st. jacobi göttingen silvesterkonzert 2019...aus trois préludes et fugues, op. 7 (1912)...
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Eine Rundreise durch Pariser Kathedralen
St. Jacobi Göttingen
Silvesterkonzert 2019 31. Dezember 2019 · 20.30 Uhr
Stefan Kordes, Orgel
PROGRAMM
Saint-Sulpice · Marcel Dupré (1886-1971) Prélude et fugue H-Dur aus Trois Préludes et fugues, op. 7 (1912) Saint-Vincent-de-Paul · Léon Boëllmann (1862-1897) Prière à Notre Dame aus der Suite Gothique, op. 25 (1895) Saint-Augustin · Eugène Gigout (1844-1925) Toccata h-moll aus den Dix Piéces en Recueil (1890) Saint-Étienne-du-Mont · Maurice Duruflé (1902-1986) Sicilienne aus der Suite, op. 5 (1933) Saint-Philippe-du-Roule · Henri Mulet (1878-1967) Toccata „Tu es petra et portæ inferi non prævalebunt ad- versus te“ aus den Esquisses Byzantines (1920) Sainte-Clothilde · César Franck (1822-1890) Pièce héroïque aus den Trois Pièces (1878) La Trinité · Olivier Messiaen (1908-1992) Prière après la communion aus dem Livre du Saint Sacrement (1984) Notre-Dame · Louis Vierne (1870-1937) Carillon de Westminster aus den Pièces de fantaisie op. 54 (1927) Stefan Kordes, Orgel
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ZUM PROGRAMM DES HEUTIGEN ABENDS
Liebe Besucher des Silvesterkonzertes,
schon als Jugendlicher reiste ich immer wieder nach Paris. Dabei plante
ich meine Tage so, dass ich möglichst viele Gottesdienste und Konzerte in
den großen Kathedralen besuchen konnte und auf diese Weise eine Viel-
zahl dieser wunderbaren Räume, Orgeln und Organisten erleben konnte.
Einen Eindruck dieser Reisen möchte ich Ihnen heute weitergeben - viel-
leicht macht es Ihnen ja Appetit, im kommenden Jahr auch einmal die
Pariser Kathedralen zu besuchen.
Einer der bedeutendsten Orgelbauer der Romantik war Aristide Cavaillé-
Coll. Er stattete zahlreiche Pariser Kirchen mit seinen Orgeln aus. So ent-
stand eine einzigartige Wechselwirkung zwischen den Kathedralen mit
ihrer großen Akustik, den großen Orgeln und den herausragenden Kom-
ponisten, die für diese speziellen Instrumente komponierten.
Zu den beliebtesten Kompositionsweisen dieser Orgelkomponisten zählt
die "französische Toccata": Rauschende Akkorde werden abwechselnd
von beiden Händen gespielt, die Harmonien wechseln (im Unterschied zu
deutschen Kompositionen dieser Zeit) selten, damit das Klangerlebnis
auch bei viel Nachhall durchhörbar bleibt. Die langsame Melodie wird
meist vom Pedal übernommen.
Genau in diesem Sinne ist das Prélude von Marcel Dupré komponiert.
Die tänzerisch-spielerische Fuge (versuchen Sie einmal, das sprunghafte
Thema nachzusingen!) wagt im Mittelteil sogar einen Wechsel in latein-
amerikanische Rumba-Rhythmen, bevor das Toccaten-Motiv des Anfangs
mit dem Fugenthema kombiniert wird.
Große Ruhe können Sie in den beiden Gebeten (prière) des heutigen
Abends erleben: Eine ruhige, getragene Melodie bei Leon Boëllmann,
stilisierte Vogelstimmen begleitet von ätherischen Harmoniefolgen (mit
dem 32´-Subbass unserer Orgel) bei Olivier Messiaen.
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Die Toccata von Eugène Gigout kombiniert in seinem kurzweiligen Per-
petuum mobile schnelle Tonleitern und Dreiklangsbrechungen mit einer
wiegenden Melodie.
Maurice Duruflé lässt in seiner Sicilienne (dem Mittelsatz der Suite op. 5,
die auch auf der CD "4 Jahrhunderte Orgelmusik" eingespielt ist) eine
Hirtenmelodie im 6/8-Takt durch verschiedene Begleitungen in immer
wieder neuem Licht erscheinen.
Die berühmte Toccata "Du bist ein Fels" von Henri Mulet wartet mit
schnellsten Akkordrepetitionen und außergewöhnlichen Harmoniewech-
seln auf.
César Franck komponierte sein "Pièce héroique" für die Weltausstellung
1878 - für die neue Konzertorgel im Palais de Trocadéro und lässt die be-
sonders zahlreichen Farbmöglichkeiten des großen Instrumentes (das
nach mehreren Umbauten heute leider stark verändert in Lyon steht) in
diesem Stück zur Geltung kommen.
Der Schluss dieses Abends gebührt natürlich der leider durch den Brand
im Sommer teilweise zerstörten Kathedrale Notre Dame und dem be-
rühmtesten Stück von Louis Vierne: das "Carillon de Westminster".
Mein herzlicher Dank gilt Ole Landschoof für die Präsentation und die
Erstellung des Programmheftes sowie Arne zur Nieden für die Assistenz.
Wir wünschen Ihnen eine angenehme Rundreise durch das romantische
Paris und ein gutes neues Jahr!
Stefan Kordes
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SAINT SULPICE
Marcel Dupré (1886-1971)
Marcel Dupré stammte aus einer Organistenfamilie,
in der er seine erste musikalische Ausbildung erhielt.
Schon im Alter von zwölf Jahren hatte Dupré eine
Organistenstelle in seiner Heimatstadt Rouen inne.
In Paris wurde er Schüler der renommiertesten Or-
ganisten seiner Zeit: Alexandre Guilmant, Louis
Vierne und Charles-Marie Widor waren seine Leh-
rer. 1934 trat er die Nachfolge seines Lehrers Widor
an der weltberühmten Orgel von St-Sulpice an. Als
Orgelvirtuose, der die Kunst der Improvisation
meisterhaft beherrschte, errang er Weltruhm. Um
dies zu verdeutlichen genügt vielleicht eine Zahl: Während seiner ersten beiden Kon-
zertreisen in die USA (1921-23) spielte Dupré 204 Orgelkonzerte. Kennzeichen sei-
ner Kompositionen sind oftmals der freie Umgang mit traditionellen Gattungen und
eine erweiterte Tonalität.
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SAINT-VINCENT-DE-PAUL
Léon Boëllmann
Obwohl der Elsässer Léon Boëllmann nur 35 Jahre
alt wurde, hat er der Nachwelt 160 Kompositionen
(Kammermusik, Orchestermusik und Orgelmusik)
hinterlassen, die in der spätromantischen Tradition
von Franck und Saint-Saëns stehen. Nach dem Stu-
dium an der École Niedermeyer wurde Boëllmann
zunächst 1881 Organist der Chororgel von St-
Vincent-de-Paul, bevor er 1887 ‒ empfohlen von
Charles Gounod und dem Orgelbauer Cavaillé-Coll
‒ Organist an der großen Cavaillé-Coll-Orgel wurde.
Nach seinem frühen Tod 1897 nahm sich sein
Schwiegervater Eugène Gigout nicht nur der drei Kinder an, die Boëllmann hinter-
ließ, sondern auch der Veröffentlichung und dem Bekanntmachen seiner Werke.
In die Geschichte der Orgelliteratur ist er mit seiner Suite Gothique eingegangen,
die eines der schönsten Gebete für die Orgel und eine äußerst mitreißende Toc-
cata enthält.
SAINT-AUGUSTIN
Eugène Gigout
Eugène Gigout studierte an der École Niedermeyer
in Paris und war ‒ wie sein Freund Gabriel Fauré ‒
Schüler von Camille Saint-Saëns. Mit 19 Jahren wur-
de er zum Organisten an der neu errichteten Kirche
St-Augustin ernannt. Gigout war als Orgelvirtuose
sehr anerkannt, was sich etwa darin äußerte, dass er
für das Orgelspiel bei der Trauerfeier seines Freun-
des César Franck ausgewählt wurde. Gerade Gigouts
liturgisches Orgelspiel wurde sehr geschätzt. Von
der Liturgie und der Gregorianik sind auch die meis-
ten Kompositionen Gigouts geprägt, sinfonisch
komponierte er eher selten. Künstlerisches und Familiäres mischten sich bei Gigout
auf zunächst erfreuliche, später leider traurige Weise: Seine Adoptivtochter heiratete
1885 seinen Lieblingsschüler Léon Boëllmann, der Gigout bei dessen Lehrtätigkeit
an der im selben Jahr von Gigout gegründeten Orgelschule unterstützte. Es folgte
allerdings ein tragisches Ende, als Boëllmann 1897 und seine Frau ein Jahr später
starben. Gigout nahm sich der drei Enkel an und zog sie groß.
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SAINT-ÉTIENNE-DU-MONT
Maurice Duruflé
Während seines Studiums lernte Maurice Duruflé
mit 17 Jahren Charles Tournemire kennen, der ihn
zu seinem Vertreter in Ste-Clothilde machte. Seine
Studien am Pariser Conservatoire (Orgel bei Eugène
Gigout, Komposition bei Paul Dukas) wurden er-
gänzt durch privaten Unterricht bei Louis Vierne,
dessen Vertreter Duruflé 1927 wurde. 1930 wurde
er zum Titularorganisten an St-Étienne-du-Mont
berufen und 1943 erhielt er eine Professur für Har-
monielehre. Zu diesen Erfolgen kam 1947 der
Ruhm, der ihm durch die gute Aufnahme seines Requiems zuteil wurde. Dennoch
blieb Duruflé, was die Veröffentlichung seiner Werke betrifft, äußerst selbstkritisch.
Charakteristisch für Duruflés Stücke ist ihr häufiger Bezug zur Gregorianik, die er
als Chorknabe in Rouen erstmals kennenlernte und bei Tournemire als kompositi-
onsbestimmendes Prinzip erlebte. 1975 endete Duruflés Karriere, weil er nach einem
Autounfall unfähig war, seine Beine zu bewegen.
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SAINT-PHILIPPE-DU-ROULE
Henri Mulet
SAINTE-CLOTHILDE
César Franck
Ein Fixpunkt im Leben von Henri Mulet war die
Kathédrale Sacré-Coeur, die auf dem Hügel von
Montmartre über der Stadt Paris thront. In ihrer
Nähe würde Mulet 1878 geboren, in ihr war sein
Vater als Chordirektor angestellt, von ihr ist sein
bekanntestes Werk, die Esquisses Byzantines, beein-
flusst.
Doch bevor Mulet Organist wurde, war er zunächst
im Cello-Studium erfolgreich. 1894 wechselte er das
Instrument und wurde Schüler von Widor und Guil-
mant. Nach Stationen in St-Roch und St-Eustache wurde er 1911 Titularorganist an
St-Philippe-du-Roule. Mulet, der sich wegen seiner Abneigung gegen das Stadtleben
vom musikalischen Paris isoliert hatte, blieben seine beiden Träume in Paris uner-
füllt: Weder wurde er Professor am Conservatoire, noch Organist an Sacré-Coeur.
1937 verbrannte Mulet fast seine sämtlichen Kompositionen und verließ Paris, um
aufs Land zu ziehen, wo er auch seinen Lebensabend verbrachte.
César Franck ist gewissermaßen der Vater der fran-
zösischen Orgelsinfonie. Nach dem Studium in sei-
ner Heimatstadt Lüttich und in Paris wurde er 1858
Organist an Ste-Clothilde. Diese Stelle hatte er bis
zu seinem Tod 1890 inne. Zwei Schwerpunkte sei-
ner Arbeit als Organist, Orgellehrer und Komponist
waren die Beschäftigung mit Bachs Orgelwerk und
mit der Kunst der Orgelimprovisation. Von seinen
Orgelimprovisationen und ihrer harmonischen Far-
bigkeit sind viele seiner Stücke geprägt: Es reihen
sich improvisatorische Durchführungen von Melodien aneinander, die nicht in die
gängigen Gattungsschemata passen. Sein Grande pièce symphonique ist ein derartig aus-
gedehntes Werk, wie es vorher nicht existiert hatte. Auch wenn Franck es nicht als
„Symphonie“ bezeichnet hat, so verdeutlich der Zusatz „symphonique“ doch, wel-
che Richtung Franck mit seinen Kompositionen eingeschlagen hat: hin zu orchestra-
len Klängen auf der Orgel. Seine Schüler, zu denen Pierné, Tournemire und Vierne
zählten, haben seine Ideen aufgenommen und weitergeführt.
An Ste-Clothilde wirkten u.a.:
1859–1890: César Franck
1890–1898: Gabriel Pierné
1898–1939: Charles Tournemire
1939–1942: Flor Peeters
1945–1987: Jean Langlais
An St-Augustin wirkten u.a.:
1863–1925: Eugène Gigout
1930–1948: André Fleury
1949–1997: Suzanne Chaisemartin
An St-Philippe-du-Roule
wirkte: 1911-1937 Henri Mulet
An der Madeleine wirkten u.a.:
1847–1858: Louis Lefébure-Wély
1858–1877: Camille Saint-Saëns
1877–1896: Théodore Dubois
1896–1905: Gabriel Fauré
1962–1968: Jeanne Demessieux
Seit 1979: François-Henri Houbart
An St-Sulpice wirkten u.a.:
1715–1749: Louis-Nicolas Clérambault
1863–1869: Louis-J.-A. Lefébure-Wély
1870–1933: Charles-Marie Widor
1934–1971: Marcel Dupré
Seit 1985: Daniel Roth
An Notre-Dame wirkten u.a.:
1755–1772: Louis-Claude Daquin
1760–1793: Claude Balbastre
1900–1937: Louis Vierne
1954–1984: Pierre Cochereau
1985-2016: Jean-Pierre Leguay
Seit 1985: Olivier Latry,
Philippe Lefebvre
Seit 2016: Vincent Dubois
An La Trinité wirkten u.a.:
1871–1901: Alexandre Guilmant
1931–1992: Olivier Messiaen
1992–2008: Naji Hakim
ab 2011: Loïc Mallié
An St-Étienne-du-Mont wirkten u.a.:
1930–1986: Maurice Duruflé
1953–1997: Marie-Madeleine Duruflé
seit 1997: Thierry Escaich
seit 1997: Vincent Warnier
An St-Vincent-de-Paul wirkte:
1881–1897: Léon Boëllmann
LA TRINITÉ
Olivier Messiaen (1908-1992)
Olivier Messiaen begann seine musikalische Karrie-
re als Autodidakt, indem er sich im Jungenalter
phantastische Opern am Klavier erschloss. Er er-
hielt Klavier- und Harmonielehreunterricht und trat
schließlich mit elf Jahren ins Pariser Conservatoire
ein. Zu seinen Lehrern zählten Marcel Dupré und
Charles-Marie Widor. Nach einem erfolgreichen
Studium wurde Messiaen 1931 mit gerade einmal
22 Jahren zum jüngsten Titularorganisten Frank-
reichs ernannt. Seine Stelle an der Kirche La Trinité
hatte er bis zu seinem Tod 1992, also über 60 Jahre inne. Die einzigartige Verbin-
dung von unerschütterlichem Glauben, einer ausgeprägten Vorliebe für das Wunder-
bare, Offenheit für exotische Musik und der Begeisterung für Vogelgesänge in seiner
Person haben zu einem außergewöhnlichen Werk geführt und Messiaen den Ruf als
eines der innovativsten Komponisten des 20. Jahrhunderts eingebracht.
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NOTRE-DAME
Louis Vierne (1870-1937)
Louis Vierne hat trotz eines an Schicksalsschlägen
reichen Lebens die Orgelsinfonie zu ihrem Höhe-
punkt geführt. Obwohl er schwer sehbehindert
geboren wurde, wurde er 1890 am Conservatoire
aufgenommen. Zu seinen Lehrern dort zählten
César Franck und Charles-Marie Widor, der ihn
1892 zu seinem Stellvertreter an St-Sulpice ernann-
te. Nachdem Vierne im Jahr 1900 zum Organisten
von Notre-Dame gewählt worden war, zählte er
bald zu den besten Organisten seiner Zeit. Dem
künstlerischen Erfolg standen jedoch viele Enttäuschungen und Schicksalsschläge
gegenüber: Vierne war zeitlebens gesundheitlich angeschlagen. Außerdem wurde er
bei der Nachfolge Guilmants am Conservatoire nicht berücksichtigt, was ihn ähnlich
schwer kränkte wie die Ablehnung der Geistlichen von Notre-Dame gegenüber
seinem Wunsch, Maurice Duruflé zu seinem Nachfolger zu ernennen. Nach einem
von Einsamkeit und Depressionen überschatteten Lebensabend starb Vierne am 2.
Juni 1937 am Ende eines Konzerts am Spieltisch der Orgel von Notre-Dame.
DER ORGELBAUER ‒ MAÎTRE DES MAÎTRES
Aristide Cavaillé-Coll (1811-1899)
Wenigen Orgelbauern dürfte es vergönnt sein, in die
Weltliteratur Einzug gehalten zu haben ‒ Aristide
Cavaillé-Coll ist es gelungen. In seinem Roman Bel-
Ami beschreibt Guy de Maupassant, wie die 1846
von Cavaillé-Coll erbaute Orgel der Madeleine wäh-
rend einer Hochzeit klang:
„Es waren langgezogene, gewaltige, schwellende Klänge wie
Meereswogen; sie schallten so mächtig, als müßten sie das
Gewölbe hochheben und sprengen, um gegen den blauen Him-
mel emporzusteigen. Ihre bebenden Klänge erfüllten die ganze
Kirche und ließen die Herzen erzittern. Auf einmal wurden sie stiller, und leichte, flüchtige
Klänge schwebten in der Luft und berührten das Ohr wie ein leiser Hauch. Es waren graziöse,
leichte, sprudelnde Gesänge, die wie Vogelgezwitscher klangen; und wieder schwoll diese anmu-
tige Musik, breitete sich aus, gewaltig, voll und mächtig, wie wenn ein Sandkorn sich in ein
ungeheures Weltall verwandelte.“
Cavaillé-Coll entwickelte den „symphonischen“ Orgeltypus, der die großen sin-
fonischen französischen Orgelwerke erst möglich machte. Zunächst löste er da-
bei ein technisches Problem: Die bei sehr großen Orgeln zwangsweise schwer-
gängige Spielmechanik, machte er leichtgängig, indem er die Taste nicht direkt
mit dem Ventil an der Pfeife verband, sondern eine pneumatische Hebelmaschi-
ne ‒ gewissermaßen die ‚Servolenkung der Orgel‘ ‒ zwischenschaltete.
Neben dieser technischen Neuerung baute Cavaillé-Coll akustisch äußerst wirk-
same Schwellwerke (Teilwerke der Orgel, die in einem Kasten stehen, der durch
Jalousien geschlossen werden kann.) Dadurch war es möglich, den eigentlich
statischen Orgelklang stufenlos vom pianissimo zum fortissimo anschwellen zu
lassen. Durch eine ausgefeilte Windanlage schaffte er es, den benötigten Wind
(die Luft, die die Orgel zum klingen bringt) stabil zu halten. Unterschiedliche
Winddrücke (je nach Pfeifenart), überblasende Flöten und orchestrale Zungen-
stimmen, die Holz– und Blechblasinstrumente imitieren, ermöglichten der Orgel
eine orchestrale Klangfülle, die bis dahin nicht existiert hatte. Und so konnte
César Franck 1851 über seine Cavaillé-Coll-Orgel in der Kirche Saint-Jean-Saint-
François sagen:
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„Mon orgue, c’est un orchestre!“
MEISTERWERKE AUS DER WERKSTATT CAVAILLÉ-COLL
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Die Orgel der Kathedrale von Saint-Denis (IV/70)
1834 erhielt Cavaillé-Coll wider Erwarten den Auf-
trag zum Bau dieser Kathedralorgel. Für den 23-
Jährigen war dies der große Durchbruch. Die Fir-
ma konnte von Toulouse nach Paris umziehen und
wurde die französische Orgelbaufirma.
Die Orgel der Pfarrkirche La Madeleine (IV/48)
1846 errichtete Cavaillé-Coll eine Orgel, die in
gewisser Weise einen Bruch mit der Tradition dar-
stellte: Er verzichtete auf Anraten von Louis
Lefébure-Wély auf sämtliche Klangkronen
(Orgelregister, die den strahlenden Glanz erzeu-
gen) und legte den Fokus auf die Grundstimmen
der Orgel.
Die Abbildung zeigt die Orgel als Teil eines archi-
tektonischen und städtebaulichen Plans: Die Orgel
tront auf dem großen Portal der Kirche, das eine
Achse bildet mit der Rue Royale, dem Obelisken
auf dem Place de la Concorde, der Pont de la Con-
corde und dem Giebel der Assemblée Nationale.
Die Orgel der Pfarrkirche Saint Sulpice (V/100)
Sein größtes (und bis heute nahezu unverändert
erhaltene) Werk stellt die Orgel von Saint-Sulpice
dar, die Cavaillé-Coll 1862 unter Verwendung von
Registern der Vorgängerorgel von François-Henri
Clicquot fertigstellte. Der überwältigende Erfolg
dieser Arbeit sorgte dafür, dass man Cavaillé-Coll
1868 mit dem Umbau und der Erweiterung der
Orgel von Notre-Dame beauftragte.
VITA STEFAN KORDES
Stefan Kordes wurde 1968 geboren und studierte in Hamburg, Stuttgart und
Wien Solistenklasse Orgel und A-Kirchenmusik. Orgel studierte er u.a. bei Bern-
hard Haas, Jon Laukvik, Burkhard Meyer-Janson und Michael Radulescu.
Seit 2001 ist er Kantor und Organist an St. Jacobi in Göttingen. Neben der Lei-
tung der beiden Chöre an St. Jacobi und der Internationalen Orgeltage führt ihn
eine rege Konzerttätigkeit an prestigeträchtige kirchenmusikalische Orte in ganz
Europa und Asien (etwa Paris: St. Sulpice, St. Étienne-du-Mont; Riga: Dom; St.
Petersburg: Philharmonie; Dresden: Frauenkirche, Kreuzkirche; Leipzig:
Thomaskirche) sowie zu historisch bedeutenden Orgeln in ganz Europa (z. B.
Stellwagen-Orgel St. Jacobi Lübeck, Arp-Schnitger-Orgeln St. Ludgeri Norden
und Steinkirchen, Walcker-Orgel Lutherkirche Wiesbaden.)
In St. Jacobi spielte Kordes Zyklen mit sämtlichen Orgelwerken von Alain,
C.P.E. Bach, J.S. Bach, Brahms, Couperin, Duruflé, Franck, de Grigny, Mendels-
sohn Bartholdy, Messiaen, Muffat und Schumann. Als Dirigent führte Stefan
Kordes mit seinen Ensembles sowie mit verschiedenen Symphonieorchestern
Oratorien, Symphonien und andere Werke von der Renaissance bis zu zeitgenös-
sischen Komponisten auf. Daneben konzertiert er als Pianist, Kammermusiker
und Liedbegleiter. CD-, Rundfunk- und Fernsehaufnahmen runden seine kir-
chenmusikalische Tätigkeit ab. 13
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DIE GROSSE ORGEL VON ST. JACOBI
Die Ott-Schmid-Orgel von St. Jacobi, eine der größten Orgeln Südniedersachsens,
beherrscht optisch das Westwerk der Kirche. Gut zu erkennen sind das Schwellwerk
(ganz oben, mit Jalousien), die beiden Zimbelsterne (darunter), die Spanischen
Trompeten (waagerechte Pfeifen, die in den Raum hineinragen), das Rückpositiv
(darunter) und die Pedaltürme mit dem Register Prinzipal 16‘ (rechts und links).
I. Manual: Rückpositiv Praestant 8′ Holzflöte 8′ Quintade 8′ Oktav 4′ Rohrflöte 4′ Nasard 2 2⁄3′ Superoktave 2′ Gemshorn 2′ Terz 1 3⁄5′ Quinte 1 1⁄3′ Mixtur IV-VII 1′ Dulzian 16′ Trichterregal 8′ Tremulant
II. Manual: Hauptwerk Großprinzipal 16′ Quintade 16′ Oktave 8′ Hohlflöte 8′ Oktave 4′ Gedackt 4′ Quinte 2 2⁄3′ Superoktave 2′ Waldflöte 2′ Mixtur IV-VII 1 1⁄3′ Scharf IV-VI 1′ Trompete 8′
III. Manual: Brustwerk Metallgedackt 8′ Spitzgambe 8′ Prinzipal 4′ Spillgedackt 4′ Nasard 2 2⁄3′ Oktave 2′ Flöte 2′ Tierce 1 3⁄5′ Quinte 1 1⁄3′ Septime 1 1⁄7′ Superoktave 1′ Scharf IV-V 2⁄3′ Rankett 16′ Krummhorn 8′ Tremulant
IV. Manual: Schwellwerk Bourdon 16′ Holzflöte 8′ Gambe 8′ Voix Céleste 8′ Prinzipal 4′ Traversflöte 4′ Mixtur V 2 2⁄3′ Oboe 8′ Clarinette 8′ Tremulant IV. Manual: Chamadenwerk Spanische Trompete 16‘ Spanische Trompete 8‘ Spanische Trompete 4‘
Pedal Subbass 32′ Prinzipal 16′ Subbass 16′ Oktave 8′
Gedackt 8′ Spitzflöte 8′ Oktave 4′ Holzflöte 4′
Nachthorn 2′ Sesquialtera II 5 1⁄3′ Rauschpfeife II 2 2⁄3′ Mixtur VI 2′
Kontrafagott 32′ Posaune 16′ Trompete 8′ Clarine 4′
DISPOSITION
Koppeln: I/II, III/II, IV/I IV/II, I/P, II/P, IV/P Zimbelstern · 4000-fache Setzeranlage
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DIE GROSSE ORGEL VON ST. JACOBI
1966 errichtete der Göttinger Orgelbauer
Paul Ott in St. Jacobi eine viermanualige
Orgel mit 58 Registern. Das klangschöne
und handwerklich solide Instrument ist seit-
her in unzähligen Gottesdiensten erklungen
und hat in über 2000 Konzerten Hörer und
Spieler gleichermaßen begeistert. Anfang
der 2000er-Jahre stellte sich allerdings her-
aus, dass nach fast 40 Jahren intensiver
Nutzung einiger Renovierungsbedarf be-
stand. Da außerdem der Wunsch bestand,
auch romantisches Orgelrepertoire adäquat
darstellen zu können, wurde die Orgel im
Jahr 2007 vom Orgelbauer Siegfried
Schmid grundlegend überholt, neu intoniert
und um ein Schwellwerk (9 Register) sowie das Register Subbaß 32‘ erweitert.
CD-AUFNAHMEN DER GROSSEN ORGEL VON ST. JACOBI
Die erste CD-Aufnahme an der überholten und erweiter-
ten Orgel von St. Jacobi, u.a. mit der heute erklingenden
Sicilienne von Duruflé.
„das Resultat kann nur mit summa cum laude benotet
werden.“ (Musik & Kirche)
Diese CD präsentiert einen bunten Strauß der schönsten
und beliebtesten Orgelwerke Bachs an der größten Orgel
Südniedersachsens und gleichermaßen einen exemplari-
schen Querschnitt durch das vielfältige Orgelschaffen
Bachs. Zugleich lädt die Aufnahme auch dazu ein, die
zahlreichen verschiedenen Klangmöglichkeiten und Solo-
stimmen der Orgel kennen zu lernen.
Die zweite CD der Reihe „Zauber der Orgelmusik“ ist
ganz der Orgelmusik Frankreichs gewidmet. Aus dem
heutigen Programm ist das Prière von Olivier Messiaen
enthalten.
„Kordes präsentiert [...] seine beeindruckenden Fähigkei-
ten als Organist.“ (Göttinger Tageblatt)
Bachs musikalisches Testament für Orgel, die sogenannte
„Orgelmesse” wurde am 24.8.2018 im Rahmen der Inter-
nationalen Orgeltage in St. Jacobi aufgeführt. Sie besteht
aus 27 Orgelwerken, die zu Bachs kunstvollsten Orgelstü-
cken gehören.
Die Schola St. Jacobi singt die den Vertonungen zugrunde-
liegenden Choräle und Liturgiestücke. (2 CDs)
Die CDs können am Kirchenhütertisch erworben oder über www.jacobikantorei.de be-
stellt werden.
Silvester-Sonderangebot: 2 Einzel-CDs: 25 €
3 Einzel-CDs: 35 €
Orgelmesse + 1 CD: 30 €
Orgelmesse + 2 CDs: 40 €
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