lilienberg – die zeitschrift für lebendiges …...man somit nicht lernen. zuversicht kann man...
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Nummer 26 / Juli 2011
Lilienberg –Die Zeitschrift für lebendiges
Unternehmertum
3
3 Editorial: Zuversicht gewinnen
und ausstrahlen
4 Sicherheit, Bildung und Mobilität
sind unsere Trümpfe im globalen
Wettbewerb
8 Thomas E. Kern: «Im Unternehmen
ist ein gutes Team mehr wert als ein
einzelner Star»
12 Dr. Heinz Bachmann: Aktionsfeld-
leiter mit Liebe zu fremden Kulturen
15 Unternehmerpersönlichkeiten mit
Lilienberg Preisen ausgezeichnet
20 Dr. Luzius Wasescha: «Die Schweiz
muss sich selbstbewusst profilieren.»
23 Naturpärke als Kapital für die Regi-
onalentwicklung
26 «Innovationen sind ohne Schutz
öffentliche Güter»
29 Dr. Michael Ambühl: «Der Spitzen-
diplomat für schwierigste Fälle»
32 Der Schweizer Armee geht es bes-
ser als viele denken, aber nicht so
gut wie es ihr gehen sollte
37 Werte-Profil-Analyse hilft, eine Stel-
le optimal zu besetzen
39 Fernöstliches Gedankengut erfolg-
reich in den Führungsalltag integriert
42 Auf der Suche nach den Quellen
unternehmerischer Innovation
44 Medienvielfalt dahin – Aktienkurse
gestiegen
48 Schule muss Unterricht auf Bildungs-
standards ausrichten
51 Im Dilemma zwischen Schützen und
Nutzen
55 Datenschutz verbessern – Eigenver-
antwortung stärken
58 Technische Entwicklung: Gefahr
oder Unterstützung?
61 Gespräch mit dem abtretenden
Gründungsrektor der ZHAW
62 Annemarie Huber-Hotz spricht über
die Führung einer Freiwilligen-Orga-
nisation
64 Die Schweizerische Landwirtschaft
und die globalen Herausforderungen
im Ernährungsbereich
66 «Ins Gelingen verliebt, ans Scheitern
nie denkend»
68 Willkommen als Lilienberg Freund
69 Die Schweiz braucht wieder eine
Medienpolitik
U N T E R N E H M E R T U M
B E G E G N U N G
G E S P R Ä C H
B I L D U N G
A U S B L I C K
M I T G L I E D S C H A F T
B L I C K W I N K E L
Herausgeberin
Stiftung Lilienberg
Unternehmerforum
CH-8272 Ermatingen
Telefon +41 71 663 23 23
Fax +41 71 663 23 24
info@lilienberg.ch
www.lilienberg.ch© Stiftung Lilienberg Unternehmerforum, Ermatingen
Redaktion und Konzeption
Lilienberg Unternehmertum, Hinwil
Stefan Bachofen, Wilhelm Knecht
Bilder – Fredy Blunier, Vinzenz Zahner,
Layout – Alinéa AG, Wetzikon
Druck – pmc, Oetwil am See
Lilienberg
Die Zeitschrift für lebendiges
Unternehmertum
Nr. 26 – Juli 2011
Erfolgreiche Unternehmer zeichnen sich
durch verschiedene Eigenschaften aus.
Sie müssen schöpferisch Visionen entwi-
ckeln, kreativ denken und konstruktiv
handeln. Und vor allem müssen sie mit
Zuversicht ans Werk gehen – mit einer
Zuversicht, die auch die Mitarbeitenden
spüren und diese stärkt. Wer Zuversicht
ausstrahlt, dem folgen seine Mitmen-
schen auch in schwierigen Zeiten, wenn
das Ziel noch in weiter Ferne ist. Zuver-
sicht ist auch die Begleiterin der eigenen
Tüchtigkeit. Der tüchtigste Unternehmer
kommt ohne Zuversicht nicht weit.
Doch was ist Zuversicht und wie gewinnt
man sie? Zuversicht könnte man als tiefe
Überzeugung umschreiben, dass die Zu-
kunft Gutes bringt, dass man durch das
eigene Wirken zum Erfolg kommt. Zuver-
sicht ist eine Frage der inneren Einstel-
lung, ein Bekenntnis dazu, dass man in-
nere Stärke braucht. Zuversicht beruht
auch auf Vertrauen in uns selbst und in
unsere Mitarbeitenden. Zuversicht kann
man somit nicht lernen. Zuversicht kann
man aber durch Erfahrung und Erleben
wecken und stärken. Dazu braucht es Mit-
menschen, die helfen, die eigene Zuver-
sicht in der persönlichen Begegnung und
Auseinandersetzung hervorzuholen und
zu fördern. Wer sich in solchen Gesprä-
chen einbringen kann, hat den ersten
Schritt zur Klärung getan und kann da-
durch Halt und Zuversicht gewinnen.
Doch vielen Menschen in leitender Stel-
lung fehlt diese Gelegenheit zum zwi-
schenmenschlichen Gespräch, zur klären-
den Auseinandersetzung mit Mitmen-
schen, die auf gleicher Stufe stehen,
offen und unabhängig sind. Das trifft für
Politiker, Manager und auch für Unter-
nehmer zu – vor allem dann, wenn sie
vor existenziellen und grundlegenden
Fragen und Herausforderungen rund um
das eigene Unternehmertum stehen. Die
Rede von der Einsamkeit an der Spitze ist
kein Allgemeinplatz, sondern Realität –
oft mit fatalen Folgen.
Auf Lilienberg Zuversicht stärken
Lilienberg ist ein idealer Ort, wo sich Un-
ternehmer zusammenfinden können, um
im vertrauten Gespräch Halt zu finden
und die eigene Zuversicht zu stärken. Das
Lilienberg Unternehmerforum ist für Un-
ternehmer ein bestgeeigneter Denkplatz
für eigene Aktivitäten, Konferenzen, Se-
minare und Tagungen, wo sie sich mit
ihrem eigenen Umfeld und mit ihresglei-
chen zurückziehen können, um Grund-
satzfragen zu klären.
Lilienberg bietet in den Bereichen Begeg-
nung, Gespräch und Bildung Aktivitäten
an, die auch zur Stärkung der eigenen
Zuversicht beitragen können. In der Be-
gegnung mit hervorragenden Persönlich-
keiten lernt man, den eigenen Standpunkt
zu hinterfragen und zu klären, in den An-
lässen der Aktionsfelder setzt man sich
mit den relevanten Themen unserer Zeit
auseinander und gewinnt Zuversicht in der
heutigen von grosser Unsicherheit ge-
prägten Zeit. Und schliesslich setzt man
sich in den Fach- und Sachgesprächen des
Bereichs Bildung im direkten Vergleich mit
anderen unternehmerischen Persönlich-
keiten auseinander und lernt, sicher mit
neuen Tools umzugehen.
Gewinnen auch Sie auf dem Lilienberg
Zuversicht für sich und Ihr Unternehmen
– sei es als Kunde in unseren schönen
Räumlichkeiten, als Nutzniesser unserer
Dienstleistungen oder als Teilnehmer un-
serer vielfältigen Aktivitäten!
Von Christoph Vollenweider
E D I T o R I A L
Zuversicht gewinnen und ausstrahlen
4
U N T E R N E H M E R T U M
Die Aussagen von Bundesrätin Doris
Leuthard zur Verkehrskonzeption 2030
führten im Nachgang zur Medienkonfe-
renz von Anfang Jahr teilweise zu gehar-
nischten Kommentaren bei den Politikern
und in der Presse. Aussagen wie «Für die
stetig wachsende Mobilität braucht es
über Jahre Milliarden» oder «Alle müssen
für die Mobilität mehr bezahlen» führten
zu einer überraschenden Betroffenheit. In
unserer gesättigten Gesellschaft haben
wir uns daran gewöhnt, dass hohe Stan-
dards in den Bereichen Sicherheit, Bildung
und Mobilität zur Normalität gehören.
Doch ist dies so normal? Breite Kreise der
Bevölkerung sind sich keineswegs be-
wusst, dass genau dies die eigentlichen
Ressourcen unseres Landes sind und damit
die Grundvoraussetzungen für Stabilität,
Berechenbarkeit, wirtschaftliche Prospe-
rität, Arbeitsplätze und Wohlstand bilden.
Damit liegt aber auch die Erkenntnis
nahe, dass eine griffige, transparente
und glaubwürdige Sicherheits-, Bildungs-
und Mobilitätspolitik die Voraussetzung
für die Zukunftsfähigkeit unseres Wirt-
schaftsstandortes bilden.
Sicherheit – ein sehr weitläufiger
Begriff
Was umfasst Sicherheit? Sicherheit be-
zeichnet den Zustand, der frei von unver-
tretbaren Risiken ist, damit als gefahren-
frei angesehen wird und deshalb die
kreative und innovative Entfaltung der
Menschen zulässt. Sicherheit ist deshalb
umfassend und beinhaltet viele Teilaspek-
te und Politikbereiche.
Von Hans Gall*
Sicherheit, Bildung und Mobilität sind unsere Trümpfe im globalen Wettbewerb
Sicherheit umfasst:
• Schutzderphysischenundterritorialen
Integrität (Sicherheits- und Armeepo-
litik)
• SchutzdesEigentums
• öffentlicheSicherheit(Polizei,Umwelt-
schutz, Lebensqualität)
• individuelle Sicherheit (Gesundheits-
wesen, soziale Sicherheit, Altersvorsor-
ge, Datenschutz)
• wirtschaftlicheSicherheit(Rahmenbe-
dingungen und Marktzugang, Versor-
gungssicherheit)
• Rechtssicherheit(Gewaltentrennung)
• technischeSicherheit(Standardsund
Sicherheitstechnik)
• Verkehrssicherheit
• Informatiksicherheit
Bildung fördert Kreativität und
Innovation
Bildung ist die Grundlage für den stetigen
Entwicklungsprozess des Menschen, bei
dem er seine geistigen, kulturellen und
praktischen Fähigkeiten und sozialen
Kompetenzen gemäss seinen Anlagen
einsetzen und erweitern kann. Dies för-
dert Kreativität, Innovation und das
selbstständige, verantwortungsbewusste
Handeln, ist motivierend und unterstützt
so die Leistungsbereitschaft. Qualifizier-
te und gut honorierte Arbeit schafft
Markt, Konsum, weitere Arbeitsplätze
und schliesslich Wohlstand.
Bildung umfasst:
• Vorschul-, Grundschul-, Primar- und
Sekundarschule
• dualeBerufsausbildung
• Fachhochschule
• Hochschule
• Weiterbildung
• leistungsgerechteEntfaltungsmöglich-
keit
Mobilität beeinflusst alle
Lebensbereiche
Mobilität ist im Wirtschafts- und Privat-
leben von grundlegender und stets um-
fassenderer Bedeutung. Mobilität ver-
schafft uns Zugang zu Arbeit und Freizeit.
Sie beeinflusst in signifikanter Art prak-
tisch alle Lebens- und Gesellschaftsberei-
che, vom persönlichen Zeitmanagement
über die Arbeit bis zur Siedlungspolitik
und Raumplanung in unserem Land. Da-
raus entsteht im unternehmerischen Sinn
ein Markt mit einem Bedarf, der bedient
und auch gemanagt werden muss. Un-
sere Arbeitswelt befindet sich im Um-
bruch.
Mobilität umfasst:
• MobilitätaufderSchiene
• MobilitätaufderStrasse
• öffentlichenVerkehr
• Luftverkehr
• Raumplanung(Siedlungs-,Wirtschafts-
und Erholungsraum)
• BereitstellungderInfrastruktur(Lasten-
und Finanzausgleich)
Die drei wichtigsten Ressourcen unseres
Landes und damit Grundvoraussetzun-
gen für Stabilität, Prosperität, Arbeits-
plätze und Wohlstand: Sicherheit …
… Bildung …
Hans Gall
6 7
Neben den Aspekten der Raumplanung
erlauben auch die modernen und künf-
tigen Informations- und Kommunikati-
onstechnologien einen tief greifenden
Kulturwandel im beruflichen, familiären
und sozialen Bereich. Gemäss dem Trend-
report der Stiftung Produktive Schweiz
bricht die Erwerbstätigkeit aus ihrem
bisher klar definierten Rahmen aus und
wird zu einem integralen und integrierten
Lebensbestandteil.
Welches sind im Zusammenhang mit der
Mobilität die politischen und unterneh-
merischen Herausforderungen der Zu-
kunft?
• AusserordentlichedemografischeEnt-
wicklung bei gleichzeitig erhöhten An-
forderungen der Zuzüger an das Woh-
nen, das Arbeiten und an die Mobilität
(Wertewandel). Immer mehr Menschen
legen immer häufiger immer längere
Wege zurück.
• Verlagerung der Wirtschaft hin zum
Dienstleistungssektor. Bereits heute sind
in der Schweiz 50 Prozent der arbeiten-
den Bevölkerung im Dienstleistungssek-
tor tätig. Auch dies führt zu wachsenden
Mobilitätsbedürfnissen.
• Beeinflussung der Siedlungsentwick-
lung durch die Strasse und neu auch
der Landschaft über Siedlungen (Dörfer,
Städte, Agglomerationen, Metropolitan-
Räume) bis hin zu den Versorgungs-
und Verkehrseinrichtungen. Die Raum-
planung wird beeinflusst durch die Be-
völkerungsbewegungen, durch Verände-
rungen des menschlichen Verhaltens,
durch den permanenten wirtschaftlichen
und gesellschaftlichen Wandel und durch
die Ansprüche an Wohnen, Arbeiten,
Freizeit und Mobilität des Menschen so-
wie an die ökologischen Bedingungen.
• virtuelleMobilität(globalerAustausch
von Informationen ohne räumliche Be-
wegung und ohne Zeitverzug)
• MobilitätinderArbeitsplatzgestaltung
(«work anywhere» ist hier ein wichtiges
Stichwort)
Gemäss dem Juristen Prof. Dr. Martin
Lendi ist Mobilität auch eng mit der
Raumplanung verbunden. Inhaltlich geht
es bei der Raumplanung um die Erhaltung
und Gestaltung des Lebensraumes – von
durch den öffentlichen Verkehr (Taktfahr-
plan mit hohem Leistungsangebot auf
Schiene und Strasse).
• BelastungderLandgemeindendurch
Forderungen bezüglich Infrastruktur und
Leistungsangebot.
• LastenausgleichzwischendenZentren
(Städten) und den Landgemeinden.
• Führung mit neuen Arbeitsmodellen
und moderner Informations- und Kom-
munikationstechnik.
Gute Bedingungen für Sicherheit,
Bildung und Mobilität schaffen
Fazit: In unserem ressourcenarmen Land
sind Sicherheit, Bildung und Mobilität
die entscheidenden Trümpfe im globalen
Wettbewerb. Um die Zukunftsfähigkeit
des Wirtschaftsstandortes Schweiz zu
bewahren und auszubauen, müssen die
Politik und die Wirtschaft alles daranset-
zen, in diesen drei Bereichen gute Rah-
menbedingungen zu erhalten oder wenn
nötig zu schaffen. Wir sind gefordert,
intelligente Gesamtkonzepte zu erarbei-
ten, aufeinander abzustimmen und nach
den Grundsätzen der Nachhaltigkeit zu
optimieren. Dabei stehen die Sinnfrage
und die Frage nach der Wirtschaftlich-
keit im Zentrum. Macht eine Swissmetro
Sinn, die es einem Mitarbeiter erlaubt, in
der Agglomeration Zürich zu wohnen
und in Genf zu arbeiten, wobei er mit
Sicherheit nicht für die verursachten Kos-
ten aufkommt?
Wie bereits erwähnt, revolutionieren die
modernen und künftigen Informations-
und Kommunikationstechnologien auch
die Arbeitswelt. Workstyle wird ebenso
wichtig wie Lifestyle. Neben der zuneh-
menden Bedeutung des globalen Talent-
Pools kommt auch das Ende des Ru-
hestandes. Flexible Arbeitszeitmodelle
gestatten die Bildung von Drei- und Vier-
Generationen-Führungsteams.
Ein Umdenken wird in unserer Gesell-
schaft stattfinden. Wir können den Wirt-
schaftsstandort Schweiz nicht durch
ausufernde Gesetze, Vorschriften und
Reglemente, sondern nur mit einer ganz-
heitlichen Politik in den strategischen
Bereichen Sicherheit, Bildung und Mobi-
lität menschenwürdig und zukunftsfähig
gestalten. Dies ist die gemeinsame Auf-
gabe der Politik, der Führungsverant-
wortlichen und der Unternehmerschaft.
Sicherheit
Nur Menschen, die sich sicher füh-
len, können sich frei entfalten,
kreativ sein und Verantwortung
übernehmen. Dies schafft weitere
Arbeitsplätze und Wohlstand.
Bildung
Dank guter Bildung können sich Men-
schen besser und ihren Fähigkeiten
entsprechend entwickeln und enga-
gieren. Auch dies schafft Konsum,
weitere Arbeitsplätze und Wohlstand.
Mobilität
Dank einer ausgezeichneten Infor-
mations-, Kommunikations- und
Verkehrsinfrastruktur verschwenden
Menschen weniger Zeit und kön-
nen sich beruflich und privat stär-
ker engagieren. Dies motiviert, gibt
Raum für Kreativität und Innovation,
schafft weitere Arbeitsplätze und
nützt der Umwelt.
*Hans Gall, Divisionär a.D, wohnt in
Ebmatingen und ist Mitglied des Ehren-
teams der Stiftung Lilienberg Unterneh-
merforum. Als Präsident der FDP Maur
ist er auch politisch aktiv.
… und Mobilität.
8
U N T E R N E H M E R T U M E D I T o R I A L
Als Direktor des grössten Schweizer Flug-
hafens bin ich zwar kein Unternehmer im
klassischen Sinn. Dennoch stehen das
unternehmerische Denken und Handeln
im Mittelpunkt meiner Tätigkeit. Die un-
ternehmerischen Entscheide, die täglich
gefällt werden müssen, bewegen sich – in
einer komplexen Infrastruktur wie dem
Flughafen – zwischen einem sehr lang-
fristigen Planungshorizont und vielen
kurzfristigen operationellen Fragestellun-
gen. Langfristig denken und danach han-
deln, ist deshalb mein Credo – auch bei
scheinbar kurzfristigen Aufgaben.
Vor diesem Hintergrund ist es klar, dass
ich Verantwortung delegieren muss. Das
bedeutet, dass Vertrauen in meine Mit-
arbeitenden eine zentrale Komponente
für den Geschäftserfolg ist. Dieses Ver-
trauen kann nur dann weitergegeben
werden, wenn sichergestellt ist, dass auch
die Mitarbeitenden unternehmerisch
denken und handeln.
Die Unternehmenskultur den
Mitarbeitenden vorleben
Welche Faktoren prägen die unterneh-
merische Persönlichkeit? Meine Verant-
wortung als Chef ist es, die Kultur und
die Spielregeln vorzuleben und die Mit-
arbeitenden dafür zu gewinnen. Auf die-
ser Grundlage soll und darf unternehme-
rische Kreativität entstehen. Ein Unter-
nehmer zeichnet sich auch dadurch aus,
dass er schöpferisch denkt und entschei-
dungsfreudig ist. Er kann seine Ideen so
konkretisieren, dass er sie in erfolgreiche
Dienstleistungen, Produkte oder Prozes-
se zu übersetzen vermag. Dies bedeutet
im Weiteren, dass er eine gewisse Risiko-
bereitschaft mitbringt, um so die Chan-
cen zu nutzen und die Risiken realistisch
einzuschätzen. Er muss die Verantwor-
tung übernehmen, um seinen Ideen zum
Erfolg zu verhelfen.
Von Thomas E. Kern*
Im Unternehmen ist ein gutes Team mehr wert als ein einzelner Star
Der Flughafen Zürich mit seinen drei
Pisten von oben.
Dabei ist die emotionale Stabilität eine
unerlässliche Eigenschaft, denn eine un-
ternehmerisch handelnde Persönlichkeit
muss in der Lage sein, Misserfolge zu ver-
arbeiten und kritische Situationen mit der
nötigen Klarheit und Übersicht zu bewäl-
tigen. Auch in der täglichen Zusammen-
arbeit mit Teammitgliedern und Kunden
oder Investoren muss die Unternehmer-
persönlichkeit die Fähigkeit zur Empathie
haben, will heissen die Fähigkeit, sich in
sein Gegenüber hineinzuversetzen, ohne
dabei emotional zu reagieren.
Überzeugende Vision stellt
Motivation sicher
Die Vision eines Unternehmens – ein
möglichst konkretes Bild in der Zukunft,
das durch kreatives Schaffen Realität wer-
den soll – muss überzeugen und begeis-
tern. Nur so ist die Leistungsmotivation
sichergestellt. Der Wunsch ist also, Auf-
gaben selbstständig und zielorientiert
anzugehen und die eigenen Fähigkeiten
unter Beweis zu stellen. Das wiederum
stärkt das Vertrauen in die eigenen Fä-
higkeiten und unterstützt die Eigeniniti-
Das Airside Center lädt mit seiner impo-
santen Struktur zum Verweilen ein.
Thomas E. Kern
10 11
verschiedensten Fachdisziplinen gefragt,
die wie ein Räderwerk ineinandergreifen.
Alle müssen für ihren Teil die volle Ver-
antwortung übernehmen und sich auch
für die interdisziplinäre Schnittstelle zur
nächsten Facheinheit verantwortlich füh-
len. Die Flughafen Zürich AG beschäftigt
1500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
aus rund 60 verschiedenen Berufsberei-
chen und bietet verantwortungsvolle
Aufgaben in einem einzigartig spannen-
den Umfeld. Gemeinsam mit über 270
Flughafenpartnern, die insgesamt zirka
25 000 Menschen beschäftigen, sorgen
wir dafür, dass die Infrastruktur der gröss-
ten Luftfahrtdrehscheibe der Schweiz
zuverlässig funktioniert. Wir betreiben
das Tor der Schweiz zur Welt und «the
gateway to the Alps».
Hinweise von Kunden und
Mitarbeitenden ernst nehmen
Kunden sind in aller Regel die besten Be-
rater, denn sie wissen genau, welche Be-
dürfnisse sie haben und wie ein Service
oder ein Produkt ausgestaltet sein muss,
damit sie ihre Zwecke erfüllen. Dieses
Know-how gilt es für uns als Unterneh-
men zu nutzen, ebenso müssen Hinwei-
se und Warnungen von Mitarbeitenden
ernst genommen werden, denn Krisen-
signale können so frühzeitig erkannt
werden. Eine weitere Komponente des
Unternehmertums ist die Problemlö-
sungsfähigkeit. An einem Flughafen sind
die Abläufe zwar klar organisiert und
strukturiert. Dennoch gibt es auch sehr
viele Aufgaben, die keiner Routine ent-
sprechen, dies oft verbunden mit einem
grossen Zeitdruck. Mitarbeitende mit
unternehmerischem Fokus müssen in der
Lage sein, souverän mit unbekannten
Situationen umzugehen, um die Hand-
lungsfähigkeit des «Systems Flughafen»
aufrechtzuerhalten.
Von Stefan Bachofen
Gastautoren als Vergleichspersönlichkeiten
Die eigene Unternehmertum-Philosophie zum Vergleich stellen, nicht als Lehrmei-
nung, sondern als Beispiel für lebendiges Unternehmertum. So lautet ein zentra-
ler, von Dr. h. c. Walter Reist akzentuierter Unternehmensgrundsatz. Die Teilneh-
menden der zahlreichen Gesprächs- und Bildungsveranstaltungen auf Lilienberg
stehen auf Augenhöhe mit ausgewiesenen Persönlichkeiten, leiten aus dem Erfah-
rungsaustausch ihre persönlichen Meinungen ab, um die vielfältigen Herausfor-
derungen im eigenen Unternehmen zu meistern. Seit einiger Zeit stellt sich auch
in der Lilienberg Zeitschrift in der Rubrik «Unternehmertum» eine Unternehmer-
persönlichkeit zum Vergleich. Zuletzt taten dies Dr. Günter Heuberger, Geschäfts-
führer der Top-Medien in Winterthur (Ausgabe Nr. 24), und der ehemalige Natio-
nalrat Peter Bodenmann, Hotel-Unternehmer im Kanton Wallis (Ausgabe Nr. 25).
Für die vorliegende aktuelle Ausgabe konnte die Redaktion der «Lilienberg Zeit-
schrift» Thomas Kern, CEO von Unique, der Betriebsgesellschaft des Flughafens
Zürich-Kloten, als Gastautor gewinnen. Wie alle bisherigen Autoren formuliert
auch Thomas Kern Gedanken zu grundsätzlichen unternehmerischen Themen
und vertritt dabei seine persönliche Meinung. Dies soll anderen Unternehmerin-
nen und Unternehmern ermöglichen, die Erkenntnisse im unternehmerischen Wir-
ken in den Vergleich zu den eigenen Standpunkten zu bringen.
Besser sein als die Konkurrenz
Die Betreiberin des Flughafens Zürich
bezieht bei ihrer Strategie und deren Um-
setzung neben einem konsequenten un-
ternehmerischen Denken auch die Fakto-
ren Umwelt und Gesellschaft in ihre
Entscheidungsprozesse ein. Ziel ist es,
dank dieser Betrachtungsweise die Wett-
bewerbsfähigkeit und die Glaubwürdig-
keit sowie den Wert des Unternehmens
nachhaltig zu steigern. Der Flughafen
Zürich ist Teil der Wirtschaft und der Ge-
sellschaft. Diese Verantwortung nehmen
mein Team und ich täglich wahr, indem
wir versuchen, Höchstleistungen zu er-
bringen. Denn langfristig garantiert nur
ein Rezept den Erfolg im Wettbewerb:
Besser sein als die Mitbewerber!
* Thomas E. Kern (57) ist seit Januar 2008
CEO der Flughafen Zürich AG. Er trat in
dieser Funktion die Nachfolge von Josef
Felder an. Zuvor war er als CEO der Glo-
bus-Gruppe tätig.
ative, die eine essenzielle Eigenschaft
eines Unternehmers ist. Die Mitarbeiten-
den müssen mit Fachwissen und Ent-
schlossenheit Handlungsstrategien ent-
wickeln, damit das Gesamtunternehmen
seine Vision erreichen kann.
Die volle Verantwortung
jedes Einzelnen
Ein weiteres Kernelement des unterneh-
merischen Denkens und Handelns ist
die Fähigkeit zur Zusammenarbeit. Ich
bin überzeugt, dass im Unternehmen ein
gutes Team mehr wert ist als ein einzel-
ner Star. An einem Flughafen sind die
Ein Blick auf die Fassade des Airside Center des Flughafens Zürich.
12 13
U N T E R N E H M E R T U M E D I T o R I A L
Von Stefan Bachofen
Aktionsfeldleiter mit Liebe zu fremden Kulturen«Soll und kann Schule alles können?»
Unter diesem Titel hat im Frühling auf
Lilienberg der Jahreszyklus 2011 im Ak-
tionsfeld Bildung & Sport begonnen. Mit
Dr. Heinz Bachmann zeichnet ein neuer
Mann für den Inhalt der Veranstaltungen
dieses Aktionsfeldes verantwortlich. Ein
vielseitig interessierter Mensch mit zahl-
losen Facetten und einer ganz speziellen
Liebe, der Liebe zu fremden Kulturen.
In Ghana geboren, in Hinwil im Zürcher
Oberland aufgewachsen, beruflich als
Sekundarlehrer, Lehrerberater, Schulpsy-
chologe, Entwicklungsexperte, Buchau-
tor, Forscher, Projektleiter und Hoch-
schuldozent tätig. Daneben Einsätze im
Ausland als Wahlbeobachter und Konsu-
lent. Das Berufsleben von Dr. Heinz Bach-
mann verlief bisher überaus abwechs-
lungsreich, und der Leistungsausweis des
57-Jährigen ist lang, sehr lang. Heute hat
der Vater von zwei Buben aus Winterthur
eine Anstellung mit einem 80-Prozent-
Pensum als Leiter des Zertifikatlehrgangs
Hochschuldidaktik an der Pädagogischen
Hochschule Zürich. «Ziel dieses Lehr-
gangs ist es, Dozierende an Fachhoch-
schulen und Pädagogischen Hochschulen
zu befähigen, ihre Lehrtätigkeit auf das
studentische Lernen auszurichten und in
diesem Sinne zu optimieren», erzählt
Bachmann. In den restlichen 20 Prozent
nimmt er selbst Lehraufträge an, zum
Beispiel als Aktionsfeldleiter Bildung &
Sport am Lilienberg Unternehmerforum,
schreibt Bücher und Publikationen oder
forscht. So hat er unter anderem Tagun-
gen zu interkulturellem Lernen und inter-
kultureller Kommunikation durchgeführt.
Andere Kulturen und andere Sichtweisen
haben Bachmann schon immer fasziniert.
Nicht nur, weil er in Ghana zur Welt ge-
kommen ist und dort später an einer
Mittelschule auch unterrichtet hat. Eben-
so prägend war sein allererster längerer
Auslandaufenthalt in Peru, wo er in einem
Waisenhaus Kinder im Alter von drei bis
sieben Jahren betreut hat.
Wahlbeobachter im Dienst der UNO
Mit anderen Kulturen sieht sich der rei-
sefreudige Heinz Bachmann, Sohn eines
Automechanikers, auch heute immer
wieder konfrontiert. Für die Vereinten
Nationen (UNO) und die Organisation für
Sicherheit und Zusammenarbeit in Euro-
pa (OSZE) hatte er Mandate als Wahlbe-
obachter. Beispielsweise in Namibia, Süd-
afrika und Bosnien. «Bei diesen Einsätzen
ging es darum, Länder, die politisch un-
abhängig wurden, bei der Organisation
und Überwachung der ersten freien po-
litischen Wahlen zu unterstützen und zu
begleiten.» Seine jüngsten Einsätze als
Wahlbeobachter leistete Bachmann im
vergangenen Jahr in Togo, in Kirgistan
und in Weissrussland. Erst vor ein paar
Wochen kehrte er aus Bangladesch zu-
rück, wo er während eines Monates als
Konsulent in einem grossen Berufsbil-
dungsprojekt wirkte.
«Unser Bildungssystem liegt mir
am Herzen»
Seit Kurzem hat Heinz Bachmann, der
nach der Ausbildung zum Sekundarlehrer
an der Universität Zürich ein Psychologie-
Studium absolvierte und seine Disserta-
tion zum Thema «Die Einflüsse von Kultur
und Sozialisation auf das Denken»
schrieb, ein weiteres berufliches Betäti-
gungsfeld: Als Nachfolger von Georg
Leumann leitet er beim Lilienberg Unter-
nehmerforum das Aktionsfeld Bildung &
Sport. Neben der Lust, der Neugier und
der Freude, auf Lilienberg neue und
interessante Leute kennenzulernen, sich
mit ihnen auszutauschen und neue Er-
kenntnisse zu gewinnen, bezeichnet
Heinz Bachmann das Unternehmerforum
«als ideale Plattform, anstehende Prob-
leme der Schule in einem erweiterten
Gremium mit Persönlichkeiten aus Wirt-
schaft und Politik zu diskutieren.»
«Soll und kann Schule alles können?»,
lautet der Titel des aktuellen Jahreszyklus
im Aktionsfeld Bildung & Sport. Die Tat-
sache, dass in den vergangenen Jahren
immer mehr gesellschaftliche Probleme
an die Schule delegiert worden sind,
hat dazu geführt, dass die eigentlichen
Kernaufträge der Schule vernachlässigt
werden. Heinz Bachmann hofft, mit den
Veranstaltungen auf Lilienberg einen
kleinen Beitrag zur Versachlichung der
Diskussion über die Schule leisten zu kön-
nen. «Denn unser Bildungssystem liegt
mir wirklich am Herzen», betont er.
Unternehmensförderung
in Ecuador und Peru betrieben
Heinz Bachmann ist ein unternehmerisch
denkender Mensch, der im Bildungsbe-
reich Verantwortung übernommen hat
und die Probleme und Herausforderun-
gen unserer Schule unternehmerisch, das
heisst ganzheitlich, unter Berücksichti-
gung der menschlichen, sachlichen und
wirtschaftlichen Gesichtspunkte, anpa-
cken will. Die unternehmerische Perspek-
tive im engeren Sinne lernte er übrigens
in den Jahren 2002 bis 2005 kennen. Bei
Swisscontact, der Entwicklungsorganisa-
tion der Schweizer Wirtschaft und der
Hochschulen, arbeitete er als Programm-
direktor in der Entwicklungszusammen-
arbeit, wo er mehr als zehn Projekte im
Bereich der Unternehmensförderung
schwerpunktmässig in Ecuador und Peru
betreute.
Dr. Heinz Bachmann weilt regelmässig als Wahlbeobachter oder als Konsulent im Ausland. Seinen jüngsten Einsatz hatte er im
Frühling in Bangladesch. Unser Bild zeigt den neuen Aktionsfeldleiter Bildung & Sport auf einer Werft in Dhaka.
1514
Von Stefan Bachofen
B E G E G N U N G
Heinz Bachmann als Buchautor
Mit der Gründung und Neuausrichtung des Hochschul-
typs Fachhochschulen ist Bewegung in die Schweizer
Bildungslandschaft auf der tertiären Stufe gekommen.
Vieles ist noch im Fluss und nicht endgültig geklärt.
Dies eröffnet Gestaltungsspielräume und Einflussmög-
lichkeiten, die Heinz Bachmann spannend und herausfor-
dernd findet. «Mich fasziniert die Schnittstelle zwischen
Theorie und Praxis. Den Zertifikatslehrgang in Hoch-
schuldidaktik konnte ich selbstständig konzipieren und
entsprechende Fachreferenten verpflichten», freut sich
Bachmann. Gleichzeitig nehme er sich immer auch die
Zeit, kleinere Unterrichtseinheiten selber zu vermitteln,
um so im Kontakt mit den Kursteilnehmenden zu blei-
ben. Gegenwärtig ist der neue Leiter des Lilienberg Akti-
onsfeldes Bildung & Sport mit seinem Team am Aufbau
eines hochschuldidaktischen Zentrums mit dem Fokus
auf Fachhochschulen beschäftigt.
Erst kürzlich ist ein Buch von Heinz Bachmann erschie-
nen, in dem es um die Neuausrichtung in der Hochschul-
lehre geht: Bachmann, H. (Hrsg.), «Kompetenzorien-
tierte Hochschullehre», hep-Verlag, Bern 2011. Eine
weitere Publikation Heinz Bachmanns beschäftigt sich
mit der Volksschule und Themen, die auch Gegenstand
seiner Veranstaltungen auf Lilienberg sein werden. Das
Werk, das vor zwei Jahren in den Buchhandel kam, trägt
den Titel «Ist unsere Volksschule noch zeitgemäss
und artgerecht?», und ist im Sauerländer & Cornelsen-
Verlag in Aarau erschienen.
Und was wir von Heinz Bachmann sonst noch wis-
sen wollten …
Hier halte ich mich am liebsten auf: Trotz der vielen
Reisen immer noch in Winterthur.
Ich bin ein Muffel beim: Gärtnern.
Das kann ich nicht ausstehen: Halbwahrheiten.
Ich habe Angst vor: Der zunehmenden Komplexität
unserer Systeme, die unsere menschliche Natur mehr und
mehr überfordert («Der Zauberlehrling» von Goethe lässt
grüssen).
Eine Schwäche habe ich für: Luxemburgerli von Sprüngli.
Meine Lieblingsfilme sind: Wechselnd – im Moment
«The King’s Speech».
Zurzeit liegt in meinem CD-Player: Eine Blues-Antho-
logie.
Meine jetzige Bettlektüre: «Wer bin ich, wenn ich
online bin … und was macht mein Gehirn solange? – Wie
das Internet unser Denken verändert» (Nicholas Carr).
Mein erstes Geld habe ich verdient: Als Zweitklässler
im Landdienst bei meinen Verwandten.
Mein Vorbild ist: Ein Idealbild – ein Mensch, der es ver-
steht, mit Anstand alt zu werden und zufrieden zu sein,
mit dem was er hat.
Mein Erholungsrezept ist: Daran arbeite (!) ich noch.
Als Kind wollte ich: Meinen eigenen Weg gehen.
Die genialste Erfindung ist: Die steht noch aus – also
dranbleiben ihr Forscher und Tüftler!
Am Lilienberg Unternehmerforum schätze ich: Den
Kontakt mit interessanten Menschen.
Beeindruckende Unternehmerpersönlichkeiten mit Lilienberg Preisen ausgezeichnetDer Thurgauer Unternehmer Peter Spuh-
ler, Inhaber und CEO der Stadler Rail
Group, die Winterthurer Top-Medien-
Gruppe mit Geschäftsführer Dr. Günter
Heuberger und die Technopark-Allianz
um ihren Gründer Dr. Thomas von Wald-
kirch. So heissen die Lilienberg Preisträger
2011, die die Stiftung Lilienberg Unter-
nehmerforum im April ausgezeichnet hat.
Rund 120 Gäste wohnten bei herrlichem
Frühlingswetter den Feierlichkeiten bei.
Ekaterina Frolova und Vesselin Stanev war
es vergönnt, den Festanlass vom 8. April
mit den Fantasiestücken für Violine und
Klavier von Robert Schumann musikalisch
zu eröffnen. Daraufhin ergriff Stiftungs-
ratspräsident Dr. h. c. Walter Reist das
Wort. Die zehnte Preisverleihung finde
nicht mehr wie früher in kleinem Rahmen
in der Aula statt, sondern erstmals vor
einer ansehnlichen Festgemeinde im Zen-
trum, freute er sich. «Die drei Preisträger
erscheinen deshalb heute in Begleitung
einer grösseren Delegation», so Walter
Reist. Unter den geladenen Gästen waren
etwa der Regierungsratspräsident des
Kantons Thurgau, Dr. Jakob Stark (SVP),
der Zürcher Stadtrat Martin Waser (SP)
und, als Vertreter der Winterthurer Stadt-
regierung, Dr. Matthias Gfeller (Grüne
Partei). Auch Ermatingen, Standortge-
meinde des Lilienberg Unternehmerfo-
rums, und Hinwil, Wohn- und Bürgerge-
meinde von Walter Reist, waren mit einer
Behördendelegation vertreten.
Stiftungsratspräsident Dr. h. c. Walter
Reist (Zweiter von links) zusammen mit
den Preisträgern 2011: Peter Spuhler,
Dr. Thomas von Waldkirch und
Dr. Günter Heuberger (von links).
16 17
U N T E R N E H M E R T U M
Mehr auf die Gefühle vertrauen
Christoph Vollenweider, Leiter Unterneh-
mertum bei der Stiftung Lilienberg Un-
ternehmerforum, appellierte in seiner
Festansprache an die anwesenden Un-
ternehmer, dem menschlichen Aspekt
mehr Bedeutung zu schenken. Dies sei
auch ein zentraler Punkt der Lilienberg
Unternehmertum-Philosophie. Sich ein-
zig auf die wirtschaftlichen und sachli-
chen Belange zu konzentrieren, wie dies
leider auch in der Politik viel zu oft
getan werde, reiche für eine erfolgreiche
unternehmerische Tätigkeit nicht aus,
sagte der Redner. Zahlreiche Probleme
könnten gelöst und viele Frustrationen
vermieden werden, wenn die Verantwor-
tungsträger in Wirtschaft, Politik und
Gesellschaft im persönlichen zwischen-
menschlichen Gespräch mehr auf das
Fühlen ihrer Mitarbeiter hören und dar-
aufhin auf die eigenen Gefühle vertrauen
würden.
Unternehmerische Projekte scheiterten
oft an rein menschlichen Problemen, die
nicht angesprochen, geschweige denn
gelöst würden. Dafür verantwortlich,
dass auch die menschliche Dimension
erkannt und eingebracht werde, sei der
Unternehmer.
Peter Spuhlers vorbildliche
Führungsstärke
Im Anschluss an Christoph Vollenweiders
Rede erhielt Peter Spuhler aus den Hän-
den von Walter Reist den Lilienberg
Personenpreis, «in Anerkennung seines
innovativen und vorbildlichen unterneh-
merischen Wirkens in Wirtschaft, Politik
und Gesellschaft», wie der Laudator,
Nationalrat Bruno Zuppiger, Mitglied des
Lilienbergrats, sagte. Es seien die Mitar-
beiterinnen und Mitarbeiter, die den Er-
folg einer Unternehmung ausmachten.
Dies betone der Preisträger stets von
Neuem. «Peter Spuhlers Mut, seine Aus-
dauer, sein Leistungswille und seine Kraft,
aber auch seine Führungsstärke sind
zweifelsfrei ein Vorbild für alle, die unter-
nehmerisch denken und handeln», so
Bruno Zuppiger, langjähriger Freund und
Sitznachbar des Geehrten im National-
ratssaal in Bundesbern.
Laufbahn und Leistungsausweis des in
Spanien geborenen Unternehmers Peter
Spuhler sind einzigartig. 1989 übernahm
er nach seinem Studium der Betriebswirt-
schaft die Stadler AG im thurgauischen
Bussnang. 20 Mitarbeitende waren da-
mals für das Unternehmen tätig, und die
Firma erzielte einen Jahresumsatz von 4,5
Millionen Franken. In den vergangenen
gut zwei Jahrzehnten baute Peter Spuh-
ler die Stadler AG in unermüdlicher Arbeit
zu einem der erfolgreichsten Industrie-
konzerne der Schweiz auf. Heute be-
schäftigt die Stadler Rail Group über
3000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
und erwirtschaftet einen jährlichen Um-
satz von 1,1 Milliarden Franken.
2006 rettete Peter Spuhler ausserdem
den damals stark kränkelnden Landma-
schinenhersteller Aebi Burgdorf. Er fusi-
onierte die Firma mit der deutschen
Schmidt Gruppe und baute sie innert vier
Jahren zu einer schlagkräftigen Unter-
nehmensgruppe mit 1700 Mitarbeiten-
den aus. Das Unternehmen weist heute
einen Jahresumsatz von 400 Millionen
Franken aus. Peter Spuhler ist heute
Mehrheitsaktionär und Verwaltungsrats-
präsident der Unternehmung.
Doch damit nicht genug: Als der einst so
illustre Winterthurer Industriekonzern
Rieter 2008 kurz vor dem Absturz stand,
trat Peter Spuhler erneut als «Retter in
der Not» auf und half dem angeschlage-
nen Unternehmen wieder auf die Beine.
Peter Spuhler zeigte sich in seinem Dan-
keswort sichtlich gerührt ob der Ehre, die
ihm mit dem Lilienberg Preis zuteilwurde.
Walter Reist bezeichnete er als grosses
Vorbild auf dem Weg zum erfolgreichen
Unternehmer. Doch Peter Spuhler ist
nicht nur eine beeindruckende Unterneh-
merpersönlichkeit, sondern auch ein
höchst angesehener Politiker. Er gilt als
Kämpfer für die Unabhängigkeit und Ei-
genständigkeit der Schweiz. Er setzt sich
engagiert für einen starken Wirtschafts-
und Werkplatz Schweiz ein und damit
verbunden für die Schaffung von Arbeits-
plätzen und Lehrstellen. «Wohlstand und
Wohlfahrt sind nicht gottgegeben. Es gibt
noch viel zu tun – packen wir es an!»,
hört man das SVP-Schwergewicht immer
wieder sagen. Was den gebürtigen Zür-
cher, der für den Kanton Thurgau im Na-
tionalrat sitzt, besonders auszeichnet:
«Seine offene und zupackende Art wird
von seinen politischen Freunden ebenso
geschätzt wie von seinen Gegnern», wür-
digte Bruno Zuppiger seinen Parteikolle-
gen.
Erfolgreiche Winterthurer
Mediengruppe
Der Lilienberg Institutionenpreis 2011
ging an die Top-Medien-Gruppe aus
Winterthur. Zu den Top-Medien gehören
Radio Top, Tele Top und Top Two. Die
Top-Mediengruppe mit Geschäftsführer
Dr. Günter Heuberger erhalte den Preis
«in Anerkennung ihrer ausserordentli-
chen unternehmerischen Leistung als
mediale Kraft mit starkem unternehme-
rischem Profil, eigenständiger staats-
bürgerlicher Verantwortung und aus-
geprägtem Sinn für den Dienst an
der Gemeinschaft», argumentierte Lilien-
bergrat-Mitglied Dr. Peter Forster.
Ekaterina Frolova an der Violine und Vesselin Stanev am Klavier umrahmten die Feier-
lichkeiten musikalisch.
Die Stadler Rail von Peter Spuhler mit
Unternehmenssitz in Bussnang beschäf-
tigt heute weltweit über 3000 Mitar-
beitende.
19
U N T E R N E H M E R T U M
Nach Roger Schawinski (Radio 24, Ra-
dio 1) ist Günter Heuberger der wohl be-
kannteste Pionier in der Schweizer Privat-
radio-Szene. In zähem Ringen mit den
Behörden, aber auch mit den Verlegern
der Region baute er die anfänglich lokal
auf Winterthur ausgerichteten Sender
Radio Eulach und Tele Winti zu bedeu-
tenden regionalen Institutionen aus, die
er unter den neuen Namen Radio Top
und Tele Top zu den angesehenen Top-
Medien zusammenschloss.
Seit einem Vierteljahrhundert tragen Ra-
dio Top und Tele Top zur Informations-
und Meinungsvielfalt in den Kantonen
Zürich und Schaffhausen sowie in der
ganzen Ostschweiz bei. «Günter Heuber-
gers Sender haben den Mut zur eigenen
Meinung», sagte Peter Forster. «Beide
Stationen heben sich konstruktiv und
wohltuend vom Mainstream, um nicht
zusagen vom Einheitsbrei vieler anderer
elektronischen Medien ab», so der Lau-
dator wörtlich.
Günter Heuberger bringe die Kraft auf,
mit seinem Programm einen eigenen,
einen bürgerlichen Kurs zu steuern. «Er
hält den destruktiven, ewig nörgelnden
Zeitgeist anderer Redaktionen von seinen
Sendern fern. Im Gegensatz zu den meis-
ten anderen privaten Radio- und Fern-
sehstationen im Grossraum Zürich dienen
Radio und Tele Top nicht als Plattformen
für billige Sensationen.»
In den Augen von Peter Forster zählt
Günter Heuberger zu jenen Schweizern,
die für unser Land («Walter Reist würde
sagen: für unser Vaterland») mehr leisten
als viele andere: «Sein staatsbürgerliches
Engagement als Generalstabsoffizier und
Präsident von Organisationen, die den
Wehrwillen stärken, oder von sozial aus-
gerichteten Institutionen fliesst immer
wieder auch in seine Tätigkeit als Ver-
leger ein.»
Technopark-Allianz fördert
Jungunternehmer
Den Lilienberg Förderpreis 2011 erhielt
der Verein Technopark-Allianz. Ein Tech-
nopark ist ein Ort, an dem ausgewählten
Jungunternehmern aus dem Technolo-
giesektor eine gemeinsame Infrastruktur
zur Verfügung gestellt wird. Sie gehören
vorwiegend zukunftsorientierten Bran-
chen an, wie zum Beispiel der Mikroelek-
tronik, der Informatik, der Nachrichten-
technik oder der Computertechnologie.
Aktive Jungunternehmer, innovative For-
scher und zukunftsorientierte Dienstleis-
ter beleben den Technopark.
Der erste Schweizer Technopark entstand
Mitte der Achtzigerjahre in Zürich, ge-
gründet von Dr. Thomas von Waldkirch.
Walter Reist stand der Idee des Techno-
parks damals eher skeptisch gegenüber.
Er habe die Auffassung vertreten, dass
ein Unternehmer beim Aufbau eines Be-
triebs selbst Geld in die Hand nehmen
und nicht auf Förderer zurückgreifen soll-
te, sagte er an der Preisverleihung. Diese
Meinung habe er zwischenzeitlich revi-
diert. Die Förderung von Jungunterneh-
mern habe heute einen hohen Stellen-
wert, betonte Walter Reist.
Thomas von Waldkirch ist ein unterneh-
merisch begabter Pionier. 1986 gründete
er die neue Stelle «ETH Transfer» und
1987 das Zentrum für Technologietrans-
fer. In Partnerschaft mit Sulzer-Escher
Wyss entstand der Technopark Zürich,
dessen Leitung Thomas von Waldkirch
übernahm.
Um die Jahrtausendwende wuchs in Win-
terthur ein zweiter Technopark heran,
unter dem gleichen Namen, aber mit ei-
gener lokaler Verantwortung. Weitere
Technoparks entstanden nach und nach:
Luzern 2003, Aargau 2005, Lugano 2009
und der Bio-Technopark Schlieren-Zürich
2010. Auf dieser Grundlage wurde der
Verein Technopark-Allianz gegründet.
Diese Allianz erhielt nun den Lilienberg
Förderpreis 2011, «in Anerkennung ihrer
unternehmerischen Leistungen in der
gezielten und umfassenden Förderung
des Jungunternehmertums in der
Schweiz», sagte Laudatorin Alexandra
Frei vom Lilienberg Ehrenteam.
Mit der Komposition «Tzigane – Rapsodie
de Concert» des französischen Impressi-
onisten Maurice Ravel und der Melodie
Opus 42 aus «Souvenir d’un lieu cher»
von Peter Tschaikowsky sorgten Ekaterina
Frolova und Vesselin Stanev für den mu-
sikalischen Schlusspunkt der Lilienberg
Preisverleihung. Ein ausgiebiger Apéro in
der sich in schönster Frühlingspracht prä-
sentierenden Parkanlage, geziert von
vielen prächtigen Osterglocken, rundete
bei herrlichem Wetter den in jeder Bezie-
hung konstruktiven und inspirierenden
Anlass ab.
Die drei Lilienberg Preise
im Überblick
Die Lilienberg Preise wurden die-
ses Jahr bereits zum zehnten Mal
verliehen. Sie sind eine ausseror-
dentliche Wertschätzung an bei-
spielhafte unternehmerische Per-
sönlichkeiten und Institutionen.
Der Personenpreis wird für heraus-
ragende Leistungen, resultierend
aus der Umsetzung freiheitlichen
unternehmerischen Gedankenguts
verliehen, der Institutionenpreis für
bahnbrechende unternehmerische
Leistungen mit nachhaltiger Wir-
kung und der Förderpreis für kre-
ative, wegweisende unternehme-
rische Aufbauarbeit. Neben einer
Trophäe in Form des Reist-Sym-
bols erhalten die drei Preisträger
jeweils auch einen Geldpreis von
10 000 Franken sowie einen Blu-
menstrauss mit gelb-roten Rosen.
Tele Top hebt sich konstruktiv vom Einheitsbrei der anderen elektronischen Medien im
Grossraum Zürich/Ostschweiz ab. Unser Bild zeigt Top-Moderatorin Nicole Fritschi im
News-Sendestudio des Winterthurer Regionalfernsehens.
Aktive Jungunternehmer, innovative
Forscher und zukunftsorientierte
Dienstleister beleben den Technopark
in Zürich.
20 21
G E S P R Ä C H
Von Wilhelm Knecht
Dr. Luzius Wasescha: «Die Schweiz muss sich weltweit eigenständig und selbstbewusst profilieren»Am 30. März vermittelte Botschafter Dr.
Luzius Wasescha im Rahmen des 109.
Lilienberg Gesprächs Einblick in seine Er-
fahrungswerte, dies als Chefunterhänd-
ler der Welthandelsorganisation (WTO)
weltumspannend und als Präsident des
Vereins Naturpark Parc Ela schweizerisch-
regional bedacht. Hier die Makro-, dort
die Mikrowelt.
Hans-Jacob Heitz, Mitglied des Lilienberg
Ehrenteams, trat mit Botschafter Luzius
Wasescha ins Zwiegespräch. Sozusagen
dem Lebenslauf des Referenten entlang,
insbesondere dem beruflichen Werde-
gang, ergründete er Motive, Wertehal-
tungen und Verhaltensprinzipien des
Gastes. Dabei behielt er jene Kriterien im
Auge, die für ein erfolgreiches und somit
auch unternehmerisches Wirken im Mit-
telpunkt stehen.
Von Graubünden ins Welschland
Luzius Wasescha wuchs ab dem achten
Altersjahr als – Zitat – «Bündner aus dem
Surses» in Bern, Montreux und Lausanne
auf. Er absolvierte seine Studien an der
Universität Lausanne. Moderator Hans-
Jacob Heitz fragte den Botschafter, ob ihn
diese Wohnsituationen – Romantsch als
Muttersprache, dann die Wechsel ins
deutschsprachige Gebiet und schliesslich
ins Welschland – nachhaltig geprägt hät-
ten. Luzius Wasescha antwortete, dass die
Mehrsprachigkeit das eine sei. «Geprägt
haben mich aber primär die unterschied-
lichen Kulturen. Innerhalb dieser wechseln-
den Kulturregionen entwickelte ich auch
ein Bewusstsein für Minderheiten. Ich
lernte früh, mich mit differenzierten An-
sichten auseinanderzusetzen, und war
zunehmend bestrebt, Hintergründe zu
abweichenden Meinungen zu erfahren.
Dies war sozusagen die Voraussetzung
dafür, die Fähigkeit zu entwickeln, mich in
andere Menschen hineinzuversetzen.»
Auf seine spätere berufliche Ausrichtung
hin sei dies bedeutungsvoll gewesen. Von
der in der Jugend geübten «Mobilität»
her sei ihm kultur- sowie grenzübergrei-
fendes Fühlen und Denken schon früh
eigen geworden: «Schliesslich lebt auch
die Schweiz nicht in sich geschlossen.
Vielmehr ist sie ein Teil Europas, und
Europa ist ein Teil der Welt.»
Nach dem Studium war Luzius Wasescha
– dies war seine erste berufliche Heraus-
forderung – Zentralsekretär Europa-
Schweiz, dann Korrespondent des Euro-
parats für die Schweiz. Es folgten zudem
drei Jahre im Kanton Tessin in der Privat-
wirtschaft. «Wo lag hierzu die jeweilige
Motivation?», fragte Hans-Jacob Heitz.
«Die Art des Zusammengehens der
Schweiz mit dem übrigen Europa interes-
sierte mich stets stark. Ich war ja auch
mitbeteiligt bei der vom St. Galler Profes-
sor Alois Riklin geleiteten politischen
Kommission der Europäischen Bewe-
gung, die 1976 das Hertenstein-Pro-
gramm für die Schweizerische Europa
politik ausgearbeitet und publiziert hatte.
Viele in diesem Konzept erörterte Gedan-
kengänge sind heute noch beachtens-
wert.» Was seinen Aufenthalt in Bellin-
zona betrifft, sagte der Botschafter: «Dort
wollte ich die Funktionen einer Treuhand-
firma kennenlernen, zugleich meine Ita-
lienischkenntnisse verbessern und Italien,
mit seiner Kultur und seinem hohen Ni-
veau klassischer Musik, – näher sein.»
Verhandlungserfolg im Bereich
der Gentechnologie
Der Leistungsnachweis von Luzius Wase-
scha ist enorm, stellte Hans-Jacob Heitz
fest. Der prägenden Ereignisse, die er
erlebte, gäbe es viele aufzuführen, so der
Botschafter. «Prägend, zugleich auch
faszinierend waren vor allem jene Funk-
tionen, die ich für unseren Staat mit
ausserordentlich hoher Verantwortung
wahrzunehmen hatte, ganzheitlich
durchdacht und zukunftsgerichtet.» Es
gelte, für die Schweiz im politisch-wirt-
schaftlichen Gesamtzusammenhang
bestmögliche Vereinbarungen und Ver-
träge zu erwirken. Hierzu brauche es
immer das situativ geschickteste Vor-
gehen. Man müsse alle relevanten An-
spruchsgruppen einbeziehen, deren
Bedürfnisse erfassen, eine exakte Prob-
lemanalyse vornehmen, die verschiede-
nen Interessen objektiv abwägen, ein
überzeugendes Argumentarium aufbau-
en und schliesslich die Verhandlungstak-
tik überlegt wählen. Mit Blick auf den
Verhandlungserfolg sei es unabdingbar,
verlässliche Seilschaften zu generieren,
Allianzen und Partnerschaften zu bilden
– dies innerhalb der Schweiz, insbeson-
dere aber nationenübergreifend. «Ein
konkretes Beispiel sind unsere erfolgrei-
chen Abschlüsse im Bereich der Gentech-
nologie. Dieses Beispiel zeigt eindrücklich
ein mögliches Spannungsfeld auf, näm-
lich den Spagat, den es oft zu meistern
gilt zwischen dem hohen Stand der
Wissenschaft auf der einen und dem
gesellschaftlich-ethisch Machbaren be-
ziehungsweise Durchsetzbaren auf der
anderen Seite.»
«Gefordert, uns weltweit
eigenständig zu profilieren»
Vom Moderator auf die Stellung der
Schweiz in Europa und in der Welt ange-
sprochen, meinte der Botschafter, dass
Heimweh-Bündner im Gespräch: Aron
Moser, Leiter des Lilienberg Unterneh-
merforums, (links) und Botschafter
Dr. Luzius Wasescha.
Luzius Wasescha: Seine beruflichen Stationen
Luzius Wasescha trat im Jahre 1980 als juristischer Mitarbeiter ins Integrations-
büro EDA/EVD ein und wurde 1982 Erster Botschaftssekretär im Wirtschafts-
dienst der Schweizerischen Mission bei den internationalen Organisationen und
der Delegation bei der EFTA und beim GATT in Genf. Es folgte eine steile beruf-
liche Karriere. Einige Etappen: 1994 Ernennung zum Unterhändler in den bilate-
ralen Verhandlungen mit der EU für das öffentliche Beschaffungswesen, dazu
kam auch die Gentechnologie. 1998 wurde er Leiter der Schweizer Delegation
im Handelsausschuss der OECD. Anfang 2000, nunmehr als Botschafter, folgte
die Ernennung zum Delegierten für Handelsverträge, Chef des Leistungsbereichs
Welthandel sowie Mitglied der Geschäftsleitung SECO. Von 2001 bis 2004 war er
Vorsitzender des Handelsausschusses der OECD, von 2002 bis 2007 zudem Chef-
unterhändler der Schweiz in den WTO-Verhandlungen. Im Frühjahr 2007 wurde er
zum Leiter der Ständigen Mission der Schweiz bei der WTO und EFTA ernannt.
22 23
G E S P R Ä C H
die Schweiz– was die wirtschaftliche Leis-
tung betrifft – eine mittlere Grossmacht
sei. «Allerdings sind wir oftmals zu
schüchtern, unsere Stärken nach aussen
zielgerichtet und überzeugend aufzuzei-
gen und sie zur Geltung zu bringen. Wir
tun uns diesbezüglich auch schwer, weil
wir eben nicht Mitglied der EU sind. Umso
mehr sind wir gefordert, uns weltweit
eigenständig und selbstbewusst zu pro-
filieren. Wir unterliegen einem Trug-
schluss, wenn wir meinen, wir besässen
weltweit den uns von der Leistungseffi-
zienz her zustehenden Bekanntheitsgrad.
Sektoriell – beispielsweise in Bezug auf
Banken – mag dies möglich sein. Aber
auch hier, wie in anderen Wirtschafts-
zweigen, holen andere Nationen mit ho-
hem Tempo auf.»
Zu den Standortvorteilen der Schweiz
zählt Luzius Wasescha, der heute an der
Uni St. Gallen zwei Lehraufträge hat, un-
ter anderen die Klarheit bei Abläufen für
Investitionen, die Sicherheit, Steueras-
pekte sowie die Lebensqualität. «Wir
haben in der Schweiz Amerikaner, Deut-
sche, aber eigentlich wenig Asiaten, das
heisst wenig Japaner und Chinesen. Wir
sollten generell attraktivere Vorausset-
zungen (etwa auch in Bezug auf Schulen
für Angehörige fremder Nationen/Kultu-
ren) schaffen. Ein besserer Mix, bezogen
auf die Herkunftsländer, wäre für unser
Land bereichernd.»
Die Schweiz nicht nur
im Rückspiegel betrachten
Das Spektrum der Voten in der Plenums-
diskussion im Anschluss an das Gespräch
war vielfältig. Schwerpunktmässig bezo-
gen sich die Statements auf unsere Sou-
veränität, auf die Aufrechterhaltung und/
oder die Wiederherstellung unternehme-
rischer Freiräume, auf die notwendige
Eindämmung der Gesetzesflut (Überre-
gulierung), auf die Bildungssysteme und
deren Durchlässigkeit, auf das Erfordernis
internationaler Rechtssicherheit sowie
auf institutionelle Aufgaben (beispiels-
weise in Bezug auf das Integrationsbüro)
sowie die Anpassung des Schweizer
Rechts an das EU-Recht. Hervorgehoben
wurde in der Diskussion die Renaissance
des Heimatgedankens, dies als zuneh-
mend erkennbarer Kontrapunkt zur Glo-
balisierungswelle.
Botschafter Wasescha fokussierte zu-
dem die Rolle unserer politischen Partei-
en: «Es liegt in deren Verantwortung, die
Abhängigkeit der Schweiz im globalen
Umfeld zukunftsbezogen zu analysieren.
Es wäre unverantwortlich, die Schweiz
nur im Rückspiegel zu betrachten. Es gilt,
der Frage nachzugehen, inwieweit die
Interdependenz unsere Zukunftsorte –
global betrachtet – neu bestimmt.»
Christoph Vollenweider, Leiter Unterneh-
mertum bei der Stiftung Lilienberg Un-
ternehmerforum, dankte Botschafter
Wasescha für die umfassend dargelegten
Leitgedanken, ausgehend vom höchsten
diplomatischen Parkett und der damit
verbundenen ganzheitlichen Sichtweise,
die gerade auch für das erfolgreiche Wir-
ken der Unternehmer von hoher Bedeu-
tung ist.
Auf die Frage von Hans-Jacob
Heitz, was einen Diplomaten aus-
zeichne, sagte Luzius Wasescha:
«Wir sind Staatsdiener für Visio-
nen», und ergänzte humorvoll:
«Spontaneität wird nur geschätzt,
wenn sie reglementiert ist.»
Botschafter Dr. Luzius Wasescha ver-
tritt die Interessen der Schweiz bei der
Welthandelsorganisation (WTO).
Von Stefan Bachofen
Naturpärke als Kapital für die RegionalentwicklungDer Präsident und der Geschäftsleiter
des Vereins Parc Ela sprachen mit einer
Stimme. «Die Zugehörigkeit zu einem
Naturpark bringt für niemanden zusätzli-
che gesetzliche Vorschriften und Hinder-
nisse», beruhigten Dr. Luzius Wasescha
und Dieter Müller am Lilienberg Gespräch
vom 30. März kritische Zuhörer im Pub-
likum. Sie sehen in den Naturpärken in
erster Linie Kapital für eine nachhaltige
Regionalentwicklung.
«Der Naturpark ist kein neues Schutzin-
strument, das der Wirtschaft im ländli-
chen Raum Einschränkungen aufbürden
will, etwa bei der Erneuerung oder Er-
stellung von Infrastrukturanlagen und
Bauten», wehrte sich Dieter Müller, Ge-
schäftsleiter des Vereins Parc Ela, gegen
eine entsprechende Behauptung eines
Zuhörers. Und auch das Votum desselben
Gastes, wonach Naturpärke Ängste
weckten, weil sie einen Verlust an direk-
ter Demokratie auf Gemeindeebene be-
deuteten, stiess bei den Verantwortungs-
trägern von Parc Ela auf Ablehnung. «Das
Gegenteil ist der Fall: Grundbedingung,
dass ein Park überhaupt erst betrieben
werden darf, ist dessen demokratische
Verankerung in der jeweiligen Region»,
versicherte Dieter Müller. Dies schreibt im
Übrigen das Bundesamt für Umwelt so
vor. Der Bund anerkennt nur Pärke, die
auf regionalen Initiativen beruhen und
von der lokalen Bevölkerung und Wirt-
schaft getragen werden.
Bevölkerung steht hinter dem Park
Fakt ist: In der Region Ela stehen die ins-
gesamt rund 6000 Einwohner der 19 im
Parkgebiet verbliebenen Gemeinden hin-
ter dem Projekt. Sie haben im Herbst 2010
in kommunalen Abstimmungen mit zum
Teil deutlichen Mehrheiten dem Parkver-
trag zugestimmt. Damit taten sie ihren
Willen für einen mindestens zehnjährigen
Verbleib im Parc Ela kund. Einzig die Ge-
meinden Riom-Parsonz und Tinizong-
Rona entschieden, nicht mehr am Parc
Ela mitzuarbeiten.
Im vergangenen Januar reichte der Verein
Parc Ela dem Bundesamt für Umwelt das
Gesuch um Erhalt des touristisch wert-
vollen Naturpark-Labels sowie die Ge-
währung jährlicher Finanzmittel ein. Be-
willigt der Bund diesen Sommer den
Antrag, wäre der Park vorerst bis zum
Jahr 2021 gesichert. Das heisst: Der Parc
Ela dürfte sich dann Park von nationaler
Bedeutung nennen. Von diesen gibt es
heute in der Schweiz – der Nationalpark
im Engadin inbegriffen – erst fünf. Zurzeit
hat der Parc Ela den Status eines Natur-
park-Kandidaten.
Bundesgesetz gibt strategische
Ziele vor
Die rechtlichen Grundlagen für die Pärke
und die strategischen Ziele, die ein Regi-
onaler Naturpark erfüllen muss, sind im
Bundesgesetz über den Natur- und Hei-
«Der Neid ist die aufrichtigste
Form der Anerkennung», zitierte
Moderator Hans-Jacob Heitz den
deutschen Dichter Wilhelm Busch.
«In diesem Sinn hoffe ich, dass
Sie möglichst viele Neider haben»,
ermunterte er seine beiden Ge-
sprächspartner, das Naturpark-Pro-
jekt weiterhin mit Elan und Begeis-
terung voranzutreiben und den
Parc Ela als Chance zu nutzen.
24 25
U N T E R N E H M E R T U M E D I T o R I A L
matschutz festgeschrieben. Im Vorder-
grund steht dabei die nachhaltige Regi-
onalentwicklung: Für das Gebiet Ela in
den Talschaften Albula und Surses im
Herzen Graubündens ist dies von zen-
traler Bedeutung. Denn die Bündner
Randregion kämpft gegen einen sich
stetig beschleunigenden Bevölkerungs-
rückgang und weist ein negatives Wirt-
schaftswachstum auf. Pärke als Kapital
zur Regionalentwicklung sollen somit
wertvolle Impulse für die Stärkung der
nachhaltig betriebenen Wirtschaft und
des Tourismus in der Region geben.
Mit der Verleihung des Parklabels könn-
te der Verein Parc Ela als Trägerschaft
Güter, die nach festgelegten Qualitäts-
kriterien mit Rohstoffen aus dem Park-
gebiet hergestellt werden, mit dem Pro-
duktelabel versehen. Das Produktelabel
eröffnet den regionalen Landwirtschafts-
betrieben zusätzliche Absatzmöglichkei-
ten. Auch die Produzenten wie die Käse-
reien und Metzgereien, die lokale Roh-
stoffe verarbeiten und verkaufen, sind in
die Wertschöpfungsketten eingebunden,
erlangen sie doch mit dem Produktelabel
einen Marktvorteil und schaffen auf-
grund des wachsenden Absatzes ihrer
Waren mittelfristig weitere Arbeitsplätze.
Weiter dienen die Pärke dazu, die Vielfalt
der Natur und die Schönheiten der Land-
schaften langfristig zu erhalten und auf-
zuwerten, beispielsweise mit Arbeitsein-
sätzen. Wie der Verein Parc Ela all diese
ehrgeizigen Ziele und Herausforderun-
gen meistern wolle, fragte Moderator
Hans-Jacob Heitz Geschäftsleiter Dieter
Müller. Dies sei nur mit starken Partnern
möglich, sagte Müller. «Wir arbeiten im
Marketingbereich eng mit der Region
Mittelbünden, aber auch mit den Touris-
mus-Organisationen von Savognin und
Bergün-Filisur zusammen», präzisierte er.
Park als Katalysator für das
Zusammengehörigkeitsgefühl
Projekte, die im Rahmen dieser Koopera-
tion bislang verwirklicht wurden, sind
etwa natur- und kulturnahe Tourismusan-
gebote wie ein Forscherparcours, Exkur-
sionen für Schulen im Parkgebiet oder die
Organisation eines «Tages der Artenviel-
falt». Für Dieter Müller ist klar: «Nur wenn
die Bevölkerung und alle wichtigen Ak-
teure, zu denen neben der einheimischen
Bevölkerung und den Tourismus-Organi-
sationen auch die Besitzer der Ferienwoh-
nungen im Parkgebiet gehören, dahinter-
stehen, kann ein Park funktionieren.» Es
brauche die Mobilisierung aller vorhande-
nen Kräfte, um dem Parkprojekt zum Er-
folg zu verhelfen. Erfreulich sei, dass im
Gebiet Ela alle am selben Strick ziehen und
den Naturpark als Chance sehen würden,
der Region einen wirtschaftlichen Mehr-
wert zu bringen. Und Luzius Wasescha
doppelte nach: «Der Park ist sozusagen
der Katalysator für das Zusammengehö-
rigkeitsgefühl in unserer Region.»
109. Lilienberg Gespräch vom 30. März
2011 mit Dr. Luzius Wasescha, Präsident
des Vereins Parc Ela, Botschafter und
Leiter der Ständigen Mission der Schweiz
bei der Welthandelsorganisation WTO
und EFTA, Delegierter des Bundesrates
für Handelsverträge, und Dieter Mül-
ler, Geschäftsleiter des Vereins Parc Ela;
Gastgeberin: Stiftung Lilienberg Unter-
nehmerforum, vertreten durch Christoph
Vollenweider, Leiter Unternehmertum;
Moderation: Hans-Jacob Heitz, Mitglied
des Ehrenteams, Stiftung Lilienberg Un-
ternehmerforum.
Die beiden Aushängeschilder des Vereins Parc Ela, Dr. Luzius Wasescha (Mitte) und
Dieter Müller (rechts) zusammen mit dem Gesprächsmoderator Hans-Jacob Heitz.
Spendet Novartis-Chef Vasella seinen Bonus?
Zur Förderung der Pärke in der Schweiz gewährt der Bund globale Finanzhil-
fen. Ab 2012 stehen jährlich 10 Millionen Franken zur Verfügung. Hinzu kom-
men Unterstützungsgelder durch den jeweiligen Standortkanton. Wie hoch die
Beträge sind, die dereinst von Bund und Kanton in den Naturpark Parc Ela flies-
sen werden, steht heute noch nicht fest. Dies hängt vom Umfang und von der
Qualität der Leistungen ab, aber auch davon, wie viele Pärke insgesamt in naher
Zukunft in unserem Land realisiert werden. «Um mittelfristig Eigenständigkeit zu
erlangen, sind wir auch auf Sponsorengelder angewiesen», unterstrich Vereins-
präsident Luzius Wasescha. «Wir werden uns deshalb den einen oder anderen
Heimweh-Bündner vorknöpfen», sagte er mit leicht ironischem Unterton. Eine
Aussage, die Moderator Hans-Jacob Heitz zur süffisanten Bemerkung verleitete,
Luzius Wasescha möge sich doch zuerst an Novartis-Verwaltungsratspräsident
Daniel Vasella wenden, dessen Wurzeln ja ebenfalls im Kanton Graubünden lie-
gen. Der Gesprächsleiter wörtlich: «Wenn Herr Vasella nur einen Viertel seines
Jahresbonus für das Naturpark-Projekt spendet, könnte der Parc Ela wohl schon
bald eigenständig funktionieren.»
Das Gebiet des Parc Ela umfasst 19 Gemeinden. Eine davon ist Alvaneu im Albulatal.
26
E D I T o R I A LG E S P R Ä C H
Von Wilhelm Knecht
Dr. Roland Grossenbacher: «Innovationen sind ohne Schutz öffentliche Güter»Die schweizerischen KMUs leisten auf
dem Gebiet der Innovation Hervorra-
gendes. Erwähnt seien Erfindungen und
Entwicklungen. Damit tragen die KMUs
wesentlich zum Erhalt unseres Wohlstan-
des bei. Viele von ihnen sind sich aber
nicht bewusst, dass sie ihre kreativen
Leistungen schützen müssen. An einer
Gesprächsveranstaltung vom 20. April
vermittelte Dr. Roland Grossenbacher,
Direktor des Eidgenössischen Instituts für
Geistiges Eigentum (IGE), Einblick in die
entsprechenden Schutzrechtssysteme.
Gesprächsmoderator Christoph Vollen-
weider, Leiter Lilienberg Unternehmer-
tum, hob hervor, dass der Anlass ein
Novum für Lilienberg darstelle. «Es ist die
erste Veranstaltung, die wir in Zusam-
menarbeit mit einer anderen Institution,
nämlich dem Institut für Geistiges Eigen-
tum, konzipiert haben. Das IGE hat sich
vorgenommen, die KMUs über den
Schutz von Innovationen und kreativen
Leistungen aufzuklären. Auch Lilienberg
nimmt sich dieses unternehmerischen
Themas an.»
Roland Grossenbacher unterstrich, dass
das Thema Geistiges Eigentum (Intellec-
tual Property – IP) zunehmend an Bedeu-
tung gewinne, dies gerade auch in
globalen Zusammenhängen. Er verdeut-
lichte dies anhand von Praxisbeispielen,
die unter anderem folgende Grundsätze
und Ziele reflektierten:
• SchutzvorNachahmernundstrategi-
sches Vorgehen.
• ErfolgreicheInvestorensuchedankpro-
fessionellen Recherchen und voraus-
schauendem IP-Management.
• RichtigerSchutzvonAnfanganerspart
unliebsame Überraschungen.
• Wer das Schutzrechtssystem kennt,
kann sich auch gegen «Grössere» zur
Wehr setzen.
• Zuerst informieren, dann loslegen.
Denn auch wer keinen Schutz be-
ansprucht, verletzt eventuell Rechte
Dritter.
Nachahmer haben ohne Schutz
leichtes Spiel
«Innovationen und kreative Leistungen
sind ohne Schutz öffentliche Güter», sag-
te Roland Grossenbacher klipp und klar.
Nachahmer und «Trittbrettfahrer» hätten
ohne Schutz ein leichtes Spiel. Bei den
Unternehmern würde der Anreiz zur In-
novation geradezu entfallen. «Ein Deal
zwischen Staat und Inhaber ist somit fol-
gerichtig: Der Staat stellt das Schutzsys-
tem zur Verfügung, um das Dilemma zu
überbrücken.» Anhand des aktuellen
Fallbeispiels Nespresso werde die Wahr-
nehmung des Schutzrechtssystems of-
fensichtlich: Wenn aus Innovationen und
kreativen Ideen Geschäfte werden, leitet
sich der Erfolg des Unternehmers von der
richtigen Marktstrategie zu folgenden
Fragen ab:
• Product?
• Promotion?
• Price?
• Place?
• Protection?
Mit der fünften Frage, dem Schutz der
Innovation, befasst sich das Institut für
Geistiges Eigentum.
Es bieten sich vier Arten von
Schutzrechten an:
1. Patent: für Lösungen eines techni-
schen Problems. Schutz für Produkte,
Prozesse, Verfahren, Verwendungen
• Neuunderfinderisch
• Gewerblichanwendbar
• Ausschlussgründebeachten
• Schutz:maximal20Jahre
• Patentgewährleistetnochkeinekom-
merzielle Nutzung
Gut zu wissen:
• DasPatentzuerstanmelden,dannre-
den
• KeinProbelaufaufMessenundAus-
stellungen, wenn Patentschutz ange-
strebt ist
• KeinePrüfungaufNeuheitunderfin-
derische Tätigkeit in der Schweiz bei
Anmeldung
• Prioritätsfrist:12MonateabersterAn-
meldung
• PatentierbarkeitistnichtinjedemLand
gleich
• Arbeitnehmererfindungengehörenin
der Regel dem Arbeitgeber
• SchweizundFürstentumLiechtenstein:
Patentunion
2. Marke: für den Namen und/oder das
Logo
• SchutzeinesProfilierungsmerkmals
• CharakterisiertWarenoderDienstleis-
tungen einer Firma
• Istunterscheidend,nichtbeschreibend
• Ausschlussgründebeachten
• Schutz:10Jahregültig(x-malverlän-
gerbar)
• UnterschiedlicheMarkentypen:zwei-
dimensional (vgl. Adidas), dreidimensi-
onal (vgl. Lindt-Schokolade-Osterhase),
akustische Marke (vgl. Ricola-Melodie)
Gut zu wissen:
• Firmenname im Handelsregister ist
nicht gleich Markenschutz
• EsgiltEintragungspriorität
• Keine Prüfung bei Anmeldung, ob
Marke-Rechte Dritter verletzt
• Schutz nur für bestimmte Produkte
oder Dienstleistungen
• Gebrauchspflichtinnerhalbvon5Jahren
• Widerspruchsverfahrenvor IGE(Frist:
3 Monate)
3. Design: Schutz einer neuen, äusseren
Form
• VerfügtüberEigenart(=ausreichende
Unterscheidung zu bestehenden For-
men)
• Wedergesetzeswidrignochanstössig
• Schutz:maximal25Jahre(5×5Jahre)
Gut zu wissen:
• Keine Prüfung auf Neuheit und aus-
reichende Unterscheidungskraft bei
Anmeldung in der Schweiz
• Prioritätsfrist:6MonateabAnmeldung
• Aufschubvon30MonatenabAnmel-
dung, falls Design noch nicht veröffent-
licht werden soll
• DesignschutzunabhängigvonDimen-
sion oder Form
Der Direktor des Institutes für Geistiges Eigentum, Dr. Roland Grossenbacher (rechts)
im Gespräch mit Moderator Christoph Vollenweider.
28 29
G E S P R Ä C H
4. Urheberrecht: Schutz von Werken
der Literatur und Kunst
• Auch Webseiten-Texte, Bilder, Fotos,
Software
• ErgebnissegeistigerSchöpfung
• IndividuellerCharakter(Originalität)
• Schutzentstehtautomatisch
• Schutzbis70JahrenachTod
• NutzungzumEigengebraucherlaubt
Die Wortmeldungen in der Plenumsdis-
kussion widerspiegelten die hohe Aktu-
alität der Thematik. Ersichtlich wurde die
globale Verflechtung unserer Wirtschaft.
Der zunehmende Konkurrenzdruck sei-
tens aufstrebender Weltregionen wie
Korea, China und Indien akzentuiert das
Gebot zur konsequenten Wahrnehmung
eines neuen IP-Verständnisses. Roland
Grossenbacher: «Die Anmeldung von
Patenten, Marken usw. aus diesen Welt-
regionen zeigt exponentielle Steigerungs-
kurven. Ein steigendes Interesse für Fra-
gen rund um das Immaterialgüterrecht
ist auch in südamerikanischen Ländern,
insbesondere in Brasilien, erkennbar.»
Auch zur Kernthematik des Referats von
Roland Grossenbacher, den Schutzrech-
ten, meldeten sich zahlreiche Gesprächs-
teilnehmer zu Wort. Im Zentrum stand
hier die Frage der Beschaffung von Inves-
titions- und Risikokapital, das wohl in
vielen Fällen – gerade in KMUs – zeitge-
recht Erfolge in Forschung und Entwick-
lung herbeiführen beziehungsweise si-
chern könnte. Dass hier ein dringender
Handlungsbedarf besteht, versteht sich
indessen nicht als Forderung an das IGE,
sondern vielmehr an unsere Banken und
Finanzinstitute.
Management des geistigen
Eigentums
Ein aktives Management des geis-
tigen Eigentums (Intellectual Pro-
perty – IP) umfasst laut Roland
Grossenbacher insbesondere fol-
gende Überlegungen und Hand-
lungskriterien:
• Die Verletzung von Schutzrech-
ten Dritter ist zu vermeiden
• NutzungoffengelegterInforma-
tionen von IP-Datenbanken
• Innovationen und kreative Leis-
tungen sind zu schützen
• Sicherstellung des Bewusstseins
für den Schutz von Innovatio-
nen und kreativen Leistungen im
Betrieb
• Durchsetzung von Schutzrech-
ten
• Übereinstimmungvon IP-Strate-
gie mit Business-Strategie
• Einführung von Prozessen zum
effektiven IP-Schutz
• PeriodischeÜberprüfungdesIP-
Portfolios
• Lückensofortschliessen
• IP-PortfolioderKonkurrenzüber-
wachen
Von Werner Schwarzwälder und Stefan Bachofen
Dr. Michael Ambühl: der Spitzendiplomat für schwierigste FälleWenn es um heikle und schwierige Fra-
gen im Zusammenhang mit der Schwei-
zerischen Aussenpolitik geht, kommt fast
immer Dr. Michael Ambühl zum Zug. Der
studierte Mathematiker und Betriebs-
wirtschafter gehört zu den bekanntesten
Spitzendiplomaten der Schweiz. Kürzlich
war er Gast eines Lilienberg Gesprächs.
Selbst für einen glattes Parkett gewohn-
ten Diplomaten bedeutet es eine Heraus-
forderung, von einem Kenner der Mate-
rie zu einem komplexen Thema befragt
zu werden. So geschehen am 26. Mai auf
Lilienberg, als sich der Staatssekretär für
internationale Finanzfragen, Dr. Michael
Ambühl, und Nationalrat Bruno Zuppiger
zum 110. Lilienberg Gespräch gegen-
übersassen. Michael Ambühl leitet das
neue Staatssekretariat für internationale
Finanzfragen, Bruno Zuppiger erhält als
Nationalrat immer wieder einmal einen
Blick hinter die Kulissen, oder er mischt
mit, wenn es um die Schweiz und die in
Turbulenzen geratene Finanzwelt geht.
Sach- und Fachkunde war garantiert.
Auch beim Publikum.
Im Steuerstreit erfolgreich mit
Deutschland verhandelt
Michael Ambühl hat als Chefunterhänd-
ler für unser Land viele gewichtige Dos-
siers betreut und manche schwierige
Verhandlung geführt. Als Leiter des
Dr. Michael AmbühlGespräch vom 20. April 2011, «Schutz
von Innovationen und kreativen Leis-
tungen – was gerade die KMU wissen
müssen», mit Dr. Roland Grossenbacher,
Direktor des Eidgenössischen Instituts für
Geistiges Eigentum (IGE); gemeinsame
Veranstaltung des IGE und des Lilien-
berg Unternehmerforums; Gastgeberin:
Stiftung Lilienberg Unternehmerforum,
vertreten durch Christoph Vollenweider,
Leiter Unternehmertum; Moderation:
Christoph Vollenweider.
Was bringt ein Schutzrecht?
• Es gibt dem Inhaber das Recht,
Dritte von der wirtschaftlichen Nut-
zung eines Gutes auszuschliessen:
Herstellung, Verwendung, Verkauf,
in den Verkehr bringen (auch schen-
ken), bewerben
• DasSchutzrechtisteinhandelba-
res Gut und ein Vermögenwert
• DasSchutzrechtisteinewertvolle
Informationsquelle
• Schutzrechte helfen bei der Ver-
marktung von Waren und Dienst-
leistungen und fördern deren An-
sehen.
Das Eidgenössische Institut für
Geistiges Eigentum bietet zur
Bewältigung aller Fragen rund um
die Frage von Schutzrechten ein
reichhaltiges Unterstützungspro-
gramm – gerade auch für KMUs.
Erstkontakte:
Telefon 031 377 77 77 oder
E-Mail info@ipi.ch
Spezielles KMU-Portal:
kmu.ige.ch
Zudem bestehen ein Beratungs-
netzwerk für Erstberatung in
Patent- und Softwarefragen:
www.ige.ch/ip-netz sowie ein
Schulungsangebot des IGE:
www.ige.ch/training
30 31
U N T E R N E H M E R T U M
Staatssekretariates für internationale Fi-
nanzfragen, der er seit einem Jahr ist,
zeichnet er für die Koordination und die
strategische Führung in internationalen
Finanz-, Währungs- und Steuerfragen
verantwortlich. Im Gespräch mit Bruno
Zuppiger legte Michael Ambühl unter
anderem Rechenschaft zum Steuerstreit
mit Deutschland ab. Es sei eine erfolgrei-
che Verhandlung gewesen, gelang es ihm
doch, im Sinne einer Grundsatzverein-
barung eine Abgeltungssteuer für bis-
her unversteuerte deutsche Gelder auf
Schweizer Banken einzuführen. Damit
konnte der Anspruch Deutschlands, seine
Bürger zu besteuern, erfüllt werden,
ebenso wurde mit diesem Entscheid die
Privatsphäre der Bankkunden in finanzi-
ellen Angelegenheiten (Bankgeheimnis)
bewahrt.
Weit fortgeschritten sind derzeit auch die
Verhandlungen über einen Steuerdeal mit
den USA. Der Deal soll vorsehen, dass
Banken aus der Schweiz Bussen in Milliar-
denhöhe bezahlen und die Namen von
mutmasslichen amerikanischen Steuerhin-
terziehern an die US-Steuerbehörden und
das Justizministerium herausgeben müss-
ten. Im Gegenzug würden die Amerikaner
ihre Ermittlungen gegen die Banken ein-
stellen. Banken, die sich der Regelung
nicht anschliessen wollen, müssten mit
Klagen und Ermittlungen rechnen.
Der Ablauf dieser Angelegenheit erinnert
an die Verhandlungen im UBS-Steuer-
streit, der 2009 mit der Unterzeichnung
eines Staatsvertrages endete. Damals
hatten die USA der UBS vorgeworfen,
reichen US-Bürgern bei der Steuerhinter-
ziehung geholfen zu haben. Die UBS
musste schliesslich eine Busse von rund
780 Millionen Franken zahlen und die
Namen von rund 4500 Kunden heraus-
geben. Auch im Fall UBS hatte Michael
Ambühl die Verhandlungen mit den USA
geführt.
Bankgeheimnis besteht weiter
Dennoch ist für Michael Ambühl klar,
dass das Schweizer Steuer- und Bankge-
heimnis weiter bestehen bleiben wird:
«Es ist für den Bankenplatz Schweiz äus-
serst wichtig.» Nur habe man eben die
Definition von Steuerhinterziehung neu
geregelt. Dem Image der Schweiz bei
anderen Ländern konnten diese Ausein-
andersetzungen nicht schaden. Es sei
insgesamt gut, auch in den USA und Asi-
en, wo man die stabile Regierung der
Schweiz und die direkte Demokratie zu
schätzen wisse. Auch in Brüssel, «bei de-
nen, die mit der Schweiz zu tun haben»,
so Michael Ambühl. Die EU habe gute
Leute, sei in einem permanenten Ver-
handlungsprozess und immer auf Kom-
promisse aus.
Bankkunde hat drei Optionen
Der Gast des Lilienberg Gesprächs schil-
derte in der Folge ausführlich, wie das
nächste Abkommen mit Deutschland zur
Versteuerung geregelt werden soll, um
die Probleme der Vergangenheit zu lösen.
Der Bankkunde habe drei Optionen:
a) Eine Steuer abliefern für die Zinserträ-
ge auf Konten in der Schweiz
b) Beim deutschen Steueramt melden,
dass er ein Konto in der Schweiz hat
c) Aus Deutschland wegziehen
Das System sei «effizient und intelligent»
und dank Quellensteuer wasserdicht.
«Alle deutschen Kunden wären dann im
Reinen, und wir müssen keine Beihilfe zur
Steuerhinterzeihung leisten.» Für die
Schweizer Bankenwelt sei das Steuerge-
heimnis wichtig. Einen automatischen
Informationsaustausch lehnt der Diplo-
mat ab, das sei angesichts der enormen
Datenmengen schlicht gar nicht machbar.
Leicht verwundert zeigte sich Michael
Ambühl auf Bruno Zuppigers Frage, wie
ein Mathematiker der ETH in den diplo-
matischen Dienst komme, wo man meist
Historikern, Juristen oder Ökonomen be-
gegnet. Dass es ab und zu auch Diplo-
Leben und Karriere von Michael Ambühl
Seit bald anderthalb Jahren führt Dr. Michael Ambühl das neu geschaffene
Staatssekretariat für internationale Finanzfragen mit rund 40 Mitarbeitenden.
Vor diesem Engagement war der 60-jährige Berner während 28 Jahren im diplo-
matischen Dienst des Departementes für auswärtige Angelegenheiten tätig, wo
er sich bis zum Staatssekretär emporarbeitete. Ab 1992 war er Botschaftsrat bei
der EU-Mission in Brüssel und Mitglied der Verhandlungsdelegation für die Bila-
teralen I. 1999 ernannte ihn der Bundesrat zum Chef des Integrationsbüros EDA/
EVD. In dieser Funktion war er von 2001 bis 2004 Unterhändler der Bilateralen
II. Von Februar 2005 bis Februar 2010 wirkte Michael Ambühl als Staatssekretär
im Departement für auswärtige Angelegenheiten. Er vertritt die Schweiz auch im
Internationalen Währungsfonds (IWF), im Financial Stability Board sowie in Sachen
internationale Bekämpfung der Finanzkriminalität.
maten mit anderen Studien gibt, biete
eine gute Verteilung, so Staatssekretär
Ambühl. «Was der ideale Steuersatz ist,
finde er als Mathematiker leicht heraus.»
Auffallend war für ihn, dass die Deut-
schen gerne in Berlin verhandeln, bisher
gab es nur eine Sitzung zu Finanzfragen
in Bern. Mit den USA fand von sieben
Runden nur eine in der Schweiz statt.
Ganzheitlich schwierigste Dossiers
verhandeln
Michael Ambühl weihte die Anwesenden
in einer erstaunlichen Offenheit in die
Geheimnisse der Diplomatie ein und ge-
währte ihnen einen vertieften Einblick in
seine Arbeit und seine Tätigkeiten. Chris-
toph Vollenweider, der an diesem Lilien-
berg Gespräch als Gastgeber die Stiftung
Lilienberg Unternehmerforum vertrat,
würdigte Michael Ambühl als Persönlich-
keit, die zwar selber kein Wirtschafts-
unternehmen führt, aber als Leiter des
Staatssekretariates für internationale Fi-
nanzfragen auch unternehmerisch denkt
und handelt. Als Diplomat müsse Micha-
el Ambühl den ganzheitlichen Ansatz,
den Lilienberg fordert und fördert, wäh-
len, wenn er erfolgreich schwierigste
Dossiers mit ebenfalls schwierigen Ge-
genübern verhandeln müsse. «Ein Diplo-
mat muss innovative Lösungsansätze
erkennen und anwenden können», sagte
der Gastgeber. «Offenbar gelingt Ihnen
das sehr gut, denn nicht umsonst gelten
Sie als einer der besten Spitzendiploma-
ten, als Mann für schwierigste Fälle.»
110. Lilienberg Gespräch vom 26. Mai
2011 mit Staatssekretär Dr. Michael Am-
bühl, Staatssekretariat für internationale
Finanzfragen; Gastgeberin: Stiftung Li-
lienberg Unternehmerforum, vertreten
durch Christoph Vollenweider, Leiter
Unternehmertum; Moderation: Natio-
nalrat Bruno Zuppiger, Mitglied des Li-
lienbergrates.
Staatssekretär Dr. Michael Ambühl (rechts) wird am Lilienberg Gespräch von National-
rat Bruno Zuppiger befragt.
32 33
E D I T o R I A LG E S P R Ä C H
Von Wilhelm Knecht
Der Schweizer Armee geht es besser, als viele denken, aber nicht so gut, wie es ihr gehen sollteMit dem Armeebericht des Bundesra-
tes vom Oktober 2010 ist die politische
Auseinandersetzung um die künftige
Gestaltung der Schweizer Armee in eine
neue Phase getreten. Im Mittelpunkt der
Besonderheit vom 18. April mit Korps-
kommandant Dominique Andrey, Kom-
mandant Heer, und Divisionär Jean-Marc
Halter, Chef des Führungsstabes der
Armee, stand die Frage «Was kann die
Armee heute leisten?».
«Zur Eigenständigkeit und zum Wohl-
stand der Schweiz», so Christoph Vollen-
weider, Leiter Lilienberg Unternehmer-
tum, «gehören wirksame Instrumente zur
Gewährleistung der Sicherheit und damit
eine glaubwürdige Armee.» Die Gewähr-
leistung der Sicherheit sei eine Hauptauf-
gabe unseres Staates und ein wichtiger
Standortfaktor. Gerade vor den eidge-
nössischen Wahlen vom kommenden
Herbst gelte es, an diesen Grundsatz zu
denken.
Miliz- und Berufsarmee müssen
dieselben Leistungen erbringen
Korpskommandant Dominique Andrey,
Kommandant Heer, betonte in seinem
Referat, dass die Beurteilung der Bereit-
schaft unserer Armee in Abhängigkeit zu
den von ihr geforderten Leistungen er-
folgen müsse. Das Heer sei «Force Provi-
der par excellence». Ausbildung und
Training leiten sich von der Art der erwar-
teten Auftragserfüllung der Armee ab.
Als Synonym zur Tagungsfrage «Was
kann die Armee heute leisten?» liesse sich
die Frage «Wie geht es heute unserer
Armee?» anführen. «Es geht ihr besser,
als man meint, schreibt, sagt, aber nicht
so gut, wie es ihr gehen sollte», antwor-
tete der Korpskommandant. Dieses «Del-
ta» sei besonders wichtig, wenn man die
Frage auf die Formulierung «Wie geht es
unserer Milizarmee?» ausweitet. «Eine
Milizarmee muss die gleichen Leistungen
wie eine andere Armee erbringen kön-
nen, sie muss dazu aber einen besonde-
ren Weg beschreiten.»
Schutz von Land und Leuten
Die Aufgaben der Armee sind in der
Bundesverfassung und im Militärgesetz
formuliert:
• VerteidigungdesLandes
• UnterstützungzivilerBehörden
• BeiträgezurFriedensförderung
Doktrin und Organisation der Armee de-
cken das ganze Spektrum der Aufgaben
ab. Die Verteidigungskompetenz ist je-
doch politisch bedingt derzeit nur
in reduziertem Ausmass möglich. Die
ersatzlose Ausmusterung gewisser Waf-
fensysteme hat die Kampffähigkeit
verschiedener Bataillone herabgesetzt.
Die Truppenkörper sind grundsätzlich
polyvalent einsetzbar. Zu beachten ist laut
Korpskommandant Andrey, dass die
wahrscheinlichsten und die gefährlichs-
ten Einsätze nicht deckungsgleich sind.
Dies mache die Priorisierung der Bereit-
schaft und der Ausbildung, vor allem aber
die Einstellung zum Dienst schwierig.
«Wir müssen die Hauptaufgaben der ein-
zelnen Truppenkörper besser, klarer, ein-
facher und kompakter festlegen: Diese
sollen im Laufe der Dienstzeit tatsächlich
‹ gelebt › werden.»
Junge Kader agieren oftmals
unsicher
Die Formationen müssen nicht nur orga-
nisiert und ausgerüstet sein, sondern
auch ausgebildet und regelmässig trai-
niert werden. Dominique Andrey: «Wir
sind keine Einsatzarmee, sondern eine
einsatzorientierte Ausbildungsarmee.»
Die Grundausbildung von Soldaten und
Kader sei effizient und erziele gute Re-
sultate. Die Ausbildungsziele für die
Grundausbildung und für das Training
(Wiederholungskurse) werden auf Stufe
Kompanie und – je nach Waffengattung
– auch auf Stufe Truppenkörper erreicht.
Wegen zu kurzer Ausbildungsdauer agie-
ren die meisten Kader in der Ausübung
ihrer Funktionen aber noch zu wenig si-
cher. Es fehlt die Zeit, um sich Wissen und
vor allem genügend Führungserfahrung
anzueignen. Erschwerend wirken sich
auch Lieferengpässe (Logistik) und nicht
ausreichende Ausbildungsmöglichkeiten
(zu kleine Manövergelände) aus. Die
Hauptherausforderung der Armee in den
Augen von Korpskommandant Andrey:
«Die Kaderausbildung muss verstärkt
werden.»
Dienstleistungsmodell mit dem
zivilen Umfeld in Einklang bringen
Die Schweiz hat eine Milizarmee. Die
Bürger stehen nur bei Bedarf zur Verfü-
gung. Sie müssen jedoch regelmässig, in
so kurzen Zeitspannen wie möglich, trai-
niert werden. Ohne Einsatzwille und
Dienstbereitschaft jedes Einzelnen funk-
tioniert unsere Armee nicht. Das Gros der
Soldaten und Kader akzeptiert unser
Milizsystem weitestgehend. Unsere Ar-
mee befindet sich aber in direkter Kon-
kurrenz mit den Angeboten auf dem zi-
vilen Arbeitsmarkt. Hinzu kommen die
im Zuge der Bologna-Reform durch die
Hochschulen starr vorgebenen Abläufe,
die eine Vereinbarkeit von Militärdienst
und Studium erschweren. Laut Domi-
nique Andrey müsste der Militärdienst
zwingend besser anerkannt sein. Miliz-
soldaten sollten von Milizkadern geführt
werden, und Milizkader müssten ihre
Milizformationen trainieren können.
Die Dienstmotivation der Kader sei zwar
hoch, allerdings gebe es zu wenig junge
Offiziere, um alle Bedürfnisse der Armee
abzudecken, so der Korpskommandant.
Insbesondere der Nachwuchs an Stabs-
offizieren sei ungenügend. Die Dienst-
bereitschaft (ausgehend vom heutigen
Dienstmodell) nehme generell ab. Die
«Milizkaderung» der Armee sei gefährdet.
Dr. Martin von Orelli, Leiter des Aktions-
feldes Sicherheit & Armee (rechts),
diskutiert mit den beiden Referenten,
Korpskommandant Dominique Andrey
(links) und Divisionär Jean-Marc Halter.
35
U N T E R N E H M E R T U M
Hauptherausforderung werde es sein,
Dienstleistungs- und Ausbildungsmodelle
mit dem zivilen Umfeld (Studienpläne an
den Hochschulen, Abwesenheitsdauer,
Diensttage-Management usw.) besser in
Einklang zu bringen.
1000 Armeeangehörige
aus dem Stand verfügbar
Divisionär Jean-Marc Halter, Chef des Füh-
rungsstabes der Armee, stellte in seinem
Referat die Auftragserfüllung und die Leis-
tungen der Schweizer Armee in den Mit-
telpunkt. Die Konflikte in Nordafrika hät-
ten Reaktionen besorgter Politiker und
Bürger hervorgerufen, bis hin zu Forde-
rungen nach Einsatzbereitschaft unserer
Armee an der Südgrenze und zur Verstär-
kung der Polizei für den Schutz diploma-
tischer Vertretungen. Divisionär Halter:
«Schon kleinere Erschütterungen im Si-
cherheitssystem erfordern rasch militäri-
sche Mittel.» Die Armee sei die einzige
Sicherheitsreserve unseres Landes. Bei
ausserordentlichen Ereignissen sei sie
rasch einsetzbar. «Rund 1000 Armeean-
gehörige sind aus dem Stand verfügbar»,
so Divisionär Halter. Das Gros davon sind
Militärdienstpflichtige, die ihren Dienst am
Stück absolvieren und nach ihrer Grund-
ausbildung als sogenannte Durchdiener
(Miliz) in spezielle Bereitschaftsverbände
eingeteilt werden, dies neben Berufs- und
Zeitmilitärs sowie zivilem Personal. Diese
Wehrmänner können im Luftpolizeidienst,
in der Katastrophenhilfe sowie für Siche-
rungs- und Unterstützungsaufgaben zu-
gunsten der zivilen Behörden eingesetzt
werden.
Nach kurzer Vorbereitungszeit, das heisst
innert weniger Wochen, seien auch For-
mationen im Ausbildungsdienst verfügbar:
Truppen in der letzten Phase der Grund-
ausbildung oder solche, die Wiederho-
lungskurse leisten. Das sind durchschnitt-
lich 4000 Armeeangehörige. «Diese Leis-
tungen sind schwerpunktmässig für
Konferenz- und Objektschutz möglich»,
so der Divisionär. Nach mittlerer Vorberei-
tungszeit, will heissen innert Monaten,
seien Verbände einsetzbar, die zusätzlich
und nicht im Voraus planbar aufgeboten
werden müssten, beispielsweise wenn es
eine Notlage (Katastrophen) erfordert oder
zur internationalen Friedensunterstützung
und Krisenbewältigung. Im Gegensatz zu
Wiederholungskursen handelt es sich hier
um ein «Aufgebot zum Dienst».
«Mit diesem Bereitschaftssystem ist die
Schweizer Armee in der Lage, die heute
von ihr geforderten Leistungen zu erbrin-
gen», betonte Jean-Marc Halter. Im Jah-
re 2010 leisteten Armeeangehörige für
solche Einsätze 316 000 Diensttage. Bei
einer Gesamtdienstleistung von 6,4 Mil-
lionen Tagen entsprachen diese Einsätze
somit im vergangenen Jahr einem Anteil
von nur 5 Prozent. Der weitaus grösste
Anteil an Diensttagen entfällt jedes Jahr
auf die Ausbildung.
Die Milizarmee lässt zu, Bürger und Bür-
gerinnen für einige Wochen dem Wirt-
Erkenntnisse von
Korpskommandant Andrey
• InunsererArmeewirdgutund
effizient ausgebildet.
• Die Einstellung zum Dienst ist
gut, sie ist deutlich besser, als viele
glauben.
• EswirdeinebrauchbareGrund-
bereitschaft erreicht, aber
– das Einsatz- und Ausbildungs-
spektrum ist gegenüber der verfüg-
baren Zeit zu breit;
– junge Kader sind zu wenig
sicher in der Führung der Forma-
tionen und im Einsatz komplexer
Waffensysteme;
– das Diensttage-Management be-
ziehungsweise die Konflikte mit
dem zivilen Umfeld werden immer
schwieriger.
• Folgerungen: in allen Bereichen
straffer und konsequenter werden;
sich auf das Wesentliche konzent-
rieren; das Wesentliche gut tun.
Planbare Einsätze der Armee
• 60Prozent=subsidiäreSicherungseinsätzewiezumBeispielamWorldEconomic
Forum (WEF), Schutz ausländischer diplomatischer Vertretungen in der Schweiz,
Verstärkung des Grenzwachtkorps, Flugbegleitung, Botschaftsbewachung (ab 2010
minus 20 Prozent, da hierzu keine WK-Truppen mehr im Einsatz sind).
• 30Prozent= Friedensförderung:durchschnittlich zirka260Personen täglich;
seit 1953 Korea (heute noch 5 Personen), Minenbeseitigung, in Afrika, Asien
(8 Personen), militärische Beobachtung (18 Personen), Balkan (220 Personen).
• 9Prozent=Unterstützungseinsätze:Sportgrossanlässe,Anlässevonnationaler
Bedeutung.
• 0,2Prozent=Katastrophenhilfe:ImJahre2010bliebdieSchweizglücklicher-
weise von Katastrophen grösseren Ausmasses verschont.
Diese an die Armee übertragenen Aufgaben werden zur Zufriedenheit erfüllt. Die
Aufträge sind meistens planbar, sodass keine eigentlichen Hindernisse entstehen.
Einzelne Engpässe und/oder nicht flächendeckende Ausrüstung ergeben sich in den
Bereichen Übermittlung sowie bezogen auf Spezialfahrzeuge und Spezialgeräte.
Nicht planbare Einsätze der Armee
• Katastrophen: natur-/technologiebedingt oder Terroranschläge, kleine Spezial-
formationen sind mit materieller Bereitschaft sofort verfügbar, die Ressourcen sind
beschränkt; grössere Truppenaufgebote und Materialbereitstellungen benötigen
Wochen bis Monate, die Einsatzdauer für solche Leistungen der Armee ist begrenzt.
Unter den knapp 200 Zuhörern im Lilienberg Zentrum waren auch zahlreiche jüngere
und somit noch aktive Angehörige der Armee, die sich rege an der Plenumsdiskussion
beteiligten.
schaftsleben zu entziehen. «Einen Ein-
satz von mehreren Monaten kann man
sich nur in einer ausserordentlichen Lage
vorstellen. Mit den heute zur Verfügung
stehenden Beständen ist wohl eine
Ablösung möglich», erklärte Divisionär
Halter. Da heute keine flächendeckende
36 37
G E S P R Ä C H
Ausrüstung vorhanden ist, müsste Mate-
rial (insbesondere Führungsunterstüt-
zungsmittel) übergeben werden. Diese
Überlegungen gelten vor allem auch für
den Einsatz unserer zwanzig Infanterie-
Bataillone. Die Hauptfolgerung: Je länger
die Vorlaufzeiten, desto grösser die Mög-
lichkeiten zur Bereitschaftserhöhung.
Die Voten, die Gesprächsmoderator Dr.
Peter Forster in der Diskussion entgegen-
nahm, betrafen vor allem den Hand-
lungsbedarf zur Beseitigung fehlender
Führungserfahrung von jungen Kader-
angehörigen, verbunden mit fehlendem
Selbstvertrauen, einhergehend mit Unsi-
cherheit verbreitendem Verhalten junger
Offiziere. Moniert wurde auch die unge-
nügende Synchronisation militärischer
und ziviler Ausbildung. Hier gelte es, von-
seiten der Unternehmen, und ebenso
vonseiten öffentlicher Institutionen, im
Hinblick auf Win-Win-Situationen trag-
fähigere Brücken zu errichten. Die Vor-
teile der militärischen Aus- und Weiter-
bildung müssten wieder erkannt werden,
auf den Führungsetagen generell und
bei den Personaldirektoren und Personal-
direktorinnen im Besonderen. Weitere
Votanten sprachen sich vehement für
die Aufrechterhaltung der allgemeinen
Wehrpflicht aus.
Dr. h. c. Walter Reist, Präsident des Stif-
tungsrates der Stiftung Lilienberg Unter-
nehmerforum, rief zum Schluss des An-
lasses alle Teilnehmenden dazu auf, in
ihren eigenen Beziehungsfeldern einen
Beitrag zur konstruktiven Fortentwick-
lung unserer Armee zu leisten.
Besonderheit «Armee» vom 18. April
2011, «Was kann die Armee heute leis-
ten?», mit Korpskommandant Dominique
Andrey, Kommandant Heer, und Divisio-
när Jean-Marc Halter, Chef des Führungs-
stabes der Armee; Gastgeber: Dr. h. c.
Walter Reist, Präsident des Stiftungsrates
der Stiftung Lilienberg Unternehmerfo-
rum; Moderation: Dr. Peter Forster.
Fazit von Divisionär Halter
• DieArmeeerfülltdieihrübertra-
genen Aufträge, national und inter-
national. Die Armee ist ein verlässli-
cher Partner.
• Die Zusammenarbeit mit den
Kantonen in subsidiären Einsätzen
funktioniert gut und zur Zufrieden-
heit der Kantone.
• DasGrosdereingesetztenTruppe
ist Miliz, die nach Vorbereitungszeit
ihre Wirkung erzielt.
• Stetszubeachten:DieAngehöri-
gen der Armee gehen mit dem Wis-
sen in den Einsatz, dass sie allen-
falls Leib und Leben opfern werden.
Wir alle müssen uns stets unserer
Pflicht bewusst sein, alles daranzu-
setzen, damit diese Angehörigen
der Armee unversehrt nach Hause
zurückkehren.
Weitere Veranstaltungen
Im Rahmen der aktuellen Ge-
sprächsreihe «Armee» finden zwei
weitere Veranstaltungen statt. Am
Freitag, 2. September 2011, 17 bis
19 Uhr, referieren Divisionär Daniel
Baumgartner, Brigadier Hans-Peter
Walser und Nationalrat Thomas
Hurter. An der Abschlussveranstal-
tung vom Mittwoch, 30. November
2011, 17 bis 19 Uhr, legen Chris-
toph Vollenweider, Leiter Unterneh-
mertum, und Dr. Martin von Orelli,
Leiter des Aktionsfeldes Sicherheit &
Armee, die an den Anlässen vom 18.
April und 2. September erarbeiteten
Thesen und Postulate dem VBS-Vor-
steher, Bundesrat Ueli Maurer, und
dem Chef der Armee, Korpskom-
mandant André Blattmann, vor.
Von Michel Grunder
Werte-Profil-Analyse hilft, eine Stelle optimal zu besetzen«Sind individuelle Wertvorstellungen mit
den Unternehmenswerten kompatibel?»
So lautete der Titel des zweiten Kollo-
quiums des Jahreszyklus im Aktionsfeld
Unternehmensethik vom 6. April. Vor-
weg ein Hinweis, um keine falschen
Erwartungen zu wecken: Diese Frage
können die Verantwortlichen des Akti-
onsfeldes vorerst noch nicht beantwor-
ten. Sie wollen aber im Rahmen des Ethik-
zyklus ein Tool erarbeiten, das genau bei
dieser Fragestellung hilft: die sogenannte
Werte-Profil-Analyse.
Im Rahmen des ersten Kolloquiums wur-
den die für Unternehmen und Wirtschaft
massgeblichen Werte definiert (siehe re-
daktionellen Artikel in der Lilienberg Zeit-
schrift 25). Das sagt jedoch noch nicht
viel aus. Wesentlich wichtiger ist, wie man
die einzelnen Werte im Kontext der Un-
ternehmenskultur oder des individuellen
Weltbildes gewichtet. Dieser Thematik
war das zweite Kolloquium vom 6. April
gewidmet. Oftmals scheitern wir beim
Versuch, unsere eigenen Wertvorstellun-
gen präzise zu erläutern. In der Regel
werden Gewichtungen nicht explizit for-
muliert. Noch schwieriger fällt es, sie bei
anderen klar zu erkennen.
Werte-Profil-Analyse
als Lösungsansatz
Die Werte-Profil-Analyse soll hier Abhilfe
schaffen. Die Verantwortlichen des Ak-
tionsfeldes entwickeln zusammen mit
den Teilnehmenden der Zyklusanlässe
einen Lösungsansatz, der beispielsweise
bei der Entscheidung hilft, festzustellen,
ob ein Arbeitnehmer – insbesondere des-
sen ethische Charakteristik – mit den
Value-Statements einer Organisation har-
moniert.
Referent Andreas Hürlimann.
38 39
G E S P R Ä C H
Wie aber macht man das? Andreas Hür-
limann, der sich als Headhunter profes-
sionell damit beschäftigt, Stellen in Or-
ganisationen optimal zu besetzen, gab
als Referent wertvolle Inputs. Er vermit-
telte konkret umsetzbare Tipps, wie man
im Rahmen von Assessments und Inter-
views die Werte-Kompatibilität von Un-
ternehmen und Personen erkennen
kann. Seine Ausführungen tragen den
praktischen Herausforderungen in Un-
ternehmungen Rechnung.
Werte sind abstrakt. Sie sind Zielgrössen
(Tugenden), nach denen wir unser Han-
deln ausrichten. Erst hier, bei den Hand-
lungen und den dabei zugrunde liegen-
den Verhaltensmustern, werden die Wer-
te greifbar. An diesem Punkt brachte
Andreas Hürlimann seine persönlichen
Erfahrungen als Managing Partner ins
Spiel und erläuterte die Mechanik kom-
petenzbasierter Assessments. Mit dieser
Methode wird im Interview das Verhalten
in bestimmten Situationen erfragt. Denn
Erfahrung und Praxis bestätigen, dass
das Verhalten aus der Vergangenheit
(die Verhaltensdisposition) zu mehr als
80 Prozent das Verhalten in der Zukunft
bestimmt.
Um die eingangs gestellte Leitfrage, die
auch identisch mit dem Titel des Kollo-
quiums ist, zu beantworten, braucht es
im Wesentlichen drei Schritte. Erstens
müssen wir Werte identifizieren und
Situationen finden, in welchen diese re-
levant sind. Zweitens müssen wir Ver
haltensmuster definieren, die in solchen
Situationen als vollständig, tendenziell
oder gar nicht wertkonform gelten. Das
kann je nach Region, Branche und Unter-
nehmenskultur variieren. Drittens müssen
die Kandidaten nach ihrem Verhalten in
vergleichbaren Situationen befragt und
beurteilt werden.
Dieses Praxiswissen wenden die Aktions-
feld-Verantwortlichen mit den Anlassteil-
nehmern nun an und entwickeln die
Werte-Profil-Analyse einen entscheiden-
den Schritt weiter.
Zyklus «Ethische Werte des Unterneh-
mertum»; Lilienberg Kolloquium vom
6. April 2011, «Sind individuelle Wertvor-
stellungen mit den Unternehmenswerten
kompatibel?», mit Andreas Hürlimann,
Managing Partner, themissinglink, Oet-
wil an der Limmat; Moderation: Michel
Grunder (Aktionsfeld Unternehmenskul-
tur & Unternehmensethik).
Unter den Teilnehmern des Kolloquiums war auch der Arzt und Schweizer des Jahres
2010, Dr. Rolf A. Maibach (rechts), hier zusammen mit den Verantwortlichen des
Aktionsfeldes Unternehmenskultur & Unternehmensethik, Dietrich Pestalozzi (Mitte)
und Michel Grunder.
Von Michel Grunder
Fernöstliches Gedankengut erfolgreich in den Führungsalltag integriertDie Tagung und das Ausserordentliche
Gespräch des Aktionsfeldes Unterneh-
menskultur & Unternehmensethik waren
geprägt von zwei Persönlichkeiten mit
unterschiedlichem Hintergrund und den-
noch einer starken Gemeinsamkeit – die
ausgeprägte Affinität zur fernöstlichen
Kultur und dem zugrunde liegenden
Gedankengut. Dr. Dieter Wartenweiler,
der unter anderem als Psychotherapeut,
Ausbildner und Zen-Lehrer arbeitet, und
Roger Herzig, Unternehmer, diskutierten
mit dem Publikum, wie sich fernöstliche
Haltungen im Führungsalltag und der
Unternehmenskultur eines Schweizer
Unternehmens niederschlagen.
Dr. Dieter Wartenweiler, Ökonom, Psycho-
therapeut, Coach, Ausbildner, Zen-Lehrer
und Autor, brachte an der Lilienberg Ta-
gung vom 19. April den Teilnehmenden
die Essenz des Zen näher und rollte vor
diesem Hintergrund die Themen Authen-
tizität und Ethik auf. Authentizität be-
dingt, auferlegte Rollen abzulegen. So
bestand die erste Aktion des Referats
konsequenterweise darin, für einmal über
die sonst gängigen Lilienberg Abläufe
hinwegzusehen. Tische wurden verrückt,
Namensschilder und Funktionsbezeich-
nungen versteckt. Dies mit dem Ziel, Bar-
rieren der Selbstfindung zu überwinden.
«Der wahre Mensch ohne Rang und
Namen»
Der Versuch, das Zen-Gedankengut in
Worte zu fassen, muss eigentlich schon
im Kern scheitern. «Wenn man über et-
was redet, geht man bereits am Wesent-
lichen vorbei», betonte Dr. Wartenweiler,
der in seinem Buch «Der wahre Mensch
ohne Rang und Namen» das Tagungs-
thema bereits ausführlich abgehandelt
hat. So folgte das Referat auch nicht
einer strikten, linearen Struktur, sondern
wurde ergebnisoffen und sehr interaktiv
geführt.
Im Bestreben, abendländische Ethik und
fernöstliches Gedankengut darzustellen,
ging Dieter Wartenweiler von den drei
Seins-Ebenen Materie, Psyche und Geist
aus. Übertragen auf das menschliche Er-
kennen und Erleben ordnete er diesen
Bereichen objektives Wissen beziehungs-
weise mentale Intelligenz (Materie), sub-
jektives Wissen und emotionale Intelli-
genz (Psyche) sowie inneres Wissen und
spirituelle Intelligenz (Geist) zu.
Je nach Erkenntnisziel müssen nach
Dr. Wartenweiler verschiedene Wissen-
schaften zum Einsatz kommen. Psycho-
logie bezieht sich auf das Verhältnis von
Materie (Aussenwelt) und Psyche (Innen-
welt), Tiefenpsychologie auf die Bereiche
Psyche und Geist, und Zen beschäftigt
sich mit dem Verhältnis von Materie und
Geist. Die im Unternehmen gelebte Ethik
sollte sich auf alle diese Ebenen beziehen
und weist damit ökonomische, psycho-
logische und geistige Aspekte auf. Ent-
sprechend darf sie sich nicht auf die For-
mulierung von Leitbildern beschränken,
sondern muss als Unternehmenskultur
mehrdimensional gelebt werden. Das ist
oft schwerer zu bewerkstelligen, als es
auf den ersten Blick erscheint.
40
E D I T o R I A L
Starke Unternehmenskultur –
überdurchschnittliche Produkte
Mit Roger Herzig erläuterte anschliessend
ein Unternehmer den Gästen, wie sich
das fernöstliche Gedankengut in einem
Schweizer Unternehmen und seiner Un-
ternehmenskultur niederschlägt.
Roger Herzig leitet seit 17 Jahren die RWD
Schlatter AG, eine Tochtergesellschaft der
AFG Gruppe, die in Roggwil Holztüren
herstellt. Das Unternehmen kann beacht-
liche Auszeichnungen vorweisen: für
ethisches Verhalten, als bester Arbeitge-
ber, für innovatives Marketing. Dies bringt
eine Überzeugung zum Ausdruck, die die
Geschäftsleitung vor zwölf Jahren ge-
wann. «Überdurchschnittliche Produkte
und Dienstleistungen sind lediglich ‹ Ab-
fallprodukte › einer überdurchschnittli-
chen Unternehmenskultur.»
Roger Herzig praktiziert seit seiner Ju-
gend Karate. Durch diese Tätigkeit kam
er in Berührung mit fernöstlichem Ge-
dankengut, das er auch in seinem Füh-
rungsalltag einsetzt.
Beispiele:
• Er zapft die mit dem chinesischen
Qi (Qigong) verwandte organisationale
Energie an.
• Er entwickelt eine Fehlerkultur nach
dem Motto: Fehler sind willkommen,
denn sie machen das Gute sichtbar (ana-
log dem chinesischen Yin und Yang).
• Er führte flache Hierarchiestrukturen
ein und bringt den Mitarbeitenden echtes
Interesse und Vertrauen entgegen. Er
sagt: «Ich habe mehr gelernt von Men-
schen, die nicht meiner Meinung sind.»
• Er verabschiedete sich vom kurz-
fristigen Quartalsdenken eines börsen-
kotierten Unternehmens, zu dem die
RWD Schlatter gehört, und plant sehr
langfristig.
• Er kennt die Bedeutung der Balance
zwischen Spannung und Entspannung,
die im Zen-Buddhismus eine grosse Rolle
spielt.
• ErstelltdenGeistüberdieMaterieund
warnt: «Hüte dich vor deinen Gedanken,
denn sie sind deine Zukunft.»
• Er relativiert er die Bedeutung des
Materiellen.
Roger Herzig und die RWD Schlatter ha-
ben eine einzigartige und stark ausge-
prägte Unternehmenskultur. Sie vermin-
dert die Konjunkturabhängigkeit, setzt
kreative und innovative Kräfte frei, hilft
Fluktuationen sowie die Anzahl von Ab-
senzen und Unfällen zu senken, steigert
die Reputation und setzt insgesamt eine
Positivspirale von Umsatz und Ertrag in
Gang.
Aufruf zu Handeln in Gelassenheit
Beide Persönlichkeiten, die an der Tagung
dabei waren, diskutierten im Anschluss
daran auch an dem von Dietrich Pesta-
lozzi moderierten Ausserordentlichen
Gespräch. Dr. Wartenweiler erläuterte
erneut die Tripolarität des fernöstlichen
Seins – «Materie, Psyche, Geist» – und
verglich diese mit dem dualen westlichen
System. Er bezog sich auf Zen als Mög-
lichkeit eines inneren Erfahrungsweges,
der die Ausbildung einer authentischen
Persönlichkeit fördert. Was in dieser Hin-
sicht vom Inhaber oder Geschäftsführer
eines Unternehmens persönlich verwirk-
licht und gelebt wird, habe dabei mehr
Überzeugungskraft als alle abgegebenen
Erklärungen.
Eine zentrale Frage an Roger Herzig be-
stand in der Verknüpfung von westlichen
und fernöstlichen Ansätzen in einem Un-
ternehmen. Der Referent sieht das rela-
tiv pragmatisch. Er versucht lediglich,
westliches und östliches Denken zu einer
Symbiose zu führen. Er bietet den Mitar-
beitenden die Möglichkeit an, sich spezi-
fisch auszubilden, bücken muss sich aber
jeder selber.
Interessant war auch die Beleuchtung des
aufgeworfenen Leitsatzes von Roger Her-
zig: «Tue nichts, und nichts bleibt unge-
tan.» Gerade als Bestandteil einer bör-
senkotierten Gruppe befremde dies auf
den ersten Blick. «Man darf dies aber
keinesfalls als Faulheit interpretieren, son-
dern soll sich vielmehr fragen, wo eine
Handlung nötig ist.» Dazu führte Dieter
Wartenweiler an, dass es zwischen ziel-
gerichtetem Handeln und «Nichts-Tun»
einen Mittelweg gebe: das Nicht-Tun.
Man solle nicht einfach nichts tun, son-
dern etwas (unbewusst) passieren bezie-
hungsweise sich handeln lassen. Das mag
vor dem Hintergrund der abendländi-
schen Rationalität vielleicht befremden,
trifft aber vermutlich einen Aspekt des
Zen ziemlich genau: dem Handeln in Ge-
lassenheit.
Zyklen «Die Wirkung der Unternehmens-
kultur verstärken – ganz praktisch» und
«Ethische Werte des Unternehmertums»;
Lilienberg Tagung und Ausserordentli-
ches Gespräch vom 19. April 2011,
«Durch Authentizität zu einer gelebten
Unternehmenskultur», mit Dr. Dieter
Wartenweiler, Uerikon, und Roger Her-
zig, CEO RWD Schlatter AG, Roggwil;
Moderation: Dietrich Pestalozzi und
Michel Grunder (Aktionsfeld Unterneh-
menskultur & Unternehmensethik).
Gruppenbild mit Referenten und Mo-
deratoren. Michel Grunder, Roger
Herzig, Dr. Dieter Wartenweiler und
Dietrich Pestalozzi (von links).
Roger Herzig schilderte vier kon-
krete Fälle, die seine Haltung bei-
spielhaft aufzeigen:
• DieAnstellungeineskurzvorder
Pensionierung entlassenen Kader-
Mitarbeiters eines Konkurrenten.
• Verständnis für einen vonRWD
Schlatter abhängigen Zulieferer,
der Holztüren für ein Objekt beim
lokalen Schreiner bestellen wollte.
• Verzicht auf Sanktionen beim
Diebstahl von Geschäftsinformati-
onen durch einen Mitarbeiter, der
zur Konkurrenz wechselte.
• Übernahme eines kleinen, aber
technisch brillanten Konkurrenten
kurz vor dem Konkurs und Bewah-
rung der Familie vor dem finanziel-
len Ruin.
42 43
E D I T o R I A LG E S P R Ä C H
Von Max Becker
Auf der Suche nach den Quellen unternehmerischer InnovationInnovative Ideen und Projekte haben
viele Väter und Mütter: Sie werden in-
ner- und ausserhalb der Unternehmung
geboren, entwickelt und umgesetzt. Am
Kolloquium des Aktionsfelds Wirtschaft
und Industrie haben Marcel Aeschli-
mann, CEO Creaholic SA, Biel, und Hans-
Jörg List, Mowag AG / General Dynamics
European Land Systems, Kreuzlingen,
dargestellt, welches die systematischen
Schritte der Innovation sein können: Im
Fall von Creaholic wird zur Innovations-
findung externe Unterstützung beige-
zogen. Bei Mowag geht es darum, In-
novation mit langfristigen politischen,
gesellschaftlichen und ökonomischen
Trends und der entsprechenden strate-
gischen Unternehmungsplanung zu ver-
binden. Die Ziele bleiben die gleichen:
die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit
in einem sich rasch wandelnden und
kompetitiven Umfeld.
Jeder Unternehmer ist bestrebt, seine Pro-
dukte und Dienstleistungen durch eigene
Ideen weiterzuentwickeln, zu verbessern
und wettbewerbsfähig anzubieten. Typi-
scherweise sind die Forschungs- und Ent-
wicklungs-Abteilungen der grossen Un-
ternehmungen federführend in der Inno-
vation: Es ist ihre ureigene Aufgabe, an
diesen Herausforderungen zu arbeiten
und in enger Zusammenarbeit mit Verkauf
und Marketing eine Produktepalette zu
gestalten, die den Erfolg sicherstellt. Bei
den KMUs hat es auch Platz für passio-
nierte «Tüftler», die mit oft erstaunlichen
Ergebnissen «im Alleingang», und hie und
da auch «im Hinterhof», neue Ideen ent-
wickeln, die direkt zum unternehmeri-
schen Erfolg beitragen.
Think-Tanks als kreative
Ideenbringer von aussen
Wie ist es nun mit den «Ideen von aus-
sen»? Schon die ersten Think-Tanks, das
heisst «Denkfabriken», die Regierungen
und internationale Organisationen berie-
ten, waren mit der Aufgabe betraut, Im-
pulse von aussen zu den Auftraggebern
zu liefern. Dieses Vorgehen hat seine
Wurzeln in den USA, schwappte dann
aber rasch auf andere Länder über. Heu-
te gibt es auch in der Schweiz «Impuls-
geber» für gesamtgesellschaftliche Her-
ausforderungen wie zum Beispiel Avenir
Suisse oder das Gottlieb Duttweiler Ins-
titute.
Marcel Aeschlimann, CEO der Creaholic
SA in Biel, gab am Kolloquium vom
11. Mai einen Überblick über sein Unter-
nehmen. Selbst Ingenieur, hat er seit der
Gründung von Creaholic als Teilhaber
und Geschäftsführender Partner über
200 Innovationsprojekte geleitet und
begleitet, die zu etwa 80 Patentanmel-
dungen geführt haben. Ideen von aussen
in einer Unternehmung zu «implantie-
ren», sei kein einfaches Ding, so Marcel
Aeschlimann. Die Gefahr des «not inven-
ted here syndroms», also des Wider-
stands gegenüber Informationen und
Konzepten, an denen das Unternehmen
nicht selbst beteiligt war, sei vorhanden
und die Zusammenarbeit des Dritten mit
den internen Entwicklern stelle hie und
da eine Herausforderung dar. Der obers-
te Grundsatz von Marcel Aeschlimann
lautet: «Nie zufrieden sein – sich stets
verbessern, nach Perfektion streben.» Die
berühmte «Nasenlänge voraus» zu sein,
sei für ihn der entscheidende Wett-
bewerbsvorteil. Den Innovationsprozess
vergleicht er mit der Transformation der
Raupe zum Schmetterling.
Die Firma Creaholic fokussiert ihre Tätig-
keit auf Gebiete, die innovationsanfällig
sind: Beispiele sind Energie-Anwendun-
gen, etwa Projekte zur substanziellen
Senkung des Warmwasserverbrauchs
oder in der Medizinaltechnik (Knochen-
Schweissen). «Be a rule breaker», also
weg von den Traditionen, das ist das
Erfolgsrezept von Creaholic.
Interne Innovationsprozesse
mit Konzernunterstützung
Schon fast als «Kontrastprogramm» hör-
te sich das zweite Impulsreferat an. Es
wurde von Hans-Jörg List, Leiter Advan-
ced Engineering bei General Dynamics
ELS (European Land Systems) in Kreuzlin-
gen, gehalten. Hans-Jörg List beschrieb
den Weg der alteingesessenen Firma
Mowag, die im Zug eines Besitzerwech-
sels zur amerikanischen General-Dyna-
mics-Gruppe (GD) stiess. Eine bisherige
eigenständige Unternehmung muss nun
neu ihren Weg in der Produktepalette
eines US-dominierten Eigentümers fin-
den. Für Innovationsprozesse kann sie
zwar die höchsten verfügbaren Entwick-
lungen von GD nutzen, hat dabei aber
dennoch unternehmerische Freiheiten.
«Solange die Zahlen stimmen, gibt es
keine Probleme», so Hans-Jörg List. Die
Wehrtechnik ist ein Wirtschaftszweig,
der in Bewegung ist. Als Beispiele seien
die automatischen Waffensysteme und
die Drohnen genannt. Allerdings ist die
Wehrtechnik auch ein Wirtschaftszweig,
bei dem in langfristigen zeitlichen Dimen-
sionen gedacht wird. Im Vordergrund
steht die Frage, welche Bedrohungs- und
Konfliktformen sich in etwa 15 Jahren
abzeichnen. Hiezu sind beträchtliche
Vorinvestitionen erforderlich. Dem Risk-
Management und der umfassenden Be-
urteilung von Megatrends in Wirtschaft,
Gesellschaft, Politik, Militär, Umwelt und
Energie kommen bei der Lancierung und
Evaluation von neuen Technologien ent-
sprechend grosse Bedeutung zu .
Die anschliessende Diskussion mit dem
Publikum ergab, dass es nicht den einen
Weg zur innovativen Unternehmung gibt.
Kultur, Markt, Finanzen und Technologie
beeinflussen den Takt und die Mittel, die
es braucht, um erfolgreich zu sein.
Zyklus «Innovation – was bringt Unter-
nehmen weiter?»; Lilienberg Kolloquium
vom 11. Mai 2011, «Denken und denken
lassen: Kreative Ideen – von innen oder
aussen?»; mit Hans-Jörg List, General
Dynamics European Land Systems (Mo-
wag), Director Advanced Engineering,
Kreuzlingen, und Marcel Aeschlimann,
Geschäftsführender Partner, Creaholic
SA, Biel; Moderation: Dr. Max Becker und
Anton Bucher (Aktionsfeld Wirtschaft &
Industrie).
Kreative Ideen sind der Nährboden für langfristig gesundes Wachstum eines Unter-
nehmens: eine der bisherigen Haupterkenntnisse des aktuellen Zyklus im Aktionsfeld
Wirtschaft & Industrie. Unser Bild zeigt die Referenten des Kolloquiums vom 11. Mai
mit Hans-Jörg List (Zweiter von links) und Marcel Aeschlimann (Zweiter von rechts),
flankiert von den Moderatoren Dr. Max Becker (links) und Anton Bucher.
44 45
G E S P R Ä C H
Von Werner Schwarzwälder
Medienvielfalt dahin – Aktienkurse gestiegenRegionale und lokale Medien tragen
entscheidend dazu bei, dass kleinere
Städte und ländliche Gebiete nicht zu
gesichtslosen «Suburbs» werden. Wirt-
schaftliche und gesellschaftliche Verän-
derungen stellen jedoch diese Medien
vor grosse Herausforderungen. Welche
Medien brauchen die Regionen? Wie
kann die Bevölkerung für regionale The-
men gewonnen werden? Wer ist bereit,
einen regional relevanten, unabhängigen
Journalismus zu finanzieren? Exponenten
aus Wissenschaft, Politk und Medienpra-
xis diskutieren diese Fragen im laufenden
Zyklus des Aktionsfeldes Medien & Kom-
munikation.
Im Prinzip war es zum Abschluss des
zweiten Kolloquiums vom 18. Mai die
klassische Millionenfrage in Günther
Jauchs Quizshow «Wer wird Millionär?».
Welche Eigentumsform stärkt die Stel-
lung regionaler Medien in wirtschaftli-
cher Hinsicht, aber auch bezüglich der
journalistischen Qualität und Demokra-
tierelevanz? Pascal Zwicky, Assistent am
Institut für Publizistikwissenschaft und
Medienforschung der Universität Zürich,
gab in seinem Referat denn auch die
möglichen Antworten vor:
A: Börsennotierte Unternehmen
B: Unternehmen in Verlegereigentum
C: Genossenschaften oder Stiftungen
D: Zeitungen im Besitz von Finanz-
investoren
Nachdem der Wissenschaftler die Vor-
und Nachteile jeder Eigentumsform dar-
gelegt hatte, lag die richtige Antwort auf
der Hand: «Keine ist nur gut oder nur
schlecht», erklärte Pascal Zwicky den Teil-
nehmenden. Einige im Auditorium konn-
ten aus eigener Erfahrung und eigenem
Tun den Ausführungen des Medienwis-
senschaftlers beipflichten. So schilderte
Peter Bühler, Präsident des Verwaltungs-
rats der neuen Zeitung «Regi die Neue»,
warum sich der Südthurgau nicht einfach
seine Regionalzeitung wegnehmen liess
oder mit einer schlecht gemachten Zei-
tung zufrieden sein will und wie jetzt ein
Genossenschaftsmodell die wirtschaftli-
che Basis für ein neues Blatt schaffen soll.
Sein Plus: Peter Bühler kennt das Genos-
senschaftsgeschäft, er ist im Hauptberuf
Direktor der Raiffeisenbank Aadorf (siehe
auch Kasten).
Wenn die Kleinaktionäre
nicht mehr mitmachen
Unter dem Titel «Wenn die Kleinaktionä-
re nicht mehr mitmachen» erzählte Chris-
toph Vollenweider, von 2004 bis 2008
Chefredaktor des «Zürcher Oberländers»
(ZO), die Geschichte dieses Blattes aus
seiner eigenen Erfahrung. Bei klarer po-
litischer Ausrichtung (pro Freisinn) waren
18 000 Aktien über lange Zeit in sicheren
Händen von vielen freisinnigen Kleinak-
tionären. Der Aktienwert war ein reiner
Steuerwert, es gab kaum Handel. Die
Aktionäre hielten die Aktien als Engage-
ment für die Zeitung und nicht als Geld-
anlage. Der ZO musste so viel verdienen,
dass die Investitionen finanziert werden
konnten. Dividenden wurden regelmäs-
sig bezahlt, meistens 10 Prozent des
Nominalwerts, nämlich 10 Franken pro
Aktie. «Wegen der vielen Kleinaktionäre
gab es keinen eigentlichen Verleger»,
berichtete Christoph Vollenweider aus
dieser Zeit. Das habe der Redaktion gros-
se Freiheiten gegeben. Die Zeitung war
aber klar freisinnig, das wussten auch alle.
Die Wende im Jahr 2004
2004 kam dann der Wendepunkt, mitten
in der Zeitungskrise. Eine unabhängige
Vermögensverwalterfirma aus Zürich bot
850 Franken pro Aktie. Zum Schock für
den Verwaltungsrat fielen zahlreiche
Kleinaktionäre ab und verkauften, sodass
der betreffende Vermögensverwalter ein
Paket von 38 Prozent der Aktien schnüren
und ins Pingpong-Spiel der beiden gros-
sen Zürcher Zeitungen im Grosskampf
um die Regionen einbringen konnte.
Gleichzeitig liefen bei der NZZ und der
Tamedia Strategie-Überlegungen für eine
«Bereinigung» der Zeitungslandschaft in
der Region Zürich-Ostschweiz. Klar war:
Wer das 38-Prozent-Paket erwirbt, wür-
de das Sagen bekommen. Zunächst er-
hielt die ebenfalls freisinnige NZZ die
Aktien.
Einheitsbrei im ganzen
Kanton Zürich
Zum Big Bang kam es im März 2010, als
die NZZ und die Tamedia die Strukturen
definitiv bereinigten. Die 38 Prozent der
ZO-Aktien gingen an die Tamedia. Gleich-
zeitig erwarb die Tamedia zu 100 Prozent
den «Zürcher Unterländer» und die «Zü-
richsee-Zeitung». Letztere wurde, auch
mangels Nachfolger in der Verlegerfami-
lie von Theodor Gut, an den Grossverle-
ger verkauft. Im Gegenzug übernahm die
NZZ die «Thurgauer Zeitung». Christoph
Vollenweider: «Die Zeitungslandschaft
in der Nordostschweiz wurde neu ge-
ordnet, durch die Mantellieferung des
«Landboten» und neue Druckstandorte
verbesserte sich die wirtschaftliche Situ-
ation deutlich, die Einsparungen liegen
allein beim ZO bei 2,5 Millionen.» Und
Medienprofis im Pausengespräch: Theodor Gut, Verwaltungsratspräsident der Zürich-
see Medien (links) und Konrad Müller, Verlagsleiter des «Zürcher Oberländers».
46 47
U N T E R N E H M E R T U M
weiter meinte der Referent: «Eigentlich
schlimm für den Raum Zürich-Nordost-
schweiz. Der Mantel ist sicher besser als
früher, aber heute haben wir einen Ein-
heitsbrei im ganzen Kanton Zürich und
somit das Ende der regionalen Presseviel-
falt.» Der «Zürcher Oberländer» hat zwar
als selbstständige Zeitung überlebt, eben-
so die «Schaffhauser Nachrichten», aber
«kantonal- oder gar eidgenössisch-poli-
tisch ist die bestehende rein regionale
Vielfalt irrelevant», bedauerte der frühe-
re Chefredaktor und heutige Leiter Un-
ternehmertum bei der Stiftung Lilienberg
Unternehmerforum. «Andererseits muss
ich aber gestehen, dass ich nach verlore-
nem Kampf langsam Freude daran habe,
dass meine ZO-Aktien, die ich behalten
habe, nun beginnen, schöne Renditen
abzuwerfen», wusste Christoph Vollen-
weider der Vergangenheit auch die guten
Seiten abzugewinnen. Das sei zwar etwas
zynisch, «spiegelt aber den Lauf der
Dinge in der Presselandschaft Schweiz»,
räumte der Referent offen ein.
Inserate-Umsätze sanken
schweizweit um 44 Prozent
Theodor Gut, Verwaltungsratspräsident
der Zürichsee Medien AG, stellte die Stra-
tegie seiner Gruppe vor und positionier-
te sie einerseits in der langen Tradition
des Familienunternehmens, andererseits
im Umfeld der aktuellen Branchenent-
wicklungen. Diese hatten den Verwal-
tungsrat 2010 nach sorgfältigen Überle-
gungen zum Verkauf der «Zürichsee-
Zeitung» an die Tamedia bewogen.
Zwischen 2000 und 2009 waren die In-
serate-Umsätze schweizweit um 44 Pro-
zent gesunken, die Abonnementerlöse
zwischen 2005 und 2009 um 14 Prozent.
Den Ausschlag für den Verkauf gaben
einerseits auslaufende Kooperationsver-
träge, die entweder bald gekündigt oder
für viele Jahre verlängert werden muss-
ten, sowie die Tatsache, dass sich fami-
lienintern keine Nachfolge abzeichnete.
Im Verkauf an die Tamedia sah der Ver-
waltungsrat den besten Garanten für
die weitere Existenz und Stärkung der
Zürichsee-Zeitung.
«Regi die Neue», das Konzept
Die neue Zeitung «Regi die Neue» erscheint im Südthurgau am Dienstag und Freitag
in einer Auflage von 5000 Exemplaren. Sie umfasst 16 Seiten je Ausgabe. Diens-
tags, damit die Berichte vom Wochenende erscheinen können, freitags, damit auf
das Wochenende hin informiert werden kann. Für beides gibt es in der Region keine
anderen Medien. Daher ist Zweck der Genossenschaft die Herausgabe einer Zeitung,
die in die Landschaft passt. Das Motto: Aus Lesern werden Genossenschafter, aus
Genossenschaftern Inserenten.
Mitglieder der Genossenschaft können natürliche oder juristische Personen sein, die
mindestens einen Anteil zu 500 Franken übernehmen. Das Jahresabonnement kos-
tet 125 Franken, für Genossenschafter 90 Franken. Deren Zahl ist unbeschränkt. Der
Verwaltungsrat beschliesst über die Aufnahme und kann diese ohne Angabe von
Gründen verweigern. Eine bestimmte Gesinnung wird nicht erwartet. Da «Regi die
Neue» gerne auch Aufgaben des Amtsblatts für Gemeinden übernehmen würde,
hat die Zeitung nicht den Ehrgeiz, einen investigativen Journalismus zu betreiben.
Von sich aus Skandale aufgreifen will die neue Zeitung nicht, «sondern informieren».
Nur dann, wenn andere über Kritikwürdiges berichten, werde man nachziehen,
erläuterte Peter Bühler das Redaktionskonzept und musste sich der Frage stellen,
ob das Blatt dann nicht zu langweilig werde und Gefahr laufe, einzugehen. Da sich
«Regi die Neue» im Businessplan bewegt und im dritten Jahr, das wäre 2012, bereits
Gewinn abwerfen soll, ist Peter Bühler mit der Neugründung zufrieden und sicher,
dass sich das Konzept bewährt.
Damit bekäme Werner A. Meier vom Institut für Publizistikwissenschaft und Medi-
enforschung der Universität Zürich recht, der nach seinem Vortrag beim Kolloquium
am 16. März auf die Frage von «Südkurier»-Chefredaktor Stefan Lutz aus Konstanz,
wem die regionalen Medien verpflichtet seien, geantwortet hatte: «Der Zivilgesell-
schaft», aber in der Realität schliesse sie sich lokalen Eliten an. Auf einen Online-
Auftritt mit Blick auf jüngere Leser hat «Regi die Neue» bisher bewusst verzichtet,
aber – so Peter Bühler – «wir haben das im Hinterkopf». Seine Leserinnen und Leser
jedenfalls wollen eine anspruchsvoll anmutende Zeitung in der Hand halten.
Zyklus «Regional- und Lokalmedien der
Zukunft: Wer nutzt, wer macht, wer
finanziert sie?». Lilienberg Kolloquium
vom 16. März 2011, «Inhaltliche Vielfalt
der Regionalpresse», mit Dr. Werner A.
Meier, Leiter SwissGIS, Schweizer Zent-
rum für Studien über die globale Infor-
mationsgesellschaft, Universität Zürich,
und Benjamin Geiger, Chefredaktor
«Zürichsee-Zeitung», Stäfa; Moderation:
Dr. Barbara Meili und Werner Schwarz-
wälder (Aktionsfeld Medien & Kommu-
nikation). – Lilienberg Kolloquium vom
18. Mai 2011, «Traditionelle und alter-
native Eigentumsformen bei regionalen
Medien», mit Pascal Zwicky, Assistent am
Institut für Publizistikwissenschaft und
Medienforschung, Universität Zürich,
Christoph Vollenweider, Leiter Unter-
nehmertum Stiftung Lilienberg Unter-
nehmerforum, ehemaliger Chefredaktor
«Zürcher Oberländer», und Theodor Gut,
Verwaltungsratspräsident Zürichsee Me-
dien AG, Stäfa; Moderation: Dr. Barbara
Meili und Werner Schwarzwälder (Akti-
onsfeld Medien & Kommunikation).
Der Chefredaktor der «Zürichsee-Zeitung», Benjamin Geiger, und der Medienwissenschafter Dr. Werner A. Meier von der Universität
Zürich äussern auf Lilienberg ihre Gedanken zur Zukunft der Regional- und Lokalmedien in der Schweiz. Das Kolloquium stiess vor
allem bei Medienschaffenden auf grosses Interesse. Ganz rechts der Publizist Karl Lüönd.
48 49
E D I T o R I A LG E S P R Ä C H
Von Heinrich Wirth und Heinz Bachmann
Schule muss Unterricht auf Bildungsstandards ausrichtenSoll und kann Schule alles können? Dies
ist der Leitgedanke des diesjährigen Zy-
klus des Aktionsfelds Bildung & Sport.
Auf Lilienberg soll ausgelotet werden,
was die Volksschule leisten kann und wo
sie an ihre Grenzen stösst. Am ersten Kol-
loquium referierten der Geschäftsführer
eines Instituts für Bildungsevaluation und
der Forschungsgruppenleiter der Päda-
gogischen Hochschule Zürich.
Gesellschaftliche Veränderungen in den
vergangenen 20 Jahren führten dazu,
dass an die Schule immer neue Aufga-
ben delegiert wurden, ohne sie an an-
derer Stelle zu entlasten. Stichworte
dazu sind: Französisch und Englisch an
der Primarschule, Informatikunterricht,
Aidsaufklärung sowie die Einführung
von Tagesstrukturen. Mit dem Übertra-
gen neuer Aufgaben ohne entsprechen-
de Entlastung gefährdet man aber zu-
nehmend den Kernauftrag der Schule
– das Vermitteln von Lesen, Rechnen und
Schreiben. Fakt ist: Mittlerweile sind
17 Prozent unserer Kinder nach neun Jah-
ren Volksschule nicht in der Lage, einen
einfachen Text zu verstehen, und 13 Pro-
zent können praktisch nicht rechnen.
Bildungsdiskussion versachlichen
Ziel des diesjährigen Zyklus auf Lilienberg
soll es sein, die oft emotional geführten
Diskussionen um die Volksschule zu ver-
sachlichen. Nicht selten wird unser Blick
auf die Schulrealität durch die eigenen
vergangenen Schulerfahrungen, durch
Negativschlagzeilen in den Medien oder
durch Alarmmeldungen aus der Wirt-
schaft verstellt. Im gemeinsamen Ge-
spräch mit Fachexperten versucht Lilien-
berg, sich der Realität der Volksschule
anzunähern, um zu sehen, wo die Chan-
cen und Herausforderungen in den kom-
menden Jahren liegen.
Unter dem Titel «Schule heute – Ist-Zu-
stand vs. Medienrealität» fand am 5. Mai
das erste Kolloquium des Zyklus statt.
Referenten waren PD Dr. Urs Moser,
Geschäftsführer des Instituts für Bil-
dungsevaluation, Zürich, und Dr. Thomas
Hermann, Forschungsgruppenleiter an
der Pädagogischen Hochschule Zürich.
Fremdsprachige Kinder haben
Handicap
Urs Moser legte dar, dass bei der Einschu-
lung das Lernen der Kinder durch das
Schulmodell kaum beeinflusst wird. Bei
der Lernleistung komme es nicht darauf
an, ob Kinder ihre Schulzeit in einem Kin-
dergarten oder in einer Grund- oder Ba-
sisstufe beginnen. Es sei aber sehr wohl
entscheidend, aus welchem Herkunftsmi-
lieu die Kinder stammen, ganz besonders
wenn es um die Sprachentwicklung geht.
Fremdsprachige Kinder haben einen Rück-
stand von rund zwei Jahren in der Unter-
richtssprache, was die Schule – wie auch
immer das Schulmodell ist – nicht wett-
machen könne, so Urs Moser. «Obwohl
fremdsprachige Kinder in ihrer eigenen
Muttersprache so gut entwickelt sind wie
Kinder aus der Schweiz in der deutschen
Sprache, und obwohl sie alle durchschnitt-
lich über die gleiche Intelligenz verfügen,
können Fremdsprachige während der gan-
zen Volksschulzeit ihren Rückstand nicht
aufholen, was letztlich zu weniger guten
Schullaufbahnen führt.»
Unterstützung in der
Sprachentwicklung gefordert
Schulerfolg sei wesentlich abhängig von
der Fähigkeit der Schülerinnen und Schü-
ler, selber Informationen aus Texten he-
rauszulesen, sagte der Referent. «17 Pro-
zent aller Schülerinnen und Schüler sind
am Ende der Volksschulzeit nicht in der
Lage, einen Text zum Lernen zu nutzen.»
Diesen Umstand bezeichnet Urs Moser
als einen der blinden Flecken in der öf-
fentlichen Meinung. Es lohnt sich kaum,
eine erhitzte bildungspolitische Debatte
über Einschulungsmodelle zu führen.
Hingegen würde es sich sehr lohnen,
Kinder mit Sprachentwicklungsdefiziten
vor der Einschulung zu erfassen und sie
dann auch in ihrer Sprachentwicklung zu
unterstützen.
Der andere grosse blinde Fleck in der bil-
dungspolitischen Diskussion besteht laut
Urs Moser in den Lernleistungsunterschie-
den der Klassen. Auch hier sei es wieder
nicht das Schulmodell, welches den Leis-
tungsunterschied bewirkte, selbst dann
nicht, wenn das soziale Herkommen der
Schülerinnen und Schüler identisch ist.
«Wenn wir also die Lernleistungen in der
Volksschule verbessert haben wollen,
dann müssen wir uns auf Fragen des Un-
terrichts konzentrieren und nicht auf Fra-
gen der Schulstruktur und Schulmodelle.»
Etwas überspitzt formuliert meinte Urs
Moser, «dass unsere Volksschule heute
sowohl an Reformwut, wie auch an Re-
formstau leidet, allerdings an Reformwut
am falschen Ort.» Strukturreformen brin-
gen höchstens einen minimalen Lern-
erfolgszuwachs. Entscheidend sei, was
innerhalb dieser Strukturen geschehe.
«Was immer noch aussteht, ist die Ein-
führung von Bildungsstandards, verbind-
lichen Lernzielformulierungen, die den
Unterricht leiten und eindeutig zeigen,
ob Schülerinnen und Schüler aller Klassen
diese Bildungsstandards auch erreichen.»
Lehrer als Opfer der Reformen?
Während Urs Moser darüber informierte,
was die Bildungsforschung aufgrund em-
pirischer Daten zur Realität der Schule
aussagen kann, referierte Thomas Her-
mann, wie die Medien Schulrealitäten
abbilden und damit zum Teil auch Reali-
täten schaffen. Er bezog sich dabei auf
eine neue, noch nicht publizierte Studie
von Boris Boller und weiteren Autoren
(«Schule, Bildung und Öffentlichkeit», For-
schungsprojekt PH Bern) sowie auf ein
eigenes, soeben abgeschlossenes For-
schungsprojekt mit dem Titel «Bildwelt
Schule» (Thomas Hermann und weitere
Autoren, PH Zürich). Bemerkenswert sei,
so Thomas Hermann, wie die Medien heu-
te Lehrerinnen und Lehrer als Opfer der
Bildungsreformen zeigen, während sie vor
rund zehn Jahren noch als Reformverhin-
derer dargestellt wurden. Und wenn es
Opfer gibt, dann gibt es auch Täter. «Die-
se werden von den Medien heute bei den
Bildungsbürokraten geortet.»
Auf den Bildern, welche die Medien zur
Schule publizieren, seien immer seltener
Lehrerinnen und Lehrer zu sehen. Am
ehesten seien die Lehrer in der Funktion
als Schulleiter abgebildet. Vermehrt wer-
den bei Beiträgen zu Schulfragen Schü-
lerinnen und Schüler oder dann Schul
politiker im Bild gezeigt. Werden Fotos
von Lehrkräften publiziert, dann soche
Erstmals wurde ein Kolloquium des Aktionfeldes Bildung & Sport von Dr. Heinz Bach-
mann geleitet. Der Winterthurer ist der Nachfolger des bisherigen Aktionsfeldleiters
Georg Leumann.
50 51
G E S P R Ä C H
von Lehrern in der Rolle von Lerncoachs
(Lernbegleiter) oder als Freund und Hel-
fer. Weiter sei interessant, dass Bilder zur
Volksschule vor allem in den Regionaltei-
len der Presse erscheinen. Thomas Her-
mann: «Volksschule ist ein regionales
oder gar lokales Thema und Anliegen,
weshalb gesamtschweizerische Projekte
es äusserst schwer haben, Mehrheiten zu
finden – denn es ist die regionale und die
lokale Schule, die Heimat schafft.»
Harmonisierung soll das Lernen
stärken
Die engagierte Diskussion des Publikums
mit den beiden Referenten zeigt zum Teil
Ansätze zu einem Konsens, vor allem
wenn es darum gehen wird, Entwicklun-
gen wieder in Gang zu bringen, die etwas
ins Stocken geraten sind: Insbesondere
wird die Formulierung und Einführung
von Bildungsstandards in die Volksschu-
le als überfällig beurteilt. Mit Bildungs-
standards könne es nicht mehr passieren,
dass Schülerinnen und Schüler, nur weil
sie unterschiedliche Klassen besuchen,
ein anderes Leistungsniveau aufweisen.
Die Konzentration auf Bildungsstandards
könnte auch die hochemotionale Debat-
te – etwa über das Einschulungsalter –
etwas entschärfen, wo auch regionale
Vorstellungen und Traditionen ihre Be-
deutung haben. Harmonisierung lohnt
sich dort, wo sie ganz direkt das Lernen
stärkt.
Zyklus «Soll und kann Schule alles kön-
nen?»; Lilienberg Kolloquium vom 5. Mai
2011, «Schule heute – Ist-Zustand vs.
Medienrealität», mit PD Dr. Urs Moser,
Geschäftsführer Institut für Bildungseva-
luation, Zürich, und Dr. Thomas Her-
mann, Forschungsgruppenleiter Pädago-
gische Hochschule, Zürich; Moderation:
Dr. Heinz Bachmann und Nationalrätin
Brigitte Häberli-Koller (Aktionsfeld Bil-
dung & Sport).
Weitere Anlässe im Rahmen des Zyklus 2011
• 6.Juli2011:KolloquiumzumThema«LebensrealitäteninderSchweiz2011»;mit
Nationalrätin Dr. Lucrezia Meier-Schatz, Geschäftsführerin Pro Familia Schweiz,
St. Peterzell, und Kirsten Oertle-Mildner, Foto Prisma, Frauenfeld. In diesem Kol-
loquium kamen Lebensrealitäten von Kindern und Jugendlichen zur Sprache,
denn diese Lebensrealitäten bestimmen stark, was die Volksschule leisten kann.
(Berichterstattung über diesen Anlass in der Lilienberg Zeitschrift Nr. 27)
• 22.August2011:KolloquiumzumThema«WaskanndieSchuleleistenundwas
nicht? Wer füllt die Lücke zwischen dem Kann und dem Soll?»; mit Prof. Heinrich
Wirth, ehemaliger Prorektor der Pädagogischen Hochschule Thurgau, Eglisau,
und Johann-Christoph Rudin, Rechtsanwalt und Mitinhaber der Mediationsfirma
Schulsupport, Zürich.
• 16.November2011:TagungundAusserordentlichesGesprächzumAbschluss
des Zyklus (Referenten noch nicht bekannt).
Von Stefan Bachofen
Im Dilemma zwischen Schützen und NutzenNaturpärke bieten für alle Beteiligten
einen Mehrwert, und sie sind ökologisch
und ökonomisch sinnvoll. Die Erwartun-
gen an einen Naturpark variieren aller-
dings, je nach Standpunkt, stark. Um ein
Naturparkprojekt umzusetzen, gilt es, vie-
le, zum Teil hohe Hürden zu bewältigen
und Vorurteile aus dem Weg zu räumen.
Das ist das Fazit des ersten Kolloquiums
im Lilienberg Zyklus «Naturpärke – eine
unternehmerische Herausforderung».
«Am besten laden Sie möglichst viele
Landwirte aus Ihrer Region zu einer Car-
fahrt in den Kanton Solothurn ein und
besuchen mit ihnen den Naturpark Thal»,
riet Toni Kappeler, Präsident von Pro
Natura Thurgau, am Kolloquium vom
17. Mai Peter Rutz. Der Meisterlandwirt
aus Dieselbach im unteren Toggenburg
ist seit wenigen Wochen Projektleiter des
Naturparks Neckertal. Er ist überzeugt,
dass die Naturschönheiten des Neckertals
und die regionalen Produkte ein grosses
Kapital darstellen, das besser vermarktet
werden sollte. Doch Peter Rutz muss noch
viel Überzeugungsarbeit leisten. Die
Skepsis seiner Bauern-Kollegen gegen-
über Naturparkprojekten ist gross. Sie
befürchten, dass ein Naturpark ihre in-
tensive Produktion massiv einschränken
könnte.
Am Widerstand der Bauern scheiterte
unlängst auch das Naturparkprojekt
Seerücken zwischen Untersee und Thur.
«Dass es aber auch anders geht, zeigt das
Projekt Thal im Kanton Solothurn», sag-
te Toni Kappeler mit Blickkontakt zu Peter
Rutz. Weil die Trägerschaft eines vom
Bund anerkannten Naturparks die Be-
rechtigung erhält, Güter, die im Parkge-
biet hergestellt worden sind, mit dem
Produktelabel zu versehen, erlangen die
regionalen Produzenten, und damit auch
Moderator Christoph Vollenweider (vor-
ne rechts) diskutiert mit den Referenten
und dem Publikum über den ökolo-
gischen und ökonomischen Sinn von
Naturpärken in der Schweiz. Links die
Referenten des Kolloquiums, Ludwig
Caluori, Dr. Otto Sieber und Samuel Zu-
berbühler (von links).
52 53
U N T E R N E H M E R T U M E D I T o R I A L
die Landwirtschaftsbetriebe, einen Markt-
vorteil. «Die Bauern im Projekt Thal haben
dank des Produktelabels und der grossen
Nachfrage der Touristen nach Parkpro-
dukten deutlich mehr Fleisch und Milch
verkauft als früher. Das Parklabel bedeu-
tet auch für sie eine zusätzliche Einnah-
mequelle.»
«Wo Natur draufsteht, muss Natur
drin sein»
Ein Naturpark im st.-gallischen Neckertal
wäre auch für Dr. Otto Sieber, Zentralse-
kretär von Pro Natura Schweiz, eine Be-
reicherung. Zwar habe sich die Schweizer
Naturparklandschaft in den vergangenen
Jahren stark vergrössert. Mittlerweile gibt
es bereits 20 anerkannte Pärke oder Park-
kandidaten. «Die Region Ostschweiz ist
in der Schweizer Parklandkarte zurzeit
aber überhaupt nicht mehr vertreten»,
bedauert die «Stimme von Pro Natura».
Die älteste Naturschutzorganisation der
Schweiz setzt sich für mehr naturnahe
Lebensräume in unserem Land und für
den Schutz und die Aufwertung von Na-
tur und Landschaft in den Parkgebieten
ein. «Wo Natur draufsteht, muss Natur
drin sein», hielt Otto Sieber in seinem
Referat fest. Die Naturpärke sähen sich
allerdings auch mit einem Dilemma kon-
frontiert. «Nutzen oder schützen?», das
sei die zentrale Frage. Die Erwartungen
divergieren stark. Besucherinnen und Be-
sucher, also Touristen, wollen im Park eine
geschützte Natur antreffen; die Bevölke-
rung hingegen sieht den Park als Kapital
zur regionalen Entwicklung. Die Heraus-
forderung der Verantwortlichen der Na-
turpärke bestehe darin, so Otto Sieber,
beide Ansprüche unter einen Hut zu brin-
gen. «Ein guter regionaler Naturpark er-
kennt Schutz und Aufwertung der Natur
als wichtigen Pfeiler der nachhaltigen
Entwicklung der Region. Er setzt aber
auch einen Fokus auf die Schaffung von
dauerhaftem Mehrwert für die Natur,
und er generiert nachhaltige Wertschöp-
fung.»
Parkbetreiber müssen
Leistungsauftrag erfüllen
Mit einem doppelten Ja beantwortete der
Bündner Kantonsparlamentarier Ludwig
Caluori die Frage von Moderator Chris-
toph Vollenweider, ob Naturpärke ökolo-
gisch und ökonomisch sinnvoll seien. Als
Geschäftsführer des Regionalverbandes
Mittelbünden begleitete er das Projekt
Parc Ela an vorderster Front. Das Manage-
ment-Team des Vereins Parc Ela erwartet
im Spätsommer vom Bundesamt für Um-
welt das Parklabel. Mit dem Label wäre
der Betrieb des Parc Ela für die nächsten
zehn Jahre gesichert und erhielte von
Bund und Kanton jährliche finanzielle Un-
terstützungsbeiträge. Ökologisch mache
ein Naturpark Sinn, weil sich die Land-
schaft im Parkgebiet von Gesetzes wegen
besser entwickelt als anderswo, sagte
Ludwig Caluori. «Denn Parkbetreiber ha-
ben ja einen Leistungsauftrag, der im
eidgenössischen Natur- und Heimat-
schutzgesetz festgehalten ist.»
Höhere Wertschöpfung
in der Region
Er selber sei überzeugt, dass ein Natur-
park auch ökonomisch Sinn mache. «Nur
von den Naturschönheiten allein kann die
Bevölkerung im Parkgebiet ja nicht leben.
Deshalb wollen wir eine höhere Wert-
schöpfung für die Region gewährleisten,
indem wir unsere Naturschönheiten ver-
markten.» Profiteure seien der Tourismus
mit guten, authentischen und erlebnis-
reichen Angeboten, aber auch die Gas-
tronomie, die Dorfläden und der Detail-
handel, und damit indirekt die Produzen-
ten, also die Landwirtschaftsbetriebe.
Er sei sich aber bewusst, dass die Mei-
nungen, ob ein Naturpark wirtschaftlich
Sinn mache, durchaus geteilt seien und
ein gewisses Konfliktpotenzial entstehen
könne. Die Kritik im Gebiet Ela kam, an-
ders als in den Regionen Seerücken und
Neckertal, nicht von den Bauern, die in
einer Bergregion wie den Talschaften
Albula und Surses kaum Alternativen
haben, sich weiterzuentwickeln, und bei
denen der Leidensdruck deshalb gross
ist. Nein, es sind die Verantwortlichen der
Bergbahnen Savognin, die den künftigen
Ausbau ihrer Infrastruktur gefährdet se-
hen, falls der Parc Ela das Parklabel erhält.
Ludwig Caluori: «Seitens der Wirtschaft
bestehen Ängste, dass keine Investitio-
nen und Veränderungen mehr möglich
sind, wenn die Region zum Parkgebiet
gehört.» Die Befürchtungen seien indes-
sen unberechtigt, so Caluori, früher lang-
jähriger Gemeindepräsident von Schmit-
ten. Er verwies auf Zusicherungen von
Bund und Kanton im Richtplan, wonach
die Zugehörigkeit zum Naturpark kein
Hindernis für die Erstellung neuer Bauten
sei. All die kritischen Stimmen zu beruhi-
gen und den Menschen klar zu machen,
dass ein Naturpark für die strukturschwa-
che Region nicht den kompletten Unter-
gang, sondern im Gegenteil langfristig
den wirtschaftlichen Aufschwung bedeu-
tet, sei im Abstimmungskampf im ver-
gangenen Herbst eine veritable Knack-
nuss gewesen. «Wir mussten harte Über-
zeugungsarbeit leisten», gab Ludwig
Caluori offen zu. Doch jetzt sei er opti-
mistisch: «Alles wird gut – aber es braucht
viel Zeit, Energie und Durchhaltewillen.»
Naturpärke als Chance
für den Tourismus
Von einer grossen Chance für den Som-
mertourismus sprach Samuel Zuberbüh-
ler, Product Manager «Naturreisen» bei
Schweiz Tourismus, im Zusammenhang
mit den Naturpärken. Er stelle bei vielen
Städtern, zu denen er selber ebenfalls
gehört, auch in der warmen Jahreszeit
eine Tendenz zum «Raus in die Natur»
fest. «Naturpärke sind für viele Regionen
der USP, da sonst nur wenige oder gar
keine touristischen Attraktionen vorhan-
den sind. Sie eignen sich ideal dazu,
den Sommertourismus anzukurbeln.»
Die gesamte Region profitiere von den
Sind überzeugt, dass Naturpärke ein Gewinn für alle sind. Samuel Zuberbühler
(Schweiz Tourismus), Dr. Otto Sieber (Pro Natura Schweiz), Moderator Christoph
Vollenweider und Ludwig Caluori, Bündner Kantonsparlamentarier und Geschäfts-
führer der Region Mittelbünden (von links).
Im Gebiet Neckertal gibt es Pläne für einen regionalen Naturpark. Der Projektleiter
findet, dass die Naturschönheiten des Neckertals besser vermarktet werden sollen.
54 55
G E S P R Ä C H
Naturpärken, zeigte sich Samuel Zuber-
bühler überzeugt. Was Ludwig Caluori,
in Anspielung auf den Konflikt mit den
Bergbahnen Savognin im Gebiet Ela zur
Spontanaussage verleiten liess, «dass so-
mit selbst die Bergbahnen einen Nutzen
aus den Pärken ziehen müssten».
Laut Samuel Zuberbühler sei es Aufgabe
von Schweiz Tourismus, den Gast aus
dem In- und Ausland von der Schönheit
der einzelnen Regionen zu überzeugen,
ihm konkrete Tipps zu geben, wo die
Schweiz besonders erlebenswert, ein-
drücklich und authentisch ist. Zu diesem
Zweck hat Schweiz Tourismus kürzlich in
Weitere Anlässe
im Jahreszyklus 2011
• 30. August: Kolloquium zum
Thema «Naturparkprojekte im Ver-
gleich – Was motiviert? Was macht
stark?» und Ausserordentliches
Gespräch zum Thema «Naturpärke
– Brücke zwischen Unternehmer-
tum und Ökologie». Referenten
sind Simone Remund, Verantwort-
liche des Bereichs Naturpärke im
Bundesamt für Umwelt, Stefan
Müller, Programmleiter Naturpark
Thal (Schweizer Vorzeigepark) und
Dieter Müller, Geschäftsleiter des
Vereins Parc Ela.
enger Zusammenarbeit mit Coop die Bro-
schüre «Top 100 Erlebnisse» herausge-
ben. Geworben wird für «Ausflüge voller
Emotionen» – beispielsweise in die Na-
turpärke Gantrisch und Jura Vaudois oder
in den Nationalpark im Engadin. Neben
dem Heimmarkt will Schweiz Tourismus
vor allem jene Länder bearbeiten, für
welche die Schweiz wegen des schwa-
chen Euro und US-Dollars nicht teurer
geworden ist, zum Beispiel die stark
wachsenden Fernmärkte Indien, China,
die Golfstaaten und Australien. «So kön-
nen wir den Rückgang bei den Gästen
aus den Euromärkten möglicherweise
kompensieren.»
Erkenntnisse aus dem Kolloquium
Als Fazit des Kolloquiums lässt sich festhalten: Naturpärke sind ein Gewinn für
alle – und eine Chance für die Landwirtschaft, das Gewerbe und den Tourismus.
Regionale Produkte und Dienstleistungen der Gastronomie sowie des Tourismus
profitieren vom Produktelabel, das der Naturpark vergibt. Bereits bestehende
Pärke zeigen, dass das Naturpark-Label ein wertvolles Verkaufsargument ist und
dass damit regionale Produkte auch in das Angebot der Grossverteiler gelangen.
Dies alles dürfte auch Peter Rutz Mut machen. Es lässt ihn hoffen, im Gebiet
Neckertal dereinst ebenfalls einen Naturpark in Betrieb nehmen zu können.
Allerdings: Der Weg bis dorthin ist für Projektleiter Rutz noch lang, steinig und
beschwerlich. Aber vielleicht vermag ja bereits die Carfahrt mit den Toggenburger
Bauern in den Naturpark Thal und ein Gespräch mit den Landwirten im Thal viele
Hürden und Vorurteile aus dem Weg schaffen.
Zyklus «Naturpärke als unternehmerische
Herausforderung»; Lilienberg Kolloquium
vom 17. Mai 2011, «Machen Naturpärke
ökologisch und unternehmerisch Sinn?»,
mit Dr. Otto Sieber, Zentralsekretär Pro
Natura Schweiz, Ludwig Caluori, Ge-
schäftsführer Region Mittelbünden und
Mitglied des Bündner Kantonsparlamen-
tes, und Samuel Zuberbühler, Product
Manager «Naturreisen» Schweiz Touris-
mus; Moderation: Christoph Vollenwei-
der, Leiter Unternehmertum, Stiftung
Lilienberg Unternehmerforum.
Von Hans-Peter Wüthrich und Jörg Kündig
Datenschutz verbessern – Eigenverantwortung stärkenDie Hauptverantwortung für den Daten-
schutz liegt bei uns selber. Darüber waren
sich die Teilnehmenden des dritten Kollo-
quiums im Jahreszyklus des Aktionsfeldes
Politik & Gesellschaft weitgehend einig.
Es sei mehr Eigenverantwortung gefor-
dert – zum Beispiel von Internet-Nutzern
und Mitgliedern sozialer Netzwerke.
Dafür sei jedoch Transparenz erforder-
lich, wofür Daten verwendet werden.
Der Fachmann in Sachen Datenschutz,
Dr. iur. Bruno Baeriswyl, Datenschutzbe-
auftragter des Kantons Zürich, lieferte
mit seinem Referat interessanten Dis-
kussionsstoff.
Obwohl im Zyklus bereits zwei Kolloquien
stattgefunden haben und schon sehr
viele Meinungen zum Zyklus-Thema
«Auf dem Weg zum gläsernen Menschen»
gemacht worden sind, hat der Vortrag
des Zürcher Datenschutzbeauftragten
Dr. Bruno Baeriswyl vom 29. März noch
einmal deutlich aufgezeigt, wie viel-
schichtig die Herausforderungen rund um
IT wirklich sind.
«Unser Rechtsstaat basiert auf liberalen
Grundwerten», sagte der Referent einlei-
tend. Der Persönlichkeitsschutz sei Teil
der Autonomie und ein Fundament un-
serer liberalen Rechts- und Wirtschafts-
ordnung. Dabei gelte es, folgende Rech-
te zu garantieren:
• RechtaufPrivatsphäre
• Rechtaufinformationelle
Selbstbestimmung
• RechtaufVertraulichkeitund
Integrität
• SchutzvorMissbrauch
Die Aufgaben eines Datenschutzbeauf-
tragten basieren auf der Bundesverfas-
sung und dem Schweizerischen Zivilge-
setzbuch (ZGB) und sind insbesondere im
Spannungsfeld zwischen IT-Möglichkei-
ten und dem Schutz der Persönlichkeit
angesiedelt.
Information als Produktionsfaktor
In der heutigen Zeit wächst die Daten-
menge unaufhörlich, und der Entwick-
lung sind technisch keine Grenzen ge-
setzt. Information und Wissen werden
seit geraumer Zeit als vierter Produktions-
faktor – nebst Boden, Kapital und Arbeit
– erkannt. Information hat deshalb auch
ihren Preis. Daten werden intelligent, und
ihre Vielfalt öffnet dem Missbrauch Tür
und Tor. «Deshalb sollten Mittel und
Wege gefunden werden, welche es über-
haupt ermöglichen, Zugriff und Nutzung
Der Datenschutzbeauftragte
• stelltsicher,dassdiePrivatsphäre
der Bürgerinnen und Bürger res-
pektiert wird;
• fördertdenEinsatzdatenschutz-
freundlicher Technologien;
• informiert und sensibilisiert die
Öffentlichkeit.
56 57
U N T E R N E H M E R T U M
der Datenmengen zu überwachen», sag-
te Bruno Baeriswyl.
Die Missbrauchsbekämpfung sei primär
auf die Verwendung von Informationen
ausgerichtet; aber auch Selbstverant-
wortung könne nur wahrgenommen
werden, wenn eine vollständige Transpa-
renz darüber herrscht, wo und wie die
Daten verwendet werden.
Persönliche Daten als Preis
für soziale Netzwerke
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des
Kolloquiums äusserten sich zu den ver-
schiedenen Fragen rund um die Selbst-
verantwortung und Regulierung sehr
engagiert und pointiert. Risikotechnolo-
gien seien Überwachungs- und Ortungs-
technologien. Soll zum Beispiel Google
Street View tatsächlich in die Wohn-
zimmer sehen und diese Bilder ins Netz
stellen dürfen? Wo liegt eigentlich die
Selbstverantwortung des Einzelnen
(Sichtschutz verwenden)? Wie weit soll
der Staat gesetzliche Auflagen machen?
Sind wir nicht schon heute überreguliert
und haben in gesetzgeberischen Ange-
legenheiten einen riesigen Vollzugsnot-
stand? Wie können und sollen die neus-
ten Ansätze für den Schutz der Privat-
sphäre aussehen? Ist ein solcher Schutz
überhaupt gewünscht – oder werden wir
uns einfach daran gewöhnen, dass es die
Art von Privatsphäre aus der Vor-IT-Zeit
nicht mehr gibt? Gerade die sozialen
Netzwerke wie Facebook oder Netlog
zeigten, dass wir nur allzu gerne bereit
sind, für die Teilnahme am sozialen Leben
im Netz unsere privatesten Daten als Preis
zu bezahlen.
Unlöschbarkeit von Daten wird
zur Hypothek
Ziel gemeinsamer Anstrengungen müss-
te es sein, so die einhellige Meinung der
Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die in-
formationelle Integrität zu garantieren.
Insbesondere die Unlöschbarkeit von Da-
ten werde zur Hypothek. Deshalb, so die
klare Aussage, müsse es möglich werden,
Daten mit einer Ablaufzeit zu versehen
beziehungsweise sicherzustellen, dass,
wenn der Inhaber das will, die Daten ge-
ändert werden oder sich gar selber nach
dem Ende einer bestimmten Laufzeit zer-
stören können. Zudem müsste ein ein-
heitliches Schutzniveau definiert werden.
Es müsste gelingen, ein Verfahren zur
Durchsetzung von Datenschutz mit Sank-
tionen zu implementieren.
Transparenz als Voraussetzung
für die Selbstverantwortung
Im Rahmen der Diskussion erhielt die
Selbstverantwortung einen sehr hohen
Stellenwert. Damit diese aber wahrge-
nommen werden könne, sei Transparenz
entscheidend. Es müsse klar sein, wofür
und für wen die zur Verfügung gestellten
Daten verwendet werden. Eigentlich, so
verschiedene Aussagen aus dem Plenum,
gäbe es dabei ein vorrangig zu schützen-
des Gut, nämlich die Daten zur Gesund-
heit. Diese seien auf jeden Fall zu schüt-
zen und dürften nie missbräuchlich ver-
wendet werden.
Man war sich auch einig, dass der Staat
im Rahmen des Datenschutzes eine sehr
schwierige Rolle wahrzunehmen habe.
Die Ansprüche seien hoch. Der Staat
müsste nur dort eingreifen, wo es für
den einzelnen Bürger nicht mehr zumut-
bar sei, selbst zu kontrollieren, wie und
wo seine persönlichen Daten genutzt und
verwendet werden. Wichtigste Voraus-
setzung, diese Kontrolle selbst wahrzu-
nehmen, seien die Verpflichtung, etwa
von sozialen Netzwerken, zur Transpa-
renz sowie die eigentliche Definition des
Missbrauchs.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des
Kolloquiums waren sich aber auch da-
rüber einig, dass man eine gewisse
Ohnmacht im Zusammenhang mit der
Datenregulierung und Kontrolle der Da-
tennutzung eingestehen sollte. Dies dür-
fe aber nicht dazu führen, dass man
entsprechende Bemühungen zur Verbes-
serung der Situation einfach aufgibt. Da-
bei stehe eine Frage im Zentrum: Was
kann jeder Einzelne von uns tun, welches
ist sein Beitrag zur Veränderung? Wie viel
Selbstverantwortung sind die Bürgerin-
Es gilt dabei laut dem Datenschutzbeauftragter, folgende Fragen zu beantworten:
• WerverfügtüberdieDaten?
• WaskannmitdenDatengemachtwerden?
• WeristfürdieSicherheitderDatenverantwortlich?
• WelcheRechtehatderEinzelnebeiMissbrauchderDaten?
Die Risiken, die es dabei zu berücksichtigen gilt, sind:
• Persönlichkeitsprofile(Freundeskreis,Interessenetc.)
• MissbrauchderDaten(Werbung,Marketingetc.)
• VerwendunginanderemZusammenhang(Personalrekrutierung,
Versicherungen etc.)
• KeineLöschungderDaten(«ewige»Datenspur)
nen und Bürger bereit zu übernehmen,
und wo muss die Regulierung durch den
Staat einsetzen? Können und dürfen
Ethik-Grundsätze und das kommerzielle
Verhalten des Individuums, der Unterneh-
mungen und der Gesellschaft gegenein-
ander ausgespielt werden?
Zyklus «Auf dem Weg zum gläsernen
Menschen»; Lilienberg Kolloquium vom
29. März 2011, «Selbstverantwortung
und Regulierung», mit Dr. Bruno Ba-
eriswyl, Datenschutzbeauftragter des
Kantons Zürich; Moderation: Hans-Peter
Wüthrich und Jörg Kündig (Aktionsfeld
Politik & Gesellschaft).
Dr. Bruno Baeriswyl, Datenschutzbe-
auftragter des Kantons Zürich, (Mitte)
zusammen mit den beiden Verantwort-
lichen des Aktionsfeldes Politik & Ge-
sellschaft, Hans-Peter Wüthrich (links)
und Jörg Kündig.
58 59
G E S P R Ä C H
Von Hans-Peter Wüthrich und Jörg Kündig
Technische Entwicklung: Gefahr oder Unterstützung?Mit dem Ausserordentlichen Gespräch fand
der Zyklus «Auf dem Weg zum gläsernen
Menschen» des Aktionsfeldes Politik und
Gesellschaft am 10. Mai seinen Abschluss.
Das Publikum hatte die Gelegenheit, Stel-
lung zu nehmen zu den in den Kolloquien
diskutierten Zukunftsperspektiven und Lö-
sungsansätzen rund um die bestehenden
und künftigen Herausforderungen in der IT-
Technologie. Die wichtigsten Erkenntnisse
aus dem Zyklus: Eine Mehrheit der Bevöl-
kerung akzeptiert den heutigen Überwa-
chungsstaat – zumindest stillschweigend.
Und: Technische Entwicklung soll nicht als
Gefahr, sondern in erster Linie zur Unter-
stützung im Alltag betrachtet werden.
Nach einer grundsätzlichen Positionie-
rung des Gesprächs durch Hans-Peter
Wüthrich liessen die Referenten der vor-
ausgehenden Kolloquien in einem ver-
kürzten Abriss ihre Erkenntnisse Revue
passieren. Zuerst beleuchtete Rechtsan-
walt Patrik Häberlin die Problematik aus
juristischer Sicht. Der Mensch als Daten-
träger, die Möglichkeit, über Produkte
mit Smart Chips Bewegungsprofile zu
erstellen, sowie die Vernetzung zahlrei-
cher Detailinformationen zu einem Ge-
samtbild von einzelnen Personen bereiten
vielen Bürgern Sorgen, beispielsweise die
damit verbundene Möglichkeit der zu-
nehmenden Überwachung am Arbeits-
platz. Der Gesetzgebungsprozess hinke
der rasanten technischen Entwicklung
stets hinterher, so Patrik Häberlin, und
das führe zu einer Rechtsunsicherheit und
erhöhe die Ermessensrechtsprechung
durch die Richter.
Neue Technologien fördern
Demokratie langfristig
Anschliessend befasste sich Martin Zen-
häusern, Inhaber der Firma Zenhäusern
& Partner, mit der Frage, ob der Mensch
trotz dem technischen Fortschritt ein po-
litisches Wesen bleibe. Er strich heraus,
dass Mensch und Politik untrennbar mit-
einander verbunden sind, denn die Politik
regelt das Zusammenleben, und sei es
nur für zwei Personen. Zwar könnten die
neuen Technologien die Demokratie
kurzfristig gefährden – als Beispiel nann-
te er die Erschütterung von bestehenden
Systemen. Langfristig würden sie diese
aber fördern, stabilisieren und enthierar-
chisieren.
Eine noch zentralere Rolle als heute wer-
de künftig der Eigenverantwortung zu-
kommen. Martin Zenhäusern vertrat auch
die Ansicht, dass alle grossen Aufgaben
unserer Zeit nur gemeinsam gelöst wer-
den könnten. Schliesslich sollte aber auch
in einer zunehmend globaler agierenden
Wirtschaft die lokale Verwurzelung als
Basis im kleinen Umfeld nicht vernach-
lässigt werden. Sein wichtigstes Credo
lautet: «Recht haben wollen um jeden
Preis bringt uns nicht weiter. Wir müssen
die Probleme lösen.»
Politik handelt selten proaktiv
Yvette Estermann, Luzerner SVP-Natio-
nalrätin, komplettierte das Podium. Sie
beleuchtete das Thema unter politischen
Gesichtspunkten. In ihrem Eintretens-
votum nahm sie die geäusserten Sorgen
und Überlegungen auf, beruhigte aber
auch gleichzeitig. Sie unterstrich, dass der
verantwortungsvolle Umgang mit den
Erkenntnisse aus dem Zyklus
Nach den Statements der Podiumsteilnehmenden entwickelte sich eine lebhafte
Diskussion unter Miteinbezug des Publikums. Die Besorgnis wurde zwar zur
Kenntnis genommen, weitgehend aber nicht geteilt. Offenbar, so die Erkennt-
nis von Patrik Häberlin, werde der heutige Überwachungsstaat stillschweigend
akzeptiert. Die zunehmende Mobilität – ermöglicht durch die Elektronik –, das
Ausbleiben der Kreativität beim zunehmenden Verweilen in den sozialen elektro-
nischen Netzwerken, Google Streetview und dessen Folgen, aber auch die grund-
sätzliche Rolle des Gesetzgebers und die zunehmende Einschränkung der Men-
schen durch die Gesetzesflut wurden vom Publikum angesprochen.
Zusammenfassend könnte ein Slogan als Titel über die Ausführungen und Bemer-
kungen aller Anwesenden gestellt werden: «Die Natur ist stärker». Deshalb sei
es wichtig, dass der Mensch Verantwortung trägt und sie aktiv übernimmt. Der
Umgang mit den Möglichkeiten der neuen Technologien muss und wird sich ent-
wickeln (müssen). Ausbildung, Erziehung, aber auch Vorbildfunktion der verant-
wortlichen Personen sind von hoher Bedeutung. Klar ist: Die technische Entwick-
lung wird weiter voranschreiten. Wir können sie nicht aufhalten, und wir werden
vor der Herausforderung stehen, sie als hilfreiches Unterstützungsmittel in unse-
rem Alltag zu verstehen, ohne uns von ihr dominieren zu lassen.
In der Abschlussveranstaltung des Jahreszyklus im Aktionsfeld Politik & Gesellschaft diskutierte Hans-Peter Wüthrich (Zweiter von
links) auf dem Podium mit Nationalrätin Yvette Estermann, Rechtsanwalt Patrik Häberlin (links) und Martin Zenhäusern.
61
A U S B L I C K
60
Rationalisiert die Technik Arbeitsplätze weg?
Das Zitat von Jules Verne «Was der Mensch denken kann, das kann er auch reali-
sieren» brachte das Thema des zu Ende gegangenen Zyklus präzis auf den Punkt.
Es ist immer der Mensch, der Ideen entwickelt, diese realisiert, für sie die Verant-
wortung übernimmt und so für die Weiterentwicklung der Gesellschaft und der
Menschheit sorgt. Im Guten wie auch im weniger Guten. Die Technik ist lediglich
dazu geeignet, diese Entwicklung zu unterstützen, zu beschleunigen und dem
Menschen die Arbeit zu erleichtern. Allerdings stellen sich als Folge dessen auch
einige tief greifende Fragen. Zum Beispiel: Rationalisiert die technologische Ent-
wicklung je länger, je mehr die Arbeitsplätze weg und damit einen der wichtigs-
ten Lebensinhalte von uns Menschen? Wie beschäftigt sich der Mensch in der
Zukunft, was sind dannzumal seine Lebensinhalte? Welche Rolle kann die For-
schung bei der Lösung dieser existenziellen Fragen übernehmen? Fragen, welche
die Verantwortlichen des Aktionsfeldes Politik & Gesellschaft in einem Fortset-
zungszyklus beantworten wollen.
technischen Möglichkeiten durchaus der
Normalität entspreche. Was die Transpa-
renz betreffe, sei dies gerade für Politi-
kerinnen und Politiker eine Selbstver-
ständlichkeit. Klarheit zu schaffen für
das, was man einstehe, sei absolut wich-
tig und zentral, wenn Vertrauen gebildet
und gefördert werden solle. Gleichzeitig
gestand sie ein, dass die Politik vornehm-
lich auf Dinge und Ereignisse reagiere
und nur selten proaktiv den Entwicklun-
gen voraus sei. Das liege in der Natur der
Sache. Deshalb könne die Politik die tech-
nische Entwicklung nur sehr schlecht
mitbestimmen.
Zyklus «Auf dem Weg zum gläsernen
Menschen»; Lilienberg Ausserordentli-
ches Gespräch vom 10. Mai 2011, «Der
Einfluss der IT auf das Individuum und die
Gesellschaft», mit Nationalrätin Yvette
Estermann, Kriens, Patrik Häberlin, Rechts-
anwalt, Häberlin & Partners, Frauenfeld,
und Martin Zenhäusern, Zenhäusern &
Partner, Zürich; Moderation: Hans-Peter
Wüthrich und Jörg Kündig (Aktionsfeld
Politik & Gesellschaft).
Prof. Dr. Werner Inderbitzin ist Gründungs-
rektor der Zürcher Hochschule für Ange-
wandte Wissenschaften (ZHAW). Ende
August gibt er das Rektorenamt ab. Kurz
danach, am Dienstag, 13. September, wird
Werner Inderbitzin Gast eines unterneh-
merischen Gesprächs sein und hauptsäch-
lich zum Thema «Führen einer Hochschule»
befragt. Der 62-Jährige studierte an der
Universität Zürich Ökonomie und promo-
vierte 1978 zum Dr. oec. publ. Seit 1979
war er Lehrbeauftragter und Dozent an der
HWV Zürich, später an der Zürcher Hoch-
schule Winterthur (ZHW) und jetzt bei der
ZHAW. Von 1998 bis 2000 führte er das
Departement Wirtschaft und Management
der ZHW. Von 2000 bis 2005 war er Rektor
der ZHW. Ab 2006 bis zur Gründung der
ZHAW im September 2007 leitete Werner
Inderbitzin das Umsetzungsprojekt des
Zusammenschlusses der vier bis an-
hin selbstständigen Hochschulen Zürcher
Hochschule Winterthur, Hochschule Wä-
denswil, Hochschule für Angewandte Psy-
chologie und Hochschule für Soziale Arbeit
zur ZHAW. In seinen wissenschaftlichen
Arbeiten befasst er sich hauptsächlich mit
Fragen der Geld- und Währungspolitik so-
wie dem schweizerischen Arbeitsmarkt
und den Beschäftigungsaussichten in ver-
schiedenen Branchen. Der Vater zweier
erwachsener Söhne unterrichtet heute an
der ZHAW im MAS Business Administrati-
on das Fach Volkswirtschaftslehre.
Von Stefan Bachofen
Gespräch mit dem abtretenden Gründungsrektor der ZHAW
Prof. Dr. Werner Inderbitzin wird kurz
nach seinem Rücktritt als ZHAW-
Rektor Gast eines unternehmerischen
Gesprächs sein.
«Schweiz–EU» als Thema
von Podium
Am Dienstag, 27. September, findet
auf Lilienberg eine weitere Beson-
derheit zum Thema «Das Verhält-
nis der Schweiz zur Europäischen
Union» statt. Unter der Leitung
von Dr. h. c. Walter Reist diskutie-
ren Nationalrat Bruno Zuppiger
(SVP, ZH), Präsident des Schweizeri-
schen Gewerbeverbandes, der ehe-
malige Nationalrat Gerold Bührer
(FDP, SH), Präsident von Economie-
suisse, Nationalrat Paul Rechsteiner
(SP, SG), Präsident des Schweizeri-
schen Gewerkschaftsbundes, sowie
Nationalrat Corrado Pardini (SP, BE),
Leiter der Sektion Industrie bei der
Gewerkschaft Unia. (Bacs)
62 63
A U S B L I C K
Von Stefan Bachofen
Annemarie Huber-Hotz spricht über die Führung einer Freiwilligen-organisationAm 7. September, ist die ehemalige Bun-
deskanzlerin Dr. h. c. Annemarie Huber-
Hotz Gast auf Lilienberg. Im Rahmen des
65. Forums spricht die Zugerin, die seit
ihrem Rücktritt aus dem Bundesdienst in
verschiedenen NGOs und Stiftungen tätig
ist, über Freiwilligenarbeit und das Führen
von gemeinnützigen Organisationen, in
denen Freiwillige mitwirken. Ein topaktu-
elles Thema, ist das Jahr 2011 doch auch
zum europäischen Jahr der Freiwilligen-
tätigkeit erklärt worden.
Annemarie Huber-Hotz war die erste Frau
an der Spitze der Bundeskanzlei. In dieser
Funktion amtete sie von 2000 bis 2007
als Stabschefin der Landesregierung. Sie
unterstützte den Bundesrat und insbe-
sondere den Bundespräsidenten in seiner
täglichen Arbeit. Unter anderem reorga-
nisierte sie die Kanzlei und unterteilte sie
in vier Führungsbereiche.
Auch nach ihrem Rücktritt als Bundes-
kanzlerin steht Annemarie Huber-Hotz
jeden Tag in der Verantwortung, nicht
mehr in der Politik, aber für die Zivilge-
sellschaft: Vor vier Jahren übernahm sie
als Nachfolgerin von alt Nationalratsprä-
sidentin Judith Stamm das Präsidium der
Schweizerischen Gemeinnützigen Gesell-
schaft (SGG), das sie bis vor Kurzem aus-
übte. Die SGG, die sich seit 200 Jahren
für das aktive und freiwillige Engagement
der Bürgerinnen und Bürger zugunsten
des Gemeinwesens einsetzt, war eine der
treibenden Kräfte bei der Gründung von
sozialen Organisationen wie der Pro Ju-
ventute, der Pro Senectute, der Berghilfe,
der Pro Familia, der Pro Mente Sana und
der ZEWO, der Schweizerischen Zertifi-
zierungsstelle für gemeinnützige, Spen-
den sammelnde Organisationen.
Auch Präsidentin der
Rütlikommission
Ins Leben gerufen wurde die SGG im Jahr
1810 mit dem Hauptziel, gemeinnützige
Aktivitäten und Wohltätigkeit in der
Schweiz zu fördern, sowohl in geistiger
als auch in materieller Hinsicht. 1860
schenkte die SGG der Eidgenossenschaft
die Rütliwiese und ist seither deren Ver-
walterin mit einer eigenen Rütlikommis-
sion. Seit acht Jahren fördert sie gezielt
Forschung zur Freiwilligkeit und lancierte
2005 in Partnerschaft mit dem Migros-
Kulturprozent und dem Bundesamt für
Statistik den sogenannten Freiwilligen-
Monitor. Heute zählt die SGG über 3500
Mitglieder.
Als Präsidentin der Schweizerischen Ge-
meinnützigen Gesellschaft ist Annemarie
Huber-Hotz von Amtes wegen auch Prä-
sidentin der Rütlikommission.
Neben ihrer Tätigkeit für die Schweizeri-
sche Gemeinnützige Gesellschaft enga-
giert sich die bald 63-Jährige, die Mitglied
der FDP ist, seit 2007 als Vizepräsidentin
des Schweizerischen Roten Kreuzes, der
mit rund 50 000 Freiwilligen grössten
NGO der Schweiz, bei der Berghilfe
und in verschiedenen Stiftungsräten, so
auch als Präsidentin der Stiftung für
den Schweizerischen Bankenombuds-
mann. Sie ist zudem im Fachhochschulrat
der Hochschule Luzern tätig. Vor den
Sommerferien wurde Annemarie Huber-
Hotz zur Präsidentin des Schweizerischen
Roten Kreuzes gewählt und trat als Prä-
sidentin der SGG zurück.
November-Forum mit der ETH-Rektorin
Bekannt ist auch der Gast des letzten Forums in diesem Jahr, des 66. Lilienberg
Forums insgesamt. Am Donnerstag, 10. November, berichtet Prof. Dr. Heidi Wun-
derli-Allenspach, erste Rektorin der ETH Zürich, aus ihrem Wirkungskreis. Die 64-Jäh-
rige trat das Rektorenamt als Nachfolgerin von Konrad Osterwalder am 1. September
2007 an. Heidi Wunderli ist Biologin und Biopharmazeutin. Nach dem Abschluss ihres
Biologiestudiums an der Abteilung für Naturwissenschaften an der ETH Zürich absol-
vierte sie an der Universität Zürich ein Zweitstudium für experimentelle Medizin und
Biologie und promovierte am Biozentrum der Universität Basel. Anschliessend war sie
zwei Jahre an der Duke University in Durham (North Carolina, USA), drei Jahre am
Schweizerischen Institut für Experimentelle Krebsforschung in Epalinges und eben-
falls drei Jahre am Institut für Immunologie und Virologie der Uni Zürich als Post-
doktorandin tätig. Als Postdoktoranden bezeichnet man Wissenschaftler, die nach
Beendigung ihrer Promotion an einer Uni oder einem Forschungsinstitut befristet
angestellt sind und während dieser Zeit an Forschungsprojekten mitarbeiten.
1986 wurde Heidi Wunderli Assistenzprofessorin an der ETH Zürich, 1992 aus-
serordentliche Professorin. 1995 erfolgte die Berufung als ordentliche Professorin
für Biopharmazie am Institut für Pharmazeutische Wissenschaften der ETH Zürich.
Die Forschungsschwerpunkte von Heidi Wunderli-
Allenspach sind zellbiologische Aspekte der Biophar-
mazie sowie die Entwicklung von relevanten Zell-
kultur-Modellen für den Stofftransport durch das
Drüsengewebe. Zentrale Bedeutung ihrer Arbeit ist
die Lichtmikroskopie. Lichtmikroskope eignen sich zur
Darstellung von Gewebestrukturen und Zellen. (Bacs)
ETH-Rektorin Prof. Dr. Heidi Wunderli-Allenspach
während ihrer Ansprache am ETH-Tag vom
November 2010.
Die frühere Bundeskanzlerin Dr. h. c.
Annemarie Huber-Hotz ist heute unter
anderem Präsidentin der Schweizeri-
schen Gemeinnützigen Gesellschaft.
64 65
A U S B L I C K
Von Christoph Vollenweider
Die Schweizerische Landwirtschaft und die globalen Herausforderungen im ErnährungsbereichVerknappung und Verteuerung der Le-
bensmittel, wachsende Bevölkerung, Kli-
mawandel, schwindende Ressourcen,
Rückgang der Bodenfruchtbarkeit, ver-
änderte Essgewohnheiten, spektakuläre
Lebensmittelkrankheiten, Landaufkäufe
von Staaten und Grosskonzernen in Afrika,
Agrarfreihandel, Patente auf Saatgut, Le-
bensmittel als Spekulationsobjekt etc. etc.
Diese Schlagworte verkörpern die grossen
Trends in der globalen Land- und Ernäh-
rungswirtschaft, die der Welt bereits heu-
te zu schaffen machen. Der Weltagrar-
bericht der Food and Agriculture Organi-
zation (FAO) spricht von drohenden
Lebensmittelengpässen, weist aber auch
Wege auf, wie dieses grosse Menschheits-
problem angepackt und gelöst werden
könnte. Der Schlüssel für die Bewältigung
der globalen Ernährungsprobleme liegt
darin, dass jede Region der Erde ihr land-
wirtschaftliches Potenzial unter grösst-
möglicher Berücksichtigung der ökologi-
schen und ethischen Grundsätze aus-
schöpft und die Menschen souverän über
ihre Ernährung entscheiden dürfen. Eine
gesunde Ernährung muss ein Menschen-
recht sein, während die Beachtung öko-
logischer und ethischer Standards als
globale Pflicht zu betrachten ist.
Ganzheitliche
Landwirtschaftspolitik
Die Schweiz wird mit diesen Fragen und
Problemen auch konfrontiert. Darum
muss sich unser Land die Frage stellen,
wie es die eigene Landwirtschaftspolitik
gestalten soll, damit die eigenen Ressour-
cen und Möglichkeiten optimal ausge-
schöpft werden können – als Beitrag zur
Ernährungssicherheit und Ernährungssou-
veränität. Das erfordert eine ganzheitliche
und umfassende Betrachtung der schwei-
zerischen Landwirtschaftspolitik aus inter-
disziplinären Gesichtswinkeln.
Die Stiftung Lilienberg Unternehmerforum
führte bereits im vergangenen Jahr einen
Zyklus zur schweizerischen Landwirt-
schaftspolitik durch. Dabei ging es um eine
ganzheitliche Betrachtung der Landwirt-
schaft unter Berücksichtigung aller mone-
tären und ideellen Aspekte. Es hat sich
allerdings gezeigt, dass angesichts der
gewaltigen globalen Dimension des The-
mas eine noch grundsätzlichere und ver-
tieftere Diskussion notwendig und ange-
zeigt ist, um Visionen und neue Impulse
für die Gestaltung der künftigen schwei-
zerischen Landwirtschaftspolitik zu ge-
winnen. Die Stiftung Lilienberg Unterneh-
merforum hat deshalb einen neuen Zyklus
zu diesem Thema konzipiert, um den
Problemkomplex Ernährung und Land-
wirtschaft an die Oberfläche zu bringen
und einem weiteren Kreis bewusst zu ma-
chen. Diesen Zyklus stellen wir Ihnen hier
vor. Er beginnt mit einer Startveranstal-
tung und umfasst drei Kolloquien, eine
Tagung und ein abschliessendes Podiums-
gespräch. Die Termine stehen noch nicht
fest. Der Zyklus beginnt am 20. Oktober
und dauert ins nächste Jahr hinein.
Wo liegt der Schlüssel für eine Siche-
rung der globalen Ernährung? In Gross-
farmen mit Monokulturen (wie in den
USA, Bild links) … oder in einer klein-
räumig strukturierten Landwirtschaft,
wie hier in den Schweizer Voralpen?
Der neue Zyklus zum Thema Landwirt-
schaft soll dazu eine differenzierte
Antwort geben.
Folgende Veranstaltungen sind vorgesehen:
• UnternehmerischesGesprächzumThema«DieGrenzendesMarktesimAgrar-
bereich» mit Prof. Dr. Hans Christoph Binswanger, Uni St. Gallen, und Thomas
Gröbly, Ethiker, Fachhochschule Nordwestschweiz.
• Erstes Kolloquium mit dem Titel «Was ist gesunde Ernährung und was sind
gesunde Lebensmittel?». Angefragt sind Referenten aus der Lebensmittelindustrie,
der Ernährungswissenschaft und der Organisation Culinarium.
• ZweitesKolloquiummitdemTitel«WannistdieProduktionvonLebensmitteln
gesund und nachhaltig?» mit Rudi Berli, Uniterre (Vertragslandwirtschaft), Erika
Städeli Scherrer, Konsumenten-Vereinigung Nordwestschweiz, und einem Vertre-
ter des Bundesamtes für Landwirtschaft.
• DrittesKolloquiummitdemTitel«WiemüsstedieidealeLandwirtschaftspolitik
der Schweiz aussehen?» mit Urs Brändli, Präsident von BioSuisse, Dr. sc. tech. Urs
Niggli, Direktor FIBL, und einer weiteren Referentin.
• Tagung und Podiumsgespräch mit dem Titel «Die Schweizerische Landwirt-
schaftspolitik – Forderungen und Realität» mit Vertretern des Bundesamtes für
Landwirtschaft, des Schweizerischen Bauernverbandes und weiterer Organisatio-
nen aus der Ernährungswirtschaft. Diskussion von Visionen und Impulse für eine
ganzheitliche Landwirtschaftspolitik.
Der Zyklus wird als Ganzes und als Einzelanlässe ausgeschrieben.
66 67
B I L D U N G
Von Glenn Mueller
«Ins Gelingen verliebt, ans Scheitern nie denkend»Das Bild des Schuhmachers im 21. Jahr-
hundert hat sich im Vergleich zu früheren
Zeiten stark verändert. Waren es damals
Handwerker mit eigener Werkstatt im
Hause, sind es heute junge, dynamische
Unternehmer, die keinen Tag am gleichen
Ort verweilen. Ihr Handwerk besteht dar-
in, Mitarbeitenden wie auch Kunden das
Gefühl zu geben, im Zentrum ihres Inter-
esses zu stehen. Karl Müller jun. und Clau-
dio Minder, Gründer und CEO von Joya
Schuhe AG, gaben auf Lilienberg Einblick
in das Leben eben solcher Schuhmacher.
Vor vier Jahren gründeten die beiden
Freunde Karl Müller und Claudio Minder
das Unternehmen Joya Schuhe in einer
kleinen WG-Wohnung. Kunden wurden
zum Verkaufsgespräch durch die Küche
ins provisorische Büro geführt. Mit gera-
de einmal vier paar Schuhen versuchten
Sie den Schuhmarkt, der von zwei An-
bietern dominiert wurde, zu erobern.
Bald aber merkten sie, dass ihr Konzept,
das keinen Marketing-Support für ihre
Verkaufsstellen vorgesehen hatte, nicht
funktionierte. So entwickelten sie ihre
Schuhe weiter, entwarfen entsprechende
Werbemittel und legten sich eine Marke-
tingstrategie an.
Was in einer kleinen Wohnung begann,
wuchs bis heute zu einem florierenden
Unternehmen, das sich gegen die grosse
Konkurrenz bewähren kann. Doch was
sind nun die Erfolgsfaktoren dieser zwei
jungen Unternehmer? Im Vorfeld des Li-
lienberg Fachgesprächs vom 20. April
wurden die fachspezifischen Kompeten-
zen eines erfolgreichen Unternehmers
wie folgt definiert: «[…]Kalkulieren kön-
nen und die zur Verfügung stehenden
Produkte mit Wettbewerbsvorteilen über
den Selbstkosten und vom zahlungsbe-
reiten Markt das Geld für die Produkte
oder Dienstleistungen erhalten können
[…].»
Wissen, wofür man arbeitet
In Fachgesprächen will Lilienberg aber die
Aufmerksamkeit auf die Wörter zwischen
diesen Zeilen aus Lehrbüchern richten.
Teilnehmer Jan Krause konnte das von den beiden Vergleichspersönlichkeiten Gehör-
te im Sinne eines Know-how-Transfers auf sein eigenes unternehmerisches Umfeld
übertragen.
Gerade in dieser Hinsicht blieben Karl
Müller und Claudio Minder den Teilneh-
menden nichts schuldig. Eindrücklich
schilderten sie, welche Werte sie verfol-
gen und warum alle Mitarbeitenden bei
ihrer Einstellung ein Mission-Statement
unterschreiben müssen. Den beiden Un-
ternehmern ist es wichtig, dass jeder ge-
nau weiss, wofür er arbeitet und welches
die Ziele und Werte ihres Unternehmens
sind.
Nach einem ausgedehnten Impulsreferat
konnten die Teilnehmenden im Gespräch
das Gehörte auf ihr unternehmerisches
Umfeld übertragen, um zu eruieren, wo
ihre Erfolgsfaktoren zu liegen kommen.
Es zeigte sich, dass zwar die Teilnehmen-
den aus verschiedensten Branchen kom-
men, doch meist die gleichen Fragen oder
Problemstellungen haben.
Zum Abschluss definierten die beiden
Vergleichspersönlichkeiten ihre Erfolgs-
faktoren wie folgt:
• EinqualitativeshochstehendesProdukt
anzubieten, hinter dem sie stehen kön-
nen.
• InsGelingenverliebt,ansScheiternnie
denkend.
• DieBeziehungenzuihrenPartnernak-
tiv zu pflegen mit Veranstaltungen, die
auch ausserhalb der Geschäftszeiten
stattfinden (Skiweekend, Rundflüge etc.).
Dies ermöglicht eine persönlichere Bezie-
hung und engere Bindung.
• EtwasGutesfürdieGesellschafttun.
• Freude,SpassundMotivation.
Somit fand jeder Teilnehmende die Ant-
worten auf die vier unternehmerischen
Fragen: Was macht Sinn, was macht
Spass, was macht stark, und was lohnt
sich?
Stimmen der Teilnehmenden
«Ein Gespräch, das lebt und
belebt. Unternehmende lernen
von Unternehmenden im wahrs-
ten Sinne des Wortes. Ein Nach-
mittag, der motivierte, weil sich
nicht nur die Referenten, sondern
jeder Teilnehmer einbrachte. Alle
kochen mit dem selben Wasser.»
«Bereichernd, inspirierend, ein-
fach toll!»
Karl Müller jun., Gründer und CEO
von Joya Schuhe AG, informiert
im Gespräch mit den Teilnehmenden
über seine Marketingstrategie.
6968
B L I C K W I N K E LM I T G L I E D S C H A F T
Von Stefan Bachofen
Herzlich willkommen als Lilienberg FreundDabei sein, wenn alt Bundeskanzlerin An-
nemarie Huber-Hotz oder ETH-Rektorin
Heidi Wunderli-Allenspach aus ihrem
persönlichen Wirkungskreis erzählen.
Hautnah miterleben, wie VBS-Chef Ueli
Maurer und Korpskommandant André
Blattmann über die künftigen Heraus-
forderungen unserer Armee denken.
Oder zusammen mit Fachleuten des Bun-
desamtes für Umwelt und von Schweiz
Tourismus aktiv über den ökologischen
und unternehmerischen Sinn von Natur-
pärken in unserem Land debattieren. Dies
alles ist auf Lilienberg möglich.
Eine Mitgliedschaft in der Lilienberg Ge-
meinschaft lohnt sich: Für lediglich 500
Franken pro Jahr erleben Lilienberg Freun-
de auf dem idyllisch gelegenen Anwesen
am Untersee als Teil eines einmaligen
unternehmerischen Netzwerks Ausein-
andersetzungen mit hochkarätigen Per-
sönlichkeiten aus dem In- und dem grenz-
nahen Ausland. Sie diskutieren mit ihnen
die relevanten wirtschaftlichen, politi-
schen und gesellschaftlichen Themen
unserer Zeit – immer auf Augenhöhe und
mit einem direkten Bezug zum Unterneh-
mertum.
Im Detail heisst das: Lilienberg Freunde
können unentgeltlich immer zusammen
mit einer Begleitperson an unseren
Diskussionsveranstaltungen teilnehmen,
nämlich an den:
• Foren
• Besonderheiten
• Kolloquien
• Tagungen(ohneBegleitperson)
• AusserordentlichenGesprächen
• LilienbergGesprächen
Ausserdem erhalten Lilienberg Freunde
unsere Publikationen, insbesondere die
vierteljährlich erscheinende «Lilienberg
Zeitschrift», den «Lilienberg Ausblick»
mit dem ausführlichen Veranstaltungska-
lender sowie das «Lilienberg Spektrum»
als Dokumentation unserer Preisverlei-
hungen. Zögern Sie nicht und senden Sie
uns noch heute die beiliegende Anmel-
dekarte ausgefüllt retour.
Investieren Sie in Ihre und unsere
Zukunft! Denn «wer aufhört bes-
ser zu werden, hat aufgehört, gut
zu sein». (Philipp Rosenthal, deut-
scher Unternehmer und Politiker,
1916 – 2001)
Lilienberg Freunde können unentgeltlich an Gesprächsveranstaltungen wie Foren,
Besonderheiten oder Kolloquien teilnehmen.
Von Andreas Jäggi*
Die Schweiz braucht wieder eine MedienpolitikDie Digitalisierung bringt dramatische
Änderungen der Medienlandschaft mit
sich. Sie hat auch den Medienkonsum
völlig verändert. So erscheint die abon-
nierte Tageszeitung in Papierform zumin-
dest in den Augen der jüngeren Bevölke-
rung als Auslaufmodell. Gleiches ist im
Bereich des traditionellen Fernsehens zu
beobachten, das Publikum altert stetig,
die Werbewirtschaft reagiert mit Liebes-
entzug.
Politik interessiert sich kaum für die
Medien
Trotz dieser Umbrüche ist das Interesse
der Politik an den Medien gering. Daran
ändern auch gelegentliche parlamenta-
rische Vorstösse wenig. Und auch nicht
Initiativen, die im Vorfeld eidgenössischer
Wahlen lanciert werden. Seit vor 30 Jah-
ren Experten an einer schweizerischen
Mediengesamtkonzeption arbeiteten,
wurden keine Versuche mehr gemacht,
grundlegende Rahmenbedingungen für
ein schweizerisches Mediensystem fest-
zulegen.
Dieser blinde Fleck der Politik ist eine ver-
passte Chance. Die medienpolitischen
Entscheide in den Achtzigerjahren haben
dazu geführt, dass die Schweiz ihre Chan-
cen bei der europäischen Entwicklung
des Privatfernsehens nicht genutzt hat.
Statt neben einem international wettbe-
werbsfähigen Finanz- und Werkplatz
auch einen Medienplatz Schweiz mit ent-
sprechenden Arbeitsplätzen aufzubauen,
fliessen heute jährlich Millionen Werbe-
franken ins Ausland.
Infolge von Internet, Digitalisierung und
Demokratisierung der Medien stehen wir
auch heute wieder an einer Wegmarke.
Die Gefahr besteht, dass die Schweiz in
den nächsten Jahrzehnten die Kontrolle
über ihr Mediensystem verliert. Damit
würden wichtige Grundlagen demokra-
tierelevanter Entscheidungsprozesse in-
frage gestellt, welche sich seit der
Begründung unseres Bundesstaates eta-
bliert haben.
Ganzheitliche Lösung gefordert
Es ist an der Zeit, dass sich unsere Politi-
ker mit den Fragen der Medienpolitik
ganzheitlich auseinandersetzen. Heute
herrschen Partikularinteressen vor: Ver-
leger beklagen den Zusammenbruch ih-
rer Geschäftsmodelle und die Konkurrenz
der SRG, das öffentliche Fernsehen gerät
unter Beschuss wegen seiner Kosten-
strukturen, Unternehmer monieren man-
gelnde Qualität der Wirtschaftsbericht-
erstattung, Medienwissenschaftler war-
nen vor der Tendenz zu Skandalisierung,
Personalisierung und mangelnder Dos-
sierkenntnis. Doch was ist und soll Me-
dienpolitik? Hier gibt ein Papier des Ver-
eins Medienkritik Schweiz, in dessen
Vorstand ich mitwirken darf, folgende
Übersicht:
Medienpolitische Top-Themen
1. Die Ermöglichung der nicht nur reaktiv-
negativen (Beschwerdestellen und Gerich-
te), sondern auch der aktiv-konstruktiven
Medienkritik als Bestandteil der schweize-
rischen Medien- und Politikkultur.
2. Die Sicherung der Finanzierung der
Medien unter Berücksichtigung der wirt-
schaftlichen Probleme der Branche, des
Werberechts und der Werbebeschrän-
kungen, des Steuerrechts, der Medien-
und Wirtschaftsfreiheit, der Abhängig-
Dr. Andreas Jäggi
7170
o R G A N I S AT I o N
keiten von Presse und Rundfunk, der
Herausforderung Internet, der Qualitäts-
sicherung inklusive Service public und der
bestehenden Förderung.
3. Die stärkere Verankerung der Medien-
ethik und die Medienqualität als regu-
lierte Selbstregulierung mit teilweiser
Rechtsverbindlichkeit und Sanktionsfä-
higkeit; Prüfung eines Qualitätslabels und
einer analogen Behandlung von Service-
public-Rundfunk und Qualitätsmedien.
4. Das Überdenken der Regulierungs-
typologie Rundfunk (RTVG: SRG und
Service public), Presse und Internet (all-
gemeine Rechtsordnung, Presserat), Te-
lekommunikation (FMG, Wettbewerbs-
recht, Grundversorgung) und Film/Kunst/
Bildung (Förderungen aller Art).
5. Die Förderung der Medienkompetenz
in der Gesellschaft sowie die Stärkung
und Überwachung des Jugendschutzes.
6. Der Rechtsschutz Medienbetroffener
und «Medienopfer» und die Klärung of-
fener Fragen im Strafrecht (Ehrverletzun-
gen), im zivilrechtlichen Persönlichkeits-
schutz, im Datenschutzrecht und im
Lauterkeitsrecht (UWG).
7. Das geistige Eigentum (insbesondere
Urheberrecht und urheberrechtliche Leis-
tungsschutzrechte) und seine Schranken
in der Praxis von Produktion, Aggrega-
tion und Vertrieb der Medieninhalte.
Medien müssen informieren und
inspirieren
Das Hauptanliegen der Medienpolitik ist
die Teilnahme der Bürger am Staat. Unser
gemeinsames Zusammenleben lässt sich
nur vernünftig beurteilen, wenn wir auch
über Medien informiert und inspiriert wer-
den: über alle Aspekte der Wirtschaft,
Gesellschaft und Kultur. Medienpolitik will
zahlreiche und gute Medien. Dieser Zu-
stand ist abhängig davon, ob die Verleger
und Medienhäuser initiativ und investi-
tionsbereit sind, ob es eine gesellschaft-
lich breit abgestützte Medienkultur und
-nachfrage gibt und ob der politische und
rechtliche Rahmen stimmt.
Dieser Rahmen wird früher oder später
überprüft. Punktuell ist dies bereits aktuell
der Fall: direkte und indirekte Presseförde-
rung, Konzessionierung und Qualitäts-
prüfung im Rundfunk, Umfang und Finan-
zierung des Service public, Regulierung der
Empfangsgeräte, Förderung der Medien-
kompetenz und Jugendschutz, Einfluss-
nahme auf die Medienstruktur in der kar-
tellrechtlichen Zusammenschlusskontrolle.
Hoffen wir, dass bei der Beurteilung dieser
Fragen nicht kurzfristige Teilinteressen,
sondern das Wohl unseres Landes im Auge
behalten wird und dass sich die Politiker
dem Thema kompetent annehmen!
* Dr. Andreas Jäggi ist Kommunikati-
onsberater (www.jaeggiservices.ch). Er
hat 20-jährige Berufserfahrung als Kom-
munikationsleiter grosser internationaler
Unternehmen sowie als Berater und Pro-
jektleiter für Kunden im Bereich Politik,
Wirtschaft und Wissenschat. Seit 2003 ist
er Studienleiter in der beruflichen Wei-
terbildung auf Fachhochschulstufe und
Referent zu Themen der Unternehmens-
kommunikation. Er gehört dem Vorstand
des Vereins Medienkritik Schweiz an und
ist Mitglied des Lilienberg Ehrenteams.
Verein Medienkritik Schweiz
Die Idee zum Verein Medienkritik
Schweiz wurde in einem Veranstal-
tungszyklus des Aktionsfeldes Me-
dien & Kommunikation im Lilien-
berg Unternehmerforum geboren.
Der Verein lädt zum Dialog in einer
Zeit bedrohter Medienqualität ein.
Er ist weltanschaulich und politisch
in jeder Hinsicht unabhängig. Seine
Publikationen und Kontaktanga-
ben sind über www.medienkritik-
schweiz.ch zugänglich. Mitglieder
sind herzlich willkommen!
ist ein unternehmerisches Erlebnis- und Begegnungszentrum. Mit seiner traumhaften Lage und seiner einmaligen Umgebung ist Lilien-
berg eine Oase des Nachdenkens, wo man sich finden, einbringen und klären kann. Das Unternehmerforum ist ein Ort der Begegnung,
der Gespräche und der Bildung. Hier treffen sich unternehmerisch denkende und wirkende Persönlichkeiten aus allen Bereichen sowie
deren Mitarbeiterschaft. Um die Ziele zu verwirklichen, bietet das Lilienberg Unternehmerforum unternehmerisch interessierten Men-
schen in den drei Bereichen Begegnung, Gespräch und Bildung verschiedene Veranstaltungen und Aktivitäten an.
Das Lilienberg Unternehmerforum ...
In verschiedenen Einzelveranstaltun-
gen mit aussergewöhnlichen Persön-
lichkeiten treffen sich unternehmeri-
sche Menschen aus Wirtschaft, Politik,
Gesellschaft und Armee und kommen
miteinander ins Gespräch, um sich ge-
genseitig zu begegnen und nachhaltig
kennen zu lernen.
Im Bereich Begegnung unterscheiden
wir folgende Veranstaltungen:
■ Im Lilienberg Forum tritt eine ausser-
gewöhnliche Persönlichkeit auf und
berichtet aus ihrem Wirkungskreis.
■ Der Lilienberg Preis wird alle zwei
Jahre an beispielhafte unternehmeri-
sche Persönlichkeiten und Institutio-
nen verliehen.
■ Die Lilienberg Rezitale dienen der
Begegnung von Persönlichkeiten in
einem kulturellen Rahmen, der
gleichzeitig jungen Künstlern eine
wertvolle Plattform bietet.
Im Bereich Gespräch werden wirtschaft-
liche, politische und gesellschaftliche
Fragen im Zusammenhang mit dem
Unternehmertum in folgenden Aktions-
feldern behandelt:
– Sicherheit & Armee
– Medien & Kommunikation
– Gesundheit & Umwelt
– Unternehmenskultur & -ethik
– Wirtschaft & Industrie
– Politik & Gesellschaft
– Bildung & Sport
Die Fragestellungen werden in Ge-
sprächszyklen vertieft behandelt, die in
der Regel ein Jahr dauern und aus meh-
reren Kolloquien, einer Tagung und ei-
nem abschliessenden Ausserordentlichen
Gespräch bestehen. Daneben werden
kurze Zyklen organisiert, welche heraus-
fordernde tagesaktuelle Themen zum
Inhalt haben.
Unter dem Motto «Unternehmer schu-
len Unternehmer» bietet Lilienberg
Erlebnis-Gesprächstage sowohl zu un-
ternehmerischen Grundsatzthemen als
auch zu Sach- und Fachthemen an. Im
Mittelpunkt stehen jeweils eine Ver-
gleichspersönlichkeit und deren unter-
nehmerische Erfahrungen. Die Seminar-
teilnehmer denken dabei selber vertieft
über sich und über die eigene Position
nach und bringen gegenseitig ihre Erfah-
rungen ein.
■ Unternehmergespräche
Unternehmergespräche behandeln die
unternehmerischen Grundsatzfragen,
zum Beispiel: Aufbau und Organisation,
Generationenwechsel, finanzielle Stär-
kung.
■ Sachgespräche
In Sachgesprächen geht es vor allem um
die Fragen rund um den geeigneten Mit-
teleinsatz.
■ Fachgespräche
In diesen Gesprächen geht es in erster
Linie um die Bewältigung der Alltagspro-
bleme von KMU wie Rekrutierung und
Schulung von Mitarbeitern, Verhandlung
mit Banken.
B E G E G N U N G G E S P R Ä C H B I L D U N G
Lilienberg Unternehmerforum
Blauortstrasse 10
CH-8272 Ermatingen
Telefon +41 71 663 23 23
Fax +41 71 663 23 24
info@lilienberg.ch
www.lilienberg.ch
Lilienberg Unternehmertum
Industriestrasse 1
CH-8340 Hinwil
Telefon +41 44 938 70 00
Fax +41 44 938 70 99
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