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Gestaltung des Lernortes für ein Kind im
Autismus-Spektrum
Wie muss ein Lernort gestaltet sein, damit die Integration eines Kin-
des im Autismus-Spektrum gelingen kann?
Bachelorarbeit Studienjahrgang PR 16
Verfasserin:
Milena Tschopp
Sonnrain 16
6252 Dagmersellen
eingereicht am:
03.05.2019
bei:
Marcel Bühlmann
Fachkreis:
Bildungs- und Sozialwissenschaften
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
I
Abstract
„Das autistische Kind gibt es nicht. Jedes autistische Kind ist anders. Jedes autistische Kind
ist eine neue Herausforderung für die Lehrkraft“ (Schuster, 2016, S. 9).
Die Lehrperson trifft im Kontext ihres Erziehungs- und Bildungsauftrags eine Vielzahl von
herausfordernden und komplexen Situationen an. Ein Kind im Autismus-Spektrum (AS) in
die Regelschule zu integrieren, ist eine von diesen herausfordernden Situationen. Eines von
100 Kindern ist von Autismus betroffen. Die Wahrscheinlichkeit ist gross, in der Arbeit als
Lehrperson Verantwortung für die schulische Förderung von Kindern im AS zu übernehmen.
In der vorliegenden Arbeit wird untersucht, wie der Lernort für ein Kind im AS gestaltet sein
muss, damit die Integration in die Regelschule gelingen kann. Zur Beantwortung der Frage-
stellung werden in einem theoretischen Input aktuelle Forschungsergebnisse zu Autismus,
Lernort und schulischer Integration präsentiert. Es wurden fünf wissenschaftliche Interviews
mit ausgewiesenen Autismus-Fachpersonen durchgeführt. Die Ergebnisse wurden systema-
tisch ausgewertet und mit der Theorie verglichen.
Die empirischen Ergebnisse zeigen, dass es kein allgemeingültiges Rezept für die ideale Ge-
staltung eines Lernortes für ein Kind im AS gibt, da die Symptome der Betroffenen sehr viel-
fältig ausgeprägt sein können. Jedes Kind im AS hat individuelle Bedürfnisse, auch bezüglich
der Ausgestaltung seines Lernortes.
Diese Arbeit kommt zum Schluss, dass eine strukturierte und reizarme Lernumgebung zum
schulischen Lernerfolg und Wohlbefinden von Kindern im AS beitragen und zeigt wichtige
pädagogische Ansätze für die Förderung sowohl für Kinder im AS als auch für neurotypische
Kinder.
Der Fokus der vorliegenden Arbeit liegt auf Kindern im AS. Es muss erwähnt werden, dass
die meisten Aussagen auch auf Jugendliche und Erwachsene im AS zutreffen.
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
II
Danksagung
Im Rahmen dieser Bachelorarbeit unterstützten mich zahlreiche Menschen massgeblich.
Grossen Dank gebührt den interviewten Fachpersonen, welche mir mit grosser Begeisterung
ihr Wissen zur Thematik weitergaben.
Mein besonderer Dank gilt auch Herrn Marcel Bühlmann, welcher mich als Betreuungsper-
son tatkräftig unterstützte sowie durch wertvolle und kritische Anregungen inspirierte.
Abschliessend bedanke ich mich bei meinen Eltern und meinem Bruder, die mir mit viel Ge-
duld und Interesse zur Seite standen und wertvolle Kritik gaben.
Die vorliegende Arbeit entstand zum Abschluss des dreijährigen Bachelorstudiengangs (Pri-
mar) der Autorin an der Pädagogischen Hochschule Luzern.
Luzern, Mai 2019 Milena Tschopp
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
III
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung ................................................................................................................................... 1
2 Theoretischer Hintergrund ................................................................................................. 3 2.1 Autismus ........................................................................................................................................... 3
2.1.1 Historischer Abriss .................................................................................................................................... 3 2.1.2 Begrifflichkeiten ......................................................................................................................................... 4 2.1.3 Autismus aus klinischer Sicht ................................................................................................................ 5 2.1.4 Symptomatik ................................................................................................................................................ 6 2.1.5 Stärken und Fähigkeiten ........................................................................................................................ 10 2.1.6 Umgang mit Veränderungen ............................................................................................................... 11 2.1.7 Hilfestellungen / Strukturierungen .................................................................................................... 12
2.2 Lernort ........................................................................................................................................... 14
2.2.1 Schule als Lernort ................................................................................................................................... 14 2.2.2 Einfluss des Schulgebäudes auf den Schulalltag .......................................................................... 15 2.2.3 Baubiologie für eine gesunde Lernumgebung ............................................................................... 16 2.2.4 Lernort für ein Kind im Autismus-Spektrum ................................................................................. 17 2.2.5 Die beeinträchtigte räumliche Orientierung ................................................................................... 18
2.3 Schulische Integration .............................................................................................................. 21
2.3.1 Integration von einem Kind im Autismus-Spektrum .................................................................. 21
3 Fragestellung und Hypothesen ......................................................................................... 24 3.1 Kind im Autismus-‐Spektrum in der Schule ....................................................................... 24
3.2 Lernort ........................................................................................................................................... 24
3.3 Integration .................................................................................................................................... 25
4 Methode .................................................................................................................................... 26 4.1 Stichprobe ..................................................................................................................................... 26
4.2 Datenerhebung ............................................................................................................................ 27
4.3 Datenauswertung ....................................................................................................................... 28
5 Ergebnisse ............................................................................................................................... 29 5.1 Erfahrungen mit Kindern im Autismus-‐Spektrum .......................................................... 30
5.1.1 Schulisches Lernen ................................................................................................................................. 30 5.1.2 Symptomatik ............................................................................................................................................. 31
5.2 Lernort allgemein ....................................................................................................................... 35
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
IV
5.3 Lernort für ein Kind im Autismus-‐Spektrum .................................................................... 36
5.3.1 Auswirkungen .......................................................................................................................................... 36 5.3.2 Strukturierung ........................................................................................................................................... 37 5.3.3 Empfehlungen Lernort für Kind im Autismus-Spektrum .......................................................... 38
5.4 Empfehlungen für eine gelingende Integration ............................................................... 40
6 Diskussion ............................................................................................................................... 42 6.1 Kind im Autismus-‐Spektrum in der Schule ....................................................................... 42
6.2 Lernort ........................................................................................................................................... 46
6.3 Integration .................................................................................................................................... 52
7 Zusammenfassende Schlussfolgerung ........................................................................... 54
8 Kritische Reflexion ............................................................................................................... 56 9 Ausblick .................................................................................................................................... 57
10 Literaturverzeichnis ............................................................................................................ 58
11 Abbildungsverzeichnis ........................................................................................................ 60 12 Tabellenverzeichnis ............................................................................................................. 60
13 Eigenständigkeitserklärung .............................................................................................. 61 14 Anhang ...................................................................................................................................... 62 14.1 Interviewleitfaden ..................................................................................................................... 62
14.1.1 Interviewleitfaden SHP 1/ 2 und SP ............................................................................................... 62 14.1.2 Interviewleitfaden KJP und PROF .................................................................................................. 63
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
1
1 Einleitung
Das Thema Autismus hat in der jüngsten Zeit enorm an Bedeutung gewonnen. Dies ist darauf
zurückzuführen, dass in den letzten 30 Jahren in diesem Fachgebiet viele neue Erkenntnisse
gewonnen wurden. Man spricht gar von einer wissenschaftlichen Revolution. Noch Anfang
der 1980-er Jahre galt Autismus als eine eher seltene Störung, welche bei 1:2'500 Kindern
oder Erwachsenen diagnostiziert wurde. Heute liegt die Häufigkeit einer Autismus-Diagnose
bei ungefähr 1:100. Der Begriff Autismus hat sich grundlegend gewandelt. Er wurde von
einer seltenen, klar abgrenzbaren Krankheit, zu einem breiten Spektrum verschiedener Stö-
rungen, die insgesamt 25 Mal häufiger sind als die mit dem ursprünglichen Begriff bezeich-
nete Diagnose (Girsberger, 2016). Autismus ist als eine tiefgreifende Entwicklungsstörung
definiert. Menschen mit einer Autismus-Diagnose haben Auffälligkeiten in den Bereichen
soziale Interaktion, Kommunikation und Interessen und zeigen sich wiederholendes, stereo-
types Verhalten (Schuster, 2016).
Das Behindertengleichstellungsgesetz zieht die Integration des Kindes in die Regelschule
separierenden Lösungen vor (Art. 20 Abs. 1 & 2 BehiG). Aus diesem Grund werden Kinder
und Jugendliche im Autismus-Spektrum (AS) wenn möglich in die Regelschule integriert.
Um den besonderen Bedürfnissen dieser Kinder gerecht zu werden und ihnen Lernerfolge zu
ermöglichen, muss sich das schulische Fachpersonal bewusst sein, dass diese Kinder in vie-
lerlei Hinsicht besondere Unterstützung und viel Verständnis und Geduld benötigen. Die Be-
dürfnisse der Kinder im AS unterscheiden sich von den Bedürfnissen nicht betroffenen Schü-
lerinnen und Schülern.
In der Arbeit als Lehrperson ist die Wahrscheinlichkeit gross, Verantwortung für die schuli-
sche Förderung von Kindern im AS zu übernehmen. Dies und das allgemeine Interesse an
Autismus war der Beweggrund für die Autorin, sich für diese Thematik zu entscheiden.
Rittelmeyer (2010) definiert die Schule als Platz des Lernens und Lebens und als einen
Treffpunkt für soziales Lernen. Kinder verbringen einen grossen Teil ihres Lebens im Klas-
senraum. Aus diesem Grund müssen Schulen nicht nur Unterrichtsmethoden und Unter-
richtsmaterialien weiterentwickeln, sondern auch den Fokus auf die Gestaltung der Schul-
räume legen (Sprecher Mathieu, 2010). Untersuchungen von Rittelmeyer (2010) haben den
erheblichen Einfluss des Lernortes auf die Leistungsfähigkeit, das Wohlbefinden und die
Gesundheit eines Kindes verdeutlicht.
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
2
Der Fokus dieser Arbeit liegt auf der Gestaltung eines Lernortes für Kinder im AS. Um den
besonderen Bedürfnissen dieser Kinder gerecht zu werden, muss der Lernort bewusst gewählt
und eingerichtet werden. Dabei ist wichtig, dass neben den Heilpädagoginnen und Heilpäda-
gogen auch Lehrpersonen der Regelschule ohne heilpädagogische Ausbildung die Bedürfnis-
se der Kinder im AS bezüglich ihres Lernortes kennen und diese in der Einrichtung des Lern-
ortes berücksichtigen.
Die vorliegende Arbeit stellt eine fundierte Übersicht zum Thema Lernort für Kinder im AS
dar. Das Augenmerk liegt auf konkreten Gestaltungsideen für einen Lernort für jene Kinder
im AS, welche aufgrund ihren nicht zu stark ausgeprägten Symptomen in die Regelschule
integriert werden können. Es ist anzumerken, dass die befragten Personen ausgehend von
ihren persönlichen Erfahrungen teilweise Auskunft über den Lernort an einer Sonderschule
geben. Diese Aussagen können jedoch grösstenteils auch auf die integrativ unterrichteten
Kinder im AS angewendet werden.
Um die zentrale Fragestellung dieser Arbeit beantworten zu können, wurden fünf teilstruktu-
rierte Interviews geführt. Zu den befragten Fachpersonen gehören zwei praktizierende schuli-
sche Heilpädagoginnen, eine Sozialpädagogin, ein Dozent der Hochschule für Heilpädagogik
und ein Kinder- und Jugendpsychiater. Die Interviews wurden in Anlehnung an eine qualita-
tive Inhaltsanalyse und mit Hilfe des Programmes MAXQDA ausgewertet.
Eine allumfassende Abhandlung der Thematik ist aufgrund der Rahmenbedingungen nicht
möglich. Deshalb bleibt beispielsweise der Einbezug von Kindern im AS und deren Familien
unberücksichtigt. Die Arbeit konzentriert sich auf die Frage:
„Wie muss ein Lernort gestaltet sein, damit die Integration eines Kindes im Autismus-
Spektrum gelingen kann?“
.
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2 Theoretischer Hintergrund
Der Theorieteil umfasst die theoretischen Grundlagen zu Autismus, beleuchtet die Schule als
Lernort und geht im Besonderen auf die Baubiologie für eine gesunde und lernfördernde Ler-
numgebung ein. Zudem wird der Begriff der schulischen Integration geklärt und Vorausset-
zungen für eine gelingende Integration von einem Kind im AS erläutert.
2.1 Autismus
Im nachfolgenden Kapitel wird das Konstrukt Autismus beschrieben. Dies geschieht sowohl
aus historischer und klinischer Sicht, als auch durch das Klären der Begrifflichkeiten. In ei-
nem weiteren Schritt wird auf die Symptomatik eingegangen. Es werden die zwei Hauptkate-
gorien in den zwei Bereichen thematisiert, in welchen die Betroffenen Auffälligkeiten zeigen:
Beeinträchtigungen in der sozialen Interaktion und der Kommunikation, sowie eingeschränk-
te Interessen und sich wiederholendes, stereotypes Verhalten. Zusätzlich werden auch die
Besonderheiten der Wahrnehmung erläutert und der Umgang mit Veränderungen behandelt.
Neben den Herausforderungen werden auch die Stärken und Fähigkeiten von Kindern im AS
dargestellt. Am Schluss des Kapitels werden mögliche Hilfestellungen und Strukturierungen
für Kinder im AS aufgearbeitet.
2.1.1 Historischer Abriss
Gemäss Theunissen (2018), Schuster (2016) und Girsberger (2016) gilt der Schweizer Psy-
chiater Eugen Beuler als der erste Wissenschaftler und Forscher, der den Begriff Autismus
bekannt gemacht hat. Eugen Beuler bezeichnete im Jahre 1911 starke Zurückgezogenheit und
Selbstbezogenheit als eines der Symptome der Schizophrenie (Girsberger, 2016). Nach der
Zeit des Zweiten Weltkrieges, wurde Autismus erstmals als eine Entwicklungsstörung be-
schrieben (Schuster, 2016). Im Jahre 1938 beschrieb Leo Kanner, ein österreichisch-
amerikanischer Kinder- und Jugendpsychiater, Kinder, die im Bereich der Wahrnehmung, der
Entwicklung sowie des sozialen und kommunikativen Verhaltens Auffälligkeiten zeigten
(Schuster, 2016). Diesen „Kanner-Autismus“ bezeichnete man später als frühkindlichen Au-
tismus (Theunissen, 2018).
Unabhängig von Leo Kanner beschäftigte sich der Wiener Kinderarzt Hans Asperger etwa
zur gleichen Zeit mit Buben, die im Gegensatz zu den von Kanner beschriebenen Kindern
alle eine entwickelte Sprache aufwiesen. Girsberger (2016) kommt in seiner Arbeit zum
Schluss, dass das Konzept von Asperger breiter als das Konzept von Kanner angelegt war.
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
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Während Kanner ausschliesslich schwer beeinträchtigte Kinder beschrieb, ging Asperger von
Kindern mit guten verbalen und intellektuellen Fähigkeiten aus. In Anlehnung an die Studien
von Asperger sprach man später von einem höheren funktionierenden Autismus, dem soge-
nannten Asperger-Syndrom (Schuster 2016).
2.1.2 Begrifflichkeiten
In der Fachliteratur finden sich viele unterschiedliche Begriffe wie Autismus, Frühkindlicher
Autismus, Asperger-Syndrom, Atypischer Autismus, Autismus-Spektrum-Störung, Autis-
mus-Spektrum und autistische Züge. Diese Aufzählung ist nicht abschliessend und die vielen
verschiedenen Begriffe können verunsichern (Schirmer 2016).
Der Begriff Autismus stammt aus dem Griechischen (autos = selbst) und bedeutet „sehr auf
sich bezogen sein“ (Theunisssen, 2018).
Im letzten Jahrzehnt hat sich der Begriff Autismus-Spektrum-Störung in der Fachliteratur
etabliert und wurde in internationalen Klassifikationen psychischer Störungen aufgenommen.
Der wesentliche Hintergrund dieser Entwicklung bildet die Erkenntnis, dass die Symptome
und die Ausprägungen sehr vielfältig und unterschiedlich bei verschiedenen Betroffenen oder
im Verlauf der Entwicklung sein können (Schirmer, 2016). Der Fachbegriff Autismus-
Spektrum-Störung löst zunehmend die vorranging verwendeten Diagnosebezeichnungen des
frühkindlichen Autismus, des atypischen Autismus und des Asperger-Syndroms ab (Eckert,
2015).
Viele von Autismus betroffene Personen und zunehmend auch Fachleute lehnen die Bezeich-
nung für Autismus als Störung, Behinderung oder psychische Krankheit ab. Diese Sicht ist
einseitig und beschreibt nur die Defizite. Den Stärken, Spezialbegabungen oder besonderen
Fähigkeiten der Betroffenen werden diese Begriffe nicht gerecht. Deshalb favorisieren immer
mehr Autismusforscherinnen und Autismusforscher die Bezeichnung Autismus-Spektrum,
kurz AS. Durch den Begriff AS werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede sowie Stärken
anerkannt und negative Zuschreibungen vermieden. Autismus ist nicht nur eine Summe von
Defiziten, sondern es handelt sich um ein besonderes Fähigkeitsprofil, das durchaus Stärken
beinhaltet (Schirmer, 2016). Dies verhindert eine Stigmatisierung (Theunissen, 2018). In der
vorliegenden Arbeit wird die Bezeichnung „Autismus-Spektrum“ (AS) bevorzugt. Beim Zi-
tieren oder Transkribieren werden jedoch die Originalbegriffe des jeweiligen Autors über-
nommen. Nicht von Autismus betroffene Menschen bezeichnet die Autorin als neurotypische
Menschen. Mit neurotypisch sind „normale“ Menschen gemeint, in Abgrenzung zu den Men-
schen mit einer autistischen Wahrnehmung. Das Wort „normal“ wird jedoch vermieden, um
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Menschen mit AS nicht als „abnormal“ zu bezeichnen. Viel mehr eignen sich die Begriffe
„besonders“ oder „anders“, die jedoch nicht mit den Bezeichnungen krankhaft oder defizitär
gleichgestellt werden dürfen (Girsberger, 2016).
Auffälligkeiten
Menschen im AS unterscheiden sich von ihren Mitmenschen durch ihr Sozialverhalten, ihre
verbale und nicht-verbale Kommunikation, ihre Interessen und durch ihre Wahrnehmung.
Erschwerend kommt hinzu, dass Menschen im AS oft grosse Schwierigkeiten haben, sich in
andere Menschen hinein zu fühlen. Oft sind die Betroffenen überempfindlich gegenüber
Licht, Gerüchen, Geräuschen oder Berührungen (Eckert, 2015).
Häufigkeit
Gemäss Herbrecht & Gwerder (o.J.) wird angenommen, dass rund ein Prozent aller Men-
schen von einer Autismus-Spektrum-Störung betroffen ist. Jungen erhalten häufiger als Mäd-
chen eine Autismus-Diagnose. Bei Mädchen kann eine autistische Symptomatik jedoch über-
sehen werden, da Mädchen Schwierigkeiten im sozialen Bereich besser kompensieren kön-
nen und dadurch weniger auffallen. Die Prognose des Verlaufs der Entwicklungsstörung ist
nur schwer vorherzusagen. Es gibt Forschungsergebnisse die zeigen, dass autismusspezifi-
sche Symptome mit dem Alter nachlassen. Dies begründen die Wissenschaftler damit, dass
die Betroffenen Strategien erlernen, um mit ihren Herausforderungen umgehen zu können.
2.1.3 Autismus aus klinischer Sicht
Für die Klassifizierung von psychischen Störungen sind weltweit die beiden Systeme ICD1
und DSM 2 verbreitet. Seit dem Erscheinen von DSM-5 liegt ein System vor, welches unter
dem Begriff Autismus-Spektrum-Störung die Merkmale von Betroffenen mit Autismus in
zwei Hauptkategorien miteinbezieht (Schirmer, 2016). Die in dieser Arbeit ausgeführten
Merkmale beziehen sich auf das System DSM-5.
Die erste Hauptkategorie beschreibt anhaltende Defizite in der sozialen Kommunikation und
sozialen Interaktion in unterschiedlichen Kontexten. Die folgenden Defizite müssen in allen
drei Unterkategorien nachweisbar sein:
1 Diagnostischen und Statistischen Manual Psychischer Störungen (DSM) von amerikanischen Psychiatern 2 Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten (ICD) von der WHO
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1. Defizite in der sozial-emotionalen Wechselseitigkeit
2. Defizite in der nonverbalen Kommunikation im Rahmen sozialer Interaktionen
3. Defizite in der Entwicklung und Aufrechterhaltung von Beziehungen, entsprechend
dem Entwicklungsstand (Theunissen, 2018, S. 42f)
Die zweite Hauptkategorie beschreibt eingeschränkte Interessen oder Aktivitäten der Be-
troffenen und repetitives Verhalten (Theunissen, 2018). Die folgenden Symptome müssen in
mindestens zwei von vier Aufzählungen nachweisbar sein:
1. Stereotype oder repetitive motorische Bewegungen, Verwendung von Objekten oder
Sprache
2. Beharren auf Gleichförmigkeit, unflexibles Festhalten an Routine, ritualisierte Muster
von verbalem oder nonverbalem Verhalten
3. Stark eingeschränkte, fixierte Interessen, die mit „abnormer“ Intensität oder Fokussie-
rung einhergehen
4. Hyper- oder Hyporeaktivität auf sensorische Reize oder ungewöhnliches Interesse an
sensorischen Reizen der Umwelt (Theunissen, 2018, S. 43)
Theunissen (2018) betont, dass die oben genannten Symptome für eine Autismus-Spektrum-
Diagnose in der frühen Kindheit auftreten sollten, jedoch nicht vollständig ausgebildet sein
müssen. Bei hohen sozialen Anforderungen können sie auch erst später zutage treten. Zusätz-
lich wird im DSM-5 von einer Beeinträchtigung des Alltagsverhaltens ausgegangen.
2.1.4 Symptomatik
Betroffene im AS unterscheiden sich in verschiedenen Bereichen von ihren Mitmenschen.
Menschen mit einer autistischen Wahrnehmung haben Gemeinsamkeiten. Jedoch ist jede
Person im AS anders und die typischen Symptome äussern sich unterschiedlich (Schirmer,
2016). Die nachfolgende Darstellung beschreibt die Bereiche, in denen sich Autismus im
Verhalten bemerkbar macht (Schuster, 2016).
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Abb. 1 Auffälligkeiten von Menschen im AS
Kommunikation
Herbrecht und Gwerder (o.J.) heben die sprachlichen Schwierigkeiten von Kindern im AS
hervor. Teilweise entwickeln die Kinder erst sehr spät die verbale Sprache oder ihre Sprach-
entwicklung entspricht bis zum 2. Lebensjahr der Norm, stagniert jedoch von da an oder bil-
det sich gar zurück.
Kinder im AS erfassen Aussagen meist wortwörtlich. Ironie, Redewendungen, Metaphern
oder Witze verstehen sie oft nicht (Schuster, 2016). Auch Schirmer (2016) betont die Schwie-
rigkeit der Menschen im AS, Ironie und Sprachbilder zu verstehen. Dies kann zu Problemen
und Missverständnissen führen. Eine Lehrperson muss immer wieder überprüfen, ob ein
Schüler oder eine Schülerin den Inhalt ihrer Aussage verstanden hat. Dies erfordert viel
Selbstdisziplin, denn die sprachlichen Äusserungen müssen sehr bewusst gewählt und über-
prüft werden. Es gilt, wenn immer möglich, Metaphern oder ironische Bemerkungen zu ver-
meiden und auf indirekte Aufforderungen zu verzichten (Schirmer, 2016).
Unsere alltägliche Kommunikation geschieht oft nonverbal. Wir teilen unsere Bedürfnisse
und Gemütszustände durch Augenkontakt, Gesten oder Gesichtsausdrücke mit. Für neuroty-
pische Menschen geschieht dies oft automatisch, ohne darüber nachdenken zu müssen.
Menschen im AS fällt es schwer, mit ihren Augen zu kommunizieren. Nur selten schauen sie
während dem Kommunizieren ihrem Gegenüber in die Augen. Auch Gesten und Gesichts-
ausdrücke verwenden Menschen im AS eher selten. Sie haben grosse Schwierigkeiten, die
Körpersprache ihrer Mitmenschen zu deuten und zu verstehen. Menschen im AS nehmen
!
2. Soziale Interaktion 1. Kommunikation
!
3. Stereotype Verhaltensweisen und eingeschränkte Interessen
Auffälligkeiten von Menschen im AS
!
4. Besonderheiten in der Wahrnehmung !
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unterschiedliche Emotionen durchaus wahr, sind jedoch in ihren Möglichkeiten einge-
schränkt, diese auszudrücken (Herbrecht & Gwerder, o.J.).
Soziale Interaktion
Laut Herbrecht und Gwerder (o.J.) sehnen sich auch Kinder im AS nach Kontakt zu anderen
Kindern. Diese sind für Kinder im AS sehr wichtig, auch wenn es öfters zu Missverständnis-
sen und Frustrationen kommen kann. Schirmer (2016) stimmt der Aussage von Herbrecht
und Gwerder (o.J.) nur teilweise zu. Die Autorin betont, dass die Auffälligkeiten der Men-
schen im AS im Sozialverhalten individuell verschieden sind. Es gibt Kinder im AS, die nicht
auf ihren Namen reagieren und nicht fähig sind, Freundschaften aufzubauen und zu pflegen.
Im Gegensatz dazu gibt es Kinder, die bewusst jeden sozialen Kontakt ablehnen und sich am
wohlsten fühlen, wenn sie alleine sind. Wiederum gibt es Menschen im AS, die sich nach
sozialen Kontakten sehnen. Die Umsetzung gelingt ihnen aber nicht oder nur teilweise.
Oft führt das fehlende Wissen über Verhaltensregeln in sozialen Situationen zu Schwierigkei-
ten. Für neurotypische Menschen selbstverständliche Konventionen, an die sie sich, ohne
lange zu überlegen halten, sind für Kinder im AS mühsam zu erwerbende Regeln. Ihnen fällt
es beispielsweise schwer, den richtigen Abstand zu einer anderen Person zu halten, ein Ge-
spräch zu beginnen und zu beenden sowie zu erkennen, wenn der Gesprächspartner sich zu
Wort melden möchte (Herbrecht & Gwerder, o.J.).
Stereotype Verhaltensweisen und eingeschränkte Interessen
Einige Kinder im AS weisen motorische Stereotypien auf, welche bei den Betroffenen mehr
oder weniger stark ausgeprägt sein können (Schuster, 2016). „Als Stereotypien bezeichnet
man sich immer wiederholende Bewegungen, Äusserungen, Wahrnehmungshandlungen (z.B.
Beobachtung von zumeist technischen Vorgängen) oder Gedankenabläufe, die ohne erkenn-
bare Funktion vollzogen werden“ (Schirmer, 2016, S. 68). Diese Stereotypien können sich
bei den Betroffenen unterschiedlich zeigen. Dazu kann beispielsweise ein Händeflattern, ein
Kopf- oder Oberkörperschaukeln oder ein Drehen von Objekten gehören. Weshalb viele
Menschen im AS ein stereotypes Verhalten zeigen und welche Bedeutung dies für sie hat, ist
noch nicht vollständig geklärt. Es wird vermutet, dass dieses Verhalten für die Betroffenen
beruhigend wirkt und für sie eine Art Schutzmassnahme darstellt (Schuster, 2016).
Herbrecht und Gwerder (o.J.). heben hervor, dass Kinder im AS gleichbleibende Abläufe
lieben und brauchen. Menschen im AS fällt es schwer, flexibel zu reagieren, wenn sich Ab-
läufe kurzfristig ändern. So müssen beispielsweise Gegenstände immer am gleichen Platz im
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Zimmer stehen und Kleider in der immer gleichen Reihenfolge angezogen werden. Beson-
ders jüngere Kinder haben eine Vorliebe für gleichbleibende und sich immer wiederholende
Bewegungen und Spiele. Diese sich wiederholenden Handlungen haben für die Betroffenen
eine regulierende Wirkung. Gleichbleibende Handlungsmuster geben ihnen Sicherheit und
helfen, Ordnung in ihre Umwelt zu bringen. Diese Verhaltensweisen können jedoch den All-
tag der betroffenen Familien sehr einschränken. Die Inflexibilität der Menschen im AS bei
Veränderungen und ihr Beharren an gleichbleibenden Routinen beschreibt auch Schirmer
(2016) in ihrem Werk.
Herbrecht und Gwerder (o.J.) unterstreichen zusätzlich, dass Kinder im AS häufig ein stark
ausgeprägtes Interesse an bestimmten Themen oder Gegenständen haben. Einige besitzen in
ihrem Spezialgebiet aussergewöhnliche Fähigkeiten (Schirmer 2016). Oftmals können sie
sich nur schwer für andere Lebensbereiche begeistern. Diesen Spezialinteressen misst auch
Schuster (2016) grosse Bedeutung zu. Viele Menschen gehen einem Hobby oder einem Inte-
resse phasenweise begeistert nach. Besonders bei neurotypischen Kindern klingt dieses Inte-
resse jedoch nach ein paar Tagen ab und sie suchen sich eine neue Beschäftigung. Anders
sieht dies bei Menschen im AS aus. Sie können über Monate oder Jahre vom gleichen Thema
fasziniert sein und diesem begeistert und zeitintensiv nachgehen. Für Eltern und Lehrperso-
nen kann das Wissen über diese Spezialinteressen Vorteile bringen. Sie können diese nutzen,
um die Kinder in ihrer Entwicklung und ihrem Lernstand weiterzubringen.
Besonderheiten in der Wahrnehmung
Als Wahrnehmung wird die Aufnahme von Reizen aus der Aussenwelt bezeichnet, die über
unsere Sinne (sehen, hören, riechen, schmecken, tasten) aufgenommen, verarbeitet und zu
einem sinnvollen Ganzen zusammengefügt werden. Obwohl ihre Sinnesorgane nicht beein-
trächtigt sind, nehmen Menschen im AS ihre Umwelt anders war als ihre Mitmenschen (Her-
brecht & Gwerder, o.J.). Auch Schuster (2016) beschreibt die Wahrnehmung von Menschen
im AS. Betroffene nehmen Sinneseindrücke verstärkt oder vermindert wahr und es fällt ihnen
schwer, Reize zu filtern. Sie haben grosse Mühe, die wichtigen von den nicht wichtigen In-
formationen zu unterscheiden (Herbrecht & Gwerder, o.J.). Die Autoren Schuster (2016) und
Herbrecht und Gwerder (o.J.) beschreiben die erheblichen Probleme der Betroffenen, sich in
der Umwelt zurechtzufinden und sich in die Gesellschaft einzufügen. Komplexe Situationen
oder Orte mit vielen Reizen und Sinneseindrücken können schnell zur Überforderung wer-
den. Grelles oder flackerndes Licht, bestimmte Gerüche oder grosse Menschengruppen kön-
nen diese Menschen irritieren und stark verunsichern.
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Kinder im AS haben ein grosses Interesse an Details von Gegenständen. Sie sehen Details
scharf und haben Probleme, die umfassenden, beziehungsweise sinnvollen Zusammenhänge
zu erkennen (Herbrecht & Gwerder, o.J.). Girsberger (2016) führt aus, dass Menschen im AS
Schwierigkeiten mit der Zentralen Kohärenz haben. Die Zentrale Kohärenz ist ein Begriff aus
der Neuropsychologie. Sie beschreibt eine wichtige Hirnfunktion, die dem Menschen ermög-
licht, einzelne Wahrnehmungselemente in einen übergeordneten Zusammenhang zu stellen
und sie zu einem stimmigen „Ganzen“ zusammenzufügen. Menschen im AS haben in diesem
Bereich grosse Defizite und Girsberger (2016) spricht von einer sogenannten „schwachen
Zentralen Kohärenz“. Lucas (2014) beleuchtet ebenfalls die besondere Wahrnehmung der
Menschen im AS. Bilder können schneller und einfacher verarbeitet werden als Sprache.
2.1.5 Stärken und Fähigkeiten
Theunissen (2018), Schuster (2016), Girsberger (2016) und Schirmer (2016) sind sich einig,
dass Menschen im AS nicht nur Einschränkungen und Defizite, sondern durchaus auch be-
sondere Fähigkeiten und Stärken haben. Es ist zu betonen, dass jedes Kind im AS ein indivi-
duelles Fähigkeitsprofil hat. Im folgenden Abschnitt werden die häufig auftretenden Fähig-
keiten und Stärken zusammengefasst.
Wahrnehmung
Die Besonderheiten der autistischen Wahrnehmung sind nicht nur mit Nachteilen, sondern
auch mit Vorteilen verbunden. Wie im Kapitel 2.1.4 beschrieben, nehmen Kinder aus dem
AS Details sehr ausgeprägt wahr. Sie erkennen Unterschiede besser als Gemeinsamkeiten.
Daraus resultiert oft die Neigung zur Perfektion und Genauigkeit. Sie finden sehr schnell
Fehler. Dies kann im Berufsleben, beispielsweise bei einer Qualitätskontrolle, ein Vorteil
sein (Theunissen, 2018).
Spezialinteressen
Wie im Kapitel 2.1.4 bereits ausgeführt, haben Menschen im AS oft die Fähigkeit, ausserge-
wöhnliche Interessen zu entwickeln und diese in einer ungewöhnlichen Intensität auszuüben.
Schuster (2016) betont die Abilität der Menschen im AS, besonders sorgfältig und genau zu
arbeiten.
Neben der Stärke im visuellen Denken gibt es Menschen im AS, die sich durch enorme Ge-
dächtnisleistungen Faktenwissen über ihr Spezialgebiet aneignen. Daraus können hervorra-
gende Leistungen, sogenannte Inselbegabungen, resultieren (Theunissen, 2018).
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Kreativität
Menschen im AS können sehr kreativ sein. Sie legen eine grosse Datenbank an Detailwissen
an. Zur Bewältigung von Aufgaben werden diese Daten abgerufen, in einem kreativen Pro-
zess die Details kombiniert und zu etwas Neuem zusammengefügt. Dies kann zu überra-
schenden und kreativen Leistungen führen.
Menschen im AS können sich Phantasiewelten mit imaginären Figuren schaffen und zeigen
oft grosse Fantasie in bildnerischen Tätigkeiten (Theunissen, 2018).
Soziale Intuition und Ehrlichkeit
Menschen im AS haben die Fähigkeit, ihren Mitmenschen vorurteilsfrei zu begegnen. Oft
zeigen sie gegenüber der Gefühlslage anderer Menschen eine überdurchschnittlich ausge-
prägte Sensibilität (Theunissen, 2018). Zudem sehen Menschen im AS die Welt oft nur in
„Schwarz-Weiss“. Sie sind deshalb sehr ehrlich und lügen nicht (La Brie Norall & Wagner
Brust, 2012).
2.1.6 Umgang mit Veränderungen
Walden (2008) und Schirmer (2016) betonen die Schwierigkeit von Menschen im AS, mit
Veränderungen umzugehen. Veränderungen sorgen bei Menschen im AS häufig für Unsi-
cherheit und Angst. Vor allem jüngere Kinder im AS verlangen einen festen, gleichbleiben-
den und unveränderlichen Tagesablauf. Auch Lucas (2014) betont die Inflexibilität der Men-
schen im AS. Da Menschen im AS nur schwer mit Veränderungen umgehen können, müssen
diese für sie stets vorhersehbar sein. Routineänderungen müssen im Voraus verbal oder durch
ein vereinbartes Signal angekündigt werden. Die Lehrperson muss vorausdenken, wo Prob-
leme entstehen können und sich deren Auslöser für schwieriges Verhalten bewusst sein.
Walden (2008) beschreibt mögliche psychische und physische Symptome, die bei Menschen
im AS bei unerwarteten Veränderungen oder bei zu vielen Reizen, auftreten können. Zu den
psychischen Symptomen zählt Walden (2008) Hilflosigkeit, Passivität, depressive Stimmun-
gen, Lernschwierigkeiten sowie Attribution von Misserfolgen an mangelnder Fähigkeit. Un-
ter den physischen Symptomen versteht er Kopfschmerzen, Herzklopfen, Atem- und Magen-
beschwerden sowie Handschweiss (S. 33f).
Konsequenzen für die Schule
Schuster (2016) beschreibt die Flexibilität als eine wichtige Eigenschaft einer Lehrperson im
Umgang mit Kindern im AS. Des Weiteren müssen Veränderungen, welche voraussehbar
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
12
sind, unbedingt angekündigt werden. So wird die Schule ein Stück sicherer für ein Kind im
AS und verliert an ihrem beängstigenden Potenzial.
Auf die Schule übertragen ergeben sich folgende Konsequenzen:
• Genügend grosse Klassenzimmer
• Individuelle Möglichkeiten zur Regulierung von Stressoren
• Verantwortlichkeit von Schülerinnen und Schülern über Pflanzen, Haustiere, häusli-
che Dienste
• Vorbereitung der Schülerinnen und Schüler auf die Einschulung in eine neue Schul-
form (Walden, 2008, S. 56)
2.1.7 Hilfestellungen / Strukturierungen
Wissenschaftliche Befunde von Lucas (2014), Herbrecht und Gwerder (o.J.), Schuster
(2016), Bernard-Opitz und Häussler (2013) und Meyer (2018) belegen, dass Menschen im
AS klare Strukturen brauchen. Wie Bernard-Opitz und Häussler (2013) passend formulieren,
dient Strukturierung dazu, „ungeordnetes zu ordnen, Beziehungen zwischen Zusammengehö-
rigem herzustellen, Vorgehensweisen zu regeln, wesentliche Aspekte hervorzuheben und Ori-
entierung zu bieten“ (S.13). Für die von Autismus betroffenen Kinder ist es wichtig, dass sie
in allen Bereichen strukturiert unterrichtet werden. Klare Strukturen im Unterricht, sowie
auch in ihrer Lernumgebung bieten den Betroffenen Sicherheit und Orientierung und verein-
fachen ihren Alltag in vielen Bereichen (Herbrecht & Gwerder, o.J.). Meyer (2018) be-
schreibt ebenfalls die klare Strukturierung des Unterrichts als eines der wichtigsten Merkmale
von gutem Unterricht.
Strukturierung von Raum
Gemäss den Autoren Herbrecht und Gwerder (o.J.) und Bernard-Opitz und Häussler (2013)
fällt es Kindern und Erwachsenen im AS schwer, sich in einem Raum zu orientieren. Einfach
strukturierte, übersichtliche Räume mit visuellen Hinweisen, was sich wo befindet, können
eine grosse Hilfe für Menschen im AS sein (Bernard-Opitz & Häussler, 2013). Es ist sinn-
voll, wenn Gegenstände einen festen Platz im Schulzimmer haben. So kann Struktur in den
Alltag der Betroffenen gebracht werden. Überladene Räume sind zu vermeiden. Viel mehr
hilft es Menschen im AS, wenn das Schulzimmer schlicht und reduziert eingerichtet ist. Um
die räumliche Orientierung zu erleichtern, ist es sinnvoll, einzelne Bereiche im Schulzimmer
mit Farben, Teppichen, Klebebändern oder Raumteilen abzugrenzen (Herbrecht & Gwerder,
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
13
o.J.). Dieser Ansicht sind auch Bernard-Opitz & Häussler (2013). Für die betroffenen Kinder
wird durch diese Unterstützung besser nachvollziehbar, welcher Ort welche Funktion hat und
welche Aktivität mit sich zieht. Diese Thematik wird im Kapitel 2.2 genauer beleuchtet.
Die mangelnde Orientierung im Raum kann zu sozialen Problemen führen. Kinder im AS
haben oft Probleme mit Nähe und Distanz. Für sie ist es schwierig einzuschätzen, wie nahe
sie einem anderen Kind oder der Lehrperson kommen dürfen (Herbrecht & Gwerder, o.J.).
Strukturierung der Zeit
Herbrecht und Gwerder (o.J.) unterstreichen, dass Kinder im AS oft keine oder nur eine
schlecht entwickelte Zeitvorstellung haben. Vom gleichen Befund berichtet Schuster (2016).
Sie beschreibt, dass Kinder im AS in der Schule oft unter Zeitmangel leiden. Dies kann ver-
schiedene Gründe haben. Betroffene Kinder brauchen oft mehr Zeit, um eine Aufgabe zu
verstehen oder haben motorische Probleme, die sich auf beispielsweise auf die Schreibge-
schwindigkeit auswirken, oder zeigen grosse Mühe, eigene Gedanken verbal oder schriftlich
zu äussern. Zusätzlich brauchen Menschen im AS meist mehr Zeit, die Aufgabe zu verstehen.
Sie benötigen ebenfalls mehr Zeit bei Alltagshandlungen, wie beispielsweise beim Umziehen
für den Sportunterricht, beim Essen des Pausenbrotes oder beim Auspacken von Schulbü-
chern aus der Schultasche.
Wie im Kapitel 2.1.6 beschrieben, ist es für Menschen im AS sehr wichtig, dass Veränderun-
gen für sie vorhersehbar sind (Bernard-Opitz & Häussler, 2013). Sowohl Bernard-Opitz und
Häussler (2013), als auch Herbrecht und Gwerder (o.J.) sehen es für Menschen im AS als
hilfreich an, wenn Zeitspannen visuell sichtbar gemacht werden und damit die Dauer von
einer Aktivität nachvollziehbar verdeutlicht wird. Es ist sinnvoll, Zeit- oder Stundenpläne zu
erstellen, Küchen- oder Sanduhren zu verwenden oder mit einer Klingel das Ende einer Zeit-
spanne zu signalisieren. Zusätzlich können Abläufe und Tagesinhalte, die durch Symbole,
Tafeln oder anderen Hilfsmittel dargestellt werden, für Kinder im AS von grossem Nutzen
sein. Ein gleichbleibender und ritualisierter Tagesablauf fördert die Vorhersehbarkeit und
gibt den Kindern Sicherheit.
Strukturierung der Pausen
Gemäss Schuster (2016) sind Pausen für viele neurotypische Kinder der Höhepunkt des
Schulalltags. Für Pausen gibt es keine festen Pläne und geregelten Abläufe. Kinder können
machen was sie wollen, so lange es den Schulregeln entspricht. Sie toben, unterhalten sich
mit Freunden, lachen, schreien und fühlen sich frei. Für Kinder im AS hingegen sind Schul-
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
14
pausen keine Erholung, sondern eine zusätzliche Anstrengung. Das wilde und laute Durchei-
nander von Geräuschen, die schnellen und unberechenbaren Bewegungen der Mitschülerin-
nen und Mitschüler, unangenehme Berührungen und die Unvorhersehbarkeit der entstehen-
den Situationen stellen eine Überforderung dar. Statt Erholung sind die Pausen für Kinder im
AS oft die schlimmste Zeit in der Schule. Als Folge reagieren Kinder im AS auf die unstruk-
turierte Zeit der Pausen oft mit selbststimulativem oder herausforderndem Verhalten. Wäh-
rendem sich neurotypische Kinder im „gesunden Chaos“ der Pausen erholen, brauchen Kin-
der im AS eine andere Form der Entspannung. Ein Ruheraum, beispielsweise die Bibliothek,
eignet sich gut als Rückzugs- und Entspannungsort. Für viele Kinder im AS sind die Pausen
auch aufgrund ihrer Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion belastend. da sie nur wenige
Freunde haben. Vielfach scheitern die Versuche, sich zu einer Gruppe zu gesellen und das
Kind leidet unter der Aussenseiterrolle.
2.2 Lernort
In diesem Kapitel wird der Lernort „Schule“ näher beleuchtet. Es wird geklärt, inwiefern das
Schulgebäude den Schulalltag der Kinder beeinflusst. Ausserdem werden Einflussfaktoren
für eine gesunde Lernumgebung erläutert. Zum Schluss wird auf den Lernort für ein Kind im
AS eingegangen.
Um auf den Lernort eingehen zu können, muss zuerst der Begriff Lernen geklärt werden.
Walden (2008) definiert Lernen als eine aus Erfahrungen resultierende permanente Verhal-
tensänderung. Lernen geschieht in der Anpassung an die Umwelt oder durch die aktive Ge-
staltung der Umwelt.
Lernen benötigt Zeit, Geduld, Zuwendung, Stille und Ausdauer. Lernen ist ein sozialer Pro-
zess, der schon im frühesten Kindesalter beginnt. Kinder bauen ihr Wissen auf, in dem sie
sich aktiv mit ihrer Umwelt auseinandersetzen. Bei diesem Bildungsprozess sind Kinder auf
die Erwachsenen angewiesen. Erwachsene orientieren sich an den individuellen Bedürfnissen
der Kinder und führen die Kinder an ihre individuellen Lernmöglichkeiten heran (Braun,
Bühlmann, Straumann, Burri, Degenhardt, Neuhaus, Schumacher, Straumann, Weinhardt,
2014).
2.2.1 Schule als Lernort
Untersuchungen von Rittelmeyer (2010) haben den erheblichen Einfluss der Gestaltung des
Lernortes sowohl auf die Leistungsfähigkeit, das Wohlbefinden, die Gesundheit aber auch
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
15
auf die Aggressionsbereitschaft eines Kindes verdeutlicht. In gleicher Qualität wie dem zu
vermittelnden Wissen muss auch dem Lernort Aufmerksamkeit geschenkt werden.
Die Schule soll ein Platz des Lernens und Lebens und ein Treffpunkt für soziales Lernen
sein. In der Schule sollen Kinder Kreativität, individuelle Vielfalt, soziale Kompetenz und
Konfliktlösungsstrategien entwickeln. Weiter lernt ein Kind Vorlieben und Abneigungen für
Themen und Arbeiten. Individuelle Bedingungen wie Motivation und Ermüdung tragen dazu
bei, ob eine Lernleistung erfolgt oder nicht (Walden, 2008). Forster (2010) beschreibt in ihrer
Arbeit eine Thematik, welche das von Walden (2008) definierte Lernen (vgl. Kap.2.2) erheb-
lich erschwert. Forster (2010) sieht die knappen Platzverhältnisse an Schulen als sehr heraus-
fordernd für die Kinder. Dauernd im Klassenzimmer mit vielen anderen Kindern und Lehr-
personen auf engem Raum zusammen zu sein, fordert eine hohe Aufmerksamkeit, Toleranz
und braucht viel Energie. Dadurch stehen die Kinder unter Druck. Dieser räumlichen Enge
und sozialen Dichte kann entgegengewirkt werden, in dem der Raum bewusst strukturiert
wird. Geschickt platzierte Stellwände, Regale und Sitzgruppen unterteilen das Klassenzim-
mer in verschiedene Bereiche. Nischen und Ecken bieten den Kindern Rückzugsmöglichkei-
ten. Durch diese Rückzugsmöglichkeiten können Kinder das soziale Geschehen regulieren,
was sich positiv auf ihr Wohlbefinden auswirkt (Forster, 2010). Auch Sprecher Mathieu
(2010) betont die Wichtigkeit einer durchdachten Sitzordnung. Jede Schülerin und jeder
Schüler sollte einen festen Arbeits- und Rückzugsort haben. Rückzugsmöglichkeiten und
ruhige Arbeitsplätze schreiben auch die Erziehungsdirektion des Kanton Bern (2015), Rittel-
meyer (2010) und Forster (2010) eine grosse Wichtigkeit zu. Forster (2010) beschreibt diese
Rückzugsmöglichkeiten als private Bereiche, welche die Zufriedenheit mit dem Raum stär-
ken. Zusätzlich weist Sprecher Mathieu (2010) auf die essenzielle Wichtigkeit einer guten
Ordnung im Klassenzimmer hin. Damit meint die Autorin eine übersichtliche und nachvoll-
ziehbare Ordnung von Unterrichtsmaterialien und Lehrbüchern. Eine bewusst gewählte Sitz-
ordnung und das Festlegen eines Ortes für das persönliche Schulmaterial unterstützen dies
und strahlen Ruhe und Sicherheit aus. Auch die Erziehungsdirektion des Kanton Bern (2015)
betont, dass Schülerinnen und Schüler ausreichend Platz haben sollten, um ihre persönlichen
Sachen zu verstauen und Arbeiten abzulegen.
2.2.2 Einfluss des Schulgebäudes auf den Schulalltag
Schulen müssen nicht nur Unterrichtsmethoden und Unterrichtsmaterialien weiterentwickeln,
sondern auch den Fokus auf die Entwicklung der Schulräume setzen. Die Raumqualität ist
dabei von enormer Bedeutung für die Kinder, da sie einen grossen Teil ihres Lebens im Klas-
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
16
senraum verbringen. Lehrpersonen, Schülerinnen und Schüler werden durch Räume in ihrem
Handeln beeinflusst. Enge Räume können Nervosität und Gereiztheit auslösen. Es kann von
den Schülerinnen und Schülern nicht erwartet werden, dass sie sich im Unterricht aktiv betei-
ligen, wenn sie stundenlang eingeengt auf ihrem Stuhl sitzen müssen. Der Klassenraum hat
einen dauerhaft prägenden Einfluss auf die Kinder. Farben und Formen wirken sich ebenfalls
auf die Qualität eines Lernortes aus. Eine positive Einstellung gegenüber dem Lernraum trägt
zum Arbeitserfolg bei (Sprecher Mathieu, 2010).
2.2.3 Baubiologie für eine gesunde Lernumgebung
Aufgrund der langen Aufenthaltsdauer von Schülerinnen und Schülern im Schulzimmer
spielt die Raumqualität eine grosse Rolle. Räume sollten beim Benutzen Wohlbefinden her-
vorrufen. Die Raumbiologie behandelt diese Thematik. Nachfolgend werden die fünf zentra-
len Bereiche einer gesunden Lernumgebung genauer beleuchtet. Dazu gehört das Raumkli-
ma, das Licht, die Akustik, die Farben und Formen (Sprecher Mathieu, 2010). Auch die Er-
ziehungsdirektion des Kanton Bern (2015) nennt diese Bereiche als Einflussfaktoren auf die
Raumqualität.
Raumklima
Ein Raumklima gilt als gut, wenn es im Raum weder zu heiss noch zu kalt ist und keine Zug-
luft herrscht. Das Raumklima wird als angenehm empfunden, wenn die Luftfeuchtigkeit
stimmt. Das heisst, die Luft ist weder zu trocken noch zu feucht. Die Raumluft sollte auch
nicht mit Schadstoffen belastet sein (Sprecher Mathieu, 2010).
Licht
Sprecher Mathieu (2010) unterscheidet zwischen Tages- und Kunstlicht. Diese Lichtarten
ergänzen sich gegenseitig und sind beide von grosser Bedeutung für die Schule. Unter dem
Tageslicht versteht Sprecher Mathieu (2010) das Sonnenlicht. Ohne die gesundheitsgefähr-
denden Aspekte des Sonnenlichtes zu leugnen, hat das Sonnenlicht vor allem eine positive
Wirkung auf den Menschen. Durch Sonnenlicht kann jedoch auch Blendung auftreten. Es ist
unvermeidlich, dass einzelne Arbeitsplätze im Schulzimmer gelegentlich im Bereich einer
Blendung liegen. Mit dem Installieren von Sonnenstoren kann diesem Problem entgegenge-
wirkt werden. Fehlt das Sonnenlicht, sinkt gemäss Sprecher Mathieu (2010) die Leistungsbe-
reitschaft und die Stimmung des Lernenden. Da aber im Winter, früh abends oder morgens
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
17
das natürliche Sonnenlicht nicht ausreicht und überall im Klassenzimmer genügend Licht
sein muss, muss Kunstlicht installiert werden.
Akustik
Auch der Akustik schreibt Sprecher Mathieu (2010) grosse Bedeutung zu. Der Schulraum
muss geschützt werden vor Lärm aus der Umgebung. Oft stört Lärm aus den Schulkorridoren
das Lernen im Schulzimmer. Ein weiteres Problem sieht die Autorin in den Eingangsberei-
chen, Turnhallen und Garderobenräumen, wo es häufig stark hallt.
Farben und Formen
Laut Forster (2010) wird der Raum durch Farben und Formen strukturiert. Durch die in der
Umwelt vorhandenen Formen- und Farbstrukturen entwickelt das Kind seine Orientierungs-
fähigkeit. Durch das Orientieren im Raum sowie das Erkennen und Einordnen von Gegen-
ständen aus ihrer Umgebung, erlangen die Kinder ein Gefühl der Sicherheit. Diese Sicherheit
beschreibt die Erziehungswissenschaftlerin wiederum als eine Voraussetzung für das Wohl-
befinden. Diese Wirkungskette wird weitergeführt, in dem das Wohlbefinden einen Einfluss
darauf hat, ob sich das Kind aktiv am Unterricht beteiligt und ist somit auch Grundlage für
komplexe Verhaltensbereiche wie Lernmotivation und Leistungsbereitschaft. Sprecher Ma-
thieu (2010) wird in ihrer Arbeit noch konkreter und gibt Ratschläge zur farblichen Gestal-
tung des Lernraumes. Die Farben sollten neutral gewählt werden. Keine Farbgruppe sollte
dominant sein, damit sich möglichst alle Kinder im Raum wohlfühlen können. Nicht alle
Menschen nehmen Farben auf die gleiche Weise wahr. Manche stimmt ein helles Rot sehr
fröhlich, für andere wirkt es aggressiv. Damit mit der Farbgestaltung des Lernraumes den
unterschiedlichen Nutzungsbedürfnissen entsprochen werden kann, empfiehlt es sich, den
Raum mit warmen und kalten Farben gleichermassen zu gestalten. Warme Farben sind bei-
spielsweise ein sonniges Gelb, Orange oder Ocker. Kühle Farben sind Farben, die in der Na-
tur nicht vorkommen wie das reine Schwarz oder Weiss und auch Farben wie Zitronengelb,
Blaugrün und Königsblau. Auch Rittelmeyer (2010) beschreibt den grossen Einfluss der Far-
ben. Er empfiehlt, grelle Farben zu vermeiden.
2.2.4 Lernort für ein Kind im Autismus-Spektrum
Ein Kind verbringt täglich mehrere Stunden in der Schule. Für viele Kinder im AS stellt die
Schule in zwei Bereichen eine besondere Herausforderung dar. Zum einen ist in der Schule
Sozialkompetenz gefragt ist und wie im Kapitel 2.1.4 beschrieben, zeigen Kinder im AS oft
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
18
in diesem Bereich grosse Auffälligkeiten (Girsberger, 2016). Das bedeutet, es werden Fähig-
keiten verlangt wie:
• Sich in einer Gruppe/ Gemeinschaft einfügen
• Mit anderen zusammenarbeiten
• Sich mit neuen, relativ wenig strukturierten Lernformen zurechtfinden
• Konflikte austragen und lösen (Girsberger, 2016, S. 142)
Zum anderen, wird oft von einem Kind im Bereich des schulischen Lernens oft etwas ver-
langt, das es nur ungern macht. Hans Asperger (1944) beschreibt treffend diese Herausforde-
rung: „Die Leistungen eines Kindes erwachsen aus einer Spannung zwischen den beiden Po-
len: spontane, eigenständige Produktion und – Nachahmen eines Vorgezeigten, erlernen von
Kenntnissen und Fähigkeiten, welche die Erwachsenen bereits besitzen. ... Die autistischen
Kinder können vor allem spontan produzieren, können nur originell sein, können aber nur in
herabgesetzten Masse lernen, nur schwer mechanisiert werden, sind gar nicht darauf einge-
stellt, Kenntnisse von den Erwachsenen, etwa vom Lehrer, zu übernehmen“. Unser Schulmo-
dell geht jedoch genau von diesem, dem Kind im AS fremden Grundsatz aus: Der Schüler /
die Schülerin soll Wissen von der Lehrperson übernehmen und dieses durch mechanisches
Üben verinnerlichen (Girsberger, 2016).
Zusätzlich stellt ein Klassenzimmer eine grosse Fülle an Informationen dar. Die vielen Reize
können Kinder im AS überfordern, ablenken und Orientierungslosigkeit und Unsicherheit
auslösen. Diese sensorische Überbelastung führt oftmals zu einem unangemessenen Sozial-
verhalten (Schirmer, 2016).
2.2.5 Die beeinträchtigte räumliche Orientierung
Laut Rittelmeyer (2010) nehmen die Menschen ihre Umwelt durch das Sehen wahr und nut-
zen diese visuellen Informationen, um sich in einem Raum zu orientieren. Für ein Kind im
AS können räumliche Bedingungen Schwierigkeiten auf drei verschiedenen Ebenen bedeuten
(Schirmer, 2016):
• Orientierung im Haus
• Orientierung in einem Raum
• Orientierung am Platz (Schirmer, 2016, S. 87)
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
19
Orientierung im Haus
Ein Schulgebäude kann Lernen fördern oder hindern. Wichtig ist, dass Schulen abwechs-
lungsreiche sensorische Erfahrung bieten und die Interaktion der Kinder mit ihrer Umwelt
fördern (Walden, 2008). Gut entwickelte und gestaltete Schulen können die Voraussetzung
für die Entwicklung von motivationalen Lernmethoden sein. Diese können dazu beitragen,
Freude am Lernen und Freude an der Leistung zu entwickeln (Walden, 2008). Um die Orien-
tierung im Haus zu verbessern, können Räume von Aussen gekennzeichnet werden, damit
zweifelsfrei erkennbar ist, was sich darin befindet (Schirmer, 2016).
Die Ausgestaltung eines Gebäudes, wie beispielsweise das eines Schulhauses, kann sich auf
das Sozialverhalten eines Kindes auswirken. So wird je nach Gebäude ein kooperatives Ver-
halten angeregt, aggressives Verhalten verstärkt oder vermindert und Orientierungsverhalten
erleichtert oder erschwert (Walden, 2008).
Orientierung in einem Raum
Braun et al. (2014) heben wichtige Aspekte des Klassenzimmers hervor. Das Klassenzimmer
ist eine Lernumgebung, welche sich durch eine gute Ordnung, einer funktionalen Einrichtung
und griffbereiten Lernmaterialien auszeichnet. Transparente Regeln, Rituale und Routinen
tragen zu einer guten Ordnung im Klassenzimmer bei. Ein funktional eingerichtetes Klassen-
zimmer sollte für jedes Kind einen eigenen Arbeitsplatz beinhalten. Zusätzlich sollte genü-
gend Platz vorhanden sein, um den Bewegungsdrang der Kinder zu befriedigen. Für die Ge-
staltung des Klassenzimmers müssen jedoch auch ökologische und ergonomische Grundsät-
ze, wie die Beleuchtung, Akustik und Farb- und Formenwahl beachtet werden. Diese
Grundsätze wurden im Kapitel 2.2.3 näher beleuchtet.
Laut Schuster (2016) können Menschen im AS nur schwer mit Veränderungen umgehen und
brauchen Regelmässigkeit und Verlässlichkeit in ihrer Umwelt (vgl. Kap. 2.1.6). Dazu gehört
auch die Orientierung im Klassenzimmer. Kinder im AS fühlen sich sicher, wenn bestimmte
räumliche Verhältnisse gleichbleiben. Die Lehrperson kann zur besseren Orientierung des
Kindes im Schulzimmer beitragen, indem sie für möglichst viele Konstanten im räumlichen
Umfeld des Kindes sorgt und auf die Bedürfnisse des Kindes eingeht. Auch Schirmer (2016)
betont die Schwierigkeit der Betroffenen, sich in einem Raum zu orientieren. Klare Struktu-
ren und feste Plätze können den Betroffenen helfen, ihren Arbeitsplatz und ihre Arbeitsmate-
rialien besser zu finden. Auch die Kennzeichnung des Arbeitsplatzes oder des Stuhls im
Kreis mit einem Foto oder mit Farbe können zur Orientierung im Raum beitragen. Dekorati-
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
20
onen wie Kerzen, Bilder, Pflanzen und Blumen führen bei Kindern im AS schnell zu einer
sensorischen Überforderung und beeinträchtigen ihre Konzentration. Überflüssige Reize soll-
ten im Schulzimmer reduziert werden, um den Fokus nicht vom Wesentlichen abzulenken.
Der Sitzplatz des Kindes sollte so gewählt werden, dass es möglichst wenig Ablenkungen
ausgesetzt ist und trotzdem den Lehrer gut sehen und hören kann. Zusätzlich sind viele Men-
schen im AS blendungsempfindlich. Aus diesem Grund sollten bei der Schulzimmereinrich-
tung eine blendungsarme Gesamtausleuchtung und Fenstervorhänge montiert werden. Dazu
kommt, dass 80% der Betroffenen an einer auditiven Hypersensibilität leiden. Sie nehmen
extrem leise Töne und Geräusche wahr und müssen vor dieser Geräuschbelastung geschützt
werden. So sollten Holz- statt Metallschränke verwendet und Teppiche ausgelegt werden.
Wichtig ist jedoch, dass der Teppich nicht gemustert ist, damit das Kind im AS nicht vom
Muster abgelenkt wird. Ausserdem sollte das Klassenzimmer an einem ruhigen Ort des
Schulhauses gelegen sein, um unnötigen Lärm zu vermeiden.
Auch Raumwechsel können für Kinder im AS Stress bedeuten, da jeder Raumwechsel neue
Orientierungsprobleme mit sich bringt: Neuer Sitznachbar, neue Tischoberfläche (rau / glatt)
oder neue Wandfarben (Schuster, 2016).
Orientierung am Platz
Kinder im AS sind sehr leicht ablenkbar. Aus diesem Grund benötigen sie einen stark reizre-
duzierten Arbeitsplatz (Schirmer, 2016). Auch Schuster (2016) misst dem Arbeitsplatz eine
hohe Bedeutung zu. Für die von Menschen im AS ist es schwierig, wenn nicht unmöglich,
den idealen Sitzplatz zu finden. Menschen im AS wünschen sich einen Arbeitsplatz der ruhig,
geschützt, sauber und isoliert ist und trotzdem einen freien Blick nach vorne gewährt. Für
Kinder im AS ist es wichtig, dass die Sitzplätze nicht ständig wechseln. Häufig wechselnde
Sitzplatzumgebungen können Angst und Unsicherheit auslösen und erschweren das Lernen.
Welcher Sitzplatz sich am besten für das Kind eignet, kann die Lehrperson in einem gemein-
samen Gespräch mit dem Kind eruieren.
Zusätzlich können Kinder im AS oft einen stark ausgeprägten Sinn für Hygiene aufweisen
und sich vor Stühlen und Tischen im Schulzimmer ekeln. Die Lehrperson kann diesem be-
sonderen Bedürfnis Rechnung tragen, indem sie dem Kind einen Tisch zuteilt, an dem es
alleine sitzen darf. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, dass das Kind von Zuhause ein
eigenes Tischtuch oder ein Sitzpolster mitnehmen darf.
Oftmals äussert sich die Reizüberflutung der Betroffenen durch auffälliges Verhalten. Schü-
lerinnen oder Schülern im AS hilft es, wenn ihre Arbeitsmaterialien an einem immer gleich-
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
21
bleibenden Platz aufbewahrt sind. Wichtig ist auch, dass Materialien, die sie gerade nicht
benötigen, nicht auf dem Tisch liegen bleiben. Diese lenken sie unnötig vom Lernen ab
(Schirmer, 2016).
Gemäss Schirmer (2016) haben Menschen im AS Schwierigkeiten in der Wahrnehmungsver-
arbeitung. Aus diesem Grund müssen bei der Gestaltung der räumlichen Lernbedingungen
auf jeder der drei beschriebenen Ebenen (Orientierung im Haus / Raum / am Platz) zwei
wichtige Grundsätze beachtet werden:
• Die Reize im Lernraum müssen minimiert werden. Dies dient der Entlastung des Kin-
des und der Reduktion von Stress. Nur so kann erreicht werden, dass sich das Kind
auf das Lernen und seine Orientierung im Raum konzentrieren kann.
• Um Aufgaben besser zu verstehen, müssen wichtige Hinweisreize besonders betont
werden.
2.3 Schulische Integration
Dieses Kapitel beinhaltet das Klären des Begriffes der schulischen Integration sowie Argu-
mente für eine Integration. Zusätzlich werden Punkte beschrieben, welche für eine gelingen-
de Integration beachtet werden müssen. Dabei wird der Fokus auf ein Kind im AS gelegt.
Unter schulischer Integration wird im Allgemeinen die Integration einer Schülerin oder eines
Schülers in eine Klasse verstanden. Kinder oder Jugendliche mit besonderem Bildungsbedarf,
insbesondere mit Behinderung, werden in die Regelschule integriert (Stiftung Schweizer
Zentrum für Heil- und Sonderpädagogik, 2019).
Die schulische Integration von Kindern und Jugendlichen ist gesetzlich verankert. Die Bun-
desversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (2002) hat ein Behindertengleich-
stellungsgesetz beschlossen. Die Kantone müssen dafür sorgen, dass Kinder und Jugendliche
eine an ihre besonderen Bedürfnisse angepasste Grundschulung erhalten. Als Grundsatz gilt:
Integration vor Separation, soweit dies möglich ist und dem Wohl des Kindes oder Jugendli-
chen dient (Art. 20 Abs. 1 & 2 BehiG).
2.3.1 Integration von einem Kind im Autismus-Spektrum
Mittels der Orientierung an Fähigkeiten und spezifischen Bedürfnissen wird entschieden,
welcher Lernort sich für ein Kind im AS am besten eignet (Schirmer 2016). Ein Kind separa-
tiv zu unterrichten, wird nicht ausgeschlossen. Dies steht nicht im Widerspruch zum Behin-
dertengleichstellungsgesetz, dass bei allen Massnahmen das Kindeswohl an die erste Stelle
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
22
stellt (vgl. Kap. 2.3). Girsberger (2016) betont, dass eine schulische Integration nicht bei je-
dem Kind im AS möglich und sinnvoll ist. Es gibt Kinder im AS, die in einer Sonderschule
besser aufgehoben und gefördert werden können. Er spricht jedoch auch in einer Sonderschu-
le von Integration: „In jeder Schule, unabhängig von ihrem Status, braucht es integrative
Bemühungen, damit das autistische Kind sich ... wohlfühlt. Etwas pointiert ausgedrückt,
möchte das Kind aus dem Autismus-Spektrum ... am liebsten gar nicht in die Schule gehen“
(S. 141). Auch Schirmer (2016) legt nahe, dass ein Kind im AS nicht automatisch Fortschritte
macht, nur weil es im selben Raum wie neurotypische Kinder ist.
Argumente für eine Integration
Folgende Gründe werden in der Fachliteratur für eine Integration von Kindern im AS darge-
legt:
• Fehlende Stigmatisierungsprozesse,
• die Möglichkeit der Begegnung zwischen Kindern mit und ohne sonderpädagogischen
Förderbedarf,
• positive Modelle von anderen Kindern und
• soziale Beziehungen zu Kindern mit neurotypischer Entwicklung (Schirmer, 2016, S.
111f).
Wichtige Punkte für eine gelingende Integration
Damit eine Integration von einem Kind im AS gelingt, müssen verschiedene Punkte beachtet
werden. Schirmer (2016) betont die Wichtigkeit eines Rückzugortes für ein Kind im AS und
bestätigt damit die Aussagen von Sprecher Mathieu (2010) und Forster (2010), die im Kapitel
2.2.1 erläutert werden.
Wenn ein Kind von sensorischen Reizen überflutet wird und von einer sozialen Situation
überfordert ist, sollte es die Möglichkeit haben, in einer Einzelsituation Ruhe zu finden. Girs-
berger (2016) beschreibt in seinem Werk die Probleme bei der sozialen Integration von Kin-
dern im AS. Oftmals sind sie zwar an sozialen Kontakten interessiert, gestalten diese jedoch
auf eine ungeschickte oder egozentrische Art. Dadurch werden sie oft Opfer von Mobbing.
Kinder im AS können, besonders wenn sie an Kraft und Grösse ihrem Gegenüber körperlich
überlegen sind, ein aggressives oder grobes Verhalten zeigen. Die Kinder im AS benötigen
ein von ausgebildeten Fachpersonen aus der Heil-, Sonder- oder Sozialpädagogik geleitetes
gezieltes Sozialtraining.
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
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Ebenfalls müssen Lehrpersonen besondere Aufmerksamkeit auf unstrukturierte und unbeauf-
sichtigte Situationen und Orte legen (z.B. Pausen, Toiletten, Schulweg), da die Kinder im AS
oft in diesen Bereichen grosse Probleme haben.
Auf die geringe Frustrationstoleranz von Kindern im AS weist Girsberger (2016) hin. Die
soziale und emotionale Reife der Kinder im AS entspricht meist nicht dem Entwicklungs-
stand von Gleichaltrigen. Bei Schwierigkeiten und überfordernden Situationen neigen Be-
troffene dazu, schnell aufzugeben und Neues zu meiden. Häufig führt ihre Frustration zu
emotionalen Ausbrüchen.
Die Aufklärung der Personen im Umfeld über die Besonderheiten des Kindes im AS, erachtet
Girsberger (2016) als eine notwendige Massnahme für eine gelingende Integration. Dies setzt
fundiertes Wissen der schulischen Bezugspersonen im Bereich Autismus voraus.
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
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3 Fragestellung und Hypothesen
Ausgehend von den bisherigen Erkenntnissen aus den theoretischen Vorüberlegungen wird in
diesem Kapitel die Fragestellung abgeleitet und präzisiert. Diese Arbeit sucht Antworten auf
folgende Forschungsfrage:
Wie muss ein Lernort gestaltet sein, damit die Integration eines Kindes im Autismus-
Spektrum gelingen kann?
Es ist zu erwähnen, dass aufgrund des beschränkten Umfangs der Arbeit, sowie weiteren
Rahmenbedingungen keine Prüfung der Nachhaltigkeit der Thesis angestrebt werden kann.
Verknüpft mit den theoretischen Grundlagen aus Kapitel 2 lassen sich zwei Unterfragen ab-
leiten.
3.1 Kind im Autismus-Spektrum in der Schule
Unterfrage 1: In welchen Bereichen des schulischen Lernens zeigen Kinder im Autismus-
Spektrum Auffälligkeiten?
Das Klassifikationssystem DSM-5 beschreibt Auffälligkeiten der Menschen im AS in den
Bereichen Kommunikation, soziale Interaktion und stereotype Verhaltensweisen und einge-
schränkte Interessen. Alle Experten der untersuchten Fachliteratur sind sich einig, dass Kin-
der im AS Auffälligkeiten in diesen Bereichen sowie zusätzlich Besonderheiten in der Wahr-
nehmung zeigen (vgl. Kap. 2.1.3 & 2.1.4).
Hypothese 1: Die Aussagen der befragten Fachpersonen zum schulischen Lernen von Kin-
dern im Autismus-Spektrum decken sich mit den theoretischen Ausführungen der Autoren
der untersuchten Fachliteratur, welche Auffälligkeiten in vier zentralen Bereichen beschrie-
ben: Kommunikation, soziale Interaktion, stereotype Verhaltensweise und eingeschränkte
Interessen sowie Besonderheiten in der Wahrnehmung.
3.2 Lernort
Zur Thematik Lernort wurden zwei Unterfragen mit jeweils einer Hypothese formuliert.
Unterfrage 2: Inwiefern spielt ein strukturierter Lernort eine Rolle für ein Kind im Autismus-
Spektrum?
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
25
Das Klassenzimmer stellt für das Kind im AS eine Überfülle an Informationen dar (Schirmer,
2016). Gemäss den Autoren Herbrecht und Gwerder (o.J.), Bernard-Opitz und Häussler
(2013) und Schirmer (2016) bieten klare Strukturen und gleichbleibende räumliche Verhält-
nisse den Kindern im AS Orientierung und Sicherheit (vgl. Kap. 2.1.7 & 2.2.4)
Hypothese 2: Alle Kinder profitieren von einem strukturierten Lernort. Für Kinder im Au-
tismus-Spektrum ist ein auf die individuellen Bedürfnisse eingerichteter Lernort eine unab-
dingbare Voraussetzung für schulisches Lernen.
Unterfrage 3: Von welchen Massnahmen profitiert ein Kind im Autismus-Spektrum im Be-
reich Lernort?
Unter anderem beschreiben die Autoren Schirmer (2016) und Schuster (2016) einen festen
und blendungsarmen Arbeitsplatz und das Reduzieren von überflüssigen Reizen im Schul-
zimmer, als wichtige Punkte, die bei einem Lernort für ein Kind im AS beachtet werden müs-
sen (vgl. Kap. 2.2.4)
Hypothese 3: Ein Kind im Autismus-Spektrum braucht sowohl einen strukturierten und fes-
ten Arbeitsplatz als auch eine reizarme Lernumgebung.
3.3 Integration
Unterfrage 4: Welches sind die Erfolgsfaktoren für eine Integration von einem Kind im Au-
tismus-Spektrum?
Für eine gelingende Integration in die Regelschule braucht ein Kind im AS einen Ort, an dem
es sich bei einer Reizüberflutung zurückziehen kann (Schirmer, 2016). Zusätzlich muss ge-
mäss Girsberger (2016) das Sozialverhalten der Kinder im AS mit ausgebildeten Fachperso-
nen gezielt geübt werden. Unstrukturierte und unbeaufsichtigte Situationen müssen beauf-
sichtigt werden, da diese für Kinder im AS besonders herausfordernd sind.
Hypothese 4: Eine Integration gelingt, wenn alle beteiligten Kinder und Lehrpersonen über
die besonderen Bedürfnisse eines Kindes im Autismus-Spektrum aufgeklärt sind.
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
26
4 Methode
Um die ideale Gestaltung des Arbeitsplatzes für ein Kind im AS erheben zu können, wurde
auf die Erfahrung und auf das Expertenwissen von Fachpersonen zurückgegriffen. Die Auto-
rin führte teilstrukturierte Interviews mit bewusst ausgewählten Fachpersonen durch (Aeppli,
Gasser, Gutzwiller, Tettenborn, 2016). Die Befragten arbeiten in verschiedenen Settings und
verfügen über ein differenziertes Fachwissen. Im nachfolgenden Kapitel werden die objekti-
ven Merkmale der Fachpersonen näher beschrieben. Die Interviews werden mit einer qualita-
tiven Inhaltsanalyse erfasst mit dem Ziel, die aus den Interviews gewonnenen Daten systema-
tisch aufzuarbeiten (Aeppli et al., 2016). Diese Methode eignet sich gemäss Aeppli et al.
(2016) besonders zur Auswertung von transkribierten Interviews. Auch auf die Datenerhe-
bung und die Datenauswertung wird im folgenden Kapitel näher eingegangen.
4.1 Stichprobe
Um Antworten auf die Forschungsfrage zu erhalten, wurden fünf Interviews geführt. Gemäss
Aeppli et al. (2016) ist es sinnvoll, Männer und Frauen, jüngere und ältere, Fachpersonen aus
verschiedenen Fachbereichen mit einzubeziehen, um eine möglichst umfassende Bild der
Thematik zu erhalten. Daher wurden alle die Interviewpartner von der Autorin bewusst aus-
gewählt. Sie alle haben ein fundiertes Fachwissen zur Thematik Autismus und jahrelange
Erfahrung in der Arbeit mit Kindern aus dem Spektrum. Nachfolgend werden die objektiven
Merkmale der fünf Fachpersonen zusammengefasst.
Tabelle 1: Daten der Interviewpartner
Geschlecht Alter Beruf, Arbeitsort Bezug zu Autismus Abkürzung in
dieser Arbeit
Interview 1 weiblich 33 J. Schulische Heil-
pädagogin, Mari-
azell Sursee
Unterrichtet Kinder im AS
an Sonderschule
SHP 1, INT 1
Interview 2 männlich 51 J. Professor an der
Hochschule für
Heilpädagogik,
Zürich
Zehn Jahre Arbeit als
Therapeut, Beratung und
Begleitung von Familien
und Schulen, bildet schuli-
sche Heilpädagoginnen und
Heilpädagogen aus, leitet
Seminare zum Thema AS
PROF, INT 2
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
27
Interview 3 männlich 60 J. Kinder- und Ju-
gendpsychiater,
Liestal
Hilfs- und Therapieangebo-
te im AS, Spezialist für AS
KJP, INT 3
Interview 4 weiblich 39 J. Schulische Heil-
pädagogin, SWZ
Malters
Arbeitet an der AS-
Lernwerkstatt an einer Son-
derschule, Beratungen/ Be-
gleitungen von Kindern im
AS
SHP 2, INT 4
Interview 5 weiblich 35 J. Sozialpädagogin,
Klingnau
Interner AS-Dienst an einer
Sonderschule, unterstützt
Kinder im AS in der Schu-
le, Freizeit und über den
Mittag, Förderlektionen
Sozialverhalten von Kin-
dern im AS
SP, INT 5
Aus dieser Tabelle ist ersichtlich, dass das Alter der interviewten Fachpersonen zwischen 33
und 60 Jahren liegt. Zwei Fachpersonen unterrichten Kinder im AS. Drei Fachpersonen ha-
ben durch Beratungen oder Begleitungen von Kindern im AS und ihren Familien Erfahrun-
gen im Bereich Autismus gemacht. Diese Vielfalt lässt einen breiten Einblick in die Thema-
tik zu.
4.2 Datenerhebung
Die Qualität der Planung und Durchführung der Interviews haben einen erheblichen Einfluss
auf die Qualität der erhobenen Daten. Die Ergebnisse beeinflussen die Verwendbarkeit und
die Aussagekraft und der daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen (Aeppli et al., 2016). Aus
diesem Grund wurde zur Datenerhebung ein geeignetes Erhebungsinstrument ausgewählt.
Die Autorin hat sich für ein teilstrukturiertes Interview entschieden. Dabei sind der Ge-
sprächsverlauf, die Themen und die Fragen bereits vorbereitet, diese können jedoch dem Ge-
sprächsverlauf angepasst werden (Aeppli et al., 2016). Es wurden zwei Interviewleitfäden
basierend auf die Erkenntnisse aus dem Theorieteil in Kapitel 2 entwickelt. Einen für Fach-
personen, welche Kinder im AS unterrichten und einen für Fachpersonen, welche nicht unter-
richten und in der Beratung tätig sind. Die beiden Interviewleitfäden unterscheiden sich nur
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
28
durch kleine Formulierungsunterschiede. Beide Interviewleitfäden sind im Anhang A zu fin-
den.
In einem nächsten Schritt wurden Termine, Orte und Räumlichkeiten mit den Fachpersonen
per Mail festgelegt. Um den zeitlichen Aufwand der Fachpersonen möglichst tief zu halten,
fanden die Interviews am Arbeitsplatz der Befragten statt und wurden zeitlich auf 30 Minuten
begrenzt. Die Interviews wurden von der Autorin persönlich durchgeführt. Der Interviewleit-
faden wurde den Fachpersonen im Voraus per Mail zugesendet. Dadurch hatten die Fachper-
sonen die Möglichkeit, sich auf die Fragen vorzubereiten. Die Interviews wurden mit dem
Smartphone aufgenommen. Aeppli et al. (2016) beschreiben wie wichtig es ist, technische
Geräte im Vorfeld zu testen, um allfällige Störungen zu entdecken. Dieser Ratschlag wurde
befolgt und die Aufnahme der Interviews gelang ohne Probleme. Des Weiteren wurden wich-
tige Aussagen der Befragten während des Interviews von der Fragestellerin stichwortartig
notiert. Dieses Vorgehen deckt sich mit den Empfehlungen von Aeppli et al. (2016). Ein wei-
terer wichtiger Aspekt der Datenerhebung ist das Gewähren der Anonymität (Aeppli et al.,
2016). Folglich wurden in dieser Arbeit Codes statt Namen für die Identifikation der Teil-
nehmenden verwendet (vgl. Tabelle 1, Kap. 4.1).
Aeppli et al. (2016) empfiehlt, nach der Datenerhebung die Untersuchungsteilnehmenden
über die Ziele der Studie zu informieren und ihnen die Möglichkeit zu geben, Fragen zu stel-
len. Diese Vorgehensweise wurde von der Autorin umgesetzt. Neben dem Ausdrücken von
Wertschätzung, dass sich die Fachpersonen Zeit für diese Untersuchung genommen haben,
erhielten die Fachpersonen Raum, ihre Meinung über die gewählte Methode der Datenerhe-
bung kundzutun. Daraus ergaben sich wertvolle Es kam beispielsweise zum Ausdruck, dass
die Fachpersonen es schätzten, die Interviewfragen bereits im Voraus erhalten zu haben.
4.3 Datenauswertung
Aeppli et al. (2016) betonen, dass verlorenen Daten nicht mehr ersetzt werden können. Aus
diesem Grund wurden die mit dem Smartphone aufgenommenen Interviews auf einer exter-
nen Festplatte gesichert. Anschliessend wurden die Interviews mithilfe des Programmes F5
transkribiert. Es wurden nicht alle Transkripte vollständig ausgewertet, sondern nur die für
die Beantwortung der Forschungsfrage relevanten Ausschnitte verwendet (Aeppli et al.,
2016). Für die Auswertung wurde das Programm MAXQDA beigezogen. In einem ersten
Schritt wurde das Datenmaterial reduziert, damit die Datenmenge überschaubar wird. Dabei
wurden die Kategorien aus dem Datenmaterial induktiv gewonnen und mittels Textpassagen
aus den Interviews veranschaulicht. Dieses Vorgehen ist an die strukturierende Inhaltsanalyse
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
29
angelehnt (Aeppli et al., 2016). Die Kategorien wurden in einem weiteren Schritt erneut zu-
sammengefasst (vgl. Anhang D). Nach diesem Vorgehen wurden die Ergebnisse im nachfol-
genden Kapitel strukturiert.
5 Ergebnisse
Mithilfe der theoretischen Abhandlung im Kapitel 2, des Datenmaterials aus den Interviews
(vgl. Anhang B & C) sowie der tabellarischen Zusammenfassung (vgl. Anhang D) wurde ein
Kodierparadigma erstellt. Mit diesem wissenschaftlichen Instrument wurde das nachfolgende
Kapitel strukturiert. Dabei stellen die blauen Felder die zentralen Bereiche der Thematik dar.
Anhand von beschrifteten Pfeilen werden Zusammenhänge dargestellt. Aus Gründen der
Übersichtlichkeit werden nur die wichtigsten Zusammenhänge veranschaulicht.
Abbildung 2: Kodierschema
Lernort'
Erfahrungen*mit*Kindern*im*Au1smus3Spektrum*
Symptoma-k'Au-smus2Spektrum'
Wahrnehmung'
Soziale'Interak-on'
Stereotype'Verhaltensweisen'und'eingeschränkte'Interessen''
Kommunika-on'
Integra1on*von*Kindern*im*Au1smus3Spektrum*
Strukturierung'
Lernort*für*Kinder*im*Au1smus3Spektrum*
Lernort'Schule'
Wohlbefinden'
Reizüberflutung'vermindern'
Reizarme'Lernumgebung'
Schulisches'Lernen'von'Kindern'im'Au-smus2Spektrum'
Raum'
Zeit'
Visualisierung'
allg.'Wissen'über'
Spezialwissen''über'
berücksich-gen'
Wissen'über'
Voraussetzun
g''
für'
Empfehlungen''allg.'
Empfehlungen'konkret'
Auswirkungen'
'auf'Auffälligkeiten'in''
berücksich-gen,'mit'Fachperson'einüben'
berücksich-gen,'Im'Unterricht'mit'einbeziehen''
berücksich-gen,'eigene'Kommunika-on'reflek-eren''
unterteilt'in'
gefördert'durch'
Voraussetzu
ng'für'
Wissen'über'
unterstützt'
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
30
5.1 Erfahrungen mit Kindern im Autismus-Spektrum
In den nachfolgenden Kapiteln werden die Erfahrungen der interviewten Fachpersonen zu
den Bereichen schulisches Lernen und Symptomatik geschildert und daraus Empfehlungen
für den Umgang mit Kindern im AS abgeleitet. Aussagen der interviewten Fachpersonen
werden mit deren Codenamen (siehe Kapitel 4.1, Tabelle 1) aufgeführt.
Vorab ein wichtiger Hinweis von Seiten des KJP. Die Bezeichnung „Autist“ oder „Autistin“
sollte nicht verwendet werden. Durch den Ausdruck „Du bist Autist“ wird „ein Mensch auf
ein einzelnes Merkmal reduziert“ (KJP, INT 3, Z. 9). Der KJP erklärt, dass die Diagnose Au-
tismus nur ein Teil der Persönlichkeit ausmacht. Aus seiner praktischen Tätigkeit mit Men-
schen im AS führt er weiter aus, dass viele Betroffene den Begriff „Autist“, beziehungsweise
„Autistin“, abwertend finden. Diese Aussage verstärkt er in dem er sagt: „Niemand möchte
auf etwas reduziert werden, was auffällig ist“ (KJP, INT 3, Z.11). Viel mehr sollten die Be-
griffe „Mensch mit Autismus“, „Kind aus dem Autismus-Spektrum“ oder „Kind mit einer
Autismus-Diagnose“ verwendet werden (KJP, INT 3, Z.13). Um eine Stigmatisierung zu
vermeiden, ersetzte die Autorin aufgrund dieses wertvollen Hinweises die Bezeichnung „Au-
tist“ durch Menschen im Autismus-Spektrum (AS).
5.1.1 Schulisches Lernen
Im Bereich des schulischen Lernens haben die interviewten Fachpersonen von positiven so-
wie von negativen Erfahrungen berichtet. Der KJP beispielsweise erwähnt als positive Erfah-
rung den Austausch über die interessanten Hobbys der Kinder im AS. Die SHP 1 spricht von
ihren negativen Erfahrungen als Lehrperson: „Manchmal habe ich ... etwas von einem autis-
tischen Kind erwartet, dass eigentlich nicht möglich ist und dann muss ich mich ... selber
hinterfragen und meinen Unterricht anpassen ...“ (INT 1, Z. 7). Auch der PROF erzählt von
seinen Erfahrungen aus diversen Beratungen und dem direkten Kontakt mit Betroffenen.
Kinder im AS sind in verschiedenen Bereichen sehr herausfordernd. Der PROF beschreibt
folgende Situationen für Lehrpersonen als anspruchsvoll: „Wenn ein Kind nicht so reagiert,
wie ich es erwarte ..., ist das schon sehr schwierig und herausfordernd“ (INT 2, Z. 7). Im
Schulalltag gibt es viele Situationen, welche Kinder im AS überfordern können. Beispiels-
weise offen gestellte Aufgaben oder eine Reizüberflutung (PROF, INT 2). Wie ein Kind im
AS auf eine überfordernde Situation reagiert, ist gemäss Aussage des PROF sehr unterschied-
lich: „Eine klassische Reaktionsform ist wahrscheinlich die, in der einfach nichts passiert.
Das Kind sitzt einfach da und macht nichts mehr“ (PROF, INT 2, Z. 33). Der KJP geht in
seinen Aussagen ebenfalls auf das herausfordernde Verhalten der Kinder im AS ein. Er be-
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
31
schreibt aggressives und störendes Verhalten als eine mögliche Reaktion auf eine überfor-
dernde Situation (INT 3). Der PROF beschreibt eine externalisierende Reaktion auf eine
Überforderung als Extremfall (Z. 33). Auf diese Weise versucht das Kind im AS, aus der
Überforderung herauszukommen oder auf sich aufmerksam zu machen (PROF, INT 2).
Umgang mit herausforderndem Verhalten
Wie bereits erwähnt, kann ein Kind im AS für eine Lehrperson eine grosse Herausforderung
darstellen. Die SHP 2, die SP und der KJP sprechen dabei von einem Kompromiss, welchen
die Lehrperson eingehen muss. Es kann nicht nur vom Kind im AS eine Anpassung an das
Schulsystem erwartet werden. Die SHP 2 beschreibt diesen Ansatz mit folgenden Worten:
„Es braucht immer von beiden Seiten eine Annäherung. Nicht nur von ihnen, ... nein auch
wir ... müssen uns ... an sie anpassen“ (INT 4, Z. 30). Ein Kind muss nicht immer am Unter-
richt teilnehmen. Dieser Meinung sind der KJP und die SP. Die SP verdeutlicht dies anhand
einer Kreissituation, die für viele Kinder im AS sehr schwierig ist: „Ich versuche zu vermit-
teln, dass es ... auch ok ist, dass ein Kind [im Kreis] nur zuschaut und nicht aktiv teilnimmt“
(INT 5, Z. 43). Dieser Meinung ist auch der KJP. Die Lehrperson muss sich stets bemühen,
einen Mittelweg zwischen „am Unterricht teilnehmen wie alle anderen ... oder... die Mög-
lichkeit haben, an etwas Eigenem zu arbeiten, zu finden. Vorzugsweise [arbeitet das Kind an]
etwas, für das [es] sich ... besonders interessiert“ (KJP, INT 3, Z. 29). Die SP gibt offen zu,
dass sie und ihre Teamkolleginnen / Teamkollegen manchmal, obwohl sie sich bemühen, auf
jedes Kind einzeln einzugehen, an ihre Grenzen stossen. Es scheint, als ob sie sich damit ab-
finden muss, dass es Kinder gibt, „welche ausserhalb der Schule einfach mehr lernen als in
der Schule, auch wenn wir uns so Mühe geben“ (INT 5, Z. 15).
Zusammenfassend beschreibt die SHP zwei Kinder im AS als sehr „fröhliche und glückliche
Kinder“ (INT 4, Z. 11). Auch die SHP 1 hat Kinder im AS als zufrieden erfahren (INT 1).
Die SHP 1 und die SP heben in ihren Aussagen auch den Humor der Kinder im AS hervor.
Alle Fachpersonen, bis auf die SHP 1, betonen die ehrliche und direkte Art von Kindern im
AS.
5.1.2 Symptomatik
Zur Symptomatik von Kindern im AS geben alle Fachpersonen Auskunft. Der KJP und der
PROF fassen die Diagnosekriterien für eine Autismus-Spektrum-Störung wie folgt zusam-
men: Beeinträchtigung der Kommunikation, Beeinträchtigung der sozialen Interaktion, stere-
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
32
otype Verhaltensweisen und eingeschränkte Interessen (INT 2, Z. 5 & INT 3, Z. 7). Die Da-
tenerhebung legt nahe, sich bei der Strukturierung des Kapitels Symptomatik an der Gliede-
rung des theoretischen Hintergrunds zu orientieren. Zusätzlich wird auch auf die Besonder-
heiten der Wahrnehmung und auf die vielfältige Ausprägung innerhalb des Spektrums einge-
gangen, da auch diese Auffälligkeiten mehrmals erwähnt wurden.
Vielfältige Ausprägung innerhalb des Spektrums
Alle interviewten Fachpersonen bekräftigen mehrmals, dass ihre Aussagen nicht auf jedes
Kind im AS verallgemeinert und übertragen werden darf. Die SP begründet dies folgender-
massen: „Obwohl die Kinder eine ähnliche ... oder vielleicht sogar die gleiche Diagnose ha-
ben, sind sie trotzdem völlig verschieden und funktionieren völlig anders“ (INT 5, Z. 7).
Auch die SHP 1, welche jahrelang Erfahrungen mit Kindern im AS gemacht hat, berichtet:
„... jeder Autist oder [jedes] Kind mit Autismus, dass ich bis jetzt kennengelernt habe, ist
einfach anders“ (INT 1, Z. 5). Der KJP unterstreicht ebenfalls, dass man von einem Autis-
mus-Spektrum spricht. Des Weiteren sei es unmöglich eine Aussage zu machen, welche auf
alle Kinder im AS zutrifft (INT 3). Er stützt seine Aussage mit einem konkreten Beispiel aus
der Praxis: „Die Kinder, wenn sie zu mir in die Praxis kommen, sind meistens schüchtern,
zurückhaltend ..., begrüssen mich entweder gar nicht oder höchstens beiläufig. Es gibt auch
das Gegenteil. ... Kinder, welche die Distanz nicht einhalten und mich ... mit Fragen bom-
bardieren“ (Z. 23). Auch in der Schule beobachtet er sehr unterschiedliches Verhalten. Eini-
ge Kinder verhalten sich in der Schule enorm angepasst oder gar „überangepasst“ (INT 3, Z.
25). Sie sind brav und hören gut auf die Lehrperson. Andere hingegen lassen sich von der
Lehrperson nichts sagen und stören den Unterricht durch auffälliges Verhalten (KJP, INT 3).
Kommunikation
Alle Fachpersonen, bis auf die SHP 1, heben die ehrliche und direkte Art von Kindern im AS
hervor. Gemäss PROF wird ihre Art der Kommunikation bei den Mitmenschen oft als „zu
direkt“ verstanden (INT 2, Z. 9). Zusätzlich beschreibt er die Schwierigkeit von Menschen
im AS, sich in andere Personen hineinzuversetzen (INT 2). Auch die SHP 1 erwähnt die
Schwierigkeiten in der Kommunikation von Menschen im AS. Oftmals verstehen sie Aussa-
gen wortwörtlich. Die SHP 1 verdeutlicht dies wie folgt: „... manchmal werde ich falsch ver-
standen von Autisten, ... weil ich ... zum Beispiel eine Redewendung sage und etwas im ...
Zusammenhang meine und sie nehmen einzelne Details daraus“ (INT 1, Z. 17). Der PROF
und die SHP 1 sehen die Kommunikation der Menschen im AS jedoch auch als Chance, die
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
33
eigene Kommunikation zu reflektieren. Im Kontakt mit Kindern im AS muss hinterfragt wer-
den: „Ist man klar genug und eindeutig in der Kommunikation?“ (PROF, INT 2, Z. 9).
Soziale Interaktion
In Bezug auf die Rolle eines Kindes im AS in der Klasse sind sich die Fachpersonen nicht
einig. Die SHP 1 beschreibt Kinder im AS als sehr beliebt bei ihren Mitschülerinnen und
Mitschülern und als sehr zufriedene Kinder: „Alle spielen ... gerne mit ihnen und ... es gibt
wenig Streit mit Kindern im AS“ (INT 1, Z. 9-13). Die anderen Fachpersonen schreiben den
Kindern im AS eine Sonderrolle im Klassenverband zu. Die SP geht einen Schritt weiter und
fügt an: „Im Bereich der sozialen Interaktion gibt es eigentlich immer Probleme, sonst wären
die Kinder nicht in diesem Spektrum“ (INT 5, Z. 19). Die Kinder im AS unterscheiden sich
von ihren Mitschülerinnen und Mitschülern. Dies beschreibt der KJP so: „Meistens verhält
sich das Kind auf eine Art und Weise, die den anderen Kindern auffällt“ (INT 3, Z. 49). Der
PROF verdeutlicht dies am Beispiel, dass Kinder im AS häufig nicht auf Witze reagieren
oder soziale Signale nicht verstehen (PROF, INT 2). Oftmals haben sie „fast kein Verständ-
nis für unsere sozialen Regeln“ (SHP 2, INT 4, Z. 7). Durch ihre Andersartigkeit ist auch das
Risiko von Kindern im AS grösser, Opfer von Mobbing zu werden (SHP 2, INT 4 & PROF,
INT 2). Der KJP erwähnt, dass auch Kinder im AS einzelne Freunde in der Klasse haben
können (INT 3). In diesem Punkt stimmt seine Aussage teilweise mit der der SHP 1 überein,
welche die Kinder im AS als sehr beliebt beschreibt (Z. 9). Oft sind andere Kinder an der
Betreuung des Kindes im AS beteiligt. Dies schildert der KJP wie folgt: „Kinder, welche sich
auch um das Kind mit Autismus kümmern, wenn sie merken, dass es irgendeine Hilfestellung
brauchen könnte“ (INT 3, Z. 49).
Die SHP 2 beschreibt die Emotionsregelung der Kinder im AS als anders als die von neuro-
typischen Kindern. Dies verdeutlicht sie mit folgender Aussage: „Sie können zum Teil die
Emotionen gar nicht spüren und vor allem nicht reflektieren“ (INT 4, Z. 7).
Stereotype Verhaltensweisen und eingeschränkte Interessen
Die SHP 1, SHP 2 und der KJP betonen in ihren Aussagen die Schwierigkeit dieser Kinder
im Umgang mit Veränderungen. Die SHP 1 und der KJP bezeichnen die Betroffenen als un-
flexibel. Kinder im AS zeigen auffälliges Verhalten, wenn sie mit „Neuem oder Unbekann-
tem konfrontiert werden oder mit plötzlichen Veränderungen“, umgehen müssen (KJP, INT
3, Z. 7). Der KJP veranschaulicht seine Aussage mit einem konkreten Beispiel: „Es ist Som-
mer, Mittwochnachmittag frei und die Eltern haben zum Kind gesagt, dass sie am Nachmittag
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
34
ins Schwimmbad gehen. ... Jetzt ist es aber so, dass schon am Mittag Gewitterwolken aufzie-
hen und die Eltern sagen, das müssen wir auf Morgen verschieben. Das kann einen Wutaus-
bruch oder einen Trotzanfall auslösen.“ (INT 3, Z. 19). Unvorhersehbare Veränderungen
können bei Kindern im AS unterschiedliche Reaktionen auslösen. Die SHP 1 erzählt von
Kindern im AS, welche auf Veränderungen mit Aggressionen reagieren oder sich zurückzie-
hen (INT 1). Der KJP nennt ebenfalls Aggressionen in Form von Wutausbrüchen als eine
mögliche Reaktionsform (INT 3). Um solche „Krisen“, wie der KJP sie nennt, zu vermeiden,
helfen immer gleichbleibende Abläufe und Rituale (SHP 1 & SHP 2). Die SHP 1 betont je-
doch in ihren Aussagen die Wichtigkeit, dass Abläufe hin und wieder aufgebrochen werden
sollen. Dies begründet sie so: „... ich will die Kinder nicht unflexibler machen als sie schon
sind“ (INT 1, Z. 47).
Neben der Schwierigkeit von Kindern im AS im Umgang mit Veränderungen, heben die SHP
2, der PROF und der KJP das Wissen dieser Kinder in gewissen Themen als einzigartig her-
vor. Die SHP 2 spricht gar von einer „Inselbegabung“ (INT 3, Z. 30). Der KJP beschreibt
Kinder im AS als „spannende Kinder“ (INT 3, Z. 23) und der PROF als „faszinierend“ (INT
2, Z. 7). Beide streichen die Stärke der Kinder im AS, sich intensiv auf ein Thema einlassen
zu können, heraus. Die SHP 2, der PROF und der KJP erwähnen wie wichtig es ist, diese
Fähigkeiten als Ressource zu nutzen. Gemäss PROF wird dies jedoch in der Praxis nicht im-
mer umgesetzt (INT 2). Er beschreibt schulische Fachpersonen, welche Kinder im AS mit
ihren besonderen Fähigkeiten als Ressource sehen und diese bewusst im Unterricht einsetzen
und wiederum andere, welche nicht damit umgehen können (INT 2). Der KJP erzählt ein
positives Beispiel von einem Jungen im AS. Dieser hat seinen Klassenkameraden ein selbst
programmiertes Spiel am Computer vorgestellt. Die Reaktionen darauf beschreibt er wie
folgt: „Und dann ist dieser Schüler, welcher vorher als komischer und unbeholfener Typ da-
hergekommen ist, ... plötzlich in einem anderen Licht erschienen. Man hat gesehen, was er
alles kann, was man ihm nicht ansieht“ (INT 3, Z. 33).
Besonderheiten in der Wahrnehmung
Alle befragten Fachpersonen sprechen von einer Überempfindlichkeit von Kindern im AS
gegenüber Reizen. Menschen im AS nehmen Sinnesinformationen anders auf und verarbeiten
diese anders als neurotypische Menschen (PROF, INT 2). Die Fachpersonen beschreiben
Bereiche, auf welchen Menschen im AS besonders empfindlich reagieren:
• Auditive Reize (z.B. Geräusche, SP & PROF)
• Sensorische Reize (z.B. Gerüche, SP & PROF)
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
35
• Visuelle Reize (z.B. Licht, SP & PROF & SHP 2)
• Taktile Reize (z.B. Berührungen, SHP 1)
Der PROF beschreibt die Herausforderung von Menschen im AS im Bereich Wahrnehmung
wie folgt: „Wenn wir Reize schlecht ausblenden können, kann das sehr anstrengend sein“
(INT 2, Z. 5). Dies kann den Alltag stark einschränken. Die SHP 1 verdeutlicht anhand eines
konkreten Beispiels aus ihrem Schulalltag die Überempfindlichkeit der Kinder im AS gegen-
über Reizen. Sie erzählt von einem Jungen, der sehr stark auf auditive Reize reagiert: „...
wenn er unter Druck ... und unter Stress steht, dann kann er es fast nicht aushalten, wenn er
ein Kind neben... [sich] atmen hört“ (SHP 1, INT 1, Z. 41). Die SP beschreibt eine konkrete
Strategie, die Reize für ein Kind im AS zu vermindern: „Wir haben einen Schüler, der trägt
fast immer eine Sonnenbrille und ein Cap und in der Pause Kopfhörer ...“ (INT 5, Z. 17).
Doch es gibt Grenzen. Reize können nicht komplett ausgeblendet werden, sondern nur mit
Hilfsmitteln und Strategien vermindert werden. Gelingt dies nicht, kann dies bei den Be-
troffenen zu einer Überforderung führen (SP, INT 5).
5.2 Lernort allgemein
Der PROF stellt fest, dass sich die Didaktik des Lernortes und der Lernangebote allgemein
weiterentwickelt hat. Kinder brauchen unterschiedliche Lernorte und Lernangebote. Dieser
Trend ist immer stärker in der Schule vertreten. Durch diese Annahme wird vieles in offenen
Lernformen organisiert und das Lernen spielt sich nicht mehr nur im Klassenzimmer ab. Of-
fene Lernformen sind häufig schwierig für Kinder im AS (PROF, INT 2).
Für den KJP spielt der Lernort keine entscheidende Rolle. Er begründet diese Aussage mit
der Fähigkeit, dass ein Kind anpassungsfähig ist und sich bis zu einem gewissen Grad mit der
Umgebung arrangieren kann (KJP, INT 3, Z. 35). Im Gegensatz zum KJP sind sich die ande-
ren Befragten einig, dass der Lernort für alle Kinder eine grosse Rolle spielt und einen Ein-
fluss auf das Wohlbefinden und auf den schulischen Erfolg hat. Die SHP 2 verstärkt ihre
Meinung mit folgendem Beispiel: „Jeder von uns hat schon ein Klassenzimmer gehabt, in
dem man sich nicht wohl fühlt, .... Dann ist ... die ganze Motivation ... nicht da“ (SHP 2, INT
4, Z. 39). Ein geeigneter Lernort ist laut vier Expertenmeinungen die Voraussetzung für schu-
lisches Lernen.
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
36
5.3 Lernort für ein Kind im Autismus-Spektrum
Wie im Kapitel 5.2 ausgeführt, sind alle bis auf den KJP der Meinung, dass der Lernort für
alle Kinder eine entscheidende Rolle spielt. Die SHP 1 und der PROF stimmen überein, dass
viele Massnahmen für die Gestaltung eines guten Lernortes für neurotypische Kinder auch
auf Kinder im AS übertragen werden können. Die SHP 1 geht noch einen Schritt weiter, in
dem sie die Grenze zwischen neurotypischen und autistischen Verhaltensweisen als fliessend
beschreibt (INT 1, Z. 25).
Die SHP 2 ergänzt: „Der Lernort ist vielleicht für ein Kind mit Autismus noch ein wenig
wichtiger“ (INT 4, Z. 45). Als Grund dafür beschreibt sie den Schulweg der Kinder im AS,
der für sie oft sehr anstrengend ist, da sie mit vielen unterschiedlichen Reizen konfrontiert
werden. Um eine strukturierte Lernumgebung für ein Kind im AS zu gestalten, müssen die
Besonderheiten in der Wahrnehmungsverarbeitung berücksichtigt werden (PROF, INT 2).
Nachfolgend werden die Auswirkungen des Lernortes auf das Wohlbefinden und auf das
schulische Lernen beleuchtet sowie die Wichtigkeit von Strukturierung betont. Zusätzlich
werden die wichtigsten Empfehlungen der Fachpersonen bezüglich der Gestaltung des Lern-
ortes für ein Kind im AS zusammengefasst.
5.3.1 Auswirkungen
Eine an die Bedürfnisse der Kinder im AS angepasste Lernumgebung wirkt sich positiv auf
den Lernerfolg und das Wohlbefinden aus. Dies betonen alle fünf interviewten Fachpersonen.
Die SHP 2 legt nahe, dass sich der Lernort stark auf die Motivation des Kindes im AS aus-
wirkt: „Für das Kind bedeutet das ... viel Stress, die Reize zu verarbeiten, dass es gar keine
Energie mehr hat, zum überhaupt etwas zu arbeiten, obwohl es eigentlich will“ (INT 4, Z.
47). Die Auswirkungen einer unruhigen Lernumgebung betont auch der KJP in seinen Aus-
sagen: „... wenn die Umgebung unruhig ist, kann das schnell dazu führen, dass das Kind gar
nicht mehr arbeiten kann“ (INT 3, Z.35). Ein Kind im AS, welches zu vielen Reizen ausge-
setzt ist, steht unter Stress. Dieser Stress drückt sich oftmals durch somatische Beschwerden
wie Bauchschmerzen oder Kopfschmerzen aus. Dies kann zu einer Schulverweigerung führen
(KJP, INT 3). Auch die SP hat Erfahrungen in diesem Bereich gemacht. In solchen Fällen
muss ein Kompromiss gefunden werden: „Wenn man den Stress und die Reizüberflutung
nicht aus der Welt schaffen kann, dann kann man sie wenigstens zeitlich ... begrenzen und ...
eine Erholungszeit ... einbauen“ (KJP, INT 3, Z. 37). Erfolgreiches Lernen in der Schule ist
abhängig von günstigen Rahmenbedingungen. Aus diesem Grund gilt folgendes Prinzip: „Je
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mehr man so gestalten kann, damit man dem Kind gerecht wird, umso grösser ist der Lerner-
folg“ (KJP, INT 3, Z. 47).
5.3.2 Strukturierung
Alle interviewten Personen beschreiben unstrukturierte Situationen für Kinder im AS als sehr
schwierig. Eine Lehrperson muss sich stets Gedanken machen, wie ein Kind genug Klarheit,
Anleitung und Sicherheit erfahren kann. Eine strukturierte Lernumgebung ist laut PROF ein
Gelingensfaktor für eine schulische Förderung bei Kindern im AS (INT 2). Aus dem ausge-
werteten Datenmaterial empfiehlt es sich, zwischen der räumlichen, der zeitlichen und der
visuellen Strukturierung zu unterscheiden. Dabei muss erwähnt werden, dass die unterschied-
lichen Strukturierungsformen teilweise nicht klar abgegrenzt werden können.
Räumliche Strukturierung
Die SHP 1, SHP 2 und der PROF heben in ihren Aussagen die Wichtigkeit hervor, das
Schulzimmer in verschiede Bereiche zu strukturieren und Nischen zu schaffen. Der PROF
betont die Wichtigkeit von einem klar und gut strukturierten Arbeitsplatz. Das Kind im AS
sollte eine reizarme Umgebung haben, in welcher es sich auf die wichtigsten Informationen
konzentrieren kann (INT 2).
Zeitliche Strukturierung
Bei Kindern im AS können durch Unklarheiten im Ablauf Irritationen auftreten. Ihnen fehlt
das Wissen, was als nächstes folgt. Dies kann zu Überforderung führen (PROF, INT 2). Die
SHP 2, der KJP und die SP erwähnen den Time-Timer als ein sehr hilfreiches Hilfsmittel für
die zeitliche Strukturierung.
Visuelle Strukturierung
Gemäss PROF müssen die Besonderheiten in der Wahrnehmungsverarbeitung der Kinder im
AS beachtet werden. Wie im Kapitel 5.1.2 beschrieben, haben Kinder im AS Schwierigkei-
ten, mit Veränderungen umzugehen. Aus diesem Grund muss Vorhersehbarkeit geschaffen
werden (PROF, INT 2). Dabei helfen Visualisierungen in Form von Piktogrammen, mit de-
nen beispielsweise Checklisten oder Tagespläne erstellt werden. Die Wichtigkeit dieser visu-
ellen Unterstützung für Kinder im AS betonen die SHP 1, SHP 2 und der PROF gleichermas-
sen stark in ihren Aussagen. Die SHP 2 achtet in der Praxis stets darauf, dass der Auftrag
oder die Abfolge der Aufgaben für das Kind im AS visuell sichtbar ist. Die SHP 1 arbeitet
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
38
ebenfalls mit visuellen Unterstützungen. In ihrem Schulzimmer hängt eine Wochenübersicht
mit vielen Piktogrammen. Dies begründet sie so: „Das gibt den Kindern einfach Sicherheit
und sie wissen ..., was kommt nacheinander“ (SHP 1, INT 1, Z. 29).
Alle Befragten messen der Strukturierung im Alltag eines Kindes im AS grosse Wichtigkeit
zu. Die SHP 1 gibt zu bedenken, dass zu viel Strukturierung auch kontraproduktiv sein kann.
Sie spricht von einer Gradwanderung zwischen Strukturierung und einer Überflutung von
Reizen: „... man will möglichst viel strukturieren ... und dann muss man wieder anfangen zu
reduzieren, damit alles ... reizarm ist.“ (INT 1, Z. 45). Es ist nicht immer einfach, eine struk-
turierte Lernumgebung bereitzustellen. Dieser Meinung vertritt die SP: „... wenn man selber
nicht das Bedürfnis nach so einer engen Struktur hat, dann ist es manchmal auch schwierig
..., dass ich wirklich genügend strukturiert vorgehe ...“ (INT 5, Z. 19). Die SP vermutet, dass
ein Kind ohne Autismus möglicherweise weniger Struktur braucht als ein Kind im AS, je-
doch in einem gewissen Masse auch von der Struktur profitiert. Ihrer Meinung nach hilft eine
strukturierte Lernumgebung auch Kindern mit einer ADHS-Diagnose (INT 5). Die gleiche
Meinung teilt der PROF, mit der Aussage, dass Strukturierungsangebote nicht nur für Men-
schen im AS hilfreich sind (INT 2).
5.3.3 Empfehlungen Lernort für Kind im Autismus-Spektrum
Jedes Kind im AS hat individuelle Bedürfnisse auch in Bezug auf den Lernort (SHP 2, INT
4). Im folgenden Abschnitt werden die am meisten genannten Empfehlungen der interview-
ten Fachpersonen bezüglich dem Lernort für ein Kind im AS erläutert.
Reizarme Umgebung
Alle Befragten gehen in ihren Aussagen auf die Wichtigkeit einer reizarmen Lernumgebung
ein. Dabei sollten die sensorischen Reize so gering wie möglich gehalten werden, damit eine
Reizüberforderung vermieden werden kann. Dem Kind im AS sollte ermöglicht werden, sich
auf die wichtigen Informationen konzentrieren zu können (PROF, INT 2). Konkret kann eine
reizarme Lernumgebung durch folgende Massnahmen erreicht werden:
• Nicht zu viele Materialien im Raum (SHP 2)
• Ordnung und Struktur (SHP 1 & SHP 2 & PROF)
• Grelles Licht vermeiden (SHP 2 & SP)
• Visualisierungen (SHP 1 & SHP 2 & KJP &PROF)
• Neutrale Farben im Schulzimmer (SHP 2)
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
39
Empfehlungen für die Ausgestaltung des Arbeitsplatzes für ein Kind im AS:
• Ein eigenes Pult haben (SHP 2 & SP & KJP)
• Kind im AS sitzt neben einem Kind mit guter Sozialkompetenz (SHP 2, SP, PROF)
• Vorne und in der Nähe der Lehrperson sitzen (KJP)
• Das Pult gegen eine Wand richten (SP & KJP)
• Das Pult gegen das Fenster richten, dabei das Fenster abdecken (durch Folie oder
Sonnenstoren) (SHP 1 & SP)
• Arbeitsplatz durch Trennwände abschirmen (SP & PROF)
• Fixer Arbeitsplatz, kein Platzwechsel (SHP 1 & SHP 2)
• Kind in Platzwahl und Gestaltung des Arbeitsplatzes miteinbeziehen (SHP 1 & SP)
• Schulzimmer nach verschiedenen Sozialformen strukturieren (PROF)
Die SP erzählt von einem Schüler im AS, dem es sehr wichtig ist, die gleichen Bedingungen
wie seine Mitschüler zu haben: Alle Pulte sind in einem Halbkreis arrangiert (INT 5). Der
KJP findet diese Sitzordnung für Kinder im AS jedoch sehr ungünstig (INT 3).
Geräusche
• Dem Kind im AS einen Pamir (Gehörschutz) geben, um auditive Reize zu minimieren
(PROF & KJP & SHP 2)
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die interviewten Personen eine Vielfalt von
möglichen Massnahmen beschrieben haben. Vorgaben für die Gestaltung von einem Lernort
für ein Kind im AS gibt es nicht, da sind sich alle Fachpersonen einig. Der PROF und die
SHP 2 sprechen lediglich von Empfehlungen, nicht von engen Vorgaben. Der KJP geht noch
einen Schritt weiter: „Es wäre wünschenswert, dass es ... Checklisten gibt, die man immer
wieder zu Rate ziehen kann und schauen kann, was ist bezüglich Lernort möglich oder nicht
möglich“ (INT 3, Z. 57). Es gibt keinen fixen Budgetbetrag, der für die Gestaltung des Lern-
ortes für ein Kind im AS zur Verfügung steht (SHP 1 & SHP 2 & SP). Die vorhandenen fi-
nanziellen Ressourcen müssen für alle Kinder mit einem Förderbedarf eingesetzt werden
(SHP 2, INT 4).
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
40
Rückzugsort
Ausnahmslos alle der befragten Personen betonen, dass neben einem strukturierten Arbeits-
platz ein Rückzugsort für ein Kind im AS von grosser Bedeutsamkeit ist. Es werden folgende
Rückzugsorte genannt:
• Kleine Ecke oder Nische im Schulzimmer (SHP 2 & KJP)
• Nebenraum (z.B. Gruppenraum) (SHP 2 & SP & PROF)
• Bei einer anderen Fachperson im Zimmer (z.B. bei einer Sozialpädagogin oder bei der
pädagogischen Leitung) (SHP 1 & SP)
Der KJP gibt zu bedenken, dass es nicht in allen Schulzimmern möglich ist, Nischen einzu-
richten oder den Kindern im AS einen Gruppenraum zur Verfügung zu stellen. In diesen Fäl-
len ist Kreativität gefordert: „Da gibt es auch originelle Lösungen, dass man zum Beispiel im
Klassenzimmer ein kleines Zelt aufstellt, in das man hineinkriechen kann. ... Man ist ge-
schützt, wie in einer Höhle“ (KJP, INT 3, Z. 35). Neben dem Schutz ergeben sich aus den
erhobenen Daten zusätzliche Gründe für einen Rückzugsort für Kinder im AS:
• Ruhe finden und Gefühle verarbeiten, wie beispielsweise Stress, Wut und Trauer
(SHP 2 & SP)
• Reize verringern und verarbeiten (SHP 1 & SHP 2 & KJP)
• Kinder im AS nicht suchen müssen (SP)
• Sich auf eine Arbeit konzentrieren können (SHP 1& SHP 2)
5.4 Empfehlungen für eine gelingende Integration
Die SHP 2 berichtet von positiven Erfahrungen, bei denen eine Integration von einem Kind
im AS in die Regelschule gelungen ist (INT 4). Sie hat jedoch auch Integrationen erlebt, wel-
che gescheitert sind. Als Hauptgründe einer missglückten Integration nennt sie: „Sehr wenig
Zeit, ein sehr schnelles Tempo ...“ (INT 4, Z. 11). Damit eine Integration von einem Kind im
AS in die Regelschule gelingt, geben die Fachpersonen konkrete Ratschläge. Diese werden
nachfolgend genauer ausgeführt.
Sich Wissen zum AS aneignen
Alle bis auf die SHP 1 betonen die Wichtigkeit, dass sich Bezugspersonen von Menschen im
AS Wissen zum Thema Autismus aneignen. Für den KJP steht diese Empfehlung an erster
Stelle der Prioritäten für eine gelingende Integration (INT 3, Z. 63). Lehrpersonen sollen mit
gezielter Fachliteratur ihr Wissen zum Thema vertiefen. Diesen Anspruch stellt der PROF an
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
41
die Lehrpersonen (INT 2). Die SHP 2 geht noch einen Schritt weiter und führt aus, dass sich
nicht nur die Klassenlehrperson, sondern das ganze Schulhaus zum Thema Autismus infor-
mieren sollte. Dies begründet sie mit folgender Aussage: „Es betrifft ja nicht nur dich mit
dem Kind in deiner Klasse. Das Kind ist ja auch in der Pause mit den anderen Kindern von
anderen Klassen ... zusammen“ (INT 4, Z. 77).
Aufklärung der Klasse
Die SHP 2 spricht von einer Fehlvorstellung an Schulen: „Man sagt, die wollen ... allein sein.
Dabei wollen sie gar nicht allein sein. ... Sie wären gerne mit anderen zusammen“ (INT 4, Z.
30). Die SHP 2 und der KJP unterstreichen die Wichtigkeit, die Klasse, in der das Kind im
AS ist, über die Besonderheiten und Eigenheiten des Kindes aufzuklären. Dies ist gemäss
KJP „ein wichtiger Beitrag zu einer erfolgreichen Integration“ (INT 3, Z. 49).
Geduld haben
Die SP beschreibt Geduld als „eine enorm wichtige Kompetenz einer Lehrperson“ (INT 5,
Z.63). Die SHP 2 legt ebenfalls grossen Wert auf die Fähigkeit einer Lehrperson, geduldig
mit einem Kind im AS umgehen zu können. Eine Lehrperson sollte den Mut haben, auch mal
die Lernziele zu ignorieren und Prioritäten zu setzen (SHP 2, INT 4).
Unterstützung holen
Der PROF und der KJP erachten es als wichtig, dass Lehrpersonen bei Bedarf Unterstützung
in Anspruch nehmen, etwa von der Schulleitung, einer schulischen Heilpädagogin oder einem
schulischen Heilpädagogen (PROF, INT 2).
Empathie für das Kind im AS entwickeln
Empathie für ein Kind im AS zu zeigen, findet SP besonders wichtig: „Man sagt oft, Autisten
fällt es schwer, sich in andere hineinzudenken ... deshalb ist es wichtig, dass wir versuchen,
uns in die Autisten hineinzuversetzen“ (INT 5, Z. 63).
Der PROF und die SP erwähnen die Schwierigkeit von Kindern im AS, mit Fehlern umzuge-
hen. Der PROF verdeutlicht dies in einem Beispiel: „... dass Kinder ein gutes Wissen haben
und die Lehrer korrigieren, damit können nicht alle Lehrer gut umgehen“ (INT 2, Z. 46).
Lehrpersonen müssen lernen, diese Aussagen nicht persönlich zu nehmen (PROF, INT 2).
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
42
Spezialinteressen in Unterricht einbeziehen
Wie bereits erwähnt heben die Fachpersonen das einzigartige Wissen von Kindern im AS in
bestimmten Themengebieten hervor (vgl. Kap.5.1.2). Der KJP betont wie wichtig es ist, das
Fachwissen des Kindes im AS zu nutzen, um ihm Erfolgserlebnisse zu ermöglichen. Konkret
nennt er ein Kind, das ein grosses Fachwissen über Dinosaurier hat. Er schlägt vor, dem Kind
in der Schule genügend Zeit zu geben, um einen Vortrag über „... Sachen, die über den übli-
chen Schulstoff hinausgehen“ vorzubereiten (KJP, INT 3, Z. 31).
6 Diskussion
Vor dem Hintergrund der leitenden Fragestellung bezüglich der Gestaltung eines Lernortes
für ein Kind im AS, werden in diesem Bereich der Arbeit die eigenen Befunde mit wissen-
schaftlichen Studien in Beziehung gesetzt. Dazu werden die aus den Unterfragen abgeleiteten
Hypothesen zu den Bereichen schulischen Lernens, Lernort und Integration bestätigt oder
widerlegt.
6.1 Kind im Autismus-Spektrum in der Schule
Unterfrage 1: In welchen Bereichen des schulischen Lernens zeigen Kinder im Autismus-
Spektrum Auffälligkeiten?
Hypothese 1: Die Aussagen der befragten Fachpersonen zum schulischen Lernen von Kin-
dern im Autismus-Spektrum decken sich mit den theoretischen Ausführungen der Autoren
der untersuchten Fachliteratur, welche Auffälligkeiten in vier zentralen Bereichen beschrie-
ben: Kommunikation, soziale Interaktion, stereotype Verhaltensweise und eingeschränkte
Interessen sowie Besonderheiten in der Wahrnehmung.
Die Ergebnisse der vorliegenden Studie lassen den Schluss zu, dass keine Aussagen der
Fachpersonen auf alle Kinder im AS übertragen werden dürfen. Dies stimmt mit den Ausfüh-
rungen von Schuster (2016) überein. Sie beschreibt die vielfältige Ausprägung der Symptome
bei Betroffenen (vgl. Kap. 2.1.2).
Zwei der fünf interviewten Fachpersonen sind durch Beratungen und Abklärungen in Kontakt
mit Kindern im AS. Sie haben keine persönliche Unterrichtserfahrung. Durch das Auswerten
der Ergebnisse hat sich das grosse Fachwissen dieser beiden Fachpersonen verdeutlicht. Sie
zählen die Bereiche auf, in denen Kindern im AS beeinträchtigt sind: Auffälligkeiten in der
Kommunikation, der sozialen Interaktion sowie stereotype Verhaltensweisen und einge-
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
43
schränkte Interessen. Diese Auflistung deckt sich mit den von zahlreichen Autoren beschrie-
benen Auffälligkeiten der Kinder im AS. Eckert (2015) und Theunissen (2018) beispielswei-
se definieren diese Beeinträchtigungen in ihren Werken (vgl. Kap. 2.1.2 und 2.1.3). Nachfol-
gend werden die Ergebnisse in den einzelnen Bereichen zusammengefasst und mit der aufge-
arbeiteten Theorie verknüpft. Zusätzlich wird auf den Bereich Besonderheiten in der Wahr-
nehmung eingegangen, zu dem alle Fachpersonen Aussagen machten.
Beeinträchtigung in der Kommunikation
Alle Befragten sind sich einig, dass Kinder im AS Beeinträchtigungen in der Kommunikation
zeigen. Sie heben in ihren Ausführungen jedoch unterschiedliche Bereiche der Kommunika-
tion hervor. Kinder im AS haben eine ehrliche und direkte Art, mit dem Gegenüber zu kom-
munizieren. Zusätzlich nehmen Kinder im AS Aussagen oft wortwörtlich und haben Mühe,
Redewendungen und Witze zu verstehen. Auch Schuster (2016) und Herbrecht und Gwerder
(o.J.) beschreiben diese Schwierigkeiten von Kindern im AS. Zusätzlich nennen diese Auto-
ren Probleme beim Verstehen von Ironie und Metaphern. Zu diesem Thema kann aus den
erhobenen Daten keine Aussage gemacht werden. Schwierigkeiten in der Kommunikation
können zu Missverständnissen und Problemen führen (Schuster, 2016). Zwei interviewte
Fachperson betonen, wie wichtig es ist, die Schwierigkeiten der Kinder im AS im Bereich
Kommunikation zu nutzen, um die eigene Kommunikation gezielt zu reflektieren. Diese An-
sicht stimmt mit der Forderung nach Selbstdisziplin, die eigenen sprachlichen Äusserungen
bewusst zu wählen und zu überprüfen, von Schirmer (2016) überein (vgl. Kap. 2.1.4).
Die Autoren Herbrecht und Gwerder (o.J.) beschreiben neben den Schwierigkeiten in der
verbalen Kommunikation auch Probleme in der nonverbalen Kommunikation. Gemäss diesen
Autoren fällt es Menschen im AS schwer, Bedürfnisse und Gemütszustände durch Augen-
kontakt, Gesten oder Gesichtsausdrücke mitzuteilen oder die Körpersprache ihrer Mitmen-
schen zu deuten und zu verstehen (vgl. Kap. 2.1.4). Über diese Schwierigkeiten der nonver-
balen Kommunikation können nur wenige Erkenntnisse aus den Interviews gewonnen und
abgeleitet werden. Dies erstaunt, da im Bereich Kommunikation nicht nur die verbale, son-
dern auch die nonverbale Ausdrucksweise teilweise massiv eingeschränkt ist.
Beeinträchtigung in der sozialen Interaktion
Die interviewten Fachpersonen sind unterschiedlicher Meinung, welche Rolle ein Kind im
AS in der Klasse hat. Die Mehrheit der Befragten schreibt den Kindern eine Sonderrolle im
Klassenverband zu. Zwei Personen sprechen gar von einem erhöhten Risiko für Mobbing.
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
44
Eine Fachperson stimmt zwar der Sonderrolle zu, schliesst jedoch nicht aus, dass diese Kin-
der auch Freunde haben können. Eine Fachperson gibt zu bedenken, dass es eine Fehlvorstel-
lung ist, dass Kinder im AS immer allein sein wollen. Manchmal wären sie gerne mit anderen
Kindern zusammen. In Bezug auf die Rolle des Kindes in der Klasse haben auch Schirmer
(2016) und Herbrecht und Gwerder (o.J.) unterschiedliche Ansichten. Gemäss Herbrecht und
Gwerder (o.J.) sehnen sich Menschen im AS nach Kontakt zu gleichaltrigen Kindern (vgl.
Kap. 2.1.4). Schirmer (2016) hingegen betont, wie unterschiedlich die Auffälligkeiten der
Kinder im AS im Sozialverhalten sind. Sie beschreibt Kinder im AS, die sich allein am
wohlsten fühlen und wiederum andere, die sich nach sozialen Kontakten sehnen. Die Umset-
zung gelingt jedoch nur teilweise oder gar nicht (vgl. Kap. 2.1.4). Aus den Ergebnissen wird
ein möglicher Grund für das Scheitern von sozialen Kontakten ersichtlich. Zwei Fachperso-
nen erwähnen die Schwierigkeit von Kindern im AS, soziale Signale zu verstehen. Dieser
Befund deckt sich mit den früheren Studien von Herbrecht und Gwerder (o.J.). Sie nennen
das fehlende Wissen über Verhaltensregeln in sozialen Situationen als eine Schwierigkeit von
Kindern im AS (vgl. Kap. 2.1.4). Zusammenfassend ergeben die Erkenntnisse der Theorie,
dass im Bereich der sozialen Interaktion von Kindern im AS unterschiedliche Standpunkte
bestehen. Bei den empirischen Befunden kommt die gleiche Vielfältigkeit zum Ausdruck.
Stereotype Verhaltensweisen und eingeschränkte Interessen
Drei von fünf Fachpersonen betonen in ihren Aussagen die Schwierigkeit von Kindern im AS
mit Veränderungen umzugehen. Zwei Fachpersonen bezeichnen die Betroffenen gar als un-
flexibel. Dies deckt sich mit den Aussagen der Autoren Herbrecht und Gwerder (o.J.) und
Schirmer (2016), welche ebenfalls die Schwierigkeit von Menschen im AS beschreiben, fle-
xibel auf kurzfristige Änderungen zu reagieren (vgl. Kap. 2.1.4). Unvorhersehbare Verände-
rungen können bei Kindern im AS unterschiedliche Reaktionen auslösen. Zwei Fachpersonen
beschreiben auffälliges Verhalten in Form von Aggressionen. Eine weitere Fachperson er-
zählt von Kindern, welche sich bei einer überfordernden Situation zurückziehen.
Schirmer (2016) und Schuster (2016) nennen motorische Stereotypien, wie beispielsweise
sich wiederholende Bewegungen, als weitere Besonderheiten der Kinder im AS. Diese Auf-
fälligkeit hat keine Fachperson erwähnt. Vermutlich kennen die Fachpersonen vor allem
Kinder im AS, bei denen keine ausgeprägten Stereotypien offensichtlich sind.
Drei von fünf Fachpersonen bezeichnen das Wissen von Kindern im AS in gewissen Themen
als einzigartig. Mehrmals wird die Stärke der Kinder im AS hervorgehoben, sich zeitintensiv
und begeistert einem Thema, ihrem Spezialinteresse, zu widmen. Diese Aussagen bestätigen
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
45
die Autoren Schirmer (2016), Schuster (2016) und Herbrecht und Gwerder (o.J.) in Kapitel
2.1.4. Drei Fachpersonen erwähnen wie wichtig es ist, diese Fähigkeiten als Ressource zu
nutzen. Dies deckt sich mit den Ausführungen von Schuster (2016), die Kinder auf diese
Weise in ihrer Entwicklung und in ihrem Lernstand weiterzubringen (vgl. Kap. 2.1.4). Die
Autorin ist überzeugt, dass das Wissen über die Spezialinteressen der Schlüssel für erfolgrei-
ches Lernen ist, da die Beschäftigung mit dem Lieblingsinteresse als Motivator eingesetzt
werden kann.
Besonderheiten in der Wahrnehmung
Alle Fachpersonen sprechen von einer Überempfindlichkeit von Kindern im AS gegenüber
Reizen. Gemäss Aussagen einer Fachperson nehmen Menschen im AS Sinnesinformationen
anders auf und verarbeiten diese anders als neurotypische Menschen. Dies stimmt mit den
Ausführungen von Schuster (2016) und Herbrecht und Gwerder (o.J.) überein. Während die
interviewten Fachpersonen besonders auf die verstärke Wahrnehmung von Sinneseindrücken
eingehen, spricht Schuster (2016) zusätzlich auch von einer verminderten Wahrnehmung
(vgl. Kap.2.1.4).
Gemäss den Aussagen der Fachpersonen reagieren Menschen im AS besonders empfindlich
auf visuelle, auditive, sensorische und taktile Reize. Auch Sprecher Mathieu (2010), die Er-
ziehungsdirektion Kanton Bern (2015) und Forster (2010) machen diese Unterscheidung. Die
Autoren Schuster (2016) und Herbrecht und Gwerder (o.J.) beschreiben eine Überforderung
als Reaktion auf zu viele Reize (vgl. Kap. 2.1.4). Dies deckt sich mit den Aussagen der Fach-
personen. Durch das Tragen einer Sonnenbrille, eines Caps und Kopfhörern kann sich ein
Kind vor einer Reizüberflutung schützen. Die Autorin wertet diese Massnahmen als einfach
und wirkungsvoll.
Herbrecht und Gwerder (o.J.) beschreiben das grosse Interesse an Details und Gegenständen
der Kinder im AS. Gemäss diesen Autoren sehen Kinder im AS Details scharf und haben
Schwierigkeiten, umfassende, beziehungsweise sinnvolle Zusammenhänge zu sehen. Girs-
berger (2016) bezeichnet dies als Schwierigkeit der zentralen Kohärenz (vgl. Kap. 2.1.4). Zur
Schwäche in der Zentralen Kohärenz findet sich keinen Hinweis in den untersuchten Daten-
quellen. Die Autorin legt Wert darauf, dass der Fokus auf Details nicht nur als Schwäche,
sondern auch als Stärke von Kindern im AS wahrgenommen wird (vgl. Kap. 2.1.5).
Die Autoren Eckert (2015), Schirmer (2016), Theunissen (2018), Schuster (2016), Herbrecht
und Gwerder (o.J.), Girsberger (2016) und Lucas (2014) beschreiben die Auffälligkeiten von
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
46
Kindern im AS in den vier zentralen Bereichen: Kommunikation, soziale Interaktion, stereo-
type Verhaltensweisen und eingeschränkte Interessen sowie Besonderheiten in der Wahr-
nehmung. Fasst man die Aussagen der befragten Fachpersonen zusammen, kann die Hypo-
these 1 bestätigt werden. Ihre Ausführungen decken sich mit den theoretischen Abhandlun-
gen der erwähnten Autoren.
6.2 Lernort
Unterfrage 2: Inwiefern spielt ein strukturierter Lernort eine Rolle für ein Kind im Autismus-
Spektrum?
Hypothese 2: Alle Kinder profitieren von einem strukturierten Lernort. Für Kinder im Au-
tismus-Spektrum ist ein auf die individuellen Bedürfnisse eingerichteter Lernort eine unab-
dingbare Voraussetzung für schulisches Lernen.
Vier von fünf Fachpersonen betonen, dass der Lernort nicht nur für ein Kind im AS eine
grosse Rolle spielt, sondern auch für alle neurotypischen Kinder. Lediglich der KJP ist der
Meinung, dass der Lernort keine entscheidende Rolle spielt, da ein Kind ohne Autismus an-
passungsfähiger ist (INT 3). Alle anderen Befragten heben den Einfluss des Lernortes auf das
Wohlbefinden und den schulischen Erfolg für ein Kind hervor. Dieser Befund deckt sich mit
den früheren Studien von Rittelmeyer (2010). Neben dem Wohlbefinden und dem Erfolg
erwähnt Rittelmeyer (2010) auch den erheblichen Einfluss des Lernortes auf die Gesundheit
und auf die Aggressionsbereitschaft eines Kindes (vgl. Kap. 2.2). Um die Hypothese 2 bestä-
tigen oder widerlegen zu können, werden die aus den Interviews gewonnenen Informationen
zur Thematik Strukturierung eines Lernortes der Theorie gegenübergestellt.
Strukturierung allgemein
Bezüglich des Lernortes bezeichnen alle Fachpersonen unstrukturierte Situationen als grosse
Herausforderung für Kinder im AS. Dies belegen auch wissenschaftliche Befunde von Lucas
(2014), Herbrecht und Gwerder (o.J.), Schuster (2016), Bernard-Opitz und Häussler (2013),
Schirmer (2016) und Meyer (2018). Diese Autoren unterstreichen die Wichtigkeit von klaren
Strukturen für Menschen im AS. Gemäss Herbrecht und Gwerder (o.J.) bieten klare Struktu-
ren im Unterricht und in der Lernumgebung den Kindern im AS Sicherheit und Orientierung
(vgl. Kap. 2.1.7). In den nachfolgenden Ausführungen wird zwischen der räumlichen, zeitli-
chen und visuellen Strukturierung unterschieden.
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
47
Räumliche Strukturierung
Alle Fachpersonen gehen in ihren Aussagen auf die Wichtigkeit einer reizarmen Lernumge-
bung ein. Die Fülle der Reize sollte dabei so gering wie möglich gehalten werden. Drei Fach-
personen nennen Ordnung und Struktur als eine Möglichkeit, einen reizarmen Lernort zu
gestalten. Schirmer (2016) und Schuster (2016) messen dem Vorhandensein von klaren
Strukturen ebenfalls grosse Bedeutung zu. Diese erleichtern den Kindern im AS die Orientie-
rung im Raum. Zusätzlich empfehlen beide Autorinnen sowie auch Braun et al. (2014), feste
Arbeitsplätze einzurichten (vgl. Kap. 2.2.5). Dies deckt sich mit den Aussagen von zwei
Fachpersonen, die Kinder im AS unterrichten. Sie unterstreichen die Wichtigkeit, dass Kin-
der im AS immer den gleichen Arbeitsplatz haben. Drei Fachpersonen empfehlen, das Schul-
zimmer in verschiedene Bereiche zu strukturieren und Nischen zu schaffen. Auch Forster
(2010) nennt in ihren Studien Nischen und Ecken als Teile eines intelligent strukturierten
Raumes. Diese dienen den Kindern im AS als Rückzugsmöglichkeiten (vgl. Kap. 2.2.1). Eine
Fachperson bestätigt die Empfehlung von Herbrecht und Gwerder (o.J.), Räume nicht zu
überladen (vgl. Kap. 2.1.7). Auf diese Thematik wird bei der Unterfrage 3 genauer eingegan-
gen.
Zeitliche Strukturierung
Herbrecht und Gwerder (o.J.) beschreiben die teilweise schlecht oder gar nicht entwickelte
Zeitvorstellung von Kindern im AS (vgl. Kap. 2.1.7). Nach der Meinung einer Fachperson
kann das fehlende Wissen, was als nächstes folgt, zu einer Überforderung führen. Sowohl
Bernard-Opitz und Häussler (2013), als auch Herbrecht und Gwerder (o.J.) empfehlen, Zeit-
spannen für Menschen im AS sichtbar zu machen. Sie werten es als sinnvoll, Zeit- oder Stun-
denpläne zu erstellen und Küchen- oder Sanduhren zu verwenden (vgl. Kap. 2.1.7). Dies
deckt sich mit den Erfahrungen von drei Fachpersonen, welche Time-Timer, Checklisten
oder Tagespläne als hilfreiche Hilfsmittel für die zeitliche Strukturierung einsetzen.
Visuelle Strukturierung
Schirmer (2016) gibt zu bedenken, dass ein Klassenzimmer für Kinder mit AS eine Fülle an
Informationen darstellt. Diese Flut von Reizen kann Kinder im AS überfordern (vgl. Kap.
2.2.4). Vier von fünf Fachpersonen nennen Visualisierungen als eine wichtige Massnahme,
um die Belastung durch Reize für Kinder im AS gering zu halten. Auch Bernard-Opitz und
Häussler (2013) sowie Herbrecht und Gwerder (o.J.) empfehlen Visualisierungen (vgl. Kap.
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
48
2.1). Herbrecht und Gwerder (o.J.) nennen Visualisierungen in Form von Symbolen, Tafeln
oder Hinweisen, was sich wo befindet, als wertvoll für Kinder im AS.
Nach der Aussage einer Fachperson kann mit diesen Massnahmen Vorhersehbarkeit geschaf-
fen werden. Dies ist sehr wichtig für Kinder im AS, da sie Schwierigkeiten haben, mit Ver-
änderungen umzugehen. Diese Äusserung teilt auch Schuster (2016). Sie beschreibt dieselben
Schwierigkeiten der Menschen im AS. Sie unterstreicht, dass Menschen im AS Regelmässig-
keit und Verlässlichkeit in ihrer Umwelt brauchen (vgl. Kap. 2.2.5).
Zusammenfassend lässt sich die Hypothese 2 bestätigen. Basierend auf den Ergebnissen und
der theoretischen Abhandlung zeigt sich, dass der Lernort auch für ein Kind ohne Autismus
wichtig ist. Eine strukturierte Lernumgebung ist nicht nur für Kinder im AS, sondern auch für
neurotypische Kinder von Bedeutung. Die Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass Strukturie-
rungen für Kinder im AS eine unabdingbare Voraussetzung für schulisches Lernen sind. Zum
einen helfen Strukturierungen den Kindern im AS, sich in einem Raum zu orientieren. Zum
anderen kann durch diese eine Reizüberforderung verhindert werden. Zusätzlich können Zeit-
spannen sichtbar gemacht und Vorhersehbarkeit geschaffen werden.
Unterfrage 3: Von welchen Massnahmen profitiert ein Kind im Autismus-Spektrum im Be-
reich Lernort?
Hypothese 3: Ein Kind im Autismus-Spektrum braucht sowohl einen strukturierten und fes-
ten Arbeitsplatz als auch eine reizarme Lernumgebung.
Die Hypothese 2, dass ein strukturierter Arbeitsplatz für ein Kind im AS eine unabdingbare
Voraussetzung für erfolgreiches Lernen darstellt, wurde bereits bestätigt. Damit ist der erste
Teil der Hypothese 3, in Bezug auf den Arbeitsplatz positiv beantwortet. Die Wichtigkeit von
Visualisierungen wird bereits bei der Beantwortung der 2. Unterfrage hervorgehoben. Wel-
che Massnahmen neben Visualisierungen und einer strukturierten Lernumgebung für ein
Kind im AS im Bereich Lernort weiter von Bedeutung sind, wird nachfolgend diskutiert und
mit der Theorie verglichen.
Reizarme Lernumgebung
Diese Thematik wurde bereits bei der Diskussion zur Unterfrage 2 erwähnt. Nachfolgend
wird nochmals auf die Wichtigkeit einer reizarmen Lernumgebung eingegangen, da alle
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
49
Fachpersonen diese als unabdingbare Voraussetzung für Kinder im AS betrachten. Gemäss
dem Kinder- und Jugendpsychiater steht ein Kind im AS unter Stress, wenn es zu vielen Rei-
zen ausgesetzt ist. Dieser Stress kann sich in somatischen Beschwerden wie Bauch- oder
Kopfschmerzen ausdrücken (KJP, INT 3). Dies bestätigt Walden (2008): Erlebt der Mensch
einen Kontrollverlust, beispielsweise durch zu viele Reize, können physische und psychische
Symptome auftreten (vgl. Kap. 2.1.6). Schuster (2016) und Schirmer (2016) beschreiben auf-
fälliges Verhalten als Reaktion der Kinder im AS auf eine sensorische Überforderung (vgl.
Kap. 2.2.4). Die Ergebnisse beleuchten einen weiteren Punkt, in dem sie die negative Aus-
wirkung auf die Motivation beschreiben.
Zusammenfassend sind sich alle Fachpersonen einig, dass der Lernort möglichst reizarm ge-
staltet werden muss. Die Autorin teilt die Meinung einer Fachperson, welche eine reizarme
Lernumgebung als unabdingbare Voraussetzung für die Konzentration auf den Lernstoff
nennt.
Arbeitsplatz
Die Befragten sind unterschiedlicher Meinung, wie der Arbeitsplatz von einem Kind im AS
aussehen soll. Dies lässt vermuten, dass es den optimalen Arbeitsplatz für Kinder im AS
nicht gibt. Diese Aussage deckt sich mit Schuster (2016). Sie beschreibt es als schwierig oder
gar unmöglich, den idealen Sitzplatz für ein Kind im AS zu finden (vgl. 2.2.5). Welcher Sitz-
platz sich für ein Kind im AS am besten eignet, kann in einem gemeinsamen Gespräch mit
dem Kind und der Lehrperson herausgefunden werden (Schuster, 2016). Dies deckt sich mit
den Aussagen von zwei Fachpersonen. Sie empfehlen, das Kind bei der Wahl des Lernortes
miteinzubeziehen.
Braun et al. (2014) heben hervor, dass ein Klassenzimmer für jedes Kind einen eigenen Ar-
beitsplatz beinhalten sollte (vgl. Kap. 2.2.5). Bezogen auf ein Kind im AS, erachten es drei
Fachpersonen als wichtig, dem Kind einen eigenen Arbeitsplatz bereitzustellen. Dies deckt
sich mit den Aussagen von Sprecher Mathieu (2010) im Kapitel 2.2.1. Das Kind im AS kann
gemäss drei Fachpersonen auch neben einem anderen Kind sitzen. Wird ein Kind ausgewählt,
welches mit den besonderen Bedürfnissen des Kindes im AS umgehen kann, hat dies mög-
licherweise einen positiven Einfluss auf das schulische Lernen. Die Autorin wagt zu behaup-
ten, dass ein Sitzplatz neben einem Kind mit hoher Sozialkompetenz, förderlich für das schu-
lische Lernen eines Kindes im AS sein kann. Dies wird in der untersuchten Fachliteratur
nicht bestätigt. Die Autorin vermutet, dass es durchaus wissenschaftliche Abhandlungen zu
dieser Thematik gibt.
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
50
Ebenfalls uneinig sind sich die Fachpersonen, an welchem Ort im Klassenzimmer der Ar-
beitsplatz von einem Kind im AS sein sollte. Der Arbeitsplatz kann sowohl vorne bei der
Lehrperson, als auch gegen eine Wand oder ein Fenster gerichtet sein. Während die befragten
Personen den Fokus auf die räumliche Lage des Lernortes im Klassenzimmer legen, be-
schreiben die Autoren der untersuchten Fachliteratur hauptsächlich die Rahmenbedingungen.
Mehrere Autoren nennen einen ruhigen Arbeitsplatz als wichtige Voraussetzung für schuli-
sches Lernen (Rittelmeyer, 2010; Erziehungsdirektion Kanton Bern, 2015; Forster, 2010).
Schuster (2016) geht einen Schritt weiter und empfiehlt neben einem ruhigen, auch einen
geschützten, sauberen und isolierten Lernort, mit freiem Blick nach vorne für ein Kind im AS
(vgl. Kap. 2.2.5). Fachpersonen empfehlen Trennwände zu verwenden, um den Arbeitsplatz
räumlich abzugrenzen. Diese Massnahme kann dazu beitragen, die Rahmenbedingungen von
Schuster (2016) zu erfüllen.
Eine Fachperson beschreibt ein Kind im AS, welches keine individuellen Anpassungen am
Lernort möchte. Die Autorin könnte sich zwei Erklärungen vorstellen. Zum einen ist es mög-
lich, dass das Kind nicht auf besondere Rahmenbedingungen bezüglich dem Arbeitsplatz
angewiesen ist. Zum andere möchte das Kind keine Sonderrolle im Klassenverband einneh-
men.
Kinder im AS haben Schwierigkeiten mit Veränderungen umzugehen (Walden, 2008; Schir-
mer, 2016; Lucas, 2014). Platzwechsel sind Veränderungen (vgl. Kap. 2.1.6). Fachpersonen
empfehlen, das Kind im AS immer am gleichen Ort sitzen zu lassen.
Rückzugsort
Im Gegensatz zu den unterschiedlichen Ansichten der Befragten, wie der Lernort für ein
Kind im AS aussehen soll, betonen vier von fünf Fachpersonen einen Rückzugsort als über-
aus wichtig für ein Kind im AS. Die Ergebnisse belegen, dass ein Rückzugsort essenziell für
die Verarbeitung und Verringerung von Reizen ist. Dieser Befund deckt sich mit den frühe-
ren Studien von Forster (2010), Sprecher Mathieu (2010), Rittelmeyer (2010) und der Erzie-
hungsdirektion Kanton Bern (2015). Fachpersonen bezeichnen Nischen und Ecken als geeig-
nete Rückzugsmöglichkeiten. Dies deckt sich mit den Befunden von Forster (2010) in Kapitel
2.2.1. Bietet sich nicht auf Anhieb ein Rückzugsort an, fordert eine befragte Person Mut zur
Kreativität und nennt ein Zelt im Klassenzimmer als originelles und zweckdienliches Beispiel
(vgl. Kap. 5.3.3).
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
51
Ordnung
Ein ordentliches und übersichtliches Klassenzimmer ist gemäss den Aussagen von drei Fach-
personen sehr wichtig für ein Kind im AS. Sprecher Mathieu (2010) bestätigt diese Aussage.
Sie bezeichnet eine übersichtliche und nachvollziehbare Ordnung von Unterrichtsmaterialien
und Lehrbüchern im Klassenzimmer als unabdingbare Voraussetzung für das Lernen (vgl.
Kap. 2.2.1). Zusätzlich empfiehlt eine Fachperson, nicht zu viele Materialien im Raum zu
haben. Dies deckt sich mit den wissenschaftlichen Befunden von Schirmer (2016). Sie spricht
bei zu vielen Dekorationen von einer sensorischen Überforderung und einer Beeinträchtigung
der Konzentration (vgl. Kap. 2.2.5). Es muss jedoch angemerkt werden, dass der moderne
Unterricht auf offenen Lern- und Arbeitsformen basiert. Dies hat zur Folge, dass im Klassen-
zimmer viele Materialien ausgelegt werden. Diese können möglicherweise eine zusätzliche
Reizüberflutung für Kinder im AS darstellen und den Fokus auf das Wesentliche erschweren
(vgl. Kap. 5.2).
Licht
Fachpersonen empfehlen, grelles Licht am Lernort zu vermeiden. Dies stimmt mit den Be-
funden von Herbrecht und Gwerder (o.J.) überein, welche grelles oder flackerndes Licht als
Überforderung für Kinder im AS beschreiben (vgl. Kap. 2.1.4). Auch Sprecher Mathieu
(2010) und Rittelmeyer (2010) betonen diese Thematik. Schirmer (2016) beschreibt Kinder
im AS gar als blendungsempfindlich (vgl. Kap. 2.2.5). Dies deckt sich mit den Aussagen von
zwei Fachpersonen, welche Sonnenstoren oder Fensterfolien empfehlen.
Geräusche
80% der Kinder im AS leiden an einer auditiven Hypersensibilität (Schirmer, 2016). Dies
bedeutet, dass die Betroffenen auch extrem leise Töne und Geräusche wahrnehmen und vor
dieser Geräuschbelastung beschützt werden müssen (vgl. Kap. 2.2.5). Dies deckt sich mit den
Empfehlungen von drei Fachpersonen, die den Kindern im AS einen Gehörschutz anbieten,
damit sie die auditiven Reize vermindern können.
Die Autorin ist der Meinung, dass sich nicht immer die neurotypischen Kinder dem Kind im
AS anpassen müssen. Es darf Situationen im Unterricht geben, in denen der Lärmpegel durch
Spiele, Lieder oder Tänze höher ist als normal. In diesen Fällen hat das Kind im AS ver-
schiedene Möglichkeiten. Entweder macht das Kind mit oder es vermindert die Reize durch
einen Gehörschutz oder durch den Rückzug an einen stillen Ort.
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
52
Farben
Nicht alle Menschen nehmen Farben auf die gleiche Weise wahr (Sprecher Mathieu, 2010).
Nur eine der befragten Personen geht auf die Farbgestaltung im Klassenzimmer ein. Sie emp-
fiehlt, neutrale Farben zu wählen. Diese Aussage deckt sich mit den Befunden von Sprecher
Mathieu (2010) und Rittelmeyer (2010) im Kapitel 2.2.3.
Wie bereits bei der Unterfrage 2 bestätigt wurde, ist das Kind im AS auf einen strukturierten
Arbeitsplatz angewiesen. Zusätzlich braucht das Kind im AS, gemäss aller Fachpersonen und
diversen wissenschaftlichen Befunden, eine reizarme Lernumgebung. Des Weiteren erwäh-
nen Fachpersonen einen eigenen und festen Arbeitsplatz als essenziell für Kinder im AS. In
diesem Sinne kann die Hypothese 3 verifiziert werden.
6.3 Integration
Unterfrage 4: Welches sind die Erfolgsfaktoren für eine Integration von einem Kind im Au-
tismus-Spektrum?
Hypothese 4: Eine Integration gelingt, wenn alle beteiligten Kinder und Lehrpersonen über
die besonderen Bedürfnisse eines Kindes im Autismus-Spektrum aufgeklärt sind.
Vorab muss erwähnt werden, dass das Behindertengleichstellungsgesetz die Integration von
Kindern und Jugendlichen in die Regelschule vorsieht (Art. 20 Abs. 1 & 2 BehiG). Es muss
anhand der individuellen Fähigkeiten und Bedürfnissen entschieden werden, ob ein Kind in
die Regelschule integriert werden kann (Schuster, 2016). Girsberger (2016) betont ebenfalls,
dass eine schulische Integration nicht bei jedem Kind möglich und sinnvoll ist. Zu dieser
Thematik wurden keine Ergebnisse aus den Interviews gewonnen. Die Autorin hat bewusst
keine spezifische Fragen zur Integration versus Seperation gestellt, da diese den Umfang der
Arbeit überschreiten würden. Die Autorin wagt die Behauptung, dass auch die Fachperson,
die dazu keine Aussage macht, dies als sehr wichtig erachten würde.
Eine Lehrperson, welche ein Kind im AS in ihrer Klasse integriert, muss sich Wissen zur
Thematik Autismus aneignen. Diesen Anspruch stellen vier von fünf Fachpersonen. Weitere
empirische Befunde zeigen die Wichtigkeit auf, die Klasse über die Besonderheiten und Ei-
genheiten des Kindes aufzuklären. Für den KJP ist dies sogar der allerwichtigste Punkt für
eine gelingende Integration (INT 3). Zusätzlich wird von zwei Fachpersonen die Geduld als
eine überaus wichtige Kompetenz einer Lehrperson beschrieben. Darüber hinaus sollte die
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
53
Lehrperson Empathie für das Kind im AS zeigen. Die Befunde weisen darauf hin, dass das
Fachwissen sowie die Geduld und Empathie gegenüber dem Kind im AS wichtige Voraus-
setzungen sind, um das Kind schulisch zu fördern. Das Fachwissen der Bezugspersonen von
einem Kind im AS wird auch von Girsberger (2016) für eine gelingende Integration voraus-
gesetzt (vgl. Kap. 2.3.1). Inwiefern Empathie und Geduld zur Integration beitragen, wird in
der Theorie nicht beschrieben.
Zwei Befragte empfehlen, bei Bedarf Unterstützung durch die Schulleitung oder einer ausge-
bildeten Fachperson in Anspruch zu nehmen. Wie im Kapitel 2.3.1 beschrieben, muss ein
Kind im AS durch eine ausgebildete Fachperson aus der Heil- oder Sozialpädagogik begleitet
werden. Insbesondere muss das Sozialverhalten mit dem Kind im AS geübt werden (Girsber-
ger, 2016). Die Autorin nimmt an, dass die Lehrperson durch diese zusätzliche Unterstützung
entlastet werden kann.
Wie im Kapitel 2.1.7 dargelegt, sind Pausen für neurotypische Kinder der Höhepunkt des
Tages. Im Gegensatz dazu sind für Kinder im AS Pausen oft die schlimmste Zeit in der Schu-
le. Statt sich zu erholen, können Kinder im AS auf unstrukturierte Pausen mit herausfordern-
dem Verhalten reagieren. Rückzugsmöglichkeiten sollten zur Verfügung stehen (Schuster,
2016). Dies deckt sich mit den Aussagen einer Fachperson.
Die Hypothese 4, dass eine Integration gelingt, wenn alle beteiligten Personen über die be-
sonderen Bedürfnisse eines Kindes im AS aufgeklärt sind, kann teilweise bestätigt werden.
Dies ist gemäss den empirischen Befunden ein wichtiger Gelingensfaktor, jedoch nicht der
Einzige. Für eine gelingende Integration von einem Kind im AS in die Regelschule müssen
noch weitere Punkte beachtet werden. Besonders das Einrichten eines Rückzugsortes ist sehr
wichtig für Kinder im AS. Die empirischen und wissenschaftlichen Befunde setzen voraus,
dass die Lehrperson sich Wissen zur Thematik Autismus aneignet. Sie begegnet den Kindern
im AS mit Empathie und Geduld und nimmt bei Bedarf Unterstützung von ausgebildeten
Fachpersonen in Anspruch.
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
54
7 Zusammenfassende Schlussfolgerung
Nachfolgend werden die gewonnenen Befunde zusammengefasst sowie mit der anfangs ge-
stellten Fragestellung in Beziehung gesetzt. Diese lautet:
Wie muss ein Lernort gestaltet sein, damit die Integration eines Kindes im Autismus-
Spektrum gelingen kann?
Die Forschung im Bereich Autismus hat sich in den letzten Jahren enorm weiterentwickelt.
Während früher von einer klar abgrenzbaren Krankheit die Rede war, wird heute von einem
Autismus-Spektrum gesprochen. Menschen im AS zeigen Auffälligkeiten in den Bereichen
Kommunikation, soziale Interaktion, stereotype Verhaltensweisen und eingeschränkte Inte-
ressen sowie Besonderheiten in der Wahrnehmung. Die Symptome können sehr vielfältig
ausgeprägt sein. Innerhalb des Spektrums zeigen Menschen im AS ein heterogenes Stärken-
und Schwächenprofil. Die Häufigkeit einer Autismus-Diagnose beträgt 1:100. Folglich ist die
Wahrscheinlichkeit gross, als Lehrperson ein Kind im AS in der Klasse zu integrieren.
Faszinierend ist das grosse Fachwissen der Kinder in ihren jeweiligen Spezialgebieten. Die-
ses Wissen sollte in der Schule als Ressource genutzt werden, um sie in ihrem Lern- und
Entwicklungsstand weiterzubringen.
Kinder im AS haben Schwierigkeiten im Umgang mit ihren Mitmenschen. Wie neurotypi-
sche Menschen haben auch sie das Bedürfnis nach sozialen Kontakten. Jedoch gelingt ihnen
die Umsetzung nur teilweise oder gar nicht. Das Risiko eine Sonderrolle in der Klasse einzu-
nehmen ist erhöht.
Die vorliegende Arbeit stellt eine fundierte wissenschaftliche Abhandlung zur Gestaltung des
Lernortes für Kinder im AS dar. Durch eine qualitative Datenerhebung konnten konkrete
Gestaltungsideen in Bezug auf den Lernort für Kinder im AS ermittelt werden. Zu beachten
ist, dass die Befunde nicht auf alle Kinder im AS übertragen werden können, da Kinder im
AS innerhalb des Spektrums unterschiedliche Bedürfnisse bezüglich des Lernortes haben.
Kinder im AS zeigen Schwierigkeiten in unstrukturierten Situationen und im Umgang mit
Veränderungen. Sie sind auf Vorhersehbarkeit in Form von gleichbleibenden Abläufen und
Ritualen angewiesen. Räumliche, zeitliche und visuelle Strukturierungen bieten den Kindern
im AS Sicherheit und Orientierung und können den Schulalltag dieser Kinder stressfreier
gestalten.
Kinder im AS sind nicht nur auf Strukturierung, sondern auch auf eine reizarme Lernumge-
bung angewiesen. Das Klassenzimmer bietet eine Fülle an Reizen, welche Kinder im AS
überfordern können. Eine sensorische Überbelastung kann zu einem unangemessenen Sozial-
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
55
verhalten führen und negative Auswirkungen auf die Motivation haben. Ein offener Unter-
richt, der immer häufiger praktiziert wird, entspricht nicht den Bedürfnissen der Kinder im
AS nach einer reizreduzierten Lernatmosphäre.
Es müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, welche die besonderen Bedürfnisse der
Kinder im AS berücksichtigen. Dabei muss der Baubiologie eines Klassenzimmers besondere
Beachtung geschenkt werden. Kinder im AS sind oft blendungsempfindlich. Daher sollte
grelles Licht vermieden werden. Eine neutrale Farbgestaltung trägt ebenfalls zum Wohlbe-
finden bei.
Bei zu vielen Materialien im Raum fällt es dem Kind im AS schwer, sich auf das Wesentliche
zu konzentrieren. Ein überladenes Schulzimmer sollte daher unterlassen werden.
Kinder im AS leiden an einer Hypersensibilität gegenüber Geräuschen. Einer Überforderung
durch auditive Reize kann durch die Benutzung von Kopfhörern oder dem Einrichten eines
Rückzugsortes entgegengewirkt werden.
Auf den Arbeitsplatz muss ebenso ein besonderes Augenmerk gelegt werden. Er sollte be-
wusst nach den individuellen Anforderungen des Kindes im AS ausgewählt werden. Dabei
muss die sensorische Überempfindlichkeit des Kindes im AS berücksichtigt werden. Es emp-
fiehlt sich, den Arbeitsplatz räumlich abzugrenzen. In der Regel profitiert das Kind von ei-
nem eigenen Sitzplatz. Einzelne Kinder im AS reagieren positiv auf einen bewusst ausge-
wählten Sitznachbarn. Falls der Entwicklungsstand des Kindes es zulässt, sollte es in die
Wahl des Arbeitsplatzes miteinbezogen werden.
In der Schweiz wird aufgrund des Behindertengleichstellungsgesetzes der Integration Vor-
rang vor Separation gegeben. Insgesamt zeigen die Befunde der Studie, dass sich eine struk-
turierte und reizarme Lernumgebung positiv auf das schulische Lernen und das Wohlbefin-
den eines Kindes im AS auswirken kann. Dies wiederum begünstigt eine Integration in die
Regelschule.
Die Fragestellung lässt sich nicht abschliessend beantworten. Es gibt nicht den idealen Lern-
ort für ein Kind im AS. Autismus ist ein Spektrum. Kinder im AS haben in Bezug auf den
Lernort unterschiedliche Bedürfnisse.
Die beschriebenen Empfehlungen bezüglich des Lernortes können für alle Kinder hilfreich
sein. Besonders für Kinder mit einer Verhaltensauffälligkeit oder Wahrnehmungsbeeinträch-
tigung unterstützen sie das Lernen in der Schule.
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
56
8 Kritische Reflexion
Die vorliegende Arbeit hat sich kritisch mit den gewonnenen Erkenntnissen auseinanderge-
setzt und die Zielvorstellung erfüllt. Es konnten wichtige Informationen zur Gestaltung des
Lernortes für ein Kind im AS eruiert werden.
Als Forschungsmethode dienten qualitative Interviews mit Fachpersonen. Diese erwiesen
sich als geeignet, um die Fragestellung zu beantworten. Es hat sich gelohnt, Zeit in die Suche
der Personen zu investieren. Sie alle haben ein fundiertes Wissen zur Thematik. Es ist zum
Ausdruck gekommen, wie sehr ihnen Kinder im AS am Herzen liegen. Die Fachpersonen
arbeiten in unterschiedlichen Settings. Folglich ergaben sich differenzierte Schwerpunkte in
ihren Antworten. Zum einen trug dies zur Vielfältigkeit der Ergebnisse bei. Andererseits hat
dies durch die grosse Fülle an Informationen das Zusammenfassen der Daten erschwert.
Durch die inhaltlichen Vorgaben und das Festhalten an der zentralen Fragestellung, konnten
nicht alle Aussagen diskutiert werden.
Die Interviews waren zeitlich begrenzt und die Fragen den Fachpersonen im Voraus bekannt.
Dadurch mussten sie in ihren Antworten Prioritäten setzen und konnten nicht alle Aspekte
beleuchten. Es ist durchaus anzunehmen, dass eine Fachperson zu einem Aspekt ebenfalls
Auskunft gegeben hätte, wenn sie danach gefragt worden wäre.
Ein Kritikpunkt der untersuchten Studie stellt die geringe Anzahl der Stichprobe dar, welche
aufgrund von quantitativen Vorgaben nicht erhöht werden konnte.
Das Transkribieren der Interviews war sehr zeitaufwändig. Diese Arbeit hat sich jedoch ge-
lohnt. Durch das Transkribieren konnten Gemeinsamkeiten in den Antworten der Fachperso-
nen erkannt und erste Verknüpfungen mit den wissenschaftlichen Befunden hergestellt wer-
den.
In der vorliegenden Arbeit wird der Begriff Kind oder Kinder im AS verwendet. In den meis-
ten Fällen können die Aussagen auch auf Jugendliche und Erwachsene im AS übertragen
werden. Diese Unterscheidung ist in der Arbeit nicht gemacht worden, um den Lesefluss
nicht zu erschweren.
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
57
9 Ausblick
Anhand der vorliegenden Untersuchung zur Gestaltung eines Lernortes für ein Kind im AS
haben sich weitere Forschungsfragen eröffnet.
In weiteren Forschungsarbeiten wäre es interessant, neben Fachpersonen auch selbstbetroffe-
ne Menschen zu interviewen. Inwiefern würden sich ihre Vorstellungen bezüglich eines
Lernortes unterscheiden? Welche Massnahmen würden sowohl neurotypische als auch Men-
schen im AS als wertvoll erachten?
In dieser Arbeit liegt der Fokus auf dem Lernort Schule. Spannend wäre es, Informationen
über Lernorte ausserhalb der Schule zu eruieren. Hierfür würde sich ein Interview mit Eltern
eines Kindes im AS eignen.
Für eine mögliche Weitergestaltung des Forschungsprozesses wäre eine Untersuchung auf
allfällige geschlechter- oder altersspezifische Unterschiede in Bezug auf den Lernort eines
Kindes im AS spannend.
Die Autorin möchte die neu gewonnenen Erkenntnisse zum Lernort in der Praxis anwenden
und deren Wirkung sowohl auf Kinder im AS, als auch auf neurotypische Kinder, überprü-
fen.
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
58
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60
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11 Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Auffälligkeiten von Menschen im AS, aus Privatarchiv der Autorin
Abbildung 2: Kodierschema, in Anlehnung an Strauss & Corbin (1996, S. 78)
12 Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Daten der Interviewpartner, aus Privatarchiv der Autorin
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61
13 Eigenständigkeitserklärung
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
62
14 Anhang
14.1 Interviewleitfaden
14.1.1 Interviewleitfaden SHP 1/ 2 und SP
!Interviewleitfaden Bachelorarbeit
Allgemein Autismus
1. Was ist Ihr Bezug zum Autismus? 2. Was zeichnet ein Kind mit Autismus aus? 3. Was haben Sie für Erfahrungen mit Autismus gemacht? Waren diese positiv oder negativ? 4. Wie haben Sie Kinder mit Autismus im Bereich des schulischen Lernens erlebt? 5. Welche Schwierigkeiten treten in der Zusammenarbeit mit autistischen Kindern auf? Welche
Chancen treten auf? Rolle Lernort
6. Welche Rolle spielt der Lernort für ein Kind? 7. Welche Auswirkungen hat der Lernort auf das Wohlbefinden eines Kindes? 8. Wie unterscheidet sich der Lernort von einem Kind mit Autismus mit dem Lernort der anderen
Kinder? 9. Welche Rolle spielt der Lernort für ein Kind mit Autismus? 10. Wie wirkt sich der Lernort auf den schulischen Erfolg und auf das Wohlbefinden eines Kindes mit
Autismus aus? Gestaltung Lernort
11. Wie muss der Lernort gestaltet sein, damit sich ein Kind mit Autismus in der Schule wohlfühlt? 12. Welche Massnahmen sind nötig, um einen Lernort zu gestalten? Sind für alle Kinder die gleichen
Massnahmen nötig? 13. Welche Massnahmen haben Sie als Fachperson davon umgesetzt? Waren diese erfolgreich oder
warum nicht? 14. Wie wirkten sich diese Massnahmen auf das schulische Lernen aus? 15. Welche Massnahmen haben Sie nicht umgesetzt? Woran lag es? 16. Beschreiben Sie die konkrete Gestaltung des Lernortes von Ihrem Kind mit Autismus.
Vorgaben und Finanzierung
17. Gibt es Vorgaben zur Gestaltung des Lernortes (z.B. vom Kanton, der Schulleitung oder von Fachpersonen)?
18. Haben Sie für die Strukturierung des Lernrotes für ein Kind mit Autismus Geld zur Verfügung? 19. Wenn nein, wie finanzieren Sie Materialien?
Rolle des Autisten in der Klasse
20. Haben Kinder mit Autismus eine Sonderstellung im Klassenverband? Wenn ja, in welchen Bereichen des Schulalltags (z.B. Gruppenarbeit?). Wie reagieren die anderen Kinder darauf?
Unterstützung
21. Werden sie aktuell unterstützt? Wenn ja, mit wem tauschen sie sich aus? 22. Wenn ja, wie beurteilen Sie die Wirksamkeit dieser Unterstützung? 23. Wenn nein, wissen Sie, wo Sie sich Hilfe holen können ?
Abschlussfrage
24. Was könnten die zukünftigen Herausforderungen in Zusammenarbeit mit einem Kind mit Autismus sein?
25. Welche Tipps geben Sie einer Lehrperson, welche ein Kind mit Autismus unterrichtet? 26. Welche Tipps geben Sie einer Lehrperson in Bezug auf die Gestaltung des Lernortes?
!
Bachelorarbeit Gestaltung des Lernortes für ein Kind im Autismus-Spektrum Milena Tschopp
63
14.1.2 Interviewleitfaden KJP und PROF
!Interviewleitfaden Bachelorarbeit
Allgemein Autismus
1. Was ist Ihr Bezug zum Autismus? 2. Was zeichnet ein Kind mit Autismus aus? 3. Was haben Sie für Erfahrungen mit Autismus gemacht? Waren diese positiv oder negativ? 4. Wie haben Sie Kinder mit Autismus im Bereich des schulischen Lernens erlebt? 5. Welche Schwierigkeiten treten in der Zusammenarbeit mit autistischen Kindern auf? Welche
Chancen treten auf? Rolle Lernort
6. Welche Rolle spielt der Lernort für ein Kind? 7. Welche Auswirkungen hat der Lernort auf das Wohlbefinden eines Kindes? 8. Wie unterscheidet sich der Lernort von einem Kind mit Autismus mit dem Lernort der anderen
Kinder? 9. Welche Rolle spielt der Lernort für ein Kind mit Autismus? 10. Wie wirkt sich der Lernort auf den schulischen Erfolg und auf das Wohlbefinden eines Kindes mit
Autismus aus? Gestaltung Lernort
11. Wie muss der Lernort gestaltet sein, damit sich ein Kind mit Autismus in der Schule wohlfühlt? 12. Welche Massnahmen empfehlen Sie Lehrpersonen, um einen Lernort zu gestalten? Sind für alle
Kinder die gleichen Massnahmen nötig? 13. Welche Massnahmen wurden von Lehrpersonen in der Praxis umgesetzt? Waren diese erfolgreich
oder warum nicht? 14. Wie können sich diese Massnahmen auf das schulische Lernen eines Kindes auswirken? 15. Beschreiben Sie die ideale Gestaltung des Lernortes von einem Kind mit Autismus.
Rolle des Autisten in der Klasse
16. Haben Kinder mit Autismus eine Sonderstellung im Klassenverband? Wenn ja, in welchen Bereichen des Schulalltags (z.B. Gruppenarbeit?). Wie erleben Sie in der Praxis, wie die anderen Kinder darauf reagieren?
Unterstützung
17. Wie erleben Sie in der Praxis die Unterstützung der Lehrpersonen von anderen Fachpersonen? 18. Wie beurteilen Sie die Wirksamkeit dieser Unterstützung?
Vorgaben und Finanzierung
19. Gibt es Vorgaben zur Gestaltung des Lernortes (z.B. vom Kanton, der Schulleitung oder von Fachpersonen)?
20. Haben Lehrpersonen für die Strukturierung des Lernrotes für ein Kind mit Autismus Geld zur Verfügung?
21. Wenn nein, wie können Lehrpersonen die Materialien finanzieren? Abschlussfrage
22. Was könnten die zukünftigen Herausforderungen in Zusammenarbeit mit einem Kind mit Autismus sein?
23. Welche Tipps geben Sie einer Lehrperson, welche ein Kind mit Autismus unterrichtet? 24. Welche Tipps geben Sie einer Lehrperson in Bezug auf die Gestaltung des Lernortes?
!!
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