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Einleitung
Die Karieshäufigkeit an bleibenden Zähnen ist derzeitin Deutschland bei Erwachsenen und Jugendlichenrückläufig. Dennoch stellen strukturgeschwächte6-Jahr-Molaren immer noch Kinder, Eltern und dasPraxisteam vor ein Behandlungsproblem. Es liegt einerhöhter Behandlungsaufwand bei schnell fortschrei-tender Zerstörung und zunehmender Behandlungs-angst vor. Im Folgenden wird eine Übersicht über dieEpidemiologie, Ätiologie, das Erscheinungsbild undmögliche Behandlungsstrategien der Molar-Incisor-Hypomineralization aufgezeigt.
Was ist die Molar-Incisor-Hypomineralization?
Zahlreiche Publikationen beschäftigen sich mit gelb-lich-bräunlichen Schmelzdefekten, die sich isoliert an6-Jahr-Molaren und gelegentlich auch an Frontzähnenzeigen. Diese Defekte lassen sich anderen gut beschrie-benen Zahnverfärbungen oder Strukturanomaliennicht zuordnen, wie z.B. Rachitis, Tetrazyklinverfär-bungen, Fluorose oder Amelogenesis imperfecta. DieNomenklatur dieser Hypomineralisationen ist in derLiteratur lange Zeit nicht einheitlich beschrieben wor-den. Es lassen sich Begriffe wie hypomineralisiertepermanente erste Molaren, idiopathische Schmelz-
hypomineralisation der ersten bleibenden Molarensowie „Cheese-Molars“ finden.
Merke: Der Begriff „Molar-Incisor-Hypominerali-
zation“ wurde erst 2001 auf der European Academy
of Paediatric Dentistry-Tagung vorgeschlagen und
wird seitdem einheitlich verwendet.
Molar-Incisor-HypomineralizationVerena Knapp, Silke Marie Nies
Übersicht
Einleitung 491Epidemiologie 492Ätiologie 492Klinik und Histologie 493Klassifikation 494Differenzialdiagnosen 496Therapie 499Fallbeispiele 502Fazit 506
Zahnmedizin up2date 5 Œ2009 Œ491–509 Œ10.1055/s-0029-1185707
Definition nach Weerheijm
Die verschiedenen Bezeichnungen wurden erst 2001 von Weerheijm et al.
unter dem heute einheitlich verwendeten Begriff „Molar-Incisor-Hypomine-
ralization“ (MIH) zusammengefasst [1].
Die Autoren definierten die Fehlbildung dabei als eine systemisch bedingte
Strukturanomalie der bleibenden Schneidezähne und der ersten bleibenden
Molaren. Bereits kurz nach dem Durchbruch der Zähne kann es, durch Kau-
kräfte bedingt, zum Verlust des fehlstrukturierten Schmelzes kommen. Die be-
troffenen Zähne reagieren sehr empfindlich auf Temperatur und mechanische
Stimuli, sodass das Zähneputzen Schmerzen bereiten kann. Histologisch zeigen
sich Porositäten und niedrigere Kalzium- und Phosphatkonzentration im Ver-
gleich zum normalen Schmelz [1].
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Epidemiologie
MIH ist ein weltweites Problem. Die meisten Studienentstanden in Europa, insbesondere in Skandinavien.Es existieren aber auch Studien aus Australien [2].
Epidemiologische Daten
n Abhängig von der Studie sind Prävalenzen zwischen3,6% und 25% zu finden [3].
n Dabei scheint die Häufigkeit von MIH zuzunehmen[4].
n Es existieren Hinweise auf Zusammenhänge mit ge-sellschaftlichen Veränderungen. Eine Untersuchungin den neuen Bundesländern ergab eine signifikanthöhere Häufigkeit von MIH der Geburtsjahrgängezwischen 1989 und 1991 [5].
n Auch ungeklärte Umweltbedingungen können hö-here Häufigkeiten in einzelnen Jahrgängen bedin-gen [6].
n In Untersuchungen wurden betroffene Zähne häufi-ger im Oberkiefer als im Unterkiefer beobachtet[7,8]. Die Häufigkeit für das Auftreten von MIH an16 und 26 betrug 67,2 bzw. 65,5%, hingegen warenim Unterkiefer der Zahn 36 zu 43,3% und der Zahn46 zu 43,1% betroffen. Ähnlich verhielt es sich auchfür die Inzisivi. Hier waren 11 bzw. 21 zu 31,4 bzw.39,2% betroffen. Die Häufigkeit für 31 bzw. 41 lagbei 12,1% bzw. 13,8% [9]. Ein Erklärungsansatz istdie frühere Mineralisation der Oberkieferzähne,sodass der störende, MIH‑auslösende Stimulus zueinem kritischeren Zeitpunkt Einfluss nimmt. Auchkönnen die Unterschiede in der Entwicklungsregu-lation von Oberkiefer- und Unterkieferzähnen alsErklärungsansatz nicht ausgeschlossen werden [10].
n Seitenunterschiede wurden bislang nicht beobach-tet.
n Geschlechterbezogene Unterschiede schwanken jenach Studie.
n Schneidezähne können zu 40% der Fälle ebenfallsbetroffen sein [8].
n Der Zahn 16 war in einer Untersuchung der amhäufigsten betroffene Zahn mit MIH. Bei denSchneidezähnen waren die Zähne 11 und 21 signi-fikant häufiger hypomineralisiert als die übrigenInzisivi [11].
n Der Ausprägungsgrad der hypomineralisiertenAreale kann schwanken. In Schweden wiesen 18,4%der Kinder MIH auf. 7% zeigten milde, 5% mittlereund 6,5% schwere Hypomineralisationen [12].
Konsequenzen für die Behandlung
MIH beeinflusst den Behandlungsbedarf der Kinder, daes hier zu einem unerwartet schnellen Voranschreitender Karies kommen kann [3]. Der durchschnittlicheDMFT‑Wert der Kinder mit MIH liegt mit 2,1 signifi-kant höher als der der Kinder einer Kontrollgruppeohne MIH mit 1,0. Auch steigt der Behandlungsbedarfbei Kindern mit MIH mit dem Alter an, da initial nurmilde Läsionen durch einwirkende Kaukraftbelastungvergrößert werden und durch kariogene Bakterien-invasion erweichen können [10].
Kinder mit MIH im Alter von 9 Jahren müssen sich10-mal häufiger einer zahnärztlichen Behandlung ihrer6-Jahr-Molaren unterziehen als Kinder ohne MIH[13,14]. Es wird sogar eine 11-mal höhere Wahr-scheinlichkeit einer zahnärztlichen Therapie aufgezeigt[14]. Dieses hohe Risiko ist auf die häufigen Fissuren-versiegelungs- und Füllungsverluste an hypominerali-sierten Zähnen zurückzuführen. Es besteht ein dreifachhöheres Risiko einer erneuten Behandlung im Ver-gleich zu einer Kontrollgruppe.
Merke: MIH‑Zähne sind besonders kariesanfällig.
Sie zeigen einen deutlich erhöhten Behandlungs-
bedarf und begünstigen durch ihre raue und ver-
größerte Oberfläche die Plaqueakkumulation.
Ätiologie
Die Ätiologie dieser Strukturanomalie der bleibendenZähne ist noch unbekannt. Diskutiert wird einmulti-
faktorielles Geschehen. Sicher ist, dass der Einflusswährend der ersten Lebensjahre, d.h. während der Mi-neralisationsphasen der Kronen der ersten bleibendenMolaren und Inzisivi stattfindet [1]. Als potenzielle Ur-sachen kommen Probleme während der Schwanger-schaft [15], Infektionskrankheiten [15], Antibiotika-gaben [16], Windpocken [16], Einflüsse durch Dioxine[17] sowie Erkrankungen der oberen Luftwege [11] inBetracht.
MIH – kurz notiert
n Prävalenz 3,6–25%n Vorkommen im Oberkiefer häufiger als im Unterkiefern erhöhter Behandlungsbedarf
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Erkrankungen in den ersten Lebensjahren. Mögli-cherweise haben häufige Erkrankungen in den ersten4 Lebensjahren einen Einfluss auf die Entstehung vonHypomineralisierungen der bleibenden Zähne [16].Dabei spielen insbesondere Erkrankungen, die mitSchwankungen des Kalziumphosphat-Spiegels einher-gehen, wieMangelernährungszustände, Durchfall-
erkrankungen und Fieberzustände eine Rolle und wir-ken sich auf die Schmelzbildung aus. Kinder mit MIHwaren in Untersuchungen signifikant häufiger krankund hatten eine signifikant größere Vielfalt an Erkran-kungen durchgemacht als die Kinder der Kontrollgrup-pe. Es fielen besonders die Otitis media, Pneumonienund Fiebererkrankungen auf. Windpocken traten beiKindern mit MIH in 79% der Fälle auf. In der Ver-gleichsgruppe hingegen zeigte sich diese Erkrankungnur zu 38%.
Eine weitere Untersuchung differenzierte möglicheätiologische Faktoren bei Kindern zwischen 7 und9 Jahren [11]. 27% der Kinder mit MIH hatten in denersten 3 Lebensjahren an Infektionen im oberen undunteren Respirationstrakt gelitten. Auch Niereninfek-tionen waren bei den betroffenen Kindern signifikanthäufiger.
Antibiotika. Es konnte herausgestellt werden, dass dieaktuelle Erkrankung, die das Antibiotikum nötigmacht,die eigentliche Ursache für vorhandene Hypominerali-sationen der Zähne ist [16].
Geburt und Stillzeit. Es fanden sich keine negativenAuswirkungen durch das Geburtsgewicht oder ‑länge,Geburtsprobleme oder durch die Dauer des Stillensund/oder der Saugerflaschenverwendung [16]. Eskonnte kein Zusammenhang zwischen der Dauer derStillphase oder der Saugerflaschenverwendung undder MIH gefunden werden [11].
Im Gegensatz dazu gaben Behrendt et al. zu bedenken,dass der Einfluss freigesetzter Bestandteile aus Kunst-stoffsaugerflaschen insbesondere bei verlängerter,nuckelnder Nahrungsaufnahme gründlich überprüftwerden sollte – hatte diese Studie doch ergeben, dassbei den untersuchten Kindern mit MIH in den erstenJahren vermehrt Kunststoffsaugerflaschen verwendetwurden, während in der Vergleichsgruppe die Glas-saugerflasche dominierte [8].
Systemische Erkrankungen, wie Herzfehler, zysti-sche Fibrose oder Epilepsie nahmen keinen signifikan-ten Einfluss auf die Ausbildung von MIH [11].
Dioxine. Alaluusua et al. [17] untersuchten den Ein-fluss von Dioxinen auf die Zahnentwicklung und fan-den dabei heraus, dass die in der Muttermilch enthal-tenen Dioxine bei einer verlängerten Stilldauer dasRisiko für Mineralisationsdefekte erhöhen können. DieSchwere und die Häufigkeit korreliertenmit der totalenDioxinexposition, die aus der Dioxinbelastung derMilch der jeweiligen Mutter und der Stilldauer berech-net wurde. Die Autoren betonten, dass nicht die ver-längerte Stilldauer allein für die Strukturanomalie ver-antwortlich zu machen sei.
Bei Untersuchungen zurWirkungsweise von Dioxin aufZahnkeime von Mäusen zeigte sich, dass Dioxin an denEpidermal-Growth-Factor-Rezeptor bindet und darü-ber auch die Zahnentwicklung beeinflusst [18]. EineKorrelation zwischen der Exposition von Dioxinen unddem Auftreten von Strukturanomalien an den bleiben-den Zähnen konnte nachgewiesen werden [19].
Jüngste Ergebnisse zeigen, dass nach Absenkung derDioxinkonzentrationen in der Muttermilch/Plazentakein Zusammenhang mehr zur MIH festzustellen war.Schlussfolgernd stellte die Arbeitsgruppe fest, dass eineBelastung der Muttermilch nicht mit der Entstehungoder dem Schweregrad einer MIH assoziiert ist.
Merke: Die Ätiologie von MIH ist immer noch un-
klar, wird aber auf ein multifaktorielles Geschehen
zurückgeführt.
Klinik und Histologie
Klinik. An den betroffenen Zähnen (Molaren und Inzi-sivi) kannman unterschiedlich stark ausgeprägteweiß-
cremig bis gelb-braune Verfärbungen/Opazitäten bis hinzu ausgeprägten Schmelzverlusten durch Abplatzungen
unter Kaubelastung erkennen. Die betroffenen Zähneweisen zum Teil ausgeprägte Porositäten auf.
Mögliche Ursachen der MIH
n Probleme während der Schwangerschaftn frühkindliche Infektionskrankheiten, z.T. mit hohen Fieberschübenn Antibiotikagabenn Windpockenn Erkrankungen der oberen und unteren Luftwegen Dioxine der Muttermilch
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In einigen Fällen sind strukturelle Veränderungen anden Spitzen der Eckzähne, der zweiten bleibendenMolaren sowie der zweiten Milchmolaren zu diagnos-tizieren. Nicht immer müssen alle vier 6-Jahr-Molarenoder alle Inzisivi betroffen sein. Teilweise kann auchnur ein Zahn Hypomineralisationen aufweisen. DerSchweregrad der Hypomineralisation kann von Zahnzu Zahn verschieden sein. Weerheijm beschreibt indiesem Zusammenhang, dass bei einer stark aus-geprägten Hypomineralisation eines Molaren der kon-tralaterale Zahn ebenfalls betroffen sei [3]. In diesemZusammenhang scheinen nur die Frontzähne aufgrundder fehlenden Kaubelastung schwächer betroffen zusein [16]. Es wird berichtet, dass das relative Risiko füreine Hypomineralisation der Oberkiefer-Inzisiven mitzunehmender Anzahl der betroffenen Molaren steigt[11]. Die Strukturveränderungen werden im Allgemei-nen einer beeinträchtigten Ameloblastenfunktionwäh-rend der verschiedenen Stadien der Amelogenese zu-geschrieben.
Charakteristisch ist, dass diese Zähne häufig durchausgeprägte Heiß-Kalt-Empfindlichkeiten auffälligwerden. Für den Zahnarzt stellt diese Schmerzhaftig-keit ein Problem dar, weil die räumliche Nähe des Sau-gers von den betroffenen Kindern nicht akzeptiertwird. Dies führt zu zusätzlichen Maßnahmen nebender örtlichen Betäubung, die Kooperationsproblememit sich führen können.
Histologie. Histologisch zeigt der Aufbau des Dentinsunter hypomineralisiertem Schmelz Unterschiede zuDentin unter normalem Schmelz. Dabei weist das Den-tin höhere Werte von organischer Substanz auf [12]. Eswird vermutet, dass die Odontoblasten bei Zähnen mitder Diagnose MIH nicht beeinträchtigt sind. Darüberhinaus enthält hypomineralisierter Schmelz mehrKohlenstoff. Kalzium- und Phosphatkonzentrationendagegen waren gegenüber normalem Schmelz ernied-rigt. So war das durchschnittliche Verhältnis von Kal-zium zu Phosphat in MIH‑Arealen mit 1,4 signifikantniedriger als in normalem Schmelz mit 1,8 [21].
Merke: Bei einer Molar-Incisor-Hypomineralization
müssen nicht immer alle 6-Jahr-Molaren oder alle
Inzisiven betroffen sein. Der Schweregrad kann
zahnbedingt differieren.
Weerheijm et al. schlugen vor, die klinische Diagnostikam feuchten Zahn nach der Reinigung vorzunehmen[22]. Sie definierten Bewertungskriterien, die fürPrävalenzstudien zur Diagnose von MIH angewendetwerden sollten.
Für eine klinische Klassifikation der 6-Jahr-Molarenwurde bereits 1991 von Wetzel und Reckel [23] eineEinteilung in 3 Schweregrade vorgeschlagen. Diesesollen im Folgenden vorgestellt werden, da sie auch fürdie nachfolgende Therapie von Bedeutung sind.
Klassifikation
Schweregrad 1
Der leichte Ausprägungsgrad zeichnet sich durch ein-
zelne, nicht zusammenhängende Schmelzareale aus, dieweiß-cremig bis gelb-braune Verfärbungen aufweisen.Sie sind im Bereich der Kauflächen und/oder Höcker
bzw. des oberen Kronendrittels lokalisiert. Die Morpho-logie der Zähne bleibt erhalten (Abb. 1).
Histologisch ist die Fehlstrukturierung dabei reinschmelzbegrenzt. Betroffene Kinder geben keine Tem-peraturempfindlichkeiten an [21].
Schweregrad 2
Bei diesem Schweregrad sind größere zusammen-
hängende Areale oder die Gesamtheit des Schmelzesgelb-braun verfärbt. Zusätzlich lassen sich leichtereVeränderungen der Kronenmorphologie durch defekteSchmelzbildung an der Zahnoberfläche erkennen(Abb. 2).
Histologisch zeigen sich Porositäten, die bis zurSchmelz-Zement-Grenze reichen. Es werden Tempe-raturempfindlichkeiten angegeben [21].
Bewertungskriterien für Prävalenzstudienzur Diagnostik von MIH
n An- oder Abwesenheit von abgrenzbaren Opazitätenn posteruptiver Schmelzverlustn atypische Restaurationenn Extraktionen von Molaren aufgrund von MIHn fehlender Durchbruch eines Molaren oder Inzisiven
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Schweregrad 3
Bei der schwersten Ausprägung ist die Mineralisationder betroffenen 6-Jahr-Molaren großflächig gestört,sodass ausgeprägte gelb-braune Verfärbungen und De-fekte in der Kronenmorphologie aufgrund deutlicherSchmelzverluste vorliegen (Abb. 3).
Histologisch lassen sich Porositäten bis in das Dentin
nachweisen [21].
Schweregrad und Schädigungszeitpunkt
Die Strukturveränderungen werden einer beeinträch-tigten Ameloblastenfunktion während der verschiede-nen Stadien der Amelogenese zugeschrieben. Anhandder unterschiedlichen Mineralisationszeiten der ein-zelnen Zahngruppen kann der Zeitraum des Einwir-kens der schädigenden Noxe eingeschränkt werden(Tab. 1).
Abb. 1 Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation Schweregrad 1.
Abb. 2 Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation Schweregrad 2.
Abb. 3 Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation Schweregrad 3.
Klassifikation der MIH nach Alaluusua et al.[17]
n milde Defekte – farbliche Veränderungenn mäßige/moderate Defekte – isolierte Schmelzverlusten schwere Defekte – Schmelzverluste mit betroffenen Dentinanteilen
Klassifikation nach Wetzel und Reckel [31]
n Grad 1: einzelne weiß-cremig bis gelb-braune Verfärbungenn Grad 2: Verfärbungen + leichtere Veränderungen der Kronenmorphologie
durch defekte Schmelzbildungn Grad 3: ausgeprägte gelb-braune Verfärbungen und große Defekte in der
Kronenmorphologie
Tabelle 1
Zeiten des Mineralisationsbeginns nach röntgenologischer Sichtbarkeit.
5. Fetalmonat Milchschneidezähne
6. Fetalmonat 1. Milchmolaren, Milcheckzähne
7. Fetalmonat 2. Milchmolaren
9. Fetalmonat 6-Jahr-Molaren
6. Lebensmonat mittlere Schneidezähne, seitliche UK‑Schneidezähne
12. Lebensmonat Eckzähne
18. Lebensmonat seitliche OK‑Schneidezähne
30. Lebensmonat 1. Prämolaren
36. Lebensmonat 2. Prämolaren
42. Lebensmonat 2. Molaren
10. Lebensjahr Weisheitszähne
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Merke: Der Einfluss auf die Mineralisation, der zur
MIH führt, vollzieht sich hauptsächlich im ersten
Lebensjahr.
Differenzialdiagnosen
Aufgrund der zahlreichen Differenzialdiagnosen isteine gründliche Anamnese ausschlaggebend für diesichere Diagnosestellung einer Molar-Incisor-Hypo-mineralization (Tab. 2). Dafür ist ein abwartendes Ver-halten bis zum Durchbruch der Molaren und Inzisiviempfehlenswert.
Erblich bedingte Strukturanomalien
Amelogenesis imperfecta. Die Amelogenesis imper-fecta ist eine genetisch bedingte Strukturanomalie mitFehlleistungen der Ameloblasten, welche im Gegensatzzur lokalisierten MIH als generalisierte Fehlbildung alle
Zähne einer Dentition betrifft.
Die Hypomineralisation wird am häufigsten beschrie-ben. Die Amelogenesis imperfecta wird autosomal, sel-ten auch heterosomal vererbt. Es sind sowohl regel-mäßig dominante als auch rezessive Formen bekannt.Die Zähne brechen zur normalen Durchbruchszeit mitregelrechter Kronenkontur durch und weisen opak-weiße, graue und gelbe Flecken wechselnder Größeund Zusammensetzung auf. Im permanenten Gebisskönnen auch gleichmäßig gelbbraune Schmelzarealevorkommen (Abb. 4). An Schneidekanten und Höcker-spitzen kann es als Folge von Attrition und Abrasion zuSchmelzdefekten kommen. Die unebene Oberfläche istgekennzeichnet durch Spalten, Grübchen und Einker-bungen. Histologisch zeigen sichmultiple Störungen imAufbau und Verlauf der Schmelzprismen. Es könnenHohlraumbildungen vorkommen.
Exogen bedingte Strukturanomalien
Turnerzähne sind meist Ersatzzähne, deren Erschei-nungsbild durch einen entzündeten/osteolytischenMilchzahn und dessen saure Sekrete bedingt ist. Siesind häufig morphologisch verkleinert. Die Defektesind teilweise auf Schmelzverlust, teilweise auf Ze-mentauflagerungen auf die Krone zurückzuführen.Die Verfärbungen sind gelb-braun (Abb. 5). Histologischweist die hypoplastische Zahnhartsubstanz einenniedrigeren Mineralisationsgrad auf. Am häufigstensind die unteren und oberen Prämolaren, die oberen
Abb. 4 Amelogenesis imperfecta.
Abb. 5 Turnerzahn. Abb. 6 Keimschädigung durch Frontzahntrauma. Zustand nachMilchzahnintrusion mit Mandibularfraktur.
Drei Gruppen der Amelogenesis imperfecta
n Hypomineralisationn Hypomaturationn Aplasie/Hypoplasie
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mittleren bleibenden Schneidezähne sowie der Mesi-albereich der ersten bleibenden Molaren betroffen[24].
Keimschädigung durch Milchfrontzahntrauma.
Diese Defekte kommen besonders häufig im oberenFrontzahnbereich vor und können durch Milchzahnin-trusionen, ‑luxationen oder Avulsionen bedingt sein.Auch Kiefer- und Mittelgesichtsfrakturen könnenKeimschädigungen verursachen. Die Schmelzverän-derungen können bis zum Dentin reichen, woraus einegelb-braune Farbe resultiert (Abb. 6). Die Unfallfolgenreichen je nach Verletzung und Alter des Kindes bzw.dem Entwicklungsstadium des Zahnkeims über Verfär-bungen, Eindellungen und Ausbleiben des Wurzel-wachstums, Dilazeration bis zur odontomartigen Fehl-bildung [24,25].
Strahlenphysikalische Schäden. Die Bestrahlung vonTumoren im Kopf-/Hals-Bereich im frühen Kindesalterkann abhängig von der Strahlendosis und dem Ent-wicklungsstand der Zähne zu Zerstörungen des Zahn-keims, Mikrodontie, Kronenverstümmelungen,Schmelzdefekten (Abb. 7) und fehlgebildeten Wurzelnführen [24].
Karies. Defektbildungen durch kariöse Erkrankungenentstehen hauptsächlich an Prädilektionsstellen (Ap-proximalbereich, Fissuren und Grübchen, Zahnhals-bereich) (Abb. 8).
Endogen bedingte Strukturanomalien
Pränatale Entwicklungsstörungen. Pränatale Ent-wicklungsstörungen können Strukturanomalien derZähne hervorrufen: Dazu zählen Röteln-Infektionen inder Frühschwangerschaft, Syphilis-Erkrankungen,Mangelernährung, Diabetes mellitus, Rhesusfaktor-Unverträglichkeitsreaktion (Abb. 9).
Perinatale Entwicklungsstörungen. Auch perinataleEntwicklungsstörungen (Geburtstrauma, Atemnotsyn-drom, Neugeborenenikterus, Frühgeburt) können sichnegativ auf die Zahnentwicklung des Kindes auswirken(Abb. 10).
Postnatale Entwicklungsstörungen
Tetrazyklingabe. Antibiotika in Form von Tetrazykli-nen, die während der Mineralisation der Zahnkeimeverabreicht werden, können zu gelb-braunen Einlage-rungen dieser Substanzen in Schmelz und Dentin füh-ren. Diese Antibiotikagruppe besitzt eine hohe Affinitätzu Kalzium und kann somit sowohl in die Apatitstruk-tur des Zahnschmelzes und des Knochens eingebautwerden. Klinisch zeigen sich Tetrazyklinverfärbungenimmer nur in jenen Schmelzanteilen eines Zahnes, diezum Zeitpunkt der Verabreichung des Medikamentsgerade als Keime im Kieferknochen mineralisiert wer-den (Abb. 11). Dabei kann das Antibiotikum durch oraleAufnahme des Kindes selbst oder über dieMuttermilch,
Abb. 7 Defektbildungen nach strahlenphysikalischer Schädigung. Abb. 8 Karies.
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aber auch pränatal in den Blutkreislauf gelangen, daTetrazyklin plazentagängig ist. Die Gabe von Tetra-zyklinen ist in den ersten 12 Lebensjahren sowie inder Schwangerschaft und Stillzeit obsolet.
Fluorose. Nach langdauernder Überdosierung vonFluoriden während der Zahnentwicklung im Rahmeneiner unkontrollierten Mehrfachanwendung, d.h. Ver-wendung von systemischen (Trinkwasser-, Tabletten-und/oder Speisesalzfluoridierung) und lokalen Fluo-dierungsmethoden (Zahnpaste, Spüllösung, Gele und/oder Lacke), kommt es zum Krankheitsbild der Fluoro-se. Die betroffenen Zähne können je nach Ausprägungfeine weiße Linien, Flecken oder stark opaken Schmelzaufweisen, der auch fast vollständig fehlen kann(Abb. 12, 13). Thylstrup und Fejerskov teilten dieSchweregrade der Fluorose in 9 Stufen ein [26]. AbGrad 5 kommt es zu Schmelzabplatzungen (Abb. 13).
Rachitis. Verantwortlich für die Ausbildung einer Ra-chitis ist der Mangel an Vitamin D. Die dadurch her-vorgerufene verminderte Kalziumresorption im Darmund die verminderte Phosphatrückresorption in derNiere führen zur Hypokalzämie. Neben den Knochenmanifestiert sich die Rachitis vor allem in der Mund-höhle in Form einer Symptomtrias: HypoplastischeFehlstrukturierungen der Zähne, Lyraform der Kiefer-bögen und frontal offener Biss. Aufgrund ihrer gemein-samen Mineralisationsphase sind die 6-Jahr-Molaren
Abb. 11 Tetrazyklinverfärbung. Abb. 12 Fluorose Grad 2–3 nach Thylstrup und Fejerskov.
Abb. 13 Fluorose Grad 7 nach Thylstrup und Fejerskov.
Abb. 9 Schmelzveränderungen bei Rhesusfaktor-Unverträglichkeits-reaktion.
Abb. 10 Schmelzhypoplasien nach Neugeborenenikterus.
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sowie die Frontzähne von Schmelzdeformierungen,Schmelzverlusten und Verfärbungen betroffen(Abb. 14). Typischerweise sind hier die regulär gebilde-ten Areale von den rachitisch veränderten Bereichendeutlich abzugrenzen.
Systemische Erkrankungen. Bei der MIH‑Diagnostikmüssen ausgeschlossen werden:n Hypo-/Hypervitaminosen,n Hypoparathyreodismus,n gastrointestinale Störungen,n Stoffwechselerkrankungen.
Merke: Aufgrund der zahlreichen Differenzial-
diagnosen ist eine gründliche Anamnese aus-
schlaggebend für die sichere Diagnosestellung
einer Molar-Incisor-Hypomineralization.
Therapie
MIH und Präventionsmaßnahmen
Betroffene Zähne weisen eine erhöhte Temperatur-empfindlichkeit auf, was häufig mit Beschwerden beider häuslichen Mundhygiene einhergeht. Fayle emp-fiehlt zur Reduktion der Schmerzempfindlichkeit, dieseZähne wiederholt mit einem hochdosierten Fluorlack(z.B. Duraphat) zu behandeln. Zusätzlich empfiehlt essich, Mundhygieneartikel für „schmerzempfindlicheZähne“ zu verwenden, um die Sensibilität der Zähne zuvermindern. Dazu können täglich 0,4% zinnhaltigeFluoridgele angewendet werden [27]. In der Poliklinikfür Kinderzahnheilkunde der Universität Gießen wirddie tägliche Verwendung einer kariesprotektivenMundspülung zusätzlich zu den hochdosierten Lackenempfohlen (Fluorgehalt 0,025%).
Merke: Wir empfehlen regelmäßige Fluorid-
touchierungen mit hochdosierten Lacken im Ab-
stand von 3 Monaten. Zusätzlich können tägliche
Spülungen (Fluoridgehalt: 0,025%) im häuslichen
Umfeld vorgenommen werden.
Fissurenversiegelungen werden bei Zähnen durch-geführt, die nur erstgradig fehlstrukturiert sind, d.h.ohne Abplatzungen oder Heiß-/Kaltempfindlichkeiten.Dazu eignen sich klassische Fissurenversiegeler, wiez.B. Concise (3M Espe), oder Flow-Komposite, wie z.B.Tetric Flow (Ivoclar Vivadent). Kariöse Erweichungensollten vorher röntgenologisch ausgeschlossen werden[27].
Schwedische Untersuchungen haben ergeben, dassKinder einer Studiengruppe annähernd 10-mal häufi-ger Behandlungen ihrer ersten Molaren erfahren hat-ten als Kinder einer Kontrollgruppe [13]. In Griechen-land lag die mittlere Anzahl der erfolgten restaurativen
Tabelle 2
Differenzialdiagnostik bei MIH.
erblich bedingteStrukturanomalien
Amelogenesis imperfecta
exogen bedingte Defekteder Zahnhartsubstanz
Turnerzähne
Keimschädigung durch Frontzahntrauma
strahlenphysikalische Schäden
Karies
endogen bedingte Defekteder Zahnhartsubstanz
pränatale Entwicklungsstörungen: Röteln-Infektion inder Frühschwangerschaft, Syphilis-Erkrankung, Mangel-ernährung, Diabetes mellitus, Rhesusfaktor-Unverträglich-keitsreaktion
perinatale Entwicklungsstörungen: Geburtstrauma,Atemnotsyndrom, Neugeborenenikterus, Frühgeburt
postnatale Entwicklungsstörungen: Tetrazyklingabe,Fluorose, Rachitis
systemische Erkrankungen Hypo-/Hypervitaminosen
Hypoparathyreodismus
gastrointestinale Störungen
Stoffwechselerkrankungen
Abb. 14 Rachitis.
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Versorgungen bei Kindern mit hypomineralisiertenMolaren pro Kind bei 3,7 ± 1,9 [14]. Aufgrund der deut-lich erhöhten Empfindlichkeit und der Tatsache, dasswiederholte Behandlungen ohne Lokalanästhesiedurchgeführt wurden, waren Probleme der Behand-lungsführung sowie Zahnbehandlungsängste häufigerals bei Kindern, welche regulär ausgebildete Molarenbzw. Inzisiven aufwiesen [13]. Dies lässt sich beispiel-haft auch für die Allgemeinheit der MIH‑Patientenfesthalten.
Zähne mit Molar-Incisor-Hypomineralization solltenfrühzeitig behandelt werden. Da es aufgrund von Kau-kräften bereits kurz nach dem Durchbruch dieser Zäh-ne zu Abplatzungen von Schmelzarealen kommenkann, wird durch eine frühe Behandlung diese Proble-matik verringert. Ein engmaschiger zahnärztlicherRecall im Abstand von 3 Monaten ist bei den betroffe-nen Kindern unabdingbar [16]. Prophylaxemaßnah-men sollten regelmäßig und konsequent durchgeführtwerden.
Merke: Ein engmaschiger Recall (alle 3 Monate)
ist erforderlich.
MIH und Lokalanästhesie
Maßnahmen zur Schmerzausschaltung sollten bei Be-handlungsbedarf unbedingt ergriffen werden [13].Häufig sind MIH‑Zähne sehr temperaturempfindlich.Diese Empfindlichkeit kann nach Verabreichung einerLokalanästhesie in vielen Fällen weiterhin bestehenbleiben. Diskutiert wird derzeit die Gabe von Schmerz-mittel (Paracetamol) eine Stunde vor Lokalanästhesiezur Verstärkung der Anästhesietiefe. Scheitert eine Be-handlung unter lokaler Anästhesie trotz mehrfacherVersuche, kann eine weiterführende Schmerzausschal-tung (z.B. Vollnarkose) notwendig sein. Hier ist dieIndikation gegenüber den Risiken einer Intubations-narkose sorgfältig abzuwägen.
Merke: Da eine ausreichende Lokalanästhesietiefe
bei den betroffenen Kindern in vielen Fällen nicht
erreicht werden kann, kann es zu Behandlungs-
problemen bis hin zur Behandlungsverweigerung
kommen.
MIH und Füllungstherapie
Zahnärztliche Behandlungen bei Kindern mit MIH stel-len aufgrund ihrer Komplexität häufig eine Herausfor-derung an das Praxisteam dar. Es gibt bisher noch keineeinheitlich festgelegten Therapiestrategien zur Be-handlung von hypomineralisierten Inzisiven und Mo-laren [2]. Es werden Therapievorschläge aufgezeigt, diekeinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben undbei den betroffenen Patienten aufgrund der unter-schiedlichen Ausprägung abgewogen werden sollten.
Die Auswahl der restaurativen Versorgungen bei hypo-mineralisierten Zähnen sind von verschiedenen Fak-toren abhängig: So sollte das Alter der Patienten, dieAusdehnung und Qualität (Härte) der Zahnhartsub-stanz und das Ausmaß der Empfindlichkeit Einfluss aufdas verwendete Material nehmen [27]. Sicherlich istauch die Lokalisation der betroffenen Zähne entschei-dend für die Auswahl der Restauration.
n Glasionomerzement
Glasionomerzemente sollten aufgrund ihrer reduzier-ten Stabilität gegen Abrasionen bei Patienten mit MIHnur temporär verwendet werden [27]. Sie eignen sichals vorübergehendes Füllungsmaterial bei Kindern, beidenen zunächst eine systematische Desensibilisierungzum Kooperationsaufbau durchgeführt werden muss.
n Amalgam
Die nicht adhäsiven Amalgame werden aufgrund ihrerfehlenden isolierenden Wirkung nicht empfohlen. Zu-dem sind sie anfällig für marginale Randspalten undbieten dem durch die Fehlstrukturierung geschwäch-ten Zahn keine mechanische Unterstützung [27].
n Komposit/Kompomer
Diese adhäsiven Materialien bieten einen guten Schutzgegen Abrasionen. Die Anwendbarkeit von Kompositenbzw. Kompomeren hat sich durch die Verbesserung derAdhäsive deutlich erhöht. Bondingsysteme der4./5. Generation weisen gute Haftungswerte an Dentinund Schmelz auf.
Exkavation. Empfehlungen gehen dahin, das gesamteklinisch defekte Schmelzmaterial zu entfernen [28].Das erscheint bei MIH‑Zähnen jedoch problematisch,
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da die hypomineralisierten Areale schwierig zu be-stimmen sind. Oft bestimmt das Gefühl, welches beider Verwendung des Rosenbohrers entsteht: Hypomi-neralisierter Schmelz ist mit dem Rosenbohrer gut zuentfernen. Untersuchungen zu dieser Technik zeigengute Ergebnisse auf, die aber sicherlich noch weiterüberprüft werden müssen [27]. Eine Regel, die besagt,dass generell bei adhäsiven Materialien bis in gesundeSchmelzareale präpariert werden sollte, wird teilweisekontrovers diskutiert. Auf dieseWeise kommt es häufigzu unnötigem Substanzverlust, andererseits ist dieEntfernung von weichem Schmelz vorteilhaft für denHaftverbund der Adhäsive zu dem restlichen, gesundenSchmelz [28]. Die Adhäsion an fehlstrukturierten Stel-len kann schwächer sein und der hypomineralisierteSchmelz ist anfälliger für Sekundärkaries [10]; deshalbist eine „vorausschauende“ Versorgung bei diesenZähnen empfehlenswert.
Liegedauer und Ergebnisse. Untersuchungen zurWiederholungsbedürftigkeit von Kompositfüllungenan MIH‑geschädigten Zähnen haben ergeben, dass die-se im Durchschnitt alle 4 Jahre ausgetauscht werdenmüssen [14]. Wiederum zeigte sich anderweitig, dassnach einer Liegedauer von 4 Jahren noch keine drin-genden Indikationen zum Austausch der Kompositfül-lungen durch verminderte Qualität festzustellen waren[28]. Auch Hypersensitivitäten nach Versorgung derZähne mit adhäsiven Materialien (Komposit) tratennach 1 Jahr kaummehr auf. Hypersensitivitäten nachFüllungstherapie können durch korrekte Anwendungdes Adhäsivsystems und der dadurch erreichten voll-ständigen Versiegelung der Dentinkanälchen vermie-den werden. In einer Untersuchung von Mejàre et al.[29] waren Kompositfüllungen im Durchschnitt 5,2Jahre in situ. Es ergaben sich keine Unterschiede zwi-schen Oberkiefer- und Unterkiefermolaren. Die Er-folgsrate bei Kompositversorgungen war deutlich hö-her als bei Füllungen aus Glasionomerzement.
Aus unserer Erfahrung fühlen sich die Kinder durch dieHypomineralisationen im Frontzahnbereich, speziellim Oberkiefer, stark beeinträchtigt. Durch Kompositekann eine deutliche Verbesserung der Ästhetik erzieltwerden. Auf besondere Sorgfalt muss bei der Entfer-nung der porösen Zahnhartsubstanz geachtet werden,da die gerade eingewachsenen Zähne ein sehr großesPulpenkavum aufweisen. Wir empfehlen, die ästheti-schen Korrekturen im Frontzahnbereich frühestens2 Jahre nach Zahndurchbruch vorzunehmen. Aufgrundder häufig nur geringgradig betroffenen Frontzähne istdieses Vorgehen gut realisierbar.
Merke: Die adhäsive Versorgung mit Komposit
ist das Mittel der Wahl für die Füllungstherapie an
hypomineralisierten Zähnen.
n Konfektionierte Kronen
Als konfektionierte Kronen werden häufig Edelstahl-kronen verwendet (Firma 3M‑Espe). Die Anwendungvon Edelstahlkronen ist bei subgingivalen Präpara-tionsrändern und ausgedehnten Defekten indiziert.Diese Art der Versorgung gilt als die unkompliziertesteLösung bei Kindern mit Schmelzdefekten an bleiben-den Molaren [28]. Die Effektivität zur Vermeidung vonEmpfindlichkeiten und zum Schutz der verbliebenenZahnhartsubstanz ist hoch [27]. Von Vorteil ist einesofortige, langlebige Versorgung. Eine wiederholte Be-handlung wird vermieden [14].
Die Vorbereitung des Zahnes zur Aufnahme einer kon-fektionierten Krone umfasst die okklusale, mesiale unddistale Präparation. Das kann die teilweise unvermeid-liche Entfernung von nicht hypomineralisierter Zahn-hartsubstanz zur Folge haben. Ist der Defekt auf dendistalen Anteil des Zahnes begrenzt, kann eine mesialeÜberpräparation von gesunder Zahnhartsubstanzdurch kieferorthopädische Separiergummis, die bis zu2 Wochen zuvor einligiert wurden, vermieden werden[27]. Ein Nachteil ist die Ästhetik der metallischenRestaurationen, die aber durch die Beschränkung aufdie 6-Jahr-Molaren aus eigenen klinischen Erfahrungengut akzeptiert wird.
Füllungswerkstoffe bei MIH‑Zähnen
geeignet:
n Komposite
n Konfektionierte Kronen
n Glasionomerzement (nur als temporäre Füllung)
nicht empfehlenswert:
n Amalgam
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MIH und Extraktionen
Extraktionen der hypomineralisierten 6-Jahr-Molarensind sinnvoll [27], wennn schnell fortschreitende Abplatzungen der Zahnhart-
substanzen zu diagnostizieren sind,n es sich um einen Platzmangel handelt,n die Mundhygiene aufgrund der ausgeprägten Tem-
peraturempfindlichkeit stark eingeschränkt ist.
Aus kieferorthopädischer Sicht liegt der optimale Ex-traktionszeitpunkt für erste bleibende Molaren imZeitraum zwischen 9–11 Jahren [30]. Durch die Ex-traktion stark betroffener Molaren konnten bei derMehrzahl der Patienten gute bis akzeptable Lücken-schlüsse erzielt werden [29].
Grundsätzlich wird eine enge Kooperation zwischenbehandelndem Zahnarzt und Kieferorthopäden emp-fohlen, um eine optimale Therapielösung für den Pa-tienten zu finden. Werden die ersten bleibenden Mo-laren vor dem Durchbruch des zweiten bleibendenMolaren entfernt, kann in beiden Kiefern ein zufrie-denstellender mesial gerichteter Durchbruch der zwei-ten Molaren erwartet werden. Im Unterkiefer wird derideale Extraktionszeitpunkt auf ein Alter von 8 bis9 Jahren festgelegt. Röntgenologisch sollten die Kro-nenanteile der Zahnkeime 37 und 47 vollständig dar-gestellt oder die Bifurkationen der Wurzeln geradesichtbar sein.
Werden die ersten bleibenden Molaren nach demDurchbruch der zweiten bleibenden Molaren extra-hiert, wird deren „Vorwandern“ in beiden Kiefern re-duziert sein und häufig mit Kippungen einhergehen.Hier ist eine festsitzende Apparatur für den vollständi-gen Lückenschluss häufig unumgänglich. Ebenfalls istdie fundierte kieferorthopädische Meinung ausschlag-gebend bei der Entscheidungsfindung, ob zusätzlicheine Ausgleichsextraktion (Entfernung des kontralate-ralen Zahnes im selben Kiefer) oder eine Kompensa-tionsextraktion (Entfernung des antagonistischenZahnes, d.h. dementsprechend im anderen Kiefer)indiziert ist.
Merke: Die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit
einem Kieferorthopäden ist bei der Entscheidungs-
findung zur Extraktion eines oder mehrerer 6-Jahr-
Molaren empfehlenswert.
Fallbeispiele
Fall 1
Spezielle Anamnese. Die 7¾-jährige Marie wurde imDezember 2005 erstmalig in unserer Poliklinik vorstel-lig. Es lagen Fehlstrukturierungen aller 6-Jahr-Molarenmit Heiß-/Kaltempfindlichkeit vor. Der Zahn 26 wiesSchweregrad 3, die Zähne 16, 36 und 46 Schweregrad 2auf (Abb. 15b). Darüber hinaus bestanden auch Fehl-strukturierungen an den Zähnen 11, 21, 32, 31, 41 und42 (Abb. 15a). Im weiteren Verlauf stellte sich heraus,dass an den Spitzen der Zähne 33 und 43 ebenfalls kal-kig-weiße Schmelzareale bestanden. Die Ernährung derkleinen Patientin war geprägt von kariogenen Zwi-schenmahlzeiten. Die Mundhygiene wurde nicht opti-mal umgesetzt, die Fluoridierungsmaßnahmenwur-den altersentsprechend regelgerecht durchgeführt(Erwachsenenzahnpasta und fluoridiertes Speisesalz).
Allgemeine Anamnese: unauffällig.
Therapie. Aufgrund der unzureichenden Kooperationder Patientin erfolgte die Versorgung der hypominera-lisierten Molaren in Intubationsnarkose. Der Zahn 26wurde mit einer konfektionierten temporären Stahl-krone versorgt, Zahn 16 wurde mittels Adhäsivtechnikgefüllt und die Zähne 36 und 46 wurden fissurenver-siegelt (Abb. 15c). Ca. 2 Jahre später wurde der Zahn 36ebenfalls mit einer konfektionierten Stahlkrone ver-sorgt, da es zu weiteren Schmelzabplatzungen gekom-men war. Als Ergänzung zur lokalen Fluoridierung mitErwachsenenzahnpasta empfahlen wir die täglicheAnwendung einer 0,025%igen Fluoridmundspülung.Es erfolgten regelmäßige Kontrollen im Abstand von3 Monaten mit individualprophylaktischen Maßnah-men. Nach nunmehr 3 Jahren Intensivbetreuung sinddie Kronen in situ und das Mädchen seit der Behand-lung beschwerdefrei.
Prognose. Der dauerhafte Erhalt der stark fehlstruk-turierten Zähne sollte in Kooperation mit der Kiefer-orthopädie entschieden werden. Generell könnten die-se später definitiv überkront werden. Bis dahin sindallerdings ein engmaschiges Recall (alle 3 Monate) und
Therapieempfehlungen
n Grad 1: Fissurenversiegelungenn Grad 2: adhäsive Kompositversorgungn Grad 3: adhäsive Kompositversorgung, konfektionierte Krone, Extraktion
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die Weiterführung der individualprophylaktischenMaßnahmen dringend erforderlich.
Fall 2
Spezielle Anamnese. Die 7½-jährige Tamina wurdeim März 2006 erstmalig in unserer Poliklinik vorstellig.Es lagen massive kariöse Erkrankungen der Milchmo-laren sowie Fehlstrukturierungen aller 6-Jahr-Molarenvor. Es bestand eine Heiß-/Kalt-Empfindlichkeit an denZähnen 16, 36 und 46, welche jeweils den Schweregrad3 aufwiesen. Der Zahn 26 war mit Schweregrad 1deutlich weniger betroffen (Abb. 16a,b). Die Ernäh-rungsweise des Mädchens war geprägt von kariogenenZwischenmahlzeiten. Die Mundhygiene war noch ver-besserungswürdig. Die Fluoridierungsmaßnahmenwurden altersentsprechend vorgenommen (Erwach-senenzahnpasta und fluoridiertes Speisesalz).
Allgemeine Anamnese. Neurodermitis sowie allergi-sches Asthma.
Therapie. Zunächst wurden die 6-Jahr-Molaren nachAbtrag der erweichten und fehlstrukturierten Substanzmit einemweichbleibenden Kalziumhydroxidpräparatabgedeckt sowie mit einem Glasionomerzement pro-visorisch gefüllt. Aufgrund der ausgeprägten Ängst-lichkeit des Kindes erfolgte im weiteren Verlauf zu-nächst ein Kooperationsaufbau mittels systematischerDesensibilisierung. Hierbei wurden die durchgeführtenMaßnahmen in der Angsthierarchie langsam gestei-gert. Nach den individualprophylaktischen Maßnah-men konnten anschließend die konservative sowie diechirurgische Therapie der Milchmolarenkaries durch-geführt werden. Schließlich wurde zur Therapie derMolar-Incisor-Hypomineralization der Zahn 26 fissu-renversiegelt, da hier lediglich ein Schweregrad von 1vorlag. Die Zähne 16, 36 und 46 dagegen wurdenaufgrund des Schweregrades 3 mit konfektionierten
Abb. 15a bis cFallbeispiel 1.a Oberkiefer- undUnterkiefer-Über-sicht zu Behand-lungsbeginn.b Hypomineralisier-te 6-Jahr-Molaren(Zähne 16, 36 und46 Grad 2 nachWetzel und Reckel,Zahn 26 Grad 3)vor der konservie-renden Versorgung.c Oberkiefer- undUnterkieferüber-sicht nach erfolgterTherapie.
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temporären Stahlkronen versorgt (Abb. 16c). AlsErgänzung zur lokalen Fluoridierung mit Erwach-senenzahnpasta empfahlen wir die tägliche Anwen-dung einer 0,025%igen Fluoridmundspülung. Nachnunmehr 3 Jahren Intensivbetreuung sind die Kronenin situ und das Mädchen seit der Behandlung be-schwerdefrei.
Prognose. Inwieweit der dauerhafte Zahnerhalt derstark fehlstrukturierten 6-Jahr-Molaren möglich seinwird, sollte in Kooperation mit der Poliklinik für Kie-ferorthopädie entschieden werden. Dies steht zumjetzigen Zeitpunkt noch aus. Generell könnten dieseZähne definitiv überkront werden. Bei den bestehen-den Engständen wären aber auch Extraktionen mit an-schließendem Lückenschluss denkbar, da sowohl die12-Jahr-Molaren als auch die Weisheitszähne angelegtsind. Dringend notwendig erscheint bis dahin aller-dings ein engmaschiges Recall (alle 3 Monate) und die
Weiterführung der individualprophylaktischen Maß-nahmen.
Fall 3
Spezielle Anamnese. Die 7½-jährige Lilly wurde imDezember 2006 erstmalig in unserer Poliklinik vorstel-lig. Bei einem kariesfreien Milchgebiss konnten wirFehlstrukturierungen im Sinne einer Molar-Incisor-Hy-pomineralization der einwachsenden 6-Jahr-Molarenund aller mittleren bleibenden Inzisivi diagnostizieren(Abb. 17a,b). Eine Heiß-/Kalt-Empfindlichkeit bestandan den Zähnen 36 und 46. Da die ersten bleibendenMolaren noch nicht vollständig durchgebrochenwaren,konnten die Schweregrade noch nicht am Tag der Erst-aufnahmebestimmt werden. Die Ernährungsanamneseergab Hinweise auf eine überzuckerte und kauinaktiveErnährungsweise des Mädchens. Sie zeigte eine ver-
Abb. 16a bis cFallbeispiel 2.a Oberkiefer- undUnterkieferüber-sicht zu Behand-lungsbeginn.b Hypomineralisier-te 6-Jahr-Molaren(Zähne 16, 36 und46 Grad 3 nachWetzel und Reckel,Zahn 26 Grad 1) vorder konservieren-den Versorgung.c Oberkiefer- undUnterkieferüber-sicht nach erfolgterTherapie.
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besserungsbedürftige Mundhygiene. Die Fluoridie-rungsmaßnahmen wurden altersentsprechend vor-genommen (Erwachsenenzahnpasta und fluoridiertesSpeisesalz).
Allgemeine Anamnese: keine Auffälligkeiten.
Therapie. Zunächst wurden alle 6-Jahr-Molaren nachvollständigem Durchbruch mit Fissurenversiegelungenversorgt. Im weiteren Verlauf kam es jedoch zu Verlus-ten der Versiegelungen an beiden Unterkiefermolaren,wobei auch ein okklusaler Schmelz-/Dentinverlust zudiagnostizieren war. Wir entfernten die noch vorhan-denen erweichten und fehlstrukturierten Anteile anden Zähnen 36 und 46 (jeweils Schweregrad 2 nachWetzel und Reckel) und versorgten diese nach Ab-deckung mit einem erhärtenden Kalziumhydroxid-präparat mit einem Komposit. Die Fissurenversiege-lungen der Zähne 16 und 26 (jeweils Schweregrad 1nachWetzel und Reckel) zeigten keine Defizite(Abb. 17c,d).
Abb. 17a bis eFallbeispiel 3.a Oberkiefer- undUnterkieferüber-sicht zu Behand-lungsbeginn(d.h. nach vollstän-digem Durchbruchder 6-Jahr-Molaren).b Hypomineralisier-te 6-Jahr-Molaren(Zähne 16 und 26Grad 1 nach Wetzelund Reckel, Zähne36 und 46 Grad 2)vor der konservie-renden Versorgung.c Oberkiefer- undUnterkieferüber-sicht nach erfolgterTherapie.d Hypominera-lisierte 6-Jahr-Molaren nach derkonservierendenVersorgung.e Hypomineralisier-te Frontzähne 11und 21 (Querrillenim labialen Kronen-schmelz und zusätz-lich bräunliche Be-läge) vor (links) undnach (rechts) derkonservierendenVersorgung.
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Lilly wurde wegen der Fehlstrukturierungen im Be-reich der mittleren Oberkieferschneidezähne häufig inder Grundschule gehänselt. Daher überschichtetenwir die Zähne 11 und 21 nach geringem labialen Sub-stanzabtrag mit einem Komposit (Abb. 17e). Als Ergän-zung zur lokalen Fluoridierung mit Erwachsenen-zahnpasta (und regelmäßigen Fluoridtouchierungenunsererseits) empfahlen wir die tägliche Anwendungeiner 0,025%igen Fluoridmundspülung. Nach nunmehr2 Jahren Intensivbetreuung sind die Füllungen undFissurenversiegelungen intakt und die kleine Patientinbeschwerdefrei und zufrieden.
Prognose. Im weiteren Verlauf sollte gemeinsam miteinem Kieferorthopäden abgeklärt werden, ob einelangfristige Erhaltung der hypomineralisierten Mola-ren durch definitive Überkronung möglich sein wird,oder ob deren Extraktion mit dem Ziel des Lücken-schlusses durch die Dentition der zweiten Molarenvorzuziehen ist. Unverzichtbar ist bis dahin allerdingsein engmaschiges Recall (alle 3 Monate) und dieWeiterführung der individualprophylaktischen Maß-nahmen.
Fazit
Kinder, die von MIH betroffen sind, bedürfen einer be-sonderen zahnärztlichen Betreuung, da die Karies-anfälligkeit hypomineralisierter Zähne deutlich erhöhtist. Deshalb sollten hier regelmäßige Prophylaxemaß-nahmen (im Abstand von 3 Monaten) im Vordergrundstehen. Aufgrund der erhöhten Behandlungsbedürftig-keit betroffener Zähne ist eine individuell abgewägteTherapie (Zahnerhalt vs. Zahnextraktion) von großerWichtigkeit.
Abbildungsnachweis
Die Abb. 4, 9 und 11–14wurden freundlicherweise vonProf. Wetzel, Gießen, zur Verfügung gestellt.
Über die Autoren
Verena Knapp
Jahrgang 1978, 1999–2004 Studium
der Zahnheilkunde an der Albertus-
Magnus-Universität Köln und der Justus-
Liebig-Universität Gießen, Dezember
2004 Staatsexamen, seit März 2005
Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der
Poliklinik für Kinderzahnheilkunde des
Universitätsklinikums Gießen und Mar-
burg GmbH – Standort Gießen, Juli 2005 Promotion, seit
September 2007 Oberärztin der Poliklinik für Kinderzahn-
heilkunde in Gießen. 2005–2008 Spezialisierung zur Kinder-
und Jugendzahnärztin der DGK und der DGZ, seit Mai 2009 in
einer Praxis in Reichshof-Eckenhagen tätig.
Silke Marie Nies
Jahrgang 1980, 1999–2004 Studium
der Zahnheilkunde Justus-Liebig-
Universität Gießen, Dezember 2004
Staatsexamen, seit August 2005
Wissenschaftliche Mitarbeiterin der
Poliklinik für Kinderzahnheilkunde des
Universitätsklinikums Gießen und
Marburg GmbH – Standort Gießen,
Oktober 2006 Promotion.
Korrespondenzadresse
Dr. Silke Marie Nies
Poliklinik für Kinderzahnheilkunde
Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde
Schlangenzahl 14
35392 Gießen
Telefon: 0641-9946241
Fax: 0641-9946239
E-Mail: Silke.M.Nies@dentist.med.uni-giessen.de
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Molar-Incisor-Hypomineralization508
CME
1Welche der Aussagen zur Ätiologie
der MIH ist falsch?
A Es wird ein multifaktorielles Geschehen diskutiert.
B Infektionskrankheiten und häufige Antibiotikagaben im Säuglings- und Kleinkindalter kommen als
mögliche Ursache der MIH infrage.
C Windpocken werden als alleiniger Auslöser angesehen.
D Erkrankungen des oberen und unteren Respirationstrakts sind bei Kindern mit hypomineralisier-
ten Zähnen signifikant häufiger zu finden.
E Die Auswirkungen der Dioxine aus der Muttermilch werden zum Teil kontrovers im Zusammen-
hang mit der Entstehung der MIH diskutiert.
2Welche Aussage ist richtig? A Die MIH wird in 4 Schweregrade unterteilt.
B Grundsätzlich sind alle vier 6-Jahr-Molaren von dieser Strukturanomalie betroffen.
C Die Prävalenz liegt studienabhängig zwischen 5,4 und 17%.
D Im Oberkiefer tritt diese Fehlstrukturierung häufiger auf als im Unterkiefer.
E Bei betroffenen Kindern ist nicht mit einem erhöhten Behandlungsbedarf zu rechnen.
3Was trifft nicht zu? A Die Kalzium- und Phosphatkonzentration ist bei MIH‑Zähnen gegenüber normalem Schmelz
erniedrigt.
B Hypomineralisierte Molaren zeigen eine raue und poröse Oberfläche.
C Das Dentin unter hypomineralisiertem bzw. kariösem Schmelz weist weniger organische Substanz
auf.
D Bei der MIH können auch die zweiten Milchmolaren und/oder die Spitzen der bleibenden
Eckzähne betroffen sein.
E Klinisch zeigen sich an betroffenen Zähnen unter anderem unterschiedlich stark
ausgeprägte weiß-cremig bis gelb-braune Verfärbungen.
4Welche Aussage zur MIH trifft zu? A Betroffene Zähne weisen eine erhöhte Heiß-/Kaltempfindlichkeit auf.
B Fissurenversiegelungen sind als Versorgungen für alle Schweregrade der MIH indiziert.
C Zusätzliche prophylaktische Maßnahmen erscheinen bei betroffenen Kindern nicht erforderlich.
D Regelmäßige 6-monatige Kontrollen erscheinen sinnvoll.
E Bei ausgeprägten Abplatzungen der Zahnhartsubstanzen sollten hochdosierte Fluoridlacke nicht
angewendet werden.
5Welcher Werkstoff ist bei MIH‑
Zähnen nicht empfehlenswert?
A Edelstahlkrone (konfektioniert)
B Amalgam
C Komposit
D Glasionomerzement
E Kompomer
CME‑Fragen
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Kinder- und Jugendzahnheilkunde 509
CME
6Was trifft bezüglich der Extraktion
bei MIH‑Zähnen zu?
A Bei schnell fortschreitenden Abplatzungen der Zahnhartsubstanzen sind Extraktionen sinnvoll.
B Der optimale Extraktionszeitpunkt für hypomineralisierte erste bleibende Molaren im Unterkiefer
liegt im Alter von 12 Jahren.
C Der optimale Extraktionszeitpunkt für hypomineralisierte erste bleibende Molaren im Oberkiefer
liegt im Alter von 12,5 Jahren.
D Ein „Vorwandern“ der zweiten bleibenden Molaren ist nach Extraktion hypomineralisierter
6-Jahr-Molaren nie zu erwarten.
E Bei Extraktion der ersten bleibenden Unterkiefermolaren sollten röntgenologisch alle Wurzel-
anteile der zweiten bleibenden Molaren sichtbar sein.
7Welche mögliche Differenzial-
diagnose trifft nicht zu?
A Amelogenesis imperfecta
B Rachitis
C Turnerzähne
D Tetrazyklin-Verfärbungen
E Dentin-Dysplasie Typ II
8Welche Aussage zu Kompositen
trifft nicht zu?
A Komposite bieten einen guten Schutz gegen Abrasionen bei MIH‑Zähnen.
B Die Wiederholungsbedürftigkeit von Komposit-Füllungen liegt im Mittel bei 3 Jahren.
C Komposite sollten ab Schweregrad 2 eingesetzt werden.
D Hypersensitivitäten an MIH‑Zähnen lassen sich 1 Jahr nach Komposit-Versorgung kaum mehr
nachweisen.
E Die Erfolgsrate bei Komposit-Versorgungen ist deutlich höher als bei Füllungen aus Glasionomer-
zement.
9Welche Aussage trifft zu? A Hypomineralisierte erste bleibende Molaren treten bei Mädchen häufiger auf.
B Der Begriff „Molar-Incisor-Hypomineralization“ wurde bereits in den frühen 1960er-Jahren
geprägt.
C Die Mundhygiene kann bei betroffenen Kindern durch ausgeprägte Schmerzempfindlichkeit
erschwert sein.
D Die hypomineralisierten Areale machen eine lokale Schmerzausschaltung selten notwendig.
E Abrasionen treten durch Scherkräfte im Frontzahngebiet besonders häufig auf.
10Welche Aussage trifft nicht zu? A MIH‑Zähne weisen eine erhöhte Kariesanfälligkeit auf.
B Eine sorgfältige Anamnese ist aufgrund der vielfältigen Differenzialdiagnosen unabdingbar.
C Bei Schweregrad 3 muss häufig die Extraktion betroffener erster bleibender Molaren in Erwägung
gezogen werden.
D Probleme bei der Behandlungsführung sowie Zahnarztängste treten bei Kindern mit MIH häufiger
auf.
E Bei MIH‑Zähnen finden sich Porositäten stets im Schmelz und im Dentin.
CME‑Fragen Molar-Incisor-Hypomineralization
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