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Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Diagnostik und Therapie der Alkoholabhängigkeit
(ICD-10: F10.2)
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und PsychotherapieZentrum für Psychosoziale Medizin
Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf (UKE)
Vorlesung, Seminar, UaK (G2, G3)
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Erstellung des Inhalts:Prof. Dr. Martin Lambert LehrbeauftragterKlinik und Poliklinik für Psychiatrie und PsychotherapieZentrum Psychosoziale MedizinUniversitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)Martinistr. 52, 20246 Hamburg Gebäude W37Tel.: +49-40-7410-24041Fax: +49-40-7410-52229E-Mail: lambert@uke.de
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Vorlesung, Seminar, UaK (G2, G3)
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
ÜberblickKlinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Übersicht zum Krankheitsbild
• Epidemiologie• Diagnostik: u.a. Symptomatik, Komorbidität, Risikofaktoren• Diagnostische Kriterien nach Leitlinien nach ICD-10• Ätiologie / Pathogenese
Grundlagen
Verlauf und Prognose
Therapie• Prävention / Früherkennung• Pharmakotherapie• Psychosoziale Therapie
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Übersicht zum Krankheitsbild
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
1-Jahres-Prävalenz Alkoholabhängigkeit in Europa (2005 / 2011)
Wittchen et al. European Neuropsychopharmacology (2011) 21, 655–679
2005 1-Jahres-Prävalenz von 2.4%2011 1-Jahres-Prävalenz von 3.4%
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Wittchen et al. European Neuropsychopharmacology (2011) 21, 655–679
Betroffene mit Alkoholabhängigkeit in Europa (2005 / 2011)
2005: 7.2 Millionen Betroffene2011: 14.6 Millionen Betroffene
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Erkrankungen mit den meisten Lebensjahren mit Behinderung in Europa 2011
Wittchen et al. European Neuropsychopharmacology (2011) 21, 655–679
2011 rangierte die bipolare Störung unter allen psychischen
und neurologischen Erkrankungen
auf Platz 3!
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Übersicht zum Krankheitsbild
Krankheitsaspekt WissenLebenszeitprävalenz 13–26%
Punktprävalenz 2,4%
Prävalenzraten für alkohol bezogene Störungen
1,6 Mio. Menschen (2,4%) mit aktueller Alkoholabhängigkeit 3,2 Mio. Menschen (4,9%) mit remittierter Alkoholabhängigkeit 2,7 Mio. Menschen (4%) mit schädlichem Alkoholgebrauch und 3,2 Mio. Menschen (4,9%) mit riskantem Alkoholkonsum
Pro-Kopf-Konsum 9,6 Liter reinen Alkohol/Jahr (in Deutschland)
Geschlechterverhältnis 2,5/1 (m/w)
Erkrankungsalter Höchster Anteil in der Gruppe der 17- bis 22-Jährigen (30–35%)
Wichtige Komorbiditäten Tabakabhängigkeit (70–90%), Angststörungen, affektive Störungen,
Persönlichkeitsstörungen
Erblicher Faktor 40–60% (Familien- und Zwillingsstudien)
Leitlinien AWMF: Leitlinien der DG-Sucht und DGPPN
Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013; Frauenknecht, S., Lieb, K. Last minute Psychiatrie. Elsevier, 2011
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Grundlagen:Epidemiologie
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Epidemiologie (I)
Ca. 10% der Bevölkerung trinken 50% des Alkohols Für mehr als 10 Mio. Menschen in Deutschland wird ein Behandlungs-
oder zumindest ein Beratungsbedarf zu alkoholbezogenen Störungen veranschlagt
Die überwiegende Mehrheit wird in Allgemeinkrankenhäusern (30–35%) und in den Praxen niedergelassener Ärzte (70–80%) behandelt
Der Verlauf der Abhängigkeit sowie körperliche Alkoholfolgen entwickeln sich offensichtlich geschlechtsspezifisch unterschiedlich schnell (Teleskop-Effekt), wobei Frauen eine erhöhte Vulnerabilität aufweisen
Die direkten (ca. 10 Mio. Euro) und indirekten (ca. 16,66 Mio. Euro) volkwirtschaftlichen Kosten des Alkoholkonsums belaufen sich auf 26,7 Mio Euro
Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013
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Epidemiologie (II)
• Akute gesundheitliche Störungen (Intoxikation, Alkoholentzugssyndrom, Delir, Krampfanfall, etc.)
• Chronisch degenerative Alkoholfolgekrankheiten (äthyltoxische Leberzirrhose, Polyneuropathie, Hirnatrophie etc.)
Mit steigendem Pro-Kopf-Alkoholkonsum steigen auch alkoholassoziierte körperliche Folgeerkrankungen, Alkoholmissbrauch, Alkoholabhängigkeit und die allgemeine Mortalität
Folgen der Alkoholabhängigkeit:
Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Grundlagen:Diagnostik: u.a. Symptomatik,
Komorbidität, Risikofaktoren
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Alkohol-assoziierte Störungen nach ICD-10 (F10) - Überblick
ICD-10 Name
F10.0 Akute Intoxikation
F10.1 Schädlicher Gebrauch
F10.2 Abhängigkeitssyndrom
F10.3 Entzugssyndrom
F10.4 Entzugssyndrom mit Delir
F10.5 Psychotische Störung
F10.6 Amnestisches Syndrom
F10.7 Restzustand und verzögert auftretende psychotische Störung
F10.8 Sonstige psychische und Verhaltensstörungen
F10.9 Nicht näher bezeichnete psychische und VerhaltensstörungQuellenangaben: Weltgesundheitsorganisation (WHO): ICD-10. Hans Huber, 2010
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Akute Alkoholintoxikation: Subtypen
ICD-10 F10.0 Subtypen
F10.00 ohne Komplikationen
F10.01 mit Verletzungen oder anderen körperlichen Schäden
F10.02 mit anderen medizinischen Komplikationen
F10.03 mit Delir
F10.04 mit Wahrnehmungsstörungen
F10.05 mit Koma
F10.06 mit Krampfanfällen
F10.07 pathologischer Rausch
Quellenangaben: Weltgesundheitsorganisation (WHO): ICD-10. Hans Huber, 2010
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Akute Alkoholintoxikation: diagnostische Kriterien
Diagnostische Kriterien
1. Nachweis des kürzlich erfolgten Konsums in einer ausreichend hohen Dosis
2.Symptome oder Anzeichen für eine Intoxikation vereinbar mit den bekannten Wirkungen von Alkohol
3. Die Symptome sind nicht erklärbar durch einen anderen Substanzgebrauch
4.
Funktionsgestörtes Verhalten, deutlich an mindestens einem der folgenden Merkmale: Enthemmung, Streitlust, Aggressivität, Affektlabilität, Aufmerksamkeitsstörung, Einschränkung der Urteilsfähigkeit, Beeinträchtigung der persönlichen Leistungsfähigkeit
5.Mindestens eins der folgenden Anzeichen: Gangunsicherheit, Standunsicherheit, verwaschene Sprache, Nystagmus, Bewusstseinsminderung, Gesichtsröte, konjunktivale Injektion
Quellenangaben: Weltgesundheitsorganisation (WHO): ICD-10. Hans Huber, 2010
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Alkoholintoxikation mit Delir:Beschreibung und Symptome
Delirium tremens (Alkoholdelir)
Beschreibung
Auftreten i.d.R. nach Alkoholverzicht oder bei fortgesetztem Konsum (Kontinuitätsdelir)
Dauer i.d.R. 5-7 Tage In ca. 20% der Fälle wird ein Delir durch epileptische Anfälle
eingeleitet Unbehandelt liegt die Letalität bei bis zu 15%, bei optimaler
Behandlung unter 2% Schwere Folgeschäden sind das Amnestisches Syndrom und die
Wernicke Enzephalopathie
Leitsymptome Bewusstseinsstörungen, Desorientiertheit, Angst
WeitereSymptome
Optische Halluzinationen (z.B. herumhuschende kleine Tiere) Erhöhte Suggestibilität (Pat. lesen z.B. von einem leeren Blatt ab) Ausgeprägte Hypermotorik mit Nesteln und Herumsuchen Vegetative Symptome mit Fieber, Schwitzen, Hypertonie,
Tachykardie, Tremor und SchlafstörungenQuellenangaben: Frauenknecht, S., Lieb, K. Last minute Psychiatrie. Elsevier, 2011
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Alkoholintoxikation: diagnostischeKriterien pathologischer Rausch
Diagnostische Kriterien und Details
1. Die allgemeine Kriterien für eine Alkoholintoxikation sind erfüllt
2.Verbale Aggressivität oder körperliche Gewalttätigkeit, die für die Person im nüchternen Zustand untypisch sind
3. Auftreten sehr bald (meist innerhalb weniger Minuten) nach Alkoholkonsum
4.Kein Hinweis auf eine organische zerebrale oder eine andere psychische Störung
5.
Details:Auslösung des Rauschzustands auch schon durch kleine AlkoholmengenOft nur von kurzer DauerKomplette Amnesie für den RauschzustandPersönlichkeitsfremde Verhaltensmuster, d. h. für den Betroffenen untypisches, aggressives oder gewalttätiges VerhaltenQuellenangaben: Weltgesundheitsorganisation (WHO): ICD-10. Hans Huber, 2010
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Schädlicher Gebrauch: Definitionund diagnostische Kriterien
Definition und diagnostische Kriterien
Definition
Ein Konsummuster das zu einer Gesundheitsschädigung führt
Diese kann eine körperliche Störung oder eine psychische Störung, z.B. eine depressive Episode nach massivem Alkoholkonsum sein
Diagnostische Kriterien
1. Deutlicher Nachweis, dass der Alkoholgebrauch verantwortlich ist
2. Die Art der Schädigung sollte klar festgestellt und bezeichnet werden können
3.Das Gebrauchsmuster besteht mindestens seit einem Monat oder wiederholt in den letzten 12 Monaten
4.Auf die Störung treffen Kriterien einer anderen Störung durch Alkohol (außer F10.0, Intoxikation) nicht zu
Quellenangaben: Weltgesundheitsorganisation (WHO): ICD-10. Hans Huber, 2010
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Schädlicher Gebrauch: Details
Details
Die Diagnose erfordert eine tatsächliche Schädigung (psychisch oder physisch); negative soziale Folgen fallen per se nicht unter den Begriff „Schädigung“
Eine akute Intoxikation oder ein „Kater“ beweisen allein noch nicht den „Gesundheitsschaden”
Schädlicher Gebrauch ist bei einem Abhängigkeitssyndrom, einer psychotischen Störung oder bei anderen spezifischen alkohol- oder substanzbedingten Störungen nicht zu diagnostizieren
Quellenangaben: Weltgesundheitsorganisation (WHO): ICD-10. Hans Huber, 2010
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Alkohol-Abhängigkeitssyndrom: Definition
Definition
Der Konsum des Alkohols hat für die betroffene Person Vorrang gegenüber anderen Verhaltens-weisen, die von ihr früher höher bewertet wurden
Entscheidendes Charakteristikum: starker, gelegentlich übermächtiger Wunsch, Alkohol zu konsumieren
Quellenangaben: Weltgesundheitsorganisation (WHO): ICD-10. Hans Huber, 2010
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Alkohol-Abhängigkeitssyndrom: diagnostische Kriterien
Überbegriffe Diagnostische Kriterien
3 von 6 der Kriterien müssen in den letzten 12 Monaten gleichzeitig vorhanden gewesen sein
1. Starkes Verlangen Ein starker Wunsch oder eine Art Zwang, Alkohol zu konsumieren
2. KontrollverlustVerminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Beendigung und der Menge des Konsums
3. EntzugssymptomeEin körperliches Entzugssyndrom bei Beendigung oder Reduktion des Konsums
4. ToleranzentwicklungNachweis einer Toleranz, d.h., um die ursprünglich durch niedrige Dosen erreichte Wirkung hervorzurufen, sind zunehmend höhere Dosen erforderlich
5. Einengung
Fortschreitende Vernachlässigung anderer Vergnügen oder Interessen zugunsten des Alkoholkonsums oder erhöhter Zeitaufwand, um diese zu beschaffen oder sich von den Folgen zu erholen
6. Fortgesetzter KonsumAnhaltender Alkoholkonsum trotz des Nachweises eindeutiger schädlicher Folgen
Quellenangaben: Weltgesundheitsorganisation (WHO): ICD-10. Hans Huber, 2010
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Entzugssyndrom: Definition undallgemeine diagnostische Kriterien
Definition und allgemeine diagnostische Kriterien
Definition
Gruppe von Symptomen nach absolutem oder relativen Entzug von Alkohol
Das Entzugssyndrom kann durch symptomatische Krampfanfälle kompliziert werden
Allgemeine diagnostische Kriterien
1.Nachweis des Absetzens oder Reduzierens von Alkohol, nach wiederholtem Konsum, der meist lang anhaltend und / oder in hohen Mengen erfolgte
2.Symptome und Anzeichen, die den bekannten Merkmalen eines Entzugssyndroms von Alkohol entsprechen
3.Die Symptome und Anzeichen sind nicht durch eine vom Alkoholgebrauch unabhängige körperliche Krankheit zu erklären
Quellenangaben: Weltgesundheitsorganisation (WHO): ICD-10. Hans Huber, 2010
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Entzugssyndrom:spezifische diagnostische Kriterien
Spezifische diagnostische Kriterien
1. Die allgemeinen diagnostischen Kriterien sind erfüllt
2. a. Mindestens eins der folgenden Merkmale b. Mindestens zwei der folgenden Anzeichen
a. Euphorie und Gefühl von gesteigerter Energie a. Tachykardie
b. Erhöhte Vigilanz b. Kardiale Arryhthmie
c. Grandiose Überzeugungen oder Aktivität c. Hypertonie
d. Beleidigendes Verhalten oder Aggressivität d. Schweißausbrüche
e. Streitlust e. Übelkeit und Erbrechen
f. Affektlabilität f. Gewichtsverlust
g. Repetitives, stereotypes Verhalten g. Pupillenerweiterung
h. Optische, akustische oder taktile Illusionen h. Psychomotorische Unruhe
i.Halluzinationen, gewöhnlich bei erhaltener Orientierung
i. Muskelschwäche
j. Paranoide Vorstellungen j. Schmerzen in der Brust
k. Beeinträchtige persönliche Leistungsfähigkeit k. Krampfanfälle
Quellenangaben: Weltgesundheitsorganisation (WHO): ICD-10. Hans Huber, 2010
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Entzugssyndrom:Details
Details
Setzen Alkoholabhängige den Konsum ab, entwickelt sich i.d.R. ein vegetatives Alkoholentzugssyndrom (Dauer meist 3-7 Tage)
Ursache ist die kortikale Überstimulation aufgrund des Wegfalls inhibitorischer Aktivität (Alkohol wirkt GABAerg und damit dämpfend auf das ZNS)
Entzugssyndrom mit Delir (F10.04): Zustandsbild, bei dem das Entzugssyndrom durch ein Delir kompliziert wird. Symptomatische Krampfanfälle können ebenfalls auftreten.
Quellenangaben: Weltgesundheitsorganisation (WHO): ICD-10. Hans Huber, 2010
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Psychotische Störung: Definitionund diagnostische Kriterien
Definition und diagnostische Kriterien
Definition
Psychotische Phänomene, die während oder nach Alkoholgebrauch auftreten, aber nicht durch die akute Intoxikation erklärt werden können.
Die Störung ist durch Halluzinationen, Wahrnehmungsstörungen, Wahnideen, psychomotorische Störungen und abnorme Affekte gekennzeichnet
Hierzu gehören z.B. die Alkoholhalluzinose oder alkoholischer Eifersuchtswahn
Diagnostische Kriterien
1. Beginn während Alkoholgebrauch oder innerhalb von 2 Wochen nach Absetzen
2. Dauer der psychotischen Symptome länger als 48h
3. Dauer der Störung nicht länger als 6 MonateQuellenangaben: Weltgesundheitsorganisation (WHO): ICD-10. Hans Huber, 2010
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Amnestisches Syndrom: Definitionund diagnostische Kriterien
Definition und diagnostische KriterienDefinition
Ein Syndrom mit einer ausgeprägten andauernden Beeinträchtigung des Kurz- und Langzeitgedächtnisses. Das Immediatgedächtnis gewöhnlich erhalten. Das Kurzzeitgedächtnis ist stärker gestört als das Langzeitgedächtnis.
Hinzu kommen Störungen des Zeitgefühls und Zeitgitterstörungen, Desorientierung, Beeinträchtigung der Fähigkeit, neues Lernmaterial zu behalten. Konfabulationen sind ausgeprägt.
Rückbildung bei Abstinenz möglich, aber häufig chronischer Verlauf
Diagnostische Kriterien
1. Gedächtnisstörungen in den Bereichen Kurz- und Langzeitgedächtnis
2.Fehlen der Störung des Immediatgedächtnis sowie Fehlen von Bewusstseinsstörung und Aufmerksamkeitsstörung
3. Kein Vorliegen einer objektivierbaren GehirnerkrankungQuellenangaben: Weltgesundheitsorganisation (WHO): ICD-10. Hans Huber, 2010
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Wernicke-Enzephalopathie
Beschreibung
Schwerste Alkoholfolgeerkrankung aufgrund eines Vitamin-B1-Mangels infolge von Mangelernährung
Auftreten bei 10% aller chronisch Alkoholabhängigen
Neuro-pathologische Auffälligkeiten
Spongiöser Gewebszerfall v.a. im Bereich um den Aquädukt und im Höhlengrau des III. und IV. Ventrikels
Verkleinerte und rostbraun verfärbte Corpora mamillaria
Symptomtrias
Bewusstseins- und Orientierungsstörungen (66% der Fälle)
Blickmotorikstörungen wie Nystagmus oder bilaterale Abduzensparese (40% der Fälle)
Zerebelläre Ataxie (51% der Fälle)
Therapie Hoch dosierte Vitamin-B1 (Thiamin) Gabe und stationäre Aufnahme
Quellenangaben: Frauenknecht, S., Lieb, K. Last minute Psychiatrie. Elsevier, 2011
Wernicke-Enzephalopathie:Beschreibung und Symptomatik
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Depressive Störungen: bis 80%
Angststörungen: bis 70%
Antisoziale Persönlichkeitsstörungen: bis 50%
Borderline-Persönlichkeitsstörungen: bis 25%
Schizophrene Psychosen: bis 10 %
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Psychiatrische Komorbidität
Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Grundlagen:Ätiologie / Pathogenese
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Ätiologie / Pathogenese:Überblick
Genetik
Zwillingsstudien erreichen eine Konkordanz von 60% Mehrere Genorte sind beteiligt – einzelne Chromosomen jedoch
nicht identifiziert (siehe folgend)
Biochemie Beeinflussung verschiedener Neurotransmittersysteme (siehe
folgend)
Kulturelle Faktoren
Islamisch geprägte Ethnien vs. Bayerische „Bierkultur“
Soziologische Faktoren
Langzeitarbeitslosigkeit - Entwurzelung – Vertreibung – Migration
Bestimmte Berufsgruppen ( Ärzte – Apotheker)
Psychologische Ansätze
Lernpsychologie - Konditionierung: Inadäquate, letztlich selbst-schädigende Bewältigungsstrategie („Coping“)
Tiefenpsychologie - Psychoanalytische Neurosentheorie: Missglückter Versuch der Bewältigung eines Konflikts zwischen den Instanzen Über-Ich (Ansprüche der Gesellschaft) und Ich (Überforderung)
Quellenangaben: Frauenknecht, S., Lieb, K. Last minute Psychiatrie. Elsevier, 2011
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013
Bestimmte Varianten der Alkoholdehydrogenase und des CYP2E1 führen zu einem beschleunigten Alkoholabbau und damit zu einer verminderten Empfindlichkeit für toxischen Effekte.
Personen mit einer geringen Reaktionen auf eine Ethanolintoxikation weisen eine besondere Gefährdung für exzessiven Alkoholkonsum und die Entwicklung einer Alkoholabhängigkeit auf.
Eine dopaminerg und GABAerg vermittelte neuronale Bahnung trägt maßgeblich zu den verschiedenen Stimulationseffekten geringer Ethanoldosen bei, was eine Fortsetzung des Alkoholkonsums begünstigt
Bei höheren Dosierungen von Ethanol tritt der antagonistische Effekt am NMDA-Glutamat Rezeptor in den Vordergrund (z.B. Bewusstseinstrübungen und kognitive Einbußen)
Untersuchungen an Primaten zeigen, dass eine gering ausgeprägte Reaktion auf Alkohol im Zusammenhang mit einer serotonergen Dysfunktion steht
Ätiologie / Pathogenese:Genetik
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Ätiologie / Pathogenese:Neurobiologie
Dopamin Alkohol erhöht die Dopaminkonzentration = Einfluss auf das
Hirnbelohnungssystem = Verbesserung der Stimmung, positive Verstärkung erhöht das Abhängigkeitsrisiko
Serotonin- und die Noradrenalin
Alkohol reduziert die Serotonin- und die Noradrenalin-Ausschüttung = kann dadurch Aggressivität und Depression begünstigen
Endorphin und Enkephalin
Alkohol erhöht die Endorphin und Enkephalin-Ausschüttung = Euphorie begünstigt die Sucht
GABA Alkohol erhöht die GABA Funktion, Bindungsstelle wie
Benzodiazepinen und Barbituraten = Sedierung, motorische Beeinträchtigungen
Glutamat Alkohol vermindert die Glutamat-Rezeptorfunktion => kognitive
Beeinträchtigung, Reduktion der Gedächtnisfunktion
Quellenangaben: Frauenknecht, S., Lieb, K. Last minute Psychiatrie. Elsevier, 2011
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013
Stimulatorische Wirkung von Alkohol an GABAA-Rezeptoren führt zur verminderten Ansprechbarkeit der Rezeptoren (Entwicklung einer Toleranz)
Inhibitorische und sedierende Effekte des Ethanols werden über glutamaterge Blockade der N-Methyl-D-Aspartat (NMDA)-Rezeptoren vermittelt.
Eine chronische NMDA-Rezeptorblockade durch Ethanol führt zu einem gegenregulatorischen Anstieg der NMDA-Rezeptorendichte und -aktivität.
Wird chronischer Alkoholkonsum unterbrochen, wird die Blockade der vermehrt aktivierten NMDA-Rezeptoren beendet und die GABAerge Stimulation der vermindert ansprechbaren Rezeptoren aufgehoben.
Die resultierende kortikale Überstimulation kann Entzugskrampfanfälle verursachen. Die überhöhte glutamaterge Wirkung kann zu vegetativer Dysfunktion und damit je nach Schwere zum sofortigen Trinkrückfall führen.
Ätiologie / Pathogenese:Toleranz und Entzug
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013
Da das durch einen konditionierten Stimulus ausgelöste Suchtverlangen meist nur wenige physische Entzugssymptome verursacht, ist anzunehmen, dass sich Suchtverlangen durch die Unterbrechung eines Regelkreises entwickelt, wobei das mesolimbische dopaminerge Belohnungssystem ein Bestandteil dieses Regelkreises sein könnte.
Die reizabhängige Freisetzung von Dopamin unterliegt einem Sensibilisierungsprozess, so dass eine wiederholte Konfrontation mit einem drogenassoziierten Reiz zu einer Verstärkung der Verhaltensreaktion führt. Diese Untersuchungen sind von Bedeutung für das Modell eines „Suchtgedächtnisses“ und die Ausrichtung therapeutischer Konzepte.
Ätiologie / Pathogenese:Belohnungssystem und Rückfall
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Therapie
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Therapie: Überblick
Die Behandlung alkoholgefährdeter und alkoholabhängiger Patienten muss Stadien-spezifisch und individuell geplant werden:
• Früherkennung und Frühintervention
• Qualifizierte Entzugsbehandlung
• Langzeitentwöhnungsbehandlung
Psychotherapeutische Strategien
Pharmakologische Rückfallprophylaxe
Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Früherkennung und Frühintervention (I)
Das ideale suchtmedizinische Konzept muss viele Betroffene möglichst früh erreichen und es muss an die Schwere der Suchterkrankung, an das Krankheitsbewusstsein und an die Veränderungsmotivation angepasst sein und wirksam und wirtschaftlich funktionieren
Ein Fünftel der Krankenhausbetten sind auch „Suchtbetten“ und potenzielles Ziel von Frühinterventionen
Betroffene im Vorstadium oder im Frühstadium stellen die größte Teilgruppe aus der Gesamtpopulation der Alkoholkranken, die Versorgung dieser Gruppe ist dagegen qualitativ und quantitativ am schlechtesten
Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Früherkennung
Indirekte Verfahren
Sollen eventuelle Dissimulation oder Leugnung aufseiten der Patienten umgehen
Neben klinischen Tests und indirekten Fragebogenverfahren werden insbesondere typische Laborparameter, wie die Gammaglutamyltransferase (γ-GT), die Transaminasen (ALAT, ASAT), mittleres Zellvolumen (MCV) und das Carbohydrate Deficient Transferrin (CDT) eingesetzt
Eine besonders hohe Sensitivität zeigt das Phosphatidylethanol (PEth), ein Phospholipid, welches nur in Anwesenheit von Alkohol gebildet wird
Ein weiterer potenzieller Prädiktor für unerkannte Alkoholprobleme kann auch die häufig assoziierte starke Nikotinabhängigkeit sein
Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013
Früherkennung und Frühintervention (II)
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Früherkennung
Direkte Verfahren
Fördern Selbstaussagen von Patienten und bieten besseren und sensitiveren diagnostischen Zugang als indirekte Verfahren
Standardisierte direkte Verfahren sind der Alcohol-Use-Disorder-Identification-Test (AUDIT), der AUDIT-G-M und der Lübecker Alkoholabhängigkeits-und Missbrauchs-Screening-Test (LAST)
Nach positivem Screening bietet es sich an, auch eine standardisierte Methode zur definitiven Diagnose von schädlichem Gebrauch und Abhängigkeit einzusetzen (internationale Diagnose-Checklisten)
Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013
Früherkennung und Frühintervention (III)
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Screening-Fragebogen Alkohol: AUDIT (> 8 Punkte positiv; Babor et al. 1989)
10 Fragen 0 1 2 3 4
1. Wie oft trinken Sie alkoholische Getränke? nie1 x Monat
oder seltener2 x Monat 3 x Monat
3-4 x Monatoder öfter
2. Wie viele alkoholische Getränke trinken Sie pro Tag? 1-2 3-4 5-6 7-910 oder
mehr
3. Wie oft trinken Sie 6 oder mehr alkoholische Getränke pro Tag? nieweniger als1 x Monat
1 x Monat 1 x Wochefast
täglich
4. Wie oft hatten Sie im letzten Jahr das Gefühl, Sie könnten nicht aufhören zu trinken, wenn Sie angefangen haben ?
nieweniger als1 x Monat
1 x Monat 1 x Wochefast
täglich
5. Wie oft konnten Sie im letzten Jahr nicht dastun, was von Ihnen erwartet wurde, weil Sie Alkohol getrunken haben?
nieweniger als1 x Monat
1 x Monat 1 x Wochefast
täglich
6. Wie oft brauchen Sie morgens ein alkoholisches Getränk, weil Sie vorher stark getrunken haben?
nieweniger als1 x Monat
1 x Monat 1 x Wochefast
täglich
7. Wie oft haben Sie im letzten Jahr Gewissens-bisse gehabt oder sich schuldig gefühlt?
nieweniger als1 x Monat
1 x Monat 1 x Wochefast
täglich
8. Wie oft hatten Sie sich im letzten Jahr nicht an Ereignisse aus der Nacht zuvor erinnern können, weil Sie Alkohol getrunken hatten ?
nieweniger als1 x Monat
1 x Monat 1 x Wochefast
täglich
9. Haben Sie sich oder einen anderen schon einmal verletzt, weil Sie Alkohol getrunken hatten?
neinJa, aber nicht
imletzten Jahr
Ja, imletzten Jahr
10. Hat Ihnen ein Verwandter, Freund oder Arzt geraten, Ihren Alkoholkonsum zu verringern?
nieweniger als1 x Monat
1 x Monat 1 x Wochefast
täglich
Früherkennung und Frühintervention (IV)
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
FrühinterventionenKurz-intervention
Hauptzielgruppen sind Betroffene mit riskantem Konsum und schädlichem Gebrauch, Betroffene in der frühen Phase der Abhängigkeitsentwicklung und Betroffene mit häufig noch geringer Motivation zu einer Verhaltensänderung
Ziele der Kurzintervention, variieren von Konsumreduktion bei riskantem Konsum bis zu Überführung in eine Akutbehandlung bei schweren alkoholbezogenen Störungen
Die Kurzintervention hat überwiegend beratenden Charakter:
1. Informationsvermittlung über mögliche Folgen des Alkoholkonsums
2. Bestimmung der individuellen, schon eingetretenen oder drohenden, Konsumfolgen
3. Erarbeitung von Diskrepanzen zwischen den langfristigen Zielen (z.B. Abwehr der drohenden Probleme) und dem derzeitigen Verhalten
4. Anbindung zur Förderung der Auseinandersetzung mit dem Alkoholproblem und Anbieten von Anlaufstellen suchtspezifischer Hilfe
5. Motivierende Gesprächsführung:
• Wesentliche Merkmale: empathische Grundhaltung mit Verzicht auf Konfrontation, Förderung der Veränderungsbereitschaft und Selbstwirksamkeit, Vereinbarung gemeinsamer Behandlungsziele, offene, nicht wertende Fragen, reflektierendes Zuhören, positive Rückmeldungen und regelmäßige Zusammenfassungen
Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013
Früherkennung und Frühintervention (V)
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
FrühinterventionenKurz-interventionen
Hauptzielgruppe sind Betroffene mit riskantem Konsum und schädlichem Gebrauch, Betroffene in der frühen Phase der Abhängigkeitsentwicklung und Betroffene mit häufig noch geringer Motivation zu einer Verhaltensänderung
Ziele der Kurzintervention, variieren von Konsumreduktion bei riskantem Konsum bis zu Überführung in eine Akutbehandlung bei schweren alkoholbezogenen Störungen
Die Kurzintervention hat überwiegend beratenden Charakter:
1) Informationsvermittlung über mögliche Folgen des Alkoholkonsums
2) Bestimmung der individuellen, schon eingetretenen oder drohenden, Konsumfolgen
3) Erarbeitung von Diskrepanzen zwischen den langfristigen Zielen (z.B. Abwehr der drohenden Probleme) und dem derzeitigen Verhalten
4) Anbindung zur Förderung der Auseinandersetzung mit dem Alkoholproblem und Anbieten von Anlaufstellen suchtspezifischer Hilfe
5) Motivierende Gesprächsführung:• Wesentliche Merkmale: empathische Grundhaltung mit Verzicht auf Konfrontation,
Förderung der Veränderungsbereitschaft und Selbstwirksamkeit, Vereinbarung gemeinsamer Behandlungsziele, offene, nicht wertende Fragen, reflektierendes Zuhören, positive Rückmeldungen und regelmäßige Zusammenfassungen
Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013
Früherkennung und Frühintervention (VI)
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
FrühinterventionenKurz-interventionen
Kurzinterventionen umfassen maximal vier Beratungseinheiten mit einer Gesamtdauer nicht über 60 Minuten (Evidenzniveau Ia)
Soll die Intervention bei Alkoholabhängigkeit mit einer Pharmakotherapie kombiniert werden, bietet sich das „Medical Management“ an (MM)
Das MM ist eine standardisierte Anleitung zur klinischen Intervention in nichtspezialisierten Behandlungseinrichtungen
Ziel der MM-Intervention ist die Förderung der Medikationscompliance, Informationsvermittlung über Alkoholabhängigkeit und Pharmakotherapie sowie Unterstützung bei der Veränderung der Trinkgewohnheiten
Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013
Früherkennung und Frühintervention (VII)
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Alkoholentzugssymptombogen (AESB)
1. BlutdruckAlter Bis 30 Jahre 31-50 Jahre > 50 Jahre
0 bis 120/80 bis 130/85 bis 140/901 bis 135/90 bis 145/95 bis 155/1002 bis 150/95 bis 160/100 bis 170/1053 bis 160/100 bis 170/105 bis 180/1104 bis 160/100 > 170/105 > 180/110
2. Ruhepuls0 = <92/min 1 = 92-103/min 2 = 104-115/min 3 = 116-127/min 4 = >128/min
3. Tremor
0 = Kein Tremor1 = Fingertremor bei
ausgestreckten Fingern2 = Händetremor bei
ausgestreckten Armen3 = Deutlicher Ruhetremorvon Fingern und Händen
4 = Schwerer Ruhetremorvon Armen und Beine
4. Schwitzen0 =
Kein Schwitzen1 =
Warme, feuchte Hände2 = Umschriebene
Schweißperlen3 =
Ganzer Körper feucht4 =
Massives Schwitzen5. Übelkeit / Erbrechen / Durchfall
1 = Keine Übelkeit 2 = Mäßige Übelkeit 3 = Schwere Übelkeit6. Ängstlichkeit / Nervosität1 = Keine Ängstlichkeit
oder Nervosität2 = Leicht Ängstlichkeit
oder Nervosität3 = Mäßige Ängstlichkeit
oder Nervosität4 = Schwere Ängstlichkeit
oder Nervosität5 = Massive Ängstlichkeit
oder Nervosität / Panik7. Psychomotorische Unruhe0 = Ruhige, unauffällige
Bewegungen1 = Zappeligkeit, leichte
Unruhe2 = Mäßige
Bewegungsunruhe3 = Dauernde
Bewegungsunruhe4 = Massive
Unruhe und Erregtheit8. Orientierung0 = Vollorientiert
1 = Zur Zeit unscharforientiert, sonst orientiert
2 = Zur Zeit nicht orientiert, sonst orientiert
3 = Zur Person orientiert, zu Ort /Zeit teilweise orientiert
4 = Zur Person orientiert, zu Ort/Zeit nicht orientiert
5 = vollständig desorientiert
9. Trugwahrnehmungen / Halluzinationen
0 = Keine1 = Wahrnehmungs-
verschärfung2 = Vorübergehende
Verkennungen3 = Fluktuierende Halluzinationen
4 = Länger andauernde Halluzinationen
5 = Ständige Halluzinationen
10. Krampfanfall1= Keiner 2 = Erster Anfall 2 = Ein Anfall zuvor 3 = ≥ 2 Anfälle zuvor
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Alkoholentzugsbehandlung
Medikamente Dosierung und Schemata
Clomethiazol (Distraneurin®)
Beginn mit 2-4 Kps. In den ersten 2h 6-8 Kps. möglich Dann alle alle 2h nach Symptomatik 1-3 Kps. Höchstdosis 24 Kps. täglich CAVE: Atemdepression, bronchiale Hypersekretion
Oxazepam (Adumbran®)
Tag 1: Beginn mit 25-50mg, Tageshöchstdosis 300mg Tag 2: Verteilung der (hochgerechneten) Tagesdosis auf 4
Einzeldosen Ab Tag 3: Reduktion um 25mg täglich 25mg Oxazepam = ca. 2 Kps. Clomethiazol
Clonidin Bei sehr hohen RR-Werten zusätzlich
Carbamazepin oder Valproat
Bei vorherigen Krampfanfällen im Entzug oder entsprechenden EEG-Veränderungen
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Alkoholentzugsbehandlung mit Oxazepam
Tag 1:
Entzugsüberwachung 2-stündlich, bei beginnender Entzugssymptomatik Aufdosierung von Oxazepam in einer Dosis von jeweils 25mg. Erstdosis, wenn nötig, mit 50mg beginnen. Eine Gesamtdosis von 300mg sollte nur in medizinisch indizierten Ausnahmefällen überschritten werden.
Tag 2 Verteilung der (hochgerechneten) Tagesdosis auf 4 Einzeldosen. Findungsphase (evtl. Adaptation abhängig von Entzugssymptomatik)
Tag 3 Reduktion von 25mg Oxazepam täglich, verteilt auf mindestens 2 Einzeldosen
CAVE / Achtung: Clonidin / Clonistada NIE mit Dociton
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Delirantes Syndrom mit Erregungszustand (mit Hinweis auf Alkohol- & Benzodiazepinentzug)
Clomethiazol ist 1. Wahl Die Dosierung erfolgt nicht schematisch, sondern nach
Sedierungsgrad und Schwere der Entzugssymptome. Die Erhebung der Entzugsschwere erfolgt z.B. mit dem
Alkoholentzugssymptombogen (AESB) Ggf. in Kombination mit einem Antipsychotikum, v.a. Haloperidol 5-
10mg oder Risperidon 1-2mg Alternativ Kombination von einem BZD (z.B. Oxazepam) mit einem
Antipsychotikum (Haloperidol oder Risperidon) CAVE: Alleinige Gabe von Haloperidol führt zur erhöhten
Mortalität, größere Anzahl schwerwiegender Nebenwirkungen und längerer Dauer des Delirs!
Alkoholentzugsdelir (Delirium tremens):
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Delirantes Syndrom mit Erregungszustand (mit Hinweis auf Alkohol- & Benzodiazepinentzug)
1 Kps. (192mg) äquivalent zu 6ml Mixtur (189mg)
Tag 1-4: Überwachung in 2h-Intervallen, Tag 5: 3h-Intervall, Tag 6: 4h-Intervall, Tag 7: 6h-Intervall, Tag 8: 8h-Intervall, ab Tag 9: 12h-Intervall.
Zu den Überwachungszeitpunkten Erfassung AESB:
Dosierung Clomethiazol nach AESB:
• 0-4 Punkte: Keine Kps.• 5-7 Punkte: 1 Kps.• 8-10 Punkte: 2 Kps.• ≥ 11 Punkte: 3 Kps.
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Delirantes Syndrom mit Erregungszustand (mit Hinweis auf Alkohol- & Benzodiazepinentzug)
Initial 2-4 Kps. oder 10-20ml Mixtur
In den ersten 2h 6-8 Kps., Höchstsdosis 24 Kps./24h
Nach Plateauphase von ca. 3 Tagen, schrittweise Reduktion von 2-3 Kps. täglich
Maximale Verordnungsdauer 14 Tage
CAVE: Abhängigkeitsgefahr
CAVE: Atemdepression, bronchiale Hypersekretion
Dosierung Clomethiazol fixes Schema:
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Qualifizierte Entzugsbehandlung
Die Qualifizierte Entzugsbehandlung umfasst eine Kombination aus körperlicher Entzugsbehandlung und psychotherapeutischer Begleitung (3-6 Wochen)
Die körperliche Entzugssituation wird als Chance zur Krankheitseinsicht aufgefasst
Neben einer differenzierten und somatisch Diagnostik sowie der Behandlung der Entzugssymptome, der körperlichen Begleit-erkrankungen und der Folgeerkrankungen wird über psychoedukative und psychotherapeutische Ansätze Motivationsarbeit geleistet
Die Qualifizierte Entzugsbehandlung zeigt für Männer und Frauen gleichermaßen gute Langzeitergebnisse
Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013
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Langzeitentwöhnungsbehandlung
In Deutschland ist das Versorgungssystem vornehmlich für den schwer alkoholabhängigen Patienten konzipiert
Die traditionelle Trias aus Fachkliniken für die Alkoholentwöhnungsbehandlung, Fachberatungsstellen und Selbsthilfegruppen arbeitet mit psychotherapeutischen, soziotherapeutischen und edukativen Verfahren
Durch eine stationäre Alkoholentwöhnung im Rahmen einer mehrmonatigen Rehabilitationsbehandlung, können Abstinenzraten bis 70% nach 1 Jahr und bis zu 50% nach 16 Jahren erreicht werden
Diese Maßnahmen der tertiären Prävention zur Reduktion der Folgen einer bereits eingetretenen Erkrankung erreichen aber nur einen Bruchteil der tatsächlich Betroffenen und setzen spät ein
Über 70% der aktuell Alkoholabhängigen in Deutschland hatten in ihrem gesamten Leben noch keinen einzigen Kontakt zu suchtspezifischer Hilfe
Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013
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Psychotherapeutische Strategien
Motivationssteigerungsansätze, kognitiv verhaltenstherapeutische Interventionen, soziales Kompetenztraining, Paar- und Familientherapie, Reizexposition und gemeindenahe Verstärkermodelle erreichen das Evidenzgrad Ia
Generelle Merkmale der psychotherapeutischen Suchtbehandlung:
Frühestmögliche Herstellung des persönlichen therapeutischen Kontaktes noch in der Krisensituation
Fokussierung der psychotherapeutischen Interventionen auf die Abhängigkeitserkrankung Vorzug überschaubarer und konkreter Ziele gegenüber weit entfernten und überhöhten
Ansprüchen Aktive Hilfestellung zur Bewältigung unmittelbar anliegender, konkreter Probleme und
Förderung der Bereitschaft zur Annahme weiterer Hilfe durch Motivationstherapie Generelle Informationen über die Krankheit werden mit der persönlichen Betroffenheit des
Patienten verbunden und konkrete pathologische Befunde werden erörtert Informationsvermittlung über weitere Behandlungsmöglichkeiten, insbesondere ambulante
oder stationäre Entwöhnungsbehandlungen und die Vereinbarung der nächsten Schritte
Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013
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Pharmakologische Rückfallprophylaxe (I)
Obwohl der Behandlungserfolg von Entwöhnungsbehandlungen belegt ist, erleiden ca. 40–60% der Patienten innerhalb von ein bis zwei Jahren einen Rückfall
Nur ca. 1% aller Abhängigen kommt pro Jahr zu einer stationären Entwöhnungsbehandlung
Zur rückfallprophylaktischen Pharmakotherapie können in Kombination mit psychotherapeutischen / psychosozialen Maßnahmen sog. „Anticraving-Substanzen“ eingesetzt werden,
Diese reduzieren das Alkoholverlangen, ohne selbst Abhängigkeitspotenzial innezuhaben oder anderweitig psychotrop zu wirken
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Pharmakologische Rückfallprophylaxe (II)
Substanz Indikation/Beschreibung Evidenzgrad
Disulfiram (z.B. Antabus®)
Aversivbehandlung, welche eine Unverträglichkeitsreaktion auslöst (z.B. Erbrechen, Schwindel, Angst)
Hemmt die Aldehyddehydrogenase, was bei Alkoholzufuhr zu starkem Acetaldehyd Anstieg führt
Supervidierte Verabreichung nach strenger Indikationsstellung
Anwendung bei kooperativen und sozial stabilen Patienten
Nalmefen Ein Opiatantagonist (μ und δ) mit partieller Kappa-
agonistischer WirkungZulassung beantragt
Baclofen Ein selektiver GABA-B-Agonist, der bisher nur zur
Behandlung spastischer Skelettmuskulatur zugelassen ist
keine Therapie-empfehlung
Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013; Frauenknecht, S., Lieb, K. Last minute Psychiatrie. Elsevier, 2011
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Substanz Indikation/Beschreibung Evidenzgrad
Acamprosat Kalzium-Bis-Acetyl-Homotaurinat Antagonistische Wirkung am glutamatergen NMDA-Rezeptor Nebenwirkungen: Diarrhöen, andere gastrointestinale,
Beschwerden, Kopfschmerzen, Juckreiz Kontraindikationen: Schwangerschaft oder Stillzeit, Serum
Kreatinin > 120 μmol/l bei Patienten mit Niereninsuffizienz, Vorliegen einer schweren Leberinsuffizienz
Therapiebeginn sollte nach Entgiftung und Motivation zur Abstinenz erfolgen
Empfohlene Behandlungsdauer: 12 Monate
Therapie-empfehlung
Naltrexon μ-Opiat-Rezeptor-Antagonist, gegen Alkohol-Craving Nebenwirkungen: Übelkeit, gastrointestinale Beschwerden,
Kopfschmerzen (insgesamt gut verträglich) Kontraindikationen: Opiatkonsum Empfohlene Behandlungsdauer: länger als 3 Monate Die Kombination von Naltrexon und Acamprosat steigert die
Abstinenzrate um 10–20%
Therapie-empfehlung
Quellenangaben: Voderholzer, U., Hohagen, F. Therapie psychischer Erkrankungen. Elsevier, 2013; Frauenknecht, S., Lieb, K. Last minute Psychiatrie. Elsevier, 2011
Pharmakologische Rückfallprophylaxe (III)
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Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Bei Fragen bitte unter:
http://www.uke.de/kliniken/psychiatrie/index_2512.php
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