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PRESTELMünchen … London … New York
KUNSTWERKSTATT
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Wer eine Einteilung nach
strengen Stilkategorien sucht,
wird Mühe haben, das Werk von
Andreas Felger kunsthistorisch
auf einen Nenner zu bringen.
Zu fassettenreich sind seine
künstlerischen Ausdrucksweisen,
zu vielfältig seine Medien und
Techniken, als dass man sie in
ein Raster zwängen könnte. Für
Felger ist die künstlerische
Arbeit vor allem innere Not -
wendigkeit: eine Auseinander-
setzung mit Dingen und Ereig-
nissen, die ihn unmittelbar
beschäftigen, ein „Verarbeiten“
der Welt, die ihn umgibt.
Welche künstlerischen Mittel
und Methoden er jeweils wählt,
um seine Visionen, Sehnsüchte
und Sorgen, Freuden und Leiden
in ein Bild zu übersetzen,
hängt von seinem persönlichen
Empfinden ab.
Um auf diese Weise arbeiten zu
können – und dabei qualität -
volle Bilder zu schaffen, die
gleichzeitig der Gefahr der
Beliebigkeit trotzen – muss der
Künstler nicht nur die bildne-
rischen Mittel gefühlvoll und
innovativ einzusetzen wissen,
sondern auch eine hinreichende
Kenntnis bildschöpferischer und
kunsttechnischer Traditionen
mitbringen. Erst wenn ihm das
handwerkliche Rüstzeug der Kunst
zur zweiten Natur geworden und
das logisch-zweckmäßige Denken
durch das bildnerisch-intuitive
abgelöst worden ist, kann er
überzeugend improvisieren.
Felger verfügt über derartige
Fähigkeiten – er hat sie sich
in über fünfzig Jahren künst -
lerischer Arbeit angeeignet.
Auf das, was derzeit in seinem
Atelier entsteht, trifft zu,
was sich wohl alle Künstler
wünschen, was aber nur wenige
erreichen: dass das Spätwerk
das bisher Entstandene über-
trifft und krönt. Vor allem in
seinen großformatigen Ölbildern
verdichtet sich die Erfahrung
von fünf Jahrzehnten, und eine
große Freiheit des Ausdrucks
wird spürbar.
Andreas Felger erlernte in den
1950er Jahren bei dem Textil -
unternehmen Pausa AG im schwä-
bischen Mössingen den Beruf des
Musterzeichners, eine Fachqua-
lifikation aus dem Bereich der
angewandten Kunst. Die Pausa
AG, die seit Ende des Ersten
Weltkriegs Dekorationsstoffe
produzierte, stand in ihrer
Frühphase in engem Kontakt zum
Dessauer Bauhaus, wo Künstler
wie Paul Klee für die Textil-
werkstatt zuständig waren und
radikal neue bildnerische Kon-
zepte entwickelten. Felgers
Ausbildung war somit vom Geist
des Bauhaus geprägt. Er experi-
mentierte erstmals mit Gestal-
tungen an der Schnittstelle von
Figuration und Abstraktion und
durchlief eine Schule der viel-
fältigen Ausdrucksmöglichkeiten
der Ornamentik – ein Feld, das
Ernst Gombrich in seinem Stan-
dardwerk „Kunst und Ornament“
als den archaischen Ursprung
der Kunst definiert. Beim
Entwurfsspiel mit Punkt, Linie
und Fläche, Figur und Grund,
Hell- und Dunkelwerten sowie
mit Farbklängen verinnerlichte
er elementare Gestaltungsprin-
zipien. So zeigt seine Kollek-
tion „Africana“ von 1964 höchst
raffinierte Muster aus geome-
trischen Formen westafrikani-
scher Herkunft. Die „Izamal“-
Entwürfe von 1965 greifen
aztekische und mexikanische
Formen und Symbole auf, kunst-
voll kontrastiert in exquisiten
Farbnuancen von Türkis, Violett
und Orange. Über die Arbeit
als Musterzeichner zu einer
Konzentration auf das Wesent -
liche gelangt, lernte Felger
früh, wie eine optimale Wirkung
auch bei äußerster Ökonomie der
Mittel erreicht werden kann.
Während seines Studiums an der
Akademie der Bildenden Künste
in München, wo er 1958 Meister-
schüler von Josef Hillerbrand –
einem Protagonisten des deut-
schen Art Deco – wird, weitet
sich sein Blick auf die bilden-
den Künste.
Felger begibt sich auf Stu -
dienreisen nach Griechenland,
7
WAS BLEIBT, IST POESIE
ROLAND DOSCHKA
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KUNSTWERKSTATT /// FELGER /// 8
Spanien, Frankreich, Israel-
Palästina, Jordanien, Amerika
und Nordafrika, er sucht nach
Anregungen und Impulsen, um
sein Formenvokabular zu verfei-
nern und das Spektrum seiner
Palette zu erweitern. Vor allem
das Licht, das er in der Pro-
vence und in der nordafrika -
nischen Wüste erfährt, wird für
ihn zur bildgestalterischen
Herausforderung. Wie lassen
sich diese Erfahrungen in die
Welt des Bildes, auf das Vier-
eck der Leinwand übersetzen?
Ähnlich wie der Bauhausmeister
Lyonel Feininger schafft Felger
anhand prismatischer Formen und
feinfühliger Abstufungen von
Helligkeitswerten den Eindruck,
dass das Licht direkt aus der
Leinwand dringt. Sich überla-
gernde Schichten lassen Licht
aus den Tiefen des Bildes
heraus scheinen und schaffen
einen metaphysischen Effekt,
wie man ihn von gotischen Glas-
fenstern kennt. Freilich ist
dies bei Felger kein Spiel im
Sinne von l’art pour l’art,
sondern ein wahrhaft von Glaube
und gelebter Spiritualität
geprägtes Gestalten.
Im Hinblick auf Mediales wird
der von ihm favorisierte Holz-
schnitt zum prägenden Element
der frühen Jahre. Dessen forma-
le Strenge zwingt den Künstler
zu kalkulierten Handlungen,
anhand derer er den Druckstock
in ein austariertes Gebilde von
positiven und negativen Flächen
verwandeln kann. Die Farbholz-
schnitte Felgers verdichten
Farben und Formen zu eindrucks-
vollen Kompositionen, die nicht
selten seine schwäbischen Hei-
mat in all ihrer Anmut und
Rauheit porträtieren. Für den
Künstler ist das kein nüchter-
ner bildnerischer Akt – viel-
mehr vermischen sich darin die
Einfühlung in das Thema mit der
ihm eigenen Lust am komposi -
torischen Spiel mit Linien,
Flächen und Farben.
Bis heute arbeitet Andreas
Felger äußerst produktiv und
erweitert kontinuierlich sein
künstlerisches Repertoire. In
der Aquarelltechnik, der er
sich seit den 1980er Jahren
zunehmend widmet, perfektio-
niert er die Übergänge von
Farbwerten, wodurch es ihm
zusehends gelingt, das Licht
der Landschaften auf das Papier
zu bannen. Seit den späten
1970er Jahren arbeitet er zudem
an Buchprojekten, die er in
Zusammenarbeit mit zeitgenös -
sischen Lyrikern und Schrift-
stellern realisiert, darunter
Reiner Kunze, Hilde Domin, Peter
Härtling und Albrecht Goes.
Eine Beschäftigung mit den
elementaren Formen des Bild -
nerischen – wie Felger sie früh
als Musterzeichner erlernte, im
Holzschnitt zur ersten großen
Reife brachte und im Aquarell
weiter perfektionierte – wird
in seinen späten Ölbildern
erneut spürbar. Nun allerdings
nimmt der Künstler sich die
Freiheit, das zuvor auf kleinem
Format Geschaffene frei von
ökonomischen Vorgaben und tech-
nischen Zwängen auf die große
Leinwand zu bringen. Im Œuvre
seiner Ölmalerei wird am deut-
lichsten erkennbar, was auch
für die vorangegangen Schaf-
fensphasen schon Gültigkeit
hat: Die Frage nach der Wahl
zwischen figürlicher, abbild-
hafter Darstellung auf der
einen und abstrakter, ungegen-
ständlicher Bildschöpfung auf
der anderen Seite stellt sich
für Felger nicht.
Die Kunstdebatten der 1960er
Jahre, die in den Darmstädter
Gesprächen Karl Hofer und
Will Grohmann mit- und gegenei-
nander führten, waren für Fel-
gers Schaffen ohne Bedeutung.
Schon früh hatte er erkannt,
dass Figur und Abstraktion
keine unüberbrückbaren Gegen-
sätze sein müssen, sondern sich
fruchtbar verbinden lassen. Aus
dem Inhalt ergibt sich frei
von stilistischen Zwängen und
Fesseln die Form. Dies wird
nirgends spürbarer als in den
großen Ölbildern, die Felger in
den letzten Jahren in seinem
Atelier schuf.
Wie stark selbst die ungegen-
ständliche Malerei Felgers von
persönlichem Empfinden getragen
und geprägt ist, zeigt das im
März 2011 entstandene Bild
„Fukushima“ (Abb.S.49). Noch
bevor der Betrachter Titel und
Kontext des 2 x 2 Meter großen
Gemäldes kennt, spürt er die
Unruhe und Spannung, die aus
dem Bild dringt. Verschiedene
Gestaltungsmodi durchkreuzen
sich, sie scheinen in einen
Kampf verwickelt zu sein. Der
tiefblaue Himmel am linken
oberen Bildrand wird durch ein
aggressives Rot verdrängt, das
sich wie eine Wolke dem
Betrachter entgegen schiebt.
Stakkatoartig schießen Linien-
bündel durch den Bildraum und
versuchen, die Leinwand in
Besitz zu nehmen. Am rechten
unteren Bildrand sind schließ-
lich in einer dunkelblauen
Farbfläche zwei weiße Formen
erkennbar, die sich – nun in
Kenntnis des Titels – als
Totenköpfe lesen lassen. Fuku -
shima, „die Glücksinsel“, hat
sich in ein Inferno verwandelt.
Die entfesselte malerische
Dynamik ergreift den Betrachter
und setzt Assoziationen frei,
die sich der sprachlichen
Fixierung verweigern. Der rote
Kreis mag auf die japanische
Flagge hindeuten, der dunkle
Vordergrund auf Gräber, aber
alles, was sich dazwischen
ereignet, ist die malerische
Metapher für eine Katastrophe,
deren Ausmaß sich der mensch -
lichen Vorstellungskraft ent-
zieht. Sowohl in der Komposi -
tion, als auch im Pinselduktus
lassen sich die angespannte
Erregung und nervöse Vehemenz
des Malers vor der Leinwand
erahnen.
Im größten denkbaren Gegensatz
zu dem hier erkennbaren erupti-
ven Malakt steht die innere
Haltung, die in Felgers Gemälde
aus dem Jahr 2008 (Abb. S.26)
spürbar wird: Die Pinselstri-
che, mit kontemplativer Gelas-
senheit und Geduld aneinander-
gereiht, machen das Bild zu
einer Art Meditationstafel, in
der alle kompositorischen Hie-
rarchien zugunsten einer seri-
ellen Harmonie eingeebnet sind.
Hier werden Felgers künstleri-
sche Wurzeln als Musterzeichner
erkennbar, hier verbinden sich
formale Elemente von Ornament
und Pattern-Painting mit der
großen Tradition spätantiker
und frühchristlicher Mosaike.
In diesen ging es darum, einen
Farbraum zu schaffen, der den
Betrachter in ein Himmlisches
Jerusalem entführen sollte,
eine Vision aus Gold und leuch-
tenden Edelsteinen. Andreas
Felger lässt in seinem großfor-
matigen Bild etwas von dieser
byzantinischen Pracht spüren:
Er setzt an Citrin und Topas
erinnernde Orangetöne neben
smaragdgrüne und rubinrote
Farbfelder. Aus dem Bildgrund
dringt vereinzelt saphirblaues
Licht. Das Auge des Betrachters
gleitet über die Bildfläche wie
über eine Partitur, verbindet
Farbtöne zu Akkorden, die im
Rhythmus der Farbwechsel einen
meditativen Klang entfalten.
Was hier exemplarisch beschrie-
ben ist, gilt gleichermaßen für
die in pointillistischer Manier
angelegten Aquarelle und Öl -
bilder, die sich weniger durch
die Form, als durch die vom
Maler angeschlagenen Farbakkor-
de unterscheiden.
Wenn in Felgers Bildern die
menschliche Figur erscheint, so
ist sie stets stilisiert und
ohne physiognomische Besonder-
heiten, die ihr Identität ver-
leihen könnten. Sie ist viel-
mehr Sinnbild des modernen
Menschen, Metapher der mensch-
lichen Existenz. Dies wird in
dem Gemälde aus dem Jahr 2010
(Abb. S.9) besonders deutlich:
Die hier erscheinenden Figuren
könnten – ägyptischen Hiero -
glyphen gleich – aus dem Bil-
derfries einer unbekannten
Zivilisation stammen. Ihre
Stilisierung und rhythmische
Reihung auf einem geometrischen
Farbraster wirkt dekorativ und
scheint Botschaft zugleich.
Schwerkraft und Anatomie haben
sich den bildnerischen Gesetzen
unterzuordnen. Es sind seltsame
Zwitterwesen, die hier aus den
Tiefen des Bildraums dringen:
Sie scheinen den Betrachter mit
der gleichen Intensität zu
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KUNSTWERKSTATT /// FELGER /// 10
fixieren, mit der dieser das
kontraststarke, ihm Fragen
stellende Bild betrachtet.
Ein überragendes Merkmal des
bildnerischen Spätwerks von
Andreas Felger ist die Dynamik
der Farbe. Sie scheint, ob es
sich nun um ein in pointillis-
tischer Manier getupftes Aqua-
rell, eine strenge Farbfeld -
komposition oder ein mit
figürlichen und ornamentalen
Elementen durchsetztes Ölbild
handelt, immer in Bewegung und
fordert das Auge auf, dem Fluss
der Farbströme zu folgen. Was
der Bauhausmeister Paul Klee in
seiner „Elementaren Gestal-
tungslehre" die „Bewegung der
Farbe“ nannte, lässt sich in
Felgers kleinformatigem, titel-
losen Bild (Abb. S.7) wieder-
entdecken: In einem pulsieren-
den Flechtwerk aus Farbbahnen
durchkreuzen und überschneiden
sich warme und kalte Farbtöne
und führen den Betrachter durch
ein Labyrinth von Farbwegen,
das sich nicht mit Hilfe der
Logik allein analysieren lässt.
Was bleibt, ist Poesie.
Felger hat sich mit seinen
späten Ölbildern eine große
bildnerische Freiheit ermalt:
Dies sind Gemälde, in denen
sich Figur und Ornament, ord-
nende Geometrie und organische
Form spannungsvoll verbinden.
In meditativer Schwerelosigkeit
schwebende Farbfelder treffen
auf den freien Schwung des
Pinsels, gestischer Malduktus
steht neben sorgsam ausbalan-
cierten Liniengerüsten. Die
Oberflächen der Bilder können
sanft und zärtlich hingestri-
chen, dann aber auch spröde,
zerbrechlich und aufgekratzt
sein wie Wunden. Bildräume
jenseits der perspektivischen
Regeln tun sich auf – oder sie
verschließen sich beharrlich
und verweisen den Betrachter in
die Fläche. Und vor allem ist
es die Farbe, die Felger
orchestral in ihrer ganzen
Spannbreite einzusetzen weiß.
Fein verwobene minimalistische
Klangnuancen stehen neben der
Lust an opulenter Farbenpracht.
In seinem Atelier, das inmitten
eines herrlichen Parks liegt,
hat Andreas Felger sein künst-
lerisches Schaffen zu höchster
Blüte gebracht. In Felgers Werk
der letzten Jahre findet zusam-
men, was seine Kunst seit fünf
Jahrzehnten prägt: die Kraft
der Farbe und die Klarheit des
Lichts, das tiefe Mitgefühl für
Mensch und Natur, der lebendige
und gelebte Mythos sowie das
grenzenlose Vertrauen in eine
höhere Instanz, in der das
Schicksal des Menschen und der
Welt aufgehoben ist.
Biografische Notiz:Professor Dr. Roland Doschka
geboren 1941 in Tübingen, stu-
dierte Romanistik und Anglistik
in Tübingen, Aix-en-Provence,
Montpellier, Newcastle upon
Tyne und Oxford. Ab 1973 lehrte
er Romanistik an der Univer -
sität Freiburg. Seit 1981 kura-
tiert er zahlreiche Ausstellun-
gen zur klassischen Moderne in
der Stadthalle Balingen, darun-
ter Claude Monet, Paul Klee,
Pablo Picasso, Marc Chagall,
Joan Miró, ab 1999 Kuratoren -
tätigkeit in Rechberghausen.
Zahlreiche Veröffentlichungen
zur Kunst der Klassischen
Moderne, die in mehrere Spra-
chen übersetzt wurden, viele
davon erschienen im Prestel
Verlag.
© Prestel Verlag, München … London …New York 2011
Prestel Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbHNeumarkter Str. 2881673 MünchenTel. +49 (0)89 41 36-0Fax +49 (0)89 41 36-23 35www.prestel.de
Alle ArbeitenAndreas Felger Kulturstifung, Berlinwww.af-kulturstiftung.de© courtesy Andreas Felger Kultur -stiftung
Foto: Ralf Baumgarten, Köln
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Datensind im Internet über http://dnb.ddb.deabrufbar
Projektleitung: Claudia Schwind Lektorat: Eckhard Hollmann
Gestaltungskonzept: Ilja Sallacz,Agentur Liquid, Augsburg
Layout: Rainald Schwarz, MünchenHerstellung: Astrid WedemeyerLithografie: Reproline mediateam,München
Druck und Bindung: Tlaciarne BB, spol. s r. o., Banská Bystrica
Printed in Slovakia on acid-free paper
ISBN 978-3-7913-4607-6(Buchhandelsausgabe)ISBN 978-3-7913-4608-3(Collector’s Edition)
Haupttitel Seite 1Provence, 2008, Aquarell auf Papier, 55 x 75 cm
Seite 7ohne Titel, 2006, Öl auf Leinwand, 40 x 40 cm
Seite 9ohne Titel, 2010, Öl auf Leinwand, 150 x 120 cm
Seite 11ohne Titel, 2011, Öl auf Leinwand, 120 x 120 cm
Seite 13ohne Titel, 2011, Öl auf Leinwand, 100 x 80 cm
4607_felger_umbruch_1008.qxp:KWSt 13.01.2012 10:49 Uhr Seite 10
Roland DoschkaHerr Felger, Sie arbeiten hierin Sebastiansweiler in eineralten Kapelle, einem ehemaligenOrt der Besinnung, Versenkungund Meditation. Und vor vierJahrzehnten sind Sie einerchristlichen Gemeinschaft imTaunus beigetreten. Deshalbgleich zu Beginn die Gretchen-frage: Ist der Glaube die treibende Kraft Ihres künst -lerischen Tuns?
Andreas Felger
Der Glaube ist nur eine der
treibenden Kräfte meiner künst-
lerischen Arbeit. Als meine
Familie und ich vor 40 Jahren
nach Gnadenthal in den Taunus
zogen, waren wir getragen von
der Aufbruchstimmung der Zeit.
Überall wurden Kommunen gegrün-
det, unter meist politischen
Vorzeichen neue Wohn- und
Lebensformen ausprobiert. Wir
waren eher am Urchristentum
orientiert, haben Geld und
vieles andere geteilt. Unsere
Gemeinschaft hatte einen Teil
des alten Zisterzienserklosters
gekauft. Es war eine Art Kib-
buz. Ich hatte ein schönes
Atelier in einer 400 Jahre
alten Scheuer.
In vielen Bildern kann ichchristliche Symbole, Zeichenund Geschichten erkennen. Siehaben 2006 auch eine Bibel mitüber 250 Zeichnungen, Aquarel-len und Skizzen illustriert.Das Religiöse scheint eine zentrale Rolle zu spielen.
11
DIE SICHT AUF DIEWELT ISTWEITERGEWORDEN… Andreas Felger im Gespräch
mit Roland Doschka
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KUNSTWERKSTATT /// FELGER /// 12
Ist für Sie die Bezeichnung„christ licher Maler“ ange-bracht?
Dieser Begriff engt meine Kunst
zu sehr ein und ist missver-
ständlich. Dass ich mich mit
christlichen Themen beschäfti-
ge, hat damit zu tun, dass für
mich die Bibel ein Buch tiefer
Weisheit ist, in dem die Freu-
den und Schmerzen der mensch -
lichen Existenz, das Drama und
die Schönheiten des Lebens in
allen Facetten geschildert wer-
den. Wie für Willi Baumeister
das Gilgamesch-Epos, war für
mich die Bibel eine Quelle der
Erkenntnis. Und Marc Chagall
hat immer wieder jüdische The-
men und biblische Geschichten
aus dem Alten Testament zum
Inhalt seiner Bilder gemacht,
ohne selbst ein religiöser Jude
gewesen zu sein.
Wenn man einen Blick auf Ihrein jüngster Zeit entstandenengroßen Ölbilder wirft, kann manfeststellen, dass leuchtendesBlau eine dominierende Rollespielt. Das Blau als Farbe derRomantik, als Farbe der Trans-zendenz, ein Durchscheinen vongotischer Mystik, von Metaphy-sik ist hier erkennbar. Ist dasMalen für Sie ein metaphysi-scher Prozess?
In gewissem Sinne ja. Ich kann
mich, wenn die äußeren und
inneren Bedingungen es zulas-
sen, im Bild verlieren. Das
ist vor allem bei den großen
Formaten möglich, die das
gesamte Blickfeld umschließen.
Im bildnerischen Prozess spie-
len sich dann gleichnishaft
Vorgänge ab, die mit Werden und
Vergehen, mit Hoffnung und
Liebe, mit Vertrauen und Zwei-
fel zu tun haben. Es sind
geistige Prozesse, die sich
einer sprachlichen Fixierung
entziehen. Wenn man während
des Malens anfinge, über diese
Dinge nachzudenken und versuch-
te, sie auf logische Formeln
zu bringen, würden sie sofort
verschwinden.
Wie entsteht ein Bild? PabloPicasso hat einmal gesagt: „Ichsuche nicht, ich finde.“ Istder schöpferische Prozess fürSie eine Suche, ein kalkulier-tes, rationales Vorgehen?
Es kommt darauf an, in welchem
Medium ich gerade arbeite. Bei
einem Holzschnitt muss ich sehr
kalkuliert und planmäßig vor -
gehen; zufällige Bildlösungen
gibt es da eher selten. Auch
das Aquarell verlangt weit -
gehend ein gezieltes Handeln,
da Korrekturen hier kaum mög-
lich sind. Anders ist es bei
der Ölmalerei: Dabei taste ich
mich an Bildlösungen heran,
verwerfe, übermale, korrigiere.
Hier ist der Weg spannend, da
gibt es die Nebenwege und
Brücken, die sich auftun, die
Umwege, die man in Kauf nimmt,
um schließlich zu einem Ziel zu
gelangen. Das hat mit Lust, mit
schöpferischem Eros zu tun.
Picasso ist meist direkt ans
Ziel gelangt. Vielleicht hat er
ja deshalb so rastlos und oft
in Serie gearbeitet.
Sie haben im Alter von 15 Jah-ren als Musterzeichner bei Pausa angefangen, sich dann mitdem Holzschnitt beschäftigt,danach mit der Aquarelltechnik.Nun sind Sie bei großformatigenÖlbildern angelangt. Ein konse-quenter, schlüssiger Weg. Kannman nun von einem Alterswerksprechen, von einer SyntheseIhrer bildnerischen Erfahrung?
In meinem Alter bin ich bereit
– vielleicht auch reif genug –
Grenzen zu überschreiten, die
ich als junger Mensch nicht zu
überschreiten gewagt hätte. Die
Sicht auf die Welt ist weiter
geworden, abgeklärter und auch
gelassener. Das ist in der
Kunst nichts Außergewöhnliches.
Schauen sie sich das Alterswerk
von Tizian, Monet oder Picasso
an. Da dehnt sich die Perspek-
tive ins Unendliche, das Sehen
wird zum Schauen und die Kon-
vention wird als kleinlich
entlarvt und nebensächlich.
Man kann die Fesseln des Stils
abstreifen, ohne sich dafür
rechtfertigen zu müssen.
Natur und Landschaft spielen inIhren Bildern eine zentraleRolle – die Schönheit der Alb,die Lavendelfelder der Provenceund die Pflanzenwelt des wun-derbaren Parks, der Ihre Atelier-Kapelle umgibt. Esbeschäftigt Sie aber auch dieGefährdung der Schöpfung. Siereagieren auf die Gefahren,denen die Welt und die Naturdurch menschliche Hybris aus -gesetzt sind. Jüngstes Beispielist das Bild, das Sie anläss-lich der Katastrophe von Fuku -shima gemalt haben.
Ich lebe in dieser Welt, ich
freue mich über sie und leide
mit ihr. All das spiegelt sich
auch in meinen Arbeiten. Kata-
strophen wie jene in Fukushima
oder Tschernobyl schlagen sich
darin genau so nieder wie ande-
re Konflikte, an denen ich lei-
de: die Gewalt zwischen Juden
und Arabern zum Beispiel.
Meine Paar-Bilder rätseln darü-
ber, wie Liebende einander den-
noch verletzen können. Der Weg
Jesu, dem ich mich in Holz-
schnitt, Aquarell und Ölbild
immer wieder nähere, steckt ja
voller Brutalität und Erniedri-
gung. Spuren der Vergänglich-
keit und des Todes werden Sie
in vielen meiner Werke entde-
cken. Mich prägt das jüdische
Verständnis von Ganzheit. Für
mich gehören Blumen, Landschaf-
ten und Abstraktionen zusammen.
In allem, im Großen und im
Kleinen, ist die Handschrift
eines Gottes zu entdecken.
In Ihrem Werk finden sichfigürliche, ja erzählerischeKompositionen neben abstraktenBildern, in denen sich die Auseinandersetzung mit den Ver-fahren der Moderne spiegelt. Da gibt es das zeichenhafteOrnament, die pointillistischeStrukturierung der Bildflächen,die Dynamik der gestischen,also tachistischen Malerei, bishin zu den fein ausbalanciertenFlächen der Farbfeldmalerei.
Ist es nicht schwierig, zwi-schen diesen eigentlich rechtdisparaten Methoden der Malereizu pendeln?
Kein Mensch ist eine tabula
rasa. Jeder hat Bilder und
Begriffe im Kopf, die das eige-
ne Weltbild erzeugen und
prägen. Im Laufe meines langen
Künstlerlebens habe ich mich
mit vielen Möglichkeiten des
Bildnerischen auseinanderge-
setzt, sie durchdacht und
durchgespielt. Dabei entsteht
ein Vokabular an Ausdrucksmög-
lichkeiten, in dem Kategorien
und Gattungsgrenzen nebensäch-
lich werden. Wenn mich etwas
bewegt und ich es durch die
Kunst ausdrücken möchte, dann
ergeben sich die bildnerischen
Strategien wie von selbst.
Das kann dann figürlich oder
abstrakt, farblich gedämpft
oder fröhlich sein. Das
geschieht unbewusst, wenn Sie
so wollen. Und ich selbst bin
oft am meisten verwundert,
welchen Weg mein Bild im
Malprozess gegangen ist.
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ohne Titel, 2004, Öl auf Leinwand, 200 x 200 cm
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KUNSTWERKSTATT /// FELGER /// 16
ohne Titel, 2004, Öl auf Leinwand, 190 x 300 cm
nachfolgende Doppelseiteohne Titel, 2004, Öl auf Leinwand, 190 x 300 cm
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4607_felger_umbruch_1008.qxp:KWSt 13.01.2012 10:50 Uhr Seite 19
4607_felger_umbruch_1008.qxp:KWSt 13.01.2012 10:50 Uhr Seite 20
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KUNSTWERKSTATT /// FELGER /// 22
vorhergehende Doppelseite linksohne Titel, 2010, Öl auf Leinwand, 150 x 120 cm
vorhergehende Doppelseite rechtsohne Titel, 2010, Öl auf Leinwand, 150 x 120 cm
rechtsohne Titel, 2011, Öl auf Leinwand, 150 x 120 cm
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4607_felger_umbruch_1008.qxp:KWSt 13.01.2012 10:51 Uhr Seite 23
KUNSTWERKSTATT /// FELGER /// 24
ohne Titel, 2009, Öl auf Leinwand, 120 x 160 cm
4607_felger_umbruch_1008.qxp:KWSt 13.01.2012 10:51 Uhr Seite 24
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Roland Doschka
Kunstwerkstatt Andreas Felger
Gebundenes Buch, Pappband, 72 Seiten, 22,5x2640 farbige Abbildungen, 10 s/w AbbildungenISBN: 978-3-7913-4607-6
Prestel
Erscheinungstermin: Oktober 2011
Die Kunst Andreas Felgers: „Eine Linie halten, viele Wege gehen.“ Er ist einer der bekanntesten deutschen Holzschneider und Aquarellmaler der Gegenwart –Andreas Felger. Bereits seit über 50 Jahren entwickelt der Künstler seine autonome Bildspracheund dies gänzlich unbeeinflusst von jeglichem Mainstream. Jetzt überrascht Felger mit einemder Fachwelt weitgehend unbekannten OEuvre der Ölmalerei und begeistert dabei durch einekonsequente Reduktion auf das Wesentliche. Felger gelingt es auf beeindruckende Weise, eineauthentische Kunstsprache zu schaffen, als Reflexion gesellschaftlicher und geistiger Vorgänge.
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