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Orang-Utan-Haus, Tierpark Hagenbeck, Hamburg
Dr.-Ing. Markus Wetzel
Dipl.-Ing. Ansgar Scharlau
Ingenieurbüro Wetzel & von Seht, Friesenweg 5E, 22763 Hamburg, www.wetzelvonseht.de
Der Tierpark Hagenbeck in Hamburg ist im Jahr 2004 mit dem Orang-Utan-Haus um eine weitere
Attraktion reicher geworden. Kennzeichnend für die Konstruktion ist die zu öffnende Kuppel mit
einem Durchmesser von 32 m, die aus Hohlprofilen besteht. Etwa 1/3 der Kuppel ist auf einem
Schienensystem verfahrbar. Die Anlage lässt sich somit als Innen- und Außengehege nutzen. Die
Gebäudehülle wird aus ETFE-Folienkissen gebildet.
1 ALLGEMEINES
Das Orang-Utan-Haus besteht aus einem eingeschossigen Stahlbetonsockel und einer aufgesetzten
Kuppel, die als reine Stahlkonstruktion mit einem Durchmesser von etwa 32 m ausgebildet ist. Die
Kuppel kann nach Nordwesten in einem Winkel von 123° geöffnet werden. Dazu wird der
verfahrbare Teil dieses Kuppelbereiches über den feststehenden Teil in nord-östlicher Richtung
geschoben.
Bild 1. Querschnitt (Quelle: PSP)
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Der Innenbereich des ringförmigen Sockelbauwerks wird als Pflanzbereich, als Gehege für die
Orang-Utans und Zwergotter sowie als Info- und Zuschauerbereich genutzt. Der Gehegebereich ist
vom Zuschauerraum durch einen Wassergraben abgegrenzt. In dem Sockelbauwerk ist außerdem
die Technikzentrale untergebracht. In ausgelagerten Nebenräumen befinden sich Bereiche für die
Tierpflege, ein Imbiss und WC-Anlagen.
Zur Simulation eines tropischen Klimas innerhalb der Kuppel mit dazugehöriger Vegetation sind
für die Außenhaut luftgefüllte Kissen aus ETFE-Folien gewählt worden. Dieses Material zeichnet
sich gegenüber Glas durch einen hohen Energiedurchlass im ultravioletten Strahlungsbereich aus.
Das Absorptionsspektrum ist besonders günstig für die Bepflanzung mit Palmen und dergleichen.
2 BERECHNUNG DER KUPPEL
2.1 Statisches System
Die kreisförmige Kuppel mit einem Durchmesser von etwa 32 m ist in 35 gleichbreite Segmente
mit einem Winkel von je ~ 10,3° aufgeteilt. Der verfahrbare Kuppelteil besteht aus 14 Segmenten.
Die beiden Randsegmente des verfahrbaren Kuppelteils liegen im geschlossenen Zustand über den
Randsegmenten des feststehenden Kuppelteils. Der feststehende Kuppelteil hat einen 0,80 m
kleineren Radius und nimmt 23 Segmente ein.
Aus dieser Einteilung ergibt sich ein Abstand der Hauptträger an den Fußpunkten von ca. 3,00 m.
Die Hauptträger sind in den Viertelspunkten mit Querträgern verbunden. Auf den Hauptträgern
werden pneumatische Luftkissen aus ETFE-Folien montiert.
Bild 2. Blick von unten in die geschlossene Kuppel (Quelle: Wetzel & von Seht)
feststehender Kuppelteil mit innenseitigen Dreigurtträgern - „Dreibein“
verfahrbarer Kuppelteil mit Dreigurtträgern an den Rändern
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Zur Stabilisierung des Systems sind räumliche Fachwerkträger und Seilauskreuzungen auf der
Innenseite der Kuppel vorhanden. Die räumlichen Fachwerke sind an den Rändern der beiden
Kuppelteile zur Aufnahme der dortigen Biegestörungen angeordnet. Diese Dreigurtträger haben an
den Fußpunkten eine statische Höhe von 1,50 m. Dieses Maß nimmt zum Hochpunkt der Kuppel
hin auf 0,75 m ab. Im feststehenden Kuppelteil bildet außerdem ein weiterer Dreigurtbogen mit den
beiden Randbögen eine Art „Dreibein“.
Das Tragwerk der Kuppel ist als Stahlbau aus Hohlprofilen selbsttragend. Die Folienkissen sind
nicht Teil des Tragwerks, sie dienen als Raumabschluss.
Die Kuppel ist als räumliches statisches System mit dem Programmpaket SOFiSTiK generiert und
bemessen. Die kreisförmig gebogenen Hauptträger (Hohlprofile ∅ 159 mm; Wanddicke t = 6,3 –
10,0 mm) sind in den Fußpunkten gelenkig gelagert und schließen gelenkig an den oberen
Drehpunkt an. Die Achse im oberen Drehpunkt hat ein Drehgelenk am Übergang zum verfahrbaren
Kuppelteil. Die in den Viertelspunkten horizontal angeordneten Querträger (Hohlprofile ∅ 133
mm; Wanddicke t = 4,0 mm) sind Fachwerkstäbe. Die kreisförmig gebogenen Randträger am Fuß
der Kuppel koppeln als Biegestäbe die Hauptträger. Die Gurte der räumlichen Fachwerkträger
laufen biegesteif durch und schließen ebenfalls gelenkig an den oberen Drehpunkt an. Die
kuppelinnenseitigen Auskreuzungen (Rundstähle ∅ 20 mm) sind als Seile abgebildet.
Bild 3. Blick auf die geöffnete Kuppel (Quelle: Wetzel & von Seht)
Querträger im Viertelspunkt
Dreigurtträger am Kuppelrand
Hauptträger
innenseitige Seilauskreuzungen
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Die im statischen System enthaltenen Flächenelemente dienen ausschließlich zum Aufbringen der
Windbelastung. Sie haben keine eigene Steifigkeit und beteiligen sich so nicht am Lastabtrag.
2.2 Modellierung des Systems - Variantenuntersuchung
Die Kuppel ist als räumliches Gesamtmodell in parametrisierter Form mit CADINP im TEDDY
programmiert. Der Zeitaufwand für einer derartige Programmierung ist anfangs naturgemäß größer
als bei einer üblichen Netzgenerierung mit Hilfe von grafischen Eingabeprogrammen.
Demgegenüber steht jedoch eine äußerst wirtschaftliche Möglichkeit der Variantenuntersuchung.
In die Programmierung sind folgende Parameter und Systemvarianten über LET# - Variable
steuerbar:
- Radien der beiden Kuppelteile
- Anzahl der Segmente in den Kuppelteilen
- Öffnungswinkel bzw. Kreisabschnitt des verfahrbaren Kuppelteils
- Statische Höhe der Dreigurtträger an Fuß- und Kopfpunkt
- Anordnung von Querträgern im Drittelspunkt oder Viertelspunkt der Hauptträger
- Radius der Ringe im Hochpunkt der Kuppel
- Achsabstand der innenliegenden Seilauskreuzungen von den Hauptträgern
- Anordnung und Anzahl der Seilauskreuzungen
Im Zuge der Entwicklung und Optimierung des Tragwerks konnte so sehr zügig eine Vielzahl
unterschiedlicher Varianten berechnet werden. In den folgenden Darstellungen lassen sich
beispielhaft die Auswirkungen der Veränderung einzelner Parameter auf das FE-Modell erkennen.
Bild 4. Variation der Größe des verfahrbaren Kuppelteils (Quelle: Wetzel & von Seht)
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Bild 5. Variation des Öffnungswinkels der Kuppel (Quelle: Wetzel & von Seht)
Bild 6. Variation der innenseitigen Seilauskreuzungen (Quelle: Wetzel & von Seht)
Bild 7. Variation der statischen Höhe der Dreigurtträger (Quelle: Wetzel & von Seht)
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Auf diesem Wege und in enger Abstimmung mit der Architektur wurde das unter Abschnitt 2.1
beschriebene statische System mit einer Überarbeitung der Geometrie der Dreigurtträger gewählt.
Für die abschließende statische Berechnung und Bemessung des Modells wurde zudem das
Elementnetz verfeinert.
Bild 8. Überarbeitung Dreigurtbinder und Netzverfeinerung (Quelle: Wetzel & von Seht)
2.3 Lastansätze
Die Belastung der Kuppel infolge Eigengewicht und Schnee ist nach DIN 1055 angesetzt. Für eine
zu öffnende Kuppel liegen in den einschlägigen Normen und der Fachliteratur aber nur wenig
Angaben bezüglich der zu erwartenden Windbelastung vor.
Im Rahmen der vorgezogenen Lastermittlung und Vorbemessung des Systems wurden
Winddruckbeiwerte nach Cook [1] angesetzt. Diese Windlasten sind als freie Flächenlasten in
Abhängigkeit von der Anströmrichtung und vom Winkel gegen die Horizontale programmiert. Über
die Flächenelemente ohne eigene Steifigkeit werden die Windlasten auf das Stabwerk aufgesetzt.
So konnten in der Vorbemessung und Modelloptimierung die vielen Systemvarianten ohne weitere
Überarbeitung und Anpassung der Lasteingabe im Modul ASE berechnet werden.
Zwecks Bestätigung der Winddruckbeiwerte wurde das I.F.I. (Institut für Industrieaerodynamik
GmbH, Aachen) beauftragt, ein Gutachten zur Bestimmung der Windlastannahmen zu erarbeiten.
Es wurden Messungen im Grenzschichtwindkanal an einer geschlossenen und einer geöffneten
Kuppel im Modellmaßstab 1:50 durchgeführt. Die so ermittelten Windlasten sind für die vier
Hauptwindrichtungen in der statischen Berechnung berücksichtigt worden.
Zur Gewährleistung einer Umgebungstemperatur für die Affen von mindestens 18 °C ist die Kuppel
ausschließlich in den Sommermonaten und in der Übergangszeit geöffnet. Der vollständige
Schließvorgang benötigt bei einer Fahrgeschwindigkeit von 6,0 m/min ca. sieben Minuten. Da ein zu
spätes Schließen bzw. ein Offenlassen infolge eines Stromausfalls nicht ausgeschlossen werden
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kann, wurde die geöffnete Kuppel auch für einen sogenannten sommerlichen Gewittersturm
bemessen.
Bild 9. Orang-Utan-Haus geöffnet (Quelle: PSP)
Aufgrund der Bauweise mit ETFE-Folienkissen wurden zusätzliche Lastfälle untersucht. Der
Innendruck der Kissen und die äußeren Belastungen (Wind, Schnee) erzeugen an den Rändern der
ETFE-Folienkissen Zugkräfte. Diese Zugkräfte stehen miteinander im Gleichgewicht, solange an
einem Hauptträger zwei Kissen anschließen. An Randträgern treten diese Kissenzugkräfte jedoch
ohne haltende Gegenkraft auf und belasten diese mit Zugkräften und Krempelmomenten. Das
gleiche gilt für den Fall, das ein Kissen den Druck verliert und somit die Zugkraft des benachbarten
Kissens nicht mehr ausgleichen kann. Diese Mechanismen wurden in den Lastfällen „Kissenzug“
und „Kissenausfall“ berücksichtigt.
2.4 Berechnung
Es wurden an drei verschiedenen statischen Gesamtsystemen (Kuppel geschlossen, geöffnet und
etwa zur Hälfte geöffnet) die Überlagerungen der 8 Grundlastfälle (Eigengewicht, Wind in die 4
Hauptrichtungen in Abhängigkeit vom Öffnungszustand der Kuppel, Schnee, Kissenzug und
Kissenausfall) einmal auf Gebrauchslastniveau und einmal mit Teilsicherheiten behaftet
geometrisch nichtlinear nach Theorie II. Ordnung berechnet. Für die Lastweiterleitung wurden 45
Überlagerungen ausgewertet. Für die Bemessung der Querschnitte (elastisch-elastisch) wurden 90
Überlagerungen berechnet.
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Die Nachweise der Gestaltfestigkeit der Hohlprofilknoten in den räumlichen Fachwerken wurde im
Nachlauf geführt. Die ermittelten rechnerischen Verformungen halten die erhöhten Anforderungen
von l/500 ein.
Bild 10. Blick in die geschlossene Kuppel (Quelle: Wetzel & von Seht)
3 AUSFÜHRUNG
3.1 Fahrsystem und Drehpunkt
Der obere Drehpunkt mit einem Durchmesser von 3,50 m, einer Gesamthöhe von 3,50 m und einem
Gesamtgewicht von ca. 6,0 t wurde vollständig vorgefertigt auf die Baustelle gebracht. Diese
Einheit besteht aus dem unteren Kranz mit der Drehachse, einer bei Bedarf austauschbaren
Lagerkassette und dem oberen Drehkranz. Die Knotenpunkte zum Anschluss der Hauptträger und
der räumlichen Fachwerkträger sind zur Ermöglichung einer zügigen Montage mit
Schraubverbindungen ausgeführt.
Die Fußpunkte des verfahrbaren Kuppelteils sind mit Radblocksätzen einschließlich
Horizontalführungsrollen ausgerüstet. Die Radblöcke fahren auf einer kreisförmig gebogenen
~ 80,0 m langen Vigniolschiene S 54. Von den 15 Fußpunkten sind 6 Stck. mit Motoren
ausgestattet.
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Bild 11. Drehpunkt der Kuppel (Quelle: Wetzel & von Seht)
Für den Lastfall „Wind in die geöffnete Kuppel hinein“ können abhebende Kräfte auftreten. Zur
Aufnahme dieser Kräfte sind alle Fußpunkte mit Klauen zur Abhebesicherung ausgestattet.
Bild 12. Fußpunkt im verfahrbaren Kuppelteil (Quelle: Wetzel & von Seht)
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3.2 Montage
Zur Montage der Kuppel wurde zuerst der Drehpunkt auf einer abgespannten Arbeitsbühne
ausgerichtet. Dann wurden die drei räumlichen Fachwerkbinder des feststehenden Kuppelteils zu
einem Dreibein montiert. Anschließend wurden die Hauptträger, Querträger und die innenliegenden
Auskreuzungen ergänzt. Nach Fertigstellung des feststehenden Kuppelteils wurde der verfahrbare
Teil in gleicher Weise montiert.
Bild 13. Montage feststehender Kuppelteil (Quelle: Wetzel & von Seht)
3.3 ETFE-Folienkissen
Die ETFE-Folienkissen (Ethylen-Tetrafluorethylen-Copolymer) werden vollständig werksmäßig
vorgefertigt. Die Folien haben keine Gewebeeinlage. Die Zuschnitte erfolgen in der Regel aus ~
1,50 m breiten Folienrollen. Die Folienstücke und die Keder an den Rändern werden mit einem
Schweißverfahren miteinander verbunden.
Auf der Baustelle werden die Kissen in die vorbereitete Unterkonstruktion eingehängt. Dazu
werden die Randkeder in die längslaufende Nut in den Alu-Profilen eingeklemmt. Durch
Verschrauben des oberen Element der Kederschiene ist die Verbindung zugfest gesichert.
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Bild 14. Befestigung der ETFE-Folienkissen und Anschluss der Querträger und innenliegenden
Zugglieder (Quelle: PSP)
Die Kissen werden mit einem konstanten Innendruck betrieben. Jedes Segment hat eine eigene
Luftzuführung mit Rückschlagventilsicherung und ein Auslassventil. Bei kontinuierlicher
Luftförderung ist so eine dauernde Spülung der Kisseninnenluft gewährleistet.
Bei den eingesetzten dreilagigen ETFE-Folienkissen sind die äußeren Folien 200 µm und die
Mittellage 100 µm dick. Für die Folie liegt eine allgemeines bauaufsichtliches Prüfzeugnis vor,
welches das Produkt als schwerentflammbaren Baustoff (Baustoffklasse DIN 4102-B1) nach DIN
4102 Teil 1, Ausgabe Mai 1998 ausweist.
Die statische Berechnung der ETFE-Folienkissen selbst ist ebenfalls mit Bemessungswindlasten aus
dem Windlastgutachten erstellt worden.
Für den Einsatz der ETFE-Folienkissen als Außenhülle wurde von der obersten
Bauaufsichtsbehörde eine Zustimmung im Einzelfall erteilt.
4 ZUSAMMENFASSUNG
Durch die Berechnung dieser Struktur als räumliches Gesamtsystem war es möglich für die Orang-
Utans und die Besucher des Tierparks Hagenbeck mit diesem filigranen und transparenten
Ingenieurbauwerk einen neuen Höhepunkt zu realisieren.
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AM BAU BETEILIGTE:
Bauherr: Tierpark Hagenbeck, Gemeinnützige Gesellschaft mbH, Hamburg-
Stellingen
Architekt: PSP – Pysall, Stahrenberg und Partner, Hamburg
Tragwerksplanung: Wetzel & von Seht, Hamburg und Berlin,
projektbezogener Kooperationspartner: Dr.-Ing. G. Grotkop, Bremen
Windlastannahmen: I.F.I. - Institut für Industrieaerodynamik GmbH, Aachen
Prüfingenieur: Dr.-Ing. M. Weber, Hamburg
Stahlbau, Kuppel: RASTA GmbH, Rendsburg
Drehpunkt, Fahrsystem: LMT / Landwehr, Achim
ETFE-Folienkissen: Skyspan, Rimsting
Literatur
[1] Cook, N.J.: the designer’s guide to wind loading of building structures – part 2 – static
structures. Building Research Establishment Report, Butterworths, London, 1990
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