standardwissen lehramt - utb-shop.de · vorwort zur reihe standardwissen lehramt – studienbücher...
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Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage
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Ursula Bredel
Sprachbetrachtung und
Grammatikunterricht
2., durchgesehene Auflage
Ferdinand Schöningh
Paderborn · München · Wien · Zürich
Die Autorin:
Ursula Bredel ist Professorin für deutsche Sprache und ihre Didaktik an der Universität Hildesheim. Nach
Studium und Referendariat in Berlin arbeitete sie vier Jahre als Lehrerin. Von 2002 bis 2005 hatte sie den
Lehrstuhl für Linguistik an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe inne. Von 2005 bis 2010 lehrte sie an
der Universität zu Köln. Forschungsschwerpunkte: Orthographie/Orthographieerwerb, Grammatik/Gram-matikdidaktik, Erzählen/Erzählerwerb; Mitherausgeberin des Handbuchs Didaktik der deutschen Sprache
(8235/8236).
Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de
Bibliografische Information Der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem Papier (mit 50 % Altpapieranteil)
2., durchgesehene Aufl age 2013
© 2007 Verlag Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG
(Verlag Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn
Internet: www.schoeningh.de
Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der
engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfi lmungen und die Einspeicherung
und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Printed in Germany Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart, nach einem Entwurf von Alexandra Brand und Judith Karwelies
Layout: Alexandra Brand und Judith Karwelies
UTB-Band-Nr. 2890 ISBN 978-3-8252-3838-4
Vorwort zur Reihe
StandardWissen Lehramt – Studienbücher für die Praxis
Wie das gesamte Bildungswesen wird sich auch die künftige Lehr-
amtsausbildung an Kompetenzen und Standards orientieren.
Damit rückt die Frage in den Vordergrund, was Lehrkräfte wissen
und können müssen, um ihre berufliche Praxis erfolgreich zu
bewältigen. Das Spektrum reicht von fachlichen Fähigkeiten über
Diagnosekompetenzen bis hin zu pädagogisch-psychologischem
Wissen, um Lehren als Unterstützung zur Selbsthilfe und Lernen
als eigenaktiven Prozess fassen zu können.
Kompetenzen werden nicht in einem Zug erworben; Lehrer-
bildung umfasst nicht nur das Studium an einer Hochschule,
sondern ebenso das Referendariat und die Berufsphase. Die Rei-
he StandardWissen Lehramt bei UTB bietet daher Lehramtsstu-
dierenden, Referendaren, Lehrern in der Berufseinstiegsphase
und Fortbildungsteilnehmern jenes wissenschaftlich abgesicher-
te Know-how, das sie im Rahmen einer neu orientierten Ausbil-
dung wie auch später in der Schule benötigen. Fachdidaktische
und pädagogisch-psychologische Themen werden gleicherma-
ßen in dieser Buchreihe vertreten sein – einer Basisbibliothek für
alle Lehramtsstudierenden, Referendare, Lehrerinnen und Leh-
rer.
Inhalt
Vorwort
Einleitung
Sprachbetrachtung im Deutschunterricht
Die sprachtheoretischen Grundlagen
Formen der Sprachbetrachtung
Was ist Sprachbetrachtung?
Zusammenfassung
Aufgaben
Begriffsklärungen
Zusammenfassung
Aufgaben
Sprachbetrachtung und Schrift
Dekontextualisierung und Schrift
Deautomatisierung und Schrift
Distanzierung und Schrift
Vorliterales und literales Bewusstsein
Zusammenfassung
Aufgaben
Was wird betrachtet? – Kategorien der Sprachbetrachtung
Metasprache und Metakommunikation
Metasprachliche und metakommunikative Analysen
Die Rolle metasprachlicher und metakommunikativer Betrach-
tungsaktivitäten für das primärsprachliche Handeln
Metamediale Sprachbetrachtung
Zusammenfassung
Aufgaben
Wie wird Sprache betrachtet? – Formen des Wissens über
Sprache
„Können“ und „Wissen“
0
Seite 14 0.1
0.2
1
22 1.1
31 1.2
38 1.3
1.3.1
1.3.2
1.3.3
1.3.4
59 1.4
1.4.1
1.4.2
1.4.3
1.4.4
93 1.5
1.5.1
8
Können und Wissen im Muttersprachen- und im
Fremdsprachenunterricht
Formen der Verfügbarkeit über Sprache
Formen der Verfügbarkeit über grammatische Strukturen
Formen der Verfügbarkeit über kommunikative Strukturen
Formen der Verfügbarkeit über mediale Konzepte
Zusammenfassung
Aufgaben
Sprachbetrachtung und sprachliche Norm
Die Norm und die Schrift
Die Norm und die Suche nach der idealen Sprache
Die Norm und die Herausbildung des Deutschen als Verkehrs-
sprache
Zusammenfassung
Aufgaben
Anlässe für Sprachbetrachtungsaktivitäten
Zusammenfassung
Erkenntniswege: Deduktion – Induktion – Abduktion
Zusammenfassung
Aufgaben
Typen der Sprachbetrachtung
Aufgaben
Entwicklung der Sprachbetrachtung
Die Entstehung metasprachlicher Bewusstheit
Erste metasprachliche Aktivitäten?
Die Entstehung phonologischer Bewusstheit
Die Entstehung syntaktischer Bewusstheit
Die Entstehung semantischer Bewusstheit
Erwerbsreihenfolgen
Warum metasprachliche Bewusstheit entsteht –
Drei Hypothesen
Zur Entstehung metakommunikativer Sprachbewusstheit
Lügen lernen
1.5.2
1.5.3
1.5.4
1.5.5
1.5.6
130 1.6
1.6.1
1.6.2
1.6.3
150 1.7
155 1.8
162 1.9
2
167 2.1
2.1.1
2.1.2
2.1.3
2.1.4
2.1.5
2.1.6
194 2.2
2.2.1
Inhalt
9
Höflichkeit
Recipient design
Der Erwerb metamedialer Bewusstheit
Zusammenfassung
Aufgaben
Sprachbetrachtung und Schule
Zur Geschichte der Sprachbetrachtungskonzeptionen
für den Unterricht
Der lange Abschied vom Trivium
Das 18./19. Jahrhundert
Das 20. Jahrhundert
Vom Grammatikunterricht zur Sprachreflexion
Zusammenfassung
Konzepte des schulischen Grammatikunterrichts
Der traditionelle Grammatikunterricht
Der situative Grammatikunterricht
Der funktionale Grammatikunterricht
Die Grammatik-Werkstatt
Zusammenfassung
Aufgaben
Grammatikunterricht in der Schule
Schulgrammatische Terminologie
Lehrpläne
Lehrbücher
Grammatikunterricht und schulische Wirklichkeit
Vorschläge für einen formalen Grammatikunterricht am
Beispiel des Verbs und der Kasus
Zusammenfassung
Aufgaben
Sprachreflexionskonzeptionen für die Schule
Zusammenfassung
Lösungen zu den Aufgaben
2.2.2
2.2.3
198 2.3
3
205 3.1
3.1.1
3.1.2
3.1.3
3.1.4
226 3.2
3.2.1
3.2.2
3.2.3
3.2.4
243 3.3
3.3.1
3.3.2
3.3.3
3.3.4
3.3.5
269 3.4
276 4
Inhalt
Vorwort
Wer ein Buch über Sprachbetrachtung und Grammatikunterricht
schreibt und darüber spricht, muss sich einiges gefallen lassen.
Selbst Lehrer und Lehrerinnen sind nur schwer zu begeistern.
Man nimmt sich also vor, eine besonders ansprechende Darstel-
lung vorzulegen.
Die Recherchen zum Thema sind allerdings alles andere als
ermutigend. Das gilt gleich für drei Aspekte: Erstens sind die
Modelle so vielfältig, dass kaum ein Durchkommen ist. Zweitens
steht bislang keine einheitliche Begrifflichkeit zur Verfügung, die
es erlauben würde, zumindest gesicherte Grundkonzepte darzu-
stellen. Und drittens basieren die meisten Modelle und Konzepte
eher auf Hypothesen als auf empirischen Erkenntnissen über
Lernprozesse.
Ein im herkömmlichen Sinn einleitendes Buch zu schreiben,
ist unter diesen Bedingungen kaum möglich. Noch schwieriger
wird es, wegzukommen vom Vorurteil über die Sperrigkeit des
Gegenstandes.
Der vorliegende Band versucht Orientierungen bereitzustel-
len, auf deren Grundlage es dem Leser/der Leserin gelingt, sich
selbst ein Bild der Lage zu machen und daraus Schlüsse für die
theoretische und praktische Weiterarbeit zu ziehen. Feste Wahr-
heiten oder konkrete Handlungsanweisungen sind aber ebenso-
wenig zu erwarten wie eine Erlösung aus der Krise.
Wenn es gelungen sein sollte, durch die Darstellung von Kri-
terien zur Klassifizierung und Beurteilung von Konzepten und
Modellen der Sprachbetrachtung Ordnung herzustellen, wäre
viel erreicht.
Danken möchte ich Cäcilia Töpler für die kritische Lektüre.
Gregor Strick hat den Text redigiert und korrigiert. Verbliebene
Fehler sind selbstverständlich von mir zu verantworten.
Köln, im Frühling 2007 Ursula Bredel
14
0.1 Sprachbetrachtung im Deutschunterricht
Die wesentlichen Ziele des Sprachunterrichts können unter Be-
zugnahme auf die sprachlichen Handlungen, die Schüler und
Schülerinnen zu bewältigen haben, also Lesen, Schreiben, Spre-
chen und Hören definiert werden. Wenn nun die Bewältigung
dieser Handlungen im Vordergrund steht, dann hat die Thema-
tisierung von Sprache, die es ja mit einer reflexiven Praxis, also
bloß einem „Reden über“ zu tun zu haben scheint, in dieser
Systematik keinen Platz.
Wofür wird Sprachbetrachtung, vor allem Grammatikunter-
richt in der Schule betrieben? Ist es wichtig, und wenn ja, warum,
dass Schüler/innen Subjekte und Objekte voneinander unter-
scheiden können? Was hilft es Kindern, wenn sie Verben identi-
fizieren können? Sind Einsichten über die sprachliche Struktur
von Begrüßungsritualen hilfreich für das eigene soziale Handeln?
Kann ein Wissen über das Layout von Texten das Leseverständnis
positiv beeinflussen? Ist die Kenntnis des Unterschieds zwischen
Aktiv- und Passivsätzen zur Lebensbewältigung erforderlich?
Solche Fragen werden nicht zum ersten Mal gestellt. Sie be-
gleiten die Diskussion des sprachlichen Unterrichts vielmehr seit
seinem Bestehen. Die Antworten, die darauf gegeben wurden,
sind vielfältig und jeweils nur zu verstehen, wenn man die histo-
rischen Bedingungen würdigt, unter denen sie zustande gekom-
men sind. Insgesamt ist bis heute ein Bild entstanden, das un-
einheitlicher und zerstreuter kaum sein könnte.
Der vorliegende Band versucht, die Bandbreite der vertretenen
Positionen aufzunehmen und für den Leser/die Leserin nachvoll-
ziehbar zu strukturieren. Dabei erhält der Grammatikunterricht,
der als prominenteste Form der Sprachbetrachtung im Deutsch-
unterricht eine besonders wechselhafte Geschichte hinter sich
hat, eigenes Gewicht.
Bis in die 1970er-Jahre war Grammatik, verstanden als Wort-
und Satzlehre, praktisch das einzige, was Schüler und Schüle-
rinnen über ihre Sprache erfahren haben. Gaisers Aufsatz
„Wieviel Grammatik braucht der Mensch?“ von 1950 steht symp-
tomatisch für eine weitreichende Diskussion, die in der späteren
Nachkriegszeit in Gang kam und an deren Ende häufig ein Ver-
zicht auf den Grammatikunterricht, manchmal auf Sprachbe-
trachtung überhaupt stand.
„Wieviel Grammatikbraucht der
Mensch?“
0 Einleitung
15
Die meist ideologisch geführten Debatten dieser Zeit verstell-
ten häufig den Blick auf die Sache, vor allem verstellten sie den
Blick darauf, was Schüler/innen tatsächlich tun, wenn sie sich
reflektierend mit Sprache befassen.
An diesem Punkt setzt die vorliegende Einführung an. Das
erste Kapitel widmet sich der Frage, was Sprachbetrachtung ist
und wie Sprachbetrachtungsaktivitäten vor sich gehen – dies
noch unabhängig davon, zu welchem Zweck Sprachbetrachtung
betrieben wird oder zu welchem Zweck man sie betreiben sollte.
Erst wenn das Was und das Wie erschlossen sind, kann die Frage
nach dem Warum gestellt werden.
Nun liegen die Verhältnisse jedoch auch hier komplizierter,
als es uns recht sein kann: Denn sowohl in Bezug auf das Was
als auch in Bezug auf das Wie wird sich die Diskussion mehrfach
verzweigen. Dies allein schon deshalb, weil wir es bei der Frage
nach dem Was mit sehr unterschiedlichen Aspekten des Gegen-
stands Sprache zu tun bekommen und bei der Frage nach dem
Wie mit verschiedenen kognitiven Aktivitäten, die in je unter-
schiedlichen Sprachbetrachtungssituationen involviert sind.
Eine sinnvolle Ordnung dieser Aspekte führt zu einer Typolo-
gie unterschiedlicher Sprachbetrachtungsaktivitäten, die es dem
Leser/der Leserin erlauben, die Vielfalt möglicher Zugriffsweisen
auf Sprache zu sortieren und kriteriengeleitet zu entscheiden,
welche Sprachbetrachtungsaktivität im Sprachunterricht wie zum
Einsatz kommen könnte. Wer allerdings konkrete Unterrichtsvor-
schläge erwartet, wird enttäuscht. Wie Ossner (2006:14) schreibt,
kann die Fachdidaktik „nicht aus sich heraus die richtige Hand-
lung erzeugen, aber sie kann als Wissenschaft helfen, dass die
einschlägigen Handlungen rational und nachvollziehbar getrof-
fen werden“.
Zu einer kriteriengeleiteten Planung und Durchführung von
Unterricht gehören neben Kenntnissen über Erkenntniswege, die
Schüler und Schülerinnen beschreiten, auch Kenntnisse über
Lern- und Entwicklungsprogressionen. Wie sich Sprachbetrach-
tungskompetenzen in der Schule (weiter-)entwickeln, ist jedoch
kaum bekannt. Mehr wissen wir darüber, wie Kinder sich, bevor
sie in die Schule kommen, mit Sprache und Sprachlichem befas-
sen. Jede Sprachbiographie ist auch eine Sprachbetrachtungsbio-
graphie. In der frühen Kindheit äußert sich die Aufmerksamkeit
auf Sprachliches in meist spielerischem Experimentieren (Kokos-
Verschiedene Typender Sprachbetrach-tung
Entwicklung derSprachbetrachtung
Sprachbetrachtung im Deutschunterricht 0.1
16
flocken, Kokoploko, Kokosfloko, Hokoflokus, Malin 2;6 Jahre, Wehr
2001:98) oder in Fragen nach Bedeutungen oder der Motiviert-
heit von sprachlichen Zeichen (Warum heißt der Hund eigentlich
„Hund“?). Eine aktive Auseinandersetzung mit Sprache können
wir auch daran erkennen, dass Kinder eigene oder fremde Sprach-
fehler korrigieren, dass sie ihre Sprache an den Adressaten an-
passen, z. B. kleineren Kindern gegenüber eine einfachere Spra-
che verwenden, oder dass sie sich über die Formen von
Buchstaben unterhalten (Das große Q ist ein O mit einem Schwänz-
chen; bei „Maus“ kann ich die Mausohren sehen. Gemeint sind die
Oberlängen von M; Beispiel nach Valtin 2003:764.).
Die frühen Formen der Sprachbetrachtung und ihre Entwick-
lung, die Gegenstand von Kapitel 2 sind, geben uns nicht nur
Aufschluss über die Voraussetzungen von Schülern und Schüle-
rinnen bei Schulbeginn; ihre Kenntnis erleichtert es zugleich, die
richtigen Ansatzpunkte für eine Sprachthematisierung im Unter-
richt zu finden.
Mit dem Eintritt in die Schule wird das vielfältige kindliche
Interesse an Sprache auf schulisch relevantes Wissen über Spra-
che konzentriert. Einige der natürlichen Zugriffsweisen der Kin-
der auf Sprache werden nicht aufgegriffen oder weiterverfolgt,
andere kommen hinzu. Dabei war und ist zu keiner Zeit klar, wie
die Neustrukturierung der kindlichen Sprachbetrachtungsaktivi-
täten in und durch die Schule aussieht oder aussehen soll. Hier
stoßen wir auf die oben genannten unterschiedlichen program-
matischen Überlegungen, vor allem für den Grammatikunter-
richt. Wie sprachtheoretische, sprachpolitische und lerntheore-
tische Ansichten jeweils zusammenwirken und eine je eigene
Didaktik der Sprachbetrachtung formieren, wird aus der histo-
rischen Distanz besser als aus der unmittelbaren Gegenwarts-
perspektive erkennbar. Kapitel 3, das sich mit Modellen des
Sprachbetrachtungsunterrichts befasst, beginnt daher mit einem
historischen Rückblick, an dem wir erkennen können, wie sehr
die lange Tradition auch aktuelle Konzepte beeinflusst. Das gilt
für Gegenentwürfe, die sich von der Tradition befreien wollen und
gerade deshalb einen Bezug zu ihr herstellen – es gilt aber auch
für die fraglose Übernahme didaktischen Brauchtums.
Zwischen Modellen und Konzepten für und ihrer praktischen
Umsetzung in der Schule besteht immer ein mehr oder weniger
großer Abstand. Wir werden daher die konkreten schulischen
Modelle desSprachbetrach-tungsunterrichts
Sprachbetrachtungin der Schule
0 Einleitung
17
Bedingungen, also ministerielle Vorgaben, Lehrpläne und Schul-
bücher zu untersuchen haben und beobachten, wie Sprachbe-
trachtung, die noch heute überwiegend Grammatikbetrachtung
ist, in der Schule konkret abläuft. Wie Grammatikunterricht auf
der Grundlage einer angemessenen Sach- und Lernstruktur aus-
sehen könnte, wird exemplarisch zur Diskussion gestellt. Ausbli-
cke in andere Formen der Sprachbetrachtung, die in der Schule
angeregt werden, schließen den Band ab.
0.2 Die sprachtheoretischen Grundlagen
Jeder, der Sprachbetrachtung betreibt, und jeder, der über Sprach-
betrachtung spricht, braucht eine Systematik des Gegenstands
Sprache. Der Leser/die Leserin sollte daher mit den Grundlagen
der Sprachwissenschaft vertraut sein, die hier nicht systematisch
aufgearbeitet werden können. Denn die Fachsystematik (Was ist
Sprache?) musste der Betrachtungssystematik (Was ist Sprach-
betrachtung?) untergeordnet werden.
Um die Lektüre zu erleichtern, wird im Folgenden eine Mini-
malsystematik des Gegenstandes Sprache vorgestellt, die sich an
den üblichen Disziplinen der Sprachwissenschaft orientiert. Zu
jedem Bereich werden Lektürevorschläge gemacht, die einen ver-
tiefenden Einstieg in die Thematik erlauben.
In der Sprachwissenschaft/Linguistik geht man davon aus,
dass das Sprachsystem in seinem Kernbereich aus verschiedenen
Teilsystemen besteht, die jeweils über ein eigenes Inventar und
eigene kombinatorische Gesetzmäßigkeiten verfügen. Die Pho-
nologie (Lautlehre), die Morphologie (Wortlehre) und die Syntax
(Satzlehre) sind seit jeher fest in der Sprachwissenschaft veran-
kert. Die Graphematik (Lehre der Schrift) beginnt sich erst in
jüngerer Zeit ihren Platz in der Systemlinguistik zu erobern.
Die Phonologie befasst sich nicht nur mit einzelnen Lauten,
sondern auch mit der Kombinatorik von Lauten zu Silben, mit
Akzentmustern und der Intonation, d. h. mit allen Eigenschaften
der Sprache, die mit Schallerzeugung zu tun haben. Weil Schrift-
sprache und Lautsprache sich substanziell unterscheiden, wer-
den Laute in der Sprachwissenschaft nicht mit Buchstaben wie-
dergegeben, sondern mit phonetischen Sonderzeichen. So wird
der Ausdruck „offen“ als [?çf´n], „Ofen“ als [?of´n] wiedergegeben.
Phonologie
Die sprachtheoretischen Grundlagen 0.2
18
Maßgeblich ist das Internationale Phonetische Alphabet (IPA).
Eine ausführliche Darstellung der wichtigsten Erkenntnisse der
Phonologie bietet Hall (2000).
Die Graphematik untersucht das Schriftsystem. Sie befasst
sich mit Graphemen und Schreibsilben; hier wird ermittelt, war-
um „offen“ mit zwei f geschrieben wird, obwohl man nur eins
hören kann. Außerdem befasst sich die Graphematik damit, wie
Grapheme/Schreibsilben zu graphematischen Wörtern zusam-
mengesetzt werden, sowie mit Problemen der Groß-/Kleinschrei-
bung, der Getrennt-/Zusammenschreibung und der Interpunkti-
on. Eine gute Darstellung der Wortschreibung findet sich in
Duden 4 (72005); für die Erarbeitung der Regularitäten der Groß-
/Kleinschreibung und der Getrennt-/Zusammenschreibung eig-
net sich Eisenberg (22004a); für die Interpunktion Bredel (2008;
2011).
Die Morphologie befasst sich mit der inneren Struktur von
Wörtern. Unterschieden werden muss zwischen der Wortbildung
und der Flexionsmorphologie. Die Wortbildung interessiert sich
dafür, wie aus einzelnen Wortbausteinen neue Wörter entstehen
(z. B. wird aus Glück und lich glücklich). Die Flexionsmorphologie
befasst sich damit, welche Formen Wörter haben (z. B. ein glück-
licher Vater – der glückliche Vater). Zur Erarbeitung der wichtigsten
Prinzipien der Wortbildung seien Donalies (22005) und Eisenberg
(22004a) empfohlen, zur Erarbeitung wichtiger Aspekte der Fle-
xionsmorphologie Eisenberg (22004) und Duden 4 (72005).
Die Syntax befasst sich mit Sätzen. Hauptaufgabe ist die Er-
mittlung von Wortarten und die Beschreibung von Satzstruktu-
ren. Die wichtigste Großunterscheidung bei den Wortarten ist die
zwischen lexikalischen und funktionalen Kategorien. Zur lexika-
lischen Kategorie zählen die Inhaltswörter (Verben, Adjektive,
Substantive, Adverbien), zur funktionalen solche, die nur wenig
Eigenbedeutung aufweisen, aber wichtige grammatische Funkti-
onen im Satz übernehmen (z. B. Konjunktionen, Präpositionen,
Pronomen). Im Bereich der Satzlehre ist die theoretische Vielfalt
recht groß. Eine eher traditionelle Darstellung liefern Duden 4
(72005) sowie Helbig & Buscha (52005). Empfehlenswert ist au-
ßerdem Eisenberg (22004). Sehr detaillierte Analysen werden in
der Grammatik des Instituts für deutsche Sprache von Zifonun
et al. (1997) vorgelegt.
Graphematik
Morphologie
Syntax
0 Einleitung
19
Darüber hinaus befasst sich die Sprachwissenschaft mit der
Bedeutung sprachlicher Zeichen und ihrem Gebrauch. Diese As-
pekte definieren die Disziplinen der Semantik (Bedeutungslehre)
und der Pragmatik (Lehre vom Sprachgebrauch).
Die Semantik unterscheidet zwischen Wort- und Satzbedeu-
tung. Während es bei phonologischen, graphematischen, mor-
phologischen und syntaktischen Analysen, die sich ja auf die
Form sprachlicher Ausdrücke beziehen, kaum Schwierigkeiten
bereitet, bestimmte, eben formale Merkmale zu ermitteln, fällt
dies bei der Wortsemantik erheblich schwerer. Dennoch wird ver-
sucht, auch hier mit Merkmalen zu arbeiten: Ein Wort wie „Hund“
hätte dann das Merkmalbündel [+belebt, +animal, +Fell, +bellt]
und würde sich – diese Analyse vorausgesetzt – von der Katze in
einem Merkmal [-bellt], vom Menschen in drei Merkmalen [-ani-
mal, -Fell, -bellt] unterscheiden. Dies entspricht durchaus unserer
Intuition über vorliegende Verwandtschaftsbeziehungen. Aller-
dings ist die sog. Komponentenanalyse nur eine Möglichkeit,
Wortbedeutungen zu beschreiben. Insgesamt schwieriger wird
es bei der Ermittlung der Satzbedeutung, wo zwischen der Be-
deutung von Wörtern und der Bedeutung ihrer Zusammenfügung
unterschieden werden muss. Zur einführenden Lektüre sei Löb-
ner (2003) empfohlen.
Die Pragmatik befasst sich mit dem Sprachgebrauch. Wich-
tige Meilensteine bei der Entdeckung der Gesetzmäßigkeiten des
sprachlichen Handelns waren die Maximentheorie von Grice, die
Sprechakttheorie von Austin und Searle und die Konversations-
analyse von Sacks. Einen ersten Überblick geben Levinson
(32000) und Meibauer (22001).
Quer zu den genannten sprachwissenschaftlichen Disziplinen
steht eine Unterscheidung, die in der Sprachdidaktik eine heraus-
ragende Rolle spielt: die zwischen Mündlichkeit und Schriftlich-
keit. Zwar wurden mit der Phonologie und der Graphematik zwei
für die mündliche und die schriftliche Sprache charakteristische
Disziplinen benannt. Die Differenz zwischen gesprochener und
geschriebener Sprache geht aber weiter: So ist schreiben etwas
anderes als sprechen, lesen etwas anderes als hören. Sieht man
die Funktion der Sprachbetrachtung in der Schule auch darin, die
Schüler und Schülerinnen beim kontrollierten Vollzug dieser Teil-
tätigkeiten zu unterstützen, muss die Differenz zwischen Münd-
lichkeit und Schriftlichkeit bei der Modellierung der Sprachbe-
Semantik
Pragmatik
Die sprachtheoretischen Grundlagen 0.2
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