spruchverfahren aktuell (spruchz) nr. 2/2016
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Spruchverfahren aktuell - Nr. 2/2016
SpruchZ 2016 Seite 28
Recht & Praxis bei Squeeze-out-Fällen, Delisting, Organverträgen, Fusionen und Übernahmeangeboten
Nr. 2/2016 vom 30. Dezember 2016 ISSN 2195-7274
Inhaltsübersicht
Laufende Spruchverfahren:
AXA-Spruchverfahren, S. 29; Curanum AG, S. 29; DAB Bank AG, S. 30; NTT Com Security AG, S. 31; Süd-Chemie, S. 31
Abgeschlossene Spruchverfahren
Schwarz Pharma AG, S. 32
Literatur zu Spruchverfahren Neuauflage des Berliner Kommentars zum SpruchG - Interview mit Rechtsanwalt Dr. Peter Dreier, S. 34
„Bemerkenswerte Befunde“ von Prof. Knoll
Fall 11: „Sensitivitätsanalyse“ von Abfindungen durch Variation der verwendeten Parameter, S. 37
Die 2012 gegründete Zeitschrift „Spruchverfahren aktuell“ (kurz: SpruchZ) wird per E-mail verteilt
und online verfügbar archiviert (u.a. unter http://de.slideshare.net/SpruchZ). Sie erscheint jeweils
nach Bedarf. Der Bezug ist kostenlos. Für Bestellungen und Abbestellungen wenden Sie sich bitte an
den Herausgeber: Verteiler@SpruchZ.de
Die Zeitschrift dient lediglich der Information über die aktuelle Rechtsentwicklung. Sie kann eine
umfassende rechtsanwaltliche Beratung nicht ersetzen.
Spruchverfahren aktuell
Spruchverfahren aktuell - Nr. 2/2016
SpruchZ 2016 Seite 29
Laufende Spruchverfahren
Sachstand in den AXA-Spruchverfahren Das Landgericht Köln hat den Beteiligten in den Spruchverfahren
Az. 82 O 130/07 - SdK u.a. ./. AXA S.A. (Squeeze-out bei der Kölnischen Verwaltungs-AG für
Versicherungswerte - KVAG)
Az. 82 O 135/07 - Obert u.a. ./. AXA S.A. (Squeeze-out bei der AXA Konzern
Aktiengesellschaft)
Az. 82 O 137/07 - Laudick u.a. ./. AXA Konzern AG (Squeeze-out bei der AXA
Lebensversicherungs Aktiengesellschaft)
auf Antrag der jeweiligen Antragsgegnerin die Frist zur Stellungnahme zu den mehrere tausend
Seiten umfassenden gerichtlichen Gutachten von Niethammer, Posewang & Partner (NPP) bis 28.
Februar 2017 verlängert. Entscheidungen in den genannten Verfahren dürften daher erst frühestens
in der zweiten Jahreshälfte 2017 ergehen.
In dem Spruchverfahren zum Squeeze-out bei der AXA Konzern Aktiengesellschaft kommt NPP in
dem Gutachten zu deutlich höheren Werten als von der Hauptaktionärin zunächst angebotenen EUR
134,54 für jede Stamm- bzw. Vorzugsaktie (nachgebessert auf EUR 144,69 je Stammaktie und EUR
146,24 je Vorzugsaktie). Nach den Berechnungen von NPP beträgt die angemessene Barabfindung
EUR 237,74 je Stammaktie und EUR 238,77 je Vorzugsaktie.
Die KVAG war zum Zeitpunkt des Squeeze-outs mit 25,63% an der AXA Konzern AG beteiligt. Diese
Beteiligung an der AXA Konzern AG stellte den wesentlichen Vermögensgegenstand der KVAG dar.
_______________
Verschmelzungsrechtlicher Squeeze-out bei der Curanum AG: LG München I hebt Barabfindung auf EUR 3,13 an (+ 3,3%) In dem Spruchverfahren zu dem auf der außerordentlichen Hauptversammlung der Curanum AG am
19. Dezember 2014 beschlossenen verschmelzungsrechtlichen Squeeze-out hat das LG München I
mit Beschluss vom 2. Dezember 2016 die Barabfindung auf EUR 3,13 festgesetzt und damit
geringfügig um EUR 0,10 angehoben. Der Nachbesserungsbetrag ist ab dem 14. Februar 2015 mit 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der
außergerichtlichen Kosten der Antragsteller hat die Antragsgegnerin zu tragen.
Bei den mündlichen Verhandlungen am 18. Februar 2016 und 23. Juni 2016 hatte das Gericht die
gerichtlich bestellte Abfindungsprüfer von Moore Stephens (jetzt ADKL AG), Herrn Wirtschaftsprüfer
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Wolfram Wagner und Frau Wirtschaftsprüferin Pia Brandenstein, angehört. Des Weiteren hatten die
Prüfer auf Bitte des Gerichts ergänzende Stellungnahmen mit Alternativberechnungen vorgelegt.
Die Planungen sind nach Auffassung des Gerichts nicht zu korrigieren, wobei es auf vielen Seiten
insbesondere die besonderen Marktverhältnisse beim "betreuten Wohnen" diskutiert (S. 33 - 67).
Das LG München I hält eines (Auf-)Rundung des Basiszinssatzes (zum Stichtag 1,9%) auf 2% für
zulässig (entgegen etwa OLG Frankfurt am Main). Das Gericht spricht sich für eine einheitliche
Festlegung des Basiszinssatzes für den gesamten Beurteilungszeitraum aus (d.h. keine gesonderte
Ausweisung für das jeweilige Planjahr).
Das Gericht hat den Risikozuschlag nach Steuern auf 2,03% geschätzt. Es setzt dabei eine
Marktrisikoprämie von 5% nach Steuern und einen aus einer Peer Group abgeleiteten Beta-Faktor
von 0,4 an. Der mit 1% angesetzte Wachstumsabschlag im Terminal Value müsse nicht erhöht
werden (S. 91).
Gegen den Beschluss kann innerhalb von einem Monat Beschwerde eingereicht werden.
LG München I, Beschluss vom 2. Dezember 2016, Az. 5 HK O 5781/15 Coriolix Capital GmbH u.a. ./. Curanum AG 88 Antragsteller gemeinsamer Vertreter: RA Dr. Andreas Wirth, 80331 München Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin, Curanum AG (früher: Korian Deutschland AG): Rechtsanwälte White & Case, 60323 Frankfurt am Main
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Spruchverfahren zum verschmelzungsrechtlichen Squeeze-out bei der DAB Bank AG: Entscheidungsverkündung am 30. Juni 2017 Das Landgericht München I hat am 9. Dezember 2016 die Verhandlung zu dem
verschmelzungsrechtlichen Squeeze-out der Minderheitsaktionäre der früheren DAB Bank AG
fortgeführt und die gerichtlich bestellten Abfindungsprüfer, Herrn Wirtschaftsprüfer Johannes
Wedding und Frau Wirtschaftsprüferin Catherine Dentler, c/o Wedding & Cie. GmbH
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, sowie Frau Dr. Anke Nestler, c/o VALNES Corporate Finance GmbH,
weiter angehört. Themen waren u.a. die Ermittlung des Zinsüberschusses, Marketingaufwendungen
für Neukundengewinnungen, der Eigenhandel der DAB Bank AG bei "günstigen
Marktgegebenheiten", die Entwicklung der Personalaufwendungen, Abschreibungen, der
Wachstumsabschlag, der angesetzte Beta-Faktor, die Marktrisikoprämie und die Zusammenarbeit
zwischen Consorsbank und DAB Bank.
Eine Entscheidung in dieser Sache soll am Freitag, den 30. Juni 2017, 9:00 Uhr, verkündet werden.
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LG München I, Az. 5 HK O 13182/15
Coriolix Capital GmbH u.a. ./. DAB Bank AG (nunmehr: BNP Paribas S.A. Niederlassung
Deutschland)
94 Antragsteller
gemeinsamer Vertreter: Rechtsanwalt Ernst Graßinger, München
Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin: Rechtsanwälte Clifford Chance, 40215 Düsseldorf
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Spruchverfahren zum verschmelzungsrechtlichen Squeeze-out bei der NTT Com Security AG
Nach Ablauf der Antragsfrist hat das Landgericht München I alle zulässigen Spruchanträge zu dem
Ausschluss der Minderheitsaktionäre bei der NTT Com Security AG im Rahmen der Verschmelzung
auf eine Zwischenholding zu dem führenden Verfahren unter dem Aktenzeichen 5 HK O 10044/16
verbunden. Eine gerichtliche Überprüfung wurde von insgesamt 64 Antragstellern beantragt.
Zur Bekanntmachung des Squeeze-outs:
http://spruchverfahren.blogspot.de/2016/06/bekanntmachung-des-squeeze-outs-bei-der.html
LG München I, Az. 5 HK O 10044/16 Kollrus, H. u.a. ./. NTT Security AG 64 Antragsteller Antragsgegnerin: NTT Security AG (bislang: NTT Communications Deutschland AG)
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Spruchverfahren zum Squeeze-out bei der Süd-Chemie AG:
Entscheidungsverkündung am 28. April 2017
In dem Spruchverfahren zum Ausschluss der Minderheitsaktionäre bei der Süd-Chemie AG hat das
Landgericht München I am 8. Dezember 2016 die Sache mündlich verhandelt. Dabei wurde der
gerichtlich bestellte Sachverständige, WP/StB Dipl.-Kfm. Andreas Creutzmann, IVA VALUATION &
ADVISORY AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, zu seinem Gutachten angehört (siehe
hierzu http://spruchverfahren.blogspot.de/2016/12/verhandlungstermin-im-squeeze-out.html).
Der Sachverständige soll bis zum 31. Januar 2017 noch eine ergänzende Stellungnahme bei Gericht
einreichen. Dabei soll er u.a. Alternativberechnungen mit folgenden Zinssätzen vornehmen:
Basiszinssatz 3,0% vor Steuern, Marktrisikoprämie 4,5% und 5,0% jeweils nach Steuern,
Wachstumsabschlag 1,5% und Betafaktor entsprechend dem Sachverständigengutachten (0,98).
Termin zur Verkündung einer Entscheidung wurde auf Freitag, den 28. April 2017, 9:00 Uhr,
bestimmt.
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LG München I, Az. 5 HK O 26513/11 SdK e.V. u.a. ./. Clariant AG 87 Antragsteller gemeinsamer Vertreter: RA Dr. Andreas Wirth, 80331 München Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin, Clariant AG: Rechtsanwälte White Case LLP, 60323 Frankfurt am Main
Abgeschlossene Spruchverfahren
Spruchverfahren zum Squeeze-out bei der Schwarz Pharma AG beendet: Auch das OLG Düsseldorf lehnt Erhöhung ab In dem Spruchverfahren zu dem am 8. Juli 2009 beschlossenen Squeeze-out der Minderheits-
aktionäre bei der Schwarz Pharma AG, Monheim, hatte das Landgericht Düsseldorf mit Beschluss
vom 28. November 2013 eine Erhöhung des von der Antragsgegnerin, der UCB GmbH, angebotenen
Barabfindungsbetrags abgelehnt. Die Hauptaktionärin hatte EUR 111,44 je Aktie angeboten, etwas
mehr als zu dem 2007 abgeschlossenen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag (EUR 104,60
je Aktie).
Die dagegen von mehreren Antragstellern eingelegten Beschwerden hat das OLG Düsseldorf
nunmehr mit Beschluss vom 12. Dezember 2016 zurückgewiesen. Das Verfahren ist damit
abgeschlossen.
Das OLG verweist in seiner Begründung im Wesentlichen auf die Ausführungen des Landgerichts
(siehe hierzu http://spruchverfahren.blogspot.de/2013/12/squeeze-out-shwarz-pharma-ag-lg.html).
Für die Barabfindung beim Squeeze-out sei auch nicht der Barwert der Ausgleichszahlungen nach
dem 2007 geschlossenen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag maßgeblich. Auch ange-
sichts des Beschlusses des BGH vom 12. Januar 2016 (Az. II ZB 25/14, AG 2016, 359 ff.) halte das OLG
an seiner bisherigen Rechtsprechung fest, dass sich die Höhe der Barabfindung regelmäßig nicht auf
der Basis des Barwerts des Ausgleichs aus dem früheren Beherrschungs- und
Gewinnabführungsvertrag berechne. Vielmehr bilde auch in diesem Fall der Unternehmenswert zum
Zeitpunkt des Squeeze-out-Beschlusses die Grundlage der Barabfindung. Dies gelte auch dann, wenn
die kapitalisierte Ausgleichszahlung zu einem höheren Wert führen würde (vgl. OLG Düsseldorf,
Beschluss vom 15. November 2016, Az.- I-26 W 2/16 (AktE) und weitere Entscheidungen).
LG Düsseldorf, Beschluss vom 28. November 2013, Az. 33 O 175/09 AktE 84 Antragsteller, davon 7 Beschwerdeführer gemeinsamer Vertreter: RA Folker Künzel, 40589 Düsseldorf Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin, UCB GmbH: Rechtsanwälte Hengeler Mueller, 40213 Düsseldorf
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Delisting-Fälle
SdK zum Delisting-Fall KWG Kommunales Wohnen In ihrer Pressemitteilung zum "Schwarzbuch Börse 2016" hebt die Aktionärsvereinigung SdK den
Delisting-Fall KWG als besonders negativ hervor:
"Mit der KWG Kommunales Wohnen enthält das diesjährige Schwarzbuch einen besonders erwäh-
nenswerten Delisting-Fall aus dem Entry Standard. Auf der außerordentlichen Hauptversammlung
am 7. Oktober wurde mit den Stimmen des Großaktionärs die Umwandlung in eine GmbH
beschlossen. Die Höhe der Barabfindung war von der Gesellschaft selbst ermittelt worden, da kein
geprüfter Halbjahresabschluss vorlag. Die KWG weigerte sich zudem, den Prüfbericht vor der
Hauptversammlung zu veröffentlichen, und war auf dem Aktionärstreffen trotz zahlreicher Anträge
der Anleger nicht bereit, die Unterlagen an die Eigentümer zur Mitnahme auszuhändigen."
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Literatur zum Thema Spruchverfahren
Neuauflage des Berliner Kommentars zum SpruchG
SpruchG – Spruchverfahrensgesetz Kommentar
Von Dr. Peter Dreier, Rechtsanwalt, Dr. Michael Fritzsche, Rechtsanwalt, und
Dr. Ludger C. Verfürth, LL.M., Rechtsanwalt
unter Mitarbeit von Heiko Antczak, Rechtsanwalt, und Dr. Volker Schulenburg, Rechtsanwalt und
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
2., völlig neu bearbeitete und wesentlich erweiterte Auflage 2016, XVII, 544 Seiten, € (D) 96,–
ISBN 978-3-503-16654-1
http://www.esv.info/978-3-503-16654-1
Verlagstext des Erich Schmidt Verlags (ESV):
Seit der Erstauflage des Berliner Kommentars SpruchG hat sich das Spruchverfahrensgesetz mehrfach
geändert. In der 2. Auflage haben die Autoren das Gesetz grundlegend neu kommentiert. Besonders
die Rechtsprechung zur Unternehmensbewertung hat sich weiterentwickelt und wurde in die
Kommentierung vertiefend eingearbeitet. Zudem finden Sie eine Analyse der praktischen Bedeutung
des Spruchverfahrens. Weiterhin werden Ihnen Möglichkeiten gezeigt, wie das Verfahren ohne
Änderungen des SpruchG noch effektiver gestaltet werden kann, ohne den erforderlichen
Aktionärsschutz dadurch zu mindern.
Interview mit dem Autor RA Dr. Peter Dreier:
„Das Spruchverfahren kann Minderheitsaktionären noch einen effektiven Rechtsschutz gewähren” Das gesellschaftsrechtliche Spruchverfahren spielt eine wichtige Rolle im Spannungsfeld zwischen
den Hauptgesellschaftern einer AG und deren Minderheitsaktionären. Ob dieses Verfahren seinen
Ansprüchen gerecht wird, beantwortet Dr. Peter Dreier im Interview mit der ESV-Redaktion.
Herr Dr. Dreier, wodurch unterscheidet sich das Verfahren zum gesellschaftsrechtlichen Spruch-
verfahren, kurz: SpruchG, von dem echten streitigen Verfahren der ZPO?
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Peter Dreier: Im Spruchverfahren gilt der eingeschränkte Amtsermittlungsgrundsatz. Das heißt, die
Parteien müssen schon vortragen, wie im Zivilprozess. Letztlich klärt aber das Gericht den
vorgetragenen Sachverhalt von Amts wegen auf.
Viel Bewegung gab es in den letzten Jahren beim Schutz von Aktionären. In welchem Verhältnis
stehen die aktienrechtlichen Anfechtungsklagen und das SpruchG grundsätzlich zueinander?
Peter Dreier: Anfechtungsklagen sind faktisch bedeutungslos geworden. Der Gesetzgeber gestattet
sogar die Eintragung von offensichtlich rechtswidrigen Hauptversammlungsbeschlüssen in das
Handelsregister. Eigentlich sollte mit der Anfechtungsklage verhindert werden, dass Minderheits-
aktionäre Strukturmaßnahmen verhindern können. Nun haben die Vorstände fast Narrenfreiheit und
können tun und lassen, was sie wollen. Das ist im Hinblick auf den Aktionärsschutz nicht zu
rechtfertigen. Im Gegensatz dazu kann das Spruchverfahren dem Minderheitsaktionär als letzte
Bastion noch einen effektiven Rechtsschutz gewähren.
Ein häufiger Kritikpunkt vor Einführung des SpruchG war die überlange Verfahrensdauer von bis zu
22 Jahren im Einzelfall. Konnte das SpruchG die Verfahrensdauer verkürzen?
Peter Dreier: Das neue Gesetz hat im Ergebnis zu einer signifikanten Reduzierung der
Verfahrensdauer geführt. So beträgt die Verkürzung z.B. nach einer Studie von Hensel-
mann/Munkert/Winkler/Schrenker knapp vier Jahre. Damit geht aber auch eine Verkürzung des
Rechtsschutzes für die Minderheitsaktionäre einher.
Was bewirkt diese Verkürzung des Rechtsschutzes?
Peter Dreier: Vor allem sollte man bei Unplausibilitäten des Vortrags der Hauptaktionäre erwarten,
dass das Gericht insoweit einen unabhängigen Wirtschaftsprüfer einschaltet. Dies wird meiner
Meinung nach viel zu wenig getan. Die Gerichte begründen dies oft mit zeitlichen Aspekten. Dennoch
gibt es genug Möglichkeiten, unabhängige Prüfer zeitnahe zu befragen.
Welche kurzfristigen Möglichkeiten der Befragung meinen Sie?
Peter Dreier: So könnte man z.B. einen virtuellen Datenraum schaffen. Dieser wird schon bei der
Due-Diligence-Prüfung praktiziert. Damit wäre eine sichere Zusammenarbeit an gemeinsamen
Dokumenten möglich. Das heißt, der Angemessenheitsprüfer wird verpflichtet, dem Gericht alle
Daten zur Verfügung zu stellen, die er hat. Diese Daten stellt das Gericht dann dem jeweils
beauftragten Prüfer zur Verfügung, der selbstverständlich zur Verschwiegenheit verpflichtet ist. Ein
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effektiver Datenaustausch sollte heutzutage nicht das Problem sein und ermöglicht angemessene
Antwortzeiten.
Viele Gerichte tendieren - z.B. beim Squeeze-Out – oft dazu, bei der Unternehmensbewertung
ausschließlich auf den Börsenkurs abzustellen. Als Begründungen dienen oft die Vereinfachung und
die Schnelligkeit der Wertermittlung. Sie sehen diesen Ansatz als besorgniserregend an: Spiegelt
denn der Börsenkurs nicht den aktuellen Marktwert wieder?
Peter Dreier: Der Börsenkurs hat keine Aussagekraft. In diesen fließen nur Einschätzungen von
Analysten oder Statements von Vorständen ein. Das tatsächliche know how bleibt dabei völlig unbe-
rücksichtigt. Gleiches gilt für Zukunftserträge und diese fließen ausschließlich dem Hauptaktionär zu.
Demgegenüber hat aber auch der Minderheitsaktionär ein quotales wirtschaftliches Eigentum an der
jeweiligen Gesellschaft. Dieses verfassungsrechtlich geschützte Eigentum wird dem Minderheits-
aktionär beim Squeeze out genommen. Nur eine Ertragswertermittlung, z.B. nach dem IDW S1-
Standard, kann hier einen angemessenen Ausgleich schaffen.
Welche Möglichkeiten sehen Sie für den Gesetzgeber, das Verfahren nach dem SpruchG effektiver
zu gestalten?
Peter Dreier: Man sollte vor allem die bisherigen angesprochenen Möglichkeiten besser ausnutzen
und mehr Gutachten erstellen lassen.
Auch ist im Augenblick dem gemeinsamen Vertreter nach der neueren BGH-Rechtsprechung ein
Beschwerderecht verwehrt. Dieser vertritt die Minderheitsaktionäre. Ein solches Beschwerderecht
halte ich für sinnvoll, um der zweiten Instanz nicht die Kompetenz zu nehmen.
Sinnvoll wäre auch eine Art Mehrheitsvergleich. Stimmt z.B. die Mehrheit einem Vergleich zu, so
kann das Gericht dazu einen Gutachter beauftragen und bei Angemessenheit des Vergleichs einen
einfachen entsprechenden Beschluss fassen. Dies würde verhindern, dass z.B. zwei oder drei
Minderheitsaktionäre sinnvolle Lösungen blockieren können.
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Bemerkenswerte Befunde © Prof. Dr. Leonhard Knoll
Bemerkenswerte Befunde - Fall 11: „Sensitivitätsanalyse“ von Abfindungen durch Variation der verwendeten
Parameter
Einige nicht abzusehende Umstände haben es ermöglicht, dass die Reihe „Bemerkenswerte Befunde“
nun doch ohne Unterbrechung in der SpruchZ fortgesetzt werden kann. Wir beginnen mit einer
Betrachtung, die sich an eine bereits erfolgte DCF-Bewertung anschließt und nicht vernachlässigbare
„Ausrutscher“ enthält.
Im Prüfungsbericht zu einem Squeeze Out steht hinsichtlich der Bestimmung des für die ewige Rente
angesetzten Wachstumsabschlags von 0,5%:
„Aus einer Analyse von 22 Entscheidungen der jüngeren Vergangenheit von fünf Ober-
gerichten ergibt sich eine Verteilung von sechs Bewertungsfällen mit Wachstumsabschlägen
von unter 1,0 % (bis 0,5 %), von weiteren zehn mit genau 1,0 % und von sechs Fällen über 1,0
% (bis 1,5 %). Das vorliegend angesetzte Wachstum liegt also innerhalb der Bandbreite von
möglicherweise vergleichbaren Fällen.“
Später liest man dann im Kapitel „Sensitivitätsanalyse“ u.a. die folgenden Passagen:
„Da zumindest langfristig ein positiver Zusammenhang zwischen Unternehmenswachstum
und Unternehmensrisiko besteht, sind in der nachfolgenden Tabelle diese Bewertungs-
parameter gegenüber den bei der Bewertung angesetzten Ausprägungen nach oben wie nach
unten variiert und verschiedene Kombinationen einander gegenübergestellt.
In der folgenden Tabelle werden Kombinationen von Wachstumsrate und unverschuldetem
Betafaktor im Hinblick auf deren Einfluss auf den Wert je Aktie der … in Beziehung gesetzt:
Die aus der Variation dieser Parameter resultierenden Werte je Aktie liegen in einer
Bandbreite von € 19,82 bis € 29,38.
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Berücksichtigt man den oben genannten Zusammenhang zwischen Unternehmenswachstum und Unternehmensrisiko und betrachtet ausschließlich Kombinationen aus gleichgerichteten Variationen, reduziert sich die Bandbreite für den Unternehmenswert je Aktie auf € 22,61 bis € 24,86.“
a) Ist der langfristige positive Zusammenhang zwischen Unternehmenswachstum und -risiko zwangsläufig, insbesondere wenn man berücksichtigt, dass vorliegend nur das inflations-bedingte Wachstum adressiert ist?
b) Was muss sich der Prüfer im Hinblick auf das von ihm in der Tabelle untersuchte Intervall von Wachstumsraten vorwerfen lassen?
Lösungen:
a) Das Wachstum hängt von mehreren Faktoren, wie bspw. auch den Finanzierungsmöglichkeiten
ab, die hier offensichtlich c.p. gelten sollen (Bezug auf unverschuldete Betafaktoren).
Problematisch ist dies insbesondere bei der Inflationsrate, die bei alternativem Ansatz prima
facie keinen eindeutigen Bezug zum Risiko hat. Die propagierte Aussage adressiert zudem Risiko
in einem undifferenzierten und damit unsystematischen Sinn. Selbst wenn man sich höheres
Wachstum im Sinne einer höheren Inflationsüberwälzung von der Beschaffungs- zur Absatzseite
nur durch ein in diesem Sinne höheres Risiko erkaufen könnte, ist es also durchaus nicht
zwangsläufig, dass dies auch für das systematische (Kovarianz-)Risiko gilt, das durch den Beta-
Faktor zum Ausdruck kommt.
b) Die alternativen Abfindungen betreffen Werte, die teilweise nicht einmal mehr in der
„Bandbreite möglicherweise vergleichbarer Fälle“ gemäß dem Zitat liegen. Daher hätte er in der
Dimension „Wachstumsabschlag“ seiner Tabelle wenigstens die Bandbreite von 0,5% bis 1,5%
verwenden sollen, denn ganz unabhängig davon, ob ein Leser die zitierte Bandbreite der
Gerichtsentscheidungen für sinnvoll erachtet, muss dies doch für den Prüfer gelten: Wie hätte er
sie sonst in seinem Text anführen dürfen?
Fazit: Prüfungsberichte können auch im Bereich nach der originären Wertermittlung
durchaus lesenswert sein!
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Zeitschrift und Dokumente auf http://de.slideshare.net/SpruchZ
Impressum
______________________
Zeitschrift
Spruchverfahren aktuell
(SpruchZ)
5. Jahrgang
ISSN 2195-7274
Herausgeber:
Interessengemeinschaft
Spruchverfahren (IG Spruch),
c/o Rechtsanwaltskanzlei
ARENDTS ANWÄLTE,
Perlacher Str. 68,
D - 82031 Grünwald
(bei München)
Bestellungen bitte an die E-Mail-
Adresse: Verteiler@SpruchZ.de
Redaktion/Mitarbeiter: Redaktion@SpruchZ.de
RA Martin Arendts, M.B.L.-HSG
(presserechtlich verantwortlich),
RA Dr. Peter Dreier,
Prof. Dr. Leonhard Knoll
(„Bemerkenswerte Befunde“)
c/o ARENDTS ANWÄLTE, Perlacher Str. 68, D - 82031 Grünwald
© 2016 für eigene Beiträge bei den
Autoren.
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