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Maßgebende Bemessungsabflüsse der Kanalisation während
gewässerseitigem Hochwasser
Gert Graf-van Riesenbeckund
Prof. Dr.-Ing. Joachim Sartor
Seminarreihe „Regionale Wasserwirtschaft in Theorie und Praxis“ am 19. Mai 2011 in Trier
Eindringen von Hochwasser in die Kanalisation
Mögliche Folgen• Fremdwasserbelastung der Kläranlage• Rück- und Überstau im Netz• Überflutung tiefer liegender Gebiete
In Deutschland sind ca. ein Drittel der rund 130.000 Schnittstellen zwischen Kanalisation und Gewässer gefährdet (nach Patt)
Eindringen von Hochwasser in die Kanalisation
Grundsätzliche Gegenmaßnahmen• Rückstausicherung (Schütz, Klappen etc.)• Hochwasserpumpwerk
Maßgebend für wirtschaftliche Bemessung• Maßgebende Kanalisationszuflüsse während
gewässerseitigem Hochwasser bzw.• Wahrscheinlichkeit des gleichzeitigen Auftretens
(Koinzidenz) der beiden Hochwasserarten
Problem
Eine mögliche Lösung
Zusammenhänge
HW(Tn = Tn,S): HW-Stand auf Höhe der Schwelle (Tn,S = 10 a nach A 128)
HW(Tn = Tn,GOK): HW-Stand bei dem Ausuferung beginnt (Tn,GOK ~ 0,5 bis 2 a;
in Siedlungen aufgrund Gewässerausbau oft höher)
s: Wehrhöhe (nach A 111 bei RÜ 50 – 80 % des Zulaufdurchmessers, sofern Rückstaufreiheit nicht nachgewiesen)
Koinzidenz von Kanalisations- und Gewässerabflüssen
Häufige Praxis:• Kombination der Bemessungsereignisse. Aber: Koinzidenz ist
Ausnahmefall und führt i.d.R. zu erheblicher Überbemessung!
M 165 führt dazu weiter aus:• Auch die weit verbreitete Praxis der Multiplikation der
Einzelhäufig- keiten beider Abflusskomponenten zur Bestimmung ihrer gemeinsamen Auftrittshäufigkeiten liegt danach im Regelfall sehr weit auf der „sicheren Seite“
• Bsp: 1jährlicher Kanalabfluss und 20jährlicher Gewässerabfluss treten alle (1x20 =) 20 Jahre im gleichen Jahr, aber nicht zum gleichen Zeit- punkt auf (HQ-Kanal eher im Sommer, HQ-Gewässer eher im Winter!)
Koinzidenz von Kanalisations- und Gewässerabflüssen
Regelwerke: (nur) Anhaltswerte für Standardfälle
M 103 führt dazu weiter aus:• „Grundsätzlich empfiehlt sich für solche Untersuchungen die
parallele Betrachtung langer Abflussreihen (gemessen oder simuliert) von Kanalisation und Gewässer.“
• „Besondere Überlegungen und Sorgfalt erfordert dabei die im Regelfall erforderliche Extrapolation der im untersuchten Zeitraum aufgetretenen (meist weniger kritischen) Ereignisse auf den Bemessungsfall.“
• Bereits vor über 20 Jahren berichtete Dahlem von Millionen-einsparungen durch solche detaillierten Einzelfall-Untersuchungen.
Standardfall: Bemessungsabflüsse der Kanalisation
Solche Abflüsse (n = 1/a oder seltener) treffen nach M 165 im Mittel auf Gewässerabflüsse deutlich unter HQ1 (Überschreitung an ca. 50 d/a)
• Verwendbar u.a. bei hydro-dynamischen Kanalnetz-berechnungen für gewässer-seitige Rückstauebene
Standardfall: Bemessungsabflüsse der Kanalisation
Tn,B = Tn,S / a [a] (1)
mit Tn,B : Wiederkehrzeit des beidseitigen Bauwerkeinstaus (vollständige Absperrung)
Tn,S : Wiederkehrzeit des gewässerseitigen Bemessungshochwasserstandesfür die Schwellenhöhe
a: Wahrscheinlichkeit, mit der ein Mischwasserüberlauf (beliebiger Größe)auf ein Hochwasser mit Tn Tn,S trifft. In einfachen Fällen kann mit a = 0,85 für RÜB und a = 0,4 für RÜ gerechnet werden
Prinzipskizze zum Versagensfall eines mittels Absperrorgan gesicherten Entlastungsbauwerkes
Standardfall: Bemessungsabflüsse der Kanalisation
Nach A 128 ist eine Betriebssicherheit von mindestens Tn,B = 10 Jahren anzustreben (alle 10 Jahre kann i.M. das Gewässer über eine feste Schwelle auf Höhe von HW10 ins Netz eindringen).
Danach dürfte eine mittels Schütz o.ä. gesicherte Entlastungsschwelle eines- RÜ auf einen (Tn,S = 10 · 0,4 =) 4-jährlichen - RÜB auf einen (Tn,S = 10 · 0,85 =) 8,5-jährlichenHochwasserstand ausgelegt werden (vollständiger Verschluss).
Tn,B = Tn,S / a [a] (1)
a = 0,4 für RÜ; a = 0,85 für RÜB
d.h. tritt ein HW-Ereignis im Gewässer auf, so findet z.B. in 40 % aller Fälle auch zeitgleich ein Überlauf aus einem RÜ statt. (Gültigkeitsgrenzen beachten!)
Anwendungsbeispiel (aus M 103)1. Ausgangslage: Nicht vorentlasteter, nach A 128 bemessener RÜ mit fester Schwelle auf Höhe von HW5 (Tn,S = 5 a). Entsprechend häufig dringt Hochwasser in den Kanal ein.
AEK = 50 ha; Au = 20 ha; AEO = 10.000 km² (Maingebiet). Nächste oberstrom gelegene
Einleitung (geringer Umfang) aus Siedlung in 5 km Entfernung
2. Aufgabenstellung: Geforderter Sicherheitsstandard von Tn,B = 15 Jahren wegen lang
anhaltender Hochwasserstände (und entsprechenden Netzeinstauzeiten)
3. Untersuchung, ob Schutzziel mit Absperrorgan bei unveränderter Schwellenhöhe erreichbar istPrüfung der Anwendungsvoraussetzungen für Gl. (1) mit a = 0,4:
• AEO > 10 km² (erfüllt)
• AEO/AEK = 20.000 > 10 und Au/AEK = 40 % < 50 % (erfüllt)• Nicht-alpines Gewässer ohne größere Siedlungen unmittelbar oberhalb der Einleitung (erfüllt)• Nicht vorentlasteter RÜ nach A 128 mit Tn,S > 1 a (erfüllt).
Gl. (1): Tn,B = Tn,S/a = 5/0,4 = 12,5 a < 15 a = erf Tn,B !
Folglich ist der geforderte Schutzstandard so nicht erreichbar.
Anwendungsbeispiel (aus M 103)
4. Sanierungsvariante I – Ausrüstung des RÜ mit Absperrorgan (und Anpassung der Schwellenhöhe)
Gl. (1): erf Tn,S = a · Tn,B = 0,4 · 15 = 6 a
• ? Schwellenerhöhung auf den 6-jährlichen, gewässerseitigen Hochwasserstand erforderlich. Auf der Schwellenoberkante wird z.B. eine Schwimmklappe installiert oder davor ein Stauschild.
• Nachteilig ist die höhere Rückstauebene im Kanal.
5. Sanierungsvariante II – Hochwasserpumpwerk
• Dieses fördert gegen beliebige Gewässerstände bis zum Bemessungsereignis an (ein Auslaufstutzen über dem Bemessungswasserstand wäre hydraulisch weniger flexibel).
• Nachteile: Hohe Investitions- und Betriebskosten; wirtschaftliche Bemessung sehr aufwendig, da maßgebende Ereigniskombination nur mittels Langzeitbetrachtung bestimmbar ist.
Kombination der Bemessungsabflüsse von Kanal und Gewässer führt (nach Pecher und Sartor) zu deutlicher Überbemessung, d.h. oft zu Tn,B > 1000 a bzw. zu höheren Schutzstandards als vor gewässerseitiger Überschwemmung.
Fallbeispiel zur Bemessung von Hochwasserpumpwerken
1. Ausgangslage: Sanierungsbedürftiges Pumpwerk zur Förderung von Überlaufwassermengen bis max QP = 7200 l/s aus 2 RÜ und 2 RÜB in die Saar bis HW200 .
AEK = 326 ha (46 % undurchlässig); nächstgelegene Saarpegel mit AEO = 3945 und 6983 km²
2. Aufgabenstellung: Erarbeitung kritischer Kombinationen aus Kanalzuflüssen und Saarwasserständen zur Pumpenbemessung.
Geforderter Sicherheitsstandard von Tn,B = 300 Jahren (nomineller Hochwasserschutz bis HW200 durch Deiche zzgl. Reserven wie Freibord, Dammbalken, Sandsäcke etc.)
3. Langzeituntersuchung (gemäß M 103)• Kontinuumsimulation der Pumpwerkszuflüsse mit 3 örtlichen Regenreihen (12 – 39 a)• Gewässerstände aus amtlicher Wasserspiegellageberechnung und Pegelaufzeichnungen (1959
– 2003, 45 a)• Zeitgerechte Gegenüberstellung (S 131 a) führte erwartungsgemäß zu keinem Bemessungsfall
(aufgrund von Betriebstagebüchern und -erfahrungen plausibel) • Extrapolation der ungünstigsten, im Untersuchungszeitraum aufgetretenen
Ereigniskombinationen mittels diverser „Plotting Position Formeln“ (aus A 117, A 121, M 251)
Fallbeispiel zur Bemessung von Hochwasserpumpwerken
1
10
100
1000
1 10 100 1000
Tn - Hydraulische Überlastung des Pumpwerks [a]
HW
T -
Saa
r [a
]
Qp-I (0 - 1000 l/s)
Qp-II (1000 - 2000 l/s)
Qp-III (2000 - 3000 l/s)
300
200 QP ≥ 1000 l/s
QP-I
QP-II
QP-III
Beispiel für Extrapolation von Ereigniskombinationen
Ergebnisse:
5 Kombinationen aus Fördermengen QP und Saarwasserständen HWT , z.B.:
QP = 2000 l/s mit HW200
max QP = 7200 l/s mit HW1
(u.a. Berücksichtigung des Leerpumpens von Kellern o.ä. bei ablaufendem HW)
→ QP auf HW200 weniger als 1/3 max QP !
Fallbeispiel zur Bemessung von 2 kleinen Hochwasserpumpwerken (Regenklärbecken)1. Ausgangslage: 2 geplante Regenklärbecken an der Sieg. Die geplanten Wehrschwellenhöhen, die aus hydraulischen Gründen festgelegt wurden, liegen in Bezug zur Sieg sehr niedrig (< HW 10). Es handelt sich um vorhandene Einleitungen.
2. Aufgabenstellung: Dimensionierung von Hochwasserpumpwerke, sodass unter Berücksichtigung des Wasserstands in der Sieg eine Überstauhäufigkeit im Kanalnetz von 0,1 /a eingehalten werden kann.
3. Vorgehensweise: Gegenüberstellung der kritischen Siegwasserstände und der Niederschläge im Zeitraum 1976 bis 2005. Daraus ergaben sich 67 Niederschlagsereignisse. Hydrodynamische Kanalnetzberechungen (Starkregenserie) mit Iteration der Fördervolumenströme der Hochwasserpumpen.
Fallbeispiel zur Bemessung von 2 kleinen Hochwasserpumpwerken (Regenklärbecken)
QP AE,b Spez. QP
l/s ha l/(s*ha)RKB 5 75 8,31 9,03RKB 4 100 8,89 11,25
Fallbeispiel zur Bemessung von 2 kleinen Hochwasserpumpwerken (Regenklärbecken)
Ergebnisse
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