leseprobe 'rückzug' und 'die befreiung
Post on 04-Dec-2015
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In mir war etwas kaputtgegangen. Leons Aussage, er sei
nicht in mich verliebt, hatte mir die letzten Illusionen geraubt.
Ich hatte keine Kraft mehr, um so auch nur einen Tag länger
weiter zu machen. Keine halben Sachen mehr. Wenn ich ihn
nicht ganz haben konnte, sollte er mich auch nicht als
Pausenclown haben können. Oder Saufkumpan. Oder was auch
immer.
Ich zog mich konsequent von ihm zurück.
Am Sonnabend rief er mich gegen Mittag auf dem Handy an.
Es war das erste Mal, dass er mich am Wochenende anrief.
Doch ich brachte es nicht fertig, das Gespräch anzunehmen.
Schweren Herzens starrte ich regungslos auf mein Handy, bis
es verstummte.
Abends war ich auf einer Party eingeladen. Didi, eine externe
Freundin der Hausgemeinschaft, feierte ihren Geburtstag in der
Fiedel, der charmantesten Kneipe unseres Viertels. Die Fiedel
gehörte Thomas, einem unserer Mitbewohner. Und
selbstverständlich waren wir alle dort häufig zu Gast. Ganz
besonders im Sommer, da die Kneipe auch über einen
ausgesprochen schönen Biergarten verfügte. An diesem Abend
trafen wir uns gegen 20 Uhr vor unserem Schokoladenhaus und
zogen gemeinsam los. Traurig trabte ich neben Nils und Jarek,
bemüht, meinen Kummer so gut es ging zu verbergen.
Klammerte mich an die Schüssel mit meinem selbstgemachtem
Kartoffelsalat, einem echten Geheimtip, der auf keiner Party
fehlen durfte. Und den heute ein unschön schwerer Duft nach
faulem Ei umwehte, was mir ein wenig peinlich war. Während
unseres kurzen Spazierganges erinnerte ich mich wehmütig an
Didis Geburtstag im Vorjahr, als es Leon noch nicht in meinem
Leben gegeben hatte und ich entspannt optimistisch in die
Zukunft schaute. Auch damals feierte Didi in der Fiedel und in
dieser Nacht war es dann zu einer ungewöhnlichen Begegnung
gekommen. Didi hatte mich seinerzeit schon im Vorfeld über
einen ganz bestimmten Gast informiert. Einen ihrer Bekannten,
einen Mann mit besonderer Gabe. ‚Der kann Dinge sehen’,
meinte sie damals geheimnisvoll zu mir. ‚Er sieht dich nur an
und kann deine Zukunft sehen. Er hat das, was man das zweite
Gesicht nennt. Vielleicht spricht er ja mit dir.’ Vielsagend hatte
sie mir zugezwinkert. Mir hatte das ein wenig Angst gemacht.
Ich wollte gar nicht wissen, was mich erwartete und hatte mir
fest vorgenommen, dem Mann aus dem Weg zu gehen.
Spät in jener Nacht, etwa gegen drei Uhr, hatte ich damals
mit einem letzten Drink in einer ruhigeren Ecke der Fiedel
gesessen. Ließ meine Blicke durch die immer noch volle
Kneipe schweifen. Als ich ihn plötzlich sah. Einige Meter von
mir entfernt stand der Mann und beobachtete mich. Didi hatte
Stunden zuvor schon heimlich auf ihn gedeutet. Jetzt hatte er
mich entdeckt und zeigte ein ganz unverhohlenes Interesse an
meiner Person. Kurz hielt ich seinem Blick stand, als er
plötzlich eine Hand hob und mich mit gekrümmtem Zeigefinger
langsam zu sich herüberwinkte. Ich war wie versteinert. Er
zögerte einen Moment. Dann kam er auf mich zu, schob sich
vorsichtig durch das Partygetümmel, schnappte sich einen Stuhl
und setzte sich zu mir. Alles in mir sperrte sich gegen seine
Anwesenheit. Und doch ließ ich mich auf ein Gespräch mit ihm
ein. Und mein Unwohlsein wich bald einer Art Faszination.
Denn er nannte mir ohne große Umschweife intime Dinge, die
nur ich ganz allein wissen konnte. Und das, obwohl wir uns
noch nie zuvor begegnet waren. Nach einigen Minuten, in
denen ich sprachlos an seinen Lippen hing, sagte er mir etwas,
das ich niemals mehr in meinem Leben vergessen werde:
‚Du wirst drei Männer kennenlernen.’
Wow, drei?? Einer würde mir ja schon reichen!
Mit sonorer Stimme fuhr er fort, während er mir tief in die
Augen sah.
‚Einer von ihnen ist der Richtige. Mit ihm wirst du noch
einmal eine sehr ernsthafte, langjährige Beziehung haben.
Dieser Mann wird dich auch heiraten.’
Mir blieb die Luft weg. Dann fing ich mich wieder und fragte
ihn, wann ich diesen Mann kennenlernen würde. Den einen.
Die anderen beiden interessierten mich ja nicht wirklich. Doch
er ignorierte meine Frage. Sprach einfach weiter.
‚Ich gebe dir noch einen Tip mit auf den Weg: gehe sehr
besonnen vor.’ Häh?
Mehr sagte er nicht dazu. Ich wusste mit seinen Worten nicht
viel anzufangen, doch unser Gespräch war beendet. Er erhob
sich von seinem Stuhl und verschwand im Halbdunkel der
Kneipe.
Nach diesem Erlebnis war ich ziemlich durcheinander. Und
doch freute ich mich. Denn immerhin hatte er mir ja etwas sehr
Positives prophezeit. Da wollte ich gerne dran glauben. Und
ganz gleich, wie lange es auch dauern mochte, irgendwo da
draußen gab es also einen Mann, der mich lieben würde. Ich
musste ihn nur noch finden.
Ein Jahr war seitdem vergangen. Und mein Leben hatte sich
verändert. Denn einer der drei Männer war bereits in mein
Leben getreten. Doch war er auch der Richtige? An diesem
warmen Sommerabend im August, exakt ein Jahr nach der
Prophezeihung, begleiteten mich diese Gedanken auf dem Weg
in die Fiedel. Und ich erhoffte mir baldige Klärung. Denn wie
ich von Didi erfahren hatte, sollte der Mann mit der besonderen
Gabe auch in diesem Jahr wieder Gast auf ihrer Party sein....
Irgendwann nach Mitternacht stand er dann wieder vor mir.
Doch diesmal war alles anders. Denn er wollte mich nicht
sprechen. Hatte nicht nach mir Ausschau gehalten und keinerlei
Interesse daran, mir etwas mitzuteilen. So stand er ohne
erkennbare Mimik vor mir und blickte mich nur stumm an.
Schnell, um den Moment zu nutzen, resümmierte ich die
Geschehnisse der vergangenen Wochen und stellte dem Mann
schließlich die eine Frage, die mich so sehr beschäftigte:
‚Ist Leon der Richtige?’
Die Antwort war nur ein mitleidiges Lächeln. Dann drehte er
sich weg und ließ mich mit meiner offenen Frage einfach
stehen. Seine Reaktion irritierte mich absolut. Einen langen
Moment stand ich nur da, peinlich berührt, und versuchte dann,
die für mich unangenehme Situation einfach nur zu vergessen.
Erst sehr viel später habe ich seine Reaktion verstanden. Und
es schien so klar: Wenn man dem Richtigen begegnet, hat man
keine Fragen mehr. Keine Zweifel. Kein Bauchgrimmen.
Nichts dergleichen. Nur Antworten. Dann weiß man, wo man
vorher nur vermuten konnte. So einfach ist das. Was dann im
Nachhinein auch den mitleidigen Blick und das Schweigen des
Sehers erklärt.
Doch in jenem Sommer, meinem Sommer mit Leon,
verstrickt in sich überschlagende Ereignisse und Gefühle,
erkannte ich die schlichte Wahrheit nicht. Konnte und wollte
sie nicht sehen. Ignorierte die Anzeichen. So nahm alles seinen
Lauf. Und in dieser Nacht versuchte ich zum wiederholen Male,
die erneut aufkeimenden schlechten Gefühle zu unterdrücken.
Ließ mich vom Sog der heiteren Menschen, die mich umgaben,
einfach mitreißen. Und nippte schließlich spät in der Nacht
traurig an einem Absacker.
Währenddessen schmorte mein Handy in der Handtasche
vernachlässigt vor sich hin. Und so hörte ich auch nicht das
verräterische Piepen, als Leons SMS einging. Erst in den frühen
Morgenstunden las ich seine Mitteilung:
‚Magst Du nicht mehr mit mir reden? Der abwesende
Nachbar.’
Seine Worte gingen mir sehr nahe, ich war total gerührt und
versucht, ihm sofort zu antworten. Doch was hätte ich ihm
schon schreiben sollen? Und überhaupt: Was bildete er sich
eigentlich ein? Nach allem, was an unserem letzten Abend
passiert war, nachdem er mir klargemacht hatte, dass ich für ihn
keinen echten Wert hatte, was wollte er jetzt noch von mir?
Warum begann er ausgerechnet jetzt, sich um mich zu
bemühen? Ich verstand die Welt nicht mehr. Wie schon so oft.
Nur eines war mir absolut klar: dass ich mich von ihm
fernhalten musste. Denn was konnte ich von einem Mann, der
keine Gefühle für mich hatte, noch erwarten. Außer Kummer.
Und so ignorierte ich schweren Herzens auch seine SMS.
Am Sonntag habe ich von Leon nichts mehr gehört. Ich
wusste, er würde früh abends wieder aus Köln zurückkommen.
Und mich zuhause wähnen. Was er allerdings nicht ahnen
konnte: Ich war auf Kegels Geburtstags-Party. Lange, bevor er
in Hannover eintraf, war ich schon weit weg.
Er ließ auch abends nichts von sich hören. Ich kam erst
gegen Mitternacht nachhause und fiel sofort todmüde in mein
Bett.
Am nächsten Tag rief er mich vollkommen unerwartet doch
wieder an. Ich war gerade im Auto unterwegs, entsprechend
kurz angebunden, aber betont fröhlich. Schließlich sollte er mir
meinen Kummer nicht anmerken.
'Wo warst du denn gestern Abend?', fragte er sanft. 'Ich habe
mir Sorgen gemacht, als alles dunkel war.'
'Du hast dir Sorgen gemacht? Das ist ja süß. Aber ich war
nur auf einem Geburtstag.'
'Ich hatte schon Angst, du liegst irgendwo', meinte er.
Ich...irgendwo liegen? Also wirklich. Ich war doch wegen
ihm nicht suizidgefährdet!
'Was denkst du denn von mir?! Nein, mir geht es sehr gut!',
log ich.
'Hast du heute Abend Zeit? Ich würde gern mit dir ein Glas
Wein trinken.'
Nicht zu fassen...er hatte offensichtlich rein gar nichts
begriffen...
'Gern ein andermal. Ich bin schon verabredet.'
Schweigen.
Und dann sagte er etwas, das mich seltsamerweise relativ
unberührt ließ.
'Meine Freundin kommt morgen.'
'Ach ja?' Es war mir tatsächlich vollkommen gleichgültig.
'Sie bleibt zwei Tage. Fährt erst Donnerstag früh wieder.'
'Soll sie mal ruhig machen.'
Erneutes Schweigen. Diesmal schien er fassungslos.
'Du, ich muss jetzt Schluss machen. Sitze doch im Auto',
meinte ich.
'Ok. Ich melde mich wieder.'
'Ok. Bis dann.'
'Tschö!'
Es war das erste Mal gewesen, dass ich eine Einladung von
ihm ausgeschlagen hatte. Und es tat nicht mal weh. So weit war
es gekommen.
In der folgenden Nacht kam ich gar nicht nachhause. Ich war
bei der spanischen Hexe. Sie hatte mir seinerzeit im Biergarten
ihre Handynummer überlassen und wir hatten uns bereits ein
paar Mal getroffen und nett geklönt. An diesem Abend tranken
wir gemeinsam etwas Wein und ich übernachtete bei ihr. Sie
hatte eine riesige Penthouse-Wohnung, bestückt mit zahllosen
Möbeln im Rokoko-Stil. Wir hätten dort Fußball spielen
können. Bei Bedarf. Oder verstecken. Vermutlich hätten wir
uns nie mehr wiedergefunden. Allein ihre Dachterrasse war
mehr als doppelt so groß wie mein Wohnzimmer. Wir
verbrachten den ganzen Abend dort, räkelten uns entspannt auf
den weichen Polstern großer Teakholz-Liegen und blinzelten in
den blutroten Sonnenuntergang. Fachsimpelten über Männer.
Über den Kölner an sich. Ihr Exemplar saß mittlerweile wegen
irgendwelcher Betrügereien in Untersuchungshaft und sie
berichtete mir traurig von ihren kurzen Besuchen im Knast.
Mein Kölner ist auch ein Betrüger, aber für Gaunereien dieser
Art kommt man nicht in den Knast, dachte ich nur deprimiert.
Am frühen Abend hat mich auf der Terrasse der traurigen
Hexe noch eine weitere SMS von Leon erreicht:
‚Bin froh, dass Du noch lebst. Der Hausarschi.’
Hausarschi? Unpassende Verniedlichung.
Ich war überrascht. Er hatte mir sonst nie eine SMS
geschickt. Und dies war jetzt schon seine zweite innerhalb von
wenigen Tagen.
Am nächsten Abend hörte ich wieder unangenehm vertraut
klingendes doppeltes Getrapse über mir. Leons Freundin war
eingetroffen. Auch das tat nicht mehr weh. Es machte mich
höchstens noch wütend. Ich verließ das Haus. Machte mir einen
netten Abend mit meinem Arbeitskollegen Micha in der Fiedel.
Micha und ich arbeiteten seit mehr als fünf Jahren im
berüchtigten Textilgroßhandel zusammen, hatten uns als
Kollegen immer sehr gut verstanden und nun endlich einmal ein
Treffen in den privaten Rahmen verlegt. Um der Gefahr eines
Missverständnisses vorzubeugen (ich hatte nicht mehr als ein
freundschaftliches Interesse an ihm), hatte ich ihn über meine
‚Beziehung’ zu Leon in Kenntnis gesetzt und ließ ihn auch an
diesem Abend nicht im Unklaren über den aktuellen Stand.
Selbstverständlich informierte ich ihn nur über die
wesentlichen, rein oberflächlichen Dinge. Gewisse Details
waren ausschließlich meinem engeren Freundeskreis
vorbehalten. Trotz seines mangelhaften Informationsstandes
machte Micha an diesem Abend zu späterer Stunde jedoch eine
Bemerkung, die bei mir einen spontanen Würgereiz auslöste:
'Wenn ich an Leons Stelle wäre, wüsste ich aber ganz genau,
was ich fühle. Es ist schon merkwürdig, dass er so verwirrt ist.
Sei bloß vorsichtig.'
Scheiße, was hatte das denn jetzt schon wieder zu
bedeuten??
‚Wie meinst du das?’, hakte ich nach.
Er sah mich ernst an. ‚Naja, entweder ich habe Gefühle oder
eben nicht. Das spürt man doch. Ich will dir ja nicht wehtun,
aber womöglich meint er es gar nicht wirklich ernst mit dir.’
‚Das kannst du doch gar nicht wirklich beurteilen, Micha. Du
kennst ihn doch gar nicht’, maulte ich ihn an.
‚Natürlich kenne ich ihn nicht. Ich meine ja nur, dass du
aufpassen sollst. Mache mir eben ein bisschen Sorgen um dich,
das ist alles. Aber vielleicht hab’ ich ja auch einfach keine
Ahnung von solchen Dingen. Ich habe noch nie zwischen zwei
Frauen gestanden.’ Er grinste schief.
‚Das meine ich doch. Ich glaube, dass es für Leon auch nicht
so einfach ist’, sagte ich und fühlte mich selbst komisch dabei.
Micha schwieg, blickte mich nur nachdenklich an. Vielleicht
dachte er, armes Mädchen oder etwas Ähnliches. Zumindest hat
er so ausgesehen. Mir war einfach nur noch übel.
Es gab zwei Möglichkeiten: Entweder hatte Micha doch
mehr als ein freundschaftliches Interesse an mir und wollte mir
Leon deshalb madigmachen, oder - durchaus realistisch - er war
tatsächlich ernsthaft besorgt um mein Wohlergehen. Und wollte
mir nur klarmachen, dass ein Mann sich seiner Gefühle einfach
immer sicher sei. Vorausgesetzt, er hatte überhaupt welche.
Offenbar trafen seine Worte bei mir auf fruchtbaren Boden,
deckten sich mit meinem latent vorhandenen schlechten
Bauchgefühl. Da war sie wieder, die mahnende Erinnerung an
Leons eindeutige Worte: ‚Ich bin nicht in dich verliebt’. Wovon
ich Micha selbstverständlich nichts erzählt hatte.
Am Mittwoch war es wieder das gleiche Spiel: Doppel-
Getrapse über mir. Ich ging aus. Mit Kegel und der Hexe zog
ich durch die Stadt. In der Nacht tanzte ich in der Bar, in der ich
kürzlich noch in Leons Begleitung zur Ziege mutiert war, mit
einem höchst attraktiven Latino Lambada (Medizin für mein
angeschlagenes Ego) und bekam weit nach Mitternacht noch
eine rote Rose geschenkt. Hatte mich blendend amüsiert. Als
ich dann aber im stillen, nachtschlafenden Treppenhaus an die
zwei Turteltauben aus der Königsklasse erinnert wurde, packte
mich wieder der alte Trotz. Verdammt, er lag mit einer anderen
Tuss im Bett! In unserem Bett! Dies alles hier war mein
Territorium. Ich musste einfach etwas unternehmen, um mich
ein wenig abzureagieren.
Vor meiner Wohnungstür angekommen, hatte ich eine
Eingebung. Kurzerhand rupfte ich von meiner Rose ein paar
Blütenblätter ab und verteilte diese willkürlich vor der Tür.
Dann trat ich ein paar Schritte zurück und betrachtete mein
Werk ausgiebig. Es sollte ja nicht zu übertrieben wirken. Es
war perfekt! Dezent, aber eben doch unübersehbar. Entspannt
und sehr zufrieden ging ich zu Bett.
Am nächsten Morgen erwachte ich recht früh, kuschelte mich
tief in die Kissen und dämmerte ein wenig vor mich hin. Bis ich
mit einem Mal senkrecht im Bett saß. Ich hatte die
Wohnungstür ins Schloss knallen gehört. Seine Wohnungstür!
Wusste, er würde sie nun zum Bahnhof fahren. Es war
Donnerstagmorgen und sie musste zurück nach Frankfurt.
Rasch sprang ich aus dem Bett und bezog Stellung hinter
meinem alten, vernachlässigten Freund, dem Spion. Was ich
dann sah, übertraf meine kühnsten Erwartungen: Zuerst kam
sie, wie immer einige Schritte vor ihm, die Treppe herunter. Im
nächsten Moment erschrak ich. Denn sie starrte so auf meine
Rosenblätter, dass ich Angst bekam, ich hätte wohl doch ein
wenig übertrieben. Dann kam er. Ich wagte kaum zu atmen. Sie
war schon längst aus meinem Sichtfeld verschwunden, als er
vor meiner Tür erstarrte. Sein Blick richtete sich auf mein
Blüten-Arrangement und blieb dort haften. Er war fassungslos.
Vollkommen fassungslos. Sekundenlang verharrte er in dieser
Position, bis er schließlich wutentbrannt die Treppe
hinunterpolterte. Ich rannte zum Fenster und beugte mich weit
hinaus. Kurz darauf sah ich ihn. Er hatte sie auf der Treppe
überholt und rannte den Gehweg entlang, wirkte ungeheuer
aufgebracht. Sie trottete langsam hinter ihm her und ich dachte
nur, das arme Mädchen. Warum tut sie sich das an. In diesem
Moment tat sie mir aufrichtig leid. Aber es war eine göttliche
Erfahrung, ihn so wütend zu sehen. Da wusste ich, dass ich ihm
doch nicht gleichgültig war.
Wenige Stunden später hagelte es SMS von Leon:
'Würde mich sehr freuen, Dich heute Abend auf ein Glas
Rotwein bei mir begrüßen zu dürfen'
'WARUM? ...Weil ich Deine Anwesenheit vermisst
habe...ich häufig an Dich gedacht habe...’
‚....ich das Gefühl habe, mit Dir sprechen zu müssen...'
'...oder ich einfach nur ein Idiot bin.'
Jetzt war ich fassungslos. Wie versteinert hockte ich mit
pochendem Herzen auf meinem Sofa und starrte auf mein
Handy. Er hatte noch niemals zuvor in ähnlicher Art und Weise
die Initiative ergriffen. Mir nie in der Form das Gefühl
gegeben, dass ich ihm etwas bedeutete. Es war einer der
schönsten Momente, die ich in meiner Zeit mit Leon erlebte.
Ich hätte vor Freude heulen können. Er wollte mich! Er
vermisste mich! Er hatte Sehnsucht! Und dabei hatte er mir
doch noch vor wenigen Tagen gesagt, er sei nicht in mich
verliebt. Vermisste er etwa nur seinen Pausenclown? Oder den
Saufkumpan? Nein, das konnte nicht sein. Dazu klangen seine
Worte zu dramatisch.
Und doch war mir all das nicht genug. Lange nicht genug.
Denn schließlich stand einmal mehr ein Frankfurt-Wochenende
ins Haus und es widerstrebte mir ganz und gar, unter diesen
Umständen wieder einen Abend mit ihm zu verbringen. Und
obwohl ich mich mit jeder Faser meines Körpers nach ihm
sehnte, erteilte ich ihm per SMS eine freundliche Abfuhr:
‚Danke für die Einladung, das ist lieb von Dir. Aber ich habe
heute Abend schon etwas anderes vor.’
Was ja auch stimmte. Ich war mit Bö verabredet.
Nachmittags hatte ich noch einen wichtigen Termin beim
Steuerberater. Der mir von Leon empfohlen worden war. Die
beiden waren gut miteinander bekannt. Da ich dort
selbstverständlich ungestört sein wollte und musste, stellte ich
mein Handy aus. Als ich die Kanzlei wieder verließ, wurden
mir zwei Anrufe in Abwesenheit angezeigt. Von Leon. Mein
Gott...niemals zuvor hatte er sich derart engagiert! Es tat so
unbeschreiblich gut, endlich einmal ein echtes Bemühen
seinerseits erleben zu dürfen. Glücklich schwebte ich über die
Gehwege zurück zu meinem Wagen. Zurückgerufen habe ich
ihn nicht. Ich wollte nicht schwach werden. Dachte immer nur,
wenn ich diesen Pfad jetzt nicht weiter verfolge, wird er sich
niemals von seiner Freundin trennen. Und eine Fortsetzung
unseres unseligen Verhältnisses wollte ich einfach nicht mehr
zulassen. Alles oder nichts. Es lag jetzt nur an ihm.
Eine gute Stunde später erhielt ich noch eine SMS:
’Ist ok, wenn Du später kommst. Bin ja in der Regel länger
wach.’
Er akzeptierte kein Nein. Doch war mir in dem Moment
bereits klar, dass ich so oder so nicht mehr zu ihm gehen würde.
Auch wenn es mir in der Seele wehtat.
Als ich nach meinem Besuch bei Bö gegen Mitternacht den
blauen Klaus vor unserem Haus parkte, brannte bei Leon noch
Licht. Er wartete tatsächlich immer noch. Wie gern wäre ich
unter anderen Umständen noch zu ihm gegangen. Gerannt.
Geflogen. Doch so strebte ich in direkter Linie mein Bett an.
Am nächsten Morgen beobachtete ich, wie er mit gepackter
Reisetasche das Haus verließ. Ich war außer mir vor Wut, dass
er tatsächlich wieder nach Frankfurt fahren wollte. Kurzerhand
packte ich seine Wohnungsschlüssel in einen Briefumschlag,
beschriftete diesen ('Habe unter diesen Umständen keine
Verwendung mehr dafür') und schmiss ihn wutschnaubend in
Leon’s Briefkasten.
Nachmittags rief er mich an. Aus dem Büro. Und diesmal
wollte ich auch mit ihm sprechen. Es war an der Zeit, ihm
einiges zu erklären.
'Hallo?' meldete ich mich in betont neutraler Stimmlage.
'Ich bin's. Sag mal, wo steckst du eigentlich die ganze Zeit?'
fragte er giftig. Hoppala, ein ganz neuer Tonfall..
'Bin viel unterwegs.' Stimmte ja auch.
'Und warum gehst du nicht mehr ans Telefon? Das ist doch
wirklich kindisch!' Puh...er war wirklich sauer.
'Wieso gehe ich nicht ans Telefon? Das stimmt doch gar
nicht', bockte ich.
'Ich habe gestern zweimal angerufen. Und da war dein Handy
sogar ausgeschaltet.'
'Leon, ich war beim Steuerberater. Natürlich habe ich es da
ausgestellt.'
'Und warum hast du mich danach nicht zurückgerufen? Oder
wenigstens meine SMS beantwortet?'
'Das möchte ich dir ja jetzt gerne erklären.'
'Bitte', knurrte er.
Ich holte tief Luft.
'Leon, es kann so nicht mehr weitergehen mit uns.'
Schweigen.
'Ich kann das so nicht mehr.' Aufgebracht fuhr ich fort.
'Verstehst du...diese unselige Affäre. Ich kann das alles nicht
mehr ertragen. Bin es nicht gewohnt, einen Mann zu teilen. Ich
will das auch nicht. Nicht mehr. Ach was, ich wollte es nie. Ich
weiß auch nicht, warum ich das überhaupt so lange mitgemacht
habe.'
'Ich kann dich sehr gut verstehen.' Er war jetzt ganz ruhig.
'Und überhaupt...dieses ganze Versteckspiel. Ich möchte
nicht in der Öffentlichkeit versteckt werden. Ich möchte, dass
ein Mann stolz darauf ist, mit mir gesehen zu werden.’
Erneutes Schweigen.
'Ich möchte auch nicht mit dafür verantwortlich sein, dass
diese Frau verletzt wird. Auch wenn ich sie gar nicht kenne, ich
fühle mich einfach nur Scheiße dabei. Verstehst du das?'
'Ja. Sehr gut sogar', meinte er.
'Und weißt du was?'
'Was denn?'
'Diese ganze Dreiecks-Geschichte ist echt unter meinem
Niveau.' Ich holte tief Luft. 'Und noch was: Ich habe dir deinen
Schlüssel in den Briefkasten geschmissen. Ich brauche ihn nicht
mehr.'
Scheinbar betroffen schwieg er einen Moment.
Dann sagte er ruhig:
'Das alles beweist nur, dass du Klasse hast. Und Stil.'
Wow. Seine Worte gingen mir runter wie Öl.
'Ich finde ja auch, dass es so nicht mehr länger weitergehen
kann.'
Jetzt bekam ich Angst.
'Aber ich weiß einfach nicht, was ich tun soll.'
Verdammt, hatte sich daran denn immer noch nichts
geändert?
Ich konnte es einfach nicht fassen.
'Was ich dir auch noch sagen wollte...'
'Ja?'
'Irgendwie hast du doch recht gehabt mit dem, was du vor
kurzem zu mir gesagt hast.'
'Was denn?', fragte ich neugierig.
'Dass ich mich nicht von ihr trenne, weil ich Angst vor einer
festen Bindung mit dir habe. Ich werde mir da mal ernsthaft
Gedanken drüber machen.'
'Dazu hast du ja jetzt auch genug Zeit', meinte ich trocken.
'Weil du nicht mehr da bist.'
'Genau.'
Er zögerte. Dann sagte er leise:
'Bitte lass uns am Montag mal darüber reden. Wenn ich
zurück bin.'
'Nein, Leon. Das bringt doch alles nichts.'
'Bitte!'
'Nein. Wir können uns nicht mehr sehen.'
'Was?!' Er schien ehrlich betroffen.
'Nein. Nicht unter diesen Umständen. Das macht doch alles
keinen Sinn mehr.' Oh Gott, was redete ich da???
'Ok. Ich kann dich ja verstehen.'
Scheiße. Er akzeptierte es auch noch! Was hatte ich nur
getan...
'Gut', sagte ich nur.
'Ich muss jetzt Schluss machen.'
'Ok.'
'Bis dann.' Scheiße. Scheiße.
'Ciao.'
'Tschö.' Scheiße.
Oh, ich fühlte mich so elend. War ich etwa zu weit
gegangen? Doch was hatte ich denn für eine Wahl? Ich konnte
es doch wirklich nicht mehr ertragen, ihn ewig teilen zu
müssen. Auf ihn warten zu müssen...ein jedes Wochenende.
Akzeptieren zu müssen, dass er neben mir auch mit einer
Anderen schlief. Ich musste es einfach beenden. Und fühlte
mich doch einfach nur schlecht dabei. Das einzige, was mich
ein wenig aufbaute, war die Tatsache, dass ich mir damit seinen
Respekt erworben hatte. Und mir selbst wieder in die Augen
sehen konnte. Das allein war doch schon eine ganze Menge
wert. Alles Weitere würde sich zeigen. Vor allem aber, ob er
wider Erwarten doch Gefühle für mich hatte. Ganz entgegen
seiner Aussage in der vergangenen Woche. Er wusste, dass er
mich unter diesen Umständen verlieren würde. Nun blieb mir
nur noch, abzuwarten. Und das allein war doch schon schwer
genug...
Im Anschluss an unser Gespräch fuhr er nach Frankfurt.
Abends schickte er mir noch eine SMS. Ich sei Schuld, dass
seine Augenränder wieder schlimmer würden. Danach hörte ich
nichts mehr von ihm und verbrachte ein unruhiges
Wochenende.
Die Befreiung
Ich wusste, Leon würde am Montagmorgen wieder in Hannover sein. Doch er
meldete sich nicht und so lief ich den ganzen Tag herum wie Falschgeld.
Abends hatte mich dann meine Kraft vollends verlassen und ich lag apathisch
auf dem Sofa. Und Leon kam einfach nicht nachhause. Es ging mir hundeelend.
Ich war starr vor Angst, nun vielleicht doch zu weit gegangen zu sein und ihn
vollends verloren zu haben.
Am nächsten Morgen rief mich Le Bö an. Er hatte den Abend bei Smiddie
verbracht. Die beiden hatten gemütlich bei Kerzenschein auf dem Balkon
gesessen, Wein getrunken und gegenüber im Schokoladenhaus ein ganz
besonderes Schauspiel verfolgt: Nachdem bei mir das Licht erloschen war,
wurde es kurze Zeit später eine Etage höher eingeschaltet. Und Leon hatte die
Bühne betreten.
'Und...was hat er getan?', drängelte ich ungeduldig.
'Er beugte sich weit aus dem Fenster und starrte zu dir hinunter. Wir hatten
schon Angst, er fällt gleich.'
'Oh Bö, er hat mich doch noch nicht vergessen!'
Genau das hatte ich nach diesem Wochenende gebraucht.
'Irgendwie ist das mit euch beiden ja wirklich wie im Film. Gerade, wenn man
das mal so live miterlebt', meinte Bö amüsiert.
'Das ist es so oder so. Und, hat er dir gefallen?'
'Nun ja, aus der Ferne hat er auf jeden Fall schon einmal einen guten Eindruck
gemacht.'
Ich schmunzelte. Er sollte ihn erst einmal aus der Nähe sehen!
Am frühen Abend hatte das Warten dann ein Ende. Mein Handy klingelte. Es
war Leon. Und genau in dem Moment setzte bei mir die Panik ein.
'Hömma!', meldete er sich.
'Hallo.'
'Bitte leg jetzt nicht gleich auf!'
'Leon, du weißt doch, was ich dir gesagt habe.'
'Ich weiß, aber ich muss unbedingt mit dir reden!'
'Ich habe das alles wirklich ernst gemeint!'
'Bitte, hör mir nur ein paar Minuten zu.'
'Leon, bitte...', flehte ich.
'Ich möchte dich gern heute Abend zum Italiener einladen. Bitte sag nicht
nein!'
Ich war wie gelähmt.
'Bitte! Sagen wir so in einer Stunde?' Er gab nicht nach.
'Leon, bitte nicht.'
'Mein Gott, das ist ja hier fast so, als würde ich dir einen Heiratsantrag
machen!'
Was hatte er da gesagt???
Und dann sagte er etwas, das mich wirklich berührte.
'Bitte hör’ mir zu. Sollte das, was ich dir heute sagen möchte, dir nicht
nahegehen, dann verspreche ich beim Leben von Jannik, dass ich dich fortan in
Ruhe lassen werde.'
Er schwor beim Leben seines Sohnes! Mir blieb fast die Luft weg. Spätestens
jetzt war mir klar, wie ernst Leon es tatsächlich meinte.
'Ok', meinte ich nur. Mein Herz überschlug sich förmlich in meiner Brust.
'In einer Stunde?'
'Besser anderthalb.' Ich brauchte noch ein wenig Ruhe vor unserem Treffen.
'Ok. Ich rufe dich an, wenn ich da bin.'
'Gut...bis nachher.'
'Bis dann!'
Ich rief sofort die Kegelfrau an.
'Kegel, er wird mich jawohl nicht zum Italiener einladen, nur um mir zu
sagen, dass sie ein Kind von ihm erwartet, oder? Dann würde ich ihn umhauen
und gehen!'
'Blödsinn! Das kann doch nur einen ganz bestimmten Grund haben, dass er
dich jetzt so unbedingt sehen will!', meinte sie aufgeregt.
'Er hat sich von ihr getrennt.'
'Genau. Es kann nichts anderes sein.'
'Es muss einfach so sein. Oh mein Gott.'
'Bleib ruhig, Toni. Zieh dir was Schickes an, in dem du dich wohlfühlst, und
dann entspanne dich noch ein bisschen.'
'Ich habe nichts zum Anziehen.'
'Du wirst schon noch etwas finden. Hast ja noch genug Zeit. Ich denke an
dich!'
'Ok. Gott, ich bin ja so nervös! Habe ihn doch auch jetzt schon über eine
Woche nicht mehr gesehen.'
'Du schaffst das! Ruf mich nachher nochmal an oder schick' wenigstens eine
SMS. Und werd' ja nicht gleich schwach!'
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