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Studienarbeit Abteilung Neuropsychologie
WS 2006 / 2007
Sind Versuche am Tier noch zeitgemäss?
Betreuer: Dr. Valentine Marcar Verfasst durch: Christina Blank
Februar 2007
EKTV & EKAH (o. J.)
Christina Blank Sind Versuche am Tier noch zeitgemäss? Universität Zürich Wintersemester 06/07
- 1 -
Inhaltsverzeichnis
Einleitung........................................................................................................................- 2 -
Historisches.....................................................................................................................- 3 -
Was versteht man heute unter Tierversuchen? ...............................................................- 4 -
Verschiedene Arten von Tierversuchen..........................................................................- 5 -
Grundlagenforschung..................................................................................................- 5 -
Verhaltensforschung ...................................................................................................- 6 -
Ausbildung..................................................................................................................- 6 -
Transplantationsmedizin .............................................................................................- 7 -
Stammzellenforschung................................................................................................- 8 -
Genomforschung.........................................................................................................- 8 -
Tierversuche in der Schweiz...........................................................................................- 9 -
Gesetzliche Grundlagen ..............................................................................................- 9 -
Schweregrade............................................................................................................- 10 -
Tierversuche an der Universität Zürich ....................................................................- 11 -
Statistik über Tierversuche in der Schweiz 2005......................................................- 12 -
Sind Resultate aus Tierversuchen auf den Menschen übertragbar?..............................- 15 -
Philosophische Standpunkte .........................................................................................- 18 -
Das „3R-Modell¨...........................................................................................................- 19 -
Alternativen zu Tierversuchen......................................................................................- 21 -
In vitro Verfahren und Gewebekulturen ...................................................................- 21 -
„Niedere Organismen“..............................................................................................- 22 -
Computersimulationen..............................................................................................- 22 -
Audiovisuelle Hilfsmittel..........................................................................................- 23 -
Mathematische Modelle............................................................................................- 23 -
Radioimmunoassays .................................................................................................- 23 -
Diskussion.....................................................................................................................- 24 -
Literaturverzeichnis ......................................................................................................- 27 -
Christina Blank Sind Versuche am Tier noch zeitgemäss? Universität Zürich Wintersemester 06/07
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Einleitung
Das Thema „Tierversuch“ ist in den Medien oft präsent. Im November 2006, so die
Abendzeitung „heute“ (2007), wurden an der Universität und ETH Zürich zwei
Tierversuche an Makkaken aufgrund von Rekursen gestoppt.
Die Interessen von Tierschützern und Forschern prallen oft aufeinander. Während Erstere
dazu neigen, Versuchen am Tier jegliche Nutzen abzusprechen, versuchen Letztere, das
Experimentieren und Töten von Tieren zu rechtfertigen. So schreibt beispielsweise
Morrison (o. J., zitiert nach Herzog, 1993):
„Because I do experimental surgery, I go through a soul-searching every couple of months, asking
myself whether I really want to continue working on cats. The answer is always yes, because I
know that there is no other way for medicine to progress but through animal experimentation and
that basic research ultimately leads to unforeseen benefits.”
Die Frage, ob Resultate aus Tierversuchen überhaupt auf den Menschen übertragbar sind,
wird auch heute noch kontrovers diskutiert. Doch so gross die Differenzen zwischen
Tierschützern und Experimentatoren sein mögen, so sind sie sich doch in einem Punkt
einig: Werden Tierversuche durchgeführt, so sollten die Tiere so wenig wie möglich
darunter leiden. Die Entwicklung des „3R-Modells“ durch Russel und Burch (1957) hat
dabei einen grossen Teil zur Verbesserung der Lebensumstände von Labortieren
beigetragen.
Im Verlaufe der Zeit haben sich die Untersuchungsmethoden in der tierexperimentellen
Forschung stark verändert, wobei sicherlich auch die verschiedenen philosophischen
Denkrichtungen eine Rolle spielten.
In meiner Semesterarbeit möchte ich klären, was wir denn überhaupt unter dem Begriff
Tierversuch verstehen. Des weiteren gehe ich darauf ein, was für Experimente
durchgeführt werden und wie das Ganze in der Schweiz, speziell auch an der Universität
Zürich, gehandhabt wird. Ausserdem suche ich nach Alternativmethoden, die Versuche
am Tier überflüssig machen könnten.
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Historisches
Die Geschichte von Tierversuchen reicht weit zurück, die Liste der Beteiligten ist sehr
lange. So wird heute vermutet, dass Alkmaion von Kroton bereits im sechsten
Jahrhundert vor Christus die ersten Vivisektionen (Experimente am lebenden Tier) zur
Untersuchung des Nervus opticus vornahm (Oeser, 2002). Auch im Corpus Hippocratum,
welches zwischen dem fünften und dritten Jahrhundert vor Christus erschien, sollen
Tierversuche beschrieben werden (Bayer, 2005). Herophilus und Erasistratos arbeiteten
zwischen dem vierten und dritten Jahrhundert vor Christus zwar auch mit Tieren, doch
insbesondere die Untersuchungen an Verbrechern aus ägyptischen Gefängnissen
verhalfen ihnen, den Ursprung der Nerven im Gehirn zu lokalisieren (Monamy, 2000;
Oeser, 2002).
Lange war in der Physiologie die Viersäftelehre von Hippokrates und Galen
vorherrschend. Diese konnte erst im Jahre 1628 von Harvey (1578 – 1657) widerlegt
werden. Mittels Experimenten an Tieren entdeckte er den Blutkreislauf (Oesner, 2002).
In der Philosophie beschäftigte man sich mit dem Unterschied zwischen Mensch und
Tier. Descartes (1595 – 1650) sah beide Spezies als Maschinen im Dienste von
mechanischen Gesetzen, glaubte jedoch, dass Tiere keine Seele haben. Mit dieser
Aussage lieferte er einen wichtigen Teil zur Rechtfertigung von Vivisektionen (Monamy,
2000; Oeser, 2002).
Willis (1621-1673), gemäss Oeser (2002) der „Vater der Lokalisation“, schrieb Tieren
zwar eine Seele zu, doch hielt ihn dies nicht von Vivisektionen zum Vergleich von Tier-
und Menschenhirnen ab (Oeser, 2002, S. 66). Flourens (1794 – 1867) und Magendie
(1783 – 1855) untersuchten anhand von Läsionsexperimenten die Grosshirnrinde von
Tieren. Gall (1758-1828), Begründer der Phrenologie, wie auch Bell (1774 – 1824),
Entdecker der verschiedenen Funktionen des Rückenmarks, äusserten sich zwar gegen
Tierversuche, doch auch sie kamen für ihre Untersuchungen nicht darum herum (Oeser,
2002, S. 110 – 138).
Ende des 19. Jh. machte die Wissenschaft auf den Gebieten der sterilen Chirurgie, der
Immunologie und Bakteriologie grosse Fortschritte. Der Tuberkulose-Erreger und Insulin
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wurden entdeckt, 1902 konnte das erste Hormon extrahiert werden. Tierversuche wurden
zu dieser Zeit zu Routineverfahren (Monamy, 2000).
Du Bois-Reymond (1818 – 1896) konnte als erster den Nervenstrom nachweisen. Dies
war ein wichtiger Schritt für die Zukunft der Elektrophysiologie. Seine Überlegungen
basierten auf Beobachtungen an Mensch und Tier (Oeser, 2002, S. 170 – 171). 1924
entwickelte der deutsche Neurologe Berger (1873 – 1941) das Elektroenzephalogramm
(EEG), 1979 erhielten Cormack (1924 – 1998) und Hounsfield (1919 – 2004) den
Nobelpreis für die Erfindung der Computertomographie - basierend auf verschiedenen
Tiermodellen (Deutsche Forschungsgemeinschaft, 2004). Diese und weitere Erfindungen,
wie die Magnetresonanztomographie (MRI), Positronenemissionstomographie (PET) und
Single-Photon-Emissionscomputertomographie (SPECT) ermöglichten Untersuchungen
am lebenden (menschlichen) Gehirn, machten Läsionsexperimente überflüssig (Oeser,
2002, S. 258 – 259).
Dennoch werden Tierversuche auch heute noch durchgeführt – die Untersuchung von
HIV oder Gelbfieber, Vortests von Medikamenten oder Kosmetika sind nur einige
Beispiele.
Was versteht man heute unter Tierversuchen?
Gemäss Artikel 12 des schweizerischen Tierschutzgesetzes (TSchG) vom 9. März 1978
(Stand am 2. Mai 2006) werden Tierversuche folgendermassen definiert:
Als Tierversuch gilt jede Massnahme, bei der lebende Tiere verwendet werden mit dem Ziel, eine
wissenschaftliche Annahme zu prüfen, Informationen zu erlangen, einen Stoff zu gewinnen oder
zu prüfen oder die Wirkung einer bestimmten Massnahme am Tier festzustellen sowie das
Verwenden von Tieren zur experimentellen Verhaltensforschung.
Neben den oben genannten Zielen, gehört auch die Untersuchung von „physiologischen
und pathologischen Vorgängen und Zuständen“ (Art. 14c., TSchG, 2006), die „Erhaltung
oder Vermehrung von lebendem Material für medizinische oder andere wissen-
schaftliche Zwecke“ (Art. 14e., TSchG, 2006), sowie die „Lehre an Hochschulen und die
Ausbildung von Fachkräften“ (Art. 14d., TSchG, 2006) zum Gebiet der Tierversuche.
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Verschiedene Arten von Tierversuchen
Grundlagenforschung
Das Ziel der Grundlagenforschung in der Medizin und der Biologie ist der Gewinn von
neuen Erkenntnissen, welche das Fundament für die angewandte Forschung bilden.
Basierend auf den Erkenntnissen der Grundlagenforschung wurden Anfang des 20.
Jahrhunderts die ersten Gewebeverpflanzungen an der Maus vorgenommen (Deutsche
Forschungsgemeinschaft, 2004).
Die Forscher arbeiten meist mit Labortieren, die als Modell für verschiedene
Erkrankungen dienen. So wird beispielsweise anhand von Mäusen die Tumorentwicklung
im lebenden Organismus untersucht, um später neue Therapieansätze zu finden
(Deutsche Forschungsgemeinschaft, 2004).
Auch auf dem Gebiet der Infektionskrankheiten wird mit Tieren gearbeitet, um die
Infektionswege, sowie die körpereigene Abwehr zu entschlüsseln. So können neue
Schutzimpfungen entwickelt werden. 1909 konnte anhand von Experimenten mit Affen,
der Impfstoff gegen den Polio-Virus gefunden werden (Flexner und Lewis, 1909, zitiert
nach Monamy, 2000), heute wird beispielsweise an Behandlungsmethoden und
Impfstoffen gegen AIDS gearbeitet (Deutsche Forschungsgemeinschaft, 2004).
Die Grundlagenforschung ist ein grosser und wichtiger Bestandteil der Bakteriologie,
Virologie, Parasitologie, Immunologie und der Tropenmedizin. Auch die Funktionsweise
des Nervensystems, des Herz-Kreislauf-Systems, sowie die Wirkungsweise von
Hormonen wird anhand von Versuchstieren erforscht. Mittels Genom- und
Stammzellenforschung untersucht man neue Therapiemassnahmen für Parkinson oder
Herzinfarkte (Deutsche Forschungsgemeinschaft, 2004, Monamy, 2000).
Auch in zoologischen Studien wird Grundlagenforschung betrieben. Dabei geht es
insbesondere darum, biologische Prozesse, sowie die Wechselwirkung zwischen
Organismus und Umwelt zu erfassen (Monamy, 2000, S. 58).
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Verhaltensforschung
Die Verhaltensforschung dient laut Monamy (2000) primär dem besseren Verständnis
von psychischen Phänomenen – beispielsweise Depression, Drogenabhängigkeit,
Aggressivität, Lernen und Problemlösen, sowie Reproduktion und elterliche Vorsorge.
Die Untersuchungen finden in einem breiten Belastungsspektrum statt, welches von
ungefährlich bis zur körperlichen und seelischen Schädigung der Tiere reicht (Monamy,
2000).
Ein oft zitiertes Beispiel für die Verhaltensforschung ist das „Drahtmutter-Experiment“
von Harlow (1958). Dabei trennte man junge Rhesus-Affen von ihren Müttern, ersetzte
diese durch zwei Ersatzmütter - eine aus Draht, die andere aus Fell. Obwohl die
Drahtmutter eine Milchflasche hatte, verbrachten die Äffchen die meiste Zeit bei ihrer
Fellmutter, ein paar unter ihnen verliessen sie nicht einmal, wenn sie hungrig waren.
Ausbildung
Tierversuche werden auch zu Ausbildungszwecken verwendet. Dabei geht es meist um
das Erlernen der Techniken für bestimmte Eingriffe oder die Demonstration bereits
bekannter Effekte (Tierschutzbericht, 1997, zitiert nach Ach, 1999). In Schweizer
Gymnasien seziert man oft Frösche, Mäuse oder Fische.
Erforschung diverser Produkte
Bevor ein neues Produkt auf dem Markt zugelassen wird, muss es getestet werden. Dazu
gehören folgende Verfahren (US-Kongress (Office of Technolgy Assessment), 1986,
zitiert nach Monamy, 2000):
• Bei akuten Toxizitätstest wird dem Versuchstier eine einmalige Dosis verabreicht.
Diese ist aber so hoch, dass toxische Effekte eintreten, oder das Tier daran stirbt.
Als Beispiel kann man den LD50-Test nennen, der auch oft in der Kosmetikbranche
verwendet wird. LD50 bedeutet, dass man eine letale Dosis verabreicht, bei der
davon ausgegangen wird, dass 50% der Tiere sterben.
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• Um den Zusammenhang zwischen bestimmten Chemikalien und Fehlgeburten oder
Unfruchtbarkeit zu prüfen, verwendet man so genannte „developmental and
reproduktive toxicity tests“, wobei meist Ratten und Hasen eingesetzt werden.
• Mittels Neurotoxizitätstests werden die toxischen Effekte bestimmter Substanzen
auf das Nervensystem von Säugetieren ermittelt. Dabei beobachtet man die Tiere
und sucht nach koordinativen und motorischen Störungen, Veränderungen des
Verhaltens oder des Lernens.
• Bei den so genannten „repeatet-dose cronic toxicity tests“ verwendet man meist
Ratten, um zu erforschen, welche Effekte auftreten, wenn man die Tiere wiederholt
einer bestimmten Substanz aussetzt. Dabei kann das Zeitintervall zwischen zwei
Wochen und einem Jahr variieren.
• Die biologische Aktivität von organischen Verbindungen wie z.B. Nikotin oder
Glucose wird mittels biologischen Screening Tests ermittelt.
• Unter Karzinogenitätstest versteht man die Verfahren in der Krebsforschung, bei
denen man die Versuchstiere im Verlaufe ihres Lebens wiederholt potentiellen
Karzinogenen aussetzt (z.B. Benzol, Nickel oder HI-Viren).
• Augen- und Haut- Irritationstest werden verwendet, um zu erforschen, ob der
Kontakt mit einem bestimmten Produkt zu Irritationen führt. Als Beispiel kann man
den Draize-Test nennen, wobei jeweils einem Hasen die betreffende Substanz ins
Auge geträufelt wird und ein anderer als Kontrolle dient (Draize, Woodward und
Cavery, 1944, zitiert nach Monamy, 2002).
• Mittels Mutagenitätstests wird geprüft, ob bestimmte Produkte genetische
Mutationen bewirken.
Transplantationsmedizin
Bei der Transplantationsmedizin geht es um die Verbesserung der medizinischen
Versorgung von Patienten, die auf Spenderorgane angewiesen sind. Zudem wird
versucht, die Funktionszeit dieser Organe zu verlängern, ihre Konservierung und die
Transplantations-Chirurgie zu verbessern, so die Autoren der DFG (Deutsche
Forschungsgemeinschaft, 2004).
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Bei der so genannten Xenotransplantation versuchen Forscher, Tierarten zu finden, deren
Organe durch ihre biomedizinische und physiologische Übereinstimmung mit dem
Menschen, für Transplantationen geeignet sind. So könnten die tierischen Organe zur
Überbrückung von medizinischen Notfällen genutzt werden, d.h., wenn kein geeignetes
Spenderorgan vorhanden ist (Deutsche Forschungsgemeinschaft, 2004).
Stammzellenforschung
Das Ziel der Stammzellenforschung ist, die Grundlagen der Zelldifferenzierung zu
entschlüsseln, sowie Möglichkeiten zu finden, sie zu beeinflussen. Dies dient dazu, neue
Therapieansätze für (noch) nicht heilbare Krankheiten zu finden. Erste Erfolge zeigen
sich bereits in der Diabetes-Forschung: Durch die Übertragung von Pankreas-
Stammzellen konnte der TypI Diabetes bei Mäusen beeinflusst werden (Deutsche
Forschungsgemeinschaft Forschung, 2004).
Würde es gelingen, aus menschlichen Stammzellen bestimmte Zellverbände oder gar
ganze Organe für Transplantationen zu züchten, könnte das Risiko für Abstossreaktionen
oder Unverträglichkeit vermindert werden (Deutsche Forschungsgemeinschaft
Forschung, 2004).
Genomforschung
Die Genomforschung dreht sich um die Entschlüsselung der Erbanlagen in lebenden
Organismen, das Ziel ist das Verständnis der Funktion verschiedener Gene (Deutsche
Forschungsgemeinschaft, 2004).
Bei der Mutagenese, so die Autoren der DFG (2004), werden durch die Übertragung von
Genen oder die chemische Behandlung des Erbmaterials, gezielt Veränderungen in der
DNA hervorgerufen. Dies zeigt sich im Phänotyp der nächsten Generation – im
Aussehen, dem Verhalten, der Organfunktion oder dem Blutbild – und ermöglicht
Rückschlüsse auf die genetischen Grundlagen der Veränderungen (Deutsche
Forschungsgemeinschaft, 2004).
In Knock-out Experimenten schaltet man beispielsweise ein bestimmtes Gen aus
(Interpharma, o. J.), bei transgenen Tieren werden gezielt bestimmte Abschnitte auf der
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DNA verändert und Populationen mit definierten Funktionsausfällen gezüchtet. So
konnten beispielsweise Gene identifiziert werden, die bei der Entstehung vom Diabetes
mellitus beteiligt sind. Des weitern existieren bereits transgene Zuchtstämme zur
Untersuchung der genetischen Grundlagen von Krebs, Fettleibigkeit oder Taubheit. Meist
verwendet man Fliegen, Fadenwürmer, Zebrafische, Mäuse oder Ratten (Deutsche
Forschungsgemeinschaft, 2004).
Tierversuche in der Schweiz
Gesetzliche Grundlagen
Seit dem 9. März 1978 werden Tierversuche in der Schweiz durch das Tierschutzgesetz
(TSchG) geregelt. Dabei gilt nach Artikel 1313.1 (Stand 2. Mai 2006):
Tierversuche, die dem Tier Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen, es in schwere
Angst versetzen oder sein Allgemeinbefinden erheblich beeinträchtigen können,
sind auf das unerlässliche Mass zu beschränken.
Was dabei als „unerlässliches Mass“ angesehen wird, bestimmt der Bundesrat (Art.
1313.2, TSchG, 2006). Nur wenn der Erkenntnisgewinn nicht auf andere Weise möglich
ist, dürfen den Versuchstieren Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt werden (Art.
16.1, TSchG, 2006). Erleiden Tiere mehr als „geringfügige Schmerzen“, so müssen sie
betäubt werden – dies gilt jedoch nicht, falls das Ziel des Versuchs dadurch unerreichbar
wird (Art. 16.2, TSchG, 2006). Leidet ein Tier während dem Versuch unter starken
Schmerzen oder schweren Ängsten, so darf es nach dessen Abschluss nicht mehr
eingesetzt werden (Art. 16.4, TSchG, 2006), kann es nur mit Leiden weiterleben, so muss
es schmerzfrei getötet werden (Art. 16.5, TSchG, 2006)
Höher stehende Tiere (z.B. Säugetiere) dürfen nur verwendet werden, wenn das Ziel des
Experiments mit Versuchen an niedriger stehenden Tieren (z.B. Schnecken, Muscheln)
nicht erreichbar ist (Art. 16.3, TSchG, 2006).
Gesuche für Tierexperimente müssen beim Kanton eingereicht werden (Art. 1415, TSchG,
2006). Neben den Bewilligungsbehörden gibt es unabhängige
Tierversuchskommissionen, bestehend aus verschiedenen Fachleuten, sowie Vertretern
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von Tierschutzorganisationen (Art. 1818.2, TSchG, 2006). Neben der Prüfung der
eingehenden Gesuche, sind sie für die Kontrolle der Tierhaltung und der Experimente
zuständig (Art. 1818.3, TSchG, 2006).
Die befristete Bewilligung (13a14, TSchG, 2006) für Tierversuche wird nur an geschulte
Fachkräfte vergeben (Art. 15, TSchG, 2006). Darum muss auch deren Ausbildung
geregelt werden. Tierversuche an Hochschulen und zur Ausbildung von Fachkräften sind
aber nur zulässig, wenn ein Lernziel nicht anders erreicht werden kann (1415.d, TSchG,
2006).
Die Arbeit mit gentechnisch veränderten Tieren ist laut den Autoren der Statistik über
Tierversuche in der Schweiz 2005 (o. J.) durch die Artikel 12, 13a und 60 des
schweizerischen Tierschutzgesetzes geregelt. Dabei ist bisher zwar die „Herstellung“
dieser Tiere bewilligungspflichtig, doch fehlt eine Regelung über die Zucht oder
Kreuzung. Dies soll im neuen Tierschutzgesetz nun berücksichtigt werden.
Über jeden Tierversuch muss ein Protokoll geführt werden, welches den Zweck, die
genaue Durchführung, die Art und Anzahl der Versuchstiere, sowie allfällige
Betäubungen erfasst (Art. 17.1, TSchG, 2006).
Der Bund fördert die internationale Anerkennung von Prüfmethoden, die Tierversuche
ersetzen, weniger Versuchstiere benötigen oder zu geringeren Belastungen führen (Art.
19b21, TSchG, 2006). Die Dokumentationsstelle für Tierversuche und
Alternativmethoden befindet sich unter der Leitung des Bundesamtes für Veterinärwesen
(BVET) (Art. 19a20, TSchG, 2006). Eine Kommission aus Fachleuten, vom Bundesrat
bestellt, berät das BVET, klärt Grundsatzfragen und hilft bei umstrittenen Fällen (Art. 19,
TSchG, 2006).
Schweregrade
Tierversuche werden gemäss den Richtlinien des Bundesamtes für Veterinärwesen in vier
Schweregrade eingeteilt und prospektiv (höchster SG, der angenommen werden kann),
sowie retrospektiv (tatsächlicher SG) eingeschätzt (EKAH & EKTV, o. J.):
• SG0: keine Belastung (z.B. Blutentnahme)
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• SG1: leichte, kurzfristige Belastung (z.B. Schmerzen oder Schäden durch
oberflächliche Operationen oder Dauerkatheter)
• SG2: mittlere Belastung (z.B. Schmerzen, Schäden, schwere Angst oder erhebliche
Beeinträchtigungen des Allgemeinbefindens durch verschiedene Arten der
Deprivation wie Futter- oder Wasserentzug)
• SG3: schwere bis sehr schwere Belastung (z.B. Reizflut-Stressmodelle, bei denen die
Tiere chronischen und häufig wechselnden Stressoren ausgesetzt werden, die nicht in
einem bestimmten Rhythmus auftauchen).
Tierversuche an der Universität Zürich
Im Jahre 2005 fand ein Grossteil der Tierversuche im Kanton Zürich statt – 73'244 Tiere
wurden verwendet. Nur in den Kantonen Baselland und Baselstadt wurden noch mehr
Tiere eingesetzt. 29.6% aller Tierversuche in der Schweiz fanden an Spitälern,
Universitäten oder den „eidgenössisch technischen Hochschulen“ statt (Statistik über
Tierversuche in der Schweiz 2005, o. J.).
Seit August 2005 Arbeitet der Zoologe Hans Sigg als Tierschutzbeauftragter für die
Universität und ETH Zürich. Er ist eine der wichtigsten Anlautstellen für alle Personen,
die an Tierversuchen beteiligt sind – handle es sich um die Forscher selbst, die Presse
oder Tierschutzorganisationen.
Laut Sigg wird an den Hochschulen an über 70'000 Tieren geforscht, die Tendenz ist
steigend (Tierschutz Universität Zürich und ETH Zürich, o. J.; Neuer
Tierschutzbeauftragter an ETH und Uni Zürich - Wächter über 70'000 Labortiere, 2005).
Den grössten Teil der verwendeten Tiere machen Mäuse und Ratten aus, Katzen und
Hunde werden seltener eingesetzt, wobei letztere oft durch Schweine ersetzt werden. In
der Hirnforschung arbeitet man mit Makakken, in der Verhaltensforschung mit
Pinselohräffchen (Fuchs, 2005).
Der Tierschutzbeauftragte hat einen breit gefächerten Aufgabenbereich – so hilft er bei
den immer komplexer werdenden Bewilligungsgesuchen, bei der Planung und
Durchführung von Versuchen, dem Erstellen von Überwachungsprotokollen und der
Definition von Abbruchkriterien. Ausserdem ist er zuständig für die Verbesserung der
artgerechten Tierhaltung, führt eine Liste aller Tierversuche der Universität und ETH
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Zürich und beteiligt sich an der Ausbildung der Forscher (Tierschutz Universität Zürich
und ETH Zürich, o. J.).
Damit der Tierschutzbeauftragte seine Aufgaben erfüllen und Stichprobenweise die
Einhaltung des Tierschutzgesetztes überprüfen kann, hat er ein uneingeschränktes
Zutritts- und Akteneinsichtsrecht. Stellt er Mängel fest, muss er dies dem Versuchsleiter,
dem Bewilligungsinhaber, sowie dem Direktor des Instituts für Labortierkunde bzw. der
verantwortlichen Person für die Tierhaltung an der ETH melden. Mit dem Versuchsleiter
bespricht er die Schritte zur Behebung der Mängel. Bis eine Lösung gefunden wird, kann
er die Abgabe von Versuchstieren an den entsprechenden Versuch verbieten, oder eine
Unterbrechung beanstanden. Ausserdem hat er die Möglichkeit, den Rechtsdienst der
Universität oder ETH Zürich einzuschalten. Dieser kann gemäss §9 des kantonalen
Tierschutzgesetzes Meldung ans kantonale Veterinäramt erstatten (Tierschutz Universität
Zürich und ETH Zürich, o. J.)
Kommt es zwischen dem Tierschutzbeauftragten und der Versuchsleitung zu keiner
Einigung, werden die angeordneten Massnahmen nicht umgesetzt, oder geschieht dies
nicht innerhalb der gesetzten Frist, so wird wiederum der Direktor des Instituts für
Labortierkunde bzw. die verantwortlichen Person für die Tierhaltung an der ETH
informiert, zudem auch die Universitäts- oder ETH-Leitung, welche über das weitere
Vorgehen entscheiden (Tierschutz Universität Zürich und ETH Zürich, o. J.).
Statistik über Tierversuche in der Schweiz 2005
Seit 1983 ist die
Anzahl der Tiere, die
zu bewilligungs-
pflichtigen Versuchen
eingesetzt wurden,
von 2 Millionen um
-72% auf 550’505
gesunken. Dies kann
man laut dem Statistik über Tierversuche in der Schweiz 2005, o. J.: 3.1 Tierversuche 1983 - 2005
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Bundesamt für Veterinärwesen (o. J.) auf verbesserte Versuchsplanung und den Einsatz
von Alternativmethoden zurückführen.
Auffällig ist jedoch, dass seit dem Jahre 2001 die Anzahl der verwendeten in Tiere
wieder ansteigt. Diesen Trend kann man nicht nur in der Schweiz, sondern in ganz
Europa feststellen. Der Vergleich 2004 und 2005 zeigt eine Zunahme um +10.6%, die
laut dem BVET (o. J.) durch die Zunahme der verwendeten Mäuse und Ratten, besonders
auf dem Gebiet der Gentechnologie, zu erklären ist. Mit rund 500'000 Tieren machen sie
die grösste Gruppe der verwendeten Tiere aus.
Bei Experimenten mit SG0-SG1 wurden 73.3% der Versuchstiere eingesetzt. Insgesamt
verwendete man 403'517 Versuchstiere, was einen Anstieg von +15.7% gegenüber dem
Vorjahr bedeutet. Es handelt sich laut dem Bundesamt für Veterinärwesen (o. J.)
vorwiegend um Experimente, bei denen die Tiere ohne vorgängige Behandlung getötet
werden, um ihnen Blut, Zellen oder ganze Organe zu entnehmen. Wirbellose Tiere, sowie
Pferde und Esel wurden ausschliesslich in Experimenten mit SG0-SG1 eingesetzt.
Versuche mit SG2 betrafen 127'743 Tiere, oder 23.2% aller Versuchstiere. Dies bedeutet
verglichen mit dem Jahre 2004, eine Zunahme von +0.6%.
Bei den Experimenten mit SG3 wurden am wenigsten Tiere verwendet (3.5%). Dabei
wurden 20.9% aller Fische, sowie 9.3% aller Affen in solchen Experimenten eingesetzt.
Wiederum machten aber die Mäuse und Ratten zahlenmässig die grösste Menge aus.
19'254 Tiere wurden erfasst, was eine Abnahme von -13.3% bedeutet.
Statistik über Tierversuche in der Schweiz 2005, o. J.: 4.4 Tierart und Schweregrad
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Für die Erforschung und Entwicklung (F + E) von neuen Produkten wurde der grösste
Teil der Versuchstiere verwendet (52.9%) - gefolgt mit 33.5% von der Forschung. Die
Toxikologie macht 10.2% aus, die Diagnostik 0.6%, die Ausbildung 1.0%. Versuche, die
unter die Kategorie „Andere“ fallen, betreffen 1.8% der Tiere.
Verglichen mit 2004 ist va. in der Diagnostik eine starke Zunahme der verwendeten Tiere
feststellbar (+70.3%). Wenn auch in einem geringeren Ausmass, so kam es (mit
Ausnahme der Kategorie „Andere“) auf allen anderen Gebieten zu einem Anstieg der
erfassten Versuchstiere. Experimente der Kosmetik-Industrie fanden 2005 in der Schweiz
nicht statt.
Experimente mit gentechnisch veränderten Tieren haben seit 1992 extrem zugenommen
und betreffen im Jahre 2005 rund 94’000 Tiere aus 601 Experimenten. Dies entspricht
einer Zunahme von +16% gegenüber 2004. Obwohl die Gesetzgebung noch gewisse
Lücken hat, sind in dieser Statistik alle Tiere enthalten, ob sie nun neu „hergestellt“
wurden oder für neue, gentechnisch veränderte Zuchtlinien zum Einsatz kommen. Doch
durch die fehlende Gesetzgebung ist die Zucht solcher Tiere nicht bewilligungspflichtig.
Die Forscher sind aber trotzdem angehalten, genaue Kontrolle über den Tierbestand zu
machen, sprich Zu- und Abgänge zu erfassen (Art. 63.1 und 63.2, TschV, 2006).
Seit 1997 wird eine neue Erhebungsmethode eingesetzt. Dabei werden nicht mehr nur
alle Spenden-, Ammen- und Kontrolltiere registriert, sondern auch die Anzahl der
Statistik über Tierversuche in der Schweiz 2005, o. J.: 4.1 Tierart und Verwendungsbereich
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gentechnisch veränderten Tiere. Dies ermöglicht eine genauere Einschätzung der
Versuchstierzahlen.
99.8% der gentechnisch veränderten Tiere sind Mäuse und Ratten. Insgesamt machen
hier die Mäuse 22% und die Ratten 0.1% der insgesamt verwendeten Mäuse und Ratten
aus.
Bei der „Herstellung“ einer transgenen Zuchtlinie werden die Tiere auf der Stufe SG0-
SG1 eingestuft, da die Weibchen für die Embryonen, sowie die Männchen für die
Vasektomie keinen grossen Belastungen ausgesetzt sind. Ammentiere werden jedoch
beim SG2 eingeteilt. Durch die Kontrolle über den Tierbestand kann auch der
Schweregrad der transgenen Zuchtlinien eingeschätzt werden. Dabei zeigen 90% der
Zuchtlinien keine phänotypische Veränderung. Dies weist nicht auf eine Belastung hin
und trotzdem sind 7% der Tiere beim SG1, 4% beim SG2 und 1% beim SG3 einzuordnen
(Bundesamt für Veterinärwesen, o. J.).
Sind Resultate aus Tierversuchen auf den Menschen übertragbar?
Darwins Evolutionstheorie und seine Idee der gemeinsamen Phylo- und Ontogenese von
Tier und Mensch, führten zur Legitimierung der Übertragung von Resultaten aus
Tierversuchen auf den Menschen (Gernhardt und Fleck, 2000). Denn demnach sind der
Stoffwechsel, das Hormon- und Immunsystem, sowie die integrativen Hirnleistungen
Statistik über Tierversuche in der Schweiz 2005, 2006: 3.3 gentechnisch veränderte Tiere 1992 - 2005
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sehr ähnlich (DFG, 1993, zitiert nach Gernhardt und Fleck, 2000). Dass alle heute
lebenden Organismen den gleichen Ursprung haben, konnte die molekulare Genetik
bestätigen. Biochemische Mechanismen, sowie die Bestandteile von Köperzellen sind bei
verschiedenen Tierarten ähnlich. So können menschliche Gene sogar mit denen von
Bakterien, Pilzen oder Hefen verglichen werden. Die Übertragbarkeit der Reaktionen
bestimmter Zellverbände auf den gesamten Organismus ist jedoch schwierig. Deshalb ist
es wichtig, dass sowohl Untersuchungen auf zellulärer Ebene, als auch solche am
gesamten Organismus durchgeführt werden (Deutsche Forschungsgemeinschaft, 2004).
Obwohl man laut der DFG (2004) heute davon ausgeht, dass Resultate aus Tierversuchen
meist auf den Menschen übertragbar sind, beurteilen Tierschutzorganisationen dies eher
kritisch. So schreibt Anderegg (o. J), Präsident und Geschäftsführer vom „Verein zur
Abschaffung der Tierversuche“ in seinem Spendenaufruf:
Wegen grundsätzlicher Spezies- und Stoffwechselunterschiede erlauben Tierversuche keine
zuverlässigen, aussagekräftigen Rückschlüsse auf den Menschen. Zudem ist eine künstlich
erzeugte „Erkrankung“ am Tier mit einer natürlich entstanden genetischen Krankheit beim
Menschen nicht vergleichbar.
Heinecke (1980, zitiert nach Gernhardt und Fleck, 2000) betont jedoch, dass Vergleiche
zwischen den Organismen von Säugetieren und Menschen selbst dann möglich sind,
wenn nur eine partielle Übereinstimmung vorhanden ist. Nur selten erfülle ein Tiermodell
als Ganzes die Modellfunktion - meist gleichen nur bestimmte Zustände oder begrenzte
Abschnitte von Stoffwechselvorgängen dem menschlichen Original. Es sei deshalb
notwendig, diejenige Tierart zu eruieren, die für die jeweilige Untersuchung die grösste
Übereinstimmung mit dem Menschen mit sich bringt. Es konnte gezeigt werden, dass
beispielsweise das Schwein bezüglich seiner Haut, seinem Hormonsystem und
Stoffwechsel etc. dem Menschen sehr ähnlich ist (Hammer, 1995, zitiert nach Gernhardt
und Fleck, 2000).
Ach (1999) betont, dass auf den Gebieten der Pharmakologie und Toxikologie die Frage
nach der Übertragbarkeit besonders wichtig ist. Tierversuche dienen als Alternativen und
zugleich als Vorstufen zur Prüfung verschiedener Substanzen am Menschen.
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Empirisch kann die Übertragbarkeit überprüft werden, indem man Daten aus
Tierversuchen und klinische Ergebnisse über die Wirkungen beim Menschen miteinander
vergleicht. So kommen die Autoren der DFG (2004) zum Schluss, dass anhand von
Tierversuchen etwa 70% der Nebenwirkungen von Medikamenten vorhersagbar sind. Als
Beispiel sei der Wirkstoff Acetylsalicylsäure (Wirkstoff von Aspirin) erwähnt, der
sowohl bei Mäusen, als auch bei Menschen zur Linderung der Schmerzen führt und
zugleich die Blutungsneigung erhöht.
80% der Nebenwirkungen, die im Tierversuch ausgeschlossen werden können, so die
Autoren der DFG (1993, zitiert nach Gernhardt und Fleck), traten auch beim Menschen
nicht auf. Die restlichen 20- 30% seien primär auf Befindlichkeitsstörungen,
Idiosynkrasien (angeborene Überempfindlichkeit) oder Allergien zurückzuführen. Durch
eine weitere Verfeinerung der Untersuchungsmethoden wäre es aber möglich, die
Differenz zu senken.
Vielen Tierversuchs-Gegnern dient die „Contergan-Katastrophe“ als Fundament für ihre
Argumentation. 1957 lancierte die Firma Chemie Grünenthal in Deutschland das
Schlafmittel Contergan. Wegen seiner hohen Verträglichkeit, die man zuvor anhand von
Versuchen an Mäusen, Ratten, Meerschweinchen, Kaninchen und auch am Menschen
nachwies, wurde Contergan zu einem der beliebtesten Sedativa. Doch bereits 1959
kamen die ersten Verdachte über eine teratogene Wirkung auf. Anhand von
Tierversuchen konnte dies 1961 bestätigt werden, denn die Substanz führte zu
Missbildungen der Gliedmassen von Embryonen (Maio, 2001).
Gemäss Maio (2001) war bereits im 19. Jahrhundert bekannt, dass Alkohol zu
Missbildungen der Embryonen führen kann. Anfang des 20. Jahrhunderts fand man
heraus, dass Medikamente und andere Noxen die Placentaschranke überwinden und so
teratogen wirken können. Das Problem bei der Contergan-Katastrophe ist folglich nicht
die fehlende Übertragbarkeit der Resultate aus den Tierversuchen, sondern, dass man gar
nicht erst nach der teratogenen Wirkung suchte.
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Philosophische Standpunkte
Schon in der Antike beschäftigte man sich mit dem Verhältnis zwischen Mensch und
Tier. Dabei drehten sich die Diskussionen meist darum, ob Tiere eine Seele haben, wie
sie sich von jener der Menschen unterscheidet und ob Tiere vernunftfähig sind
(Gernhardt & Fleck, 2000). Im Anthropozentrismus ging man beispielsweise davon aus,
dass nur der Mensch schützenswert ist, da nur er rational denken kann und
vernunftbegabt ist. Zu den Anhängern dieser Theorie gehörten Aristoteles (384 – 480)
v. Chr.) oder Immanuel Kant (1724 – 1806) (Deutsche Forschungsgemeinschaft, 2004)).
Bentham (1748 – 1823) war der erste, der den Begriff Vernunft durch Leidensfähikeit
ersetzte. So geht es im Pathozentrismus darum, dass alle leidensfähigen Wesen
moralische Rechte haben und darum geschützt werden sollten (Gerhardt & Fleck, 2000).
Erst durch die Evolutionstheorie von Darwin (1809 – 1882) verlor der Mensch seine
Sonderstellung, die ihm durch seine Vernunft (beruht auf Aristoteles (384 – 322 n. Chr.))
und den freien Willen (beruht auf Augustinus (354 – 430)) oft zugestanden wurde. Er war
der Meinung, dass Mensch und Tier vom gleichen Urlebewesen abstammen und
legitimierte so die Übertragung von Resultaten aus der Tierforschung auf den Menschen
(Gernhardt & Fleck, 2000).
Nach Albert Schweitzer (1875 – 1965) sollte die Ethik keinen Unterschied zwischen
höherem und tieferem, wertvollerem und weniger wertvollem Leben machen. In seiner
radikalen biozentristischen Position geht er von einer moralischen Gemeinschaft aller
Lebewesen aus. Somit hat seiner Meinung nach die gesamte belebte Natur, also auch
Pflanzen oder Bakterien, moralische Rechte. Er kritisiert zwar, dass schon beim
medizinischen Heilen kleinste Lebewesen getötet werden, sagt aber auch, dass dies zur
Sicherung unserer Existenz notwendig ist. Tierversuche dürfen seiner Meinung nach nur
durchgeführt werden, wenn sie wirklich notwendig sind, wobei das Leiden des Tieres auf
das Minimum beschränkt werden sollte (Gerhardt & Fleck, 2000).
In den 70er Jahren entstand in den USA der Speziesismus (auch Neologismus genannt).
Seine Vertreter stellen den Menschen alleine anhand seiner Zuordnung zur Gattung des
Homo sapiens über die Tiere. Nach Teusch (geboren 1918) verleiht dies dem Menschen
in der umgebenden Natur ein uneingeschränktes Willkürrecht.
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Peter Singer (geboren 1946), der wohl bekannteste Utilitarist der heutigen Zeit, kritisiert
den Speziesismus. Er argumentiert, dass Tiere im gleichen Mass wie Menschen fähig
sind, Leid und Freude zu empfinden und ihnen deshalb die gleichen moralischen Rechte
zustehen (Kolb & Whishaw, 2006). Der Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist das
„Prinzip der gleichen Interessensabwägung“ (Gauthier, 1986, zitiert nach Ach, 1999):
Das Wesentliche am Prinzip der gleichen Interessensabwägung besteht darin, dass wir in unseren
moralischen Überlegungen den ähnlichen Interessen all derer, die von unseren Handlungen
betroffen sind, gleiches Gewicht geben. Dies bedeutet: Wenn X und Y von einer möglichen
Handlung betroffen wären und X dabei mehr zu verlieren hat als Y zu gewinnen hätte, ist es
besser, die Handlung nicht auszuführen.
Demnach sollen ethische Entscheidungen so gefällt werden, dass man diejenige
Handlungsalternative wählt, die am wenigsten Leid und gleichzeitig am meisten Nutzen
mit sich bringt (Kolb & Whishaw, 2006).
Das „3R-Modell¨
Im Jahre 1959 veröffentlichten Russel und Burch das Buch „The Principle of Humane
Experimental Technique“. Dabei untersuchten sie die ethischen Aspekte von
Tierversuchen, sowie die verwendeten Methoden (Fondation Recherches 3R, 1996).
Sie argumentieren, dass der Mensch durch seine „Menschlichkeit“ zur sozialen
Kooperation fähig ist. Dies ist eng mit einer mitfühlenden und empathischen Haltung
anderen Spezies gegenüber verbunden. Trotz den Bemühungen der Forscher bleiben ihrer
Meinung nach Tierversuche „unmenschlich“ (Russel und Burch, 1959).
In ihrer Studie erfassen sie den „Stress“ der Versuchstiere anhand von physiologischen
und endokrinen Parametern, dem Verhalten der Tiere gegenüber den Experimentatoren,
dem Verhalten der Tiere untereinander, der Art des Laboratoriums, dem Ziel der
Untersuchungen, sowie der Zahl der verwendeten Tiere.
Anhand ihrer Resultate entwickelten sie die drei R: Replacement, Reduction, Refinement
– Ersatz, Reduktion, Verfeinerung (Russel und Burch, 1959; Fondation Recherches 3R,
1996).
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„Replacement“ fordert die Forscher dazu auf, Tierversuche wenn immer möglich durch
Alternativen zu ersetzen. So sollen sie beispielsweise mit Mikroorganismen, höheren
Pflanzen oder Zellkulturen aus tierischem Gewebe arbeiten (Russel und Burch, 1959).
„Reduction“ bedeutet, dass mit der kleinstmöglichen Anzahl von Versuchstieren
gearbeitet werden soll (Russel und Burch, 1959). Dazu tragen laut der DFG (2004) unter
anderem die konsequente Anwendung von statistischen Verfahren und die exakte
Planung der Versuche bei, denn so können reliable Resultate erzielt werden, auch ohne
andauernde Wiederholungen der Versuche.
Beim „Refinement“ geht es darum, den Grad der „Gestresstheit“ von Labortieren
bestmöglichst zu vermindern (Russel und Burch, 1959). Die Autoren der DFG (2004)
erwähnen, dass die Anästhesie, aber auch die technische Verbesserungen von
Messverfahren und nicht-invasiven Untersuchungsmethoden, in den letzten Jahren
erheblich zur Verfeinerung der Tierversuche beigetragen hat.
Für Forscher, die mit Versuchstieren arbeiten, ist das „3R-Modell“ heute weltweit eine
wichtige Richtlinie. So halten auch die schweizerische Akademie der Medizinischen
Wissenschaften (SAMW) und die Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (SCNAT)
in der dritten Auflage der „ethischen Grundsätze und Richtlinien für Tierversuche“
(2005) im Artikel 2.5 fest:
Die ethische Grundhaltung der „Ehrfurcht vor dem Leben“ verpflichtet den Menschen zum Schutz
der Tiere als empfindungsfähige Mitwesen. Diese Ehrfurcht und die Pflicht, Leiden möglichst zu
vermeiden, gebieten es, Tierversuche soweit wie möglich einzuschränken. Grundlage dazu bilden
die Prinzipien der 3R (Replacement, Reduction, Refinement) […]
Vostenbosch (2005) betont jedoch, dass es besonders in der heutigen Zeit wichtig ist, das
3R-Modell zu überdenken, da gentechnisch hergestellte Tiere neue und moralisch unklare
Aspekte mit sich bringen.
Laut dem indischen „Committee for the Purpose of Control and Supervision of
Experiments on Animals“ (CPCSEA, zitiert nach Pereira und Tettamanti, 2005) haben
die Forscher auch nach Abschluss des Versuchs moralische Verpflichtungen den Tieren
gegenüber. Deshalb schlagen sie ein viertes R vor – die Rehabilitation. In den USA gibt
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es beispielsweise Altersheime, in denen Affen nach Versuchsabschluss leben (Siebert,
2006). Die anfallenden Kosten der Rehabilitation, so Pereira und Tettamanti (2005),
müssten bereits bei der Versuchsplanung mit einberechnet werden und sollen positiv mit
dem Belastungsgrad der Tiere korrelieren.
Alternativen zu Tierversuchen
Die DFG (o. J., zitiert nach Ach, 1999) geht davon aus, dass Tierversuche nicht ersetzbar
sind und schlagen deshalb vor, anstelle von Alternativmethoden, den Begriff
„Ergänzungs- und Ersatzmethoden“ zu verwenden.
Russel und Burch (1959), nennen zwei Möglichkeiten zum Ersetzen von Tierversuchen:
die Verwendung von tierischem Gewebe („tissue culture“) oder Mirkoorganismen. Damit
eröffnen sie eine grosse Diskussion darüber, was denn genau als Alternativmethode
bezeichnet werden kann – Methoden, die Tierversuche strikt ersetzen, oder auch solche,
die lediglich deren Belastung verringern (Ach, 1999)? Um einen möglichst grossen
Überblick zu verschaffen, beziehe ich alle Alternativmethoden in meine Auflistung mit
ein.
In vitro Verfahren und Gewebekulturen
Bei in vitro (im Glas) Verfahren wird lebendes Gewebe von Tieren verwendet. Dieses ist
für eine gewisse Zeit ausserhalb des Körpers überlebensfähig, so z.B. im Reagenzglas.
Kälberserum aus Schlachtungen dient als Nährboden zur Anregung der Zellteilung, des
Wachstums und der Differenzierung (Deutsche Forschungsgemeinschaft, 2004).
Anhand der Zellkulturen werden Stoffwechsel, sowie die zellulären und molekularen
Aspekte von Medikamenten überprüft (Deutsche Forschungsgemeinschaft, 2004). In
vitro Methoden sind heute weit verbreitet, obwohl man nur Einzelfunktionen untersuchen
und daher nicht auf den gesamten Organismus schliessen kann (Ach, 1999). Darum ist es
laut den Autoren der DFG (2004) notwendig, die Reaktion des Organismus anhand von
Tierversuchen zu überprüfen.
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Gewebekulturen werden länger am Leben gehalten, als dies bei konventionellen in vitro
Methoden der Fall ist (Ach, 1999). Die Zelllinien können sich im Verlaufe der Zeit
jedoch verändern (Deutsche Forschungsgemeinschaft, 2004).
In der Arzneimittelforschung werden Gewebekulturen meist zur Entwicklung von
pharmakologischen Substanzen eingesetzt. Anhand der Zell- oder Organkulturen können
beispielsweise potentielle antivirelle Medikamente hinsichtlich ihrer Wirkung geprüft
werden, ohne dass für jede einzelne Substanz ein Tier verwendet werden muss (Monamy,
2000).
Gewebekulturen sind meist tierischer (Deutsche Forschungsgemeinschaft, 2004), können
aber menschlicher Natur (Ach, 1999) sein. Man verwendet dabei das Gewebe von
Verstorbenen (Monamy, 2000), oder solches aus chirurgischen Eingriffen (Ach, 1999).
So diente operativ entferntes Gewebe von Patienten mit Pankreas Karzinomen, River,
Speiss, Thorner und Vale (1982, zitiert nach Adams, 2005) zur Untersuchung des
Wachstumshormons GH. Um die Resultate in einer Folgestudie zu überprüfen, wurden
jedoch wiederum tierische Zellkulturen verwendet (Bilezkjaian und Vale, 1983, zitiert
nach Adams, 2005).
In vitro Verfahren können Tierversuche folglich nicht vollständig ersetzten. Dennoch
konnte anhand dieser Verfahren die Anzahl der verwendeten Tiere enorm gesenkt werden
(Deutsche Forschungsgemeinschaft, 2004).
„Niedere Organismen“
Dazu gehören Untersuchungen von Mikoorganismen oder Pflanzen. In der
pharmakologischen Forschung werden beispielsweise Coelenterate (Hohltiere wie
Nesseltiere und Rippenquallen) eingesetzt werden, um allfällige teratogene Wirkungen
gewisser Substanzen zu überprüfen (Monamy, 2000).
Computersimulationen
Diese Methode wird oft in der Biomedizin eingesetzt, um Hypothesen über bestimmte
Lebensvorgänge abzubilden und mittels theoretischer Modelle zu überprüfen. In der
Neurobiologie benutzt man Computersimulationen, um bestimmte Funktionen des
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zentralen Nervensystems (ZNS) zu veranschaulichen. Die Autoren der DFG (2004)
betonen jedoch, dass die so gewonnenen Erkenntnisse dennoch anhand von
Tierversuchen überprüft werden müssen.
Computersimulationen werden auch zu Ausbildungszwecken verwendet –
Lehrbuchwissen und komplexe biologische Zusammenhänge können so veranschaulicht
werden (Deutsche Forschungsgemeinschaft, 2004). „Rat Stack“ ist beispielsweise ein
Computerprogramm, an denen Schüler lernen können, eine Ratte zu sezieren, ohne dass
dafür echte Tiere ihr Leben lassen müssen. In den 1980ern entwickelte man an der
Universität MacMaster in Kanada die Programme „MacMan, MacPuf, MacPee und
MacDope“. Diese sollen den Studenten dabei helfen, besser mit komplexen Organen wie
dem Gehirn, dem Herzen, dem Kreislaut etc. zurechtzukommen (Monamy, 2000).
Audiovisuelle Hilfsmittel
Filme sind eine weitere Möglichkeit, den Auszubildenden chirurgische Techniken zu
erklären, oder sie auf die Arbeit mit lebenden Tieren vorzubreiten (Monamy, 2000;
Deutsche Forschungsgemeinschaft, 2004).
Mathematische Modelle
Meist werden mathematische Modelle erstellt, um biomedizinischen, pharmakologische
und toxikologische Prozesse zu berechnen. So können beispielsweise QSAR-Methoden
(Quantitative Structure-Activity Relationship) dazu verwendet werden, Voraussagen über
die Toxitzitiät bestimmter chemischer Verbindungen zu machen (Monamy, 2000).
Radioimmunoassays
Dieses Verfahren dient dazu, Hormone im Blut zu bestimmen, was die
Tierversuchszahlen extrem gesenkt hat (Ach, 1999).
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Diskussion
Betrachtet man die Thematik Tierversuche seitens der Tierschützer, so waren
Tierversuche nie zeitgerecht und werden es auch nie sein. Die verschieden
Tierschutzorganisationen bilden jedoch keine homogene Gruppe. Einige fordern die
vollständige Abschaffung der Forschung mit Tieren (Anderegg, o. J.), denn sie ist aus
ihrer Sicht in keinster Weise ethisch vertretbar. Andere wollen lediglich
„schwerstbelastende Laborversuche“ verbieten lassen und fordern, dass man sich
vermehrt auf die Forschung mit Alternativmethoden konzentriert (Schweizer Tierschutz
STS, o. J).
Forscher begründen Versuche am Tier meist mit medizinischem Fortschritt (Morrison, o.
J., zitiert nach Herzog, 1993) oder damit, dass die Leiden von Mensch und Tier gelindert
werden können (Kolb und Whishaw, 2006). Doch was ist beispielsweise mit der
Kosmetik-Industrie? Die menschliche Oberflächlichkeit rechtfertigt in keinster Weise das
Quälen und Töten von Tieren. Man kann jedoch nicht die Forschung alleine dafür
verantwortlich machen, dass auch heute noch Tiere bei LD50 Tests und anderen
Verfahren eingesetzt werden. Würde der Konsument vermehrt darauf achten, Produkte
aus tierfreier Forschung zu kaufen, so gäbe es keine andere Möglichkeit, als auf
Alternativmethoden umzustellen.
Das Argument, dass auch Medikamente für Tiere gefunden werden (Kolb und Whishaw,
2006), ist sicherlich richtig, doch auf mich wirkt es eher wie eine Ausrede. Ist es nicht
widersprüchlich, dass tausende von Tieren sterben müssen, damit ihre Artgenossen
weiterleben können? Wer gibt uns das Recht, über Leben und Tod zu entscheiden, auch,
und besonders, wenn es sich nicht um Mitglieder der Gattung Homo sapiens handelt?
Die Forschung, besonders die Medizin, profitiert schon seit Jahrhunderten von
Erkenntnissen aus Tierversuchen. Doch legitimiert dies wirklich, dass wir unsere
Krankheiten bewusst auf andere Lebewesen übertragen? Wer sagt uns, wie sehr die Tiere
unter den Versuchen wirklich leiden? Denn ist es nicht auch beim Menschen so, dass
Schmerzen und Belastungen ganz unterschiedliche wahrgenommen werden? Diese
Überlegungen machen es unerlässlich, die Kosten und Nutzen vor jedem Versuch von
neuem abzuwägen.
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Viele Argumente gegen die Tierforschung werden hinfällig, betrachtet man sie aus der
Perspektive der Forschung. Zu viele Resultate aus der tierexperimentellen Forschung
(besonders im toxikologischen und pharmakologischen Bereich) konnten erfolgreich auf
den Menschen übertragen werden, als dass es Zufall sein könnte. Des Weiteren ist auch
das Argument „Contergan-Katastrophe“ bei genauerer Betrachtung der Tatsachen nicht
haltbar (Maio, 2001). Das Ganze ist kein Nachweis fehlender Übertragbarkeit, vielmehr
handelt es sich um menschliches Versagen. Zu Recht kann man sich aber die Frage
stellen, ob eine solche Katastrophe nicht wieder eintreten könnte. Die Verantwortung,
dies zu verhindern, liegt bei den Forschern und den Aufsichtsorganen.
Viele Krankheiten können bisher noch nicht geheilt werden. Doch auch dies ist kein
Argument gegen Tierversuche. Zahlreiche Therapiemöglichkeiten wurden bereits
gefunden und besonders auf dem Gebiet der Gentechnologie wird heute intensiv
geforscht. Meiner Meinung nach, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis man auch heute
noch nicht heilbare Krankheiten besiegen kann. Doch war es bisher nicht so, dass sich
immer wieder neue Krankheiten entwickelten? Und legt diese Tatsache nicht den
Verdacht nahe, dass es auch in Zukunft so sein wird?
Unsere ethischen Grundsätze machen es uns unmöglich, ausschliesslich am Menschen zu
forschen. Combes, Berridge, Connelly, Eve, Garner, Toon und Wilcox (2003) kommen in
ihrer Studie zwar zum Schluss, dass in der pharmakologischen Forschung schon viel
früher menschliche Testpersonen eingesetzt werden könnten, doch auch dies ändert
nichts an der Tatsache, dass für die ersten toxikologischen Abklärungen Versuche mit
Tieren unumgänglich bleiben.
Alternativmethoden haben in den letzten Jahren deutlich zur Reduktion der
Tierversuchszahlen beigetragen (Bundesamt für Veterinärwesen, o. J). Waren früher in
der Neurologie Läsionsexperimente weit verbreitet, so wird heute meist mit
elektrophysiologischen, magnetischen oder bildgebenden Verfahren gearbeitet. In vitro
Verfahren ermöglichen zwar Untersuchungen an Zellkulturen, doch die Ergebnisse
müssen auf den gesamten Organismus übertragbar sein. Diese Tatsache und die
Problematik, dass Medikamente, die an Zellkulturen überprüft wurden, in andern
Zelltypen zur Bildung von Abbauprodukten führen können und teilweise wirkungslos
oder schädlich sind (Deutsche Forschungsgemeinschaft, 2004), zeigen, dass Tierversuche
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dennoch notwendig sind. In der Ausbildung wird glücklicherweise immer mehr auf
Versuche mit Tieren verzichtet. Zu Recht: denn was ist sinnloser, als ein Lebewesen zu
töten, um bereits bekannte Effekte aufzuzeigen.
Spätestens seit der Entwicklung des „3R-Modells“ (Russel und Burch, 1957) richtet sich
das allgemeine Interesse auf die Reduktion der Leiden von Versuchstieren. Immer mehr
Aufsichtsorgane entstehen und Politiker (TSchG, 2006), sowie Forscher setzten sich für
die Umsetzung der drei R ein. Doch auch das vierte R, die Rehabilitation (Pereira und
Tettamanti, 2005) ist sicherlich ein wichtiger, neuer Ansatzpunkt. Wenn wir die Tiere
schon für unsere Interessen (miss-)brauchen, sind wir es ihnen nicht schuldig, auch nach
Beendigung der Experimente für sie zu sorgen?
Obwohl ich es gerne würde, kann ich die Frage, ob Tierversuche noch zeitgemäss sind,
nicht klar verneinen – es würde bedeuten, dass wir auf dem heutigen Wissensstand stehen
bleiben. Deshalb müssen wir uns entscheiden, ob wir dies akzeptieren und Tierversuche
abschaffen wollen, oder weiterforschen, auch wenn dazu tausende von Tieren ihr Leben
lassen müssen. Die Alternative, medizinisches Wissen aus anderen Kulturen in die
westliche Medizin mit einzubeziehen, statt weiterhin mit Tieren zu forschen, scheitert an
der mangelnden empirischen Überprüfung. Versuche am Menschen, wie sie
beispielsweise im 2. Weltkrieg durchgeführt wurden, sind sicherlich keine Lösung und
die bisher entwickelten Alternativmethoden sind noch zu wenig ausgearbeitet, um
Tierversuche vollständig zu ersetzen. Falls eine versuchstierfreie Forschung jemals
möglich sein sollte, dann paradoxerweise nur durch weitere Experimente mit Tieren.
Am Schluss meiner Studierarbeit steht für mich fest: es ist nicht die Frage
ausschlaggebend, ob Tierversuche noch zeitgerecht sind, sondern, ob sie zeitgerecht
durchgeführt werden. Die Möglichkeiten und das Wissen dazu haben wir jedenfalls.
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