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Grenzüberschreitung zwischen buddhistischen Dämonen und westlichen Hexen
im japanischen Begriff „majo (魔女)“
― Ein Beitrag zur Übersetzungsgeschichte im modernen Japan ―
Hisako ONO/Yoshie
HAYAKAWA
Bei der Übersetzung des deutschen Worts „Hexe“, des englischen „witch“ und des
französischen „sorcière“ greift man heutzutage automatisch auf das Wort „majo (魔
女)“ zurück, das sich aus den zwei chinesischen Zeichen „dämonisch (魔)“ und „Frau
( 女 )“ zusammensetzt. Umfragen unter japanischen Studenten/-innen über das
Bedeutungsfeld des japanischen Begriffs „majo“ haben gezeigt, dass die meisten
Japaner/-innen heute wissen, dass die Vorstellung von „majo“ aus dem Okzident kommt
und historisch in einer komplizierten, eher negativ konnotierten Tradition steht, die auch
Hexenjagden, Hexenprozesse und Ähnliches einschließt. Aber kaum jemand wundert
sich darüber, warum das Wort im Japanischen „majo“ übersetzt und mit den oben
genannten Zeichen geschrieben wird. In der vorliegenden Arbeit wird untersucht, wie
der japanische Begriff „majo ( 魔 女 )“ entstanden ist. Dabei sollen die
Grenzüberschreitungen bzw. die Vermischungen sowohl der kontinental-asiatischen und
altjapanischen Kultur im Mittelalter, als auch der westlichen und japanischen Kultur in
der neueren Zeit erwogen werden.
Das Wort „majo (魔女)“ findet man erst nach der Meiji-Restauration (1868) in der
japanischen Literatur; genauer gesagt, wird das Zeichen „魔女“ in der Lesung
„majo“ zum ersten Mal als Übersetzung für die deutsche „Hexe“ in „Hänsel und
Gretel“ (1902) von Oto MORI, dem älteren Sohn von Ogai MORI, verwendet. Das
Wort „魔女“ erscheint jedoch schon 1891 in der Übersetzung von Grimms Märchen bei
Tamotsu SHIBUE, heißt dort aber „Matsukai-no-onna“, die dämonische Kraft bzw.
Zauber beherrschende Frau. Im ersten „Deutsch-Japanischen Wörterbuch“ (1887) von
KAZAMATSURI findet sich unter dem Stichwort „Hexe“ „die etwas Dämonisches bzw.
den Zauber beherrschende Frau“. Erst im gleichartigen Wörterbuch von GYOTOKU
(1890) tritt endlich „majo ( 魔女 ) “ auf mit den zwei chinesischen Zeichen
„dämonisch“ und „Frau“, aber es bleibt unklar, ob es „majo“ gelesen wurde. Es ist zu
vermuten, dass diese Lesung oder selbst diese Kombination damals noch fremd
gewesen sind. Ein Grund dafür ist, dass in anderen zeitgenössischen Übersetzungen
dieser Hexenbegriff im Japanischen mit „onibaba ( 鬼 婆 )“ also „teuflische,
ungeheuerliche Frau“ wiedergegeben wird, eine Vorstellung, die sich ursprünglich auf
eine Gestalt nach ihrem Tod bezieht, welche sich in der japanischen bzw.
kontinental-asiatischen Tradition zu etwas Überirdischem entwickelt hat. Die
Schwierigkeit der Übersetzung besteht darin, die Differenz zwischen den europäischen
und den japanischen Dämonen zu erkennen.
Nach der Meiji-Restauration (1868) bis zur Veröffentlichung von Goethes
„Faust“ durch Ogai MORI (1913), in welchem mindestens zwei Szenen wie
„Hexenküche“ und „Walpurgisnacht“ die „Hexe“ schildern, gab es nacheinander 3
verschiedene Faust-Übersetzungen ins Japanische. In den „Faust“-Übersetzungen durch
Goro TAKAHASHI (1904) und durch Inazo NITOBE (1910) wird die „Hexe“ mit dem
Neologismus „yōba (妖婆)“, also feenhafte, ungeheuere alte Frau bezeichnet. Erst in der
Übersetzung durch Masaji MACHII (1912) tritt „majo(魔女)“ zwar als Übersetzung
von „Hexe“ auf, erscheint aber mit dem oben genannten neugebildeten Wort „yōba (妖
婆)“ gemischt in einem Text. Diese Mischung von „majo“ und „yōba“ verweist auf den
sogenannten „Trial-and-Error-Prozess“ der Übersetzungspraxis im modernen Japan wie
auch auf die Tendenz, dass die „Hexe“ im „Faust“ sowohl in der Übersetzung
„majo“ wie „yōba“ als Neologismus betrachtet werden kann, mit dem man einen
westlichen Begriff zur Anschauung zu bringen versuchte. Dagegen tritt als Übersetzung
von „Hexe“ in den Grimmschen Märchen nicht nur „majo“, sondern auch das Wort
„onibaba“ abwechselnd auf, um dadurch die „Hexe“ als einen vertrauten und
traditionellen Gegenstand zu antizipieren.
Der japanische, dämonische Begriff „ma (魔)“ geht eigentlich zurück auf das
Sanskrit-Wort „mara (魔羅)“, das einen Gegner oder Verführer Buddhas bezeichnet. Die
Schreibung „fuma (怖魔)“, die „Furcht vor dem Dämonischen“, also „Mönch“, bedeutet,
wurde auf einem alten Holztäfelchen in Ruinen aus dem 7. Jahrhundert in Nara
gefunden; sie scheint das älteste Zeugnis des Zeichens „ma (魔)“ in Japan zu sein.
Darüber hinaus ist erst durch die Einführung des Buddhismus im 6. Jahrhundert das
„ma (魔)“-Zeichen auch in Japan bekannt geworden. In der Heian-Zeit zeigen sich zwei
Richtungen vom „ma (魔)“: das Wort „ma (魔)“ bleibt einerseits als Vorstellung oder
Phänomen des Dämonisch-Verderblichen im buddhistischen Kontext stets mit dem
originalen, chinesischen Zeichen verbunden, andererseits wird es allmählich zur
inhaltlosen Silben- bzw. Tonschrift in den Literaturen.
In einem Wörterbuch der Lesart der chinesischen Zeichen „Ruijūmyōge-shō (類聚
名義抄)“ (ca.1100) werden vier Lesungen für „ma (魔)“ genannt, wie „ma“, „,oni“,
„kokome“, „tamashī“. Sie bedeuten „dämonisch“, „asiatischer Teufel“, „hässlicher,
weiblicher Teufel“, „Seele“. Da bemerkt man schon, dass die Vorstellung „ma (魔)“ mit
der asiatischen Teufelsgestalt „oni“ in enger Beziehung steht. Die beiden sollen
eigentlich Gestalten nach dem Tod bezeichnen. Als etwas Ungeheures, Unklares und
Geheimnisvolles im Überirdischen oder im Makrokosmos präsentieren sich die beiden
allmählich in menschlicher Gestalt. Während „oni“ selber aber als eine noch
allgemeinere Gestalt betrachtet wurde, die bald Krankheit oder Unglück bringt, mit oder
ohne Opfergabe, bald als heilig-fremder Gast „marebito (まれびと)“ Glück bringen
soll, bleibt „ma (魔)“ immer negativ im Religionsbereich.
Die Schreibung „majo (魔女)“, also die Zeichenkombination „dämonisch“ und
„Frau“, aber mit der Lesung „manyo“, findet sich erst in der buddhistischen
Sagendichtung „Shaseki-shū (沙石集)“ (1283) in der Kamakura-Zeit. In diesem Text
darf man zwar „Frau (女)“ nicht in eigener Bedeutung verstehen, sondern nur vermittelt
durch die Konbination mit „ma (魔)“ im Sinne von „Leute in der untereren Schicht, die
nach dem Tod auf den buddhistisch dämonischen, höchst höllischen Weg gingen“ im
Vergleich mit „maō (魔王)“, also der Zeichenkombination von „dämonisch“ und
„König“, was die wenigen Leute in der obereren Schicht bezeichnet, die nach dem Tod
den gleichen Weg gingen. Der Zorn der Götter im Alt-Shintoismus war also früher
eigentlich in der Lage, dem Menschen Unglück, Strafe oder Rache zu bringen. Das
bezieht sich natürlich nur auf die alt-shintoistische Ahnenvergötterung. Aber in der
Vermischung des Buddhismus mit dem Alt-Shintoismus veränderte sich „ma
(魔)“ allmählich zu einem rächenden Geist, d.h. einen gegen etwas Diesseitiges Groll
hegenden Tod. Zum Beispiel in der „Hōgen-Geschichte (保元物語)“ am Anfang des 13.
Jahrhunderts verwandelte sich Kaiser SUTOKU(崇徳) (Regierungszeit 1123-41), der
im Mittelalter häufig als der rächende Geist in Kriegsepen auftritt, aus Rachegefühl
gegenüber seinem Bruder grollend in „maō (魔王)“ (Dämonischer König) bzw. „akuma
(悪魔)“ (Dämon) oder auch „tengu (天狗)“ (langnasiger Berggeist). Man könnte hier
auch sagen, dass sich der Begriff „ma (魔)“ einerseits mit anderen ungeheueren Wesen
wie „oni“ od. „tengu“ vermischt, aber andererseits doch im buddhistischen Bereich im
weiteren Sinne verbleibt.
Wie oben erwähnt, hat das Zeichen „ma (魔 )“ durch die Vermischung des
Buddhismus mit der einheimisch-japanischen Kultur seine eigene Bedeutung verbreitet,
aber es sollte doch bis zum 19. Jahrhundert stets buddhistisch-dämonisch behandelt
werden, dessen Zauberkraft immer etwas Verderbliches in der Ausbildung bzw. Askese
in der Welt implizierte. Erst nach der Öffnung Japans (1868), besonders aber auch
infolge der Einflüsse aus den Auslandsstudien einzelner Japaner konnte man auch den
westlich-christlichen Dämon als Fremdkultur in der eigenen Literatur wie Übersetzung
akzeptieren. Die deutsche Hexe in der japanischen Schrift, nämlich „majo (魔女)“ muss
zwar ein oberflächliches Vorbild in „manyo (魔女)“ im 13. Jahrhundert haben, aber sie
konnte doch erst unter den Händen von Oto MORI und seinem Vater Ogai MORI als
der nicht vom asiatischen Kontinent, sondern vom Westen gekommene, weibliche Gast
belebt werden.
„Effi Briest“ als „Erziehungsroman“
Takayuki MATSUI
Im Lauf der Handlung von „Effi Briest“ wird das Problem der Erziehung zweimal
ausdrücklich behandelt. Die beiden Stellen sind in Bezug auf die psychologischen
Veränderungen der Hauptfigur sehr wichtig. Auch an weiteren Stellen werden die
Probleme über die Erziehung implizit behandelt. „Effi Briest“ ist paradoxerweise ein
Roman über die Erziehung, d.h. ein „Erziehungsroman“,kann man sagen. Das ist die
These,die diese Abhandlung bieten will. Warum müssen die Probleme der Erziehung in
„Effi Briest“ an entscheidenden Stellen diskutiert werden? Was bedeutet diese
Erziehung der Sache nach? Indem diese Abhandlung solchen Fragen nachgeht, will sie
die besonderen Charakter von Fontanes Kritik der Moderne darzustellen versuchen.
Bereits nach dem Hochzeitstag zeigen die Briests Nachdenklichkeit und Skepsis in
Bezug auf die Zukunft der Tochter. Der vielversprechende adelige Landrat Instetten
lasse als Ehemann der Tochter nichts zu wünschen übrig. Aber er sei nicht der
Mann,ihre Liebe mit leichter Manier zu gewinnen. Diese böse Voraussicht der Eltern
erfüllt sich: Diese Ehe scheitert. Ihre Tochter stirbt einen tragischen Tod. Über die
Ursache des Misserfolges der Ehe zeigen die Gespräche der Eltern im voraus Genaues.
„Arme Effi“! Jeder Leser glaubt,dass der Hauptübeltäter ihres Unglücks niemand
anders als ihr Ehemann Instetten ist. Der Vorwurf gegen ihn wird direkt zur Kritik
gegen den Bürokratismus von Preußen führen. Aber unvoreingenommen betrachtet,ist
Instetten eine makellose Person,die sowohl gesellschaftlich als auch privat nichts zu
wünschen übrig lässt. Er trägt immer für Effi Sorge. Im Vergleich zu Crampas hat er
eine edle Gesinnung. Deshalb sollten wir vielmehr denken,dass diese Makellosigkeit
von Instetten nichts anders als die Ursache des Unglücks von Eff ist. Eben weil er nichts
zu wünschen übrig lässt,muss sie unglücklich werden. Wie wäre es,wenn wir so denken
sollten?
Indem Crampas Instettens Verhalten gegenüber dem Chinesenspuk als sein
„Erziehungsmittel“ für Effi deutet,fängt er an,sie zu verführen. Das ist die erste Szene
der Erziehung. Instetten sei der geborene Erzieher. Diese von Crampas veranlasste
Deutung kränkt Effi sehr. Diese Schande ist eine der entscheidenden Motive für ihren
Ehebruch. Danach lässt die Existenz von Instetten Effi immer das Wort
„Erzieher“ assoziieren. Warum verletzt diese Deutung,dass der Chinesenspuk eine von
Instetten erfundene List ist,so tief Effis Gefühl? Der Erziehende hat im Vergleich zum
Erzogenen entscheidende Überlegenheit. Der Erzogene ist dem Erziehenden unterlegen.
Die Überlegenheit und Minderwertigkeit,die durch den Betrug erfunden ist,beschädigt
das Vertrauen des Ehepaars. Dies zerstört sowohl die Basis des Selbstbewußtseins von
Effi als auch ihr Ideal des Ehelebens.
Wie kann man eigentlich die Funktion des Chinesenspuks innerhalb des Romans
bestimmen? Dieses wichtige und schwierige Problem wird lebhaft diskutiert. Der Spuk
kann am Anfang als Effis Sehnsucht nach Sinnlichkeit und gleichzeitig als Angst vor ihr
gedeutet werden. Nach dem ehelichen Treubruch bedeutet er ihr schlechtes Gewissen.
Im Lauf der Handlung funktioniert dieses Motiv vieldeutig. Man kann die Bedeutung
des Chinesenspuks nicht eindeutig erklären. Einfach gesagt,funktioniert dieses Motiv
wie ein Ventil,die vieldeutige Leerheit in den Roman einführt,und entspricht der
Leerheit,die Effi im Eheleben fühlt.
Vor dem Hochzeitstag vertraut Effi ihrer Mutter an,dass sie sich vor Instetten
fürchte. Woher kommt diese Furcht? Dieser Frage beantwortet die Geschichte nicht
explizit. Ursache dieser Furcht ist die öffentliche und private Strenge der Lebensweise
von Instetten. Seine normative Spannung,die er sich selbst alltäglich auflegt,überträgt
sich auf die anderen Menschen,die sich in seiner Nähe befinden. Andere Menschen
finden diese ansteckende Spannung drückend. Crampas charakterisiert diese
Verhaltensweise von Instetten verächtlich als „Erzieher“. Diese Charakterisierung gibt
dem bedrückten Gefühl von Effi seinen Namen.
Als Effi drei Jahre nach der Scheidung ihre Tochter Annie wieder sieht,fühlt sie sich
durch die Wiederholung des verschlossenen Ausdruck ihrer Tochter „O gewiß,wenn ich
darf.“ niedergeschlagen. Schon der Umgang mit der Mutter für ihre Tochter ist
moralisch fragwürdig,weil die Mutter eine Sünderin ist und ihre Sünde unverzeihlich ist.
Effi nimmt an,die Erziehung von Instetten verursacht vorsätzlich die ablehnende
Verhaltensweise ihrer Tochter. Das ist die zweite Szene der Erziehung. Instettens
normative Spannung erstreckt sich auch auf seine Tochter. Aus Verzweiflung klagt Effi
ihren früheren Ehemann heftig als „Schulmeister“ und „Streber“ an. Diese Anklage
führt zur scharfen Kritik gegen ganze preußische Bürokratie. Das ist in allen Werken
von Fontane die stärkste kritische Äußerung gegen Preußen.
Auch Instetten selbst reflektiert kritisch sein eigenes Verhalten,indem er sich selbst
„Erzieher“ nennt. Auch für ihn funktioniert das Wort „Erzieher“ als Schlüsselwort. In
der Endephase des Romans verspottet Instetten,der trotz des Aufstiegs schon seine
Familie und glückliches Leben verloren hat,sein eigenes „Schulmeistertum“. „Kultur
und Ehre“ überhaupt ist etwas Erzieherisches. Etwas Erzieherisches beherrscht
lückenlos die Welt. Es erscheint Instetten wie ein Käfig,der ihn selbst einschließt. Er
wollte sich daraus befreien,aber vergebens. Das Problem der Erziehung in „Effi
Briest“ führt so zu einer seriösen Kulturkritik.
Instetten ist keine einfache Seele. Er kann der konventionellen Norm gegenüber
Distanz halten und sie ironisch kommentieren. Aber trotzdem denkt er,dass er sich ihr
unterwerfen und ihrem Befehl folgen muss. Er ist durch die kollektive Konvention in
die Defensive gedrängt. In diesem Roman ist Instetten Intrigant. Aber zugleich ist er ein
Schwacher. Darin ist dieser Roman sehr überzeugend. Dem Zwang der Konvention
gegenüber muss man kraftlos und gehorsam sein. Das ist das Schicksal des
gesellschaftlichen Menschen,denkt Instetten. Warum? Weil er die gesellschaftliche
Norm internalisiert. Und eben die Prozess dieser Internalisierung ist nichts anderes als
die Erziehung. Instetten kann man Erzieher nennen,weil er dem Zwang der Gesellschaft
gehorcht und die Norm verinnerlicht.
Sowohl Effi als auch Instetten fühlen das eigene normative Bewusstsein als etwas
Äußerliches und Fremdes. „Etwas“,das innerhalb ihrer selbst ist und das sie trotzdem
nicht kontrollieren können,folgt ihnen und bestimmt ihre eigene Handlungen. Die
eigene Kraftlosigkeit schlägt sie nieder. Die Ursache der Tragik von Effi ist die
Spannung,die ihnen die normative Bewusstsein auferlegt. Wenn man solches
Bewusstsein für etwas außerhalb seiner selbst Liegendes hält,fehlt es dort an der
Autonomie,die die Verantwortlichkeit voraussetzt. Deshalb kann man niemanden
verantwortlich machen. Das Subjekt,das solches Böses verursacht,kann man nur
„Gesellschafts-Etwas“ nennen. Solches Böses kann man nur als gesellschaftliches
Schicksal entsagend dulden. Das ist der Pessimismus,der Fontanes Realismus
kennzeichnet. Es ist auch der Grund,warum Effi Instettn am Ende des Romans vergibt.
Die Tragik,die Instetten für sie verursacht,ist für sie alle nichts anderes als ein
unvermeidliches Schicksal. Das kann man nur entsagend dulden. Auf der Basis der
Entsagung entsteht auch der Fontane typische Humor,der sich im auf Effs Schicksal
gemünzten Wort des Vaters vom „weiten Feld“ verkörpert.
Dieser Roman ist paradoxerweise ein Erziehungsroman. Einfach gesagt,behandelt er
die Geschichte,in der Instettens Erziehung Effis scheitert. Instettens unwillkürliches
Verhalten will Effi seiner normativen Haltung assimilieren. Diesem Zwang
widerstehend,tritt Effi aus der ganzen Gesellschaft,die die Norm umspannt,aus. Etwas
Erzieherisches,das sich in der Gesellschaft ausbreitet,vernichtet die Hauptfigur. Man
kann diese „Erziehung“ als Kraft,mit der sich die normative Spannung unwillkürlich
verbreitet,definieren. Unwillkürlich verbreiten heißt,es geschieht unabhängig von der
eigenen Absicht. Dieser Roman berichtet,wie die gesellschaftliche normative Spannung
einen unglücklich machen kann. Auf diese Weise kritisiert Fontane sehr ernst die
Kultur,die von dieser Spannung ganz durchdrungen ist. Die Kulturkritik dieses Romans
gilt noch heute. Die Moderne,die Fontane kritisiert,dauert immer noch an.
Die dämonische Freiheit
―Eine Untersuchung über Schillers Literatur
im Zusammenhang mit den hermetischen Traditionen―
Takashi SAKAMOTO
Eklektizismus und Synkretismus lagen am Ursprung der Aufklärungszeit, nachdem
die traditionellen Instanzen der Wahrheit, Schule und Kirche, abgewirtschaftet hatten.
Diese zwei Geistesströmungen schlossen sich an die hermetischen Traditionen an, die
am Ende des Barockzeit durch die verspätete Wirkung Jakob Böhmes fortgesetzt
worden war. So erklärt Rolf Christian Zimmermann in seiner Monographie über das
Weltbild des jungen Goethe einen Hintergrund für die Neubelebung der geheimen
Tradition im Zeitalter der Aufklärung. Analogiedenken kennzeichnet diese Tradition.
Diese Denkweise versucht in Analogie zu Newtons Gravitationslehre, die ein Produkt
des aufklärerischen Empirismus ist, ein die Welt beherrschendes Gesetz zu erforschen.
Schiller sieht in der Liebe ein solches Gesetz, wie er in Tugend in ihren Folgen
betrachtet und seinen Philosophischen Briefen ausführt; Die Liebe bildet für „die
Gottheit“, „die Unsterblichkeit“ und „die Tugend“ die unerlässliche Voraussetzung.
„Die Unsterblichkeit“, vor allem in Schillers Die Künstler, entspricht dem
Palingenesie-Gedanken in Platons Timaios, der lehrt, dass die übernatürlichen Dämonen
das Leben der menschlichen Seelen auf der Erde als Genien begleiten. Schiller legt
dabei im Verständnis der Dämonen mehr Wert darauf, dass sie für die Verbindung der
Menschen mit dem übernatürlichen Bereich bürgen, als darauf, dass sie, als Schicksal,
das Leben der Menschen in vielfachen Formen bestimmen. In Die Künstler schließt sich
die Schönheit als Genius an die Menschheit an, und die Künstler erziehen unter Obhut
der Schönheit die Menschen dazu, dass sie ihr Vermögen der Vernunft, die nach Timaios
der göttliche Teil des Menschen ist, entwickeln. Der Dämon gibt also, in diesem Sinne,
der Menschheit eine teleologische Geschichtsphilosophie als Schicksal auf.
Schiller zieht aber ausdrücklich in seinen Philosophischen Briefen seinen
Palingenesie-Gedanken in Zweifel. Der Materialismus stellt sich hier der Theosophie
des Julius entgegen, die das Analogiedenken der Liebe benennt. Die aufgeklärte
Vernunft soll in dieser Theosophie eigentlich die von Gott erschaffene systematische
Welt entziffern. Aber die menschliche Vernunft erweist sich dafür als nicht ausreichend,
da das menschliche Vermögen im Vergleich zu Gott natürlich begrenzt ist. Die Vernunft
kann selbst die Wirklichkeit der Unsterblichkeit nicht beweisen, und der Materialismus
führt die Liebe nur auf physiologische Gründe zurück. Schillers Zweifel charakterisiert
seine jugendliche Schaffensperiode von Die Räuber bis zu Die Geisterseher, also bevor
er sich mit der Kantischen Philosophie beschäftigt. Später beseitigt Schiller in
Anlehnung an Kant seinen Zweifel mit der Zuversicht, dass die Möglichkeit der Tugend
die Freiheit postuliert. Weder Liebe noch Vernunft, sondern die Freiheit ist nunmehr die
Voraussetzung auch für die Möglichkeit der Gottheit und der Unsterblichkeit, wie es
Kant in seiner Kritik der praktischen Vernunft erläutert. Schiller vergleicht das Schöne
und das Erhabene mit Dämonen, unter deren Einwirkung der Mensch die Freiheit erhält.
Der Mensch fühlt sich in Hinsicht auf die Schönheit frei und ahnt in dieser dämonischen
Freiheit das Übernatürliche. Aber dass der Mensch mit der Schönheit spielt, stellt das
Ideal des freien Menschen nur in der Erscheinungswelt dar. Das Ideal des freien
Menschen, der die Erscheinungswelt überschreitet, verwirklicht das Erhabene. Wenn die
wirkliche Gewalt seine physische Existenz zu zerstören droht, handelt der Mensch hier
als reiner Geist, als ob er unter keinen andern als seinen eigenen Gesetzen stünde, um
diese Gewalt dem Begriff nach zu vernichten. Der Mensch fühlt sich frei beim
Erhabenen, indem er nur in der reinen Intelligenz im Menschen Grund für das Dasein
legt und die Freiheit dieses übernatürlichen intelligenten Wesens für göttlich hält. Auf
diese Weise beweist die Freiheit beim Erhabenen die Möglichkeit der Gottheit. Die
Wirklichkeit dieser transzendentalen Idee begründet die Freiheit des Dämons, die der
Mensch beim Schönen und Erhabenen in sich fühlt.
Schiller denkt, dass die moderne tragische Kunst durch die Darstellung des
Erhabenen den Menschen zu dieser Freiheit erziehen kann. Das Erhabene im
Trauerspiel bietet zwar dem Zuschauer die Gelegenheit, aus der Überwindung des
dargestellten Leidens die Autonomie und Freiheit zu begreifen, um wirkliche
Schwierigkeiten seiner Lebens außerhalb des Theaters bewältigen zu können. Aber die
vernünftige Hermetik bei Schiller ermöglicht, das Erhabene als eine Art ‚mystischer
Orgie‟ zu begreifen. Denn Schiller sagt in Über das Erhabene, dass die Freiheit den
Menschen „zum Bürger und Mitherrscher eines höheren Systems“ macht, „wo es
unendlich ehrenvoller ist, den untersten Platz einzunehmen, als in der physischen
Ordnung den Reihen anzuführen.“ Die Passage beschreibt genau ,die große Kette der
Wesen„ im Analogiedenken, die einmal Arthur O. Lovejoy darstellte. Der Mensch kann
zu diesem höheren System schon gehören, wenn er nur moralisch, also intelligibel
handelt. Wenn Schillers modernes Trauerspiel auch dieses höhere System als Zuschauer
annimmt, dann hat es einen Charakter des Welttheaters. Schillers Trauerspiel macht die
Welt zum Theater, in dem der vom Demiurgen in die Sterblichkeit verwiesene Mensch
anlässlich des Erhabenen die dämonische Freiheit erhält und zu seinem lichten
göttlichen Ursprung zurückzukehren beginnt. Schillers tragisches Welttheater fundiert
ein höheres System und zeigt aus diesem Gesichtspunkt das menschliche Leben als
Wanderung der unsterblichen Seele auf der Erde.
Die hermetische Tradition bzw. der Neuplatonismus ist bisher nur in Schillers frühen
Gedanken nachgewiesen worden. Jedoch muss in Zukunft herausgearbeitet werden,
dass diese geheime Tradition auch nach Schillers Kant-Rezeption von ihm
weiterentwickelt wurde. Die hermetische Tradition ist ganz grundsätzlich in Schillers
literarischen und ästhetischen Werken zu finden.
Der Dämon, der Wahn heißt. Natur, Psyche und Spukerei in Richard Wagners >Die
Meistersinger von Nürnberg< im Vergleich mit Carl Maria von Webers >Der
Freischütz<
Taro Yamazaki
Sowohl den >Freischütz< als auch >Die Meistersinger von Nürnberg< hat man seit
jeher für den Inbegriff der deutschen Nationaloper gehalten und miteinander verglichen.
Aber während die nationalistischen Elemente der beiden Opern immer wieder
hervorgehoben und im Zusammenhang mit der Problematik der Rezeptionsgeschichte
diskutiert wurden, sind die textlichen sowie musikalischen Inhalte bislang kaum zum
Gegenstand einer vergleichenden Analyse gemacht worden. Das ist eher
verwunderlich, denn die Gemeinsamkeit der beiden Stücke fällt sofort auf, wenn man
nur die Handlungen miteinander vergleicht.: So findet in beiden Stücken 1. der
Handlungsverlauf innerhalb von 24 Stunden statt (1.Aufzug: Nachmittag/früher Abend,
2. Aufzug: Nacht, 3. Aufzug: nächster Morgen). 2. In beiden Stücken muss der Held
einerseits, nach dem Gesetz der Gesellschaft, in ‚technischer‟ Hinsicht seine
Meisterschaft beweisen (z.B. durch einen Probeschuss oder einen Wettgesang), um die
Geliebte zu heiraten. 3. Es wird aber andererseits dieses Gesetz von einem geehrten
Weisen als veraltet und unmenschlich kritisiert.
Der Grund, warum diese Parallelität eher übersehen worden ist, findet sich vermutlich
in der Tatsache, dass im >Freischütz< die Geistererscheinung in der Wolfsschluchtszene
den wesentlichen Teil der Handlung ausmacht, während im komödienhaften sowie
realistischen Ambiente der >Meistersinger< solche übernatürlichen Elemente nur
schwer vorstellbar sind.
Dieser Aufsatz zielt darauf, in der letzten Hälfte des zweiten Aufzugs der
>Meistersinger<, die vom dramatischen Aufbau her der Wolfsschluchtszene entspricht,
zuerst die geisterhaften Elemente zu suchen, um sie auf das Menschliche
zurückzuführen, d.h., um sie als Projektion eines Gemütszustands zu deuten; im Inneren
eines Menschen haust eigentlich der Dämon, der die äusserliche Turbulenz in der
nächtlichen Gasse verursacht, die innerhalb einer nächtlichen Stunde (von 22 bis 23
Uhr) geschieht, genau wie die Spukerei in der Wolfsschluchtsszene (von 24 bis 1 Uhr).
Betont wird das Geisterhafte im zweiten Aufzug der >Meistersinger< textlich durch
Wörter wie „Gespenster und Spuk“, „böse Geister“, „Kobold“, sowie durch die
Situation selbst; es handelt sich hier doch um den Polterabend genauso wie im
>Freischütz< und überdies um die Johannisnacht (d.i. die
„Midsummernight“ Shakespeares) mit all den Streichen, die übernatürliche Wesen in
dieser Nacht spielen. Sogar die Stadt Nürnberg gleicht in dieser nächtlichen Stunde
dem Wald im >Freischütz<, mit den Tannenwipfeln nachgestalteten Giebeldächern, die
den Vollmond von der schmalen Gasse abhalten und somit eine Dunkelheit erzeugen,
die der mondfinsteren Nacht in der Wolfsschlucht entspricht.
In den >Meistersingern< wird jedoch das Geisterhafte auch von einem Menschen
manipuliert wie das Benehmen des Protagonisten Hans Sachs zeigt, der das Licht auf
seinem Werktisch plötzlich auslöscht, um so eine völlige Finsternis gerade in dem
Augenblick zu schaffen, als die Bewohner aus ihren Häusern in die Gasse strömen.
Der dämonische Eindruck dieses eigentlichen Drahtziehers der Handlung wird durch ein
musikalisches Motiv, das sogenannte „Schustermotiv“, verstärkt, das „melodisch in
seinen Eckpunkten durch ein stachliges Tritonus-Intervall gekennzeichnet wird“ (Kurt
Overhoff), also durch den „Teufel in der Musik“. Dieses Motiv mit seiner derben und
dunklen Tonfarbe schildert nicht nur „den sauren Schweiß harter Mühe und Plage”
(ebd.), sondern weist mit seinen besonders im 2. Aufzug vielfältigen Verwendungen
wohl darauf hin, wer eigentlich hinter dem ganzen Geschehen steckt.
Dieser Hans Sachs nämlich, der alles in der Hand zu haben scheint, ist jedoch von einer
unbekannten Macht getrieben, wie er selbst am nächsten Morgen sagt: „Ein Mann weiß
sich nicht Rat; ein Schuster in seinem Laden, zieht an des Wahnes Faden; wie bald auf
Gassen und Straßen fängt der da an zu rasen.” Sachs ist also ein vom Wahn
Gefangener, der aber am Ende seines Monologs der äußeren Natur die Schuld zuschiebt:
„Der Flieder war‟s.“ Ist das bloß eine rhetorische Ausrede? Nein. Denn gerade der
zauberhafte Duft des Flieders war es, der im zweiten Aufzug seine Erinnerung an die
gewaltige Kunst Walthers und somit in seinem Herzen „die süße Not“ (d.h. den Eros,
den Schöpfungstrieb und zugleich die Liebe zu einem Mädchen) erweckt hat. In seine
Empfindung mischt sich dabei aber die bittere Erkenntnis, dass er in der Kunst sowie in
der Liebe dem genialen Jungen unterlegen sei; wer „wahnbetört“ versucht, ihm
nachzusingen, „dem brächt‟ es Spott und Schmach.“
Seine Ahnung bestätigt sich, als Eva ihn zornig verläßt, da er über Walther schlecht
geredet hat. Dass das dem jungen Ritter geneigte Mädchen trotzdem zuvor Sachs
aufgehetzt hat, am Wettsingen um ihretwillen teilzunehmen, ist weder bloße Koketterie
noch Kalkül, um das schlechteste Ergebnis, d.i. die Heirat mit Beckmesser, zu
vermeiden, sondern ist als der Ausdruck ihres Herzens zu verstehen, das zerrissen ist
zwischen dem väterlichen teuren Freund und dem jungen Mann, der plötzlich vor ihr
erschien und sie unwiderstehlich gebannt hat, wie sie im dritten Aufzug Sachs
gegenüber bekennt: “Hatte ich die Wahl, nur dich erwählt‟ ich mir: ... doch nun hat‟s
mich gewählt zu nie gekannter Qual. ... ... Euch selbst, mein Meister, wurde bang‟.”
Seine von ihm selber nicht kontrollierbare Haltung in der letzten Hälfte des zweiten
Aufzugs, die am Ende zu Verwirrungen führt, war also der Ausdruck sowohl seiner von
Evas Angst angesteckten Empfindung als auch seiner inneren Natur, die umso stärker
widerstand und sich Luft zu machen versuchte, als es ihm galt, „Herzens süß Beschwer
zu bezwingen.“
„Das Schusterlied“ ist Ausdruck eines solchen Ventils. Indem Sachs nach der
biblischen Episode der Verbannung von Eva und Adam aus dem Paradies satirisch den
Vorwurf gegen sein Evchen macht, vernimmt man leise im Orchester jenes
Entsagungs-(bzw. Wahn-)Motiv, dessen “schwermütig sinnender“ (so Thomas Mann)
Klang den verborgenen Sinn des Liedes andeutet, nämlich das verlorene Paradies; die
idyllische Zeit sei schon vorüber, in der Sachs und Eva, weder durch das Problem der
wirklichen Heirat, noch durch das Erscheinen einer dritten Person gestört, gemeinsam
im harmonischen Einklang gelebt haben.
Am Ende der zweiten Strophe dieses Liedes donnert Sachs los.: „Wär‟ ich nicht fein
Engel rein, Teufel möchte Schuster sein!“ Die danach stattfindende Prügelei sieht
gerade wie der Streich eines solchen Teufels aus, der aber in der Tat als Projektion des
tobenden Innenlebens von Sachs anzusehen ist. Er nimmt doch am nächsten Morgen
wieder seinen engelhaften Zug an, als er sich entschließt, den Wahn fein zu lenken.
Wie sich das Dämonische nach der berühmten Aussage Goethes „nicht teuflisch, denn
es war wohltätig, nicht englisch, denn es ließ oft Schadenfreude merken,“ nur in
Widersprüchen manifestiert, wirkt der Wahn für Sachs, den Lenker der dämonischen
Kraft des Wahnes, nicht nur negativ, sondern auch positiv, nämlich als schöpferische
Energie (ein „Wesen, das zwischen alle übrigen hineinzutreten, sie zu sondern, sie zu
verbinden schien“). Diese schöpferische Energie beweist er dadurch, dass er Walther
lehrt, aus seinem Traum, „des Menschen wahrstem Wahn“, ein Meisterlied zu
erschaffen.
Gerade weil er diese Ambivalenz des Dämonischen bemerkt hat, ruft er in seiner
Schlußanrede zum Volk.: „Ehrt eure deutschen Meister, dann bannt ihr gute Geister.”
Dieser Satz bedeutet nämlich, dass man jetzt im Licht des Tages die gute schöpferische
Seite des Dämons anlocken muss, in dieser Stadt Nürnberg, wo in der vergangenen
Mitternacht die zerstörerische Kraft, also die boshafte Seite des Dämons, getobt hat.
Diesem Wunsch von Sachs/Wagner kommt jedoch eine ironische Bedeutung zu, wenn
man den Lauf der deutschen Geschichte im Auge behält: Auf das Volk in Nürnberg im
16. Jahrhundert wartet in der Zukunft der verheerende dreißigjährige Krieg; während für
Wagners Zeitgenossen mit der Gründung des Deutschen Reiches 1871. also drei Jahre
nach der Uraufführung der Oper, Deutschlands „Sonderweg“ begann, der bis zur
Katastrophe des Nationalsozialismus führen sollte.
"Geist" bei Johann Georg Hamann
Daimon - Genius - Genie
Yoshikatsu
KAWANAGO
Hamanns erstes Werk trägt den Titel "Sokratische Denkwürdigkeiten" (1759).
Motiviert wuede diese Schrift von außen: Sein Freund Berens, ein Rigaer Kaufmann
und überzeugter Anhänger der Aufklärung, bedauerte Hamanns "Bekehrung" zum
christlichen Glauben, die sich ein Jahr zuvor in London ereignet hatte, und wollte ihn
wieder für sein Lager zurückgewinnen. Berens bat Kant, den damaligen
Philosophiedozenten der Königsberger Universität, um Hilfe und besuchte Hamann mit
ihm zusammen, um den "schwärmenden" zu einer "nützlicheren" Tätigkeit zu
veranlassen. Nach einem ironisch-humoristischem Brief an Kant schrieb Hamann dann
seine Erstlingsschrift. Sie war aber keine bloße Apologie seines neuen Lebenswandels.
Hamann schildert alle Seiten von Sokrates' Leben, auch die dunklen, mit einigen für ihn
nachteiligen Erkenntnissen. Seine Unwissenheit ist keine bloß intellektuelle
Schwachheit, sondern ein moralisch-existenzielles Unvermögen, das als Urquell seines
inneren Leidens sein ganzes Dasein bestimmt und es ins Nichts aufzulösen droht.
Hamann sieht in Sokrates' Geständnis der Unwissenheit eine Entsprechung zum
biblischen Sündenbekenntnisses.
Daß er diese Selbsterkenntnis der eigenen Problematik als tiefste Erfahrung des
Sokrates deutet, erlaubt Hamann, die sokratische Unwissenheit auf Empfindung zu
gründen. "Die Unwissenheit des Sokrates war Empfindung. Zwischen Empfindung aber
und einen[sic!] Lehrsatz ist ein grösserer Unterscheid als zwischen einem lebenden
Thier und anatomischen Gerippe desselben."(II,73) Hamann fügt hinzu, daß diese
Selbsterkenntnis völlig verschieden von jedem intellektuellen Nichtwissen sei. Weil die
Unwissenheit bei Sokrates tief ins Dasein eingeprägt ist, als wäre sie ein Teil seines
Leibes geworden, erhält sie die Bestätigung von innen, d.h. vom ganzen Leben. Die
Wirklichkeit dieses Lebens ist viel tiefer als die des bloßen Verstandes, der nur
intellektuell Beweise und Gründe angeben kann. Hamann vergleicht die Gewißheit
dieser Empfindung mit der des Todes: "Was ist gewisser als des Menschen Ende?"
Unwissenheit ist also keineswegs der Nullpunkt, der nur eine bloße Leere bedeutet,
sondern sie ist ein prägnantes Nichts, wodurch alles bestimmt und geordnet wird, wie
das Leben erst vom Tod her seinen vollen Sinn erhält. In diesem Zusammenhang deutet
Hamann selbst an, daß die Unwissenheit mit dem Glauben gleichen Ursprungs sei.
Die Unwissenheit ist bei Sokrates als Erkenntnis seines Selbsts als Nichts tief
ins Dasein eingesenkt und deutet mithin auf das Positive, welches äußeren Ursprungs ist.
Sokrates vertraut nämlich seinem "Dämon", den Hamann zunächst mit dem Wort
"Genie" wiedergibt. "Was ersetzt bey Homer die Unwissenheit der Kunstregeln, die ein
Aristoteles nach ihm erdacht, und was bey einem Shakesspear die Unwissenheit oder
Uebertretung jener kritischen Gesetze? Das Genie ist die einmüthige Antwort."(II,76)
Zwei Dichternamen werden hier genannt. Hamann scheint plötzlich das neue Thema des
literarischen Genies aufzugreifen. Seine Erwähnung des Genies in dieser Schrift ist aber
nicht so sehr literarisch orientiert, sie zeigt eher die Gegenwartsbezogenheit des
sokratischen "Dämon". Was Hamann unter Genie versteht, bezeugt er selbst mit einem
prägnanten Ausdruck: "Sokrates hatte also freylich gut unwissend seyn; er hatte einen
Genius, auf dessen Wissenschaft er sich verlassen konnte, den er liebte und fürchtete als
seinen Gott, an dessen Frieden ihm mehr gelegen war, als an aller Vernunft der Egypter
und Griechen, dessen Stimme er glaubte, und durch dessen Wind, [...] der leere
Verstand eines Sokrates so gut als der Schoos einer reinen Jungfrau, fruchtbar werden
kann."(II,76) Das Genie wird hier durch den Genius ersetzt, der dem Menschen nicht
von Natur aus eigen ist, sondern immer von außen kommt und in ihm haust. Der Dämon
des Sokrates wird als solch ein Schutzgeist verstanden. Hier wird dann auf jene
bekannte Stelle der "Sprüche Salomos" (1,7) hingewiesen, die das Wesen der Weisheit
lehrt. Die Haltung des Sokrates zu seinem Genius wird mit der biblischen "Furcht des
Herrn" gleichgesetzt. Das andere Bild spielt auf eine Episode von Nikodemus (Joh.3,8)
an, in der Jesus die Wirkung des Geistes mit der des Windes vergleicht, der gegenwärtig
bläst aber dessen Ursprung und Zielrichtung dem Menschen unbekannt bleiben. Dieser
Wind weist, zusammen mit dem Bild von der Befruchtung der Jungfrau Maria, auf die
Neugeburt durch den Geist hin. Bei dem Empfang des Genies, dieses Genius, handelt es
sich also um eine Neugeburt, um eine Neuschöpfung von oben.
Erkenntnis entsteht als Neugeburt, als Neuschöpfung aus dem Nichts. Der
Genius ist es, der dabei sowohl das neue Leben als auch die Weisheit ermöglicht und
verwirklicht. Die Unwissenheit des Sokrates ist hier im Horizont der Bibel im
pneumatologisch-soteriologischen Sinne verstanden. Warum gibt er diesem Genius,
dem biblischen Geist, eine ästhetisch-literarische Prägung? Hamann spricht einmal von
der besten Art, über Gott nachzudenken und nennt als besten Weg den "als Christ oder
Poet." Daraus ist zu schließen, daß die beiden Existenzbestimmungen, Christ zu sein
und Poet zu sein, für Hamann eigentlich nicht verschieden sind: Beide sind Begeisterte.
Diese Auffassung der Begeisterung kommt bei Hamann vor allem von den biblischen
Propheten. Die pneumatologische Seite der prophetischen Existenz hat er in den
"Wolken" noch weiter entwickelt. Im dritten Aufzug behandelt er den Vorwurf, daß "der
sokratische Schriftsteller an Körper und Kopf ungesund sey." Für die gesunde Vernunft ,
die die aufklärerisch Gesinnten hochachten, sei die Art, wie hier Sokrates dargestellt
wird, "verwirrt", "unsinnig" und "voll süßes Weins". Sie verurteilen das Genie als
"Beseßenen, Mondsüchtigen und Paralytischen", das voll von der "Krankheit",
"Raserey" und "fanatischem Schwindel" ist.(II,104-106) Hamann will aber
philologisch verdeutlichen, welches Wesen hinter diesen negativen Phänomenen steckt.
"Nichts ist also mehr übrig als die Gränzstreitigkeiten des Genies mit der Tollheit zu
unterscheiden. Das gröste Schisma hierin ist unter den Juden gewesen über den Vortrag
eines Propheten aus ihren Brüdern. Einige sagten: ΔΑΙΜΟΝΙΟΝ εχει
και ΜΑΙΝΕΤΑΙ [Er(=Jesus) hat einen bösen Geist und ist unsinnig. Joh.
10,20]."(II,104) Hamann führt dann Davids "Geberde am Hofe zu Gath" (1.Sam.17)
als Beispiel an und setzt sie mit der "Verwirrung" des Paulus vor Festus gleich
(Apg.26,24). Er zeigt dadurch, daß die prophetische Existenz notwendig von den
negativen Erscheinungen des Geistes begleitet wird. Dies seien aber "das Θειον
[Göttliche]", das Hippokrates vergebens zu vernichten versuchte. Hamann zitiert das
Endresultat des Hippokrates und deutet darin auf das Wesen des Geistes: Alles ist
göttlich und alles ist menschlich. Dies ist ein wichtiger Satz, der Hamanns
Hauptgedanken ausspricht, daß nämlich die ganze Wirklichkeit dieser Welt
"Herablassung Gottes." sei. Gott läßt sich leidenschaftlich mit all seiner Liebe zu den
Niedrigen herab. Diese Herablassung zeichnet sich noch durch eine andere Dimension
aus: Ironie ist bei den Propheten eines der göttlichen Kampfmittel und ein Ausdruck der
Stärke der Sprache Gottes. Gott läßt sich herab und eignet sich die Redeweise des
Menschen, ja des Feindes selbst, an, um dadurch gerade diesen Feind zu besiegen.
Hamann sieht ein Beispiel solcher "göttlichen Ironie" eben in der Geschichte von David
und Goliath (1.Sam.17). Er setzt nämlich "Goliaths Schwert" mit dessen spöttischen
Worten gleich. Das Schwert allegorisiert dabei die Schärfe der Ironie, mit der man Gott
zu verspotten versucht. Goliath wurde zuletzt mit "seinem eigenen" Schwert enthauptet.
Das versinnbildlicht, daß Gott die Feinde mit deren eigenen Waffen schlägt. Dies ist
nach Hamann die Kampfweise Gottes, womit er immer seinen Feind besiegt. So ist "die
Thorheit des Genies reich genug die Weisheit zu ersetzen."(II,107)
Diese Redekunst eignete sich Hamann selbst an. In der "Aesthetica in nuce"
wurden z.B. auch mythologische Figuren - Bacchus, Ceres und Narziß - im Sinne des
sokratischen Dämon als Zeugen der göttlichen Rede herangezogen. Dabei kommt die
Rolle des "Geistes" auch beim Verständnis der Geschichte deutlich zum Tragen. Für
Hamann ist die geschichtliche Wahrheit nicht das absolut und einzig Bestimmte. Sie
erhält je nach der Situation der Mitteilung ihren Leib und ihr Kleid. Die Mitteilung wird
dabei zuerst von der "Empfindung" des Verfassers der Geschichtsschreibung bestimmt.
Und nur bei demjenigen, der dieselbe Empfindung hat, kann diese Mitteilung Resonanz
finden. Denn Geschichte wird nur dann wieder lebendig und fängt an zu tönen, wenn
man sich dazu mit all seiner "Empfindung" affektiv verhält. Es handelt sich dabei einzig
um die Lebensfrage, wie man einer zeitlich entrückten Person wie Sokrates mit seiner
ganzen Existenz begegnet. Das bezeugt Hamann schon in seiner Erstlingsschrift:
"Sokrates scheint von seiner Unwissenheit so viel geredt zu haben als ein
Hypochondrianer von seiner eingebildeten Krankheit. Wie man dies Übel selbst kennen
muß um einen Milzsüchtigen zu verstehen und aus ihm klug zu werden; so gehört
vielleicht eine Sympathie der Unwissenheit dazu von der sokratischen einen Begriff zu
haben."(II,70) Die Sym-pathie im Sinne des existenziellen Mit-leidens ist es, die auch
dabei eine Mitteilung ermöglicht und verwirklicht, indem sie die Distanz der Zeit
suspendiert und jeder spezifischen Situation das leidende Pathos als "gleichzeitig"
einpflanzt. Eben auf dieser existenziellen Sympathie ruht Hamanns hermeneutischer
Standpunkt. In der späteren Schrift "Entkleidung und Verklärung" nennt er diese
dialogisch-dialektische Geschichtsauffassung, die heute "Typologie" genannt wird,
"Geist der Weissagung": "Geist der Beobachtung und Geist der Weissagung sind die
Fittige des menschlichen Genius. [...]"(III,382)
Das Dämonische bei Goethe
Sanayuki NAKAI
Einleitung
Goethe hat den Begriff des Dämonischen gebildet, als er die Erscheinungen bemerkte,
die die Sittlichkeit Gottes in Frage stellten. Obwohl er sich schon früh solcher
dämonischen Erscheinungen bewußt war, beginnt Goethe erst um 1805 dieses
Phänomen begrifflich zu erörtern. Im Gespräch mit Carl Ernst Hagen in Nienburg
unterschied er das Dämonische von Gott als dem „sittlich vollkommensten Wesen“.
Kurz vor diesem Gespräch hatte Friedrich Heinrich Jacobi Goethe in Weimar besucht
und die Identitätsphilosophie Schellings aus dem sittlichen Grund, den er einst gegen
den Pantheismus von Spinoza angeführt hatte, kritisiert. Nachdem der Streit zwischen
Schelling und Jacobi begonnen hatte, beschrieb Goethe im Brief vom 6. 1. 1813 seine
komplexe Gottesvorstellung. Als Dichter und Künstler sei er Polytheist, als
Naturforscher Pantheist. Wenn er als sittlicher Mensch eines Gottes bedürfe, sei dafür
auch gesorgt. Diese Arbeit expliziert, wie Goethe das Dämonische aus dieser
komplexen Gottesvorstellung herausarbeitet. Zuerst werden die Deutungen des
Dämonischen von Hans Blumenberg und Peter Hofmann, die einen ähnlichen Ansatz
zeigen, kritisch aufgearbeitet. Dann wird durch die Interpretation der „Wahlverwandt-
schaften“ gezeigt, welche Bedeutung dem Dämonischen in der Problematik des
Göttlichen zugewiesen ist.
1
Nach der ersten Thematisierung des Dämonischen sind dessen Spuren im Gedicht
„Mächtiges Überraschen“ (1807) und dem Festspiel „Pandora“ (1807/8) zu erkennen.
Zu dieser Zeit erwähnt Goethe den Spruch „Nihil contra Deum nisi Deus ipse,“ der als
Vorläufer des Spruchs in „Dichtung und Wahrheit“ zu betrachten ist, mit dem Goethe
die mächtige Wirkung des dämonischen Menschen zum Ausdruck bringt: „Nemo contra
deum nisi deus ipse.“ Er äußert auch folgende Bemerkungen, die als Kommentar zum
Spruch aufzufassen sind. „Ein Gott kann nur wieder durch einen Gott balanciert werden.
(…) Das Ganze, welches sich spezifiziert, schränkt sich eben dadurch selbst ein, aber
nicht das Einzelne sich.“ Hans Blumenberg sieht darin das polytheistische Prinzip der
„Gewaltenteilung“ und ihre pantheistische Versöhnung. Er betrachtet diese Denkform,
in der Annahme, dass Goethe in Napoleon das personifizierte Dämonische erkannte, als
Ergebnis der Auseinandersetzung Goethes mit dem französischen Kaiser. Goethe habe
auf seine vorige ästhetische, selbstmächtige Lebenshaltung verzichten müssen, die er in
Prometheus darstellte. Er habe diese Identitätskrise durch den Gedanken der
„Balance“ überwunden, der sich erst durch die „Verbindung von Polytheismus und
Pantheismus“ einstellte.
Blumenberg beschränkt sich in seiner Darstellung auf das Dämonische in Napoleon und
übersieht, dass es für Goethe überall in der Natur gegenwärtig ist. Er hat auch das
„Unfaßliche“ und „Ungeheure“ dieses Wesens allzu sehr in dem versöhnten Weltbild
des sogenannten „Pantheismus mit verteilten Rollen“ aufgelöst.
2
In seiner Schrift „Über das Wesen der menschlichen Freiheit“ (1809) hat Schelling in
dem Versuch, die Realität der einzelnen Dinge und die Freiheit des Menschen zu
erklären, „Gott, (…) sofern er existiert“ und „den Grund seiner Existenz“ d. h. das, „was
in Gott selbst nicht Er selbst ist“, unterschieden. Indem der „bewußte, intelligente“ Gott
auf den „Grund“, aus dem er selbst geboren ist, wirkt, entwickeln sich stufenweise die
einzelnen Wesen und zuletzt der Mensch als das geistige Wesen, das die Freiheit zum
Guten und zum Bösen hat. Im Zusammenhang mit dieser theosophischen Kosmogonie,
die den Pantheismus mit dem persönlichen Gott des Theismus zu versöhnen trachtet,
deutet Peter Hofmann das Dämonische bei Goethe. Das Dämonische sei „Negation in
Gott“, „die dem chaotischen Urgrund Gottes entspringt und auch das Werden der Natur
zum Menschen hin begleitet, um dann in ihm als Freiheit zum Bösen zu sich zu
kommen.“ Im Gedicht „Urworte. Orphisch“ (1817) erkennt Hofmann Goethes
Forderung, den „dämonischen Urgrund im Menschen (…) in die sittliche Freiheit zu
integrieren und in ihr aufzuheben.“ So habe Goethe für das Problem des Dämonischen,
das in der Naturforschung (Pantheismus) unlösbar ist, eine sittliche Lösung gefunden.
Es ist aber nicht festzustellen, ob Goethe das Dämonische so spekulativ aufgefaßt hat,
wie Hofmann es darstellt. Hofmann identifiziert den „Dämon“ im Sinne von
„Individualität der Person“ in dem Gedicht ohne weiteres mit dem Dämonischen. Aber
es gilt, die beiden zu unterscheiden. Das erstere ist „notwendig“, gesetzmäßig, das
Bleibende im Menschen und wird im Gedicht mit dem „Zufälligen“ in Kontrast gestellt,
während sich das letztere „mit einem Male“, ohne „Folge“ von außen in das Leben und
Schicksal des Menschen einmischt und eher „dem Zufall“ gleicht.
3
In den „Wahlverwandtschaften“ (1809) wird die sittliche Problematik des Pantheismus
thematisch. Der Roman stellt dar, wie die Figuren unter der Wirkung der „nur einen
Natur“ allmählich ihre „Vernunftfreiheit“ verlieren. Dieser Vorgang wird mit dem
Problem des „Bewußtlosen“, das Jacobi in Bezug auf den Spinozismus Schellings
thematisierte, in Zusammenhang gestellt. Gegen die Warnung Charlottes: „Das
Bewußtsein (…) ist keine hinlängliche Waffe“ erliegen fast alle Figuren der Wirkung
der Wahlverwandtschaften, die ihr Bewußsein unterläuft. Über Eduard und Ottilie sagt
der Erzähler: „Nach wie vor übten sie eine unbeschreibliche, fast magische
Anziehungskraft gegeneinander aus. (…) Dann waren es nicht zwei Menschen, es war
nur Ein Mensch im bewußtlosen, vollkommnen Behagen.“ Dies ist als Ergebnis, das
sich notwendig aus der „Natur (…), Charakter, Individualität“ entwickelt, dargestellt.
Ottilie allein wehrt sich dagegen nach dem Gebot des „Gewissens.“ Sie deutet in ihrem
Tagebuch eine von der pantheistischen unterschiedene Gottheit an, die in der „guten
Tat“ des Menschen als „Gleichnis“ zu erkennen ist. So hat Goethe auf die sittliche Frage,
die der Pantheismus aufwirft, seine Antwort gegeben.
Aber im Roman ist in Ottiliens Wort „ein feindseliger Dämon“ auch die Spur des
Dämonischen zu erkennen, das seinerseits ein sittliches Problem darstellt. Welche Rolle
ist ihm zugewiesen? Aus Goethes Verhalten gegen die Erbsünde (Herrnhuter), das
Radicalböse (Kant) und die Gott verbergende Natur (Jacobi) ist zu erkennen, dass es
ihm unerträglich war, die negative Seite der Natur zu betonen, die trotz ihrer sittlichen
Indifferenz „göttlich“ war. Auf das Dämonische, das die Menschen aus „der
moralischen Weltordnung“, die bei Goethe mit dem Willen Gottes gleichgesetzt ist,
entfernt, wird das widersittliche Verhalten der Figuren zurückgeführt.
Schluss
Das Dämonische ist für Goethe sowohl aus dem Gesichtspunkt des Naturforschers
(Pantheismus), als auch aus dem des sittlichen Menschen (Theismus) nicht zu fassen.
Als Dichter flüchtete er sich vor „diesem furchtbaren Wesen (…) hinter ein Bild.“ Dies
ist im polytheistischen Weltbild von „Pandora“ (1807/8) und „Des Epimenides
Erwachen“ (1814) dokumentiert.
Vorbereitende Studie zur Kollokationsextraktion: Nützlichkeit von statistischen
Verfahren
Haruhiko IMAMICHI
Durch die rasante Entwicklung der Computertechnologie erfreut sich die Nutzung von
Sprachkorpora in der linguistischen Forschung seit kurzer Zeit einer zunehmenden
Beliebtheit. Korpuslinguistische Ansätze werden allerdings auf der anderen Seite oft
kritisch betrachtet, weil sie nahe legen, dass ein Korpus ein Spiegel des
Sprachgebrauchs sei, und dass ein Korpus zur Erklärung der Natur der Sprache beitrage.
Die Korpuslinguistik beschäftigt sich dennoch nicht nur mit der Sprachforschung
mittels Korpora. Sie kann z.B. für eine Kollokationsextraktion für die Deutschlernenden
oder eine quantitative Beschreibung der konkurrierenden Formen (z.B.
Genitivendung-s/-es) genutzt werden. In Wirklichkeit können selbst die
Deutschlernenden relativ leicht extrahieren, mit welchen Nomen z.B. das Verb
„aussetzen“ (auf Japanisch „sarasu“) oft auftritt. Deswegen werden in jüngster Zeit die
Vorzüge des entdeckenden Lernens mit Hilfe von Sprachkorpora im DaF-Unterricht
betont. Trotz dieser Beliebtheit werden aber fast noch keine konkreten Ergebnisse
vorgestellt. Darüberhinaus werden methodische Probleme, die bei der
Kollokationsextraktion für die Deutschlernenden entstehen, fast nicht zur Diskussion
gestellt.
In der vorliegenden Arbeit soll versucht werden, als Vorbereitung der
Kollokationsextraktion für die Deutschlernenden einen umfassenden Überblick über die
Nützlichkeit der schon bekannten 9 Arten von statistischen Verfahren zu geben:
Frequenz, t-score, MI-score, LLR, loglog, MI3-score, MI-log-prod, minimum sensitivity
und Dice Coefficient. Im Folgenden soll zunächst kurz vorgestellt werden, warum sie
bei der Kollokationsextraktion nützlich sind. Danach sollen sie anhand der Häufigkeit
und der Wortschatzniveaus von Kookkurrenzen des Lemmas „frisch“ charakterisiert
werden. Die einzelnen Analysen und ihre Ergebnisse sind wie folgt:
In der ersten Stufe werden die häufigsten 10 Lemmata der Kookkurrenzen (Span: R1)
des Lemmas „frisch“ aus dem DEWAC (etwa 17 Milliarden Wörter) extrahiert, das ein
erstes deutsches Webkorpus ist. Anhand ihres Mittelwertes und ihres Medians werden
sie miteinander verglichen. Dadurch werden die einzelnen statistischen Werte grob
gesehen in drei Gruppen: 1) Frequenz, t-score, LLR, minimum sensitivity, Dice
Coefficient, 2) MI-score, 3) loglog, MI-log-prod, MI3-score aufgeteilt. In der ersten
Gruppe wurden insbesondere Nomen als Kollokationspartner des Wortes
„frisch“ extrahiert, die zum deutschen Grundwortschatz gehören, während in der dritten
Gruppe (MI-socre) schwierige Wörter (Partizip 2) gefunden wurden. Die zweite Gruppe
stand in der Mitte dazwischen.
In der zweiten Stufe wird die Häufigkeit der häufigsten 100 Lemmata der
Kookkurrenzen des Lemmas „frisch“ in einem Punktdiagramm dargestellt, um die
Veränderung der Häufigkeit zu untersuchen. Im Punktdiagramm sind ähnliche
Tendenzen wie oben erläutert festzustellen.
In der dritten Stufe wird das Wortschatzniveau anhand seiner Kookkurrenzen
überprüft. Es gibt jedoch keine Wortlisten, die für eine Evaluation eines deutschen
Wortschatzniveaus nützlich wären. Deswegen berechnet sich hier die so genannte
„Häufigkeitsklasse“ der Wörter nach dem DEWAC. Die Häufigkeitsklassifizierung folgt
dem Zipf‟schen Gesetz, wo behauptet wird, dass eine bestimmte regelhafte Beziehung
zwischen der Häufigkeit und dem Rang eines Wortes besteht. Diesem Gesetz zufolge
kommen relativ wenige Wörter sehr häufig und sehr viele Wörter sehr selten vor. Diese
Erwartung spiegeln die Häufigkeitsklassen wieder. Die Zuordnung eines Wortes in eine
Häufigkeitsklasse berechnet sich folgendermaßen: Häufigkeitsklasse(N) = log2
(Häufigkeit des häufigsten Wortes)/ (Häufigkeit des untersuchten Wortes). Obwohl der
Analysegegenstand hier begrenzt ist, zeigte sich der Unterschied klar: bei der Frequenz
wurden Wörter gefunden, deren Häufigkeitsklassen durchschnittlich 11 betragen,
während sie beim MI-score auf 14 bis 23 lagen. Die Häufigkeitsklassen der restlichen
statistischen Werte lagen auf 10 bis 15. Aus den Ergebnissen der Analyse lässt sich
schließen, dass diese statistischen Werte bei der Kollokationsextraktion entsprechend
dem Wortschatzniveau angewendet werden können.
In der letzten Stufe wurden der Pearson‟sche Korrelationskoeffizient und die
Clusteranalyse verwendet, um die Zusammenhänge der einzelnen statistischen
Verfahren in Zahlen und auch visuell auszudrücken. Durch die Analysen wurde
verdeutlicht, dass sich grob die schon oben genannten 3 Gruppen zeigen. Werden die
Unterschiede im Einzelnen stärker beachtet, können sie auch noch ausführlicher
klassifiziert werden. Bei der Kollokationsextraktion für die Deutschlernenden sollten
daher derartige Eigenschaften genügend berücksichtigt werden.
Die Erzählung als künstlerisches Umwandlungsorganon – „Die Schachtel mit der
Friedenspuppe“ von C. Brentano
Kazuko OKAMOTO
„Die Schachtel mit der Friedenspuppe“ (1814) von Clemens Brentano ist eine
Rahmenerzählung, deren Schauplatz auf dem Landgut eines preußischen Edelmanns in
der Zeit des Wiener Kongresses, gerade ein Jahr nach der Leipziger Schlacht (Oktober
1813) gelegen ist. Das ist die unmittelbare Gegenwart der Entstehung des Werkes. Da in
diesem Werk politische und restaurative Motive zu erkennen sind, gilt es bisher als
„eine patriotische Restaurations-Erzählung“. Andererseits wird es wegen seiner
Handlung (der Aufdeckung der Unterschiebung eines Kindes) auch als eine Erzählung
der Gerechtigkeit oder sogar als eine Kriminalnovelle gelesen. Dieses Werk – als
Kriminalnovelle – zeigt aber manche Inkonsequenten, die vor allem von den Figuren
der Puppe und der Schachtel herkommen. Diese beiden Figuren entfalten ihre
Bedeutung auch dann nicht vollkommen, wenn man dieses Werk für eine
Restaurationserzählung hält. Es kann vielmehr als Poetologie gelesen werden, die sich
anhand dieser Schlüsselfiguren entwickelt. In der vorliegenden Arbeit wird die in den
Text eingeschriebene Poetologie Brentanos erklärt. Dabei wird dargelegt, dass der Tod
den Kern seiner Poetologie ausmacht.
Im Mittelpunkt der Erzählung steht eine Schachtel, die der Baron in Paris von einer
Trödlerin gekauft hat, um die Friedenspuppe, ein Geschenk für seine Frau, unbeschädigt
in die Heimat zu tragen. Die vier Franzosen, die zufällig bei dem Baron beisammen sind,
kennen diese Schachtel schon und nennen sie „die Büchse der Pandora“. Sie erzählen
abwechselnd über die Schachtel, und aus ihren Geschichten wird klar, dass einmal der
Frau eines Chevaliers anstelle ihres Kindes eine Kinderleiche in dieser Schachtel
untergeschoben worden ist. Die vier Franzosen hatten auf irgendeine Weise an dieser
Aktion Anteil.
Die Erzählung ist aber nicht nur in der Form einer Rahmenerzählung geschrieben,
sondern ist auch auf der Ebene der Rahmenhandlung voll von Figuren, deren Funktion
es ist, das Leben einzuschließen und zu töten. Der Inbegriff solcher Rahmenfiguren ist
diese Schachtel mit der Puppe bzw. der Leiche. Während diese Schachtel für den Baron
ein Behälter des Friedens ist, ist sie für die Franzosen die Schachtel der Leiche. Aber
gerade diese Erkenntnis der Schachtel als Todesschachtel verleiht den Franzosen die
Fähigkeit zu erzählen. Die Schachtel schließt das Leben als Stoff der Dichtung ein und
transformiert es in einen künstlerischen Zusammenhang, indem sie es tötet. Die
Schachtel drückt die Gewalt der künstlerischen Umwandlung von Leben zum Tod aus.
Auch die Außenerzählung beruht auf dem Todesmoment. Zwei von vier Franzosen
sterben, nachdem sie die Geschichte über die Schachtel erzählt haben. Bei ihrem Tod
haben die Schachtelfiguren wie Büchse (Jagdgewehr) und verschlossene Zimmer
gewirkt. Und hier wird die Funktion der totbringenden Schachtel klar. Die voll
entfaltete Gewalt der Schachtel schafft nicht eine Erzählung mit lebendiger Stimme,
eher eine Erzählung in der Schrift. Die Aussage der beiden Franzosen wendet sich in der
Mitte des Werkes sowohl von der Falschaussage zum Geständnis der Wahrheit, als auch
vom Mündlichen ins Schriftliche Die literarisierende Funktion der Schachtel ist im Bild
des Verbandes dargestellt.
Am Anfang war die Schachtel für den Baron zum Schutz der Puppe bestimmt. Aber
alle Binnenerzählungen zielen darauf ab, die Puppe zu beschädigen und sie mit der
Leiche zu identifizieren. Bei Brentano zeigt sich die Puppe, die einmal verneint wird,
als Leiche. Das Eigentümliche an der Puppe bei Brentano liegt darin, dass sie als Balg
ohne geringste Lebendigkeit dargestellt ist. Seit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts,
als „L„homme machine“(1748) von La Mettrie erschien und die erste Ausstellung von
Vaucansons präzisem Automaten „Flötenspieler“(1838) stattfand, kam großes Interesse
für Automaten in Europa auf, was seinen Niederschlag auch in der zeitgenössischen
deutschen Literatur Brentanos gefunden hat. Autoren wie E.T.A. Hoffmann, Jean Paul
oder A.v.Arnim haben in ihren Werken das Motiv der Automaten häufig behandelt. Aber
die Brentanosche Puppe ist wegen ihrer Leichenhaftigkeit nicht mit solchen Automaten,
sondern eher mit der Puppe verwandt, die W. Benjamin im Kontext seiner Analyse des
barocken Trauerspiels untersucht hat. Benjamin findet die Puppe zur Vorstellung der
Leiche geeignet. Aber er sieht in der Puppe nicht allein ein Todesmoment, sondern hält
den Menschenkörper selber für puppenhaft. Die Puppe stellt den verletzten
Menschenkörper dar, dieser aber, der lebendige Menschenkörper, die starre Puppe.
Wenn das Leben als Körper dargestellt wird, geht es nur als starre Puppe, nämlich als
Leiche in den Bereich der Kunst ein. In diesem Sinne verkörpert die Puppe das Leben
des Kunstwerks und den Tod des Lebens als Gegenstand der Darstellung. Jedes
Kunstwerk kann nämlich als Puppe betrachtet werden. Daher liegt die Figur der Puppe
in der Mitte des Werkes von Brentano, das die Poetologie zum Thema macht.
Die Erzählung von Brentano schließt mit einer Blaupause einer neuen Kapelle im
Bau. Die Erzählung, die bisher ausschließlich die Geschlossenheit des Rahmens betont
hat, endet mit einer offenen Form. Das Werk „Die Schachtel mit der Friedenspuppe“ ist
in die noch nicht vollendete Kapelle versetzt. Das heißt diese ganze Erzählung ist nicht
auf den geschlossenen Kunstraum, sondern auf den historischen offenen Zeitraum
bezogen. Während Brentanos künstlerisches Schaffen – dem Leben als Stoff Tod zu
schenken und es in den geschlossenen Kunstraum zu transformieren – vollkommene
Geschlossenheit behauptet, sagt er dem so geschaffenen Kunstwerk keine
Geschlossenheit bzw. Vollkommenheit zu. Die Geschichtlichkeit seines Werks liegt in
der Kritisierbarkeit in der Nachwelt. Sie ist nicht in seiner Thematik, sonder in seiner
Poetologie begründet.
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