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Kurzbiographien
Um die Zeitgenossenschaft der hier versammelten Autorinnen und Autoren zu den
Geschehnissen des Ersten Weltkriegs zu dokumentieren, wurde bei den Biographien der
Fokus auf die Jahre 1914 bis 1918 gelegt. Dass ein solch enger zeitlicher Ausschnitt einem
Schriftstellerleben nur sehr bedingt gerecht werden kann, liegt in der Natur der Sache. Daran
anknüpfende Auslassungen finden sich im Nachwort.
AKUTAGAWA RYŪNOSUKE (1892–1927) war an der Universität Tokyo Anglistikstudent und
Schützling von Altmeister Natsume Sōseki, als Japan am 23. August 1914 an der Seite der
Entente in den Weltkrieg eintrat. Nach Abschluss des Studiums bewarb er sich bei der
Kaiserlichen Marine und nahm im Dezember 1916 eine Dozentenstelle am Ingenieurskolleg
in Yokosuka an, wo er bis 1919 Offiziere in englischer Sprache unterrichtete. Im Yasukichi-
Zyklus verarbeitete er Erlebnisse jener Zeit mit ironischer Distanz. Auch Kriegsgeschehnisse
fanden ihren literarischen Niederschlag, etwa in der im August 1916 verfassten
Kurzgeschichte Der Affe. Im Februar 1918 heiratete er und erhielt eine Festanstellung bei der
Tageszeitung Ōsaka Mainichi Shimbun. Das literarische Schaffen Mitte der 1920er-Jahre
wurde zusehends von schweren psychotischen Schüben überschattet. Zermürbt von
Schlafstörungen, Halluzinationen und Panikattacken, setzte er seinem Leiden mit einer
Überdosis Barbiturat ein Ende. Erst Jahrzehnte nach seinem Tod sollte er außerhalb Japans
berühmt werden: Akira Kurosawas Spielfilm Rashomon von 1951 basiert auf zwei
Kurzgeschichten Akutagawas.
PETER ALTENBERG (1859–1919), eigentlich Richard Engländer, bekannt geworden mit
feinnervigen Prosaminiaturen und „Seelentelegrammen“, verbrachte seine letzten zehn
Lebensjahre zum Großteil in Alkoholentzugs- und Nervenheilanstalten. Dem Untergang
seiner Welt stand er fassungslos gegenüber. Bis zuletzt versuchte er, die Epochenstimmung
und den Lauf der kleinen Dinge in impressionistischen Skizzen einzufangen. 1918 erschien
Vita ipsa, aus dem die hier abgedruckten Zeitporträts stammen. In banger Erwartung blickte
er zu Neujahr 1918/19 seinem 60. Geburtstag am 9. März entgegen. Er hatte den Krieg
überlebt, doch „sein“ Österreich gab es nicht mehr. Wenige Tage später meldeten die
Gazetten, der Dichter sei mit der Diagnose einer Bromvergiftung ins Allgemeine
Krankenhaus eingeliefert worden und an einer schweren Lungenentzündung erkrankt. Am 11.
Januar um vier Uhr nachmittags begab sich ein illustrer Trauerzug hinaus zum Wiener
Zentralfriedhof, darunter Hermann Bahr und Arnold Schönberg. Karl Kraus hielt die
Totenrede, das Ehrengrab entwarf Adolf Loos.
SHERWOOD ANDERSON (1876–1941), seit 1913 in Chicago ansässig, kannte den Großen Krieg
nur vom Hörensagen. Dies spiegelt sich auch in der hier ausgewählten Short Story War
wieder, die in die Sammlung The Triumph Egg von 1921 aufgenommen wurde und eine der
vielen Anekdoten literarisiert, die damals über den Atlantik drangen. Der Krieg selbst war
fern, das Schicksal des einzelnen ging dem aufmerksamen Beobachter aber nah. Sein
Hauptaugenmerk galt in jener Zeit einem Werk mit dem provisorischen Titel The Book of the
Grotesque, einem lakonischen, in kurze Episoden gegliederten Porträt einer amerikanischen
Provinzstadt. 1915 druckte die sozialpolitische Zeitschrift The Masses die beiden ersten
Geschichten ab, weitere Auszüge erschienen in The Little Review und in The Seven Arts. 1916
ließ sich der Autor scheiden und heiratete erneut. Sein erster Roman, Windy McPherson’s
son, erschien mit Hilfe von Theodore Dreiser, 1917 auch sein zweiter Roman, Marching Men.
1918 wurde Mid-American Chants, sein erster Lyrikband wohlwollend von der Kritik
aufgenommen. 1919 schließlich publizierte er ebenjenes Werk, an dem er 1915 zu schreiben
begonnen hatte, unter geändertem Titel: Winesburg, Ohio begründete seinen weltliterarischen
Ruhm.
IVO ANDRIĆ (1892–1975), Student der Slawistik, Philosophie und Geschichte in Agram
(Zagreb), 1913 in Wien und im Jahr darauf in Krakau, war den k.u.k. Behörden kein
Unbekannter, als er mitten in der Julikrise 1914 in seine Heimat zurückkehrte. Nach seiner
Ankunft in Split wurde er am 29. Juli als Mitglied der national-revolutionären Liga „Mlada
Bosna“ verhaftet, was ihn davor bewahrte, gegen Serbien in den Krieg ziehen zu müssen.
Doch litt seine labile Konstitution schwer unter der Haft in Split, Šibenik und Maribor. Im
März 1915 wurde er ins zentralbosnische Travnik überführt, im Juli nach Zenica. Auf seine
Amnestierung im Juli 1917 folgten Krankenhausaufenthalte, im Frühjahr 1918 eine längere
Kur. Seine ersten Prosaarbeiten Ex Ponto und Unruhen entstanden in der Haft. Letzteres,
1919 auf der dalmatischen Insel Brač vollendet, enthält unter dem Titel Die Unruhe des Tages
vier Kriegsskizzen und eine Parabel. Im 1945 veröffentlichten Hauptwerk Die Brücke über
die Drina mündet die Handlung in den Ersten Weltkrieg. Im Schlusskapitel sprengen
serbische Einheiten beim Rückzug vor den Österreichern eine jahrhundertealte Steinbrücke in
die Luft, die Drina wird zur Frontlinie.
GUILLAUME APOLLINAIRE (1880–1918), eigentlich Wilhelm Albert Włodzimierz Aleksander
Apolinary de Wąż-Kostrowicky, feierte den Krieg als höchst willkommenes Ereignis und
meldete sich als Freiwilliger zur französischen Armee, wurde aufgrund seiner polnischen
Abstammung jedoch abgewiesen. Im Dezember 1914 stellte er einen Einbürgerungsantrag
und wurde zu einem Offizierslehrgang zugelassen. Im Frühsommer 1915 kam er zur
Artillerie, wo er knapp hinter der Linie stationiert war. Im März 1916, wenige Tage nach
Vollzug der Einbürgerung, mit der zugleich sein Pseudonym zum offiziellen Namen wurde,
verletzte ihn ein Granatsplitter an der Schläfe. Mittels operativer Öffnung des Schädels konnte
ihm das Leben gerettet werden. Während des Genesungsurlaubs, mit bandagiertem Kopf und
der Tapferkeitsmedaille an der Brust, fasste er den Entschluss, ins Dichterleben
zurückzukehren. Im Juni 1917 wurde mit seinem Les Mamelles de Tirésias das erste
„surrealistische“ Drama aufgeführt. Untauglich für den Frontdienst, arbeitete er nun in der
Zensurabteilung des Kriegsministeriums. Am 9. November 1918, zwei Tage vor dem
Waffenstillstand, erlag er der Spanischen Grippe. Er wurde im Beisein seiner Freunde André
Gide und Paul Léautaud auf dem Friedhof Père Lachaise beigesetzt.
VICTOR AUBURTIN (1870–1928), in Berlin geborener Spross einer Familie französischer
Einwanderer, war 1911 als Auslandskorrespondent des Berliner Tagblatts nach Paris
gekommen. Dort frönte er als genussfreudiger Dandy der „Süßigkeit des Nichts“, lieferte
launige Skizzen über das gesellschaftliche Leben und porträtierte prominente Köpfe der Zeit,
darunter Anatole France. Am tiefsten beeindruckte ihn Sozialistenführer Jean Jaurès, und das,
obwohl er als bekennender Konservativer dessen Weltanschauung keineswegs teilte. Statt
nach Jaurès‘ Ermordung Paris zu verlassen und unverzüglich nach Deutschland
zurückzukehren, reiste er nach Dijon, wo ihn die französische Fremdenpolizei in einem
Restaurant aufgriff und als feindlichen Ausländer internierte. Die folgenden drei Jahre
verbrachte er als politischer Häftling in einem Gefängnis, stets in der bangen Erwartung,
füsiliert zu werden. Wegen akuter Harnvergiftung haftunfähig, wurde er 1917 entlassen und
über Genf nach Deutschland abgeschoben. Nach dem Kriegsende arbeitete er als
Reiseschriftsteller und freier Korrespondent in Madrid und Rom. Die Prosaskizze Der
Philolog findet sich in dem 1921 in München erschienen Band Pfauenfedern.
ISAAC EMMANUILOVITSCH BABEL (1894–1940) schloss im zweiten Kriegsjahr sein Studium
ab und zog von Kiew nach Petrograd, das außerhalb des behördlich genehmigten
Ansiedlungsrayons für Juden lag. Erste Erzählungen, teils auf Französisch verfasst, brachte
der junge Autor durch Vermittlung Maxim Gorkis in der Literaturzeitschrift Letopis' unter.
Die Kurzgeschichte Das Badezimmerfenster trug ihm die Kritik der Zensur ein, auch Die
Jesus-Sünde sorgte für Aufsehen. Anfang Dezember 1917 diente er an der rumänischen Front
und arbeitete als Übersetzer in der Spionageabwehr der „Tscheka“, der neu gegründeten
Staatssicherheit. Im März 1918 zurück in Petrograd, heuerte er als Journalist bei Gorkis
Novaja Schisn an, bis die Zeitung im Juli 1918 auf Geheiß Lenins eingestellt wurde. Im
Regionalkomitee der Bolschewiki in Odessa war er zuständig für die Requirierung von
Nahrungsmitteln, wurde Mitglied im Kommissariat für Erziehung und Bildung und arbeitete
in einer Buchdruckerei. Im April 1920 meldet er sich als Kriegsberichterstatter zu den
legendären „Roten Kosaken“ von General Budjonny. Die Reiterarmee-Erzählungen mit ihren
drastischen Wiedergaben von Plünderungen und Hinrichtungen machten ihn berühmt.
AXEL BAKUNTS (1899–1937), eigentlich Alexandr Stepani Thevosian, stammte aus Goris,
einer armenischen Provinzstadt, die damals zum Russischen Reich gehörte. Aus patriotischer
Begeisterung meldete er sich 1916 freiwillig zum Wehrdienst, wurde jedoch abgewiesen, weil
er zu jung war. 1917 wurde er schließlich verpflichtet und nahm an den Schlachten von
Erzurum, Mamkhatoun, Ardahan und Sardarapat teil. Nach der bolschewistischen
Machtübernahme in seiner Heimat ergriff er als schreibender Aktivist der Armenischen
Sozialistischen Sowjetrepublik Partei. In der Erzählung Lar-Markar, 1927 veröffentlicht, ist
der Schrecken des Völkermords von 1915 – die systematische Ermordung und Vertreibung
von Millionen Armeniern durch die Jungtürken – nur angedeutet. Es bleibt dem Leser
überlassen, sich die Schrecknisse im Einzelnen auszumalen, denen der Protagonist durch
Flucht entronnen ist. Was dem Helden der Erzählung am Ende beschieden ist, nämlich in der
Bestellung neuheimatlichen Landes und in der Hoffnung auf die Nachgeborenen ein still-
bescheidenes Glück zu finden, blieb dem Autor selbst versagt. Er fiel mit achtunddreißig
Jahren dem stalinistischen Terror zum Opfer.
TANIA BLIXEN (1885–1962), geboren als Karen Christentze Dinesen, wanderte im Dezember
1913 mit ihrem Verlobten, dem schwedischen Baron Bror von Blixen-Finecke, ins Protektorat
Britisch-Ostafrika aus. Auf ihrer Überfahrt freundete sie sich mit Oberstleutnant Paul von
dem deutschen Lettow-Vorbeck an, was ihr in der neuen Heimat Argwohn eintrug. Selbst die
Meldung ihres Mannes als Kriegsfreiwilliger und die Übernahme von Provianttransporten für
die Briten änderten wenig daran. Wohl in der Hochzeitsnacht mit Syphilis infiziert, musste sie
im April 1915 zur stationären Behandlung nach Dänemark heimkehren. Im November 1916
reiste sie nach Afrika zurück, erwarb eine zweite, größere Farm nahe Nairobi und gründete
die Karen Coffee Company Ltd. Die Gesamtlage blieb weiterhin angespannt. Hunger und
Krankheiten kosteten unzählige Männer des 5th Kenya Battalion bzw. des Carrier Corps das
Leben, das Land wurde von einer anhaltenden Dürreperiode heimgesucht, und als die
britischen Behörden 1917 den Kaffeeimport beschränkten, brach ihr auch noch ein wichtiger
Exportmarkt weg. Aus dem Abstand von zwei Jahrzehnten verfasste sie 1936/37 den
autobiographischen Erzählreigen Den afrikanske Farm, der zum Welterfolg wurde.
JORGE FRANCISCO ISIDORO LUIS BORGES ACEVEDO (1899–1986) bestieg im Frühjahr 1914 mit
seiner Familie einen Hochseedampfer in Richtung Europa. Zusammen verbrachte man einige
Wochen in Paris, ehe die Eltern zu einer Grand Tour quer über den Kontinent aufbrachen.
Den Tag des Kriegsausbruchs erlebten sie in Deutschland, woraufhin sie unverzüglich zu
ihren Kindern nach Genf reisten. Gemeinsam mit seiner Schwester lernte Jorge nun am
renommierten Lycée Calvin Latein und Französisch und brachte sich im Selbststudium
Deutsch bei, um Heine, Meyrink oder die deutschen Expressionisten im Original zu lesen.
Nach dem Abitur verbrachte er ein Jahr in Lugano und übersiedelte 1919 nach Spanien, wo er
als radikalrevolutionärer Poet auftrat. Unter den Gedichten des Bandes Die roten Psalmen soll
sich auch eins mit dem Titel Schützengräben befunden haben, vom Verfasser allerdings 1921
vor seiner Rückkehr nach Argentinien vernichtet. 1923 debütierte er mit dem Lyrikband
Fervor de Buenos Aires. Das hier ausgewählte Lebensbild des Schandtatenmaklers Monk
Eastman stammt aus dem 1935 erschienen Hauptwerk Historia universal de la infamia.
EUGEN BERTHOLD FRIEDRICH BRECHT (1898–1956), Augsburger Gymnasiast, ließ sich bei
Kriegsbeginn von der allgemeinen Euphorie anstecken und tat sich mit patriotischen Versen
und Reportagen von der Heimatfront hervor, die er – gezeichnet mit Berthold Eugen – in
Lokalblättern unterbrachte. Alsbald setzte jedoch ein Gesinnungswandel ein, wie Der
Vizewachtmeister belegt. Im März 1917 meldete er sich zum Kriegshilfsdienst und entging
auf diesem Wege der wahllosen Massenrekrutierung in der Schlussphase des Kriegs. Er
erhielt die Erlaubnis, das Notabitur ablegen zu dürfen, seinen Dienst leistete er in Form von
Schreib- und Gärtnerarbeit ab und unterrichtete im Sommer einen Mitschüler am Tegernsee.
Im Herbst immatrikulierte er sich in München für Medizin und Philosophie. Dank der
Intervention seines Vaters gelang es, bis Oktober 1918 seine Zurückstellung zu erwirken. In
jener Zeit entstand die Ballade vom toten Soldaten. Wenige Wochen vor der Kapitulation
wurde er einem Reservelazarett in seiner Vaterstadt zugeteilt und dort zum
Militärkrankenwärter ausgebildet. Nach der Novemberrevolution Mitglied des Lazarettrats,
entließ man ihn am 9. Januar 1919 aus dem Militärdienst.
EMILIO CECCHI (1884–1966) war vor dem Krieg als freier Autor für Giovanni Papinis
Wochenzeitschrift La Voce und das Giornale d’Italia tätig gewesen. Am 10. Mai 1915,
wenige Tage bevor Italien Österreich-Ungarn den Krieg erklärte, wurde er eingezogen. Bei
seinem ersten Fronturlaub in Rom lernte er den pazifistischen Dichter Dino Campana kennen,
dessen Canti orfici er verehrte und den er nach Kräften förderte. Im September 1916 wurde er
dem Kommissariat des VIII. Armeekorps in Florenz zugeteilt. Zum Hauptmann befördert,
kämpfte er im September 1917 auf der Hochebene der Sieben Gemeinden, einer deutschen
Sprachenklave rund um Asiago. 1918 wurde er Mitarbeiter der Frontzeitung l’Astico. Ein
journalistischer Auftrag führte ihn kurz vor Kriegsende nach London, wo er bis zur
Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens blieb. Hier machte er die Bekanntschaft
Gilbert Keith Chestertons. Nach seiner Rückkehr 1919 bildeten er und sechs weitere
Schriftsteller als die „sieben Weisen“ das Gründungskomitee der römischen
Literaturzeitschrift La Ronda. Eine Auswahl seiner Kurzprosa erschien 1920 in dem Band
Pesci rossi, aus dem Durchzug von Herden stammt.
LOUIS-FERDINAND CÉLINE (1894–1961), mit bürgerlichem Namen Destouches, rückte als
Freiwilliger ein, wurde im Herbst 1914 bei einem halsbrecherischen Meldeunternehmen in
Poelkapelle in Westflandern an Kopf und Schulter schwer verwundet und mit der „Médaille
militaire“ geehrt. Während man ihn in Zeitungsartikeln als Helden feierte, erklärte ihn der
Militärarzt wegen der teilweisen Lähmung eines Arms sowie einer Angstpsychose für
dienstuntauglich. Er wurde nach England überstellt, wo er in der Flugzeugindustrie arbeitete
und eine Stelle an der französischen Botschaft in London antrat. 1916 reiste er nach Kamerun,
um in der damals französischen Kolonie Interessen einer Handelsfirma zu vertreten. Bei der
Rückkehr nach Europa schrieb er seine erste Erzählung, Wellen, datiert auf den 30. April
1917. Wieder in Frankreich, arbeitete er bei der Zeitschrift Euréka, unternahm Vortragsreisen
zum Thema Tuberkulose in die Bretagne und begann 1918 mit dem Medizinstudium. Von
1928 bis 1932 arbeitete er dann an dem Roman, der ihn schlagartig berühmt machte: Reise
ans Ende der Nacht. In seinem Kurzroman Casse-Pipe wird beschrieben, wie der Protagonist
am Vorabend des Kriegs in den nächtlichen Irrsinnslauf einer Patrouille des 17. Regiments
der schweren Kavallerie gerät.
JOSEPH CONRAD (1857–1924), als Józef Teodor Konrad Korzeniowski in Berdyczów geboren,
war 1886 britischer Staatsbürger geworden. Eine Woche vor Kriegsausbruch reiste er samt
Familie über Hamburg und Berlin ins geteilte Polen. In Zakopane und Krakau, wo er einst das
Gymnasium besucht hatte, saß er wochenlang als feindlicher Ausländer auf österreichisch-
ungarischem Reichsgebiet fest. Nur mit Glück blieb er unbehelligt und kehrte im Oktober
über Wien und Genua nach England zurück. 1915 meldete sich sein volljährig gewordener
Sohn Borys zu den Royal Engineers und kam zu einer Feldtelegraphen- und Funkeinheit. Der
Autor selbst brach mit einem Schreibauftrag der britischen Admiralität zu einer
Besichtigungstour nach Norfolk auf und durfte auf einem Minensucher mitfahren, was ihn zu
seiner einzigen Weltkriegserzählung inspirierte: The Tale, 1916 geschrieben, erschien 1917
im Strand Magazine. Im Sommer 1918 dann die schreckliche Nachricht: Borys war bei
Cambray unter Trümmern eingeklemmt worden und ätzendem Chlorgas ausgesetzt gewesen.
Mit einer schweren Kriegsneurose kehrte er als Pflegefall heim. Ein kleiner Lichtblick war für
Conrad bei Kriegsende die nationalstaatliche Souveränität Polens, die er nach Kräften
unterstützte.
GABRIELE D’ANNUNZIO (1863–1938), Schöpfer des Mythos vom Dichter-Kämpfer und
glühender Interventionist, meldete sich im Mai 1915 zweiundfünfzigjährig als Freiwilliger
und diente zunächst als Leutnant der Kavallerie, dann beim Corpo Aeronautico Militare. Vom
Chef des Generalstabs mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet, kämpfte er fortan
zugleich an der Kriegs- und an der Propagandafront. Als ihm Anfang 1916 bei einer
Bruchlandung ein Steinsplitter ins Auge geriet, an dem er zu erblinden drohte, kritzelte er
Lyrik und Prosastücke auf schmale Papierstreifen, aus denen das Bekenntnisbuch Notturno
(1922) hervorging. Kaum genesen, saß er wieder im Flieger und bombardierte feindliche
Stellungen. Legendär war sein spektakulärer Flugzettelabwurf über Wien im August 1918,
mit dem er die Österreicher düpierte. Ein martialischer Patriot blieb er weit über das
Kriegsende hinaus. Am 12. September 1919 besetzte er an der Spitze von 2.500 Freischärlern
das vormals österreichische Fiume (Rijeka) und reklamierte es für sein Heimatland, ehe sie
dem Nationalstaat der Slowenen, Kroaten und Serben zugesprochen werden konnte. Er hielt
die „Italienische Regentschaft am Quarnero“ aufrecht, bis er Ende 1920 von der regulären
italienischen Armee zur Aufgabe gezwungen wurde.
FRANZ CARL HEIMITO RITTER VON DODERER (1896–1966), bei Kriegsausbruch noch
Maturant, nahm im Wintersemester 1914 ein Jurastudium auf. Im April 1915 rückte er als
Einjährig-Freiwilliger beim Dragoner-Regiment Nr. 3 ein, das seine Pferde an die Artillerie
abgab und fortan im infanteristischen Einsatz kämpfte. Nach der Grundausbildung kam er im
Januar 1916 nach Galizien, danach in die Bukowina nahe Czernowitz. Inzwischen Offizier,
geriet er am 12. Juli 1916 in russische Kriegsgefangenschaft. Per Transsibirischer Eisenbahn
wurde er quer über den Kontinent nach Krasnaja Rjetschka gebracht. Die Abgeschiedenheit
nutzte er zur Konzentration auf seine literarischen Ambitionen. Infolge des Friedensvertrags
von Brest-Litowsk aus der Lagerhaft entlassen, begann die Rückfahrt. In den Wirren des
Bürgerkriegs kam der Zug jedoch nur bis Samara, die Kriegsgefangenen mussten zurück nach
Nowo-Nikolajewsk. Ende 1918 von den Weißen vor der heranrückenden Roten Armee weiter
östlich nach Krasnojarsk verlegt, kehrte Doderer erst im August 1920 heim. In der
Kriegsgefangenschaft entstanden erste Erzählungen, darunter Das Treibhaus,
zusammengefasst in der Prosasammlung Die sibirische Klarheit.
ALFRED DÖBLIN (1878–1957), ausgebildeter Nervenarzt, gehörte vor dem Krieg zu den
schärfsten Kritikern des italienischen Futurismus. Ein knappes halbes Jahr nach
Kriegsausbruch meldete er sich dann als Militärarzt freiwillig, wohl auch, um einem
Gestellungsbefehl an die Ostfront zuvorzukommen. Vom Vater von Max Ophüls ließ er sich
eine Uniform maßschneidern und wurde einem Seuchenlazarett in Saargemünd zugewiesen,
Stationsort des 160. bayerischen Infanterieregiments. Dort bekam er nur wenig zu tun, schrieb
und ließ bei der Visite nicht bettlägerige Soldaten strammstehen. In jener Zeit entstand die
hier abgedruckte Erzählung Die Schlacht, die Schlacht!, ferner Das Fanggericht und Die
Lobensteiner reisen nach Böhmen, eine Satire auf Gewaltbesessenheit und Machtzynismus.
Im September 1915 erfuhr er vom Tode August Stramms – ein Schock, der seine Einstellung
zum Krieg nachhaltig veränderte. Nach dem Krieg zurück in Berlin, wurde er Zeuge der
revolutionären Umtriebe, etwa in der Märzrevolution von 1919. 1927 entstand Der
Feldzeugmeister Cratz, 1939 Bürger und Soldaten 1918, beides Prosawerke, die in
historischer Rückblende nochmals die Zeit des Ersten Weltkriegs reflektieren.
MOHAMMAD ALI DSCHAMĀLZĀDE (1892–1997), Sohn eines schiitischen Geistlichen und
politischen Reformers, den man 1908 in Teheran hingerichtet hatte, war nach seiner
Schulausbildung in Beirut nach Europa gekommen und hatte an den Universitäten Lausanne
und Dijon Rechtswissenschaften studiert. Bei Kriegsausbruch kehrte er nach Westiran zurück,
um an der Seite der einheimischen Partisanentrupps gegen die russische Invasionsarmee zu
kämpfen. 1916 ging er nach Berlin ins Exil, schloss sich einer Gruppe iranischer
Intellektueller an und gab eine persische Zeitschrift mit dem Titel Kaveh heraus. Von der
deutschen Reichsregierung mitfinanziert, protestierte diese gegen den anglorussischen
Überfall und die Fremdherrschaft der Kolonialmächte im Iran und plädierte für nationale
Selbstbestimmung. Der Autor erhielt eine Anstellung an der iranischen Botschaft in Berlin
und gründete am 29. Januar 1917 gemeinsam mit anderen Exiliranern die Deutsch-Persische
Gesellschaft. Mit volksnahen Geschichten gilt er als Begründer einer modernen iranischen
Erzähltradition. Bärenfreundschaft entstand 1916 und erschien erstmals 1921 in dem
Sammelband Yeki Bud Yeki Nabud in Berlin.
GEORGES DUHAMEL (1884–1966), Redakteur der traditionsreichen Pariser Literaturzeitschrift
Mercure de France, in der Gide, Apollinaire, Claudel oder Colette publizierten, meldete sich
bei Kriegsausbruch als Freiwilliger. Der diplomierte Mediziner wurde als Armeechirurg
verschiedenen Feldlazaretten zugewiesen und war nun über vier lange Jahre hinweg damit
beschäftigt, unmittelbar hinter der Frontlinie, oft unter feindlichem Beschuss, Leid zu lindern
und Leben zu retten. Als Notoperateur musste er Schwerstverletzte zusammenflicken und
empfand das Geschehen um sich herum als Albtraum, besonders die Winter- und
Herbstschlacht 1915 in der Champagne und 1916 die Hölle von Verdun. In den Forts, wo die
medizinische Erstversorgungsstation eingerichtet worden war, herrschten prekäre hygienische
Verhältnisse. Aus den Fronterfahrungen heraus schrieb er zwei Werke, die seinen Ruhm
begründeten: La Vie des Martyrs 1914–1916, erschienen 1917 (darin Die dritte Symphonie
und Merciers Tod), und Civilisation, im April 1918 unter dem Pseudonym Denis Thévenin
veröffentlicht. Für Letzteres erhielt er im Dezember desselben Jahres den Prix Goncourt.
Nach Kriegsende trat er der linksintellektuellen Friedensbewegung „Clarté“ bei.
ILJA GRIGORJEWITSCH EHRENBURG (1891–1967), russischer Exilant in Paris, war nach der
Mobilisierung fest entschlossen, für seine Wahlheimat in den Krieg zu ziehen, wurde aber für
untauglich befunden. Über Nacht trug ihm sein deutsch klingender Nachname üble
Anfeindungen ein – eine neue Erfahrung für einen Juden, der bislang antisemitischen
Gehässigkeiten ausgesetzt gewesen war. 1915 ließ er sich als Frontkorrespondent von
russischen Zeitungen anwerben, Hauptauftraggeber wurde die Petrograder Börsenzeitung. Die
Drastik seiner Berichte und seine heikle Themenwahl, etwa die massenhafte
Zwangsrekrutierung senegalesischer Kolonialsoldaten, brachte ihn in Konflikt mit der
staatlichen Zensurbehörde. Nach der Februarrevolution kehrte er über Skandinavien nach
Russland zurück und schloss sich in Kiew dem Dichterzirkel um Ossip Mandelstam an. Für
einen großen Epochenroman wollte er nach Paris reisen, galt dem französischen Staatsschutz
aber mittlerweile als unerwünschte Person. So ging er nach Belgien, wo er im Sommer 1921
Die ungewöhnlichen Abenteuer des Julio Jurenito und seiner Jünger schrieb. Die
Friedenspfeife stammt aus dem wenig später in Berlin entstandenen Erzählzyklus 13 Pfeifen.
WILLIAM FAULKNER (1897–1962), eigentlich William Cuthbert Falkner, meldete sich bei
Kriegseintritt der USA freiwillig zu den Luftstreitkräften. Abgelehnt, da er die erforderliche
Mindestgröße unterschritt, bewarb er sich daraufhin bei der britischen Luftwaffe. Um als
Engländer durchzugehen und so seine Chancen bei der Stellungsbehörde zu erhöhen, gab er
einen falschen Geburtsort an und anglisierte die Schreibung seines Namens zu Faulkner. Im
Juli 1918 begann er in Toronto mit der Grundausbildung in einer Reservisteneinheit der Royal
Canadian Air Force, ohne allerdings ins Flying Corps übernommen zu werden. Bei seinem
Eintreffen in Europa waren die Kampfhandlungen zu Ende, was ihn nicht an der
Selbststilisierung als Kriegsheld hinderte. So posierte er in der Uniform eines Leutnants,
obwohl er offiziell nur den Rang eines Kadetten bekleidet hatte. Sein erster Roman, Soldier’s
Pay von 1926, ist eine grimmige Veteranengeschichte. In seinem Spätwerk A Fable von 1954
erzählt er anhand einer historisch belegten Meuterei in der französischen Armee eine
Passionsgeschichte über Schuld, Verrat und Sühne. Die hier abgedruckte Story All the Dead
Pilots erschien mit anderen Weltkriegsgeschichten 1931 im Prosaband These 13 in New
York.
FORD MADOX FORD (1873–1939), als Ford Hermann Hueffer (Hüffer) geboren, hielt es
aufgrund seiner deutschen Abstammung für geboten, seine Loyalität klar unter Beweis zu
stellen. Ende Juli 1915, bereits einundvierzig und nicht in allerbester physischer Verfassung,
rückte er ein. Pink Flanell und Fun! – It’s Heaven erschienen im November 1915 und damit
etliche Monate, ehe er selbst die Front sah. Er wurde im Juli 1916 nach Nordfrankreich
entsandt und in der Schlacht an der Somme einer Transporteinheit zugeteilt. Ende Juli erlitt er
bei Bécordel-Bécourt durch die Detonation einer Granate eine schwere Gehirnerschütterung
sowie ein Bombentrauma, und durch Giftgas nahm die schwächliche Lunge Schaden. Mit
dem 9. Batallion des Welch Regiment ging es weiter nach Ypern, wo er erneut
zusammenbrach. Nach einem Erholungsaufenthalt in Menton hatte er die Leitung eines
Zelthospitals für deutsche Kriegsgefangene in Abbeville inne, ehe er im März 1917 nach
England zurückbeordert und 1919 im Rang eines Captains aus der Armee entlassen wurde.
Aufgrund der antideutschen Ressentiments legte er sich nach Kriegsende einen neuen Namen
zu, unter dem er mit Romanen wie Some Do Not, No More Paradise, A Man Could Stand Up
und Last Post in die Literaturgeschichte einging.
ANATOLE FRANCE (1844–1924), mit bürgerlichem Namen François Anatole Thibault, sah sich
durch die deutsche Invasion veranlasst, sein Mitgefühl für die auf den Schlachtfeldern
hingemetzelten Landsleute zu bekunden. Angesichts der patriotischen Eskalation mäßigte er
seinen Ton schon bald und plädierte für einen Verständigungsfrieden zwischen Paris und
Berlin, was ihm Todesdrohungen der chauvinistisch aufgepeitschten Leserschaft eintrug. Die
Anschuldigungen, er sei ein Deutschenfreund und ein übler Vaterlandsverräter, trafen ihn
schwer. Im selben Jahr erschien sein letzter großer Roman, La Révolte des anges, in dem
sowohl die korrupten Repräsentanten der Dritten Republik, die katholische Kirche und die
Armee als auch die Anarchisten Zielscheibe seines Spotts wurden. Bis ins hohe Alter ein
streitbarer Geist, missbilligte er Versailles als illegitimes Siegerdiktat und unterzeichnete die
Protestnote Contre la paix injuste. 1921 wurde ihm der Nobelpreis für Literatur verliehen.
Truppenparade ist der einzige Textbeitrag in dieser Anthologie, der deutlich vor 1914
entstand und deshalb den anderen Erzählungen gleichsam als Prolog vorangestellt wurde. Er
stammt aus dem illustrierten Band Nos enfants. Scènes de la Ville et de Champs von 1900.
CLAIRE GOLL (1890–1977), geborene Aischmann, ging 1916 als überzeugte Kriegsgegnerin
in die Schweiz, wo sie an der Universität Genf ein Studium begann und sich der
internationalen Friedensbewegung anschloss. Sie schrieb Artikel für die pazifistische
Zeitschrift Demain des Franzosen Henri Guilbert und lernte so 1917 den elsässisch-jüdischen
Dichter Yvan Goll kennen, der bereits seit 1914 im Schweizer Exil lebte. In einer
weltanschaulich keineswegs homogenen Sippschaft von (wie die Autorin bekannte)
„frankophilen Deutschen, deutschfreundlichen Franzosen, Kriegsgegnern, patriotischen
Pazifisten, revolutionären Pazifisten und Revolutionären, die nur momentan pazifistisch
waren“, engagierte sich das Liebespaar in der Hoffnung, einen Gesinnungswandel in der
Öffentlichkeit bewirken zu können. 1918 erschien Claires erster Gedichtband Mitwelt sowie
die Erzählsammlung Die Frauen erwachen, der Die Schneiderin entnommen ist. Ende 1918
hatte sie eine kurze Affäre mit Rainer Maria Rilke, dem sie bis zu dessen Lebensende
freundschaftlich verbunden blieb. Mit Yvan ging sie 1919 nach Paris, wo die beiden 1921
heirateten und zu Zentralgestalten des französischen Surrealismus wurden.
JAROSLAV HAŠEK (1883–1923), stadtbekannter Aktionist der Prager Bohème, wurde 1915 als
Einjährig-Freiwilliger zum Infanterieregiment Freiherr von Czibulka Nr. 91eingezogen und
kam über Budweis und Bruck an der Leitha an die galizische Ostfront, wo er sich den Russen
ergab. Im Kriegsgefangenenlager an Typhus erkrankt, schloss er sich der
Tschechoslowakischen Legion an und wurde 1916 in Kiew Redakteur der Exilzeitung
Čechoslovan. Dort erschien Schwejk in der Gefangenschaft und im Oktober 1917 die
Erzählung Staatspolizeischule. Als linksorientierter Legionär ging er nach Moskau, wurde
nach der Oktoberrevolution Rotarmist in Samara, meldete sich zum revolutionären
Militärsowjet in Simbirsk, zuletzt als Politoffizier nach Bugulma. Ende 1920 zurück in Prag,
verfasste er Kurzgeschichten und Kabarettstücke und begann, den Anekdotenreigen um
seinen Schwejk zum burlesk-satirischen Kriegsepos zu erweitern: Die Abenteuer des braven
Soldaten Schwejk im Weltkrieg. Über der Arbeit an seinem Hauptwerk, in dem die plebejische
Ironie eines einfachen Menschen die Lächerlichkeit herrschender Autoritäten bloßstellt, starb
er Anfang 1923 an Herzlähmung.
ZYGMUNT HAUPT (1907–1975) wurde in Ułaszkowce, einem Dorf im polnischen Westen des
Königreichs Galizien und Lodomerien, somit in österreichischem Kronland, geboren. Der
Vater war Schulinspektor, die Mutter Lehrerin. Aus nächster Nähe wurde der Siebenjährige
Augenzeuge der Mobilisierung von k.u.k. Truppen, dann Ende August 1914 des
Durchmarschs der 8. russischen Armee. Im September 1915 fand die Schlacht von Tarnopol
statt, vor den Toren jener Kreisstadt, in die der Neunjährige ins Gymnasium geschickt wurde.
Ebendort nahm im Juli 1917 eine neuerliche österreichische Offensive ihren Ausgang, die zur
Rückeroberung von Ostgalizien und der Bukowina durch die Mittelmächte führte. 1918
wurde die historische Tragödie von einer persönlichen überschattet: Seine Mutter erlag der
Tuberkulose. Die sich über Jahre hinziehenden Kampfhandlungen, aber auch Schikanen
gegen vermeintliche oder tatsächliche Kollaborateure und gewalttätige Übergriffe auf die
Zivilbevölkerung gerieten zur prägenden Erfahrung des Jungen. Sie fanden Jahrzehnte später
in Erzählungen ihren Niederschlag, etwa in dem hier veröffentlichten Coup de grâce (zu
Deutsch „Gnadenstoß“).
ERNEST MILLER HEMINGWAY (1899–1961) ab September 1915 Redakteur einer Highschool-
Zeitung, veröffentlichte im Februar 1916 seine erste Short Story, The Judgement of Manitou.
Zu jung für die US-Army, schrieb er sich am 5. November 1917 bei der Missouri Home Gard
ein, am 2. März 1918 dann beim Roten Kreuz. Er absolvierte einen Grundlehrgang in New
York und kam Anfang Juni nach Europa. Als Sanitätsfreiwilliger an der österreichisch-
italienischen Front eingesetzt, wurde er am 8. Juli in der Piaveschlacht bei Fossalta von
mehreren Granatsplittern im Bein getroffen. Trotz seiner Verletzungen gelang es ihm, einen
italienischen Soldaten aus der Gefechtszone zu retten. Nach der Notoperation im Feldlazarett
wurde er in ein Militärkrankenhaus nach Mailand verlegt und verliebte sich in seine
Krankenschwester, eine Amerikanerin aus Washington, D. C. Hochdekoriert kehrte er in die
Heimat zurück. Seine Liebes- und die Fronterfahrungen verarbeitete er 1929 in seinem
Roman A Farewell to Arms. Die beiden Storys In Another Country und A Simple Enquiry
erschienen 1927 im Sammelband Men Without Women. 1954 wurde ihm der
Literaturnobelpreis verliehen.
JORDAN STEFANOW JOWKOW (1880–1937), in seinem zivilen Leben Volksschullehrer in der
Dobrudscha, hatte als bulgarischer Offizier bereits im Ersten Balkankrieg gedient und war im
Zweiten Balkankrieg verwundet worden. Da nach dem Friedensvertrag von Bukarest 1913 der
bis dahin bulgarische Südteil der Dobrudscha von Rumänien annektiert wurde, konnte er
vorerst nicht in die Heimat zurück. Mit dem Kriegseintritt seines Vaterlandes auf Seiten der
Mittelmächte am 11. Oktober 1915 rückte er erneut ein. Zunächst im griechisch-
makedonischen Raum stationiert, ging er bald nach Sofia und wurde Mitarbeiter bei einer
Militärzeitschrift. Auf eigenen Wunsch ließ er sich als Kriegsberichterstatter in die
Dobrudscha entsenden, wo die bulgarischen Truppen auf dem Vormarsch waren. In seinen
Kriegserzählungen – überaus populär und in gesammelter Form als Tornisterlektüre aufgelegt
– beschreibt er die Opferbereitschaft der Landbevölkerung, in der er die eigentlich
Leidtragenden des Krieges sieht. Die hier erstmals ins Deutsche übersetzte Erzählung
Hermine wurde 1930 veröffentlicht. Die Süddobrudscha gehörte nach dem Frieden von
Neuilly 1919 wieder zu Rumänien.
YAKUP KADRI KARAOSMANOĞLU (1889–1974), in Kairo geboren, war als Kind ins
westanatolische Manisa übersiedelt, 1903 nach İzmir. Ein Krankenbefund aus dem Jahre 1912
lautete auf Tuberkulose. 1913 erschien sein Erzähldebüt, der Novellenband Bir Serencam
(Seltsame Begebenheit). Als sich 1916 sein Gesundheitszustand rapide verschlechterte, ließ
man ihn trotz des Kriegs über Österreich in die Schweiz ausreisen, wo er sich in einem
Lungensanatorium einer mehrmonatigen Behandlung unterzog. Nach dem Waffenstillstand
von Moudros, der die Feindseligkeiten zwischen dem Osmanischen Reich und den Alliierten
beendete, kehrte er Ende 1918 in seine Heimat zurück und schloss sich Mustafa Kemal an,
1923 als Abgeordneter der neu gegründeten türkischen Nationalversammlung. Sein 1932
erschienener Roman Der Fremdling erzählt in Tagebuchform die Geschichte eines adligen
Intellektuellen, der als Offizier im Ersten Weltkrieg einen Arm verloren hat und sich nach
Kriegsende in ein zentralanatolisches Dorf zurückzieht, wo er mit der Skepsis der
Landbevölkerung gegenüber welthistorischen Umwälzungen konfrontiert wird. Die Erzählung
Frau Zeynep entstand unmittelbar unter dem Eindruck des Weltkriegs.
FRANZ KAFKA (1883–1924), seit 1913 Vizesekretär der Arbeiter-Unfall-Versicherungs-
Anstalt für das Königreich Böhmen, wurde bei Kriegsausbruch als „unersetzliche Fachkraft“
reklamiert. Seine Sorge war jedoch, wegen eines Herzfehlers untauglich zu sein. 1915 wurde
er als „voll verwendungsfähig“ eingestuft. Trotz eigener Intervention blieb er vor dem
Frontdienst bewahrt. Im Rahmen der Kriegerfürsorge war er mit der beruflichen Umschulung
Schwerverwundeter befasst. Resonanzen des Kriegsgeschehens finden sich in seinem
Tagebuch und vermittelt im Erzählwerk. So weist die Erzählung Der Kübelreiter, entstanden
im Januar und Februar 1917, einen für ihn ungewöhnlichen Zeitbezug auf: Sie spielt auf die
Kohlennot im dritten Kriegswinter an. 1917 erlitt der Autor einen Blutsturz, man
diagnostizierte Tuberkulose. Anfang November, als die Extraausgaben über das Vorrücken
der Mittelmächte in Friaul berichteten, notierte er seinen Traum von der Schlacht am
Tagliamento, exemplarische Tagebuchprosa, die zeigt, wie nah ihm die Ereignisse gingen.
Die Krankheitssymptome besserten sich zunächst, bis er im Herbst 1918 an der Spanischen
Grippe erkrankte, die eine mehrwöchige Lungenentzündung nach sich zog. Er suchte um
Pensionierung nach, wurde aber erst 1922 freigestellt.
FRIGYES KARINTHY (1887–1938) sah sich als bekennender Kosmopolit durch den
Kriegsausbruch und die darauffolgende Eskalation in seiner pazifistischen Grundhaltung
bestärkt. Am 17. Dezember 1914 kam sein Sohn Gábor zur Welt, der sich später als Dichter
einen Namen machen sollte. Die Novelle Grimasse von 1914 und Eine Reise nach Faremido,
eine phantastisch-satirische Gulliveriade von 1918, wollte er als literarischen Einspruch gegen
den in ganz Europa grassierenden Militarismus verstanden wissen, ebenso die hier
versammelte Kurzprosa aus dem 1916 publizierten Band Tanár úr, kérem (Bitte, Herr
Professor!), der in Ungarn rasch Klassikerstatus erlangte. Für H.G. Wells, dessen Werke er
ins Ungarische übertrug, hegte er allergrößte Bewunderung. Unter den Freundschaften mit
ungarischen Intellektuellen seiner Zeit hatte die mit Dezső Kosztolányi besonderes Gewicht.
1918 erlag seine Frau, die Schauspielerin Judik Etel, der Spanischen Grippe. Im Rückblick
bekannte er: „Die Opposition zum Krieg hieß nicht Friede, sondern Revolution der Ideen.“
Entsprechend sympathisierte er mit der Idee einer gesellschaftlichen Neuordnung, lehnte die
Diktatur des Proletariats aber entschieden ab.
EDUARD GRAF VON KEYSERLING (1855–1918) litt nicht minder an der labilen Konstitution
seiner Zeit als an seiner eigenen. 1897 hatte sich der an Syphilis Erkrankte ein schweres
Rückenmarksleiden zugezogen und erblindete langsam. Die Eskalation des lange
schwelenden Konflikts zwischen Deutschland und Russland besiegelte den endgültigen
Untergang einer Welt, der er bereits 1895 mit der Übersiedlung nach München Lebewohl
gesagt hatte. Das Kurland wurde 1914 nach über hundert Friedensjahren über Nacht zum
Kriegsgebiet. Dadurch von den Einkünften aus den Familiengütern abgeschnitten, sah sich der
Autor gezwungen, den Lebensunterhalt fortan allein durch das Schreiben zu verdienen.
Nachdem 1908 Henriette gestorben war, musste er 1915 auch den Tod seiner zweiten
Schwester Elise verwinden. 1917 vollendete er die Weltkriegserzählung Im stillen Winkel. Die
Befriedung seiner Heimat, ehemals russisches Gouvernement, unter deutschem
Oberkommando, wie es das Abkommen von Brest-Litowsk vorsah, erlebte er noch, ebenso
die Umbenennung seiner Heimatstadt Hasenpoth in Lettisch Aizpute. Wenige Wochen vor
der Abdankung Kaiser Wilhelms II. erlöste ihn der Tod von seinem Leiden.
RUDYARD KIPLING (1865–1936), als britischer Patriot traditionell antideutsch eingestellt und
1914 ein entschiedener Befürworter des Krieges, stellte sich auf Anfrage des Londoner
Kriegspropagandabüros in den Dienst der Agitation. Die hier abgedruckte Erzählung Mary
Postgate sorgte, als sie im September 1915 in Nash's Magazine und kurz darauf im Century
Magazine erschien, wegen des sich darin manifestierenden Sadismus für einige Irritationen.
Als sein Ältester im selben Monat in den offiziellen Verlustlisten unter der Rubrik „missing
in action“ auftauchte, schlug die anfängliche Kriegsemphase in abgrundtiefes Entsetzen und
Verbitterung um. Die Suche nach dem verschollenen Sohn wurde bis zum Kriegsende zur
bestimmenden Mission. Er ließ sogar Steckbriefe von John über feindlichen Stellungen
abwerfen, um Aufschluss über dessen Verbleib zu erlangen. Abends las er Frau und Tochter
regelmäßig aus Romanen von Jane Austen vor, um für ein paar Stunden vergessen zu können.
In zehrendem Selbstzweifel schrieb er das Gedicht My Boy Jack sowie den Grabspruch für
den toten Sohn: "If any question why we died,/ tell them, because our fathers lied." („Wenn
einer fragt, warum wir starben, / sag ihnen, weil unsre Väter gelogen haben.“)
KLABUND (1890–1928), mit bürgerlichem Namen Alfred Henschke, war mit sechzehn Jahren
an Tuberkulose erkrankt. Während des Kriegs wurde er Mitarbeiter der Schaubühne,
begeisterte sich voll Inbrunst für die deutsche Sache, verfasste sogar eine Reihe patriotischer
Soldatenlieder. Da längst beide Lungenflügel von Tuberkulose befallen waren, konnte er nicht
einrücken. 1916 veröffentlichte er Der Marketenderwagen. Ein Kriegsbuch, aus dem die
beiden hier ausgewählten Texte stammen, und Moreau. Roman eines Soldaten. Mittlerweile
hielt er sich überwiegend in Davos auf und wandelte sich vom Scharfmacher zum Skeptiker.
Im Tessin traf er auf pazifistisch gesinnte Landsleute, auf Hermann Hesse, Emmy Hennings
und Else Lasker-Schüler. 1917 publizierte er in der Neuen Zürcher Zeitung einen offenen
Brief an Wilhelm II., in dem er diesen zur Abdankung aufforderte. Die Folge war die
Einleitung eines Verfahrens wegen Majestätsbeleidigung und Vaterlandsverrat. Er schrieb
Artikel für Schickeles Weiße Blätter und brachte den „Eulenspiegel-Roman“ Bracke heraus.
Das letzte Kriegsjahr stand für ihn im Zeichen einer persönlichen Tragödie: Seine Frau, die er
im Lungensanatorium kennengelernt und wenige Monate zuvor geheiratet hatte, starb bei
einer Frühgeburt.
KARL KRAUS (1874–1936) gehört zu den wenigen Kriegsverächtern der ersten Stunde, wenn
auch nach der üblichen Sommerpause seines Zentralorgans Die Fackel kein Sterbenswörtchen
aus seinem Munde zu vernehmen war – zu tief saß der Schock angesichts der sich
überstürzenden Ereignisse. Nach überwundener Sprachlosigkeit bezog er ab November 1914
eine kompromisslose Gegenposition zum herrschenden Hurrapatriotismus und weigerte sich
fortan kategorisch, „eine blutige Welt schönzufärben“. Schriftsteller wie Hermann Bahr und
Alfred Kerr fanden sich namentlich an den Pranger gestellt, und selbst bei den Majestäten
Wilhelm II. und Franz Joseph I. kannte der sprachgewaltige Spötter kein Pardon. Ein privater
Lichtblick jener Jahre war ihm die böhmische Baronin Sidonie Nádherny von Borutin. 1915
begann er auf ihrem Schloss Janowitz mit der Niederschrift des Weltkriegsdramas Die letzten
Tage der Menschheit, von dem Auszüge vorab in der Fackel zu lesen waren. Im November
1917 erschütterte ihn der Tod des Dichters Franz Janowitz, der Ende Oktober beim
Sturmangriff auf italienische Stellungen am Monte Rombon eine tödliche Brustwunde erlitten
hatte. In ehrendem Gedenken an den Freund gab er 1919 dessen Lyriksammlung Auf der Erde
heraus.
MIROSLAV KRLEŽA (1893–1981), geboren in Agram, der Hauptstadt des von Ungarn regierten
Kroatien-Slawonien, dem heutigen Zagreb, hatte die Kadettenschule in Pécs und mit
kaiserlichem Stipendium die königlich-ungarische-Ludovika-Akademie in Budapest
absolviert. Im Frühjahr 1913 im Urlaub in Paris, hörte er vom Angriff bulgarischer Truppen
auf Serbien und stieg in den Zug nach Skopje, um sich als Freiwilliger zur serbischen Armee
zu melden. Wegen seines Avancements in der k.u.k. Militärhierarchie geriet er dort in
Verdacht, ein österreichischer Spitzel zu sein. 1914 veröffentlichte er Legenda, Maskerata
und Zarathustra i mladić. Als Leutnant der Landwehr erhielt er 1915 den Gestellungsbefehl
und wurde an die Ostfront entsandt. Schwer erkrankt, verbrachte er das Frühjahr 1916 im
Militärhospital. Nach seiner Genesung kommandierte man ihn nach Galizien ab, wo er
zwischen Juni und September die Brussilow-Offensive miterlebte. Von dort konnte er nach
Agram zurückkehren, gründete nach Kriegsende die Literaturzeitschrift Plamen und heiratete.
Die Novelle Baraka pet Be stammt aus dem Novellenband Hrvatski bog Mars von 1922. Im
Roman Die Rückkehr des Filip Latinovicz von 1932 ist der gesellschaftliche Zerfall im
Nachkriegskroatien zu besichtigen.
DAVID HERBERT LAWRENCE (1885–1930) war 1911 an Tuberkulose erkrankt und hatte seinen
Schuldienst quittieren müssen, was ihn in der Folge vor dem Kriegseinsatz bewahrte. Am 13.
Juli 1914, inmitten der Julikrise, heiratete er die deutsche Schriftstellerin Frieda von
Richthofen, eine entfernte Verwandte des „Roten Barons“ Manfred von Richthofen. Mit dem
Ausbruch des Weltkriegs zerbrach ihre ländliche Idylle im südwestenglischen Zennor. Der
Wunsch, in Cornwall eine Künstlerkolonie zu etablieren, stieß bei den Einwohnern auf
Misstrauen. Zudem machte der Briefwechsel mit deutschen Angehörigen die Behörden
misstrauisch. Man verdächtigte sie, deutsche Spitzel zu sein. Der Autor konzentrierte sich
ganz auf die Arbeit an seinen Romanen The Rainbow (1915) und Woman in Love (1916).
Auch die Short Story Wintry Peacock entstand während des Kriegs und erschien 1922 in dem
Erzählband England, My England. Als im Spätherbst 1917 direkt vor den Felsklippen
Zennors zwei britische Schlachtschiffe von einem deutschen U-Boot torpediert wurden,
mussten Frieda und D.H. Cornwall wegen des Verdachts der Spionage verlassen. In dem 1923
veröffentlichten Kurzroman The Fox, der 1918 spielt, verdichtet Lawrence die traumatischen
Erfahrungen in einer beklemmenden Parabel.
VERNON LEE (1856–1935), mit bürgerlichem Namen Violet Paget, war als Tochter britischer
Eltern in der nordfranzösischen Hafenstadt Boulogne-sur-Mer zur Welt gekommen und 1889
in die Villa il Palmerino bei Florenz übersiedelt. 1914 war ihre Vaterstadt unter den ersten
Ausschiffungshäfen des Britischen Expeditionskorps und damit ein wichtiger strategischer
Brückenkopf der englisch-französischen Heeresallianz. Als bekennende Kosmopolitin, die
eine ästhetische Theorie entwickelt hatte, in deren Zentrum der deutsche Begriff der
„Einfühlung“ stand, waren ihr die allseits aufbrausenden Nationalismen indes ein Gräuel. Sie
engagierte sich in der im November 1914 von Pazifisten wie Bertrand Russell, Liberalen und
Labour-Abgeordneten gegründeten Union of Democratic Control, die für eine
konzessionsbereite Außenpolitik des British Empire eintrat. 1915 erschien ihr hier erstmals
ins Deutsche übertragenes Prosastück The Ballet of the Nations. A Present-Day Morality,
1920 folgte die Trilogie Satan the Waster, Werke, die als unpatriotisch galten. In den
Zwanzigerjahren zählte sie neben den deutlich jüngeren Gertrude Stein und Djuna Barnes zu
den legendären emanzipatorischen Frauengestalten in Paris.
HEINRICH MANN (1871–1950) gehörte zu den entschiedenen Gegnern des Weltkriegs und zu
den wenigen, die ihn kommen sahen. Mitte August 1914 heiratete er Maria „Mimi“ Kanová,
Bruder Thomas, in Sommerfrische, ließ sich bei den Feierlichkeiten entschuldigen. Ein viele
Jahre währender Bruderzwist nahm in jenen Tagen seinen Ausgang. Während sich der jüngere
vorschriftsgemäß bei der Musterungsbehörde meldete und von einem wohlwollenden
Stellungsarzt vom Kriegsdienst befreit wurde, war der ältere mit seinen dreiundvierzig Jahren
vorerst auf der sicheren Seite. Nach Erscheinen von Thomas Manns kriegsbejahenden
Gedanken im Kriege brach Heinrich den Kontakt völlig ab. 1916 wurde Tochter Leonie
geboren. Die Honorare der Verlage flossen nur spärlich. Im Sommer in Oberbayern
konzipierte er sein neues Buch, Die Armen. Roman des Proletariats, an dem er bis April
1917 arbeitete. Es erschien im August und war nach Der Untertan. Roman des Bürgertums als
zweiter Teil einer dreiteiligen Werkreihe gedacht, überschrieben mit Das Kaiserreich. Die
Romane der deutschen Gesellschaft im Zeitalter Wilhelms II. Zum Erstdruck der Erzählung
Der Mörder kam es unmittelbar nach der Abdankung des Deutschen Kaisers im Dezember
1918.
KATHERINE MANSFIELD (1888–1923), als Kathleen Mansfield Beauchamp in Neuseeland
geboren, lernte kurz vor dem Krieg bei einem Parisaufenthalt einen gleichfalls
schriftstellernden jungen Mann kennen, den Franzosen Francis Carco. Der mit Kriegsbeginn
eingezogene Offizier begann ihr leidenschaftlich werbende Briefe zu schreiben, woraus sich
eine „grand passion“ im Schatten des Kriegs entwickelte. Im Februar 1915 reiste sie erneut
nach Frankreich und musste Kontrollposten überwinden, um in die für Zivilisten gesperrte
Militärzone vorzudringen. Die Eindrücke des Rendezvous fanden ihren Niederschlag in An
Indiscreet Journey (erschienen 1920). Im März und im Mai 1915 fuhr sie noch zweimal nach
Paris, doch bald folgte ein Schicksalsschlag, der ihr Leben veränderte: der tragische Tod ihres
heiß geliebten jüngeren Bruders Leslie Heron Beauchamp, genannt Chummie. Die zutiefst
erschütterte Katherine sah im Weiterschreiben eine Art ehrendes Gedenken an den
Gefallenen. Ende 1916 lernte sie Virginia und Leonard Woolf kennen, die ihre Erzählung
Prelude in der Hogarth Press veröffentlichten. 1917 erkrankte sie an Tuberkulose. Im
Frühjahr 1918 heiratete sie den Literaturkritiker John Middleton Murry, der in der
Spionageabwehr des Kriegsministeriums arbeitete.
WILLIAM SOMERSET MAUGHAM (1874–1965) hatte in den 1890er-Jahren in Heidelberg
studiert. Bei Kriegsausbruch zu alt für den Fronteinsatz, meldete er sich in Frankreich als
Sanitätsfreiwilliger zu den Literary Ambulance Drivers. Als 1915 sein Roman Of Human
Bondage erschien, reiste der Autor zur Buchpräsentation nach England und ließ sich
währenddessen vom britischen Nachrichtendienst anwerben. Unter dem Decknamen „R“
wurde er einem Spionagenetzwerk eingegliedert, das von der Schweiz aus Operationen gegen
das Indische Unabhängigkeitskomitee ausführte, eine vom Auswärtigen Amt zur
Destabilisierung der britischen Kolonie geförderte Separatistenbewegung. 1917 ging er im
Auftrag des Secret Intelligence Service nach Russland, wo die Briten die provisorische
Regierung Kerenskis an der Macht zu halten versuchten. Seine Geheimdiensterfahrungen
verarbeitete er in Ashenden: Or the British Agent, einer Sammlung lose miteinander
verknüpfter Spionagegeschichten, geschrieben nach Kriegsende und veröffentlicht 1928, aus
der die hier abgedruckte Erzählung Der haarlose Mexikaner stammt. Im Roman The Razor’s
Edge von 1944 wird das Schicksal eines traumatisierten Kampffliegers nachgezeichnet, der
auch als Zivilist keinen Frieden findet.
ROBERT MUSIL (1880–1942), ehemals Schüler an der k.u.k. Technischen Militärakademie in
Wien, versah ab August 1914 seinen Dienst als Kommandant der I. Kompanie beim 24.
Landsturm-Marschbataillon in Linz. Zur Grenzsicherung ins südliche Tirol verlegt, erhielt er
Anfang November die Beförderung zum Landsturm-Oberleutnant. Mittlerweile war sein
bellizistischer Essay Europäertum, Krieg, Deutschtum erschienen. Differenzen mit einem
Vorgesetzten führten dazu, dass man ihn als Adjutant zum Landsturm-Infanteriebataillon 169
ins Fersental versetzte. Am 22. September 1915 entging er bei Fort Tenna nur knapp einem
Fliegerpfeil, die Nahtoderfahrung wurde zum zentralen Motiv seiner Erzählung Die Amsel.
Ende 1915 nahm er an der vierten Isonzo-Schlacht teil und war dann im Stellungskrieg bei
Arabba eingesetzt, als ihm im März 1916 eine Entzündung der Mundschleimhaut arg zusetzte.
Nach längeren Spitalsaufenthalten suchte er um Kanzleiverwendung nach und wurde als
Herausgeber zur Tiroler Soldaten-Zeitung abkommandiert. Im November 1917 zum
Landsturm-Hauptmann befördert, erlebte er das Kriegsende als Schriftleiter der
Soldatenzeitung Heimat in Wien. 1921 begann er mit der Konzeption seines Hauptwerks Der
Mann ohne Eigenschaften.
IRÈNE NÉMIROVSKY (1903–1942), als Kind eines jüdischen Privatbankiers in Kiew geboren,
war unter Aufsicht einer französischen Gouvernante aufgewachsen. Der Ausbruch des Kriegs
setzte zwar den Sommerfrischen an der Côte d‘Azur ein abruptes Ende, das ansehnliche
Familienvermögen vervielfachte sich jedoch durch Aktienspekulationen des Vaters. Als sich
abzeichnete, dass die Bolschewiki an der Macht bleiben würden, überquerten die
Némirovskys zu Jahresbeginn 1918 die Grenze, unmittelbar bevor diese dicht gemacht wurde.
Nach Zwischenstationen im finnischen Mustamäki, in Helsinki und Stockholm war die
Familie Anfang 1919 in Paris wieder vereint. Aus der vierzehnjährigen Irina wurde endgültig
eine Irène. Vier Jahre später begann sie erste Prosastücke zu schreiben. Im Familienroman Les
Biens de ce monde wird der Erste Weltkrieg aus französischer Perspektive dargestellt, und die
hier erstmals auf Deutsch vorgelegte Erzählung En raison des circonstances zeigt im
historischen Gegenschnitt, was aus den Ereignissen von 1914 ff. folgte. Die an Asthma
leidende Autorin fiel dem nationalsozialistischen Genozid zum Opfer. Sie wurde nach
Auschwitz deportiert und starb im Krankentrakt des Vernichtungslagers Birkenau.
CLÉMENT PANSAERS (1885–1922) arbeitete als Bibliothekar an der Brüsseler Bibliothèque
royale de Belgique, als die Stadt von deutschen Streitkräften eingenommen wurde. Er gab die
Stelle und seine Karrierepläne als Ägyptologe auf, um ins wallonische La Hulpe zu
übersiedeln. Dort entdeckte er 1916 laut eigenem Bekunden nach sechs Monaten taoistischer
«Meditation über eine blinde weiße Mauer» den Sinn des Lebens, dass nämlich «nur die
Phantasie im Sattel des Zufalls von Interesse ist». Zurück in Brüssel, wurde er im «Diable au
corps» zum tonangebenden literarischen Avantgardisten Belgiens, in einer Art Parallelaktion
mit dem Zürcher Cabaret Voltaire gar zu einem Dadaisten der ersten Stunde. Er gab die
pazifistische Zeitschrift Résurrection heraus, in der Beiträge von Jouve, Ghelderode sowie (in
Übersetzung) von Wedekind, Stadler, Hasenclever und Werfel erschienen. Daneben
veröffentlichte er auch eigene Texte, darunter die hier abgedruckte Arlequinade, erschienen in
der Ausgabe Nr. 4 im März 1918. Unmittelbar nach dem Krieg entstanden weitere Werke wie
etwa Le Pan-Pan au Cul du Nu Nègre, die ihm die Bewunderung von James Joyce, Ezra
Pound und André Breton eintrugen. Er starb mit nur siebenunddreißig Jahren an Morbus
Hodgkin.
BORIS LEONIDOVICH PASTERNAK (1890–1960) hatte sich bei einem Sturz vom Pferd als
Zwölfjähriger einen komplizierten Knochenbruch zugezogen und humpelte seither leicht. Im
Juli 1914 brachte ihm diese Behinderung ein „Weißes Billett“ ein, den
Dienstbefreiungsschein. So konnte er an der Übersetzung von Kleists Der zerbrochene Krug
weiterarbeiten. Dank hervorragender Deutschkenntnisse, die von einem Auslandssemester in
Marburg an der Lahn herrührten, stellte ihn der deutschstämmige Kaufmann Moritz Philipp
als Hauslehrer seines Sohns ein. Mit dessen Familie verbrachte er einige Zeit auf dem
Landgut bei Tula, mitten in Tolstoi-Land. Zurück in Moskau, wurde er Zeuge
deutschfeindlicher Ausschreitungen. Den Winter 1915/16 verbrachte er im Gouvernement
Perm. Im darauffolgenden Spätherbst wurde er in der Verwaltung einer kriegsrelevanten
Chemiefabrik damit betraut, Fabrikarbeiter im wehrfähigen Alter vom Militärdienst zu
befreien. Nach Ausbruch der Märzrevolution 1917 fuhr er nach Moskau, wo er die
Bekanntschaft des aus dem Exil heimgekehrten Ehrenburg machte. Die Erzählung Briefe aus
Tula entstand Anfang 1918. In seinem Hauptwerk Doktor Schiwago werden die Wirren von
Welt- und Bürgerkrieg in epischer Breite geschildert.
LUIGI PIRANDELLO (1867–1936), zwischen 1889 und 1892 Student in Bonn und danach
Lektor am romanischen Seminar, arbeitete bei Kriegsausbruch als Journalist beim Corriere
della Siera, wo bereits einige seiner Novellen in Fortsetzungen erschienen waren. Mit den
Erfahrungen des Kriegsausbruchs und der chauvinistischen Hysterie setzte er sich in La
Vendetta del Cane, Quando s‘ è capito il giuoco, Il treno ha fischiato, Filo d'aria oder
Berecche e la guerra, Letzteres verfasst im Frühjahr 1915, auseinander. Bereits in der
Frühphase des Kriegs, in der Italien offiziell noch seine Neutralität wahrte, reflektiert er in
diesen Kurzgeschichten die weltanschaulichen Differenzen in den Familien und die Sorgen
und Leiden der Angehörigen an der Heimatfront. Auch sein eigener Sohn Stefano gehörte zu
den glühenden Interventionisten und meldete sich beim Kriegseintritt Italiens umgehend als
Freiwilliger. An der Piavefront geriet er in österreichische Kriegsgefangenschaft, wurde in
Mauthausen, dann im böhmischen Planá interniert und kehrte nach drei Jahren Haft erst im
November 1918 zur Familie heim. Bereits in den Kriegsjahren wandte sich der Autor dem
dramatischen Genre zu, das ihm internationalen Ruhm einbringen sollte. 1934 wurde er mit
dem Nobelpreis für Literatur geehrt.
VALENTIN LOUIS GEORGES EUGÈNE MARCEL PROUST (1871–1922) war durch den Tod seines
langjährigen Sekretärs im Mai 1914 in tiefe Depressionen verfallen. Trotz eines schweren
Asthmaleidens und einer akuten Neurasthenie lebte er nach der Mobilisierung lange in der
Angst, eingezogen zu werden. So wurde er im April und Juni 1915 mehrfach zur
Ausmusterung vorgeladen, im August plädierten Stellungsärzte schließlich auf Streichung aus
dem Armeekader. Seine Sorge galt auch dem Vermögen, von dessen Erträgen er zehrte und
das um ein Drittel geschrumpft war. Von Paris aus nahm er Anteil am Frontgeschehen,
verschlang Expertisen von Militärsachverständigen und schickte Hilfspakete mit Tabak und
Schokolade ins Feld. Im Kulturkampf enthielt er sich jeglicher Ressentiments, blieb
bekennender Beethovenianer und Wagnerianer. Seine Art der Krisenbewältigung war es, den
Krieg als Schauspiel zu sehen und sich ganz der Literatur zu widmen. 1915 redigierte er Im
Schatten junger Mädchenblüte und Sodom und Gomorrha, 1916 schrieb er Die Gefangene ins
Reine. Im letzten Band seines Hauptwerks Á la recherche du temps perdu, Le temps retrouvé,
widmet er dem Paris im deutschen Bombenhagel einige Episoden, eine davon ist hier unter
fingiertem Titel wiedergegeben.
MOSES JOSEPH ROTH (1894–1939) reagierte mit Bestürzung auf die Kriegsnachricht. Als
russische Truppen seine galizische Vaterstadt Brody besetzten, sah sich auch seine Mutter zur
Flucht nach Wien gezwungen. Zusammen bezogen sie eine kleine Wohnung im XX. Bezirk,
Stipendien und Hauslehrerstellen finanzierten das Studium. 1915 erschienen Gedichte und
kurze Prosastücke in Wiener Zeitungen. Bei seiner ersten Musterung noch als untauglich
eingestuft, beschloss er am 31. Mai 1916 gemeinsam mit seinem ostgalizischen Landsmann
und Freund Józef Wittlin, sich als Einjährig-Freiwilliger zum Militärdienst zu melden. Die
Wahl fiel auf das Feldjäger-Bataillon Nr. 21, da sich dessen Heeresschule im III. Bezirk
befand, er somit vorerst in Wien bleiben konnte. So war er beim letzten großen Zeremoniell
der Donaumonarchie nicht bloß Augenzeuge, sondern Figurant. Nach Ausbildungsende wurde
er zur 32. Infanterietruppendivision nach Galizien versetzt, wo er eine Feldzeitung redigierte,
und war von 1917 bis Kriegsende dem Pressedienst im Raum Lemberg zugeteilt. Die
Erzählung Stationschef Fallmerayer, wie Roths Hauptwerk, der Roman Radetzkymarsch von
1932, ein Werk elegischer Rückschau, erschien 1933 im Amsterdamer Verlag Allert de
Lange.
SAKI (Jahrgang 1870), als Hector Hugh Munro in Burma geboren, schrieb mit When William
Came. A Story of London Under the Hohenzollerns am Vorabend des Weltkriegs einen höchst
brisanten Roman. The Toys of Peace entstand aufgrund eines im März 1914 erschienenen
Artikels, auf den am Beginn der Erzählung angespielt wird. Obwohl bei Kriegsausbruch
eigentlich zu alt für den Einsatz, meldete er sich unter Ablehnung des Offizierspatents als
gewöhnlicher Kavallerist zu den 2nd King Edward‘s Horse. Nach seinem Wechsel zur
Infanterie, ins 22nd Battalion der Royal Fusiliers, stieg er bis zum Unteroffizier auf. Das
Schützengrabendasein des Soldaten im suppigen Schlamm beschrieb er in der Story The
Square Egg. Trotz mehrfacher Verwundungen und Erkrankungen kehrte er beharrlich ins Feld
zurück. Im Spätherbst 1916 kämpfte er mit seiner Einheit während der letzten britischen
Somme-Offensive vor dem Wintereinbruch nahe Beaumont-Hamel. Als er am 14. November,
einem wolkenverhangenen Tag mit Temperaturen um den Gefrierpunkt, in einem
Granattrichter Zuflucht suchte, nahm ihn ein deutscher Scharfschütze aufs Korn. Seine letzten
Worte waren angeblich: „Put that bloody cigarette out!” Die Gewehrkugel traf und tötete ihn
auf der Stelle.
GERTRUDE STEIN (1874–1946), seit 1903 als großbürgerliche Salonnière in Paris ansässige
Amerikanerin, reiste im Juli 1914 mit ihrer Lebensgefährtin Alice B. Toklas nach London.
Als sich die Kunde von der deutschen Invasion in Belgien herumsprach, war das Paar eben
auf einem Landsitz in Wiltshire eingetroffen, wo man die Weltlage mit Lytton Strachey und
Friedensaktivist Bertrand Russell erörterte. Da am 4. August die Kriegserklärung Englands an
das Deutsche Reich folgte, musste das Vorhaben einer Rückkehr nach Paris bis Oktober
aufgeschoben werden. In New York erschien derweilen Steins experimentelle Textsammlung
Tender Buttons. Im Frühjahr 1915 bezogen Stein und Toklas Quartier in Palma de Mallorca,
wo sie bis zum Spätsommer 1916 blieben. 1917 kehrten sie nach Frankreich zurück und
erwarben ein Automobil, einen Ford. Mit dem privaten Kurierfahrzeug, liebevoll „Auntie“
genannt, machten sie sich im Auftrag der humanitären Hilfsorganisation American Fund for
French Wounded nach Südfrankreich auf, etwa nach Perpignan und nach Nîmes, auch ins
heiß umkämpfte Elsass, wo sie die Lazarette der französischen Armee mit Medikamenten und
Verbandsmaterialien belieferten. Tourty or Tourtrebattre entstand um 1920.
AUGUST STRAMM (Jahrgang 1874) wurde als Hauptmann der Reserve zum Badischen
Landwehr-Infanterie-Regiment 110 eingezogen und war vorerst hinter der Front am
Oberrhein und im Elsass stationiert. Seine Briefe in die Heimat schwanken von Beginn an
zwischen Schicksalsergebenheit und expressiver Kriegsbejahung. Im Januar 1915 wurde er
als Kompanieführer zum Reserve-Infanterie-Regiment 272 der neu gebildeten
82. Reservedivision versetzt, die im Stellungskrieg bei Chaulnes an der Somme kämpfte.
Ende Februar erhielt er das Eiserne Kreuz II. Klasse, wurde mit seinem Regiment im April an
die Ostfront verlegt und nahm an der Schlacht von Gorlice teil. Seit 19. Mai 1915
Bataillonskommandeur, zeichnete er sich in den Schlachten bei Radymno und Grodek aus,
wofür ihm das Österreichische Verdienstkreuz verliehen wurde. Am 1. September 1915 fiel er
beim Angriff auf russische Stellungen am Dnepr-Bug-Kanal östlich von Kobryn im heutigen
Weißrussland und wurde auf dem jüdischen Friedhof in Horodec beigesetzt. Posthum
erschien 1919 das lyrische Vermächtnis Tropfblut. Sein Prosatext Der Letzte muss als
prophetische Vision des Kommenden gelesen werden, er entstand zwei Monate vor
Kriegsausbruch im Mai 1914.
ALEXEI NIKOLAJEWITSCH GRAF TOLSTOI (1883–1945) war nach längerem Parisaufenthalt im
Sommer 1910 nach St. Petersburg zurückgekehrt. Im Dezember 1914 entspann sich eine
Liebesaffäre mit der verheirateten Natalia Volkenstein, die die folgenden Jahre überdauerte.
Der Schriftsteller wurde als Auslandskorrespondent und Kriegsberichterstatter nach England
und Frankreich entsandt und verfasste unter dem Eindruck des dort Erlebten einige Novellen:
Unter Wasser, Auf dem Berg sowie die hier ausgewählte Erzählung Die schöne Dame, eine
als Spionagethriller inszenierte Geschichte über Vertrauen und Verrat. In das Revolutionsjahr
1917 fiel die Eheschließung mit der mittlerweile von ihrem ersten Mann geschiedenen Natalia
und die Geburt des gemeinsamen Sohns Nikita. Die Ausschreitungen der Bolschewiki sah er
mit Schrecken und machte kein Hehl aus seiner Ablehnung der Oktoberrevolution. In der Zeit
als Mitarbeiter in der Propagandaabteilung des Weißgardistengenerals Denikin schrieb er
eines seiner populärsten Werke, Nikitas Kindheit, eine nostalgisch getönte Kurzgeschichte.
Samt Familie aus Odessa evakuiert, ging er erneut nach Paris, wo seine Romantrilogie Der
Leidensweg entstand.
FRANZ VIKTOR WERFEL (1890–1945), gebürtiger Prager, war überzeugter Kriegsgegner. Ende
November 1914 für drei Monate, im Februar 1915 für weitere zwei Monate vom Dienst
beurlaubt, im k.u. k.-Amtsdeutsch zur „Herablangung des Superarbitrierungsbefundes“,
sprach er bei der obersten Heeresleitung vor. Nach einem Unfall musste er erneut
zurückgestellt werden, ehe er für leichte militärische Aufgaben dienststauglich befunden und
dem Schweren Feldartillerieregiment No. 19 zugeteilt wurde. In Kostelec na Hané hatte er
Rekruten zu unterweisen und Wach- und Schreibdienst zu leisten. Wenig später erhielt er den
Bescheid seiner vollen Diensttauglichkeit samt Marschbefehl an die ostgalizische Front. Er
kam nach Hodów nahe Jezierna und wurde Meldegänger, ehe man ihn im Spätsommer 1917
ins Wiener Kriegspressequartier versetzte. Seine Erzählung Die Geliebte stammt aus jener
Zeit. Im letzten Kriegsjahr reiste er zu pazifistischen Vorträgen in die Schweiz und nahm als
Sympathisant der Roten Garden aktiv an der Wiener Novemberrevolution teil. Ende der
Zwanzigerjahre hörte er in einem syrischen Waisenhaus Berichte von Überlebenden des
türkischen Völkermordes an den Armeniern. Davon tief bewegt, schrieb er den Roman Die
vierzig Tage des Musa Dagh.
EDITH WHARTON (1862–1937), in New York geborene Wahlpariserin, engagierte sich vom
ersten Tag an für Kriegsopfer, gründete mit André Gide das Foyer Franco-Belge, eine
Ausgleichskasse für Flüchtlinge, sowie die Hilfsorganisation American Hostels for Refugees,
sammelte Geld und leistete humanitäre Nothilfe. Vom rastlosen Einsatz psychisch und
physisch ausgelaugt, brach sie Ende 1915 zu einer Erholungskur an die Riviera auf. Als am
28. Februar 1916 ihr alter Freund Henry James starb, war dies ein weiterer schwerer Schlag.
Ihre erste Kriegsgeschichte, Coming home, im selben Jahr veröffentlicht, fand einige
Resonanz. Im Oktober nahm sie an einer Marokkoreise teil, doch ihre Verfassung blieb labil.
Bis zum Sommer 1918 hatte sie bereits drei Herzanfälle erlitten und schrieb doch
unermüdlich an The Marne weiter, das im Dezember erschien. A Son at the Front, ihr zweiter
Kriegsroman, kam erst 1923 heraus. Für ihr humanitäres Engagement wurde sie mit dem
„Prix de Vertu“ der Académie Française ausgezeichnet und zum „Chevalier“ der
französischen Ehrenlegion wie auch des belgischen Leopold-Ordens ernannt. 1919 erschienen
die Erzählungen The Refugees und Writing a War Story, Letztere hier erstmals ins Deutsche
übertragen.
LEO H. WOLF ist der große Unbekannte in unserem weltliterarischen Pantheon. Seine
Fronterzählung erschien im Juli 1919 ohne jegliche biographische Angabe in René Schickeles
pazifistischer Monatsschrift Die weißen Blätter, die nach dem Zürcher Kriegsexil nach Berlin
heimgekehrt war und bei Paul Cassirer eine neue verlegerische Heimat gefunden hatte. Tod
war der erste Prosatext in einer neu eingerichteten Rubrik, mit „Memento“ überschrieben:
„Gewidmet denjenigen“, wie es im Ankündigungstext hieß, „die ‚nichts mehr davon hören
wollen‘, denen, die es erlebt haben und nicht vergessen können“. Wer sich hinter dem
Verfassernamen verbirgt, ob es sich um ein Pseudonym handelt oder um einen Autor, der
danach der Vergessenheit anheimfiel, lässt sich ein knappes Jahrhundert später nicht mehr
eruieren. So steht dieser nicht näher identifizierbare Erzähler stellvertretend für den
unbekannten Soldaten des Ersten Weltkriegs, den erst die Fronterfahrung zum Schriftsteller
gemacht hat.
THOMAS CLAYTON WOLFE (1900–1938) fühlte sich dank eines pennsylvaniadeutschen Vaters
seit jeher zur deutschen Kultur hingezogen. So sympathisierte er bei Kriegsausbruch mit
Wilhelm II. Im September 1916 wechselte er von einer Privatschule in Asheville an die
University of Carolina, Chapel Hill. In der von ihm gegründeten Schülerzeitung
veröffentlichte er erstmals ein eigenes Weltkriegsgedicht. Mit dem Kriegseintritt der USA
geriet er in Loyalitätskonflikte. Hatte es vor Kriegseintritt noch bedeutende isolationistische,
prodeutsche oder antibritische Strömungen gegeben, galt es für den „guten“ Amerikaner
nunmehr, das Sternenbanner hochzuhalten. Im Romanerstling Schau heimwärts, Engel wird
die Kriegsbegeisterung eines Bruders des Helden geschildert, der um jeden Preis nach Europa
will, notfalls auch unter Umgehung der US-Einberufungsbehörden und durch Anheuerung bei
den Kanadiern. Im Sommer 1918 leistete Wolfe selbst als Zivilist einen sogenannten war
worker-Dienst in Norfolk. Das Jahr war überschattet vom Verlust seines Lieblingsbruders
Ben, der mit sechsundzwanzig von der Tuberkulose dahingerafft wurde. Das Prosastück The
Newspaper entstand, wie auch andere Erzählungen über den Weltkrieg (The Face of the War),
um 1920.
ADELINE VIRGINIA WOOLF (1882–1941), geborene Stephen, verschmähte als Skeptikerin alle
chauvinistischen Aufwallungen ihrer Landsleute als niedere Instinkte. Einzig das Schreiben
gab ihr Halt. Doch im Februar 1915 ereilte sie eine ihrer massivsten psychischen Krisen. Erst
nach etlichen Monaten zeichnete sich eine Besserung ab, eine Pflegerin blieb noch bis
November im Haus. Als Großbritannien die allgemeine Wehrpflicht einführte, wurde ihr
Mann Leonard Ende Juni 1916 aufgrund eines angeborenen Gliederzitterns vorerst als
untauglich ausgemustert. Im Frühjahr 1917 erstanden die Woolfs eine Druckerpresse, und
Virginias The Mark on the Wall war im Sommer Teil ihrer Publication No. 1 in der
legendären Hogarth Press (hier gemäß der Urfassung neu übersetzt). Nach abermaliger
Vorladung wurde Leonard bescheinigt, auf Dauer und vollständig dienstuntauglich zu sein.
Die Tragik des Kriegs verschonte auch die Woolfs nicht: Im Dezember wurde Leonards
Bruder Philip verwundet, sein Bruder Cecil fiel als Offizier der Royal Hussars in der Schlacht
von Cambrai. 1918 arbeitete Virginia an ihrem Roman Night and Day. Ebenso dezent wie
eindrücklich literarisiert wird der Erste Weltkrieg in ihrem Roman Jacobs Room (1922) oder
in Mrs Dalloway (1925).
CARL ZUCKMAYER (1896–1977) legte ein Notabitur ab, um als Siebzehnjähriger das Mainzer
Neue Gymnasium gegen die Schule des Kriegs einzutauschen. Er meldete sich zum
Nassauischen Feld-Artillerie-Regiment Nr. 27 Oranien. Mit dem Ersatztransport nach
Nordfrankreich abkommandiert, geriet er beim Einmarsch in Roye zum ersten Mal in
Granaten- und Schrapnellfeuer. In den darauffolgenden Wochen und Monaten litt er weniger
unter permanenter Lebensgefahr als vielmehr unter der Ödnis des Frontalltags. Statt von
Altgedienten Anerkennung zu ernten, wurden er und andere Rekruten für ihren jugendlichen
Idealismus als „Kriegsmutwillige“ verspottet. In der Trostlosigkeit der Stellungen begann er
zu schreiben, etwa eine groteske Novelle mit dem Titel Der Faun, die Fragment blieb.
1915/16 entstanden auch Gedichte, überschrieben mit Leiden, Lieben, Sterben oder
Auferstehen, die er ab 1917 in expressionistischen Zeitschriften veröffentlichen konnte.
Mittlerweile zum Leutnant befördert, verfasste er an der Front bei Estrées Dramen und zwei
Novellen: Zur Menschwerdung und Geschichte von einer Geburt. Nach vier Jahren an der
Front erlitt er im Sommer 1918 einen schweren Nervenzusammenbruch und wurde ins
Lazarett seiner Vaterstadt überführt.
ARNOLD ZWEIG (1887–1968) ließ bei Kriegsausbruch keinen Zweifel an seiner preußisch-
nationalen Gesinnung, die er als einzige angemessene Haltung für einen deutschen Juden
ansah. 1915 wurde er für die Tragödie Ritualmord in Ungarn mit dem Kleist-Preis
ausgezeichnet und noch im selben Jahr zum Militärdienst eingezogen. Erst in Serbien, dann in
Belgien und bei Verdun stationiert, war er in vorderster Linie Zeuge des Gemetzels und
wandelte sich vom Kriegsbefürworter zum Pazifisten. 1916 heiratete er bei einem Fronturlaub
seine Cousine. Ab 1917 diente er als Schreibkraft in der Presseabteilung des
Oberbefehlshabers Ost. Die Erlebnisse dort inspirierten ihn zu der Erzählung Was der Mensch
braucht. Auch nach dem Krieg blieben die Jahre 1914 bis 1918 das bestimmende Thema
seines Schaffens, besonders in dem mehrteiligen Werkzyklus Der große Krieg der weißen
Männer, beginnend 1927 mit Der Streit um den Sergeanten Grischa. Dieser Roman lotet am
Beispiel eines militärischen Justizmords die Kluft zwischen aufgeklärtem Preußentum und
Kadavergehorsam aus. Im Zyklus folgten der Reihe nach: Junge Frau von 1914 (1931),
Erziehung vor Verdun (1935), Einsetzung eines Königs (1937), Die Feuerpause (1954) und
Die Zeit ist reif (1957).
STEFAN ZWEIG (1881–1942) verbrachte den Sommer 1914 in einem Seebad nahe Ostende und
konnte Belgien gerade noch rechtzeitig verlassen, ehe die Grenzen dicht gemacht wurden. Bei
der Rückreise wurde er an den Bahnhöfen bereits Zeuge der deutschen Mobilmachung.
Obwohl er für die kollektive Euphorie der Anfangstage keineswegs unempfänglich war und
den deutschen Durchmarsch auf Paris bejubelte, suchte er früh schon die Verständigung über
Grenzen hinweg und beschloss gemeinsam mit Romain Rolland, dem schwärenden
Völkerhass entgegenzutreten. Als nichtgedienter Landsturm, „bei allen Assentierungen als
untauglich erklärt“, hatte er keine militärischen Pflichten. Er kam nach Klosterneuburg in den
Verwaltungsdienst und bemühte sich um Aufnahme ins österreichische Kriegsarchiv, wo er
mit vaterländischer Agitation betraut wurde, etwa als Mitherausgeber der Zeitschrift
Donauland, deren Zweck die „allgemeine kulturelle Propaganda im Sinne einer geistigen
Landesverteidigung“ war. Im Spätherbst 1916 erhielt er die offizielle Genehmigung, in die
Schweiz zu übersiedeln, wo es schließlich zur Begegnung mit Romain Rolland kam. Die hier
abgedruckte Erzählung erschien erstmals 1927 unter dem Titel Der Flüchtling. Episode am
Genfer See in Leipzig.
© Verlagsgruppe Random House
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