oppositionsparteien ist es gelungen, gegenüber der Regierungskoalition im
November/Dezember 2007 nach langem Vorlauf erhebliche Verbesserungen zu
erreichen.
Seit Januar 2008 kann eine Abschlagsrente zwar erzwungen werden, jedoch erst mit
63 Jahren statt mit 60 Jahren. Und auch nur dann, wenn der Lebensunterhalt nur mit
Erwerbsarbeit von weniger als 400 Euro erwirtschaftet werden kann. Jedoch schützen
auch lange Versicherungszeiten nicht vor Altersarmut mit Rentenkürzungen durch
Zwangsabschläge.
In den folgenden Jahren haben sich die ver.di-Erwerbslosen weiterhin gegen die
Zwangsabschläge und die Ausweitung der Altersarmut engagiert – u.a. 2010 im Kontext
der Überprüfung der Rente mit 67. Es bleibt den Skandal abzuschaffen, dass Menschen
mit erzwungenen Rentenabschlägen von zunächst bis zu 7,2 % und später dann bei der
67er Rente von bis zu 14,4 % tiefer in die Altersarmut gedrückt werden können.
Besonders benachteiligt sind gesundheitlich beeinträchtigte, gering qualifizierte und
prekär beschäftigte Ältere, Personen im Mini-Jobs (insbesondere Frauen) oder Leiharbeit
(insbesondere Männer), sowie Ältere, die nach ihrem 60. Lebensjahr erwerbslos werden
oder es bereits sind, da sie auf dem Arbeitsmarkt nur verschwindend geringe Chancen
auf existenzsichernde Arbeit haben. Dazu gehören eher Verwaltungsangestellte,
Verkäufer/innen und gewerblich Beschäftigte, kaum aber Beamte, gut situierte
Akademiker/innen und Facharbeiter/innen.
Siehe auch Informationen und Materialien in Anlage
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3.) Keine unbezahlte Erwerbsarbeit !
0-Euro-Jobs – 1-Euro-Jobs – Alg-Praktika – Probearbeiten – …
Die ver.di-Erwerbslosen haben sich für existenzsichernde Arbeit und gegen
Lohndumping durch Arbeitsfördermaßnahmen eingesetzt.
In Folge öffentlicher Sensibilisierung – insbesondere die unentgeltlichen so genannten
Arbeitslosengeld-Praktika (Alg-Praktika) – musste sich die Bundesagentur für Arbeit
nachdrücklicher gegen den vielfältigen örtlichen Missbrauch bei Arbeitsmaßnahmen und
die Verdrängung regulärer Beschäftigung einsetzen. Das war bei den sogenannten
Optionskommunen, wo es zu besonders krassen Fällen kam, kaum möglich. Bei den
sogenannten ARGEn hingegen konnte der Missbrauch mit den Alg-Praktika weitgehend
beendet werden.
ver.di konnte in dem Zusammenhang das Augenmerk darauf lenken, dass öffentlich
geförderte Beschäftigung existenzsichernd, sozialversichert, arbeitsrechtlich geschützt,
tariflich geregelt und mitbestimmt sein muss und reguläre Beschäftigung nicht
verdrängen darf. Ein Grundsatz, der auch Eingang in entsprechende Förderprogramme
(u.a. bei den sogen. Job-Perspektiven und beim Kommunal-Kombi) gefunden hat und
der in einigen Bundesländern zu Programmen für existenzsichernde, öffentlich
geförderte Beschäftigung geführt hat.
Jedoch gibt es weiterhin viel zu viele 0-Euro-Jobs. Das betrifft weiterhin die Alg-Paktika
und neuerlich die so genannte Bürgerarbeit, Arbeitsformen bei denen die Arbeitgeber
keinerlei Lohnanteile bezahlen müssen. Am gravierendsten wiegen jedoch weiterhin die
1-Euro-Job-Arbeitsgelegenheiten, bei denen die Arbeitgeber über die kostenlose
Arbeitskraft hinaus auch noch weitere Zuschüsse erhalten.
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4.) Eltern- und Kinderarmut abschaffen !
Eine bessere Existenzsicherung mit und ohne Arbeit !
Die ver.di-Erwerbslosen haben sich nachdrücklich für eine bessere soziale
Existenzsicherung für Erwachsene und Kinder, sei es mit oder ohne Erwerbsarbeit,
engagiert.
Durch vielfältige örtliche Aktivitäten im Rahmen der Kampagne „Reiches Land – Arme
Kinder“ (sogen. Kinderkampagne), die von der Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher
Arbeitslosengruppen (KOS) initiiert und begleitet wurde, konnten etliche
Verbesserungen bei der Existenzsicherung für Kinder bzw. Familien erreicht werden.
Außerdem haben sich die Erwerbslosen an der ver.di-Mindestlohnkampagne beteiligt.
Im Rahmen der Kinderkampagne wurden Informationen verteilt, öffentlich sichtbare
Aktionen durchgeführt, Briefe und Aufrufe verfasst, auf die lokale Politik eingewirkt.
Dies geschah im Rahmen von Bündnissen mit anderen Gewerkschaftsgruppen, sozialen
Foren und Verbänden, kirchlichen Gruppen und parteipolitischen Akteuren vor Ort. Die
KOS hatte zu dem Thema etliche sehr hilfreiche Materialien erstellt.
Die Debatten und die vielfältigen Aktionen führten im Lauf des Jahres 2007 in immer
mehr Kommunen zur Einrichtung von Bildungsfonds für Kinder und Jugendliche. Vor
dem Hintergrund der zahlreichen Aktivitäten rund um das Thema Kinder- und
Elternarmut sowie Existenzsicherung mit und ohne Arbeit haben zwei Oppositions-
parteien im Bundestag (die Linke und die Grünen) entsprechende Anträge gestellt und
eine Anhörung im Arbeits- und Sozialausschuss des Bundestags erwirkt, die am
16. Juni 2008 stattfand. Dabei war man sich weitgehend einig, dass die Grundsicherung
besser und transparenter ermittelt werden muss. Die Expertinnen und Experten sahen
für Kinder besonderen Handlungsbedarf. Ihr Regelsatz sollte nicht von dem der
Erwachsenen bzw. der Rentner/innen abgeleitet werden, sondern eigens definiert
werden. Der grundlegende Zusammenhang zwischen Regelsatz und Mindestlohn wurde
in der Anhörung sehr deutlich. Es war klar erkennbar, dass die Niedriglöhne von Eltern
Kinderarmut zur Folge haben. Aus FDP-Kreisen kamen indes Stimmen, mit Workfare
und Alg II den Niedriglohnsektor auszuweiten.
Für den 16. Juni 2008 hatten viele Erwerbslose zu Aktionen vor Ort aufgerufen. In Berlin
haben z.B. DGB, Sozialforum und andere Gruppen eine Protestkundgebung vor dem
Brandenburger Tor veranstaltet, die Resonanz bis in die Medien hinein fand.
Nachdem etliche Kommunen Bildungsfonds für Kinder und Jugendliche eingerichtet
hatten, verständigte sich die schwarz-rote Bundesregierung 2008 zumindest auf ein
sogen. Schulbedarfspaket von 100 Euro pro Jahr und die Erhöhung des Regelsatzes für
Schulkinder um 10 %.
Die Kampagnen haben mit dazu beigetragen, dass die Frage der Existenzsicherung des
SGB II / SGB XII vom Bundesverfassungsgericht verschiedentlich behandelt und letztlich
auch zur Entscheidung angenommen wurde.
Siehe auch Informationen in Anlage
7
5.) Existenzsicherung vor dem Bundesverfassungsgericht
Menschenwürde und Sozialstaatsgebot
Immer wieder waren Klagen gegen die 2005 eingeführte Existenzsicherung des SGB II
vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) abgewiesen worden. Nach einigen erfolglosen
Anläufen konnte das BVerfG dann 2008 vom hessischen Landessozialgericht dazu
bewegt werden, die Verfassungsgrundlagen der sozialgesetzlichen Existenzsicherung zu
überprüfen. Der ver.di-Rechtsschutz hat in diesem Kontext ein Mitglied vor dem BVerfG
vertreten.
Durch publizistische Aktivitäten (Pressestelle, Internet, Streik-TV, Publik) und Aktionen
vor Ort (u.a. in Karlsruhe) hat ver.di die Debatten begleitet, insbesondere rund um die
öffentliche Verhandlung beim BVerfG am 20. Oktober 2009 und bei der
Urteilsverkündung am 9. Februar 2010.
Das Bundesverfassungsgericht hat durch sein erstes grundlegendes Urteil die soziale
Existenzsicherung auf die Fundamente der Menschenwürde des Artikels 1 und der
Sozialstaatlichkeit des Artikels 20 des Grundgesetzes gestellt. Über pauschalierte
Leistungen hinaus hat das Gericht zusätzliche Bedarfe in Härtefällen anerkannt. Die
Ermittlung von Pauschalbeträgen muss adäquat begründet und transparent sein; sie
muss vom Gesetzgeber selbst vorgenommen und vom Staat selbst erfüllt werden. Der
Bedarf von Kindern ist eigenständig zu ergründen. Zur Anpassung der Existenzsicherung
an die Teuerungsrate ist die Rentenformel ungeeignet.
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6.) Bundesregierung und Bundesländer
Eine verfassungskonforme und bessere Grundsicherung ?
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit seinem Urteil vom 9. Februar 2010 dem
Bundestag aufgegeben, ab dem 1. Januar 2011 (gegebenenfalls rückwirkend) eine
verfassungskonforme Regelung der Existenzsicherung vorzunehmen. Hieran hat die
Regierung im Lauf des Jahres 2010 gearbeitet während sie zugleich massive Kürzungen
bei der sozialen Sicherung ab dem Jahr 2011 vorbereitet und beschlossen hat.
Die ver.di-Erwerbslosen haben in einer Reihe von Aktionen gegen die ungerechten
Streichungen bei sozialen Leistungen – zum Ausgleich der an den Börsen verzockten
Milliarden Euro – protestiert (u.a. bei den Demos „Wir zahlen nicht für eure Krise“ in
2009) und sich nachdrücklich gegen den im Herbst 2010 vorgelegten Gesetzesentwurf
für eine neue Grundsicherung und weiteren Kürzungen beim SGB II ausgesprochen.
Die ver.di-Erwerbslosen haben bereits am 7. Juli 2010 zusammen mit attac, campact,
KOS, ver.di-Jugend und anderen mit einer ersten Aktion vor dem Bundeskanzleramt
gegen das so genannte Sparpaket der Bundesregierung protestiert. Zudem haben wir
am 16. September 2010 gemeinsam mit attac, AWO, campact, KOS und anderen
Akteuren unter dem Motto „Reichtum besteuern – statt Armut verschärfen“ die
medienwirksame Aktion „Letzte-Hemden“ vor dem Bundestag durchgeführt. Des
Weiteren haben wir uns an den örtlichen Aktionen anlässlich des europäischen
Aktionstags am 29. September 2010 beteiligt und uns bei der ver.di-Kampagne
„Gerecht geht anders“ und den Aktivitäten des DGB im Herbst 2010 (vom 25.10. bis
14.11.2010) engagiert.
Siehe auch Informationen in Anlage
9
7.) Aktionen & Demonstrationen
ver.di, DGB und darüber hinaus
In den vergangenen vier Jahren haben sich die ver.di-Erwerbslosen teils langfristig oder
punktuell, teils auch an vorderer oder prominenter Stelle, an den gewerkschaftlichen
Aktionen, Demonstrationen, Debatten und Kampagnen beteiligt. Außerdem haben wir
eigene und gemeinsame Aktionen initiiert. Auch in sozialen Bündnissen und in
Kooperation mit den Sozialverbänden waren wir aktiv.
Zu nennen ist in diesem Zusammenhang – über das zuvor Geschilderte hinaus – die
jeweilige Beteiligung beim 1. Mai und bei den Aktionen zum gesetzlichen Mindestlohn
vor Ort. Wir haben bei den Demonstrationen am 28. März 2009 („Wir zahlen nicht für
eure Krise“) und bei den Aktionen rund um den DGB-Kongress am 14. und
16. Mai 2009 (EGB-Demo) sowie bei der Rentenkampagne des DGB mitgemacht. Ferner
haben wir 2009 mit der Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen
(KOS) bei der Kampagne „Armut bekämpfen – Reichtum verteilen“ und mit dem IG-
Metall-Koordinierungskreis (u.a. beim Bündnis „Für eine andere Politik“)
zusammengearbeitet.
Unter dem Motto „Für eine bessere Existenzsicherung“ haben wir für 2009 eine
Erwerbslosenzeitung produziert, die der Publik beigelegt wurde und darüber hinaus als
Info-Material zur Verfügung stand.
Die Erwerbslosen haben sich auch bei der ver.di-Kampagne „Gerecht geht anders“ und
den Aktivitäten im DGB im Herbst 2010 vom 25. Oktober bis 14. November 2010
engagiert. Dabei haben wir die spezifischen Erfahrungen zu den Schwerpunktthemen
„Kopfpauschale / 3-Klassen-Medizin“ (Kosten der medizinischen Versorgung für
Einkommensschwache), „Rente mit 67“ (Zwangsabschläge), „Kommunen in Not“
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(Daseinsvorsorge) und „Sozialstaat“ (Wohnkosten bei der Existenzsicherung) als
besondere Themen eingebracht.
Darüber hinaus haben sich die ver.di-Erwerbslosen an etlichen Bündnissen beteiligt.
Sowohl beim zweiten (18.-21. Oktober 2007 in Cottbus) als auch beim dritten
Sozialforum (15.-18. Oktober 2009 im Wendland) waren die Erwerbslosen mit
Seminaren zur Existenzsicherung und prekären Arbeit im Rahmen der ver.di-Aktivitäten
vertreten. Außerdem waren wir beim attac-Kongress am 6.-8. März 2009 in Berlin mit
dabei. Beim 2009 gestarteten Sanktionsmoratorium gehörte der
Bundeserwerbslosenausschuss zu den Erstunterzeichnern. Probleme des Datenschutzes
in der Arbeits- und Sozialverwaltung – insbesondere in den Job-Centern – haben wir bei
den Datenschutz-Demos im September 2009 und 2010 eingebracht. Auch waren wir
bei Aktionen zum EU-Jahr der Armutsbekämpfung 2010 mit dabei.
11
8.) Tagungen
ver.di, DGB und darüber hinaus
„Wohnen zwischen Regelsatz und Mindestlohn“ war das Thema der Tagung, die wir am
27. November 2008 zusammen mit Vertreter/inne/n der Mieterverbände durchgeführt
haben.
„Existenzsicherung & Regelsatz“ lautete das Motto der Tagung am 25. November 2009,
bei der wir vor dem Hintergrund des Verfahrens beim Bundesverfassungsgericht zur
Existenzsicherung sowohl grundsätzliche rechtliche Fragen als auch alltagspraktische
Probleme von Betroffenen mit der Arbeits- und Sozialverwaltung beleuchtet haben.
„5 Jahre Hartz IV“ – prekäre Arbeitsmärkte und neue Regelsätze – war Themenkreis der
Tagung am 3. November 2010, bei der wir vor dem Hintergrund der Neuberechnung
der Hartz-IV-Regelsätze die Existenzsicherung mit und ohne Erwerbsarbeit in Angriff
genommen haben.
An weiteren Tagungen bei ver.di und im Rahmen des DGB haben wir mitgewirkt oder
teilgenommen. So haben wir 2008, 2009 und 2010 an den migrationspolitischen und
arbeitsmarktpolitischen Tagungen von ver.di teilgenommen. Im Januar 2010 haben wir
uns an der Tagung der Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen
(KOS) zu den Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) beteiligt, bei der auf die
kommunalen Verantwortlichkeiten aufmerksam gemacht wurde.
12
9.) Publikationen
In einer Reihe von Publikationen haben wir auf die Probleme von Arbeitslosigkeit und
Existenzsicherung aufmerksam machen können.
Zunächst konnte das „Recht auf Arbeit – Recht auf Faulheit“ fertiggestellt und bei der
Bundeserwerbslosenkonferenz 2007 öffentlich vorgestellt werden. In den Folgejahren
haben wir uns die vielfältigen Aktivitäten von Erwerbslosen in verschiedenen Ländern, in
der Vergangenheit und aktuell vergegenwärtigt und daraus das Buch „Erwerbslose in
Aktion“ entwickelt, das 2009 fertiggestellt werden konnte.
Fünf Jahre nach der Verkündung der Hartz-Agenda haben wir Bilanz in Sachen
Existenzsicherung gezogen und dies Ende 2008 in einer Sonderbeilage zur ver.di-
Mitgliederzeitung Publik, für die wir namhafte Autor/inn/en gewinnen konnten,
veröffentlicht. In der Zeitungsbeilage für Erwerbslose haben wir die Positionen von
Bundestagsparteien und ver.di zur Existenzsicherung durch Löhne, Soziale Sicherung
und Beschäftigungsförderung dargestellt. Beschrieben sind auch die Missverhältnisse
von Armut und Reichtum sowie das Umsichgreifen von Hungerlöhnen im Gefolge von
Hartz IV.
Eine weitere Zeitungsbeilage, das „Extrablatt“, haben wir 2010 vor dem Hintergrund
der Neuberechnung der Regelsätze zusammen mit der Koordinierungsstelle
gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen (KOS) herausgegeben. Darin haben wir
insbesondere den Zusammenhang von sozialer Mindestsicherung und Mindestlöhnen
thematisiert.
13
Mitgliederberatung
Die Mitgliederberatung vor Ort war immer wieder Gegenstand der Berichte und
Überlegungen im Bundeserwerbslosenausschuss. Außerdem haben wir uns bei der
Tagung im November 2009 eingehend mit der Erwerbslosenberatung befasst.
Darüber hinaus haben wir uns in verschiedenen Kontexten für bessere Beratungs-
bedingungen vor Ort eingesetzt. Insbesondere haben wir die Erwerbslosenberatung im
Kontext des Reorganisationsprozesses „Chance 2011“ und der dazugehörigen
„Zukunftswerkstatt“ eingebracht.
Unter dem Motto „Keiner muss allein zum Amt“ haben wir ebenso wie die
Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen (KOS) Betroffene über die
Beratung hinaus unterstützt. Nicht allen Beraterinnen und Beratern war es möglich,
selbst mitzugehen, doch konnten viele Betroffene nach entsprechender Information
ebenso gut mit Freunden und Bekannten zusammen zur Arbeits- und Sozialverwaltung
gehen und zu einer diskriminierungsfreieren und sachlicheren Atmosphäre beitragen.
Aus ihren Erfahrungen heraus haben die Beraterinnen und Berater auch das
Sanktionsmoratorium stark unterstützt.
Die Erwerbslosenberatung konnte sich in den vergangenen vier Jahren zwar nicht an
allen Orten, jedoch in der Summe weiter entwickeln. Die Akzeptanz und die
Arbeitsmöglichkeiten haben sich in etlichen Bezirken deutlich verbessert. Gleichwohl
haben wir an diesem Punkt auch in den kommenden Jahren noch viel Arbeit vor uns.
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Gremienarbeit
Zu Beginn des Jahres 2007 wurde zunächst die 2. Bundeserwerbslosenkonferenz
vorbereitet, die am 22./23. Februar 2007 in Berlin stattfand. Die ca. 100 Delegierten und
Gäste wurden von Petra Gerstenkorn als seinerzeit zuständigem ver.di-Bundesvorstands-
mitglied begrüßt. Wie schon vor vier Jahren bildete die eingehende Diskussion mit dem
ver.di-Vorsitzenden, Frank Bsirske, einen Höhepunkt der Konferenz. Unter der Leitung
des Vorsitzenden des Bundeserwerbslosenausschusses, Peter Heller, wurde die
Konferenz zügig konstituiert und konnte sich anschließend einer ausführlichen
Diskussion zum Geschäftsbericht zu widmen. Delegierte und Gäste berichteten aus den
über 60 Bezirken, in denen eine aktive gewerkschaftliche Erwerbslosenarbeit gemacht
wird. Die zahlreichen bunt bebilderten Stellwände ließen die Gewerkschaftsarbeit vor
Ort anschaulich werden. In einer ungewöhnlichen Vielzahl von Wahlgängen wurde die
Vertreterin der Erwerbslosen beim Bundeskongress und im Gewerkschaftsrat bestimmt.
Durch Zeitverzug konnte nur ein Teil der Anträge von der Konferenz selbst beraten
werden; die verbleibenden mussten an den Bundeserwerbslosenausschuss verwiesen
werden. In den Anträgen wurde die Bedeutung der Erwerbslosenarbeit vor Ort
besonders unterstrichen.
Im Kontext der vorangegangenen Landeserwerbslosenkonferenzen war es zu Fusionen
und Kooperationen von Landesbezirken bzw. Landeserwerbslosenausschüsse
gekommen – und zwar in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen durch einen neuen
ver.di-Landesbezirk und in Rheinland-Pfalz / Saar durch eine Kooperation bei den ver.di-
Erwerbslosen. Dies hat auch zu einer Veränderung der Erwerbslosenarbeit geführt.
15
Bei der ersten Sitzung des neuen BEA, die am 23./24. Mai 2007 in Berlin stattfand,
wurde Peter Heller erneut zum BEA-Vorsitzenden gewählt. Der BEA hat die Anträge
beraten, die bei der Bundeserwerbslosenkonferenz aus Zeitgründen nicht mehr
behandelt werden konnten. Außerdem wurden Papiere der Parteien und Texte von
Althaus/Straubhaar zur Existenzsicherung besprochen sowie Standpunkte dazu
beschlossen. Am Rande der Sitzung mussten wir den Kollegen Holger Menze
verabschieden, der sich in langen Jahren um die gewerkschaftliche Erwerbslosenarbeit in
außerordentlicher Weise hochgradig verdient gemacht hatte. Damit verbunden war
leider auch eine reduzierte Unterstützung der ver.di-Erwerbslosenarbeit auf
Bundesebene, da die Stelle gestrichen wurde.
Bei der ersten Sitzung des neuen BEA-Vorstands, die am 18.-20. September 2007 in
Berlin statt fand, standen die Themen Zwangsrente, Alg-Praktika & 1-€-Jobs,
Prozesskostenhilfe & Sozialgerichtsgebühren, Alg-II-Regelsatz & Mindestlohn im
Vordergrund.
Die Themen Zwangsrente & Altersarmut, Prozesskostenhilfe & Sozialgerichtsgebühren,
Alg-II-Regelsatz & Mindestlohn, Alg-Praktika & 1-€-Jobs standen bei der Sitzung des BEA
am 15./16. November 2007 auf der Tagesordnung. Diese Themen wurden auch zu
Schwerpunkten für 2008. Bei der Sitzung konnten wir das für uns seit dem Bundes-
kongress neu zuständige Bundesvorstandsmitglied, Elke Hannack, im BEA begrüßen.
Der BEA-Vorstand hatte zuvor am 14.11.2007 die Unterschriftenlisten gegen
Kostenbarrieren bei den Sozialgerichten dem Bundestagsausschuss überreicht.
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Die Themen Sozialgerichtsgebühren & Prozesskostenhilfe, Zwangsabschläge bei der
Rente & Altersarmut, Alg-II-Regelsatz & Mindestlohn, 1-€-Jobs & Alg-Praktika, Job-
Perspektiven & Kommunal-Kombi, Job-Center & Willkür standen bei der Sitzung des
BEA-Vorstands am 26.-28. Februar 2008 zur Debatte.
Die Themen Existenzsicherung und Bekämpfung der Kinderarmut durch ein besseres Alg
II und den gesetzlichen Mindestlohn, dem entsprechende Aktionen und die
Bundestagsanhörung am 16.6.08, die Regelsatzerhöhung zum 1.7.08, Probleme bei den
Kosten der Unterkunft in Verbindung mit dem Alg-II-Regelsatz, Zwangsabschläge bei
der Rente und Altersarmut, Prozesskostenhilfe und Rechtsstaatlichkeit, Job-Center und
Schutz vor Willkür, 1-€-Jobs und Alg-Praktika, Job-Perspektiven und Kommunal-Kombi
sowie die Erwerbslosenarbeit vor Ort standen im Vordergrund der BEA-Sitzung am
26./27. Mai 2008.
Die Sitzung des BEA-Vorstands am 23./24. September 2008 wurde so verschoben, dass
die Erwerbslosen am 25.9.08 an der Demonstration der Kolleg/inn/en aus dem
Gesundheitswesen „Der Deckel muss weg“ teilnehmen konnten. Auf der Tagesordnung
der Sitzung standen: Rechtsberatungshilfe und Prozesskostenhilfe; Existenzsicherung
durch verbessertes Alg II und Mindestlöhne sowie Bekämpfung der Verarmung;
Freibeträge im SGB II und SGB XII; Workfare-Konzepte zur Lohnsenkung / 1-€-Jobs und
Alg-Praktika / Job-Perspektiven und Kommunal-Kombi; Neuausrichtung der
Arbeitsmarktinstrumente / Hartz V; Probleme bei den Kosten der Unterkunft in
Verbindung mit dem Alg-II-Regelsatz; Struktur der Job-Center und Schutz vor Willkür;
Umsetzung der Beschlüsse des Bundeskongresses; Mitgliederorientierung (Chance 2011)
in der ver.di-Erwerbslosenarbeit; die Erwerbslosenarbeit vor Ort sowie die
Jahresplanung 2009.
17
Die Themen Existenzsicherung bei den Kosten der Unterkunft in Verbindung mit dem
Alg-II-Regelsatz; Existenzsicherung durch verbessertes Alg II und Mindestlöhne sowie Bekämpfung der Verarmung; Zwangsrente und Freibeträge im SGB II und SGB XII; Workfare-Konzepte zur Lohnsenkung / 1-€-Jobs und Alg-Praktika / Job-Perspektiven und Kommunal-Kombi; Neuausrichtung der Arbeitsmarktinstrumente alias Hartz V; Rechtsberatungshilfe und Prozesskostenhilfe; Struktur der Job-Center und Schutz vor
Willkür; Mitgliederorientierung in der ver.di-Erwerbslosenarbeit (Chance 2011); die Erwerbslosenarbeit vor Ort sowie die Jahresplanung 2009 standen auf der Tagesordnung der BEA-Sitzung am 26./28. November 2008. Außerdem wurden die Erwerbslosen in Südwestdeutschland zur Teilnahme an der Demo der Gewerkschaften am Dienstag, dem 16.12.08, in Straßburg aufgerufen.
Die Themenschwerpunkte 2009 und Aktionen 2009 (KOS + ver.di + IG Metall + DGB +
attac + Sozialforum); Mindestlohn und Regelsatz/Wohnkosten (inkl. Kinderarmut &
Altersarmut); Zwangsrente und Altersarmut (inkl. Freibeträge SGB II / SGB XII); Schutz
vor Willkür und Sanktionen: Beratungshilfe - Prozesskostenhilfe – Sozialgerichts-
gebühren; 0-Euro-Jobs (1-€-Jobs, Alg-II-Praktika) und öffentlich geförderte
Beschäftigung (Job-Perspektiven, Kommunal-Kombi); EU-Freizügigkeiten (Migration &
Arbeitsmärkte); Zukunft der Job-Center; Neuausrichtung der Arbeitsmarktinstrumente
(“Hartz V“); aktuelle Lage und Arbeit vor Ort; Projekt Mitgliederwerbung und
Mitgliederhaltearbeit; Debatte um ver.di-Leistungen für Mitglieder (Chance 2011);
Vertretung der Erwerbslosen im GR; die Erwerbslosenzeitung 2009 standen im
Vordergrund der BEA-Vorstandssitzung am 16.-18. Februar 2009. Außerdem wurden
die Erwerbslosen zur Beteiligung beim 1. Mai 2009 und zur Teilnahme an der
Demonstration am 16. Mai 2009 in Berlin sowie zu weiteren Aktivitäten aufgerufen.
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Die Auswertung und Fortsetzung der Aktionen 2009 (KOS + ver.di + IG Metall + DGB +
attac + Sozialforum); Erwerbslosenzeitung 2009; Einschätzung der Wahlprogramme
2009 und der politischen Perspektiven 2010; Mindestlohn und Regelsatz/Wohnkosten
(insbes. Kinder- und Familienarmut); Öffentlich geförderte Beschäftigung (Job-
Perspektiven, Kommunal-Kombi), 0-Euro-Jobs (1-€-Jobs, Alg-II-Praktika) und
ehrenamtliche Aktivitäten; Schutz vor Willkür und Sanktionen / Beratungs- und
Prozesskostenhilfe; Zwangsrente und Altersarmut / Freibeträge SGB II und SGB XII;
Verarmung und Vertafelung; Neuausrichtung der Arbeitsmarktinstrumente (“Hartz V“)
und Lage der Frauen am Arbeitsmarkt; Zukunft der Job-Center; Mitgliederwerbung und
Mitgliederhaltearbeit; Debatte um ver.di-Leistungen für Mitglieder (Chance 2011);
Vertretung der Erwerbslosen im GR; Gewerkschaftliche Erwerbslosenarbeit vor Ort
(Beratung, Kooperationen und Aktionen) standen bei der BEA-Sitzung am
27./28. Mai 2009 zur Debatte. Ferner wurde eine Nachwahl zum BEA-Vorstand
vorgenommen, da ein Mitglied zu den Senior/inn/en gewechselt hat.
Die Auswertung der Aktionen im Vorfeld der Bundestagswahlen; unsere
Schwerpunktthemen nach den Wahlen; Debatte um die Kindergrundsicherung
(Ablehnung der Pauschalierungsmodelle; Erwartungen an das
Bundesverfassungsgericht); Verbesserung des Kinderzuschlags; Ablehnung einer
„Vertafelung“ der Existenzsicherung; Zwangs- und Armutsrenten; Kontext Mindestlohn
und Regelsatz; Alg II und Wohnungspolitik; Gesundheitskosten und Alg II; EU-Jahr-2010
zur Armutsbekämpfung; existenzvernichtende Sanktionen und das
Sanktionsmoratorium; Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Beratungshilfe;
Aktivitäten der Bundesländer zur Einschränkung der Rechtsstaatlichkeit für Arme;
Verdrängung am Arbeitsmarkt durch Verleihung von 0-Euro-Jobber/innen in die
Privatwirtschaft; öffentlich geförderte Beschäftigung (Entgeltvariante, Job-Perspektiven,
19
Kommunal-Kombi), 1-Euro-Jobs und ehrenamtliche Aktivitäten; Zukunft der Job-Center;
Datenschutz beim Alg I und Alg II; Massenentlassungen 2009/2010; Planung 2010;
Organisationswahlen; Beitragsüberprüfungsverfahren standen auf der Tagesordnung der
Sitzung des BEA-Vorstands am 23./24. September 2009.
Die grundlegenden und weit gefächerten Fragen der Existenzsicherung und die
Anhörung vor dem Bundesverfassungsgericht standen im Vordergrund der BEA-Sitzung
am 26./27. November 2009. Außerdem befasste sich der BEA mit den Schwerpunkten
für 2010 sowie mit den bevorstehenden Organisationswahlen, insbesondere mit der
Unterstützung der ersten Mitgliederversammlungen vor Ort, die für das Frühjahr 2010
angesetzt waren.
Die laufenden Organisationswahlen, Gewerkschaftsarbeit vor Ort (Erwerbslosen-
beratung, Aktionen, Arbeitsmöglichkeiten, Organisationswahlen), Folgen des Urteils des
Bundesverfassungsgerichts, Wohnkosten beim Alg II (KdU), Krankenkassenbeiträge und
Kopfpauschale, Job-Center-Debatten und -Strukturen, EU-Jahr 2010 zur
Armutsbekämpfung, Regelsatz & Mindestlohn, Kinderarmut & Altersarmut
(Zwangsabschlagsrente mit 63, Rente mit 67), Beratungshilfe-Prozesskostenhilfe-
Sozialgerichtsgebühren, Schutz vor Willkür und Sanktionen, 1-Euro-Jobs und öffentlich
geförderte Beschäftigung waren Schwerpunkte bei der Sitzung des BEA-Vorstands am
24.-26. Februar und des BEA am 5./6. Mai 2010. Parallel dazu liefen die
Organisationswahlen örtlicher und bezirklicher Ebene, neue Erwerbslosenausschüsse
wurden gewählt, die Landeserwerbslosenkonferenzen für den Herbst 2010 vorbereitet.
Auf der Bundesebene wurden die Vorbereitungen für die Bundeserwerbslosenkonferenz
begonnen.
20
Aktionen gegen den Sozialabbau (insbesondere Beteiligung an den Aktionen Gerecht-
geht-anders); das neue SGB II und die Bildungschips für Kinder; Kopfpauschale und
Verschlechterungen in der Gesundheitsversorgung; Bürgerarbeit und öffentlich
geförderte Beschäftigung; Schutz vor Willkür und Sanktionen: 1 Jahr
Sanktionsmoratorium; Regelsatz & Mindestlohn / Kinderarmut & Altersarmut;
Gefährdungen für Beratungs- und Prozesskostenhilfe; Arbeitsplanungen und Berichte
waren Schwerpunkte der Sitzung des BEA-Vorstands am 15./16. September 2010. Am
16.9.2010 beteiligte sich der BEA-Vorstand an der Aktion vor dem Bundestag gegen die
soziale Schieflage in der Politik und die Kürzungen beim Alg II. Die Organisationswahlen
hatten zwischenzeitlich die Ebene der Landesbezirke erreicht: erste
Erwerbslosenkonferenzen wurden durchgeführt, andere wurden vorbereitet. Tendenzen
einer weiteren Verbesserung der gewerkschaftlichen Erwerbslosenarbeit waren sichtbar
geworden.
Über die Organisationswahlen hinaus waren am 4./5. November 2010 die
Erwerbslosenberatung vor Ort, die Kampagne Gerecht-geht-anders, die aktuelle
Regelsatzdebatte, Änderungen beim SGB II / SGB XII, Kopfpauschale und
Gesundheitsversorgung, Kinder- und Altersarmut, Beratungs- und Prozesskostenhilfe,
Willkür und Sanktionen, Bürgerarbeit und 1-Euro-Jobs, Job-Center-Reorganisation sowie
die Schwerpunkte für 2011 Gegenstand der Beratungen des BEA.
21
Existenzsicherung mit und ohne Arbeit
Im Lauf der vergangenen vier Jahre wurde zunehmend deutlich, dass eine bessere
Existenzsicherung sich nicht nur auf die Erhöhung der Regelsätze und die Einführung
eines gesetzlichen Mindestlohns beschränken kann.
Von überragender Bedeutung ist die Frage der Wohnkosten, der Kosten für
Unterkunft und Heizung (KdU). Wir haben dieses Thema daher verstärkt in den
Sitzungen und erstmals in einer Tagung 27. November 2008 aufgegriffen. Ganz
besonders haben wir auf die Mechanismen hingewiesen, mit denen der Regelsatz
ausgehöhlt wird, wenn die Wohnkosten bei der Grundsicherung des SGB II nicht
ausgeglichen werden. Mit Hilfe von Pauschalierungen möchten die Kommunen die
Kosten auf Erwerbslose, Geringverdiener/innen und Familien abwälzen.
Gegen diese verfehlte Politik haben wir uns zusammen mit der Koordinierungsstelle
gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen (KOS), die vom 10.-12. Mai 2010 in Lage-
Hörste dazu eine Tagung veranstaltete, anderen Erwerbslosenverbänden und den
Gewerkschaften gewendet und auf die bundes- und kommunalpolitischen
Verantwortlichkeiten für kommunale Wohnungsmärkte, börsengesteuerte
Immobilienmärkte und vernachlässigte Mieterpolitik aufmerksam zu machen.
Insbesondere die Kommunen wollen eine Pauschalierung und Kommunalisierung der
Miet- und Heizkosten, was genau zu der befürchteten Absenkung der Existenzsicherung
führen würde. Wir haben bei diesem Thema auf der Bundesebene sowohl mit Experten
und als auch mit Bündnispartnern zusammen aufgearbeitet und auf die Notwendigkeit
der Thematisierung vor Ort hingewiesen.
22
Davon ausgehend haben wir eine Reihe weiterer Faktoren thematisiert, die für eine
Existenzsicherung über den Mindestlohn, die Regelsätze und die KdU hinaus von
elementarer Bedeutung sind:
- Gute öffentliche Infrastrukturen bzw. eine umfassende Daseinsvorsorge,
- Eine Zugängliche, gute Gesundheitsversorgung,
- Ein zugänglicher Rechtsstaat,
- Eine auf Existenzsicherung ausgerichtete Arbeits- und Sozialverwaltung.
Bei der Ausarbeitung der Themen- und Arbeitsschwerpunkte für 2009 hat der
Bundeserwerbslosenausschuss die umfassendere Sicht auf die Existenzsicherung erstmals
aufgearbeitet; in den folgenden Jahren haben wir sie stetig weiterentwickelt. Vor
diesem Hintergrund haben wir auch das 2009 begründete Sanktionsmoratorium
nachdrücklich unterstützt und das Ziel der Armutsbekämpfung der EU 2010 begrüßt,
wenngleich die Bundesregierung eher mehr als weniger Armut herbeiführt.
Kinder sind ganz besonders auf eine umfassende Existenzsicherung angewiesen. Hinzu
kommen für sie:
eine Existenzsicherung ihrer Eltern durch existenzsichernde Mindestlöhne und
existenzsichernde Regelsätze sowie mehr Löhne, von denen Eltern ihre Kinder auch
ernähren können;
altersgemäß differenzierte Regelsätze und umfassende Mehrbedarfe;
Regelsatzerhöhungen, die den im Steuerrecht beim Existenzminimum
veranschlagten Bildungs- und Erziehungsbedarf der Kinder von 180 Euro
monatlich berücksichtigen;
eine Erhöhung und eine bedarfsgerechtere Ausgestaltung des Kinderzuschlags,
der sich anstelle einer Pauschale an bedarfsdeckenden Regelsätzen für Kinder und
Jugendliche ausrichten muss;
eine differenzierte und bedarfsgerechte Ausgestaltung des Kinderfreibetrags im
Steuerrecht sowie
zugängliche, kostenfreie, gute Betreuungs- und Bildungseinrichtungen,
insbesondere Kindertagesstätten und Schulen, die ganztags zugänglich sind.
Die Existenzsicherung der Kinder kann nicht von der Absicherung der Eltern losgelöst
werden. Insofern spielt auch ein Recht auf eine existenzsichernde Erwerbsarbeit für die
Eltern, für die Existenzsicherung der Kinder eine wichtige Rolle. Verbesserungen beim
Kindergeldzuschlag kommt in dem Zusammenhang eine große Bedeutung zu.
Gegen Kinderarmut helfen existenzsichernde Mindestlöhne, bedarfsgerechte
Regelsatzerhöhungen und differenzierte Kindergeldzuschläge sowie kostenfreie gute
Infrastrukturen für Kinder und Jugendliche – nicht jedoch eine steuerrechtliche
Kindergrundsicherungspauschale, die als Abschaffung von Hartz IV für Kinder deklariert
wird, tatsächlich jedoch die Hartz-IV-Grundsicherung von Millionen von Kindern und
Eltern durch die Abschaffung aller sozialen Leistungen fundamental verschlechtert. Das
Modell einer künstlichen Isolierung der Kindergrundsicherung übersieht: die Beendigung
von Kinderarmut ist ohne die Beendigung der Armut der Eltern und ohne die
Beendigung der Armut an guten kindergerechten öffentlichen Infrastrukturen nicht
23
möglich. Bessere finanzielle Leistungen für die Kinder und Familien müssen prioritär auf
mehr Bedarfsgerechtigkeit statt auf Pauschalierung ausgerichtet werden.
Die Grundsicherung des SGB II ist eng mit der Grundsicherung des SGB XII verbunden,
der Existenzsicherung im Alter und bei Behinderungen. Wiederholt haben wir uns
mit den Verwerfungen zwischen dem SGB II und dem SGB XII befasst (z.B. bei den
Freibeträgen). Ausgehend von der Grundsicherung des SGB wird das steuerfreie
Existenzminimum berechnet, das erheblichen Einfluss auf die Nettolöhne hat.
Weder die Regelsätze selbst (Eckregelsatz von 345 Euro seit dem 1. Januar 2005) noch
die Anhebungen der Regelsätze
- zum 1. Juli 2007 um ca. 0,5 % bzw. 2 Euro auf 347 Euro,
- zum 1. Juli 2008 um ca. 1,1 % bzw. 4 Euro auf 351 Euro und
- zum 1. Juli 2009 um ca. 2,2 % bzw. 8 Euro auf 359 Euro
sind existenzsichernd bzw. bedarfsdeckend. Die Abhebung gleicht noch nicht einmal die
Inflationsrate aus, was im Ergebnis eine reale Absenkung ergibt. Mit der von uns
unterstützten Forderung von zunächst 420 Euro in einem ersten Schritt ist es gelungen,
in ver.di und darüber hinaus eine breite Mehrheit für eine deutliche Anhebung der
Regelsätze zu gewinnen und eine Forderungsplattform zu etablieren, die im Kontext der
Mindestlohndebatte zur Aktualisierung der Regelsatzforderungen auf 435 Euro
beigetragen hat.
Vor diesem Hintergrund hat die Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher
Arbeitslosengruppen (KOS) die Existenzsicherung von Familien bzw. von Kinder in den
Fokus gerückt. Die ver.di-Erwerbslosen haben die sogenannte Kinderkampagne
24
(Reiches Land - arme Kinder) wesentlich mit getragen. Die Aktivitäten von
Erwerbslosen und Gewerkschaften zur Bekämpfung der wachsenden Armut durch
Hartz IV (insbesondere der Kinderarmut) sowie das Engagement anderer Akteure und
Verbände haben 2008 dazu geführt, dass die Brisanz der Probleme im Herbst 2008
ihren Niederschlag im Regierungshandeln gefunden haben.
Im Zusammenhang mit der Erhöhung des Kindergeldes wurde eine Schulbeihilfe von
100 Euro pro Jahr für Kinder, die der Unterstützung durch Sozialgeld bedürfen,
eingeführt. Allerdings gibt es die Schulbeihilfe nur bis zum 10. Schuljahr, wodurch für
Hartz-IV-Kinder der Weg zum Abitur verstellt wird. Dagegen haben wir nachdrücklich
Position bezogen und intensive Diskussionen ausgelöst. Allerdings konnte nicht
verhindert werden, dass Hartz-IV-Kinder nur bis zur 10. Klasse gefördert werden. Wir
sind zusammen mit anderen Akteuren an dem Thema drangeblieben und konnten
schließlich erreichen, dass Kinder bis zum Abitur unterstützt werden.
Außerdem hat die Bundesregierung Kindergeldzuschläge eingeführt, die Familien aus
dem Hartz-IV-System herausführt, wenn die Eltern zwar ihre eigene Existenz, aber nicht
die der Kinder bestreiten können.
Über die Frage der Bildungskosten insbesondere der Kinder hinaus haben wir auch zur
Hinterfragung des Eckregelsatzes für Erwachsene mit bewirkt. In diesem Kontext stehen
sowohl die entsprechenden parlamentarischen Aktivitäten der Oppositionsparteien als
auch die rechtlichen Auseinandersetzungen um das Existenzminimum, die schließlich
doch vom Bundesverfassungsgericht behandelt wurden.
Der Arbeits- und Sozialausschuss des Bundestags führte auf der Grundlage von drei
Anträgen der Oppositionsparteien (Linke und Grüne), die auf Diskussionen und
gewerkschaftlichen Aktivitäten im Jahr 2007 zurückgehen, am 16. Juni 2008 eine
Expertenanhörung durch. Dabei war man sich weitgehend einig, dass die
Grundsicherung besser und transparenter ermittelt werden muss. Die Expertinnen und
Experten sahen für Kinder besonderen Handlungsbedarf. Ihr Regelsatz sollte nicht von
dem der Erwachsenen bzw. der Rentner/innen abgeleitet werden, sondern eigens
definiert werden. Vereinzelt gab es Zwischentöne, mit einem Remix aus
Pauschalierungen und Individualisierungen Leistungskürzungen in die Wege zu leiten.
Der eminente Zusammenhang zwischen Regelsatz und Mindestlohn wurde in der
Anhörung sehr deutlich. Insbesondere aus FDP-Kreisen kamen Stimmen, mit Workfare
und Alg II den Niedriglohnsektor auszuweiten. Überwiegend ließen die Expert/inn/en
erkennen, dass es um mehr Transparenz, eine bessere Alltagstauglichkeit und eine
Erhöhung der Sätze gehen sollte. Für den 16. Juni hatten viele Erwerbslose zu Aktionen
aufgerufen (s.o.: Aktionen).
Zum Ende des Jahres 2008 gelang es dem hessischen Landessozialgericht erstmals
das SGB II bzw. die unzureichende Existenzsicherung beim Bundesverfassungsgericht
(BVerfG) anhängig zu machen. Jahrelang hatte das BVerfG alle anderen Klagen gar nicht
zur Entscheidung angenommen. Am 20. Oktober 2009 fand die öffentliche
Verhandlung beim BVerfG statt. Einer der drei Kläger wurde dabei von ver.di vertreten;
die Erwerbslosen haben örtliche Aktivitäten durchgeführt.
25
Am 9. Februar 2010 hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) sein erstes
eingehendes Urteil zu den seit 2005 bestehenden neuen Grundlagen der
Existenzsicherung im Sozialgesetzbuch (SGB II und SGB XII) gesprochen. Es hat die in
Artikel 20 verankerte sozialstaatliche Grundsicherung auf das Fundament der
Menschenwürde in Artikel 1 gestellt. Über pauschalierte Regelleistungen hinaus hat das
BVerfG ein Recht auf zusätzliche Leistungen in Härtefällen anerkannt. Die Ermittlung der
Höhe von pauschalen Regelsätzen für den allgemeinen Lebensunterhalt unterliegt dem
Gebot eines transparenten und adäquat begründeten Verfahrens, das vom Gesetzgeber
selbst vorzunehmen bzw. offenzulegen ist. Der Bedarf von Kindern ist eigenständig zu
ergründen und kann nicht als Ableitungsgröße von Regelleistungen für Erwachsene
bestimmt werden. Zudem hat das Gericht die Rentenformel als ungeeignet zur
Anpassung der Existenzsicherung an die Teuerungsrate verworfen.
Die Gewährleistung der Menschenwürde bzw. des Existenzminimums ist eine Aufgabe
Staates selbst. Das Ansinnen neoliberaler Kreise, die Existenzsicherung aus den
Kernverpflichtungen des Verfassungsstaates herauszustreichen und in die Beliebigkeit
von wohltätigen Sammlungen zu stellen, wurde vom Gericht verworfen. Implizit wurde
damit auch die wirtschaftsliberale Attitüde zurückgewiesen, mit Proklamationen zu
Lohnabständen eine menschenwürdige, sozialstaatliche Existenzsicherung zu
torpedieren. Zum Leidwesen von neokonservativ ausgerichteten Medienunternehmen
und der FDP wurde damit zugleich ein Maßstab für existenzsichernde Lohnniveaus
stabilisiert, was von ihnen im Rahmen einer medialen Hetzkampagne als „römische
Dekadenz“ bezeichnet wurde.
26
Die Unternehmensverbände (BDI, BDA, DIHT, usw.) fordern eine Absenkung der
Regelsätze um 30 %. Einige Wirtschaftslobbyisten wollen den Regelsatz sogar komplett
streichen und an eine Arbeitspflicht – natürlich zum Null-Tarif (!) – koppeln. Die
Einführung eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns lehnen sie ebenso wie die FDP
und die CDU (mit Ausnahme der CDA) entschieden ab. CDU/CSU und FDP begrüßen
vielmehr das Hartz-IV-System als flächendeckendes Kombilohn-Modell, das zugleich
geeignet ist, die Regelsätze und die Löhne real abzusenken.
Dementsprechend spielten Workfare-Modelle für Unternehmenskreise und die FDP in
den vergangenen Jahren (insbesondere 2008/2009) eine zunehmend größere Rolle, mit
Auswirkung insbesondere bis ins Bundeswirtschaftsministerium.
Arbeitsmarktprogramme wie „Job-Perspektiven“ und „Kommunal-Kombi“, die eine
existenzsichernde, tariflich orientierte Bezahlung, die Anwendung des Arbeits- statt des
Sozialrechts sowie teilweise eine Sozialversicherung vorsehen, werden von
Unternehmensvereinigungen vehement abgelehnt, da sie nicht geeignet sind, die Löhne
zu senken. Unter dem Strich ist es den Regierungen seit Einführung von Hartz IV
tatsächlich gelungen, sowohl die Löhne als auch die Regelsätze real schrittweise zu
senken.
In diesem Zusammenhang wurden zunächst in Sachsen-Anhalt, dann auch in Bayern
unter dem Stichwort „Bürgerarbeit“ einzelne Modellprojekte durchgeführt. 2010 fand
eine bundesweite Ausdehnung statt. Die sogenannten 1-Euro-Jobs befanden sich auch
in den vergangenen Jahren auf einem konstant hohen Niveau von durchgängig rund
300.000 „Plätzen“ im Jahr, womit im Laufe eines Jahres rund 700.000 Personen erreicht
wurden. Der Verdrängungs- und Lohndumpingeffekt war insbesondere in den sozialen
Dienstleistungsbereichen (Pflege, Gesundheit, Erziehung, Bildung, Kultur) deutlich zu
spüren. Nur wenige Bundesländer, nicht aber die Bundesregierungen, haben sich
entschlossen, existenzsichernde, öffentlich geförderte Beschäftigung zur Verfügung
27
zu stellen, die tariflich vergütet wird. Auch andere Programme (Job-Perspektiven,
Kommunal-Kombi) haben gezeigt, dass eine tarifliche Vergütung ganz erheblich dazu
beiträgt, die Verdrängung regulärer Arbeit einzuschränken.
Gleichwohl haben und werden wir natürlich Kolleginnen und Kollegen, die sich in
derartigen Maßnahmen befinden, zu ihren Rechten und Möglichkeiten beraten. Die
Behandlung in einigen Maßnahmen ist recht unwürdig. Kolleginnen und Kollegen
unterliegen dem Sanktionsdruck.
Als ver.di-Erwerbslose haben wir uns immer wieder mit Workfare-Modellen befasst und
unsere Stimme dagegen erhoben. Es ist uns gelungen, eine weit verbreitete
„Blauäugigkeit“ in ver.di-Kreisen überwinden zu helfen und zu einer Beschlusslage
beizutragen, die Workfare-Modelle, Lohndumping und Verdrängung regulärer Arbeit
eindeutig ablehnt. Ermöglicht wurde dies mit Hilfe von qualitativ hochwertigen
Positionen, die in den vergangenen Jahren geeignet waren, bei ver.di auch in die Breite
der Organisation hineinzuwirken. Es ist uns auch gelungen, zur Problematisierung der
sogenannten Alg-Praktika beizutragen, bei denen es insbesondere in den Kommunen
einen hohen Grad an Missbrauch gab.
Bei den 2008 vorgelegten Gesetzesplänen zur Neuausrichtung der
arbeitsmarktpolitischen Instrumente spielten Workfare-Elemente (insbesondere Alg-
Praktika) ebenso eine Rolle wie die damit verknüpften Sanktionen. An den Diskussionen
zur Ausarbeitung einer ver.di-Position waren die Erwerbslosen insbesondere was die
Änderungen beim SGB II angeht beteiligt. Die Labilität, die bislang vor allem im SGB II zu
finden war, wurde 2008 verstärkt Eingang ins SGB III übertragen. Wie beim Alg II sollen
nun auch beim Arbeitslosengeld (Alg I) die Arbeitslosen verstärkt in Niedriglöhne
gedrückt werden können. Die Gesetzesnovelle versäumte, das SGB II und das SGB III
stärker zusammenzuführen und die massive Verdrängung regulärer Arbeit bzw. die 1-€-
Jobs abzuschaffen.
28
Mit den Gesetzesänderungen wurden die Unverbindlichkeiten und der hohe
Sanktionsdruck bis hin zur Existenzvernichtung, die bislang vor allem im SGB II zu
finden waren, verstärkt ins SGB III übertragen. Wie beim Alg II sollen nun auch beim
Arbeitslosengeld (Alg I) die Arbeitslosen aus mittleren und höheren Lohngruppen
verstärkt in Niedriglöhne gedrückt werden können. Die Positionen der gewerkschaftlich
organisierten Erwerbslosen konnten im Anhörungsverfahren im Bundestag am
24. November 2008 auf Initiative der Linkspartei hin vorgestellt werden. Die
Gesetzesänderungen haben es versäumt, die massive Verdrängung regulärer Arbeit
bzw. die 0-€-Jobs abzuschaffen und das SGB II und das SGB III stärker
zusammenzuführen (mehr dazu: siehe Arbeitsmarktpolitik).
Die Gesetzgebung von Bundestag und Bundesrat war in Folge eines Urteils des
Bundesverfassungsgerichts vom 20. Dezember 2007 von 2008 bis 2010 stark durch die
Diskussion um die Trägerschaft und Binnenstruktur der Job-Center bestimmt. Bei ver.di
wurde auf Bundesebene eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich aus Vertreter/inne/n
des Fachbereichs (FB) 7 - Gemeinden / Sozialverwaltung, des FB 4 Sozialversicherungen /
Arbeitsverwaltung sowie der Erwerbslosen und der Frauen zusammensetzte. Die
Vertreter/innen des FB Gemeinden hatten keinerlei Problembewusstsein zu ihrer
Verantwortung in Bezug auf die Absenkung und Pauschalierung der Wohnkosten und
wenig Problembewusstsein in Bezug auf Arbeitsmärkte, Maßnahmen und Sanktionen.
Als Erwerbslose haben wir uns für ein stärkeres Zusammenführen der Regelkreise SGB II
/ Alg II und SGB III / Alg I und gegen eine stärkere Rolle der Optionskommunen, für eine
bessere Qualifizierung und die Stabilisierung der Arbeitsverhältnisse in den Job-Centern
ausgesprochen.
29
Unmittelbar nach dem Regelsatz-Urteil des BVerfG hat sich das Bundesministerium für
Arbeit und Soziales (BMAS) im Februar 2010 daran gemacht, die vom Gericht sofort in
Kraft gesetzten Härtefallklauseln in möglichst restriktive Regelungen zu fassen. Im
März hat die Bundesagentur für Arbeit dazu einschlägige Verwaltungsvorschriften
bekannt gegeben, die das Ziel erkennen lassen, nur das zu bestätigen, was Gerichte
ohnehin vorgeben.
Mit dem Sozialversicherungsstabilisierungsgesetz, das am 16. April 2010 in Kraft trat,
wurde unter anderem der Freibetrag für Altersvorsorgevermögen beim Alg II von
250 Euro pro Lebensjahr auf 750 Euro (in der Summe derzeit ein Betrag von bis zu
48.000 Euro) angehoben. Ein Geschenk an die Versicherungswirtschaft, das auch
etlichen Erwerbslosen zu Gute kommen kann.
Im Mittelpunkt der Erwerbslosenarbeit standen 2010 die Auswirkungen der Kürzungen
der Bundesregierung bei sozialen Ausgleichsleistungen, um die Kosten der Krise der
Finanzmärkte zu begleichen. Gestrichen wurden das Elterngeld, die Beiträge zur
Rentenversicherung und der befristete Zuschlags beim Übergang von Alg I zu Alg II.
Begleitet wurde dies durch Kürzungen bei den Eingliederungsmitteln für aktive
Maßnahmen. Ferner wurde der Heizkostenzuschuss beim Wohngeld gestrichen und die
Absenkung der KdU vorbereitet. Die Milliardenkürzungen treffen insbesondere die
Ärmsten der Gesellschaft und ihre Familien.
Darüber führte die Bundesregierung in der Gesundheitsversicherung eine
Kopfpauschale in Form eines Zusatzbeitrags ein. Diesen müssen Erwerbstätige sowie
Bezieher/innen von Arbeitslosengeld (Alg I) und Renten zahlen; je nach Krankenkasse
aber auch Bezieher/innen von Alg II. Der Sozialausgleich ist so angelegt, dass er im Lauf
30
der kommenden Jahre schrittweise zu immer höheren Zusatzbeiträgen und zu immer
mehr Hilfebedürftigkeit wegen Krankenversicherungsbeiträgen führen wird. Damit
werden prekär Beschäftigte und Erwerbslose in größere Existenznöte und eine stärkere
Unterversorgung führen.
Vor diesem Hintergrund haben sich die ver.di-Erwerbslosen intensiv an den
Herbstaktivitäten der Gewerkschaften beteiligt (s.o.: Aktionen).
Im Rahmen der Rentendebatte wenden sich die Erwerbslosen insbesondere gegen die
Rentenkürzungen durch den Zwang zur Abschlagsrente mit 63 Jahren, die viele
Betroffene, insbesondere Frauen, in die Altersgrundsicherung treibt – erst recht
angesichts der real völlig aussichtsloser Arbeitsmarktchancen im Alter von 63 Jahren bis
67 Jahren für Arbeitsuchende.
Die Stärkung der Kommunen und der Daseinsvorsorge ist ein zentrales Anliegen der
Erwerbslosen, deren Existenzsicherung von der Dualität von Regelsatz und kommunalen
Leistungen abhängig ist.
Im Rahmen der Gesundheitsdebatte wenden sich die Erwerbslosen gegen die
Ausweitung und Vertiefung der Zwei- bzw. Drei-Klassen-Medizin, die durch die
Einführung der Kopfpauschale verstärkt werden wird.
Darüber hinaus bestanden bis Januar 2011 bei der Gesundheitsversorgung
gravierende Probleme mit den verschiedenen Mindestbeiträgen zur sozial-gesetzlichen
und zur privat-kommerziellen Krankenversicherung, in deren Folge viele prekär
Beschäftigte und Erwerbslose unter das Existenzminimum und in eine gesundheitliche
Unterversorgung gedrängt werden. Dies konnte ver.di am 7. Juli 2010 bei der Anhörung
im Gesundheitsausschuss des Bundestages deutlich machen. Durch ein Urteil des
Bundesverfassungsgerichtes wurde die Bundesregierung 2011 gezwungen die
Beitragslücke aus Mitteln für die Existenzsicherung zu begleichen.
Die im Herbst von der Bundesregierung vorgelegten neuen Regelsätze für Erwachsene
und Kinder entpuppten sich bei näherem Hinsehen als eine reale und nachhaltige
Absenkung des Existenzsicherungsniveaus im reichen Deutschland: Die Referenzgruppe
der Erwachsenen wurde um mehr als 5 % abgesenkt und der Regelsatz real gekürzt. Die
Leistungen für Kinder und Jugendliche wurden real und mittelfristig auch nominell
gekürzt. Die Ausgaben für Bildung und Teilhabe der Schulkinder wurden viel zu niedrig
angesetzt und aus den Haushalts- und Regelsatzkürzungen finanziert. Unter dem Strich
hat sich ein dickes Minus für die in Armut lebenden Menschen ergeben. Bei näherer
Analyse musste auch festgestellt werden, dass die Vorgaben des BVerfG nicht beachtet
wurden. Immerhin konnte die Streichung der Freibeträge für erwerbstätige Mini-
Jobber/innen, die die FDP durchführen wollte, verhindert werden.
31
Für eine bessere Existenzsicherung benötigen Erwerbslose und prekär Beschäftigte
weit mehr als im Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag und Bundesrat zur Debatte
stand:
- Die Erhöhung des Eckregelsatzes zur sozialen Existenzsicherung auf 435 Euro,
bessere und differenzierte Regelsätze für Kinder und Jugendliche, umfassende
Beachtung der Mehrbedarfe im Individual- und Härtefall sowie ein kostenfreier
Zugang zur Bildung von der Kindertagesstätte bis zur Hochschule.
- Die korrekte Übernahme der Wohnkosten beim Alg II, damit das
Existenzminimum für prekär Beschäftigte und Erwerbslose nicht indirekt
abgesenkt wird.
- Eine umfassende, gute Gesundheitsversorgung auch für Einkommensarme.
- Altersübergänge ohne erzwungene Rentenabschläge und Verhinderung von
Altersarmut.
- Bürgerfreundlich, sozial- und rechtsstaatlich handelnde Job-Center sowie
Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung bei der Arbeits- und
Sozialverwaltung.
- Schutz vor Willkür und ein tatsächlicher Zugang zum Rechtsstaat für Alle.
- Ablehnung existenzvernichtender Sanktionen bei der sozialen Mindestsicherung.
- Ein Recht auf existenzsichernde, gute Arbeit an Stelle von Workfare und
Hungerlöhnen.
- Die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro
pro Stunde, damit Armutslöhne und ergänzendes Arbeitslosengeld II vermieden
werden.
32
Das sozialrechtliche Existenzminimum wirkt sich auch auf das steuerfreie
Existenzminimum aus, stellt einen Maßstab für existenzsichernde Löhne dar und
bestimmt die absolute Armutsschwelle.
Eine Pauschalierung und Absenkung des Existenzminimums – wie die Konzepte von
Kreisen, Kommunen und Bundesregierung zur Pauschalierung der Wohn- und
Heizkosten, das Bürgergeld der FDP, das Kinderbürgergeld von ZFF und AWO, das
bedingungslose Grundeinkommen à la Althaus/Straubhaar und ähnliche Konzepte
vorsehen – lehnen die ver.di-Erwerbslosen ab. Vielmehr geht es um eine
bedarfsdeckende, differenzierte Sicherung des sozio-kulturellen Existenzminimums.
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