personalisierte medizin zwischen biologie und anthropologie · aristoteles (384 - 322 v.chr.) •...
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Personalisierte Medizin zwischen Biologie und Anthropologie im Kontext der Geschichte
Symposium zum 70.
Geburtstag von Prof.
Dr. Christoph Mundt
Heidelberg
4. April 2014
Dietrich v. Engelhardt
(Karlsruhe/Lübeck) Frida Kahlo: Arbol della
speranza mantente firme (1946)
Aristoteles (384 - 322 v.Chr.)
• Wirkursache
(causa efficiens)
• Zweckursache
(causa finalis)
• Stoffursache
(causa materialis)
• Formursache
(causa formalis)
Medizin - Kausalität
Hofrat Behrens: „Leben ist, daß im Wechsel
der Materie die Form erhalten bleibt.“
T
Thomas Mann (1875 - 1955)
Biologie - (nach Vorstufe) geprägt um 1800
• T. G. A. Roose (1797), K. F. Burdach (1800), G. R. Treviraus (1802), J. B. de
Lamarck (1802)
• Wissenschaftlich-kulturelle Spannweite:
• G. R. Treviranus: Biologie gerichtet auf "den Verstand und zugleich die
Einbildungskraft" – entspricht "der Beziehung des Menschen zur Humanität“
• C. G. Carus: Biologie = umfassende Wissenschaft von der „Manifestation
des Absoluten im Leben“ („absoluti in vita manifestatio)
Anthropologie - Begriff geprägt 1500
• 1501 Magnus Hundt: Antropologium de hominis dignitate, natura et
proprietatibus: „de elementis, partibus, ed membris humani corporis, de
spiritu humano eiusque operibus.
1772 Ernst Platner Anthropologie für Ärzte und Weltweise: „Der Mensch ist
weder Körper noch Seele allein; er ist die Harmonie von beiden, und der
Arzt darf sich ebenso wenig auf jene beschränken, als der Moralist auf
diese.“
1818 Johann Christian August Heinroth: Anthropologie drei Bereiche:
„Beziehungen der Menschheit auf die Natur“, „Beziehungen der Menschheit
auf sich selbst“, „Beziehungen der Menschheit auf ein Höchstes, Gott.“
•19./20. Jhdt.: Fülle anthropologischer Entwürfe: biologisch, psychologisch,
philosophisch, theologisch
„Die Medizin wird eine
Wissenschaft sein – oder sie
wird nicht sein.
Wir sind aber mit unseren
Beobachtungen auf den
Menschen angewiesen – und
da setzen uns Humanität und
Pietät enge Grenzen.“
(1835 - 1925)
Bernhard Naunyn: Medizin = Natur- und Geisteswissenschaft,
Biologie und Ethik
Der Kranke kann das pathologische
Geschehen beeinflussen: „ist nicht nur
Objekt, sondern stets zugleich Subjekt.“
„Wir kennen nicht Krankheiten, sondern nur
kranke Menschen.“
Ludolf von Krehl (1861-1937)
Ludolf von Krehl: Medizin = Kausalität und Teleologie, Krankheit
und Kranker, Objektivität und Subjektivität, Therapie und
Kommunikation
• Einführung des Subjekts in die Medizin
• MedizinDoppelstruktur:
Objektivität/Subjektivität
• sachliche Entsprechung:
Krankheit und Medizin
• personale Entsprechung:
Mensch - Not und Mensch - Helfer
• transjektives Verstehen:
verstehen, wie jemand sich versteht
• „Nichts Organisches hat keinen Sinn,
nichts Psychisches hat keinen Leib.“
• Die ganze Welt ist von „kreuzartiger Natur.“
Viktor von Weizsäcker (1886 - 1957)
Viktor von Weizsäcker: Anthropologische Medizin
Person - Begriff seit Antike
• Antike: Maske, Rolle
• Mittelalter: individueller Mensch und spezifische Funktion
• Neuzeit: individuelle und bewußte Einheit von Leib und Seele, Innen-
und Außenbezug, gültig für Menschen und nicht Tiere, Teilnahme
an sinnlicher und geistiger Welt
• Martin Luther: immanent und transzendent: „fides facit personam.“
• Immanuel Kant: Ort der Freiheit, Selbstzweck
• G. W. F. Hegel: Rechtsträger in sozial-gegenseitiger Anerkennung,
zugleich sinnliche Individualität: „Die Person ist als in Einem das
Hohe und das ganz Niedrige; es liegt in ihr diese Einheit des
Unendlichen und schlechthin Endlichen, der bestimmten Grenze
und des durchaus Grenzenlosen.“
• J. C. A. Heinroth: „Mensch = Person; das ist der Einheitspunkt“ (1842)
• 19. Jahrhundert: kaum weiterführende Ansätze
• a) Person: Träger von Eigenschaften mit Selbstbewußtsein
• b) Personalisierung: Zuschreibung von Ursachen auf eine Person
• c) Persönlichkeit: strukturelle und prozessuale individuelle Gesamtheit physischer und
psychischer Merkmale, Umgang mit interner und externer Realität sowie Selbst- und
Weltbild
• Max Scheler: aktive Einheit von Bewußtseinsakten in Verbindung mit anderen Menschen: „So
wahr ich lebe, so wahr sind wir, oder gehöre ich zu einem ‚Wir‘“, wesenhaft mit dem eigenen
‚Leib‘ (mehr als ‚Körper‘) verbunden.
• C. G. Jung: Persona = Anpassung oder Manier, wie der Mensch mit der Welt umgeht. „Die
Persona bezeichnet das, als was einer sich selber und der Umwelt erscheint, nicht aber das,
was Einer ist.“ Jeder Beruf hat seine spezifische Persona (Maske/Rolle).
• Karl Jaspers: „Alle psychischen Vorgänge und Äußerungen, sofern sie über sich hinaus auf
einen individuellen und durchgehends verständlichen Zusammenhang hinweisen, der von
einem Individuum mit dem Bewußtsein seines besonderen Selbst erlebt wird, konstituieren die
Persönlichkeit.“
Spannweite heute im Verständnis verschiedener Disziplinen
Seinsurteil – Werturteil
• International classification of diseases (ICD-10) und Diagnostic
and statistical manual of mental disorders (DSM-V)
• Person kommt nicht vor
• Persönlichkeit wird nicht definiert
• Zentrale Frage: welcher Begriff der Person, Persönlichkeit und
Personalsierung liegt den Begriffen:
pathologische Persönlichkeit, Persönlichkeitsänderung,
Persönlichkeitsstörung, akzentuierte Persönlichkeitszüge und ihren
Untergruppen etc. von ICD-10 und DSM-V zu Grunde?
Francisco de Goya: Selbstbildnis mit Arzt Arrieta
(1820)
Miriam Munsky: Das Bein (20. Jhdt.)
Personalisierte Medizin zwischen
Biologie und Anthropologie
Objektivität – Subjektivität
1) allgemeine Objektivität
= Biologie
2) individuelle Objektivität
= Leib
3) individuelle Subjektivität
= Seele
4) allgemeine Subjektivität
= Kultur
• Herausforderung
• Feind
• Bestrafung
• Schwäche
• Erleichterung
• strategische Möglichkeit
• Verlust oder Beschädigung
• Wertsteigerung
(Z. J. Lipowski)
• Berater
• Führer
• Freund
• Vertrauter
• Techniker
• Erzieher
• Wissenschaftler
• Vorbild
(A. d'Houtaud)
Krankheitsverständnis
des Kranken
Arztbild des
Kranken
Personalisierte Medizin: Ausbildung
Hörsaal Technische Universität München
Laurentius de Voltolina: Die Universität von Bologna (14. Jhdt.)
Universität: Einheit der Lehrenden und Lernenden
(= universitas magistrorum et scholarium)
Arzt – Patient – Beziehung
der Arzt reicht seiner Patientin Millyy Meale eine:
„große, leere Schale der Aufmerksamkeit“
(Henry James: Die Flügel der Taube,1902)
• die Patientin Esther reicht ihrer Ärztin Br. Nolan eine:
„Schüssel des Vertrauens“
(Sylvia Plath: Die Glasglocke, 1963)
Personalisierte Medizin im kulturellen Kontext
lesen hören
tanzen
malen
Kunsttherapie
Prozeß der Demenzerkrankung in der Subjektivität des Künstlers
„Dem einzelnen Menschen mögen mancherlei persönliche Ziele, Zwecke, Hoffnungen, Aussichten vor Augen schweben, aus denen er den Impuls zu hoher Anstrengung und
Tätigkeit schöpft;
wenn das Unpersönliche um ihn her, die Zeit selbst der Hoffnungen und Aussichten bei aller äußeren Regsamkeit im Grunde entbehrt, wenn sie sich ihm als hoffnungslos, aussichtslos und ratlos heimlich zu erkennen gibt und der bewußt und unbewußt gestellten, aber doch irgendwie gestellten Frage nach einem letzten, mehr als persönlichen, unbedingten Sinn
aller Anstrengung und Tätigkeit ein
hohles Schweigen entgegensetzt, so wird gerade in Fällen redlicheren Menschentums eine gewisse lähmende Wirkung solches Sachverhalts fast unausbleiblich sein, die sich auf dem
Wege über das
Seelisch-Sittliche geradezu auf das physische und organische Tei des Individuums erstrecken mag.“
Thomas Mann: Der Zauberberg (1924)
Spiritual-Sozio-Psycho-Somatik
Kultur – Seele – Körper – Natur
Der Mensch in Gesundheit, Krankheit, Alter und Tod vor der PIK-Frage
Personalität
(Ganzheit, Reflexivität,
Umwelt, Autonomie)
Identität
(Einheit, Leib, Seele, innere Differenz,
äußere Verbundenheit)
Kontinuität (Dauer in Raum und Zeit, bei Zäsuren
und Krisen)
„Wir müssen uns Sisyphus als einen glücklichen Menschen vorstellen.“ (Albert Camus)
Leben des Psychiaters als Arzt, Lehrer, Forscher, Klinikchef
= Sisyphusarbeit?
Wir sollten uns Christoff Mundt auch als einen glücklichen Menschen vorstellen.
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