schlick-sinn des lebens
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VOM SINN DES LEBENS
von
MORITZ SCHLICK
Nicht alle werden durch die Frage nach einem Sinn des Lebens be
unrohigt. Die einen, nicht die Unglücklichsten, ha.ben die Seele des
Kindes, das Mch nicht da.naeh fra.gt; die anderen fragen nicht melw, sie
ha.ben das Fragen verlemt. Zwischen ihnen stehen wir, _die Suchenden.
Wir können uns nicht a.uf die Stufe des N~ven zurückversetzen, den das Leben noch nicht mit seinen ritseldunklen Augen a.ngescha.ut ha.t, und
wir wollen uns nicht zu den M~ und Bla.siertal gesellen, die an keinen
Sinn des Daseins mehr glauben, weil sie in dem ihrigen keinen finden
konnten.
Wer die Ziele verfehlt ha.t, nach denen seine Jugend strebte und
keinen Ersa.tz fand, mag die Sinnlosigkeit seines eigenen Lebens beklagen: er ka.nn doch an einen Sinn des Daseins überhaupt gla.uben und ihn immer dort zu finden meiDen, wo einer seine Ziele erreichte. Wer
a.ber selbst dem Scbicksa.l die Verwirklichung seiner Zwecke a.bra.ng und
dann findet, da.ß das Errungene nicht so wertvoll wa.r wie es schien, daß er irgendwie einer Täuschung zum Opfer fiel: der steht der Frage ll8ßh
dem Wert des Lebens ga.nz ratlos gegenüber, und wie eine dunkle Wüste
liegt· vor ihm der Geda.nke, da.ß a.lles nicht nur vergeht, sondem auch im
Grunde alles vergeblich ist.
W1e sollen wir in den Wirrnissen eines menschlichen Lebensla.ufes,
wie in dem ta.umelnden Ga.ng der Geschichte einen einheitlichen Sinn
s~~~~4. 881
MORITZ SCHLICK
entdecken 1 Mag uns das Dasein als ein farbenfroher Teppich erscheinen
oder als ein gra.uer Schleier: gleich schwer ist es, das wehende Gebilde so aufzurollen, daß sein Sinn offenbar wird. Das Ganze fla.ttert vorüber und
scheint verflogen zu sein, bevor wir l1IlB Rechenschaft davon geben
koxmten.
Woher kommt der sonderba.re Widerspruch, da.ß Vollbringen und Genießen sich nicht zu einem rechten Sinn zusammenschließen wollen!
Scheint hier nicht ein unentrinnbares Naturgesetz zu walten 1 Der
Mensch setzt sich Ziele, und während er ihnen zufliegt, befiügelt ihn
zwar die Hoffnung, zugleich aber zehrt a.n ihm die Unlust des unbe
friedigten Verlangens. Ist aber das Ziel erreicht, so folgt, nachdem da.s erste Triumphgefühl verrauscht ist, una.usweichlich eine Stimmung der
Öde. Eine Leere bleibt zurück, die, so scheint es, erst durch das schmerz
volle Auftauchen neuen Verla.ngens, durch die Setzung neuer Ziele ein
Ende finden kann. So beginnt das Spiel von neuem, und das Dasein
scheint ein rastloses Hin- und Herpendeln zwischen Schmerz und Langer
weile sein zu müssen, das schließlich im Nichts des Todes endet. - Dies
ist der berühmte Geda.nkenga.ng, den Schopenhauer zur Grundlage
seiner pessimistischen Lebensa.uffa.ssun gemacht hat. Ist es nicht mög
lich, ihm auf irgendeine We~ zu entriD.nen 1 Ma.n weiß, wie z. B. Nietzache diesen Pessimismus zu überwinden
suchte. Zuerst durch die Flucht zur Kunst: betrachte die Welt, ruft er,
als eine ästhetische Erscheinung, und sie ist ewig gerechtfertigt! Dann durch die Flucht zur Erkenntnis: sieh das Leben als ein Experiment des Erkennenden a.n, und die Welt wird dir das trefflichste La.bora.torium
sein! Aber N ietzsche ·hat sich von diesen Sta.ndpunkten wieder a.bge
wendet, schließlich war nicht mehr Kunst sein Za.uberwort, und nioh•
Wissenschaft, nicht Schönheit und nicht W a.brheit; es lä.Bt sich schwer
8.uf eine kurze Formel bringen, worin der weiseste N ietzsche, der
Nietzache des Za.ra.thu.stra.1 den Sinn des Lebens erblickte. Dexm wenn
man gesagt hat, des Leben8 letzter Wert sei ihm nunmehr das Leben selbst gewesen, so ist damit offenkundig nichts deutliches gesagt und
nicht der rechte Ausdruck für die tiefe W a.hrheit gefunden, die er damals
erschaute oder mindesten$ ahnte. Er erkannte nämlich, da.ß das Leben
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VOM SINN DES LEBENS
sola.nge keinen Sinn ha.t, a.ls es ga.nz unter der Herrschaft der Zwecke steht:
, Wahrlich, ein Segnen ist es und kein Lästem, wenn ich lehre: über a.llen Dingen steht der Himmel Zufall, der Himmel Unschuld, der Himmel
Ohngefä.hr, der Himmel 'Obermut.
t,Von Ohngefä.hr' - das ist der älteste Adel der Welt, den ga.b ich
allen Dingen zurüclt, ich erlöste sie von der Kneehtscha.ft unter dem Zwecke.
tDiese Freiheit und Himmels-Heiterkeit stellte ich gleich azurner
Glocke über alle Dinge, als ich lehrte, da.ß über ihnen und durch sie kein ,ewiger Wille' - will«.
In der Ta.t, wir werden nie einen letzten Sinn im Dasein finden, wenn
wir es nur unter dem Gesichtspunkt des Zweckes ansehen.
Ich weiß a.ber nicht, ob die Wucht der Zwecke jemals schwerer a.nf
dem Menschengeschlecht gelastet hat als in der Gegenwart. Die Gegen
wart betet die Arbeit a.n. Arbeit a.ber heißt zielstrebiges Tun, Gerichtet
sein a.uf einen Zweck. Versetze dich in das Gewühl einer hastigen Straße
der Großstadt und denke dir, du hieltest die Vorüberströmenden einen
nach dem anderen a.n und riefest ihnen zu: •Wohin so eilig 1 was hast du wichtiges vor ! « Und hättest du das nächste Ziel erfa.hren, so fragtest du
weiter nach dem Zweck dieses Zieles, und weiter nach dem Zwecke des
Zwecks- du würdest fast immer schon nach wenigen Gliedern der
Reihe a.uf den Zweck stoßen: Erhaltung des Lebens, Broterwerb. Und
wa.rum denn das Leben erhalten 1 Auf diese Frage könntest du a.us den
erhaltenen Auskünften selten eine verständliche Antwort herauslesen.
Und doch muß eine Antwort gefunden werden. Denn da.s bloße
Dasein, die reine Existenz als solche, ha.t gewiß keinen Wert, sie muß
a.uch einen Inhalt ha.ben, und nur in ihm ka.nn der Sinn des Lebens
liegen. Was a.ber in Wirklichkeit unsere Tage fast ganz ausfüllt, das sind
die Tätigkeiten, die der Erhaltung des Daseins dienen. . Mit anderen
Worten: den Inhalt des Daseins bildet die zum Dasein nötige Arbeit. So drehen wir uns im Kreise, a.uf diese Weise dringen wir nicht zu einem Sinn des Lebens vor. Und nicht besser ist es, wenn ·wir statt a.uf die
.Arbeit selbst den Blick a.uf die Früchte der ~beit richten. Der a.ller-
SSS
MORITZ SCHLICK
gro.Bte Teil ihrer ErL.eugnisse dient wiederum irgendwelchen Arbeiten
und damit indirekt der Fristung des Lebens, und ein anderer großer Teil ist sieher sinnloser Kitsch. Ra thena u schätzte, wenn ich nicht irre, diesen letzten auf em Drittel der ga.nzen Produktion. Wieviel bliebe da
als sinnvoll übrig t Und irgendwelche Arbeitsprodukte als solche können
auch nie wertvoll sein, sondern nur insofem sie das Leben irgendwie erfüllen und bereichern, das heißt, den Menschen in wertvolle Zu.stinde
und Tätigkeiten versetzen. Der Zustand des Arbeitens kann dies nicht
sein, denn wir verstehen unter Arbeit- diesen Begriff in philosophischer
Allgemeinheit genommen - eben jede Tätigkeit, die a.llein zur Ver
wirklichung irgendeines Zweckes unternommen wird. Es ist also das cha.rakteristi.se Kennzeichen der Arbeit, da.ß sie ihren Zweck außer
halb ihrer selbst ha.t, daJ3 sie nicht um ihrer selbst willen geta.n wird. Die Lehre, welche die Arbeit schlechthin in den Mittelpunkt des Daseins
stellen und zu seinem höchsten Sinn erheben möchte, muß irren, weil
jede arbeitende Tätigkeit als solehe immer nur Mittel ist, ihren Wert nur
aus ihren Zielen empfingt.
Der Kem und letzte Wert des Lebens ka.nn nur liegen in solchen Zuständen, die um ihrer selbst willen da sind, die ihre Erfüllung in sich
selber tragen. Solche Zustände sind nun zwa.r "zweifellos gegeben in den
Lustgefühlen, in welche die Sättigung jeglichen Wollens a.usklingt, und
von denen die Befriedigung jeglichen Verlangens begleitet ist--wollten
wir aber aus diesen Momenten, in denen der Drang des Lebens für Augen
blicke zum Stillsta.nd kommt, den Wert des Daseins ableiten, so wür
den wir uns aJsbaJ.a in jenen Geda.nkengang Schopenhauers ver
stricken, der uns nicht den Sinn, sondem den Unsinn des Lebens
offenbar macht.
Nein, Leben bedeutet Bewegung und Handeln, und wenn wir einen
Sinn in ihm finden wollen, so müssen wir nach Tätigkeiten suchen, die
ihren Zweck und Wert in sieh tragen, una.bhä.ngi.g von allen Zielen außer
haJ.b ihrer, Betätigungen also, die nicht .Arbeit in der philosophischen
Bedeutung des Wortes sind. Wenn es dergleichen Tätigkeiten gibt, da.nn
ist in ihnen das scheinbar Auseina.nderliegende versöhnt, Mittel und
Zweck, Handlung und Erfolg in eins verschmolzen, da.nn ha.ben wir
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VOM SINN DES LEBENS
Selbstzwecke gefunden, die mehr sind als bloße Zielpllllk:re des Tuns und
Ruhepunkte dea Daseins, und sie vermochren allein die Rolle eines
wahren Lebensinhaltes zu übernehmen.
Solche Tätigkeiten g~öt es wirklich. Wir müssen sie folgerichtig Spiel nennen, denn das ist der Name für freies, zweckloses, d. h. in Wahrheit
den Zweck in sieh selbst tragendes Handeln. Nur müssen wir das Wort
Spiel in seiner weiren, echten, in seiner philosophischen Bedeutung
nehmen, in einem tieferen Sinn, als ihm der Alltag gemeinhin zugesteht.
Damit verleihen wir ihm keine neue, überraschende Bedeutung, sondern
wiederholen nur, was wenigsrens einem großen Geiste völlig deutlieh war,
der das Wesen des Menschlichen mit dem Blicke des Dichters -und das heißt, in tiefer Wa.hrheit- er:fa.Bte. Denn Friedrieh Schiller spricht
in seinen Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen folgende
Worte: •· ••. um es endlich a.uf einmal hera.uszusagen: der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur
da ganz Mensch, wo er spielt. Dieser Sa.tz, der in diesem Augenblick
vielleicht pa.radox erscheint, wird eine große und tiefe Bedeutung er
halten, wenn wir erst dahin gekommen sein werden, ihn auf den doppeltAm Ernst der Pflicht und des Schicksals anzuwenden. Er wird, ich ver
apreehe es, das ga.nze Gebäude der ästhetäsehen Kunst und der noch viel
schwierigeren Lebenskunst tragen. Aber dieser Sa.tz ist auch nur in der
Wissel'lscilia.ft unerwartet; längst schon lebte und wirkte er in der Kunst und in dem Gefühle der Griechen, ihrer vornehmsten Meister, nur da.ß sie in den Olympus versetzten, was a.uf der Erde sollte ausgeführt werden.
Von der W a.hrheit desselben geleitet, ließen sie sowohl den Ernst und die
Arbeit, welche die W a.ngen der Sterblichen furchen, a.ls die nichtige Lust,
die das leere Angesicht glättet, a.us der Stirne der seligen Götter ver
schwinden, gaben die ewig Zufriedenen von den Fesseln jedes Zweckes,
jeder Pflicht, jeder Sorge frei und Ill800.ten den Müßiggang und die
Gleichgültigkeit zum beneideten Lose des Götterstandes: ein bloß
menschlicherer Name für das freieste und erha.benste Sein ..•. •
Das sind hohe Worte, clie aus der Welt des Dichters in eine sorgen
trübe Zeit herübertönen und in unserer Welt den meisten ·ohren UDZeit
gemä.ß klingen. Der Poet sieht einen Zusta.nd göttlicher Vollkommenheit
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MORITZ SCHLICK
unter den Menschen, in dem a.lle ihre Tätigkeiten in heiterem Spiel auf
gehen, a.lle ihre W erkta.ge zu Feiertagen werden. Nur insofern der Mensch
a.n dieser Vollkommenheit teil hat, nur in den Stunden, da. das Leben
ihm ohne die strengen Falten der Zwecke lächelt, ist er wirklich Mensch.
Und zu eben dieser Wahrheit leitete uns nüchterne Betrachtung: nur im
Spiel erschließt sich der Sinn des Daseins.
Führt uns a.ber dieser Geda.n.ke nicht in bloße Träume, lost er nicht
jede Verbindung mit der Realität, und ha.ben wir nicht den Boden des .Alltags unter den Füßen verloren, auf dem wir doch schließlich bleiben
müssen, weil die Lebensfrage ihrer Natur na.ch eine alltägliche Frage ist!
In der ha.rten Wirklichkeit, zum.al der Gegenwart, scheint kein Pla.tz für
sol~e Träume zu sein, für unsere Zeit, für die Völker des kriegsgequälten
Erdballs, scheint keine andere Losung möglich zu sein aJs das Wort
tA.rbeit«, und es erscheint unverantwortlich, 'Obles von ihr zu reden.
Jedoch wir dürfen nicht vergessen, da.ß das Schaffen, welches die
Stunde von uns fordert, Arbeit nur im wirtscha.ftlichen Sinne ist, d. h.
schöpferische Betätigung, die zur Erzeugung von Werten führt. Es be
steht aber kein unversöhnlicher Gegensatz zwischen Spiel im philosophi
schen Sinne und Arbeit in des Worres volkswirtschaftlicher Bedeutung.
Spiel heißt für uns jede Tätigkeit, die ganz um ihrer selbst willen ge
schieht, unabhängig von ihren W1rk:ungen und Folgen. Nichts hindert,
da.ß diese Wirkungen nützlicher, wertvoller Natur seien. Sind sie es, um
so besser; Spiel bleibt das Ha.n.deln doch, weil es seinen eigenen Wert
schon in sich selber trug. ES können aus ihm gena.u so gut wertvolle
Güter hervorgehen wie aus an sich unlustvollem, zweekstrebigem Tun.
Mit anderen Worten: auch das Spiel ka.nn schöpferisch sein, sein Erfolg
ka.nn mit dem der Arbeit zusarnmenfa.llen.
Diesem Begriff des schöpferischen Spieles wird in der Lebensphilo
sophie der Zukunft eine große Rolle zufallen. Damit die Menschheit
unter spielenden Tätigkeiten forteXistiere und fortschreite, müssen es
schöpferische sein, das Notwendige muß durch sie irgendwie hervor
gebracht werden .. Und dies ist möglich, denn Spiel ist keine Form des
NichtstuD$. J 8., je mehr Tätigkeiten zu Spiel im philosophischen Sinne
würden, desto mehr Arbeit im wirtscha.ftlichen Sinne würde geleistet.
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VOM SINN DES LEBENS
desto mehr Werte würden in der mensehlichen Gesellseha.ft geschaHen.
Menschliches Handeln ist nicht dadurch Arbeit, da.ß es Früchte bringt,
sondem nur da.nn, wenn es a.us dem Gedanken an seine Früchte hervor
geht und von ihm beherrscht wird. Blicken wir um uns: wo finden wir schöpferisches Spiel~ Das hellste
Beispiel (das zugleich mehr als nur Beispiel ist), wir h.a.ben es im Schaffen
des Künstlers. Seine Tätigkeit, da.s Gestalten seines Werkes a.us der
Inspiration, ist selber Wollust, und halb zufällig ist es, da.ß bleibende
Werte da.ra.us entstehen. An den Vorteil dieser Werte oder ga.r an seinen
Lohn da.rf der Künstler während des Bildens ga.r nicht denken, sonst
wird der Scha.f:fensa.kt gestort. Nicht die goldene Kette, das Lied, da.s aus der Kehle dringt, ist Lohn, der reichlich lohnet! So fühlt der Dich
ter, so der Künstler. Und jeder, der bei seiner Tätigkeit so fühlt, ist Künstler.
Zum Beispiel der Forscher. Auch das Erkennen ist ein reines Spiel
des Geistes, das Ringen um wissenscha.ftliche W a.hrheit ist ihm Selbst
zweck, ihn freut es, seine Kräfte zu messen an den Rätseln, die die Wirk
lichkeit ihm a.ufgibt, ga.nz unbekümmert um den Nutzen, der irgendwie
da.ra.us fließen mag (der a.ber, wie beka.nnt, oft gerade a.m erstaunlichsten
war bei rein theoretischen Entdeckungen, deren praktische Bra.uchba.r
keit ursprünglich niema.nd ahnen konnte). Der reichste Segen entströmt
gerade dem Werk, welches als Kind einer glücklichen Laune seines
Schöpfers und in freiem Spiel ohne ängstliche Erwägung seiner Wirkungen gezeugt. ist.
Natürlich fä.llt nicht die gesamte Tätigkeit des Künstlers oder Denkers
unter den Begriff des schöpferischen Spiels. Das rein Technische, die
bloße Bewältigung des Ma.teria.ls, etwa. das Farbenmischen beim Maler,
das Notenschreiben beim Musiker, alles dies bleibt meist Mühsal und
.Arbeit, es sind die Scha.len und Schla.cken, die dem Spiel in der Wlrklich
keit hä.uiig noch anhaften. Häufig, nicht immer; denn a,uf den Stufen
der Vollendung ka.nn jegliche arbeitende Verrichtung entweder so
mechanisiert werde.n, da.B sie ka.um. ins Bewußtsein tritt, oder so viel
Reiz und Anmut entwickeln, da.B sie selbst zu .einem künstlerischen
Spiele wird.
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MORITZ SCHLICK
Und das gilt schließlich auch von denjenigen Ha.ndlUDgen, in denen nicht WlSSeDSCbaft und KUDSt, sondern das Notwendige des Tages er
zeugt wird, und die scheinba.r ganz ohne Geist sind. Das Ackern der Felder, das Weben der Stoffe, das Flicken der Schuhe, alles dies kann Spiel werden, es ka.nn den Chara.kter künstlerischen Tuns annehmen.
Es ist nicht einmal so ungewöhnlich, da.ß der Jrl.enseh a.n derlei Tätigkeiten so viel Freude h&t, da.ß er den Zweck darüber vergißt. Jeder echte Qu&litätsa.rbeiter kann a.n sich selbst diese Umbildung des Mittels
zum Selbstzweck erfa.b.ren, die fast mit jeder Beschiftigung vor sich gehen kann, und die das Erzeugnis zum Kunstwerk macht. Es ist die Freude am bloßen Schaffen, das Hingegebensein a.n die Tätigkeit, das
Aufgehen in der Bewegung - das wa.ndelt die Arbeit in Spiel. Bekanntlich gibt es einen groBen Zauber, dem diese W a.ndlung fast immer ge
lingt: den Rhythmus. Freilich wird er nur da vollkommen wirken, wo er
nicht äußerlich und &bsichtlieh a.n die Tätigkeit herangeb~ht und künstlich mit ihr verbunden wird, sondern wo er a.us ihrem Wesen UDd
ihrer natürlichen Fonn von selbst sich entwickelt. Es gibt Arbeiten, wo dies unmöglich ist; ma.nche sind ihrer Natur nach so bescha.ffen, da.ß sie immer ein 'Obel bleiben und stets, außer vielleicht bei ga.nz abgestumpften gliicksunfä.higen Menschen, mit Unwillen und Unlust ausgeführt werden. Bei solchen Verrichtungen ra.te ich, recht sorgfältig auf ihre Früchte m schauen: man wlrd stets finden, da.ß derlei mechanische, abstumpfende,
degenerierende Arbeiten in letzter Linie nur zur Erzeugung von Kitsch und leerem Luxus dienen. Also fort mit ihnen! Sola.nge freilich unsere Wirtschaft statt &Uf wahre Bereicherung des Lebens auf bloße Ver
mehrung der Produktion eingestellt wird, können sich jene Tätigkeiten
nicht verringern, und damit (da. sie a.llein wahre Sklavenarbeiten 'sind)
kann die Sklaverei in der Menschheit nicht abnehmen. Eine Zivilisa.tion aber, die durch erzwungene Sklavenarbeit künstliche Brutstätten eitlen
Ta.ndes unterhilt, mUß sich ~urch ihre eigene Absurdität schließlich auf
heben. Dann werden nur die zur Hervorbringung echter Kultur dienenden Verrichtungen übrig bleiben. In ihnen aber wohnt ein Geist, der
ihre Entwicklung zu wahren Spielen begünstigt. Wenigstens gibt es kein Naturgesetz, das einer solchen Entwicklung
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VOM SINN DES LEBENS
des Handeins zum Selbstzweck irgendwie entgegenstünde; gnmdait~lich
gesprochen liegt der Weg zur Verwirklichung des Schillersehen Traumes frei. Der Gedanke einer dergestalt von allen quälenden Zwecken,
von a.llen drohenden Sorgen befreiten, heiter dem Augenblick hingegebenen Menschheit ist wenigstens kein widerspmchsvoller, kein undenkba.rer Gedanke. Das Dasein des Einzelnen verliefe na.ch dem schönen
und tiefen Wort der Bibel wie das Leben der Lilien auf dem Felde.
Hier mag sich der Einwa.nd regen, da.ß solch ein Leben einem Zu
rücksinken a.uf niedrigere Stufen gleichkäme, auf das Sta.di.um der
Pflanzen und Tiere. Denn diese leben doch wohl dem Augenblick, ihr Bewußtsein ist a.uf eine kurze Gegenwart eingeengt, sie kennen wohl den
Schm.erz, &ber nicht me Sorge. Im Gegensa.tz da.zu ha.t der Mensch das Vorrecht, große Zeiträume, ga.nze Lebenszeiten mit der Weite seines Bewußtseins zu umspa.nnen, vor&ussch&uend und zurückscha.uend mitzu
erleben - und damit wird er erst zu dem wissenden, seiner selbst im höchsten Grad bewußten Wesen, als welches er der übrigen Na.tur gegen
übersteht.
Aber diesem Einwand ist leicht zu begegnen. Der Mensch bra.ucht
von der Weite seines Lebens nichts einzubüßen, seine Freude a.m Augen
blick wird Dicht blind und tierisch, sondern vom hellsten Bewußtsein nmflossen sein. Nicht dadurch entflieht er der Drohung der Zwecke, da.8
er den Kopf in den Sand steckt, um me Zukunft überha.upt nicht zu
sehen, sondern sie sreht ruhig und kla.r vor ihm im Lichte der Hoffnung, wie die V erga.ngenheit im Lichte der Erinnerung hinter ihm. Er kann
den Fluch der Zwecke abschütteln und seinen Blick von der Trübung der
Sorge befreien, ohne den Segen seiner Hoffnungen zu mindern. Er sieht
anch die fernsten Erfolge seines H.a.ndelns noch deutlich vor sich, Dicht
nur die wirklichen, sondern a.uch aJ.le möglichen; aber kein bestimmtes
Ziel steht als notwendig zu erreichendes Ende da., so daJ3 der ga.nze Weg sinnlos wäre, wenn es verfehlt würde; vielmehr hat jeder Punkt der
ganzen Ba.b.n schon seinen eigenen Sinn für sich, wie ein Pfad im Gebirge, der a.n jeder Stelle erhabene Aussichten und mit jeder Wendung
Deue Entzücklmgen bietet - mag er nun zu einem Gipfel führen oder
nicht. Gewisse Zielsetzungen sind freilich nötig, um die zum Leben er-
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MO·RITZ SCHLICK
forderliche Sp&DD.ung zu erzeugen; auch das spielende Tun setzt sich ja
unablässig Aufgaben, am deutlichsten im Sport und Wettkampf, der
eben auch Spiel ist, sola.n.ge er nicht etwa in Ernstkampf ausartet. Aber
solche Ziele sind harmlos, sie lasten nicht drückend auf dem Leben, sie
beherrschen es nicht, sondern es geht über sie hinweg, es verschläg5
nichts, wenn sie nicht erreicht werden, denn sie sind jederzeit durch
andere ersetzbar. Lebensstrecken, die unter der Herrscha.ft unerbitt
licher großer Zwecke stehen, sind wie Rätsel mit einem Losungswort,
das man entweder findet oder verfehlt; ein spielendes Leben aber konnte
ma.n einem unendlichen Kreuzworträtsel vergleichen, in dem immer neue
Worte gefunden und verbunden werden, so da.ß fortschreitend eine
immer größere Fläche bedeckt wird, mit keinem anderen Ziel, als eben
rastlos immer weiter fortzuschreiten.
Die letzte Befreiung des Menschen wäre erreicht, wenn er in all seinem Tun sich ga.nz dem Handeln selber hingeben könnte, immer von
der Liebe zu seiner Tätigkeit beseelt. Da.nn würde nie der Zweck daa Mittel heiligen, dann dürfte er zur höchsten Regel seines Ha.ndelns den
Sa.tz erheben: tW es nicht wert ist, um seiner selbst willen getan zu werden, das tue auch um keines anderen willen! c Da.nn wäre alles Leben bis in seine letzten Verzweigungen wahrhaft sinnvoll, Leben hieße: das
Fest des Daseins feiern. Schon Pla.ton erklä.rte (in den tGesetzenc, 803 C), die Menschen
sollten das Spiel, Gesang und Ta.nz, als wahren Gottesdienst zum eigent
lichenInhaltdes Lebens machen. Aber vielleicht war ma.n damals, ob
gleich inzwischen weit über zweitausend Ja.hre vergangen ·sind, einer
solchen Lebensordnung näher als heute. In der gegenwärtigen Zeit, das
ist sicher, kann des Menschen tägliches Tun zum größten Teile nur durch
femeZwecke gerechtfertigt werden. In sich ist es unlustvoll und nicht
gerechtfertigt, und die Vergötterung der Arbeit als solcher, das große
Evangelium unserer industriellen Epoche, ist als Götzendienst entla.rvt.
Der große Teil unseres Daseins, der von zielstrebiger, fremddienlicher
.Arbeit ausgefüllt ist, hat für sich keinen Wert, sondern erhält ihn erst
durch die Beziehung a.uf die festlichen Stunden des Spieles, für welche
die Arbeit nur die Mittel und Vorbedingungen schafft.
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VOM SINN DES LEBENS
Una.blä.ssige sta.rre Pflichterfüllung im Dienste eines Zweckes macht
achließlieh beschrinkt und nimmt die Freiheit, deren jeder zur Selbst.
entfaltung beda.rf. Wir müssen frei a.ufa.tmen können. So entsteht die
Aufgabe, das in seiner Ganzheit a.n. die Zwecke des Nützlichen gefesselte
Leben wenigstens für Ta.ge, Stunden, Minuten da.von zu erlösen, und
diese Stunden und Minuten, mögen ihrer noch so wenige sein, bilden den
Inhalt, um dessenwillenalles übrige da. ist- um deaen willenalles
übrige unter Um.stä.nden geopfert wird. Im Grunde finden wir den
Mensohen immer bereit, für eine werterfüllte Stunde den sinnlosen Rest
des Lebens hinzugeben.
Menschenfreunde und Menschenerzieher, Seher und Führer, sie
konnen nichts a.nderes erstreben, als möglichst weite Strecken des 1>&seinsmit Sinn zu durchdringen. Das Scha.ffen eines John Ruskin war
von der Idee getragen, das Menschenleben müsse sich zu einer Kette
festlicher Ha.ndlungen gestalten lassen, der Alltag könne sinnvoll ge
ma.ch.t werden, indem er sich bis in a.lle Kleinigkeiten mit Schönheit er
fülle. Ist es nicht möglich, das ga.nze Dasein a.n der lichten Oberfläche
zu leben, so müssen wir wenigstens von Zeit zu Zeit auftauchen können.
Ist es nicht möglich, den Tra.um Schillers zu verwirklichen, .so muß
um so eher die Lebensregel Goethes befolgt werden: •Tages .Arbeit,
a.bends Gäste, sa.ure W oohen, frohe Feste«. In UDSerer Zivilisa.tion sind
frohe Feste nicht möglich ohne sa.ure W oohen, aber in keinem Zeitalter
ist ein dauerndes Leben möglich ohne Freude und Feste. Ein Leben,
das immer nur auf ferne Ziele eingestellt ist, verliert zuletzt alle Kraft des Schaffens überha.upt. Es gleicht einem Bogen, der immer gespannt
bleibt: er wird schließlich unfähig, den Pfeil fortzuschnellen, und damit
wird seine Spannung sinnlos. Arbeit und Mühe, solange sie nicht selbst
zum freudigen Spiel geworden sind, sollen Freude und Spiel ermöglichen;
darin liegt ihr Sinn. Sie können es aber nicht, wenn der Mensch das Freuen verlernt, wenn nicht festliche Stunden dafür sorgen, da.ß das
Bewußtsein davon, was Freude ist, erha.lten bleibt.
Nur hüten wir uns, die Freude, von der des Lebens Wert abhingt,
mit ihrem Surrogat zu verwechseln, dem bloßen Vergnügen, jener
flachen Lust, von der Schiller sagte, daß sie das leere Angesicht der
34.1
MORITZ SCHLICK
Sterblichen glitte. Das Vergnügen ema.ttet, wä.hrend die Freude er
frischt; diese bereichert, jene gibt dem Dasein einen falschen Putz. Beide zwa.r lenken uns a.b von der Alltagsarbeit, ziehen uns von der
Sorge fort, a.bet- sie tun es a.uf verschiedene Weise: das Vergnügen, indem
es uns zerstreut, die Freude, indem sie uns sammelt. Zerstreuung biete'
dem Geist flüchtige Erregung ohne Tiefe und Gehalt; zur Freude beda.rf es mehr, dazu ist ein Gedanke, ein Gefühl nötig, das den ganzen Men
schen a.usfüllt, eine Begeisterung, die ihn über dem Alltag schweben
macht. Innig freuen ka.nn er sich nur über Dinge, die sein Ich ga.nz er
greifen, er muß a.n etwas ga.nz hingegeben sein. Dem Schmerz rühm' ma.n. nacll, da.ß er uns vertiefe (vielleicht, weil man sonst nichts gutes über ihn zu sagen weiß), a.ber echte Freude verinnerlicht noch viel mehr.
Lust ist tiefer a.ls Herzeleid, sagt Nietzsche. Das Vergnügen jedoch
krä.uselt nur die Oberfläche der Seele und lä.ßt sie so flach wie sie vorher
wa.r, ja es macht sie versa.nden, denn es hinterlä.ßt einen faden Nach
geschmack als Anzeichen einer seelischen Trübung. Und eben da.ran
ka.n.n man es von der hohen Freude unte:rscheiden, welche sü.mgebende
Bejahung des Daseins ist. Hier können wir vom Kinde lernen. Dun ist, bevor es noch in daa
Netz der Zwecke verstrickt wird, die sorgenvolle .Arbeit fremd, es be
darf keiner Zerstreuung, keiner Loslösung vom Werktag. Und das Kind ist gerade der reinsten Freude fähig. Alle Völker wissen vom Glück der
Jugend zu singen, und das ist wahrlich mehr~ bloße Erfindung der
Dichter; die Jugend ist wirklich nicht vom dunklen Gewölk der Zwecke
beecha.ttet.
Und da.mit komme ich zum Kern dessen, wa.s ich hier sagen möchte.
Nicht in allen Äußerungen des Lebens, nicht in seiner ga.nzen Breite
~erm.oohten wir einen Sinn zu finden - wenigstens nicht, sola.nge
Schillers Tra.um von göttlicher Vollkommenheit nur Tra.u.m bleibt -,
sondern der Sinn des Ga.nzen ist in wenige kurze Stunden tiefer, heiterer
Freude, in die Stunden des Spiels, hineingezogen und gesammelt. Und
diese Stunden drängen siCh a.in dichtesten in der ] ugend. Nicht nur, da8
~
VOM SINN DES LEBENS
die kindHeben Spiele auch in des Wortes philosophischer Bedeutung Spiel sind, sondem auch die apä.tere Jugend, welche Ziele und Zwecke schon sehr wohl kennt und erzogen wurde, ihnen zu dienen, steht doch
:nicht ganz und ga.r unter ihrem Joche, starrt nicht bloß auf sie hin, bangt nicht bloß um ihre Erreichung, wie es später oft die natürliche
Haltung wird. Vielmehr liegt der Jugend a.n den Zwecken eigentlich
nichts; wenn einer umstürzt, ist schnell ein anderer a.ufgeba.ut: die Ziele
sind nur ein Anreiz zum Dahinstürmen und Kämpfen, und diese tatenfrohe Ettegung ist die eigentliche Erfüllung des jugendlichen Gemüta. Seine Begeisterung (sie ist im Grunde das, was der Grieche Eros na.nn.te) ist Hinga.be a.n die Tat, nicht a.n das Ziel Dieses Tun, diese Art von Tun,
ist wahres SpieL Wenn es dergestalt kla.r ist, da.ß dasjenige, was den Sinn des Daseins
a.u.fbaut, sich nirgends so rein und sta.rk findet wie in der Jugend, so er
geben sich dara.u.s merkwürdige Fragen und Fingerzeige. Die Jugend ist ja die erste Phase des Lebens~ und es erscheint ungereimt, da.B der Sinn des Ganzen nur a.n seinem Anfang zu finden sein sollte. Denn D&Ch.
der hergebrachten Anschauung ist doch das Leben als ein Entwiokbmgs
prozeß aufzufassen, dessen Sinn sieh immer weiter entfaltet, also gegen
das Ende a.m deutlichsten offenba.r sein sollte. Was ist überhaupt Jugend ! Nach der überkommenen Ansicht bedeutet sie die Zeit der
Unreife, in welcher Geist und Körper wachsen, um später ihrer Bestimmung gewachsen zu sein; die Zeit des Lernens, in der alle Fähigkeiten sich üben, um für die Arbeit gerüstet zu sein; ja selber das Spiel
der Jugend erscheint von hier aus nur aJs eine Vorbereitung auf den Ernst des Lebens. ·So wird es fast ~ts a.ngesehen, und unter diesem Gesichtspunkt wird fast die gesamte Erziehung geleiUt: sie bedeutet
Hera.n.bildung ~ Erwachsensein. Die Jugend erscheint so nur als Mittel für die späteren Lebenszwecke, als notwendige Lehrzeit, für sich
selber hätte sie keinen Sinn. Diese Ansicht ist der Erkenntnis, die wir gewannen, gerade entgegen
gesetzt. Selten hat ma.n bemerkt, wie pa.radox es doch ist, da.ß die Zeit der Vorbereitung als der süßeste Teil des Daseins erscheint, die Zeit der
Erfüllung dagegen als der mühseligste. Zuweilen aber ha.t m&n es doch
343
MORITZ SCHLICK
gesehen. Es ist vor allem Rousseau, vielleicht vor ihm Montaigne,
der den Eigenwert der Jugend entdeckt hat. Er wa.rnt die Erzieher, da.a Jugendalter des Zöglings zu einem bloßen Mittel zu erniedrigen und sein
frühes Glück späterer Tüchtigkeit zu opfern; sondern es gelte, die
Jugendtage auch um ihrer selbst will~n mit Freude zu erfüllen. In der
Gegenwart hat dieser Gedanke begonnen, sieh ein wenig Ba.hn zu brechen.
Es ist ein leitender Gedanke der modernen Jugendbewegung, da.ß ein
junges Dasein seinen Wert nicht erst aus der Zukunft zu empfangen
braucht, sondern in sich selber trägt. In der Tat, Jugend ist nicht bloß
die Zeit des ·wa.ehsens, des Lernens, des Reifens, des Noch-nicht-fertig
seins, sondern zuerst die Zeit des Spiels, des Selbstzwecks im Handeln,
und folglieh ein wahrer Träger des Lebenssiones. Wer dies leugnet, wer
sie nur als Einleitung und Vorspiel zum wa.hren Leben ansieht, der be
geht denselben Fehler, der die mittelalterliehe Auffassung des Menschen
daseins verdüsterte: er versehiebt den Schwerpunkt des Lebens nach
vorwärts, in die Zukunft. Wie die meisten Religionen, mit dem Erden
leben unzufrieden, geneigt sind, den Sinn des Daseins a.u.s ihm heraus in
ein Jenseits zu verlegen, so neigt der Mensch überh.a.upt dazu, jeden Zu
stand, da. ja. wohl keiner ga.nz vollkommen ist, immer nur als Vorbe
reitung a.u1 einen vollkommeneren zu betrachten.
Für den modernen Menschen ist wenig Zweifel, daß des Lebens Wert
und Ziel entweder ganz und gar diesseitig sein muß, oder überha.upt nichi
zu finden ist. Und wenn der Mensch tausend a.ufe:in&nderfolgende Leben
durchliefe, ~ die Seelenwanderungslehren beha.upteten, so würde diea das heutige Denken nicht davon entbinden, in jeder einzelnen dieser
Daseinsstufen ihren eigenen, besonderen Sinn zu suchen, una.bhä.ngig
von dem, was voraufging oder folgt. Der gegenwärtige Mensch hätte
kein Recht, andere, metaphysische Welten, wenn sie existierten, als die
vornehmeren, sinnvolleren a.nzusehe~ und neben jenen das Diesseits un
da.nk:ba.r zu vera.ehten. Den Sinn des Lebens, das er kennt, kann er a.llein in diesem Leben suchen, wie er es kennt.
Aber innerhalb des Lebens begeht er nun denselben Fehler wie früher
bei dem Gedanken a.n seine metaphysische Fortsetzung: aus der un
fertigen Jugend rückt er den Wert des Lebens in das reife Alter; im
344
VOM SINN DES LEBENS
Mannesalter sieht er, da.ß er immer noch nicht fertig ist, daß sein Wesen
und seine Werke nicht vollendet sind, und so rückt er den Sinn des
Lebens noch weiter hinaus und erwartet ihn von der Ruhe und Abge
kli.rtheit des Greisenalters. Aber wenn er diesen Frieden wirklieh er
reicht, gerade da.nn verlegt er den Sinn des Daseins wieder zurück in die
Zeit des Handeins und Strebens, und die ist dann vorbei und unwieder
bringlich. Und das Ergebnis ist schließlich, da.ß der Mensch sein ganzes
Leben dem Fluch der Zwecke verfällt. Es ist da.s unablässige Suchen
in der Zukunft und Sorgen für die Zukunft, das wirft seine Schatten
a.uf jede Gegenwart und verdüstert ihre Freude.
Hat aber das Leben einen Sinn, so muß er in der Gegenwart liegen,
denn sie allein ist wirklich. Es ist aber ga.r kein Grund, warum in der
spi.teren Gegenwart, im mittleren oder letzten Abschnitt des Lebens
mehr Sinn liegen sollte aJs in einer früheren Gegenwart, als im ersten
Abschnitt, der Jugend heißt. Und nun besinnen wir uns, was tJugendc
in diesem Zusammenbange eigentlich für uns bedeuten muß. Ihr wahres
Wesen fanden wir nicht darin, da.ß sie Vorspiel und erste Phase des
Lebens ist, sondern vielmehr da.rin, daß sie die Zeit ·der Spiele ist, die
Zeit des Tätigseins aus Lust a.m Tun. Und wir hatten uns klar gemacht,
da.ß alles Tun, auch das schöpferische Handeln des Erwachsenen, in
seiner vollkommenen Form denselben Cha.ra.kter annehmen ka.nn und muß: es wird zum Spiel, zum selbstgenugsa.men Tun, dem sein Wert
unabhängig vom Zweck zukommt.
Daraus folgt aber, da.ß Jugend in unserem philosophischen Sinne durcha.us nicht auf die frühen Stadien des Lebens beschränkt sein muß,
sondem sie ist übera.ll, wo der Zustand des Menschen einen Gipfel er
reicht ha.t, wo sein Handeln zum Spiel geworden, wo er ga.nz dem .Augen
blick und der Sache hingegeben ist. Wir sprechen da von jugendlicher
Begeisterung, und das ist der richtige .Ausdruck: Begeisterung ist immer
jugendlich. Die Wärme, die uns für eine Saclle, eine Tat, einen Menschen
erglühen macht, und die Wärme der Jugend, sie sind ein und dasselbe
Feuer. Ein Mensch, der in seinem Tun fühlend aufgeht, ist Jüngling,
ist Kind. Die große Bestätigung dafür ist das Genie: es ist stets voller
Kindlichkeit. Jede wahre Größe ist voll tiefer Unschuld. Das Scha.ffen
345
MORITZ SCHLICK
des Genies ist das Spiel eines Kindes, seine Freude a.n der Welt ist die Lust des Kindes a.n bunten Dingen. Ha.t doch der alte Hera.klit den schaffenden Weltgeist selber einem spielenden Kinde verglichen, das
aus Steinehen und Klötzen Ba.uten aufführt und wieder einreißt. Daa Wort Jugend bedeutet aJso für uns nicht äußerlich einen bestimmten
Lebensa.bschnitt, nicht eine gewisse Spa.nne von Jahren, sondern einen Zustand, eine .Art der Lebensbetätigung, die grundsitzlieh mit den
Jahren und ihrer Zahl nichts zu tun ha.t.
Jetzt wird man es nicht mehr mißverstehen können, wenn ich als Kern dessen, was es n:i.ich zu sagen dringt, den Sa.tz ausspreche: Der Sinn tles Lebens ist die ] ugend.
Je mehr Jugend in einem Dasein verwirklicht wird, desto wertvoller
ist es, und wer jung stirbt, wie la.nge er a.ueh gelebt haben möge, dessen
Leben hs.t Sinn gehabt. In dem Begriff der Jugend, so gefa.ßt, steckt
unendlich viel, unendlich vielläßt sich da.ra.us schöpfen. Alle w~ des
Daseins lassen sich zu ihm in Beziehung setzen. In meinen Mußestunden
bin ich mit der Ausarbeitung einer •Philosophie der Jugend« besehä.ftigt,
welche zeigen soll, wie geradezu jede Vollkommenheit a.uf &llen Gebieten des Menschendaseins, und vielleicht nicht nur dort, sieh mit dem
Begriff der Jugendlichkeit decken läßt.
Früher pflegte ma.n die menschlichen Werte um drei große Zentren
zu gruppieren: daa Schöne, das Gute, das W a.hre. Ihnen ließ ma.n die drei Fä.hlgkeiten des Fühlens, Wollens und Denkens, und die drei Kultur
gebiete der Kunst, der Gesellscha.ft und der Forschung entsprechen. In &llen diesen Dreiheiten kann der Zusa.mmenhang mit dem Jugendwert
leicht aufgezeigt werden, indem da.rgeta.n wird, wie die Ausübung jener
verschiedenen Fähigkeiten a.u.f ihrer höchsten Stufe zum Spiel wird. In der Tat: in der reinen Hingabe an das Fühlen um seiner selbst willen
finden wir das Schone und die ~unst; durch das Aufgehen im Denken um seiner selbst willen entstehen Erkenntnis und Wissenschaft; und
was das Gute betrifft, so lä.ßt es sich a.uf eine gewisse Ha.rmonie der
menschlichen Triebe zurückführen, vermöge welcher a.uch das Wollen.
zu einem freudigen Spiel wird ohne unlustvolle Kämpfe und Hem
mungen durch drohende Zweckgebote und -verbote.
M6
VOM SINN DES LEBENS
Daa Schone und die Lehre vom SchOnen sind einer Betrachtuu.g von dem gewonnenen GesichtspDDkt . aus schon von Natur weit geOffnet.
Denn ma.n braucht das Wort tJugendc nur auszusprechen, und der Gedanke •SchOnheitc steigt ganz von selbst auf. Und forscht ma.n nach
dem Bindeglied, das beide miteinander verknüpft, so stößt man achließlieh a.uf den Begriff des Spielh&ften, aJs des Ra.rmonischen, in sich Geschlossenen, dem jeder äußere Zweck fern ist; und die alte Frage der
Beziehungen des Zweckmäßigen zum SchOnen konnte von hier aus eine einfache Lösung finden. Ein Gegenstand ka.nn nicht sohon erscheinen,
ohne &US den Zweckznsa.mmenbä.ngen mit den Notwendigkeiten des Lebens herausgelöst zu sein. Die Bedingungen, un~r denen eine solche
Herauslosung in der Wirklichkeit stattfindet, sind Gesetze der N aJ.tW
schonheit; die Kunst a.ber besitzt Mittel, um fetZen Gegensta.nd in dieser
Weise zu befreien, deshalb gibt es nichts, was sie nicht durch ihre Da.rstellung schön machen könnte.- Da.ß das Kur:JJiGschaften vom Spielbegriff her verstanden werden muß, war uns längst kla.r geworden; es gilt a.ber na.türlich auch vom Kunstgenu.ß, und es gilt vor allem von der ~ deutung des Schönen für das menschliehe Dasein. SchOnheit gehört so
sehr zum Sinn des Lebens, da.B er ohne sie einfach in Unsinn verkehrt
würde. Denn das Schöne, die Harmonie der Linien und Fa.rben, der Klinge, der Seelenregungen ist reinste Erscheinungsform des Spieles,
des Kennzeichens der Jugend. Je ·jugendlicher die Kunst und das Kunst
werk, um so größer ihre Vollkommenheit; je. ältlicher, pedAntischer,
desto häßlicher und sinnloser wird sie.
Aber höchste Schönheit ka.nn nie im Kunstwerk liegen, solange es
als ein künstliches der Natur und dem Leben gegenü}?ersteht. Denn der GenuB des Kunstschönen ist . ein Spiel aus zweiter Ha.nd, durch Ver·
mittlung eines Werkes als eines küllstlichen Spielzeuges. Die Schönheit ka.nn aber in das Leben selber eindringen, ohne eiJle,r V ermittelung zu bedürfen. Wenn die schöne Form vom Kunstwerk a.uf das Leben überfließt, dann ist· die höhere Stufe der Schönheit erreicht, und die Kunst
der Kunstwerke, die eine Abwendung vom Leben, oder (wie Nietzache
sie nennt) ein bloßes Anhängsel des Lebens bedeutet, sie wird entbehr
lich. Man ha.t mit Recht gesagt (Wyneken): Jin einer vollkommenen
84:7
MORITZ SCHLICK
Welt gi.be es keine KUDSt«. Und wirklich ist UDSere Kunst recht betrachtet nur Sehnsucht nach Natur, nach einer besseren Ne.tur, und sie
könnte durch ein schönheitserfülltes Leben gestillt werden. Keiner ha.t
diese Wa.hrheit mit größerem Feuer verkündet als der glä.nzende und
fruchtba.re Philosoph Guye.u, der 1888 im Alter von 33 Jahren sta.rb.
Fiir ihn ist es nur eine unwillkommene und ganz unwesentliche Beschrinkung der KUDSt, Erholung vom DaseiDskampf zu sein und Ab
.gla.nz dessen, was uns im wirklichen Leben bewegt. Es ist vielmehr
gerade die ewige Betrübnis des Künstlers, da.B er nicht mit der ganzen
Fülle des Lebens eins werden ka.nn, daß er nicht alles erlebt, was er da.rstellt, sondern sich ins Anschauen und Bilden versenken muß. Das Ziel
wä.re, die Schönheit ga.nz ins handelnde Leben aufzunehmen; dann wäre
es jenes Restes zweckstrebiger .Arbeit entkleidet, ohne den in unserer
Wirklichkeit kein Kunstwerk entsteht . • • da.nn hätte die Schönheit
ihren vollen Anteil am Sinn des Lebens gewonnen, unser Dasein würde
in unbeschreiblicher Jugendfrische strahlen.
Daß Jugendlichkeit des Lebens es an Sinn bereichert, indem sie es
mit Schönheit füllt, wird gern zugestanden werden; a.ber wenn ich be
ha.uptete, da.ß sie es a.uch mit Güte füllt, da..6 da.s Ethos, die Sittlichkeit
des Lebens mit Jugend und Spiel nicht weniger innig zusa.mmenhi.nge,
so wird es schwerer sein, Gla.uben zu finden. Und doch ist dieser Punkt
der wichtigste von allen. Denn das Ethische ist doch der wahre Kern
des Lebens, und hier muß sein tiefster Sinn zu suchen sein. Es ist a.ber die a.llgemeine Ansicht, da.ß die Jugend eigentlich jenseits von Gut
und Böse stehe, da.ß · die Moral erst mit der Verantwortlichkeit und
die Verantwortlichkeit erst mit dem Ernst beginne, welcher der
Jugend fremd· und gerade da.s Gegenteil von Spiel sei. Der Begriff der Pjlieht, den so viele Philosophen in den ·Mittelpunkt ihrer Ethik
stellen, setzt den Begriff des Zweckes vora.us; den Geboten der Pflicht
gehorchen, heißt nichts a.nderes als unter der Herrscha.ft der Zwecke
stehen. Sollte es nicht wahr sein, was so treffliche und weiSe Men
schen gelehrt ha.ben: da.ß der Sinn des Lebens in der Erfüllung unse
rer Pflicht gefunden werden müsse t Es ist nicht leicht, . den schein~ bar so gewaltigen Gegensa,tz der Ansehau~n· zu versöhnen und~
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VOM SINN DES LEBENS
unterscheiden, was in jener Morallehre ·der Pßicht Weisheit und was Vorurteil ist.
Erinnern wir uns an Schillers Wort, da.8 der Satz vom Spiel als dem wa.hren Beruf des MeDSChen seine tiefste Bedeutung erhalten werde,
wenn ma.n ihn a.u1 den Ernst der Pflicht und des Schicksals a.nwende.
Wu heißt das~ Schiller wa.r es, der sich gegen die Lehre Ka.nts erhob,
nach der beka.nntlich das Moralische ha.uptsichlich dort zu finden sei,
wo der Mensch mit Selbstüberwindung ha.ndle. Denn für Ka.n t ist ein
Handeln nur dann sittlich, wenn es aus der Achtung vor dem Pflicht
gesetz als alleinigem Motiv entspringt; und da. im wirklichen Menschen
stets entgegenstehende Neigungen vorhanden sind, so bedeutet mora
lisches Handeln Kampf gegen die eigene Neigung, es bedeutet mühe
volle Arbeit. Schiller h&tte ganz und ga.r recht, denn diese Bestimmung des Guten entfernt sich himmelweit von dem Sinne, den sonst
jeder unbefangen mit dem Wort zu verbinden pflegte. Nicht den Men
schen nennt man den besten, der sich una.ufhörlieh gegen die eigenen
Triebe wehren muß, mit den eigenen Wünschen immerfort im Kampfe
liegt, sondern vielmehr den, dessen Neigungen von vornherein freundlich und gütig sind, so da.ß er gar nicht erst in Zweifel und Wl.derstreit
mit sieh selbst gerät. Der Kämpfer und Sieger über sich selbst ist viel
leicht der Typus des großen Menschen, a.ber nicht des guten. Ein Wesen,
dessen reines Wollen a.us seinen na.türliehen .Anlagen flie.Bt ohne Nach
sinnen, ohne Bedenken, ohne Schwa.n.ken, ein solches nennen wir unschul·
dig, und Unschuld ist immer der Zustand der größten sittlichen Vollkom
menheit. Diese Unschuld ist also beileibe nicht eine Art von Unwissenheit,
sondern eine Art von Freiheit. Sie gehört una.blöslich zur Jugend. Tiefste
Weisheit liegt in der biblischen Mahnung: •So ihr nicht werdet wie die Kinder ... !c Wo es keiner Anstrengung bedarf, wo der M.ensch ohne Ban
gen und Schwa.n.ken frisch vom Herzen das seinem Wesen Angemessene tut, da. ist er eben jung, wie viele Ja.bre er a.uch zä.hle; da. ist sein Wollen
ein freies Spiel, a.n dem er Freude ha.t um seiner selbst willen, ohne Hinblick a.uf ferne Ziele, ohne AufbliÖk zu hohen Pflichten. Er handelt a.us
Lust a.n der guten Ta.t, er ist von selber gut, sofern er jugendlich ist.
Aber sofem es ihn Mühe und Anstrengung kosret, ist seine Seele alt.
849
MORITZ SCHLICK
Wie lange wird es D.oeh dauern, bis das große mora.lische Vo~il
a.usgerottet ist, daß Ernst und Pflicht notwendig zum Begriff des Sittlichen gehören, und die Ethik der Pflicht durch eine natürliche Ethik
der Güte überwunden wird! In der ga.ngba.ren Moral ist das Sittliche
v6rzerrt, a.ngekrinkelt vom Alter, mit Bedenklichkeiten verbrämt, durch
ingstliche Verbote von allen Seiten eingeengt, der Na.tiirlichkeit beraubt
und zu einer ernsten Sache gemacht, mit der sich jeder Philister wichtig
tut. Aber die wahre Tugend ist heiter, sie entsteht nicht a.us dem Druck
der Gebote und Zwecke, sondern entfaltet sich frei a.us dem Wollen.
Kindliche Reinheit ist schöner und vollkommener als heldenha.fte Entsagung. Jea.n Pa.ul sa.gte: •Wie über dem höchsten Gebirge noch hoch
der -Adler schwebt, so iiber der schwer ersteigbaren Pflicht die rechte Liebe«. Aber Liebe und Jugend sind ebenso verschwistert wie Jugend
und Schönheit~
·So lißt sich ethische Vollkommenheit a.uf Jugendlichkeit zurück
führen. Wie nach Emerson das Alter die einzige wirkliche Kra.nkheit ist, so ist es a.uch die Quelle alle.r moralischen 'Obel, wenn ma.n nur, in philosophischer Besillnung, unter .Alter nichts anderes versteht als die
Unterjochung unter die Last der Zwecke. Aus dem Grübeln über die Zwecke des Ha.ndelns entspringt das Böse in der sittlichen Welt; der
Eintritt der Zielstrebigkeit in das Leben und die Verwicklung in dies Netz der Zwecke -bedeutet den Verlust der Unschuld, den wa.hren Sünden
fall. Es ist ein Scha.uspiel von tiefer Tragik, wie die Frische des jugend
lichen Lebens durch das Eindringen . der Zwecke immer mehr angekränkelt wird, wie dadurch seine Beziehung zur menschlichen Umgebung
immer mebr den Cha.ra.k:ter des Spieles einbü.8t und Schuld möglich
wird. Das kindliche Ich, das sich seiner Grenze gegen die Umwelt zu
Dächst Dicht deutlich bewußt ist, wird aUmä.blich von einer Schranke umgeben, jenseits deren die Welt ihm feindlich gegenübersteht. Ich
kenne kein erschüttemd.eres Gefühl. als die Erkenntnis des allgemeinen
tEgoismust,. des· rücksichtslosen Zielstrebens des erwachsenen Menschen, die. gewöhnlich aufzudä.mmern pflegt, wenn eine jtmge Seele ihre Lehr
jahre durchla.ufen ha.t. Je glücklicher einer vera.nla.st ist, desto spa.ter
kommt ihm diese Erkenntnis, welche im Verkehr mit den Menschen das
800
VOM SINN DES LEBENS
instinktmi.Bige, spielha.fte Handeln hemmt und es zu einer mühseligen .Arbeit mit aJl ihren WechselfiJlen und EntWJscbnngen macht. Wer a.ber die Fähigkeit zu ewiger Jugend besitzt, wen die Jahre Dicht alt. machen können, der bleibt a.uch der heiteren, hochsten Tagend fibig,. der schenkenden Tugend, die daa Gn~ lacllend tut und ihre G&ben verschenkt·, statt sie für das Bewußtsein erfüllter Pflicht zu verkaufen.
Zum hohen Ethos, zur obersren Stufe des sittlichen Lebens gehört Stä.rke und Tiefe des Fühlens. Und auch sie sind in der Jugendfrische am größten; La.uheit und Abgestumpftheit sind sichere Zeichen des Alters der Seele. Ta.tsäcblich ist da.s J ugenda.lter die Zeit der tiefsten
Gefühle, die Zeit, in der große Eind.röcke am stirbtat auf das .Gem:at
wirken und jeder zum Dichter wird. Man unterschä.tzt dies meist, weil die Gefühle in dieser Zeit trotz ihrer Tiefe auch leichter wechseln und verfliegen; wer a.ber in die spä.teren Jahre, in denen die Gefühle nach·
ha.ltiger und dauernder zu sein pflegen, die Stärke der jugendliehen
Empfindungen hinüberrettet, dem wird a.ueh der ethische· Wert deß
Lebens zum letzten Glücke vertieft. Und er erlebt, daß er auch hier den höchsten Sinn dea Daseins nur erreicht, wenn er seinem Wesen die Jugend bewahrt.
Man ka.nn den Sa,tz von der Jugend als dem echten Sinn des Daseins noch von weiteren, fast möchte ich sagen metaphysischen, Gesichtsptmkten betrachten. Wohin wir in der Welt blicken, finden wir alles in
Entwicklung begriffen, d. h. in einem Prozeß, der naßheinander cha.r&kteristisch unterschiedene Phasen durchlä.uft. Die lebenden Wesen -Pflanren und Tiere-, aher auch tote Dinge- Sternensysteme und
Atome - entwickeln sich und· maeben verschiedene Stadien durch, die ma.n wohl als Phasen der Jugend und deB Alters bezeichnen könnte. Eine Pflanze wichst und wird zum Ba.ume, der Baum blüht und trigt Frucht, aliS der Frucht wird ein neuer Ba.um, der bl~t :und Früch~ trägt- wo liegt der Sinn in diesem Kreislauf! Der Gärtner, der den Baum anfzieht, wird sagen: der ·Sinn liegt in der Frucht, denn um ~
willen pflege ich den Ba.um, und die Blüte ist nur um der Frucht willen
da.. Aber das ist .nur sein Standpunkt. Der Dichter, nicht weniger kompetent, :wird den Sinn eher in der Blüte suchen, die sich duftend
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MORITZ SCHLICK
und prangend entfaltet. Und wer den hOchaten Sinn des Daeeina in der Jugend findet, wird geneigt sein, dem Dichter beizustimmen und cüe Früchte so zu betrachten, als wären sie nur dazu· da, daß neue Biume
aus ihnen erwachsen, die da.nn wieder blühen und sich mit neuer Schön
heitsfülle bekleiden. In der Ta.t trägt die Blüte in sich selber ihren Wert,
der auch dann erfüllt ist, weDn die Früchte etwa. zugrunde gehen sollten. Aber für den Philosophen sind auch die Früchte Selbstzweck, a.uch sie ha.ben ihre eigene Schönheit, ihre eigene Jugend, und im Leben einer
Pfla.nze sind die verschiedenen Phasen sinnvoll für sich.
Man ha.t oft geleugnet, da.ß in einem Kreislauf selber schon irgendein
Sinn gefunden werden könne: sondem er komme erst dadurch hinein,
da.ß die a.ufeina.n.derfolgenden Entwicklungen von der Blüte zur Frucht
in Wahrheit· gar nicht eina.nder gleich seien, da.ß vielmehr die Früchte jeder folgenden Generation vermöge des Entwicklungsgesetzes schöner
und vollkommener seien als die der vorhergehenden. Dem einzelnen
Dasein des Individuums komme eben ein Sinn nur insofern zu, als es
beitrage zur Höherentwicklung des ~hleehts. Auch der Geschichtsphilosophie ha.t ma.n meist diesen Geda-nken, na.türlich. immer mit völligem
M:i.Berfolg, zugnmde gelegt. Scheint es aber nicht auch ein Geda.nke N ietzsches gewesen zu sein, fand .er nicht auch den Sinn des mensch
lichen Daseins darin, da.ß es etwas über sich selbst hinausschaffe, da.ß es
den 'Obermenschen hervorbringe, also ein höheres Wesen, als der Mensch selber ist t Müßte ma.n die· Lehre so auffassen, so enthielte sie einen
Widerspruch gegen Nietzsches oben geschilderte Erkenntnis, und _es wä.re o~enbar gerade jener alte Fehler bega.ngen, daß der Sinn des Daseins aus ihm selbst in die Zukunft hinausverlegt wä.re. Wir kämen zu
keinem echten Sinn, denn die Frage erhöbe sieh unerbittlich immer
wieder von neuem. Denn worin läge nun der Sinn des Lebens des 'Obermenschen ' ·Müßte er nicht in einem 'Ober-übermenschen ge
sucht werden, und so fort ' Nein, es ist ein schweres, wenn auch
hä.ufiges Mißverständnis des Gedankens der Entwicklung, wenn ma.n ihren Sinn bloß am. Ende, im Ziele, sucht. Er muß vielmehr im Prozeß des Sichentwickelns selber liegen, in dem V orga.ng, im Geschehen, in der Tätigkeit selber; die Entwicklung führt nicht zu einem letzten
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VOM SINN DES LEBENS
Ziele hin, sondern sie iat selbst Ziel So gelangen · wir .zu UDSerem
Hauptsa,tq.e zurück. In der Entwicklung der Lebewesen scheint bei oberflicbHohem Zu
sehen allerdings die erste· Lebenszeit, die Jugend im biologischen Süme, nur Vorbereitung für die spi.~ren Jahre zu sein, nur Hittel für deren Zwecke. Aber zweifellos geht es hier wie in ihnHeben Fillen: was anfänglich bloßes Mittel wa.r, entwickelt sich zum Selbstzweck, indem sein Eigenwert entdeckt wird. Die Natur findet Gefallen a.n. ihrem eigenen Spiele tmd sucht es nun zu verlAngem und hinzuziehen, und es entfaltet sich jetzt um seiner selbst willen. So wird das Wort zum Vers fortgebildet, das Sprechen zum Singen, das Gehen zum Ta.nzent die
Jugend im biologischen zur Jugend im philosophischen Sinne. Und je höher wir im Tierreich aufwärts steigen, über einen desto größeren Teil des Lebens dehnt sich die Jugend a.us. Auch vom Menschen gilt im allgemeinen, da.B der Knabe um so spä.ter zum Manne wird, das
Mädchen um so ~r zur F.ra.u, je hoher die Entwicklungsstufe der Rasse ist.
Unsere ga.nze Kultur wird a.uf eine VerjiinguDg des Menschen eingestellt sein müssen, VerjiinguDg in dem philosophischen Sinne, da.ß aJl
unser Tun immer mehr von der Herrseha.ft der Zwecke befreit werde, da.8 auch die lebensnotwendigen 1landhmgen zu Spielen werden. Bei ma.nehen Wesen geschieht das a.uf dem Umwege, da.ß die Jugend im rein biologischen Sinne sich zuerst über das ga.nze Leben ausbreitet,
so daß es zu einem großen Aufstiege wird, der mit dem Tode a.bsohlie.ßt, während der Abstieg des Alters aJs eine sinnleere, hemmende Einrichtung wegfä.llt. So bei jenen wunderbaren Pfla.nzen, die nur einmal
blühen und da.nn sterben, oder bei den Bienen, deren Männchen den
Liebesakt mit dem Tode büßen. Vielleicht kann es beim Menschen a.uf einem unmittelbareren Wege erreicht werden:, indem eine hellere Kultursonne das dUD.kle Zweckgewölke zerstreut und das im Menschen übera.ll in starker Alllage vorhandene Spielha.fte und Jugendliche in der Tageshelle sieh entfaltet.
Alle Erziehung sollte dafür sorgen, da.ß nichts Kindliches im Menschen während des Reifens verloren geht, da.ß die Trenntmg zwischen
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MORITZ SCHLICK: VOM SINN DES LEBENS
der Unmündigkeit und dem Erwachsenenatande mehr und mehr sich verwischt, so da.ß der Ma.nn bis in die spätesten Ja.hre.ein Kna.be bleibt und die Frau ein Midehen, trotz aller Kutterscha.ft. Brauchen wir eine Lebensregel, so sei es diese: tBewahre den Geist der Jugendtc Denn er ist der Sinn des Lebens.
SM
EIGENTLICHE UND UNEIGENTLICHE BEGRIFFE
Von
RUDOLF C.ARNAP
I. Die eigentlichen Begriffe
Ein Begriff ist (in Kan tisclier Ausdrucksweise): ein Prädikat mög
licher Urteile, oder (in der Ausdrucksweise der Logistik): eine Aussage
funktion. Das Wesentliche des Begriffes ist, daß er von bestimmten
Gegenständen gilt, von anderen GegenstäDden nicht gilt. Ein Drittes ist ausgeschlossen. (Ausnahmen hiervon werden wir nachher bei den
uneigentlichen Begriffen finden.) Die Frage, ob ein bestimmter Gegen
stand {bzw. mehrere Gegenstände bei Beziehn,ngsbegrifien) unter den
Begriff fa.lle oder nicht, ist also simlvoll und eindeutig; ob. wir auch
pra.ktisch die Möglichkeit haben, diese Frage zur Entscheidung zu brin
gen, ist da.für gleichgültig.
Die Begriffe irgendeines Gebietes, etwa der Geometrie oder der
Wirtscha.ftswissenscha.ft, lassen sich so ordnen, da..ß gewisse Begriffe
undefiniert an den Anfang gestellt und die übrigen Begriffe mit Hilfe
dieser -.Grundbegriffe« definiert werden. So kann man etwa in der Rechts
wisseDSChaft Begriffe wie Sache, Person, Wille, Ha.ndlung und dergl. als Grundbegriffe aufstellen, mit deren Hilfe dann alle weiteren Begriffe
des Gebietes entweder unmittelbar oder mit Hilfe von Zwischenstufen
abgeleitet werden können. Eine solche Ableitung geschieht durch eine
Symposion, Heft 4. 365
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