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Schriftenreihe des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft
Reihe A: Angewandte Wissenschaft Heft 495
Lipide als Funktionelle Lebensmittel
Wissenschaftliche Koordination Prof. Dr. Siegfried Warwel
Dr. Nikolaus Weber
'~ QI Landwirtschaftsverlag cmbH
I Münster-Hiltrup
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Alle Rechte, auch die der fotomechanischen Vervielfältigung und des auszugsweisen Nachdrucks, vorbehalten durch
Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft
Druck: LV Druck im Landwirtschaftsverlag GmbH, 48084 Münster (1000/IX 2002)
Diese Veröffentlichung kann zum Preis von 11,- €beim Landwirtschaftsverlag GmbH - Leserservice -, 48084 Münster,
bezogen werden .
ISSN 0723-7847 ISBN 3-7843-0495-8
Inhalt
Verzeichnis der Autoren
Vorwort
Klaus Trenkle
Was sind funktionelle Lebensmittel?
Michael de Vreese und Jürgen Schrezenmeir
Fette und andere Lipide als funktionelle Lebensmittel - eine Übersicht
Nikolaus Weber, Kumar D. Mukherjee und Siegfried Warwel
ro3-Fettsäuren und funktionelle Lebensmittel
Kumar D. Mukherjee, Siegfried Warwel und Nikolaus Weber
Milchlipide in Ernährung und Gesundheit - Wirkung von
Fettsäuren mittlerer Kettenlänge (MCFA)
Maria Pfeuffer und Jürgen Schrezenmeir
Konjugierte Linolsäuren - eine Lipidklasse mit funktionellen
Eigenschaften bei Mensch und Tier
Gerhard Jahreis und Jana Kraft
Konjugierte Linolsäuren - Anreicherung von definierten Isomeren
durch enzymatische Verfahren ,
Robert Borgdorf, Markus Wezstein, Eberhard Fehling und Siegfried. Warwel
Einfluss der Fütterung auf die Qualität von Rind- und Schaffleisch
Karin Nürnberg
Einfluss der Fütterung auf die Qualität von Schweinefleisch
und daraus hergestellter Schweinefleischerzeugnisse
Karl-Otto Honikel, Heiko Rosenbauer und Ditmar Kühne
Antioxidantien und oxidativer Stress
Achim Bub
Phytosterole und Phytosterylester
Nikolaus Weber und Kumar D. Mukherjee
Phospholipide für funktionelle Lebensmittel
Michael Schneider
Funktionelle Lebensmittel - Rechtliche Aspekte
Klaus Trenkle
III
Seite
V
VII
25
65
83
101
135
157
167
183
189
211
237
Inhalt
Was sind Funktionelle Lebensmittel?
Michael de Vrese und Jürgen Schrezenmeir
Institut für Physiologie und Biochemie der Ernährung Bundesanstalt für Milchforschung, Kiel
Einleitung
2 Cui bono
3 Funktionelle Lebensmittel: Definitionsbeispiele
4 Was sind Funktionelle Lebensmittel?
4.1 Minimalkonsens
4.2 Funktionelle Lebensmittel sind Lebensmittel
4.3 Funktionelle Lebensmittel haben gesundheitsfördernde Eigenschaften
4.4 Werbebeschränkungen
4.5 Sicherheitsaspekte
5 Abgrenzung gegen andere Lebensmittelkategorien
5.1 Abgrenzung gegen Arzneimittel und Nahrungsergänzungsmittel
5.2 Abgrenzung gegen 'nicht-funktionelle' Lebensmittel
5.3 Modifizierte oder natürliche Lebensmittel?
6 Fazit: Zugelassene Claims statt einer gesetzlichen Definition von Funktionellen
Lebensmitteln
7 Definitionsvorschlag
8 Zusammenfassung
2
1 Einleitung
"Functional food" ist eine im internationalen Schrifttum gebräuchliche Bezeichnung, für die
aber in den meisten anderen Staaten außer Japan weder eine lebensmittelrechtliche
Definition noch eine Verkehrsauffassung existiert. Dies gilt auch für Deutschland, wo die
Bezeichnung "Funktionelle Lebensmittel" (FLM) lautet (Großklaus 2000). Soll dieser
Begriff im Zusammenhang mit Ernährung sinnvoll sein, muss "funktionell" über den Zweck
herkömmlicher, nicht-funktioneller Lebensmittel hinausgehen, den Nährstoff- und Energie
bedarf zu decken und/oder bestimmte Genusserwartungen zu erfüllen (§1 LMBG). Die
funktionelle Eigenschaft muss eine nachweis- und objektivierbare Eigenschaft des Lebens
mittels sein und sollte nach allgemeiner Übereinkunft körperliche und/oder geistige
Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden positiv beeinflussen (vgl. Beitrag von Trenkle).
Der vorliegende Beitrag will weder Sinn und Nutzen des Konzepts der FLM diskutieren,
noch einzelne funktionelle Lebensmittelgruppen, ihre Wirkungen, Wirkrnechanismen und
deren Nachweis vorstellen. Vielmehr sollen verschiedene Möglichkeiten, diesen Begriff zu
definieren, miteinander verglichen und die sich daraus ergebenden Konsequenzen und
eventuellen Widersprüche an Hand von Beispielen erläutert werden.
2 Cui bono
Eine verbindliche Definition von FLM sollte unterschiedliche Anforderungen berücksich
tigen, die verschiedene Interessengruppen an diesen Begriff stellen.
Unternehmen, die FLM entwickeln, herstellen oder vertreiben, haben naturgemäß ein
vitales Interesse daran, dass sich ihre Investitionen in Forschung, Entwicklung und
Produktion in angemessener Zeit amortisieren. Sie sollten daher an einer Definition
interessiert sein, die eine werbemäßige Hervorhebung von FLM und ihre Unterscheidung
von nicht-funktionellen Produkten ermöglicht bzw. von Produkten, für die kein Wirkungs
nachweis vorliegt. Trittbrettfahrer dieser Entwicklung könnten so ausgegrenzt werden.
Dabei sollen Hinweise auf wissenschaftlich nachgewiesene positive Gesundheitswirkungen
im Rahmen bestehender oder modifizierter Gesetze möglich sein, ohne dass die Kosten für
Forschung, Produktentwicklung, Wirkungsnachweise und eventuelle Zulassungsverfahren
die Gewinnmöglichkeiten im Lebensmittelbereich überschreiten. FLM besitzen ein
beachtliches Marktpotential, dessen genaue Größe auch davon abhängt, welche Produkte zu
den FLM gerechnet werden. Es wird geschätzt, dass FLM 2 bis 10% des gesamten
Lebensmittelmarktes erreichen können, das sind beispielsweise in den USA zwischen 4 und 20 Mrd US$ pro Jahr.
Für den Verbraucher und seine Organisationen liegt der Nutzen des Begriffs "FLM" in
erster Linie darin, verständliche Informationen über Lebensmittel erhalten bzw. geben zu
können, die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Bevölkerung oder besonderer
Zielgruppen in besonderem Maße fördern könnten (Cottee 1998). Die Definition dieses
Begriffs muss so eindeutig sein, dass sie den Ausschluss von Lebensmitteln und/oder
Präparaten mit zweifelhafter Wirkung erlaubt.
Im Sinne der meisten Definitionen informiert der Hinweis auf funktionelle Eigenschaften
darüber, dass ein Lebensmittel nicht nur, wie konventionelle Produkte, den Nährstoffbedarf
decken und Mängel verhindern hilft, sondern die Gesundheit des Konsumenten in einer
darüber hinausgehenden Weise unterstützt. Dazu zählt, dass das Risiko von Krankheiten
verringert wird, die primär nicht auf einen Nährstoffmangel zurückgehen, oder dass
Inhaltsstoffe von FLM bei Zufuhr in ausreichender Menge physische und/oder psychische
Körperfunktionen so beeinflussen, dass daraus gesundheitsfördernde Effekte resultieren.
Nützlich und gesundheitsrelevant sind auch Informationen, die besagen, dass ein
funktionelles Lebensmittel einen ernährungsphysiologischen und/oder gesundheitlichen
Nutzeffekt besitzt, den ein vergleichbares herkömmliches Lebensmittel nicht oder nicht im
selben Ausmaß aufweist. Die Konsequenzen hieraus werden in Abschnitt 5.2.2
ausführlicher diskutiert.
Das Hauptanliegen von Staat und Gesellschaft sollten Maßnahmen sein, die sicherstellen,
dass der Ernährungs- und Gesundheitsstatus der Bevölkerung insgesamt durch FLM ver
bessert, auf keinen Fall aber verschlechtert wird. Außerdem liegt es im Interesse von Staat
und Gesellschaft, dass Investitionen auf dem Boden klarer gesetzlicher Grundlagen und
abschätzbarer Chancen im Binnenmarkt ebenso ermöglicht werden wie auf dem EU- bzw.
Weltmarkt, wo weltweit hohe Innovations- und Marktpotenziale bestehen.
3 Funl;<tionelle Lebensmittel: Definitionsbeispiele
Der Begriff "Funktionelle Lebensmittel" ist zur Zeit nur in Japan gesetzlich definiert, wo
derartige Lebensmittel "Foods for Specified Health Use" (FOSHU) genannt werden. In
anderen Ländern wurden bislang Definitionsvorschläge gemacht, Konzepte entwickelt, es
wurde die Einbettung der FLM in bestehendes Lebensmittelrecht geprüft oder es wurden
die Möglichkeiten für Werbeaussagen (Health Claims) gesetzlich geregelt, die in ihrer
Gesamtheit die Kategorie FLM ebenfalls beschreiben können, wie in den USA oder
Schweden (siehe Abschnitt 6). In Tabelle 1 sind Beispiele zusammengestellt.
Bei den japanischen FOSHU handelt es sich um verarbeitete Lebensmittel aus natürlichen
Zutaten (nicht um Kapseln, Tabletten oder Pulver), die einen spezifischen Gesundheits
effekt auf Grund relevanter Bestandteile haben, oder bei denen unerwünschte Bestandteile
(wie z.B. Allergene) reduziert oder entfernt wurden. Ein FOSHU soll zusätzlich zu seinen
ernährungsphysiologischen Eigenschaften spezielle Funktionen im Stoffwechsel erfüllen,
4
Tabelle 1
Definitionsbeispiele für Funktionelle Lebensmittel
1. Japan: "FOSHU sind Lebensmittel, bei denen in Einklang mit gängigem Wissen über die
Zusammenhänge zwischen Lebensmitteln, Lebensmittelbestandteilen und Gesundheit
positive Gesundheitseffekte erwartet werden und die eine Kennzeichnung tragen dürfen, die
besagt, dass Personen, die diese Lebensmittel zu einem besonderen Gesundheitszweck
verzehren, mit besagter Wirkung auch rechnen können" (zitiert nach Council of Europe
1998)'.
2. Europa (International Life Science Institute, !LSI): "Ein Lebensmittel ist funktionell,
wenn es einen oder mehrere Bestandteile enthält (ob Nährstoff oder nicht), die eine oder
eine beschränkte Zahl von spezifischen Funktionen im Körper gezielt so beeinflussen, dass
davon positive Wirkungen ausgehen" (Bellisle et al . 1998), bzw. " .. . eine physiologische
oder psychologische Wirkung hat, die über einen herkömmlichen Ernährungseffekt
hinausgeht" (Clydesdale 1997)2•
3. Kok (1998): "Funktionelle Lebensmittel sollen einen zusätzlichen gesundheitlichen
Nutzen bringen, der über allgemein akzeptierte Ernährungseffekte hinausgeht, und der auf
Einflüssen ihrer bioaktiven Komponente(n) auf eine oder mehrere Zielfunktionen im
Körper beruht, die entweder für den Erhalt eines Zustandes von Wohlbefinden und
Gesundheit von Bedeutung sind und/oder für eine Verringerung des Krankheitsrisikos"3.
4. Australien und Neuseeland (National Food Authority (1994): "FLM ähneln in ihrer
Erscheinung herkömmlichen Lebensmitteln und sollen als Teil der normalen Diät verzehrt
werden. Sie sind jedoch modifiziert, um zusätzlich zur Nährstoffversorgung eine positive
physiologische Funktion auszuüben" .
5. Kanada, Health Protection Branch of Health Canada (Glinsmann 1997): "Ein FLM
ähnelt in seiner Erscheinung konventionellen Lebensmitteln, wird als Teil der normalen
Diät verzehrt und hat bewiesene physiologische Nutzeffekte 'beyond basic nutritional
functions' und/oder reduziert das Risiko chronischer Krankheiten"4•
1 A functional food is a food which, according to knowledge about the relationship between food or food constituents and health, may have positive effects on health and is authorised to display a labe! stating that people using it for a particular health purpose can expect to obtain a specific result. 2 A food can be said to be functional if it contains one or more food components (whether a nutrient or not) which affects one or a limited number of function(s) in the body in a targeted way so as to have positive effects or has a physiologic or psychological effect beyond the traditional nutritional effect. 3 Functional food claims to convey additional health benefits in humans beyond the widely accepted nutritional effects, related to an effect of its bioactive component(s) on one ore more target functions in the body, relevant to either the maintenance of a state of well-being and health and/or a reduction of risk of disease. 4 A functional food is similar in appearance to conventional foods, is consumed as part of a usual diet, and has demonstrated physiological benefits and/or reduces the risk of chronic disease beyond basic nutritional functions.
6. England, Ministry of Agriculture, Fisheries and Food (Cockbill 1994): "Ein FLM ist ein
Lebensmittel, dem ein Bestandteil zugefügt wurde, um einen spezifischen gesundheitlichen
oder physiologischen Nutzen zu erreichen, der über den rein nutritiven Nutzen
hinausgeht"5.
7. Ovensen (1998): "FLM sind Lebensmittel, die entwickelt, hergestellt und modifiziert
worden sind, um spezifische, wissenschaftlich nachgewiesene, funktionelle Eigenschaften
zu haben, im allgemeinen gesundheitsfördernde oder krankheitsverhindernde Wirkungen"6.
8. Unilever (Korver 1999): "Ein FLM ist ein Lebensmittel, für das ein 'Health Claim' auf
wissenschaftlicher Basis existiert".
wie etwa Regulation biologischer Abwehrmechanismen, Verhütung bestimmter
Krankheiten, Förderung der Gesundung, Kontrolle mentaler und physischer Bedingungen,
Verlangsamung des Alterungsprozesses oder Regulation rhythmischer physiologischer
Prozesse. Im Jahre 1998 existierten 11 Klassen funktioneller Ingredienzien7, wobei allein
ihr Zusatz zu einem Lebensmittel in ausreichender Konzentration eine FOSHU-Lizenz ohne
zusätzlichen Wirkungsnachweis am Produkt rechtfertigt.
Das europäische "International Life Science Institute" (!LSI) formulierte im Rahmen des
FUFOSE-Projekts 1995-1998 (Bellisle et al. 1998; Danse et al. 1999; Roberfroid 1998)
mehrere Abwandlungen einer Definition (Tabelle 1, Nr. 2), in der als funktionelle Wirkung
die günstige Beeinflussung von Körperfunktionen und physiologischen (und
psychologischen) Prozessen8 betont wird und nicht die (überprüfte) Förderung der
Gesundheit.
Funktionell können natürliche und modifizierte Lebensmittel sein. In einer Variante dieser
Definition wird betont, dass FLM im Rahmen der normalen Ernährung verzehrt und nicht
in untypischer Form (Kapseln, Pulver, Trinkampullen) angeboten werden sollten (Diplock
et al. 1999).
Auch Kok (Tabelle 1, Nr. 3) unterscheidet nicht zwischen modifizierten und natürlichen
Lebensmitteln, verknüpft aber die Beeinflussung von Körperfunktionen mit Gesundheit und
Wohlbefinden. Dagegen stellen Definitionsvorschläge aus Australien und Neuseeland
' A food that has a component incorporated into it to give a specific medical or physiological benefit, other than a purely nutritional benefit. 6
.• . foods, which are developed, manufactured or modified in such a way that they have obtained scientifically proven specific health-promoting or disease-preventing properties. 7 Ballaststoffe, Oligosaccharide, Zuckeralkohole, PUFA, Peptide und Proteine, Glykoside, lsoprenoide, Vitamine, Alkohole und Phenole, Lecithin, Milchsäurebakterien, Mineralstoffe, andere. 8 Vielversprechende Zielfunktionen sind: Wachstum, Entwicklung, Differenzierung; Stoffwechsel von Makronährstoffen; Abwehr reaktiver Oxidantien; Herz-Kreislauf-System; Physiologie des Magen-DarmTrakts; Verhalten und Stimmung - körperliche und geistige Leistungsflihigkeit.
6
sowie Kanada (Tabelle 1, Nr. 4 und 5) FLM in den direkten Vergleich zu ähnlichen
natürlichen bzw. konventionellen Lebensmitteln, von denen sie sich durch funktionelle
Modifikationen unterscheiden.
Auch in den Vorschlägen aus England und von Ovensen (Tabelle 1, Nr. 6 und 7) sind FLM
modifizierte Lebensmittel; letzterer definiert als funktionelle allgemein eine gesundheits
fördernde bzw. krankheitsverhütende Wirkung, ohne Betonung des "beyond nutrition" .
Der Unilever Lebensmittelkonzern (Tabelle 1, Nr. 8) schließlich verwendet firmenintern
eine äußerst knappe Definition, die das Definitionsproblem auf "Health Claims" verlagert.
4 Was sind Funktionelle Lebensmittel?
4.1 Minimalkonsens
Die in Abschnitt 3 vorgestellten Definitionen weisen eine Reihe von Gemeinsamkeiten auf,
aus denen sich ein Minimalkonsens ableiten lässt (Tabelle 2). Ansonsten wird die
Diskussion über Funktionelle Lebensmittel durch eine Vielzahl zum Teil kaum miteinander
vereinbarer Positionen geprägt. Daher werden in vielen Überlegungen FLM nicht als
gesetzlich festgelegter oder definierter Begriff aufgefasst, sondern als eine veränderliche, an
die jeweiligen Bedürfnisse anpassbare "Arbeitshypothese". Statt einer Definition wird
vorgeschlagen, bestimmte Lebensmittelgruppen und/oder Aussagen zur gesundheitsfördern
den Wirkung ("Health claims") zuzulassen.
Tabelle 2
Minimalkonsens
Funktionelle Lebensmittel sind Lebensmittel (keine Arzneimittel),
• mit zusätzlichem funktionellen Nutzen, der im allgemeinen in der
• Förderung der Gesundheit und / oder
• spezifischer Körperprozesse gesehen wird und
• über den Ernährungszweck hinausgeht ("beyond nutrition") und /oder
• über den allgemeinen Nutzen vergleichbarer konventioneller Lebensmittel
hinausgeht.
Der Zweck des Begriffs ist: Werbung, Verbraucheraufklärung und -schutz
7
4.2 Funktionelle Lebensmittel sind Lebensmittel
Derzeit besteht Konsens darüber, dass FLM Lebensmittel des üblichen Verzehrs sind. Sie
sollten also in lebensmittel-typischer Form angeboten und in üblichen Mengen als integraler
Bestandteil der täglichen Mahlzeiten im Rahmen der normalen Ernährung verzehrt werden
und dabei ihre funktionellen Eigenschaften zeigen. Auch die Auffassung, dass Funktionelle
Lebensmittel unter dem Gesichtspunkt langfristig angelegter, klar umrissener präventiver
Ziele definiert werden und nicht zur kurzfristigen Komplettierung der Nährstoffversorgung
dienen sollten (Erbersdobler 1998), dürfte europaweit eine Mehrheit finden.
Ob aber nur verarbeitete und in ihrer Zusammensetzung und/oder Struktur modifizierte
Produkte oder auch natürliche, unbearbeitete Lebensmittel zu den FLM gezählt werden
sollen, ist genauso umstritten wie die Frage, ob es sich bei der funktionellen Komponente
nur um natürliche Lebensmittelbestandteile (die "japanische Position") oder auch um
künstliche, chemisch synthetisierte oder modifizierte Inhaltsstoffe (die US-amerikanische
Position) handeln dürfe. Auch die Einordnung bzw. Abgrenzung von Nahrungsergänzungs
mitteln, angereicherten Lebensmitteln, funktionellen Lebensmitteln für bestimmte
Bevölkerungsgruppen oder Lebenssituationen oder von Anregungsmitteln und Leistungs
förderen wie "energy drinks" ist umstritten.
4.3 Funktionelle Lebensmittel haben gesundheitsfördernde Eigenschaften
4.3.1 Erweiterter Gesundheitsbegriff
Im allgemeinen wird unter dem Nutzen, den der Verzehr von FLM bringen soll , ein
gesundheitlicher Nutzen ("health benefit") oder "positiver Gesundheitseffekt" verstanden.
Er kann in der Heilung, Linderung oder Verhinderung von Krankheiten, in der
"Verbesserung" von Körperfunktionen oder allgemein in der Steigerung von Leistungs
fähigkeit und Wohlbefinden bestehen, also sowohl kurativer als auch präventiver Natur
sein.
Die Begriffe Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden lassen sich auch auf psychi
sche Funktionen ausdehnen9. Die messbare Intelligenzsteigerung und eine verbesserte
Merk- und Lernfähigkeit sind sicher funktionelle Wirkungen mit ähnlichem Nutzen für den
Konsumenten wie Gesundheitsförderung und Steigerung des körperlichen Wohlbefindens
("well-being"), ebenso nachweisbare kosmetische Wirkungen, jugendliches Aussehen und
Fitness. Die . Reklame der Firma Müller (Aretsried), sich mit Buttermilch "schön zu
trinken", wäre hierfür ein Beispiel, könnte dieser Effekt wissenschaftlich belegt werden.
Allerdings sind körperliches oder geistiges Wohlbefinden subjektive, wenig präzise
Begriffe. Ihre Verwendung muss besonders streng daran geknüpft sein, dass sie sich
9 Auch die Definition von Gesundheit der WHO umfasst ausdrücklich Leistungsfähigkeit, psychische Gesundheit und Wohlbefinden.
8
eindeutig definieren und an Hand objektivierbarer Parameter durch wissenschaftliche
Studien nachweisen lassen. Es sollte geklärt werden, ob eine Lebensmittelwirkung als
funktionell bezeichnet werden kann, die der Konsument zwar subjektiv als nützlich
empfindet, die aber objektiv keinen gesundheitlichen Vorteil bringt. Als Beispiel wären hier
die sog. "energy drinks" zu nennen, deren hoher Zucker- und Koffeingehitlt den
Konsumenten kurzfristig stimuliert, ohne längerfristig die Leistungsfähigkeit zu steigern.
Erbersdobler (1998) möchte daher Leistungssteigerung, Fitness oder Kosmetik eher aus den
FLM ausgrenzen, während in den USA das Konzept der funktionellen Lebensmittel zu
einem Großteil aus dem Umfeld von Leistungsförderung und Fitnessbewegung stammt.
4.3.2 Wirkungsnachweis durch klinische Studien
Der wissenschaftliche Nachweis positiver Gesundheitseffekte sollte in der Regel durch
klinische Studien erfolgen. Neben der klaren Fragestellung und einem adäquaten Design
(meist wird gefordert, derartige Studien müssten randomisiert, plazebo-kontrolliert und
doppelblind sein) kommt der Wahl des Plazebos bzw. der Kontrollgruppe und der klaren
Benennung der Zielgruppe eine entscheidende Bedeutung zu.
Die Zielgruppe, für die ein FLM gedacht ist, bestimmt die normale Diät von Versuchs- und
Kontrollgruppe. Dies wäre zum Beispiel bei einem Produkt für die gesunde Bevölkerung
insgesamt eine ausgewogene Ernährung, die die Verzehrsempfehlungen der Deutschen
Gesellschaft für Ernährung (DGE) berücksichtigt. Bei einer solchen Basaldiät wären dann
nachgewiesene Gesundheitseffekte durch das FLM automatisch "beyond nutrit~on", ohne
dass dies explizit gefordert werden müsste.
Die Wahl des Plazebos hängt von der Definition von FLM ab. Sie ist nicht immer
unumstritten. Denn je nachdem, ob man z.B. funktionelle Effekte eines probiotischen
Joghurtprodukts gegen einen konventionellen Joghurt oder ein pasteurisiertes probiotisches
Joghurtprodukt, gegen chemisch gesäuerte Milch, gegen Trinkmilch oder gegen garkein
Milchprodukt testet, lassen sich nachgewiesene Gesundheitseffekte auf viable pro biotische
Bakterien zurückführen, oder die Effekte könnten auch durch Zellbestandteile abgetöteter
Bakterien, durch bakterielle Fermentationsprodukte oder durch andere Milchbestandteile
verursacht sein.
Folgerichtig wäre es, FLM mit einem weitgehend identischen konventionellen Lebensmittel
ohne die funktionelle Modifikation zu vergleichen, z.B. Margarine, die zwecks hypochole
sterolämischer Wirkung mit Sitosterol angereichert ist, mit herkömmlicher Margarine (vgl.
Beitrag von Weber und Mukherjee). Allerdings hätte dies zur Folge, dass FLM stets
modifizierte Lebensmittel wären (siehe Abschnitte 5.2.lund 5.2.2).
9
4.3.3 Beeinflussung von Körperfunktionen
Mehrere Definitionen enthalten den Hinweis, dass funktionelle Lebensmittel ihre Wirkung
durch gezielte Beeinflussung von Körperfunktionen ("targeted function ofthe body") ausüben
bzw. sehen die positive Beeinflussung physischer, physiologischer oder psychischer
Funktionen als eigentliche Wirkung von FLM an (Salminen et al. 1998).
Im europäischen FUFOSE-Projekt (siehe 3.2) werden zur Feststellung funktioneller Eigen
schaften genannt: Sicherheitsuntersuchungen, Bestimmung von Verzehrsmengen, Identifi
zierung von Wechselwirkungen zwischen funktionellen Lebensmittelbestandteilen und
Körperfunktionen, Nachweis der Mechanismen, Identifizierung und Validierung ausreichend
empfindlicher Marker für diese Funktionen (Cottee 1998). Die funktionellen Effekte selbst
beziehen sich auf positive Konsequenzen der Wechselwirkung zwischen Lebensmittel
komponenten und genomischen, biochemischen, zellulären oder physiologischen Funktionen
ohne direkten Bezug auf positive Gesundheitseffekte oder die Verminderung eines
Krankheitsrisikos: Lipidhomöostase, Immunmodulation, Verminderung von oxidativem
Stress, Schutz gegen chemische Toxizität, Wiederherstellung oder Stabilisierung des
Gleichgewichts der Darmflora, Steigerung der Nährstoffbioverfügbarkeit (Diplock et al.
1998; Salminen et al. 1998).
Das Konzept, FLM nicht primär über einen Gesundheitseffekt zu definieren, sondern an
Hand der positiven Beeinflussung von Körperfunktionen bzw. durch den Hinweis, ein FLM
sei nützlich für die Funktion von Organen, ist wahrscheinlich gewählt worden, um
verbotene krankheitsbezogene Werbeaussagen zu vermeiden. Ganz verlässlich ist dieses
Konzept nicht. Auch wenn Werbung eine Krankheit nicht direkt anspricht, könnte ein
Gericht wegen des in der Rechtsprechung entwickelten Gesichtspunkts der "stark
krankheitsbezogenen Assoziation" zur Auffassung gelangen, dass ein solcher "Bezug in der
Vorstellung des Verbrauchers hergestellt werden kann. Dies ist nach § 18 LMBG ebenfalls
verboten.
Das letztgültige Nachweiskriterium gesundheitsrelevanter funktioneller Eigenschaften sollte
allerding die klinische Studie bleiben. Würde funktionell ausschließlich an Hand
physiologischer Prozesse definiert, dürfte trotz nachgewiesener positiver Gesund
heitseffekte ein Lebensmittel nicht funktionell genannt werden, wenn die zu Grunde
liegenden Wirkmechanismen nicht ausreichend bekannt sind oder die Auswirkung der
physiologischen Prozesse auf die Gesundheit nicht eindeutig ist:
• Bei probiotischen Lebensmitteln gilt es nicht als ausreichender Beweis für eine
probiotische (= funktionelle) Wirkung, nur die Beeinflussung der Darmflora oder
eine Stimulation des Immunsystems durch die zugesetzten Bakterien zu demon
strieren. Es müssen auch daraus resultierende Gesundheitseffekte wie die
10
Prävention von Durchfall- oder Infektionskrankheiten nachgewiesen werden
(Schrezenmeir et al. 2001). Dies Beispiel zeigt, dass letztlich nur wissenschaftlich
nachgewiesene und dokumentierte Gesundheitseffekte die Messlatte sein können,
an der funktionelle Eigenschaften gemessen werden können.
4.3.4 Generische Claims /Ernährungsempfehlungen
Der klinische Nachweis von Gesundheitseffekten könnte entfallen, wenn generische Claims
möglich sind. Dies bedeutet, dass ein akzeptiertes, wissenschaftlich gesichertes und doku
mentiertes Wissen über Zusammenhänge zwischen physiologischer Funktion und
Gesundheitseffekt existieren muss und nachgewiesen wurde, dass ein Lebensmittel diese
Funktion günstig beeinflusst. Beispielsweise bräuchte dann beim Nachweis positiver
Wirkungen auf den Lipoproteinstoffwechsel die Reduktion des Atheroskleroserisikos nicht mehr gezeigt zu werden.
Ein Sonderfall sind Lebensmittel, die allein auf Grund ihrer Zusammensetzung bestimmten
Ernährungsempfehlungen entsprechen, etwa fett- oder kochsalzreduzierte oder ballaststoff
angereicherte Lebensmittel. Hier könnte, abgesehen von einer Inhaltsstoffanalyse, die
Notwendigkeit eines Wirkungsnachweises entfallen. Ein solcher Ansatz ist jedoch nicht
unproblematisch. Denn bei Lebensmitteln, die zur Einhaltung von Ernährungs
empfehlungen im Rahmen der gesamten Ernährung beitragen wollen, lässt sich der
angestrebte Gesundheitseffekt nicht unbedingt in einer klinischen Studie am einzelnen Lebensmittel verifizieren:
• Die Aufuahme eines einzelnen fettreduzierten Lebensmittels in die normale Diät
hat keine überprüfbare Auswirkung auf die Gesundheit - etwa Atherosklerose
prävention - wenn über andere Lebensmittel weiterhin zuviel Fett zugeführt wird.
Ein Verzicht auf klinische Studien zur Überprüfung funktioneller Effekte könnte
ernährungsphysiologisch sinnlose Anreicherungsmaßnahmen aus Marketinggründen
begünstigen. Daher wird zum Teil gefordert, derartige an- oder abgereicherten Lebensmittel auszugrenzen.
4.4 Werbebeschränkungen
Wird eine funktionelle Wirkung durch klinische Studien an Kranken überprüft, unterstreicht
dies ihren kurativen Aspekt (siehe 4.3 .1) und verwischt die Grenze zwischen Nahmngs
und Arzneimittel. Dann lassen sich Werbeaussagen zu gesundheitsfördernden, funktionel
len Eigenschaften von Lebensmitteln kaum formulieren, ohne gegen das fast immer zum
Schutze des Verbrauchers bestehende lebensmittelrechtliche Verbot krankheitsbezogener
Werbung (in Deutschland § 18 LMBG) zu verstoßen.
II
Auf verschiedene Weise wird versucht, diesen Konflikt zu umgehen (Loosen 1998). Der
radikalste Vorschlag, nämlich das Verbot krankheitsbezogener Werbung gänzlich zu strei
chen und den Verbraucherschutz allein über das lebensmittelrechtliche Irrefühmngsverbot
(in Deutschland § 17 LMBG) zu gewährleisten, wird überwiegend abgelehnt.
In einigen Staaten wird zumindest die Aussage toleriert, dass ein funktionelles Lebensmittel
"zur Verminderung eines Gesundheitsrisikos beitragen könne", während die Heilung,
Linderung oder Prävention von Krankheiten durch FLM nach wie vor nicht behauptet
werden darf (CIAA 1999). In Deutschland zeichnet sich eine solche Lösung nicht ab.
In einigen Staaten wie z.B. Schweden wird das Verbot krankheitsbezogener Werbung
formal durch die Zulassung zweiteiliger "Health Claims" umgangen (siehe Abschnitt 6).
4.5 Sicherheitsaspekte
Als Lebensmittel müssen auch FLM selbstverständlich sicher sein und keinerlei pathogene
oder toxische Wirkung zeigen. Dies muss - anders als bei der Arztneimittelprüfung - aber
nicht für das einzelne FLM in einem Zulassungsverfahren nachgewiesen werden. Darüber
hinaus verbindet man mit FLM im Allgemeinen langfristige präventive Ziele (Erbersdobler
1998), d.h. die Förderung einer "gesunden" Ernährung. Durch FLM soll nicht der Verzehr
von Lebensmitteln gesteigert werden, die nicht zu einer ausgewogenen Ernährung beitragen
oder ihr gar entgegenstehen (z.B. "Vitaminbonbon"). Auch dürfen ernährungsphysiologisch
wertvolle Produkte nicht verdrängt und schlechte Ernährungsgewohnheiten verfestigt
werden. Umgekehrt lassen sich die Folgen fehlerhafter Ernährung nicht durch den Verzehr
einzelner FLM ausgleichen. Diesbezügliche Risiken versuchen einige Definitionen
abzuschwächen, indem sie den Begriff FLM auf solche Lebensmittel beschränken, die
integraler Bestandteil der täglichen Mahlzeiten sind (Tabelle 1, Nr. 1, 4, 5).
Durch Zusatz oder Anreicherung von Wirkstoffen zu bzw. in Lebensmitteln stellt sich die
Frage nach der richtigen Dosierung. Das heißt, bei üblichen Verzehrsmengen sollte sich bei
einem Großteil der Bevölkerung bzw. der angesprochenen Zielgruppe die funktionelle
Wirkung zeigen. Dagegen muss auch bei einseitigen Verzehrsgewohnheiten und unter
Berücksichtigung der gesamten Ernährung, individueller Empfindlichkeit und von
Matrixeffekten die Gefahr einer schädlichen, überhöhten Zufuhr dieses Wirkstoffes
ausgeschlossen werden können.
5 Abgrenzung gegen andere Lebensmittelkategorien
5.1 Abgrenzung gegen Arzneimittel und Nahrungsergänzungsmittel
Als Lebensmittel mit funktionellem Zusatziiutzen müssen FLM mehr sein als
konventionelle Lebensmittel, die "zur Ernährung oder zum Genuß verzehrt werden" (§ 1
LMBG), ohne aber Arzneimittel gemäß § 2 des Arzneimittelgesetzes zu sein. Eine
12
Definition muss FLM von Arzneimitteln, deren Zweck es in erster Linie ist, Krankheiten zu
heilen, zu lindem, zu verhüten oder zu erkennen, und konventionellen Lebensmitteln,
angereicherten Lebensmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln abgrenzen, die in erster
Linie nutritiven Zwecken dienen.
Die Abgrenzung von Arzneimitteln richtet sich nach dem (subjektiven) Zweck: Ein FLM ist
Lebensmittel, wenn sein vorwiegender Zweck nach allgemeiner Auffassung und gemäß
Aufmachung, Vertriebsweg und Herstellerangaben Ernährung und Genuss sind. In diesem
Fall unterliegt es natürlich dem LMBG. Dies bedeutet vor allem auch, dass krankheits
bezogene Werbung für das betreffende FLM nicht erlaubt ist, auch nicht in dem Sinn, dass
sein Verzehr das Risiko bestimmter Krankheiten zu senken vermag.
FLM sollten auch äußerlich als Lebensmittel des allgemeinen Verzehrs erkennbar sein, also
nicht in lebensmittel-untypischen Formen als Kapseln, Tabletten, Pulver, Tropfen oder
Trinkampullen angeboten werden. Dies stellt ein formales Kriterium dar, welches die
Abgrenzung von Nahrungsergänzungsmitteln und Supplementen ermöglichen sollte.
Allerdings sind einige Produkte auf dem Markt, bei denen die Grenzen verwischt sind.
Einige probiotische Milchprodukte, die zwar vom Verbraucher als Lebensmittel vom Typ
Trinkjoghurt aufgefasst werden, ähneln in Größe und Aufmachung (kleine Trinkampulle)
Nahrungsergänzungsmitteln.
Um nicht die willkürliche und emährungsphysiologisch sinnlose Anreicherung von Lebens
mitteln allein aus Marketinggründen zu fördern, wird vorgeschlagen, angereicherte Lebens
mittel (ebenso wie abgereicherte Produkte) prinzipiell von den FLM auszuschließen. Davon
wären aber auch sinnvoll angereicherte Produkte (z.B. zur Jodmangelprophylaxe) betroffen
und Inhaltsstoffe, bei denen eine erhebliche Steigerung des Verzehrs zu einer neuen
Qualität funktioneller Effekte führt. Ein Beispiel wären antioxidative Vitamine, die bei
hoher Zufuhr das Risiko von kardiovaskulären Erkrankungen reduzieren (vgl. Beitrag von
Bub).
Die Abgrenzung gegenüber Diätetischen Lebensmitteln und "Novel Food" ist unproblema
tisch bzw. nicht erforderlich. FLM, die zugleich "den besonderen Ernährungserforder
nissen bestimmter Verbrauchergruppen entsprechen", müssen nach den Vorschriften der
Diätverordnung §§1-4 zugelassen sein. FLM oder -Zutaten, die bis zum 15 .05.1997 "noch
nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr in der Europäischen
Gemeinschaft verwendet werden", müssen entsprechend den Vorschriften des "Novel Food"
Gesetzes [Verordnung (EG) Nr. 258/97 1997] zugelassen werden.
5.2 Abgrenzung gegen "nicht-funktionelle" Lebensmittel
5.2.1 Effekte "beyond nutrition"
13
Um FLM von herkömmlichen Lebensmitteln abzugrenzen, enthalten viele Definitionen
explizit die Einschränkung, dass funktionelle Wirkungen über die nutritiven Eigenschaften
eines Lebensmittels hinausgehen müssen (im Englischen "beyond nutrition"), wobei nutritiv
(bzw. Ernährung) im Sinne von "Nährstoffzufuhr" verstanden wird.
Die Schwierigkeit bei der Unterscheidung zwischen der Zufuhr von Stoffen "zum Zwecke
der Ernährung" und "zum Zwecke von Erhaltung und Verbesserung der Gesundheit" ist
allerdings, dass Ernährungs- und Gesundheitszweck nicht eindeutig voneinander getrennt
werden können. Denn eine adäquate Ernährung dient dem Erhalt oder der Förderung der
Gesundheit, während ein längerfristiger Mangel an essenziellen Nährstoffen zu
verminderter Leistungsfähigkeit und Mangelkrankheiten führen kann. Das geht auch aus der
Nährstoffdefinition des Codex Alimentarius hervor: "Als Nährstoff wird jede Substanz
bezeichnet, die im Rahmen der normalen Ernährung verzehrt wird, Energie liefert und/oder
für Wachstum, Entwicklung und die Erhaltung eines Lebens in Gesundheit nötig ist, bzw.
deren Mangel charakteristische biochemische oder physiologische Veränderungen
verursacht" 10 (FAQ/ WHO Food Standards Programme 1998).
Nahrungsstoffe werden nach ihrer Funktion in Energiesubstrate, Bausubstrate und essen
zielle Wirksubstrate (Vitamine, z.T. Mineralien, Spurenelemente, Wasser) unterteilt. Der
"Ernährungszweck" eines Lebensmittels besteht dann in der Versorgung mit allen nötigen
Substraten in solchen Mengen, dass (beim allergrößten Teil der Bevölkerung) ein Mangel
sicher vermieden wird. Aus praktischen Erwägungen kann man die Definition von "Ernäh
rungszweck" auf die Nährstoffe und Verzehrsmengen beziehen, die in den Ernährungs
empfehlungen (RDA's) entsprechender Organisationen genannt werden, z.B. den
"Referenzwerten für die Nährstoffzufuhr" der DGE (2000).
Lebensmittel, deren Verzehr geeignet ist, die Zufuhr der in den Ernährungsempfehlungen
angeführten Stoffe in Höhe des dort genannten täglichen Bedarfs zu sichern, dienen danach
Ernährungszwecken. Sie wären daher nicht "funktionell", egal, ob es sich um natürliche
oder um angereicherte Lebensmittel bzw. Nahrungsergänzungsmittel handelt.
Lebensmittelinhaltsstoffe, die keinen Nährstoffcharakter haben und deshalb in den
Ernährungsempfehlungen auch nicht angeführt sind, sowie Lebensmittelinhaltsstoffe, die in
signifikant größerer Menge zugeführt werden als es den Zufuhrempfehlungen entspricht,
wären dann als funktionell zu bezeichnen, wenn ihr Verzehr in dieser Menge zu einem
wissenschaftlich nachweisbaren gesundheitlichen Nutzen führt.
10 Nutrient means any substance nonnally consumed as a constituent of food , which provides energy, or which is needed for growth, development and maintenance of healthy life, or a deficit of which will · cause characteristic biochemical or physiological changes to occur.
14
Auf diese Weise lässt sich in einigen Fällen klar zwischen Ernährungszweck und Effekten
unterscheiden, die über Ernährung hinausgehen:
• Probiotische Bakterien oder pflanzliche Sterole wie Sitos!erol, welche die
Cholesterolabsorption im Darm hemmen, gelten beide nicht als Nährstoffe. Da für
beide aber positive Gesundheitswirkungen nachgewiesen wurden, gelten
Milchprodukte mit probiotischen Bakterien oder mit Sitosterol angereicherte
Margarine als funktionelle Lebensmittel.
• Lebensmittel (z.B. "ACE-Getränke"), denen die Vitamine A, C und E in Mengen
zugefügt wurden, die nur geeignet sind, die Vitaminversorgung zu sichern, sind
nicht funktionell. Soll das Ziel antioxidative Wirkung und
Atheroskleroseprävention sein - und damit eine funktionelle Wirkung - muss mit
einem Mehrfachen dieser Menge angereichert werden, wie klinische Studien
zeigen (Omenn et al. 1996; Stephens et al. 1996).
Der Bezug auf offizielle Ernährungsempfehlungen erlaubt allerdings nicht immer eine ein
deutige Unterscheidung zwischen reinem Ernährungszweck und darüber hinaus gehendem
funktionellen Nutzen für die Gesundheit. In einigen Fällen liegen zu wenig Kenntnisse über
den tatsächlichen Nährstoffbedarf vor, oder offizielle Zufuhrempfehlungen sind auf Grund
neuer Erkenntnisse über physiologische Funktionen dieser Nährstoffe und den Ver
sorgungsgrad der Bevölkerung korrigiert worden.
Die DGE hat schon immer Ernährungsempfehlungen auch für Stoffe gegeben, die eigent
lich keinen Nährstoffcharakter besitzen, wie z.B. (nicht-fermentierbare) Ballaststoffe. Deren
empfohlene Zufuhr dient ausschließlich Erhalt und Förderung der Gesundheit.
Vor allem hat sich in vielen Fällen die Höhe der Empfehlungen zur Nährstoffzufuhr der
DGE immer weiter von der Deckung des Nährstoffbedarfs weg und zur zusätzlichen Krankheitsprävention hin entwickelt:
• Das zeigt exemplarisch das Beispiel Vitamin C: Die empfohlene Vitamin C
Zufuhr in den Referenzwerten der DGE (2000) richtet sich ausdrücklich nicht nach
dem Bedarf zur Abwendung (vor)klinischer Mangelzustände, sondern wurde so
hoch gewählt (100 mg/d), damit Plasmaspiegel (>50 µmol/L) erreicht werden, die
nach derzeitiger Kenntnis (Carr und Frei 1999) das Risiko chronischer
. Erkrankungen senken, speziell von Morbidität und Mortalität infolge von Krebs
und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
5.2.2 Funktioneller Nutzen in Relation zu konventionellen Lebensmitteln
Ein anderer Ansatz, die oben geschilderten Schwierigkeiten zu umgehen, knüpft an die
Bedingung an, dass der Nachweis positiver Gesundheitswirkungen letztlich in klinischen
Studien mit klar und sinnvoll definierter Kontroll-/Plazebogruppe erfolgen muss. Die
15
natürliche Kontrollgruppe bestünde dabei aus Versuchsteilnehmern, die sich üblich
ernähren, aber an Stelle des FLM ein vergleichbares konventionelles Lebensmittel ohne das
funktionelle Prinzip verzehren.
Demzufolge wäre "funktioneller Zusatznutzen" nicht als gesundheitsfördernde Eigenschaft
zu definieren, die ein FLM zusätzlich zu oder an Stelle seiner Bedeutung bei der Nährstoff
versorgung aufweist ("beyond nutrition"). Statt dessen besäßen FLM auf Grund ihrer ver
änderten Zusammensetzung oder modifizierten Struktur zusätzliche gesundheitsfördernde
Eigenschaften, die ähnliche herkömmliche Lebensmittel nicht oder in geringerem Umfang
haben, gleichgültig, ob diese Eigenschaften nutritiv oder über Ernährung hinausgehend sind
(siehe Tabelle 1, Nr. 4 und 5). Dieses Prinzip erfüllt auch einen wesentlichen Zweck, der
die Schaffung einer neuen Lebensmittelkategorie (FLM) rechtfertigen könnte, nämlich
Verbraucheraufklärung. Denn der Hinweis auf nachweisbar positive gesundheitliche
und/oder ernährungsphysiologische Wirkungen, die der Konsument auf Grund seiner
bisherigen Lebensmittelkenntnis nicht erwartet, kann durchaus eine nützliche Information
darstellen.
• Hiernach wären mit dem pflanzlichen Sterol Sitosterol angereicherte Margarine
oder Butter FLM, da die Hemmung der Cholesterolabsorption im Darm ein
funktionelle Wirkung (in diesem Fall "beyond nutrition") darstellt, die
herkömmliche Margarine oder Butter nicht ausweisen.
• Ein mit Calcium angereichertes Fruchtsaftgetränk wäre ebenfalls ein FLM, da
"normaler" Fruchtsaft wenig Calcium enthält, der Verbraucher also einen
Zusatznutzen hat, den er vom konventionellen Lebensmittel nicht erwartet.
• Dagegen dürfte einfache Margarine, obwohl sie ein günstigeres Fettsäurespektrum
aufweist als andere Streichfette (Butter, Schmalz), cholesterolfrei ist und das
Atheroskleroserisiko senken soll, genauso wenig als FLM bezeichnet werden wie
fettarme Milch, da beides quasi konventionelle Produkte sind. Sie sind seit langem
Bestandteil der normalen Ernährung und ihre besonderen Eigenschaften sind dem
Verbraucher bekannt.
Ein unerwünschter Nebeneffekt könnte sein, dass Lebensmittel aus Marketinggründen -
aber ohne ernährungsphysiologische Indikation - willkürlich mit Vitaminen und anderen
Nähr- und Wirkstoffen angereichert werden, um sie zu FLM aufzuwerten. Es wird
befürchtet, dass "mit dem Besten aus (einer kleinen Menge) Milch" versetzte Süßwaren
oder vitaminisierte Fruchtbonbons auf diese Weise als ernährungsphysiologisch wertvolle,
da "funktionelle" Lebensmittel ausgelobt werden könnten. Allerdings lässt sich ein
derartiger inflationären Missbrauch des Wortes "funktionell" dadurch unterbinden, dass bei
FLM immer auch ein wissenschaftlicher Nachweis der gesundheitsfördernden Wirkung
erfolgen muss. Die Nachweispflicht gesundheitsfördernder Eigenschaften und die
16
Möglichkeit von "Health Claims" könnte auch als Unterscheidungskriterium gegenüber Nahrungsergänzungsmitteln dienen.
Diese Definition von FLM weist auch Schwächen auf: Natürliche, unmodifizierte Lebens
mittel mit gesundheitsfördernden Eigenschaften "beyond nutrition" wären keine FLM mehr.
Es wurde darauf hingewiesen, dass z.B. Meeresfische mit hohem natürlichen Gehalt an
w3-Fettsäuren keine FLM im Sinne obiger Definition wären, wohl aber w3-Eier oder
w3-Brötchen - vorausgesetzt, diese Anreicherung fördert die Gesundheit nachweisbar.
5.3 Modifizierte oder natürliche Lebensmittel?
In mehreren Definitionen wird betont, dass sich funktionelle von konventionellen bzw.
"natürlichen" Lebensmitteln ableiten, deren Herstellungsprozess und Zusammensetzung in
Hinblick auf die gewünschte funktionelle Wirkung modifiziert wurden. Beispiele liefern
unter anderem die Definitionen 4 und 5 ("Ein FLM ähnelt in seiner Erscheinung
konventionellen Lebensmitteln ... "), Definitionen 6 (" ... ist ein Lebensmittel, dem ein
Bestandteil zugefügt wurde .. . ") oder 7 (" ... Lebensmittel, die entwickelt, hergestellt und modifiziert worden sind ... ") in Tabelle 1.
Sinnvollerweise gehören hierzu auch FLM, bei denen (natürliche) Inhaltsstoffe bioverfüg
barer gemacht, angereichert, substituiert oder entfernt worden sind oder bei denen ein
Gesundheitseffekt auf einer strukturellen Modifikation beruht. Allerdings ist die Entfernung
unerwünschter Inhaltsstoffe bei einzelnen Lebensmitteln unwirksam, wenn ein Minder
verzehr hier durch Verzehr anderer, nicht abgereicherter Lebensmittel kompensiert wird
(ein Beispiel wäre die Wirkungslosigkeit eines einzelnen "Light"-Produkts zur Atheroskleroseprävention).
Es ergibt sich die grundsätzliche Frage, ob FLM nur modifizierte Lebensmittel umfassen
sollten, oder ob diese Bezeichnung auch auf unmodifizierte natürliche Lebensmittel an
gewandt werden darf, bei denen funktionelle Eigenschaften nachgewiesen werden können.
Sind beispielsweise Lachs, Knoblauch, Milch oder Obst bereits funktionelle Lebensmittel,
da sie nachgewiesenermaßen gesundheitsfördernde Eigenschaften haben. Oder sind nur der
besonders gefütterte Lachs mit noch höherem w3-Fettsäuregehalt, die calcium-angereicherte
Milch oder der züchterisch modifizierte Apfel funktionelle Lebensmittel?
In dieser Frage haben Verbraucherverbände, Ernährungswissenschaft und Lebensmittel
wirtschaft unterschiedliche Interessen und daher auch unterschiedliche Auffassungen. Eine
Antwort kann nur politisch begründet werden, da es ernährungsphysiologisch weniger
wichtig ist, ob nachweisbare positive Gesundheitseffekte mit natürlichen oder modifizierten
Lebensmitteln erzielt werden. Es ist vom Standpunkt der Ernährungsphysiologie auch
schwer einsehbar, warum mit w3-Fettsäuren angereicherte Süßwasserfische, Eier oder
Brötchen als FLM gelten sollen, nicht aber ein Meeresfisch, der von NatUr aus
17
w3-Fettsäuren in noch höherer Konzentration enthält. Sinnvoll ist dies nur unter dem
Gesichtspunkt der Verbraucheraufklärung.
Eine Beschränkung auf modifizierte Lebensmittel könnte als Diskriminierung gesundheits
fördernder natürlicher (d.h. unmodifizierter) Lebensmittel aufgefasst werden mit der
unerwünschten Folge, dass der Verzehr letzterer zurückgehen könnte. In der Praxis scheint
allerdings auf Seiten der Verbraucherverbände eher ein gewisses Ressentiment gegenüber
FLM zu bestehen und die Vorstellung, dass beispielsweise "gesunde, natürliche Äpfel"
FLM seien, stößt vielfach auf Ablehnung "ökologisch" ausgerichteter Konsumenten.
Neben diesen gefühlsmäßigen Vorbehalten gibt es auch praktische Überlegungen, die
dagegen sprechen, den Begriff FLM auf unmodifizierte Lebensmittel auszudehnen. Zum
einen würde der Begriff FLM weitgehend zu einem Synonym für "gesundes Lebensmittel"
werden, so dass sich die Frage stellt, worin dann der besondere Informationswert des
Begriffs FLM läge. Es wäre auch schwieriger, bei klinischen Studien das richtige Plazebo
zu definieren, welches bei modifizierten FLM das unmodifizierte Produkt wäre.
Die Antwort auf die Frage, ob ein FLM nur natürliche oder auch künstliche funktionelle Zu
taten enthalten dürfe, hängt wohl in erster Linie vom sozio-kulturellen Hintergrund ab und
weniger von ernährungswissenschaftlichen Aspekten. So kennt die japanische Definition
von FOSHU nur natürliche Zusätze wie Ballaststoffe, Oligosaccharide, mehrfach
ungesättigte Fettsäuren (PUFA), Peptide und Proteine, Vitamine, Milchsäurebakterien,
Mineralstoffe oder Chitosan, während nach amerikanischem Verständnis sowohl natürliche
als auch künstliche funktionelle Ingredienzien möglich sind. Die europäische Denkweise
ähnelt eher der amerikanischen.
6 Fazit: Zugelassene Claims statt einer gesetzlichen Definition von Funktionellen Lebensmitteln
Schließlich lässt sich die Frage, wie sich FLM eindeutig beschreiben lassen, und welche
Wirkungen oder Inhaltsstoffe ein Lebensmittel zu einem FLM machen, auch dadurch
umgehen, dass man einen Katalog von funktionellen Inhaltsstoffen, Wirkungen und
zulässigen gesundheitsbezogenen Werbeaussagen (Health Claims) zusammenstellt.
Da wahrscheinlich keine Definition die oftmals gewundene Grenzlinie zwischen funktio
nellen und nicht-funktionellen konventionellen Lebensmittel exakt nachzeichnen kann, lässt
sich die begriffliche Eindeutigkeit, die für eine gesetzliche Definition erforderlich ist, eher
durch Zulassung wissenschaftlich bewiesener "Health Claims" erreichen. Dabei könnten
neben Gesundheitseffekten auch zulässige Modifikationen am Lebensmittel explizit
definiert werden.
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Ein Claim (Anspruch) ist jede Darstellung, die besagt, suggeriert oder impliziert, dass ein
Lebensmittel bestimmte Eigenschaften hat in Bezug auf Herkunft, emährungs
physiologische Eigenschaften, Beschaffenheit, Herstellung, Verarbeitung, Zusammen
setzung oder eine andere Qualität (Codex Alimentarius 1991 )11• Es gibt verschiedene Sorten
von Claims. "Health Claims" werden mit positiven Gesundheitseffekten eines Lebens
mittels und seiner Zusammensetzung im Rahmen einer normalen Ernährung verbunden.
Hinsichtlich der exakten Definition bestehen zur Zeit noch beträchtliche Unterschiede
zwischen verschiedenen Staaten, teilweise besteht keine klare Abgrenzung zu krankheits
bezogenen "Medicinal Claims". "Generische Claims" basieren auf akzeptiertem, wissen
schaftlich abgesichertem und dokumentiertem Wissen über Zusammenhänge zwischen
Nährstoffen und physiologischen Funktionen . . "Nutrient Content Claims" sind Nähr
stoffgehalts- und Nährwert-Claims ohne Gesundheitsbezug, während ein "Nutrition
Function-Claim" die Verknüpfung eines Nutrition (oder Nutrient) Claims mit einem
generischen Claim oder einem "Enhanced-Function-Claim" 12 darstellt (FAO/WHO 1998b).
Nutrition-Function-Claims plus Inhaltsstoffangabe werden in einigen Staaten wie Schwe
den (Proposal 1998) dazu benutzt, um das Verbot krankheitsbezogener "Medicinal" Claims
im Lebensmittelrecht formal zu umgehen. Solche Claims sind zweiteilig. Der erste Teil
besteht aus der Aussage, dass ein Stoff eine nachgewiesene Gesundheitswirkung hat, im
zweiten Teil findet sich der Hinweis, dass das FLM diesen Stoff in relevanter Menge
enthält:
• "Der Verzehr von w3-Fettsäuren trägt zur Senkung überhöhter Serumcholesterol
spiegel bei und kann dadurch das Atheroskleroserisiko senken. Das Produkt xyz ist
mit w3-Fettsäuren angereichert" .
• Entsprechende Nutrition-Function-Claims für probiotische Lebensmittel sind
dagegen nicht erlaubt, da wegen der Starnmspezifität probiotischer Effekte und
wegen fehlender wissenschaftlicher Empfehlungen für Probiotika in Schweden
keine generischen Claims möglich sind.
Die rechtliche und wissenschaftliche Legitimität von Health Claims muss außer Frage
stehen, ebenso wie die Fähigkeit des Konsumenten, einen Claim zu verstehen. In
Deutschland gelten auch hier die Verbote von Irreführung und krankheitsbezogenen
Werbeaussagen. Die zur Legitimierung eines Health Claims notwendige Evidenz sollte
vorzugsweise auf doppelblinden, plazebo-kontrollierten Humanstudien beruhen. Das
profitierende Bevölkerungssegment sollte klar genannt werden. Claims die behaupten,
11 "A claim is any representation, which states, suggests or implies, that a food has certain characteristics relating to its origin, nutritional properties, nature, production, processing, composition, or any other quality". 12 Ein Enhanced Function Claim bezieht sich auf spezifische günstige Auswirkungen, die Nährstoffe und Nicht-Nährstoffe über ihre festgelegte Rolle für das Wachstum, die Entwicklung und weitere normale Körperfunktionen hinaus auf physiologische und psychologische Funktionen oder auf biologische Aktivitäten haben.
19
bestimmte Lebensmittel seien geeignet, Krankheiten zu behandeln, zu verhindern, zu
lindem oder zu heilen, sind derzeit in Deutschland verboten, in einigen anderen Ländern
aber in umschreibender Form möglich. Health Claims sollten im Kontext einer gesunden
Ernährung des Einzelnen und der Bevölkerung gesehen werden. Der beworbene
Gesundheitseffekt sollte sich beim Verzehr üblicher Tagesmengen zeigen.
7 Definitionsvorschlag
Trotz des im vorigen Abschnitt Gesagten erscheint eine klare Definition von FLM zum
Zwecke der Kommunikation unerlässlich zu sein. Eine "Arbeitsdefinition" könnte lauten:
"Funktionelle Lebensmittel sind modifizierte Lebensmittel, deren Verzehr im
Rahmen der üblichen Ernährung einen im Vergleich zu entsprechenden herkömm
lichen Lebensmitteln zusätzlichen, wissenschaftlich nachgewiesenen gesund
heitlichen, physischen oder psychischen Nutzen bringt" .
Das entscheidende Merkmal der funktionellen Wirkung ist bei dieser Definition der
wissenschaftliche Nachweis eines positiven Gesundheitseffekts durch den Verzehr eines
modifizierten Lebensmittels. Dabei umfasst Gesundheit physische und psychische Gesund
heit, Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden, vorausgesetzt, es existieren geeignete Nach
weisverfahren, Zielparameter und/oder Biomarker.
Eine Abgrenzung wird lediglich gegenüber konventionellen, unmodifizierten Lebensmitteln
vorgenommen und - durch den Bezug auf Lebensmittel - gegenüber Arznei- und
Nahrungsergänzungsmitteln in lebensmittel-untypischer Form. Dagegen wird die
Abgrenzung von Novel Food, diätetischen oder angereicherten Lebensmitteln nicht für
notwendig gehalten. Bei Nachweis positiver Gesundheitseffekte würde es sich um FLM
handeln, die zusätzlich die rechtlichen Bestimmungen von Novel Food, diätetischen
Lebensmitteln usw. erfüllen müssen.
In der Definition wird die Notwendigkeit umgangen, nutritive Wirkungen von darüber
hinausgehenden funktionellen Effekten unterscheiden zu müssen, da diese Abgrenzung
letztlich kaum möglich ist. Die entscheidende Information für die Verbraucher besteht
darin, dass der Verzehr dieser Lebensmittel im Vergleich zu nicht-funktionellen Lebens
mitteln die Gesundheit nachweisbar positiv beeinflusst. In der Praxis dürfte obige
Definition außerdem die Grenze zwischen nur nutritiven und funktionellen Lebensmitteln
ähnlich ziehen wie ein expliziter Hinweis auf "effects.beyond nutrition".
20
8 Zusammenfassung
Funktionelle Lebensmittel (FLM) oder "Functional foods" ist eine im internationalen
Schrifttum gebräuchliche Bezeichnung, die aber (außer in Japan) noch nicht lebensmittel
rechtlich definiert ist (vgl. Beitrag von Trenkle). Mehrheitlich besteht die Auffassung, dass
FLM Lebensmittel des üblichen Verzehrs seien, keine Arzneimittel und keine Nahrungs
ergänzungsmittel in lebensmittel-untypischer Form. Die Ausgrenzung von angereicherten
Lebensmitteln ist umstritten.
Entscheidendes Merkmal einer funktionellen Wirkung ist der wissenschaftliche Nachweis
positiver Gesundheitseffekte. Dabei umfasst Gesundheit physische und psychische
Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden. Gesundheitseffekte sollten sich beim
Verzehr üblicher Tagesmengen zeigen. FLM sollten im Kontext einer gesunden Ernährung
des Einzelnen und der Bevölkerung gesehen werden und nicht zu ·einer (scheinbaren)
Aufwertung ernährungsphysiologisch ungünstiger/unerwünschter Lebensmittel führen.
Der wissenschaftliche Nachweis sollte vorzugsweise auf doppelblinden, plazebo-kontrol
lierten Studien am Menschen beruhen. Das profitierende Bevölkerungssegment sollte klar
genannt werden. Besteht ein zweifelsfreier und letztlich auch in klinischen Studien abge
sicherter Zusammenhang zwischen Gesundheit einerseits und einer Modifikation der
Lebensmittelzusarnmensetzung bzw. der Beeinflussung bestimmter Körperfunktionen
andererseits, muss nur die Letztere nachgewiesen werden, sofern Matrixeffekte aus
zuschließen sind.
Die vorgeschlagene Definition:
"Funktionelle Lebensmittel sind modifizierte Lebensmittel, deren Verzehr im Rahmen der
üblichen Ernährung einen im Vergleich zu entsprechenden herkömmlichen Lebensmitteln
zusätzlichen, wissenschaftlich nachgewiesenen gesundheitlichen Nutzen bringt",
beruht auf der Einsicht, dass die sinnvollste Kontrolle funktioneller Effekte im Verzehr
eines bis auf die funktionelle Modifikation möglichst ähnlichen unmodifizierten
konventionellen Lebensmittels besteht.
Das Kriterium, funktionelle Wirkungen seien Einflüsse auf Körperfunktionen und Gesund
heit, die über Ernährungseffekte hinausgingen, ist zur Abgrenzung von konventionellen
Lebensmitteln weder notwendig noch möglich. "Ernährung" beschränkt sich einerseits nicht
auf die Versorgung mit Energie- und Bausubstraten, sondern hat auch immer gesundheit
liche Auswirkungen. Andererseits ist Ernährung lebensmittelrechtlich und begrifflich nicht
klar umgrenzt, so dass kein eindeutiges Kriterium existiert, ab wann Gesundheitseffekte
"beyond nutrition" sind.
Eine Konsequenz daraus ist, dass FLM modifizierte Lebensmittel sind, obwohl natürlich
auch konventionelle "natürliche" Lebensmittel entsprechende gesundheitsfördernde
21
"funktionelle" Eigenschaften aufweisen können. Eine weitere Konsequenz ist, dass sich
gesetzliche Belange und die Forderung nach begrifflicher Klarheit am besten durch
Zulassung wissenschaftlich bewiesener "Health Claims" erfüllen lassen.
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24103 Kiel
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