perspektiven für das deutsche schulsystem 2008/bereich schule · das visionäre konzept „schule...
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Blindtext für Bildunterschrift
Matthias Alke, Student an der Ruhr Universität BochumMaciek Brateus, Schüler am Lyzeum Koszalin, PolenSarah Brech, Volontärin an der Axel Springer Akademie in NerlinLisa Bundschuh, Studentin an der Johannes Gutenberg Universität MainzKatrin Dette, Studentin an der Johannes Gutenberg Universität MainzHans Dietrich, Schulleiter der Fach- und Berufsoberschule HofMarkus Gehrke, Student an der Otto Friedrich Universität BambergAlexander Goetz, Student am College of Europe in BrüggeNina Graßnick, Schülerin an der Robert Bosch Gesamtschule in HildesheimSabine Gussenstätter, Mitarbeiterin der Zwiesel Kristallglas AGAlexander Hamann, Student an der Humboldt Universität zu Berlin
Nicole Henz, Schülerin an der Robert Bosch Gesamtschule HildesheimKatharina Hohmann, Studentin an der Johannes Gutenberg Universität MainzLeo Kemnitzer, Abiturient der Fach- und Berufsoberschule HofThorben Lüdemann, Student an der Fachhochschule für Wirtschaft HannoverRamona Lüdtke, Abiturientin der Fach- und Berufsoberschule HofJuliane Mildner, Mitarbeiterin der Rehau AG + CoEunike Piwoni, Studentin an der Otto Friedrich Universität BambergVolker Reichardt, Oberstufenleiter der Robert Bosch GesamtschuleThomas Reinhold, Journalist der Frankfurter Allgemeinen ZeitungFrizzi Seltmann, Studentin an der TU ChemnitzJacek Szymaniak, Student an der Universität Pilsen
Teilnehmer summer school 2008 / Bereich Schule
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Perspektiven für das deutsche Schulsystem
Arbeitsergebnisse der summer school 2008 / Bereich Schule von Prof. Dr. Klaus Hurrelmann und Dr. Helen Knauf
Insgesamt sind die Qualifikationsanforderungen an Erwerbs-
tätige in den hoch entwickelten Ländern deutlich angestiegen,
der berufliche Qualifikationsdruck hat sich erhöht. Schon die
Berufseinsteiger spüren diese Veränderungen, weil viele
Schulabgänger mit einem niedrigen formalen Bildungsniveau
kaum noch Chancen haben, überhaupt in den Erwerbssektor
hineinzukommen. Auch Berufstätige müssen zunehmend auf
eine Anpassung ihrer Handlungskompetenzen achten, um ih-
ren Arbeitsplatz sichern zu können.
Internationale Bildungsorganisationen weisen genau hierauf
auch immer wieder hin. Insbesondere OECD und UNESCO ha-
ben den Begriff des „Life Long Learning“ vor über 30 Jahren in
die fachliche Diskussion getragen. Von maßgeblicher Bedeu-
tung war der 1972 veröffentlichte programmatische Bericht der
UNESCO des früheren französischen Erziehungsministers Faure,
der auf „Education Permanente“ setzt, um das gesamte Bil-
dungssystem von den Kleinsten in der Vorschule bis hin zu An-
geboten für die Ältesten in Volkshochschule so umzugestalten,
dass sich jede Bürgerin und jeder Bürger eine individuelle Bil-
dungsbiographie komponieren kann. Nach dieser Vorstellung
ist es in hoch entwickelten Gesellschaften unvermeidlich, wäh-
rend des gesamten Lebens zu lernen (vgl. Faure 1973, 251).
Das Konzept des lebenslangen Lernens entspricht den Er-
kenntnissen der interdisziplinären Sozialisations- und Ent-
wicklungsforschung, die von einer aktiven und prozesshaften,
„produktiven“ Verarbeitung der inneren und der äußeren Rea-
lität während der gesamten Lebensspanne ausgeht (Hurrel-
mann 2002). Sowohl die sozialwissenschaftliche, entwick-
lungspsychologische Forschung als auch die biomedizinische,
insbesondere die neuere Hirnforschung unterstreichen die
über alle Lebensphasen hinweg anhaltende Umstrukturierung
von Fähigkeiten und Handlungskompetenzen, Wahrneh-
mungs- und Reaktionsstrukturen eines Menschen, die durch
entsprechend günstige oder ungünstige Umweltimpulse geför-
dert oder gehemmt werden kann. Entsprechend wichtig für ei-
ne optimale Entfaltung von sozialen und kognitiven Kompe-
tenzen ist ein Arrangement von stimulierenden Lernimpulsen,
die intensive Anleitung geben, zugleich aber genügend Frei-
räume für die selbstgesteuerte Weiterentwicklung von Fähig-
keiten und Kompetenzen gestatten.
Defizitanalyse des deutschen BildungssystemsDieses waren die Ausgangsüberlegungen der Gruppe „Schule“
beim Campus of Excellence 2008. Die Teilnehmer waren sich
einig, dass das Bildungssystem in Deutschland auf die neuen
Herausforderungen unzureichend vorbereitet ist. Die Gruppe
begab sich auf diese Spur und nahm eine sorgfältige Defizit-
analyse des deutschen Bildungssystems vor. Auf dieser
Grundlage sollte dann anschließend eine perspektivische Kon-
zeption, eine „Vision“ für die Entwicklung des Bildungssystems
im Jahre 2020 entwickelt werden, die von allen Teilnehmern
getragen werden kann.
Durch die Intensivierung des globalen Waren- und Güterverkehrs und die Neuord-nung der internationalen ökonomischen Wettbewerbsbedingungen kommt es zu einer tiefgreifenden Umstrukturierung der Erwerbsarbeit. Dies hat auch eine Ver-änderung der Qualifikationsanforderungen am Arbeitsplatz zur Folge. Neue tech-nische Fertigkeiten und soziale Kompetenzen sind gefragt, um mit den informations-technischen Anforderungen umgehen und die durch sie ausgelösten veränderten Arbeitsabläufe bewältigen zu können.
Kern der Defizitanalyse war die Erkenntnis, dass das Konzept
„Lebenslanges Lernen“ im deutschen Bildungssystem unzu-
reichend umgesetzt wurde. Das Bildungssystem ist sehr stark
untergliedert und besteht aus nach Sektoren voneinander ab-
geschotteten Strukturen, die Übergänge schwer machen und
deshalb Bildungskarrieren nicht kontinuierlich begleiten und
unterstützen können.
Im Primarbereich des Bildungssystems fällt ein Bruch zwischen
einem überwiegend korporatistisch organisierten Vorschulbe-
reich und einem staatlich verfassten Grundschulbereich auf.
Der vorschulische Elementarbereich ist im internationalen Ver-
gleich nur sehr schwach ausgebaut und versteht sich überwie-
gend als Auffangsystem für Engpässe in der familiären Erzie-
hung aber nicht als Bestandteil des Bildungssystems. Entspre-
chend schwierig ist der Übergang in das Schulsystem. Dessen
inhaltlicher Schwerpunkt liegt nicht mehr auf der Betreuung
und dem spielerischen Fördern von Kindern, sondern der Lei-
stungsförderung. Dieser Pflichtsektor des deutschen Bildungs-
systems folgt als leistungsorientiertes System einer völlig an-
deren Funktionslogik als der Elementarbereich. Durch diesen
Systembruch gibt es keine in sich geschlossene Struktur für
den Grundbildungsbereich in der Lebensphase Kindheit. Nach
Durchlaufen der Grundschule existiert auch kein systemkon-
former Übergang in die weiterführenden Schulen. Vielmehr
müssen die Schülerinnen und Schüler das System wechseln.
Im Sekundarbereich des Bildungssystems leisten wir uns ein
stark gegliedertes Schulwesen mit einer wissenschaftsorien-
tierten und ziemlich praxisfernen Allgemeinbildung an Gym-
nasien und einer eher wissenschaftsfernen Praxis an Haupt-
schulen, Realschulen und Berufsschulen. Schülerinnen und
Schüler werden nach Abschluss der Grundschule schematisch
auf diese Einrichtungen des mehrgliedrigen Schulsystems auf-
geteilt und stehen danach kaum noch in Kontakt zueinander.
Wir haben ein sozial hoch selektives System. Die Wechselmög-
lichkeiten zwischen den Schulformen sind gering. Entspre-
chend dieser Analyse wurden als zentrale Reformanforderun-
gen die folgenden Punkte abgeleitet:
Im vorschulischen Bereich benötigen wir nach internationa-
lem Vorbild ein flächendeckendes Netz von Einrichtungen zur
Ergänzung der Familienerziehung und zur Vorbereitung auf
die Grundschule. Das Fachpersonal in diesen Einrichtungen
muss eine akademische Ausbildung haben, um den hohen An-
forderungen an Lernimpulsen in den ersten Lebensphasen ge-
recht zu werden. Die Verzahnung der Elementarausbildung mit
der Grundschulausbildung muss schnellstens hergestellt wer-
den, um einen in sich stimmigen und harmonisch aufeinander
aufbauenden Bildungsprozess in den ersten zehn Lebensjah-
ren zu ermöglichen. Starke Elemente des Selbststudiums sind
in dieser frühen Entwicklungsphase von großer Bedeutung,
wie die Lern- und Sozialisationsforschung zeigt.
Im weiterführenden Schulbereich, der Sekundarstufe I und der
Sekundarstufe II, ist die Flexibilisierung von Lernangeboten zu
beschleunigen. Durch die bevorstehende Ausweitung des Schul-
angebotes in den Nachmittag („Ganztagsschulen“) bieten sich
Kooperationen mit außerschulischen Partnern an. Wichtig wird
auch eine Beruhigung der völlig zersplitterten Organisations-
struktur des Sekundarschulsystems in Deutschland und eine
schrittweise Integration der Bildungsgänge. Die Übergänge in
den Beruf schließlich müssen dringen flexibilisiert werden.
Forderung nach Teilnehmerorientierung und der AdressatenbezugNeben diesen organisationsbezogenen Aspekten wurde der
Aufbau von Lern- und Bildungsprozessen im deutschen Bil-
dungssystem analysiert. Zentrale These war hier, dass „Lebens-
langes Lernen“ nur möglich ist, wenn in jeder einzelnen Phase
des Sozialisationsprozesses maßgeschneiderte Lernangebote
unterbreitet werden. Es ist also eine präzise Eingangsdiagnose
der Fähigkeiten und Fertigkeiten des Lernenden notwendig,
um hierauf abgestimmte differenzierte Angebote für Lernpro-
zesse zu unterbreiten.
Aus diesen Überlegungen wurde die Forderung nach mehr
Teilnehmerorientierung und Adressatenbezug der Bildungsan-
gebote abgeleitet. Kritisiert wurde die heute vorherrschende
starre Angebotsorientierung von Lernprogrammen, die in eine
Nachfrageorientierung umgewandelt werden sollte. Die Ange-
botsorientierung regt kaum Aktivitäten im Unterricht an, die
auf eine Förderung von Schülerinnen und Schülern mit Lern-
schwierigkeiten gerichtet sind. Soll das Schulsystem aber seine
Klientel je nach individuellen Kompetenzen optimal fördern,
ist eine Nachfrageorientierung notwendig, bei der jede Schu-
le eine genaue Bestandsaufnahme vornimmt, mit welchen Vor-
aussetzungen Schülerinnen und Schüler in den jeweiligen Bil-
dungsgang eintreten und welche individuell zugeschnittenen
Unterstützungen und Förderungen sich hieraus ergeben. Die-
ser pädagogische Paradigmenwechsel, der in der Weiterbil-
dung schon vollzogen ist, steht den Einrichtungen der Grund-
bildung erst noch bevor.
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Der Paradigmenwechsel ist auch notwendig, um die heute un-
gleiche Verteilung von Bildungschancen je nach sozialer Her-
kunft abzubauen. Die internationalen Vergleichsstudien zu
den Leistungsergebnissen der Schülerinnen und Schüler ha-
ben auf ein in Deutschland besonders starkes soziales Gefäl-
le nach sozioökonomischem Status der Elternhäuser hingewie-
sen (Deutsches PISA-Konsortium 2001). Hierdurch wird nicht
nur das Prinzip von Chancengleichheit verletzt, das konstitu-
tiv für eine moderne Demokratie ist, sondern es bleiben auch
riesige Potenziale von Leistungsfähigkeit unerschlossen, die
für die Entwicklung einer modernen Volkswirtschaft im inter-
nationalen Wettbewerb von immer größerer Bedeutung wer-
den.
Um diese Ziele zu erreichen, wurde eine Verstärkung der
Selbstständigkeit der einzelnen Bildungsinstitutionen für not-
wendig erachtet. Lebenslange Lernmöglichkeiten verlangen
nach einer unkomplizierten Zugänglichkeit verschiedener Bil-
dungseinrichtungen je nach Bedarf des Lernenden. Deshalb ist
diejenige Einrichtung für den Lernenden am interessantesten,
die sich flexibel auf seine direkten Wünsche und Interessen
einstellen kann und von ihnen aus ein gezieltes Lernprogramm
anbietet. Das gelingt nach Überzeugung der Teilnehmer der
Gruppe einer selbständigen Einrichtung am besten.
Entwicklung eines Szenarios für die „Schule 2020“ Nach Auffassung der Gruppe müssen die oben skizzierten di-
daktischen, curricularen und organisatorischen Gestaltungs-
aufgaben, vor denen das deutsche Schulsystem steht, bis 2020
gelöst werden, wenn Deutschland Anschluss an internationa-
le Entwicklungen halten und das Bildungssystem auf lebens-
lange Impulse umstellen will. Die starre Angebotsorientierung
und das geringe Ausmaß von Selbständigkeit erweisen sich als
besonders große Hindernisse. Deshalb kommt der Umstellung
der immer noch staatlich-hoheitlich geprägten Schulorganisa-
tion auf ein Dienstleistungsprinzip nach Auffassung der Gruppe
die größte Dringlichkeit zu.
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Das visionäre Konzept „Schule 2020 – Visionen für das Bildungs-
system in Deutschland“ hat den folgenden Wortlaut:
Das Schulsystem in Deutschland muss besser werden.Internationale Leistungsvergleiche zeigen, dass die Leistungen
deutscher Schülerinnen und Schüler im unteren Mittelfeld lie-
gen und Kinder aus bildungsfernen Schichten sowie Kinder mit
Migrationshintergrund nur selten einen höheren Bildungsab-
schluss erreichen. Deutschland muss seine Potenziale besser
nutzen, um jede Schülerin und jeden Schüler optimal zu för-
dern. Unsere Überlegungen stellen wir hiermit zur Diskussion.
Sie stellen eine realistische und bei gutem Willen auch reali-
sierbare Vision für das Jahr 2020 dar.
Im Jahr 2020 …
• sind Schulen selbstständig handelnde pädagogische Dienst-leister.
• hat das Bildungssystem eine integrierte und flexible Struk-tur und es gibt keine abgeschotteten Säulen verschiedenerSchultypen mehr.
• kennt Deutschland nur noch die Ganztagsschule als Regel-schule.
• sind Kindertageseinrichtungen fester Bestandteil des ge-samten Bildungssystems.
• ist schulischer Unterricht zuerst auf die Fähigkeiten derSchüler ausgerichtet und erst an zweiter Stelle auf den Lehr-plan.
• ist der Lehrberuf attraktiv und die Qualifikation der Lehr-kräfte wird ständig gefördert.
• arbeiten Schule und Wirtschaft eng zusammen und stehen inengem Austausch.
Schulen sind im Jahr 2020 selbstständig handelnde pädagogische Dienstleister.Die Schulen stehen auch im Jahr 2020 unter staatlicher Kon-
trolle, denn Bildung ist eine gemeinsame Aufgabe, die durch
die private Hand nur ergänzt werden kann. Die Lernziele wer-
den bundesweit einheitlich festgelegt und über standardisier-
te Qualitätskontrollen überprüft. Die Schulen entscheiden un-
abhängig über die Wege zum Ziel. Es ist nicht wichtig, wie das
jeweilige Lernziel erreicht wird, sondern dass es erreicht wird.
Dies wird durch Vergleichsarbeiten und zentral bewertete Ab-
schlüsse gewährleistet. Den Schulen werden so viele Freihei-
ten wie möglich gewährt, ohne die Vergleichbarkeit zu ver-
nachlässigen. Schulen sollen sich also verselbstständigen. Nur
dann können sie ein flexibles Angebot bieten und um Schüler
und Eltern werben. Diese sind die ‚Klientel’, die freie Wahl-
möglichkeit hat.
Die Schulen werden auf dem Weg zur Autonomie professionell
begleitet. Erfolgreiche Konzepte, die sich bewährt haben, sol-
len – im besten Wortsinn – in weniger erfolgreichen Einrich-
tungen „Schule“ machen. Kooperation zwischen den Schulen
existiert trotz oder gerade wegen des erwünschten Wettbe-
werbs, der jetzt einsetzt.
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Blindtext für Bildunterschrift – Partner nutzen die Projekteerfolgreich, die praxis academy bietet den Studierenden alsoviel mehr als herkömmliche Praktika.
Das Schulmanagement besteht aus „Schulvorstand“ und „Schul-
aufsichtsrat“, wobei der Aufsichtsrat den Vorstand kontrolliert.
Dem Schulvorstand gehört unter anderem eine für Finanzen
zuständige Person an, die eine kaufmännische Qualifikation
aufweist und das Gesamtbudget der Schule verwaltet. Außer-
dem können sowohl Schüler als auch Eltern – als Nachfrager
bzw. Kunden – die Schule mitgestalten.
Jede Schule hat ein Gesamtbudget.Das Budget der Einzelschule besteht aus staatlichen Mitteln,
die um private Zuwendungen von Stiftungen, von Ehemaligen
und aus eigenen Einnahmen über Schulprojekte ergänzt wer-
den können. Schulen entscheiden unabhängig über die Ver-
wendung ihres Budgets.
Es steht ihnen selbstverständlich frei, individuelle Personal-
und Sachentscheidungen zu treffen. Die Autonomie lässt die
Identifikation der Lehrkräfte mit der Schule wachsen. Das hat
Auswirkungen auf ihre Motivation, auf ihr Engagement und ihr
Verantwortungsgefühl gegenüber ihren „Kunden“, den Schü-
lerinnen und Schülern.
Das staatliche Budget orientiert sich an der Anzahl der Schü-
ler; pro Schüler wird einer Schule der gleiche Betrag über ein
Gutschein-Prinzip zur Verfügung gestellt: Jeder Schüler und je-
de Schülerin bekommt einen Bildungsgutschein, der an der ge-
wünschten Schule eingelöst werden kann. Im Wettbewerb ha-
ben die Schulen Gelegenheit, ihr Profil zu schärfen. Über-
schüsse, die erzielt werden, müssen innerhalb einer bestimm-
ten Zeit reinvestiert werden. Somit sind auch Ansparungen für
Projekte möglich und es werden Anreize für eine effiziente Ge-
schäftsführung und gute Arbeit geschaffen.
Im Jahr 2020 ist es selbstverständlich, dass die Wirtschaft sehr
stark in Bildung investiert und zwar indirekt über Stiftungen
und Stipendien. Das Motiv: Unternehmen profitieren in beson-
derem Maße von gut gebildeten jungen Menschen.
Jede Schule hat Personalhoheit.Lehrkräfte werden von den Schulen selbst ausgesucht und mit
Verträgen ausgestattet. Eine Verbeamtung nach bisherigen
Mustern findet nicht mehr statt. Personalfragen sind vom
Schulleiter oder der Schulleiterin zu entscheiden. Schulen
können außerdem Expertinnen und Experten, etwa als Hono-
rarkräfte, engagieren und über ihr Personalbudget finanzieren
(z.B. Psychologen, Berufsberater, Sporttrainer, Theaterfachleute
usw.).
Für alle Schulen ist es selbstverständlich, dass aus dem Ge-
samtbudget Schulsozialarbeiter, interkulturelle Moderatoren
oder Stadtteilmütter/-väter finanziert werden, die die Verbin-
dung zum sozialen Umfeld der Schülerinnen und Schüler her-
stellen, speziell in Bezirken mit hohem Anteil von Menschen
mit nichtdeutscher Muttersprache.
Die Wege zum Ziel können autonom gestaltet werden.Auswahl und Zuschnitt der Fächer, außerschulische Aktivitä-
ten, Ergänzungen des Lehrplans: Das alles kann von den Schu-
len eigenständig beschlossen werden. Dabei ist Flexibilität es-
senziell, um innovativen Ideen Raum zu geben, auch wenn sie
ungewöhnlich erscheinen.
Eine regelmäßige, einheitliche Erfolgsprüfung über ein zentra-
les, unabhängiges Institut gewährleistet die Vergleichbarkeit
im Ergebnis – Motto: Individueller Weg, gleiches Ziel. Standar-
disierte Leistungsüberprüfungen als Qualitätskontrollen sind
notwendig, damit die Autonomie nicht zur Bildungsungerech-
tigkeit führt. Das Schulsystem ist so gesehen „output“-orien-
tiert.
Der Übergang zur Autonomie wird systematisch begleitet. Nur
so lassen sich neue Qualifikationen von Lehrkräften und ein
andersartiges Lehrverhalten schrittweise aufbauen. Professio-
nelle Coaches unterstützen diesen Prozess. Die Schulleitung
liegt in der Hand von Profis, die ständig fortgebildet werden.
Das Bildungssystem im Jahr 2020 hat eine integrierte und flexible Struktur, und es gibt keine abgeschotteten Säulen verschiedener Schultypen mehr.Die optimale Laufbahn eines Schülers im Jahre 2020 sieht so
aus: Die erste Einschätzung von Fähigkeiten und Fertigkeiten,
Interessen und Intelligenzprofilen der Schülerinnen und Schü-
ler beginnt schon vor dem Besuch der Grundschule. Mit Hilfe
einer differenzierten Diagnostik kann die Lehrkraft frühzeitig
erkennen, ob es beispielsweise gravierende Lerneinschrän-
kungen gibt, und daraufhin systematische Fördermaßnahmen
einleiten.
Die Grundschule im Jahr 2020 nimmt eine abgesicherte Bega-
bungsdiagnostik vor und holt jeden Schüler pädagogisch – mit
individuell erstellten Lernplänen – bei seinem aktuellen Lei-
stungsstand ab. Kinder werden in ihrer natürlichen Lernfreu-
de und Neugier bestärkt und es wird darauf geachtet werden,
dass sie Lernen nicht als störende Pflicht in Form von Tests und
Evaluationsbögen ansehen.
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Die Mehrgliedrigkeit des Schulsystems wurde abgebaut. Im Jahr 2020 ist die starre, undurchlässige Mehrgliedrigkeit des
Schulsystems überwunden. Das Gymnasium existiert nur noch
dort, wo es von Eltern nachdrücklich gewünscht wird.
Innerhalb jeder Schulform ist es möglich, alle Schulabschlüs-
se zu erwerben, vom Hauptschulabschluss bis zum Abitur. Die
vielfältige Kommunikation innerhalb der Schule erhöht die
Möglichkeit, den Leistungsstand des jeweiligen Kindes genau
zu erkennen und es nach seinen Möglichkeiten optimal zu för-
dern und zu fordern. Kein Kind wird mehr gegen seinen Wil-
len (oder den seiner Eltern) in eine Schulform gesteckt.
Das auf diese Weise flexibilisierte und integrierte Schulsystem
fördert Chancen- und Bildungsgleichheit durch heterogene
Lerngruppen. Diese Lerngruppen sind als Kursangebot zu ver-
stehen, das zu einer Differenzierung der Leistung führen kann.
Das vorherrschende Arbeitsprinzip ist die Binnendifferenzie-
rung. Schülerinnen und Schüler aus unterschiedlichen Alters-
gruppen tun sich in speziell eingerichteten Arbeitsstunden zu-
sammen und helfen sich gegenseitig. Dies bedeutet, dass die
Starken den Schwächeren helfen. Die stärkeren Schülerinnen
und Schüler können sich durch Wahlpflichtfächer ständig neu-
en Aufgaben stellen und Orte der Selbstverwirklichung finden.
Schülerinnen und Schüler mit einer Inselbegabung (ausge-
prägte Stärken in einem einzelnen Bereich, sonst eher schwa-
che Leistungsfähigkeit) müssen ihren Bildungsweg nicht ver-
lassen. Eine beschränkte Hochschulzugangsberechtigung öff-
net allen talentierten Schülern die Türen zur Weiterentwick-
lung. Jeder hat das Recht auf eine Karriere. Das Gleiche gilt
auch für „Spätzünder“, die mehr Zeit als andere benötigen, den
richtigen Weg zu finden.
Neue Diagnose- und Ausleseverfahren im Bildungssystem.Auch im Jahr 2020 gibt es eine Auslese nach Leistung. Kinder
haben unterschiedliche kognitive, emotionale und soziale Vor-
aussetzungen und unterschiedliche Bedürfnisse.
Bei der Förderung im schulischen Bereich wird deshalb klar
differenziert. Da die Wirkungen der Auslese jedoch für den
Werdegang eines jungen Menschen bestimmend sind,
ist eine wohldurchdachte und von Fachleuten gesteuerte Vor-
gehensweise die Regel.
Die Einschätzung durch die Lehrkraft, welche insbesondere
beim Übertritt in eine weiter-führende Schule maßgeblich ist,
kann zwar wertvolle Hinweise hinsichtlich der Arbeitsmotiva-
tion und der Persönlichkeit des Schülers geben, kann aber
auch zu Verzerrungen und Fehlurteilen führen, wenn z.B. be-
lastende Familienbeziehungen nicht berücksichtigt werden.
Deshalb steht neben dem Lehrerurteil und dem Elternwunsch
eine ausführliche Begabungsdiagnostik von psychologischem
Fachpersonal und eigens dafür ausgebildeten Lehrkräften, um
das tatsächliche Potenzial des Schülers oder der Schülerin er-
kennen zu können.
Selbstverständlich ist hierbei ein besonderes Augenmerk auf
Validität, Reliabilität und Objektivität der angewandten Test-
verfahren zu legen. Die Erstellung eines ausführlichen Bega-
bungsprofils, welches die individuellen Stärken und Schwä-
chen ausweist, ermöglicht eine angemessene Balance zwi-
schen Fordern und Fördern. Alle Fachleute sind sich der Tatsa-
che bewusst, dass die intellektuelle Leistungsfähigkeit eines
Menschen kein starres Konstrukt ist, sondern als ein flexibles
Phänomen zu betrachten ist, welches in engem Zusammen-
hang mit der persönlichen kognitiven Entwicklung, mit Rei-
fungs- und Lernprozessen und zahlreichen weiteren Faktoren
steht.
Ein Schüler wird nicht nur zu Beginn eines neuen Abschnitts
in der schulischen Laufbahn begutachtet, sondern die Begut-
achtung begleitet den gesamten Lernprozess. Dadurch wird es
dem Lehrpersonal möglich, Vergleiche anzustellen oder zu
überprüfen, ob Fördermaßnahmen und Anspruchsniveau des
Unterrichtes so gewählt wurden, dass die Schüler und Schüle-
rinnen ihre Leistungen optimal entfalten können.
Langfristig verfügt die Bildungsinstitution somit über ein dy-
namisches Entwicklungsprofil, welches es jeder Lehrkraft er-
laubt, auch auf abrupte Leistungseinbrüche zu reagieren. Sol-
che Schwankungen werden als eine willkommene pädagogi-
sche Herausforderung wahrgenommen. Jeder Schülerin und
jedem Schüler steht über die gesamte Schullaufbahn immer
ein geeigneter Mentor zur Verfügung.
Im Jahr 2020 ist der Elementarbereich ein fester Bestandteildes Bildungssystems.Ein neues Verständnis des Kindergartens, nicht mehr reine Be-
treuungseinrichtung, sondern Lernstätte zu sein, bildet die
Grundlage des Bildungssystems. Als Ausgangspunkt der Bil-
dungsbiographie vermittelt der Kindergarten allen Kindern die
gleichen Startchancen. Der altersadäquate Umgang mit der
deutschen Sprache sowie interkulturelle und soziale Kompe-
tenzen sind zentrale Voraussetzungen für den späteren Lern-
erfolg. Das kostet Geld, aber dieses Geld wird als wertvolle In-
vestition verstanden.
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Allen Kindern steht ab Geburt steht ein kostenfreier Kindergar-
tenplatz zur Verfügung, bei Bedarf auch ganztags. Das Prinzip
der Freiwilligkeit des Kindergartenbesuchs ist immer dann
eingeschränkt, wenn ein Entwicklungsdefizit des Kindes fest-
gestellt wird. Die Ausgewogenheit der Gruppen, insbesonde-
re hinsichtlich des kulturellen Hintergrundes, ist von immen-
ser Bedeutung für das Erreichen der angestrebten Ziele.
Das alte Modell des Kindergartens als reine Betreuungsstätte
hat ausgedient. Alle Kinder werden mit Neugierde und Inter-
esse geboren. Auf diese Bedürfnisse geht der Kindergarten
durch vielfältige Angebote, durch anregende Räume und die
Einbeziehung des Alltags ein. Dabei stehen immer die Eigen-
initiative des Kindes und das ungezwungene Entdecken im
Vordergrund. Hinter all dem steckt die einfache Erkenntnis,
dass eine anregende Umgebung vom Kind mit Initiative beant-
wortet wird.
Vertrauen und viel Zutrauen.Die Selbstständigkeit im Lernen bildet eine zentrale Grundla-
ge der Kindergartenphilosophie. Die Kindertageseinrichtung
wird von der Gesellschaft als erweiterte Familie verstanden
und wertgeschätzt. Die Eltern werden aktiv in die Arbeit des
Kindergartens einbezogen.
Dies bedeutet zum einen, dass hilfsbedürftige Eltern bei der
Erziehung ihrer Kinder Unterstützung finden, zum anderen,
dass die Kompetenzen der Eltern vom Kindergarten genutzt
werden. Kindertagesstätten sind Familienzentren, in denen
vielfältige Angebote für Kinder und Eltern gemacht werden.
Die korrekte Verwendung der Muttersprache ist bereits im Vor-
schulbereich Voraussetzung für den Erwerb weiterer Sprachen
sowie anderer Lerninhalte und wird daher gefördert. Darüber
hinaus werden der Erwerb und die Pflege der deutschen Spra-
che bei Kindern mit Migrationshintergrund gezielt unterstützt,
wobei eine wertschätzende Kommunikation aller Beteiligten
miteinander essenziell ist. Gleichzeitig findet eine kompetenz-
und stärkenorientierte Lernbegleitung statt.
Im Jahr 2020 haben alle Kindertageseinrichtungen mehr und
besser ausgebildetes Personal, denn feste Bezugspersonen
sind unabdingbar für den jungen Menschen. Wenn Kitas ihre
Erzieher, Erzieherinnen und Lehrkräfte besser bezahlen –
denn das wird der anspruchsvollen Arbeit gerecht – bieten sie
Eltern Aufklärung und Unterstützung bei ihrem Erziehungs-
auftrag, denn nur so kann ein Bewusstseinswandel hervorru-
fen werden.
Es existiert ein ganzheitlicher Förderansatz von Kita und
Grundschule, denn nur so kann die für den Lernerfolg wichti-
ge Kontinuität der Bildungsbiographie erreicht werden; und es
gibt ein Interesse an eingewanderten Kindern, denn Mitmen-
schen anderer Herkunft werden als wichtiger, bereichernder
Teil der deutschen Gesellschaft und nicht als Randgruppe ge-
sehen.
Im Jahr 2020 kennt Deutschland nur noch die Ganztagsschuleals Regelschule.Das in anderen Ländern, wie z.B. Frankreich, den USA oder
Finnland, bereits vor Jahren etablierte Konzept der Ganztags-
schule hat sich 2020 auch in Deutschland flächendeckend
durchgesetzt. Individuelle Förderung braucht mehr Freiraum
für neue Tagesrhythmen – das iEnde der strengen 45-Minuten-
Stunde. Durch den verpflichtenden Unterricht am Vor- und
Nachmittag ist mehr Zeit für Unterrichtsvermittlung mit mo-
dernen Methoden. So werden mehr Lerngelegenheiten für die
Entfaltung des Kindes sicher gestellt. Individuelle Förderung
bedeutet Sonderunterricht für leistungsschwächere aber auch
für besonders begabte Kinder. Das wird durch die Integration
in die reguläre Schulzeit ohne Diskriminierung möglich.
Auch Kinder aus sozial benachteiligten Familien können nun
Hausaufgaben qualifiziert betreut erledigen und haben Zugriff
auf die entsprechenden Fachlehrer. Durch den Ganztagsbe-
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Blindtext für Bildunterschrift – Partner nutzen die Projekteerfolgreich, die praxis academy bietet den Studierenden alsoviel mehr als herkömmliche Praktika.
trieb ist Schule zu einem zweiten Zuhause geworden. Die Frei-
zeit wird in die Schule integriert. So gibt es an jeder Schule ein
breites Angebot an Arbeitsgemeinschaften, von Sport- und
Kulturangeboten bis hin zu kleinen Forschungsprojekten. Zum
einen wird so die Persönlichkeitsentwicklung gefördert, bietet
aber zum anderen auch Kindern aus sozial schwachen Famili-
en, die einen Vereinsbeitrag oder die Musikschule nicht bezah-
len könnten, die Möglichkeit einer umfassend anregenden
Freizeitgestaltung. Das wiederum fördert das Wir-Gefühl der
Schülerinnen und Schüler und schafft eine höhere Identifika-
tion und Verbundenheit mit der Schule. In der Folge steigt das
Leistungsniveau merklich.
Im Jahr 2020 fördert die Ganztagsschule die Ausbildung viel-
fältiger Sozialkompetenzen. Dazu gehören Teamfähigkeit, Ge-
meinschaftsgefühl, Zusammenhalt und Integrationsfähigkeit.
Durch die Ganztagsschule wird Lernen in vielfältigen Dimen-
sionen erst möglich.
Die Ganztagsschule als Regelschule führt zu einer unkompli-
zierten Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das ermögliche
deutlich mehr Frauen als bisher eine Erwerbstätigkeit. Da-
durch werden auch die intellektuellen Ressourcen der weibli-
chen Hälfte der Gesellschaft für die Volkswirtschaft besser ge-
nutzt.
Im Jahr 2020 ist der Unterricht durch seine Schüler-orientierung charakterisiert.Eine optimale Unterrichtsqualität wurde bis 2020 erreicht, in-
dem Lehrkräfte und Schüler im Unterricht neue Rollen ange-
nommen haben. Das Berufsbild des Lehrers hat sich vom „Be-
lehrenden“ hin zu einem „pädagogischen Dienstleister“ ge-
wandelt, der lern- und nachfrageorientiert denkt und handelt.
Dies bedeutet, dass die Lehrer im Unterricht als Moderator und
Gastgeber agieren. Den Schülern wird eine neue Lern- und Ar-
beitsplattform angeboten. Lehrer rhythmisieren den Unter-
richtsverlauf und setzen Lernanreize, stehen im Hintergrund
und lassen die Schüler so eigenständig wie möglich lernen und
arbeiten. Die Aufgabe als Begleiter von Lernprozessen ist in
den Mittelpunkt getreten – der Weg ist das Ziel geworden. Das
heißt konkret, dass nicht nur Ergebnisse in einer Prüfungsar-
beit bewertet werden, sondern auch der Lösungsansatz und
die Arbeitsorganisation.
Zusätzlich ist gewährleistet, eine Feedback-Kultur als festen
Bestandteil des Unterrichts zu etablieren, bei der der Lehrer
das Verhalten des Schülers reflektiert und rückmeldet und da-
mit die Schüler dazu ermutigt, ihren Lernfortschritt nicht nur
in Bezug auf Sachkompetenz, sondern auch auf Kreativität,
Methoden- und Sozialkompetenz zu analysieren. Als ebenso
wichtig hat sich erwiesen, den Lehrkräften mitzuteilen, wie sie
von den Lernenden wahrgenommen wird. Außerdem werden
mehrmals interne und externe Evaluationen durchgeführt, die
einerseits Beurteilungen der Schüler und andererseits Beob-
achtungen seitens der Schulleitung einbeziehen.
Der schülerorientierte Unterricht befähigt die Schüler, selbst-
gesteuert und eigenverantwortlich zu arbeiten. Lerngegen-
stände folgen nicht nur einer fachlichen Systematik, sondern
lassen auch Raum für themen-, projekt- und handlungsorien-
tiertes Arbeiten. Auf diese Weise ist eine Profilbildung der
Schule möglich, bei der Lehrplanvorgaben so offen formuliert
sind, dass Lerninhalte variabel festgelegt werden können.
Lehrkräfte wurden im Laufe ihres Studiums intensiv darauf
vorbereitet, ihren Schülern und Schülerinnen Methoden- und
Sozialkompetenzen zu vermitteln und in ein didaktisches Kon-
zept einzubinden. Neue Lernarrangements auch mit mehreren
Lehrkräften sind möglich.
Strukturierte Freiräume fördern das eigenständige Lernen. Schülerinnen und Schüler verfolgen im Jahr 2020 ihre Ziele
selbstständig und übernehmen Verantwortung für ihr eigenes
Lernen – und damit auch für ihr Leben. Denn aus Selbststän-
digkeit erwächst Selbstsicherheit. Der Unterricht hat neue For-
men angenommen: Weg vom lehrerzentrierten Frontalunter-
richt, in dem die Schüler alle zur gleichen Zeit in der gleichen
Geschwindigkeit denselben Stoff vermittelt bekamen und ver-
arbeiten sollten. Jetzt lernt jedes Kind, dass sein Beitrag maß-
geblich und wertvoll ist.
Im strukturierten Freiraum wird eine klare Aufgabe vorgege-
ben und ein Zeitraum für ihre Lösung. Die Lehrkräfte stellen
das Material zur Verfügung und werden zum teilnehmenden
Beobachter: Wo, warum und wie muss Einzelnen geholfen
werden?
Am Ende steht das Gefühl des Schülers, sich ein Thema selbst
erarbeitet, statt es eingetrichtert bekommen zu haben. So kön-
nen Schülerin und Schüler lernen, Verantwortung fürs eigene
Lernen zu übernehmen und Lehrkräfte bekommen eine besse-
re Übersicht über die Lernfortschritte. Das wiederum erleich-
tert die Benotung. Wenn es um Selbstständigkeit und Indivi-
dualität der Lernenden geht, steht nicht mehr an erster Stelle
das Ergebnis. Vielmehr steht der Lernprozess im Fokus, etwa
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die Fragen: Wie kreativ oder wie systematisch kommt ein Schü-
ler zu Lösungen? Das erfordert enorme Aufmerksamkeit des
Lehrers dem einzelnen Schüler gegenüber: Wachsamkeit,
Hilfsbereitschaft, inhaltliche und methodische Kompetenz.
Die individuelle Förderung steht im Zentrum des Unterrichts.In Gruppen unterschiedlich leistungsfähiger Schülerinnen und
Schüler, auch altersgemischt, entfalten sich Kinder und Ju-
gendliche individuell. Lehrkräfte unterrichten im Team. Es wer-
den unterschiedliche Lehrmethoden angewandt: Projekt- und
Gruppenarbeit, freie Arbeit und auch Frontalunterricht.
Lehrkräfte und Schüler stellen gemeinsam einen Zeitplan auf
und achten genau auf seine Einhaltung. Schüler bekommen
Anleitungen, wie sie sich ein Thema erarbeiten können, und
tun dies dann so selbstständig wie möglich. Der Lehrer beob-
achtet, greift helfend ein und bewertet Fähigkeiten und Fertig-
keiten aus nächster Nähe.
Schüler haben gelernt, selbst ihre Leistungen einzuschätzen.
Sie formulieren zu Beginn eines Schuljahres Wünsche und
Ziele in Bezug auf den Unterricht und vergleichen sie am En-
de mit den erreichten Leistungen.
Außerdem werden auch die Eltern mit einbezogen. In regelmä-
ßigen Gesprächen mit den Lehrkräften ermitteln sie, wie sich
das Kind ihrer Meinung nach entwickelt hat und wo alle Betei-
ligten noch Ansatzpunkte zur Verbesserung sehen. Die Bewer-
tungskriterien sind transparent und werden im Intranet der
Schule veröffentlicht. Einzelne erfahren persönliche Unter-
stützung durch wöchentlichen Einzel- bzw. Nachhilfeunterricht
gibt es für alle.
Schüler wechseln die Rolle – um die Selbstsicherheit der Ein-
zelnen sowie das soziale Gefüge der Gruppe zu stärken, wird
ein Torten-Konzept eingeführt: Jede/r darf einmal die Rolle des
Experten übernehmen, die übrige Gruppe arbeitet ihm/ihr zu.
Der Experte vergibt Aufgaben, überprüft und korrigiert. Die an-
deren lernen, ihn/sie in der Rolle zu akzeptieren; Wettbewer-
be in Mathematik, Sprachen und Sport setzen neue Leistungs-
anreize. Lebenspraktische Aufgaben ermöglichen denjenigen
Schülern Erfolgserlebnisse, die theoretisch weniger gewandt
sind. Experten, auch Eltern, hospitieren im Unterricht.
Der Umgang mit Ungleichheit: Migration wird als Chance verstanden.Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund gelten im
Jahr 2020 als begehrte Klientel am Arbeitsmarkt. Sie stehen für
die internationale und interkulturelle Offenheit. Die Schulen
in Deutschland sehen sich in der Verantwortung, eine Vorbild-
rolle bei der Integration zu übernehmen. Der Abbau von Vor-
urteilen, die Förderung von Chancengleichheit und interkultu-
relle Kompetenz sowie Mehrsprachigkeit sind integrativer Be-
standteil der Bildungspolitik. Die Herausbildung einer Identi-
tät als „Weltbürger“ steht dabei im Vordergrund. Das antiquier-
te Denken in nationalstaatlichen Grenzen ist überwunden.
Schülerinnen und Schüler bilden zweisprachige „Tandems“. In
der gemeinsamen Arbeit wächst die Sprachkompetenz und es
entsteht ein gegenseitiges freundschaftliches Verständnis für
einander. Schüler können sich gegenseitig fachlich unterstüt-
zen und von den Stärken des Anderen profitieren.
Elternverbände, Schulbehörden, Schulen und Migranten-Or-
ganisationen erreichen ein Einverständnis über Ziele und
Maßnahmen. Dies schließt unter anderem die Ausarbeitung
von Lehr- und Lernzielen mit ein. Nach kanadischem Vorbild
wird ein Integrationsbeauftragter eingesetzt, um die Einbin-
dung von Schülern mit Migrationshintergrund in die Gemein-
schaft zu fördern. Das ist eine Fachkraft, die individuell auf
Probleme einzelner Schüler und des Klassenverbandes eingeht
und Lösungen vorschlägt. Speziell ausgebildete Sozialarbeiter
werden vor allem an Brennpunktschulen verstärkt eingesetzt
und übernehmen dort die Rolle interkultureller Moderatoren.
Eltern werden einbezogen – so werden Bindungen zwischen
Elternhaus und Schule geschaffen und nach und nach ver-
stärkt.
Lehrkräfte hospitieren an Schulen im In- und Ausland, die sich
durch eine besonders erfolgreiche Integration und Förderung
von Schülern mit Migrationshintergrund auszeichnen. Beson-
ders gelungene Beispiele (best practice) werden nicht nur in
der Politik und Wissenschaft präsentiert, sondern in der Öf-
fentlichkeit.
Im Jahr 2020 ist der Lehrberuf attraktiv und die Qualifikationder Lehrkräfte ist hoch.In der Lehrerausbildung werden nicht nur pädagogische, psy-
chologische und didaktische Kenntnisse vermittelt, sondern
auch eine Grundhaltung gegenüber dem Schüler, die sich an
seinen Stärken, Interessen und Bedürfnissen orientiert, um ei-
ne individuelle Lernförderung zu ermöglichen.
Der Einsatz von psychologischen Eignungstests, die eine Aus-
sage darüber treffen, ob jemand für das Lehramtsstudium ge-
eignet ist, gilt als Bedingung für die Zulassung zum Lehramts-
studium. Formal qualifizieren mehrere Abschlüsse für das Stu-
dium: neben der allgemeinen Hochschulreife auch die Fach-
hochschulreife. Außerdem werden auch Quereinsteiger mit be-
ruflicher Ausbildung Lehrer.
Das Lehramtsstudium ist 2020 stärker an der Praxis orientiert.
Schon im ersten Studienjahr sind Einsätze in einer Schule ob-
ligatorisch, um Studierenden die Möglichkeit zu geben, sich in
ihrer Studien- und Fächerwahl noch neu zu orientieren. Die
Praxiserfahrung schließt anfängliche Arbeit mit den Kommili-
tonen (peer evaluation) und ein späteres Pflichtpraktikum ein.
Das Grundstudium besteht aus Basis-Modulen (Pädagogik, Di-
daktik, Psychologie, Lehr-Lernforschung, Lernförderung, Qua-
litätssicherung, School Management) und fachwissenschaftli-
chen Modulen (in zwei Fächern in Verbindung mit fachdidak-
tischer Umsetzung). Die fachliche Ausbildung soll sich am zen-
tralen Lehrplan für Schulen orientieren. Zusätzlich gibt es
Wahlpflichtmodule, die zur Erweiterung des persönlichen Wis-
sens dienen. Im Hauptstudium ist dann eine Vertiefung des
Fachwissens in den gewählten Bereichen angestrebt gleichzei-
tig auch eine Spezialisierung für bestimmte Altersklassen.
Im anschließenden Referendariat wird dem angehenden Leh-
rer neben der Praxiserfahrung ein systematisches und beglei-
tendes Mentoringprogramm (Seminar) angeboten. Dieses hilft,
Schwachstellen vor allem in der Lehre zu erkennen und aus-
zugleichen.
Die Anforderungen an den Lehrberuf sind gestiegen: Die Un-
terstützung der Pädagogen durch externe „Experten“ ist unab-
dingbar – Psychologen, Sozialpädagogen und Berufsberater
nehmen ihnen einen Teil ihrer Aufgaben ab. Die Lehrer können
sich so auf den Kern ihrer Arbeit konzentrieren.
Auch Lehrer haben gelernt, was lebenslanges Lernen bedeu-
tet. Ihre Qualifizierung endet nicht mit dem Abschluss der Aus-
bildung und dem Einstieg in den Beruf. Regelmäßige inhaltli-
che und methodische Fortbildungen, die durch Zertifikate
nachgewiesen werden, sind verpflichtend. Der Lehrberuf ge-
winnt durch diese Qualifikation an Anerkennung und erweist
sich als attraktiv für immer mehr Studierende.
Im Jahr 2020 arbeiten Schule und Wirtschaft eng zusammen.Im Zuge der Bildungsreform 2010 wurde die berufliche Orien-
tierung an Schulen komplett neu ausgerichtet. Durch eine früh-
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Blindtext für Bildunterschrift – Partner nutzen die Projekte erfolgreich, die praxis academy bietet denStudierenden also viel mehr als herkömmliche Praktika.
zeitige und regelmäßige Auseinandersetzung der Schüler mit
den Themen Ausbildung, Studium und Beruf wurde die Zahl
der Fehlentscheidungen drastisch reduziert. Im Jahr 2020 ist es
die Regel, dass die Schüler und Schülerinnen drei Jahre vor
dem Schulabschluss auf ihre Entscheidung zur Studien- und
Berufswahl vorbereitet werden. Regelmäßig können die Schü-
ler durch Pflichtpraktika in Unternehmen Berufe und Tätig-
keitsfelder kennen lernen. Das nutzt auch den Unternehmen
auf der Suche nach ihren künftigen Fach- und Führungskräf-
ten. Sie betreuen die Praktikanten professionell und stellen ih-
nen anspruchsvolle Aufgaben. Unternehmen können sich an
den „Schülerfirmen“ der Schulen beteiligen, die gewinnorien-
tiert arbeiten dürfen.
Lehrkräfte und externe Experten vermitteln den Schülerinnen
und Schülern Bewerbungstechniken, sie bereiten auf Vorstel-
lungsgespräche vor oder erklären, worauf es bei einem Assess-
ment Center ankommt. Ehemalige Schüler, die nun im Berufs-
leben stehen oder studieren, werden als Experten in die Schu-
len eingeladen, um sich mit den Jüngeren über ihre Erfahrun-
gen auszutauschen. Im Unterricht können sich Schüler auch
mit sogenannten soft skills beschäftigen: Selbstständigkeit,
Verantwortungsbewusstsein oder Verhandlungsgeschick, selbst
Höflichkeit oder Umgangsformen können dazu gehören. Bei
jedem Schüler werden einmal jährlich professionell Stärken
und Schwächen analysiert. Das soll den jungen Menschen bei
der Berufswahl helfen.
Alle Schüler haben nun die Möglichkeit, an einer Orientie-
rungswoche teilzunehmen. Vorbild für dieses Programm war
das Modellprojekt job factory des CAMPUS OF EXCELLENCE.
Alle Schülerinnen und Schüler besuchen innerhalb von ein bis
zwei Wochen mehrere Bildungseinrichtungen und Unterneh-
men in ganz Deutschland, um sich einen Überblick über Bil-
dungs- und Ausbildungsangebote zu verschaffen. Außerdem
können Sie mit Hilfe umfangreicher Trainings ihre eigenen In-
teressen und Stärken systematisch erkennen. Finanziert wird
dies durch das Netzwerk der Partnerunternehmen, die sich als
Arbeitgeber vorstellen.
Im Jahr 2020 sind alle Berufsinformationszentren zu Bera-
tungseinrichtungen umgebaut worden. Sie sind personell gut
ausgestattet, ihre Mitarbeiter kennen verlässlich aktuelle Ent-
wicklungen und Trends auf dem Hochschul- und Ausbildungs-
markt. Jedem Schüler wird umfassende Beratung angeboten,
die sowohl inländische als auch ausländische Ausbildungs-
oder Studienmöglichkeiten umfasst.
Für alle Jugendlichen werden sogenannte Mentorenprogram-
me eingeführt. Den Schülern werden auf Wunsch Mentoren zur
Seite gestellt, welche in den von den Schülern angestrebten
Berufen arbeiten und den jungen Menschen beim Einstieg in
die Berufswelt unterstützen, indem sie die Jugendlichen an ih-
rem Erfahrungsschatz teilhaben lassen.
Regelmäßig finden persönliche Gespräch zwischen Mentor
und Mentee statt, bei dem jeweils der aktuelle Stand der be-
ruflichen Entwicklung oder der beruflichen Orientierung The-
ma ist und die weiteren Schritte geplant werden. Sie stehen
dem jungen Menschen zur Seite und geben Sicherheit auf sei-
nem Weg in eine erfüllte berufliche Zukunft.
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Prof. Dr. Klaus Hurrelmann, Universität Bielefeldt
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