titel meiner bachelorarbeit - kre:art · 2019. 1. 4. · diplomarbeit aus pädagogik eingereicht an...
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Diplomarbeit aus Pädagogik
eingereicht an der
Bundes-Bildungsanstalt für Elementarpädagogik St. Pölten
am 25.05.2018
Reggio - das innovative Konzept in der Elementarpädagogik
Maiwenn Paget 6KKB
Betreuungslehrerin:
Mag.a Edith Feuchtner
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VORWORT
„Freude ist die Grundlage von Erziehung und Veränderungen im Kleinen haben auch Wirkung
auf das große Ganze“ (MALAGUZZI o.J. In DREIER 2015, 168).
Mein Interesse an der Reggio-Pädagogik wurde durch ein fachspezifisches Seminar im Rahmen
meiner Ausbildung an der BAfEP Sankt Pölten geweckt. Als Klasse verbrachten wir einen
Halbtag im Kre:ART1 von Frau Monika Seyrl in Krems. Unsere Gruppe nutzte das Atelier und
bekam neue Impulse im Bereich Ästhetik und Gestaltung. Ich kam an diesem Tag das erste Mal
in Kontakt mit dem Gedicht „Hundert Sprachen“2. Diesem Erlebnis folgten ein Praktikum in
einem reggio-orientierten Kindergarten und das Einstiegsbuch: „Was tut der Wind, wenn er
nicht weht?“ (DREIER 2015). Mein Interesse an der Reggio-Pädagogik war dadurch erneut
geweckt und so war es für mich selbstverständlich mich mit diesem Thema in Form einer
Diplomarbeit auseinanderzusetzen. Ich fand es faszinierend, wie ein Konzept, das in einer Stadt
in Norditalien entstand, weltweit für die Elementarpädagogik interessant werden konnte.
An dieser Stelle möchte ich allen danken, die diese Arbeit durch ihre fachliche und persönliche
Unterstützung und Motivation begleitet haben. Ganz besonders möchte ich mich bedanken bei:
Mag.a Edith Feuchtner für die Ermutigung zur Arbeit und ihre hilfreichen Anregungen, Frau
Monika Seyrl für ihre fachliche Begleitung in Form von Gesprächen und Literatur, sowie
meiner Familie und meinen Freunden für deren Beratung und emotionale Begleitung.
1 Kre:ART ist ein Kunst-, Kultur-, Bildungs- und Kreativitätszentrum in Krems an der Donau. 2 Das vollständige Gedicht von Loris Malaguzzi „Und es gibt Hundert doch“ ist im Anhang der Arbeit.
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INHALTSVERZEICHNIS
1 Einleitung ........................................................................................................................... 5
2 Geschichte der Reggio-Pädagogik ..................................................................................... 8
Entstehung und Entwicklung der Reggio-Pädagogik .................................................. 8
Loris Malaguzzi (1920-1994) .................................................................................... 12
3 Das Konzept ..................................................................................................................... 13
Ziele der Reggio-Pädagogik ...................................................................................... 14
Theorie-Praxis-Verhältnis ......................................................................................... 14
4 Strukturelemente der Reggio-Pädagogik ......................................................................... 16
Leitungsrat und Satzung ............................................................................................ 16
Personelle Situation ................................................................................................... 16
Altershomogenität ..................................................................................................... 18
5 Pädagogische Grundzüge der Reggio-Pädagogik ............................................................ 20
Charta der drei Rechte ............................................................................................... 20
5.1.1 Die Rechte der Kinder ........................................................................................ 20
5.1.2 Die Rechte der Pädagogen ................................................................................. 21
5.1.3 Die Rechte der Eltern ......................................................................................... 22
Pedagogica participazione ......................................................................................... 22
5.2.1 Partizipation der Kinder ..................................................................................... 23
5.2.2 Partizipation der Pädagogen ............................................................................... 24
5.2.3 Partizipation der Eltern ....................................................................................... 24
Das Bild vom Kind .................................................................................................... 25
5.3.1 Das Kind hat hundert Sprachen .......................................................................... 26
5.3.2 Das Kind als aktiver Forscher ............................................................................ 27
5.3.3 Das Kind als Konstrukteur seines Wissens ........................................................ 28
Rollenverständnis ...................................................................................................... 28
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2
5.4.1 Die Rolle der Pädagogen .................................................................................... 28
5.4.2 Die Rolle der Eltern und der Familien ............................................................... 32
Die Räume ................................................................................................................. 34
5.5.1 Material .............................................................................................................. 39
Inklusion .................................................................................................................... 41
6 Bildungsverständnis ......................................................................................................... 45
Bildung ...................................................................................................................... 45
Lernen ........................................................................................................................ 46
Ko-Konstruktivismus ................................................................................................. 49
Projektarbeit und Planung ......................................................................................... 50
6.4.1 Projektarbeit ....................................................................................................... 50
6.4.2 Planung ............................................................................................................... 53
Beobachtung und Dokumentation ............................................................................. 55
6.5.1 Beobachtung ....................................................................................................... 55
6.5.2 Dokumentation ................................................................................................... 55
Ästhetik und Kreativität ............................................................................................. 59
7 Institutionen in Reggio nell‘Emilia .................................................................................. 62
Das pädagogische Zentrum ....................................................................................... 62
Internationales Zentrum Loris Malaguzzi ................................................................. 62
Verein Reggio Children ............................................................................................. 63
Dokumentationszentrum ............................................................................................ 64
Videozentrum und Fotozentrum ................................................................................ 65
Theaterzentrum .......................................................................................................... 65
Netzwerk amici di reggio children ............................................................................ 65
Remida ....................................................................................................................... 65
Atelier 3 ..................................................................................................................... 66
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3
8 Reggio-Pädagogik in Österreich ...................................................................................... 67
Reggio Netzwerk Austria .......................................................................................... 67
Verein Forum Reggio-Pädagogik Österreich ............................................................ 67
8.2.1 Zertifikatsdiplomlehrgang .................................................................................. 69
Dialog Reggio- Fachverband für Reggiopädagogik .................................................. 70
Qualitätszeichen „Reggio-orientierte Bildungseinrichtungen“ ................................. 70
8.4.1 Prozessablauf ...................................................................................................... 71
8.4.2 Qualitätskriterien ................................................................................................ 72
8.4.3 Leitfaden ............................................................................................................. 72
8.4.4 Zielgruppe .......................................................................................................... 73
9 Resümee ........................................................................................................................... 75
Das Innovative der Reggio-Pädagogik ...................................................................... 75
Interview mit Fachexpertin ........................................................................................ 76
Persönliche Stellungnahme ........................................................................................ 78
10 Literaturverzeichnis .......................................................................................................... 80
11 Internetquellen .................................................................................................................. 84
12 Anhang ............................................................................................................................. 87
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4
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in dieser Diplomarbeit die Sprachform des
generischen Maskulinums angewendet. Es wird an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die
ausschließliche Verwendung der männlichen Form geschlechtsunabhängig verstanden werden
soll.
Aus oben genannten Gründen wird außerdem der grammatikalische Plural von „das Kind“
verwendet.
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„Inzwischen gilt die Reggio-Pädagogik vielerorts als Synonym für neue und ungewöhnliche
Wege in der öffentlichen Kindererziehung“ (DREIER 2015, 11).
Die Reggio-Pädagogik hat in den letzten Jahrzehnten international mit ihrem Bild vom
kompetenten Kind als aktivem Forscher, welches über „hundert Sprachen“ verfügt,
Reformprozesse in der Elementarpädagogik geprägt. Dennoch wissen viele Pädagogen kaum
etwas über diese Pädagogik und reduzieren sie auf ihre außergewöhnliche Ausstattung der
Räume und ihren Zugang zur Ästhetik. Doch die Reggio-Pädagogik ist eine sich ständig
weiterentwickelnde Erziehungsphilosophie und beinhaltet daher stets innovative Ansätze in der
Arbeit mit allen am Erziehungs- und Bildungsprozess beteiligten Personen.
Daraus entstand die Frage: „Was macht die Reggio-Pädagogik so einzigartig und innovativ?
Und wie funktioniert ihr pädagogisches Konzept?“
Das Ziel dieser Arbeit besteht in der Folge darin, das pädagogische Konzept der Reggio-
Pädagogik bekannt zu machen und das Innovative daran herauszuarbeiten. Die Diplomarbeit
ist an Schüler, Pädagogen und Interessierte gerichtet, die sich näher mit diesem pädagogischen
Ansatz befassen möchten. Ihr Ausmaß ist auf die Vielschichtigkeit und Verwobenheit der
einzelnen Bereiche zurückzuführen.
In der Reggio-Pädagogik gibt es weder einen alleinigen Gründer noch eine Methode, die sich
1:1 übertragen lässt. Daher gibt es auch keine Primärliteratur in Form eines Standardwerkes,
welches über Theorie und Praxis informiert und als Leitfaden von Pädagogen eingesetzt werden
kann. Die meisten Schriften sind ursprünglich in Italienisch verfasst worden und wurden danach
in andere Sprachen übersetzt. Die Informationen für diese Arbeit stammen aus den für den
deutschen Sprachraum verfügbaren Büchern.
Ein Fachexpertinnen-Interview mit Monika Seyrl1 ergänzt die Literaturerkenntnisse und
konzentriert sich auf die innovativen Elemente der Reggio-Pädagogik.
Die Arbeit gliedert sich in 8 Kapitel.
1Monika Seyrl (1966 geboren) ist Obfrau des Vereins Forum Reggio-Pädagogik Österreich.
1 EINLEITUNG
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Einleitend wird im Kapitel „Geschichte der Reggio-Pädagogik“ beschrieben, wo, wie und durch
wen die Reggio-Pädagogik entstanden ist und wie sie sich seither entwickelt hat. Zudem wird
ein Überblick über das Leben des Mitbegründers Loris Malaguzzi gegeben.
Das nächste Kapitel „Das Konzept“ erläutert, wie der Titel schon verrät, das Konzept der
Pädagogik und ihr Theorie-Praxis-Verhältnis.
Um die Reggio-Pädagogik besser verstehen zu können ist es wichtig ihre ursprünglichen
Rahmenbedingungen zu kennen. Diese sind im Kapitel „Strukturelemente“ genannt. Der Leser
erhält Informationen über den Leitungsrat, die Satzung, die personelle Situation und die gelebte
Altershomogenität innerhalb der Kinderbetreuung in Reggio Emilia.
Von besonderer Bedeutung für die Diplomarbeit ist das Kapitel „Pädagogische Grundzüge der
Reggio-Pädagogik“. Es behandelt das „Herzstück“ dieser Pädagogik. Die Charta der drei
Rechte listet die Rechte der Kinder, der Pädagogen und der Eltern auf. In der Folge daran
werden auch die Partizipationsmöglichkeiten aller am Bildungsprozess beteiligten Personen
dargelegt. Auch die Rollen der Beteiligten sowie die Funktion und die Materialien der Räume
werden in diesem Kapitel näher beschrieben. Das Thema Inklusion ist ebenfalls fixer
Bestandteil der reggianischen Pädagogik und wird daher in einem Unterkapitel skizziert.
Im Kapitel „Bildungsverständnis“ definiert die Arbeit die Begriffe „Bildung“ und „Lernen“
sowie die Bedeutung des Ko-Konstruktivismus. Um diesen Teilbereich abzuschließen wird auf
die Projektarbeit und deren Planungsfaktoren und -abläufe eingegangen.
Die Themen „Beobachtung, Dokumentation und Ästhetik“ werden im nächsten Abschnitt
behandelt. Dieses Kapitel schafft einen Überblick über die Formen der Beobachtung und
Dokumentation der Reggio-Pädagogik. In der Folge wird auf das Verständnis und die
Bedeutung von Ästhetik und Kreativität eingegangen.
In der Arbeit vorkommende Institutionen in Reggio Emilia werden im darauffolgenden Kapitel
aufgezählt und erklärt.
Das Kapitel „Reggio-Pädagogik in Österreich“ informiert über die Zielsetzungen, Angebote
und den Zertifikatsdiplomlehrgang der beiden Vereine „Forum Reggio-Pädagogik Österreich“
und „Dialog Reggio“. Sie bilden gemeinsam den Dachverband „Reggio Netzwerk Austria“ der
seit 2017 das Qualitätszeichen „Reggio-orientierte Bildungseinrichtungen“ verleiht.
Anforderungen und Abläufe dafür werden in einem eigenen Unterkapitel gelistet.
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Im letzten Kapitel werden die innovativen Anteile der Reggio-Pädagogik zusammengefasst und
mit den Erkenntnissen eines Fachexpertinneninterviews ergänzt. Eine persönliche
Stellungnahme und eine weiterführende Fragestellung schließen die Arbeit ab.
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8
Das Wissen um die historische Entwicklung der Reggio-Pädagogik trägt zum besseren
Verständnis ihrer pädagogischen Grundzüge und ihres Bildungsverständnisses bei. In den
folgenden zwei Unterkapiteln wird ein Einblick in ihre Entstehung und das Leben von Loris
Malaguzzi gegeben.
ENTSTEHUNG UND ENTWICKLUNG DER REGGIO-PÄDAGOGIK
Die Reggio-Pädagogik hat ihren Namen von der norditalienischen Stadt Reggio nell‘Emilia,
deren historische und kulturelle Veränderungen ihre Entwicklung bis heute beeinflussen.
Reggio nell‘Emilia liegt zwischen Bologna und Mailand und gehört zu einer der 21 Regionen
Italiens, der Region Emilia-Romagna. Politisch wird diese Region seit jeher als „rote Region“
bezeichnet. Es ist eine Region, in der seit den 1960er Jahren auf eine Form der bürgernahen
und basisdemokratischen Politik seitens der Kommunistischen Partei wertgelegt wird. Hier
wurden auch die Sozialistische Partei und die Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegungen
gegründet. So kommt es, dass der Kooperativ-Gedanke in der Bevölkerung tief verwurzelt ist
und die Bewohner der Stadt bis heute stets bemüht sind ihre soziale Lebenssituation zu
verbessern. Die Stadt zählt heute zu einer der reichsten Kommunen Italiens und verfügt daher
über ein breites Netz an Sozialleistungen und ein vielfältiges kulturelles Angebot. Dieser
Wohlstand begünstigte die Entstehung der Reggio-Pädagogik und ist auch 2018 noch förderlich
für ihre Qualität.
Die Geschichte der Reggio-Pädagogik begann nach dem Ende des 2. Weltkrieges, um 1945, in
einem Vorort von Reggio nell‘Emilia namens Villa Cella. Aus dem Erlös eines
übriggebliebenen und zerlegten Panzers wollte die Bevölkerung etwas Sinnvolles für den Ort
tun. Ferner forderten alleinerziehende Frauen eine humanitäre und qualitative Betreuung ihrer
Kinder.
In einer demokratischen Abstimmung beschlossen die Bürger, dass ein Kindergarten die beste
Antwort auf einen Krieg sei. Es sollte nicht nur ein neues Gebäude entstehen, sondern ein Ort
der eine neue Generation und auch sie selbst erzieht. Dafür waren neue Erziehungsziele
notwendig. Man wollte den Kindern nach dem Krieg eine lebensbejahende und gewaltfreie
Richtung weisen. Als Loris Malaguzzi, von dieser Bürgerinitiative hörte war er
Grundschullehrer in Reggio nell‘Emilia. Begeistert von der Idee machte er sich auf den Weg
2 GESCHICHTE DER REGGIO-PÄDAGOGIK
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nach Villa Cella und begann die Arbeit der Bevölkerung über den Aufbau der Kindertagesstätte
namens „XXV aprile“2 zu dokumentieren.
„Die Frauen in Villa Cella wurden zu den eigentlichen Protagonisten einer neuen Erziehung für
Kinder, die bisher nicht in den hohen Schriften der Pädagogik verzeichnet war, weil sie vor allem
den Dialog und die Kommunikation in den Mittelpunkt stellte und zusammenfügen wollte, was
sonst in den Kindergärten getrennt war: das Kind, seine Familie und seine Umgebung“
(MALAGUZZI 1985, 5 In DREIER 2015, 19).
Dieses Engagement der Frauen und in Folge von Eltern und Bewohnern der Stadt kann als
Grundstein für das in Jahrzehnten gewachsenen, pädagogische Konzept der Reggio-Pädagogik
betrachtet werden. Noch heute ist der Dialog und gedankliche Austausch über Bildungsziele
und –formen Grundlage der täglichen Arbeit in den reggianischen Kindergärten. Das damalige
Einbeziehen aller für die Erziehung von Kindern relevanten Personen in die Planungen und
Entscheidungen des Kindergartenalltages ist heute fester Bestandteil des Konzeptes. (vgl.
DREIER 2015, 18-21) (vgl. KRIEG, Helmuth. 2002, 81-85)
In den Jahren nach 1950 entstanden dank aktiver Eltern weitere Kindergärten. Die zunehmende
Berufstätigkeit der Frauen forderte ebenfalls zusätzliche Betreuungsplätze. (vgl. GÖHLICH
1997, 138 In KÜPPERS 2013, 58)
1970 wurde Loris Malaguzzi Leiter der Beratungs- und Koordinationsstelle aller kommunalen
Krippen3 und Kindergärten in der Stadt Reggio nell‘Emilia. In Folge kam es in den 1970er
Jahren auch zu wesentlichen konzeptionellen Konkretisierungen der Reggio-Pädagogik. Zu
diesen innovativen Neuerungen zählen unter anderem die Einstellung des Puppenspielers
Mariano Dolci (siehe Punkt 5.6.1) in den Kindergärten sowie der ersten Werkstattleiter (siehe
Punkt 4.2) für die Ateliers in den Einrichtungen. Kinderbuchautor Gianni Rodari veranstaltete
Seminare mit Pädagogen und Kindern zu den Themen Fantasie und Ästhetik. (vgl. KNAUF
2017, 31) Hauptberufliche Pädagogen und Psychologen arbeiteten an der konzeptionellen
Entwicklung mit und unterstützen mit ihrem Wissen das Team.
Malaguzzi nahm von Anbeginn entwicklungspsychologische Erkenntnisse und philosophische
Ansätze von namhaften Pädagogen in seiner Arbeit auf und kombinierte diese mit innovativen
Elementen einer ästhetischen Bildung. Er beschäftigte sich mit den unterschiedlichsten
wissenschaftlichen Theorien und so gab es auch Einflüsse aus den Bereichen der Astronomie,
Physik und Thermodynamik. (vgl. BRENTZEN 1987, 13 In RIEBER 2002, 11)
2 Der 25. April ist in Italien Nationalfeiertag und der Tag der Befreiung vom Faschismus und der deutschen
Besatzung. 3 Krippe: Betreuungsort für Kinder unter 3 Jahren.
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10
Seit den 1970er Jahren wurde Reggio durch diese innovativen Ansätze, der daraus entstandenen
Projekte und durch Tagungen zu einem Zentrum für bildungspolitische Reformen und
Kindheitsfragen. (vgl. DREIER 2015, 28)
In den 1980er und 1990er Jahren fand in Folge ein gezielter internationaler Austausch in Form
von pädagogischen Kongressen statt. Hospitationen in den Einrichtungen wurden erstmals für
Besucher aus aller Welt möglich und es entstand eine Wanderausstellung. Diese Ausstellung
mit dem Titel „Wenn das Auge über die Mauer springt“ und ihre Erweiterung mit dem Titel
„Hundert Sprachen hat das Kind“ („the wonder of learning“) gaben und geben Interessenten in
der ganzen Welt Einblicke in Projekte, Dokumentationsformen, Didaktik und Methodik der
Reggio-Pädagogik und ernten bis heute Begeisterung und Anerkennung. (vgl. KÜPPERS o.J.,
60)
1991 zeichnete die amerikanische Zeitschrift „Newsweek“ die reggianischen
Kindereinrichtungen als beste vorschulische Institution der Welt aus. Außerdem wurde die
Reggio-Pädagogik „1991 von der UNESCO - die Organisation der Vereinten Nationen für
Erziehung, Wissenschaft und Kultur - als die weltweit beste Pädagogik zur Erziehung von
Kindern im Vorschulalter“ (VEREIN FORUM REGGIO-PÄDAGOGIK ÖSTERREICH
www.reggio-paedagogik.at/pdfs/reggio-folder.pdf/ 01.11.2017) bezeichnet. Die „Reggianer“
wurden in ihrem Konzept allerdings in dieser Zeit auch immer wieder von Konservativen
massiv und öffentlich angegriffen.
Als 1985 Loris Malaguzzi offiziell in den Ruhestand ging übernahm Carla Rinaldi die Leitung
des Pädagogischen Zentrums, welche sie bis heute trägt. (vgl. ULLRICH und
BROCKSCHNIEDER 2009, 13)
Loris Malaguzzi starb 1994. Nach seinem Tod wurde „Reggio Children“ (siehe Punkt 7.3)
gegründet, eine Organisation die der Sicherung und der Weiterentwicklung der Reggio-
Pädagogik dient. 2006 wurde das „Centro Internationale Loris Malaguzzi“ (siehe Punkt 7.3)
auf Wunsch des italienischen Erziehungsministeriums eröffnet. Es ist ein Zentrum für
Kleinkindpädagogik und bietet die Möglichkeit der Darstellung von Pädagogikideen und
-erfahrungen aus den reggianischen Einrichtungen. Das Zentrum beinhaltet auch ein
Forschungs- und Dokumentationszentrum (siehe Punkt 7.4). Die Reggio-Pädagogik entfaltet
sich in der Region Reggio Emilia-Romanga und in Italien dennoch langsam.
Am stärksten verbreitet ist die Reggio-Pädagogik heute in Schweden. Dort wird sie intensiv
umgesetzt und gelebt. Ein im ganzen Land verbreitetes Netzwerk von regionalen Gruppen
http://www.reggio-paedagogik.at/pdfs/reggio-folder.pdf/%2001.11.2017
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tauscht sich über Erfahrungen, Initiativen und die reggianische Praxis aus. (vgl. KNAUF 2017,
31f)
Die Geschichte macht deutlich, dass es keinen alleinigen Gründer der Reggio-Pädagogik gibt.
Es ist ein Ergebnis einer Gemeinschaft, denn die „Reggianer“ betrachten die öffentliche
Kindererziehung als gemeinschaftliche Aufgabe. Auf der Basis zahlreicher pädagogischer
Schriften namhafter nationaler und internationaler Pädagogen und in ständiger
Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Entwicklung und neuen wissenschaftlichen
Erkenntnissen ist die Reggio-Pädagogik ständig in Veränderung. Sie wird deshalb auch oft als
„Pädagogik des Werdens“ bezeichnet. (vgl. DREIER 2015, 18-20) Darauf wird im Kapitel „Das
Konzept“ näher eingegangen.
Finanzielle Unterstützung erhalten die kommunalen Krippen und Kindergärten von den
Kommunalpolitikern der Stadt, indem diese 40 Prozent des städtischen Haushaltsbudgets für
Bildung und Erziehung zur Verfügung stellen. (vgl. DREIER 2015, 29) Sergio Spaggiari4
begründet diese Ausgaben damit, dass „Erziehung…eine produktive Investition (ist) und kein
Land der Welt … es sich leisten (kann), auf diese Investition zu verzichten.“ (Sergio Spaggiari
1990, In DREIER 2015, 18)
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Reggio-Pädagogik eher eine Erziehungs-
Philosophie als eine übernehmbare Theorie darstellt. Sie ist eine Einladung an alle Beteiligte,
sich auf einen offenen Prozess einzulassen. Pädagogik wird demnach als Handlung verstanden
und nicht als vollendetes, kopierbares Produkt. (vgl. ULLRICH und BROCKSCHNIEDER
2001, 7f)
Die Frage „‚Wohin wollen wir unsere Kinder erziehen?‘“(DREIER 2015, 30) ist seit 1945 der
Motor dieses Prozesses und zeichnet die Reggio-Pädagogik mit großer Solidarität und
Wertschätzung gegenüber den Kindern aus.
Ziel ist, die Zusammenarbeit von Politik und Pädagogik in der Kindererziehung an einem dafür
notwendigen neuen Konzept. (vgl. DREIER 1993, 56 In RIEBER 2002, 45)
4 Sergio Spaggiari: Direktor der Abteilung für Erziehung in der Gemeindeverwaltung von Reggio Emilia.
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LORIS MALAGUZZI (1920-1994)
Im Kapitel 2.1 wurde bereits einiges zu Malaguzzi und seine Tätigkeiten berichtet. In diesem
Kapitel werden die für die Arbeit relevanten Eckdaten ergänzt.
Loris Malaguzzi kam am 23. Februar 1920 in Correggio (Italien) zur Welt.
Er studierte nach seinem Abschluss am Gymnasium Pädagogik und arbeitete als
Volksschullehrer. Als er um 1945 von den engagierten Bürgern in Villa Cella erfährt, schließt
er sich diesen an und unterstützte sie aktiv und als Berater und Ideengeber in der Umsetzung
ihres Projekts. (vgl. THESING 2013, 96)
Gemeinsam mit den Bürgern der Stadt entwickelte er über die Jahrzehnte ein neues
Erziehungskonzept mit drei Grundprinzipien, die bis heute Gültigkeit besitzen:
1. Erziehung zur Demokratie
2. Erziehung zur sozialen Gerechtigkeit
3. Erziehung zur Solidarität (vgl. THESING 2013, 93)
Die Reggio-Pädagogik geht davon aus, dass die grundlegende Demokratisierung des Staates
und der Sieg der Autonomien in verschiedensten Gesellschaftsbereichen die
Grundvoraussetzungen für eine neue Elementarpädagogik sind. (vgl. GÖHLICH 1997, 71)
1951 beendete er aufgrund seiner Erziehungsphilosophie seine Tätigkeit als Volksschullehrer
und absolvierte ein Studium der Psychologie an der Universität in Rom. Im Anschluss an dieses
setzte er sich für die Rechte von Kindern und Kindern mit Behinderungen ein. Er gründete in
Reggio ein Zentrum für Kinder mit Behinderungen. Bis zu seinem Tod am 30. Januar 1994 war
er im Namen der Reggio-Pädagogik tätig. Malaguzzi publizierte selbst kaum und so hinterlässt
er anstatt zahlreicher pädagogischer Schriften eine gelebte Praxis die er gemeinsam mit vielen
anderen bis zu seinem Lebensende ständig weiterentwickelte. (vgl. ULLRICH und
BROCKSCHNIEDER 2009, 11) (vgl. THESING 2004 und GÖHLICH 1997 In BAMLER und
SCHÖNBERGER und WUSTMANN 2010, 128)
Sein Dasein hatte Malaguzzi der Entstehung einer Erziehungsgemeinschaft gewidmet, er gilt
somit als Begründer der Reggio-Pädagogik. (vgl. KONRAD 2004, 196 In BUMANN 2008, 47)
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Wie aus dem vorangegangenen Kapitel hervorgeht, ist die Reggio-Pädagogik eine Pädagogik
in der die Tradition und Kultur der Stadt Reggio nell‘Emilia verankert sind. In Italien wird sie
als „esperienza reggiana“ bezeichnet was im deutschen immer wieder mit „Pädagogik des
Werdens“ oder „Pädagogik in Veränderung“ übersetzt wird, denn sie besitzt kein
abgeschlossenes, pädagogisches Konzept mit feststehenden Methoden das 1:1 übernommen
werden kann. Die Reggio-Pädagogik wird stets von den Beteiligten aufgrund aktueller
Entwicklungen und den gemeinschaftlich demokratisch erstellten Zielen des „regolamento“
(siehe Punkt 4.1) weiterentwickelt. Malaguzzi begründete diese ständige Anpassung
folgendermaßen: „Wir leben in einer sich ständig verändernden Welt, deshalb brauchen wir
auch in der Pädagogik den Vergleich, die Konfrontation, die Auseinandersetzung“
(MALAGUZZI 1992b, 106 In RIEBER 2002, 55). Die Entwicklung der Reggio-Pädagogik als
Prozess ist demnach geprägt vom Dialog, der Erfahrung und dem Versuch (auf Italienisch:
„esperienza“). Dies bedeutet nicht, dass die Pädagogen in Reggio nell‘Emilia willkürlich und
planlos handeln. Basierend auf neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen, Lern-, Entwicklungs-
und Sozialisationstheorien sowie Beobachtungen aus der Praxis werden laufend bestimmte
Grundlagen wie unter anderem das Menschenbild, das Rollen- und Bildungsverständnis
überprüft und bei Bedarf angepasst. (vgl. RIEBER 2002, 55ff)
Eltern sowie Bürger der Stadt werden in die Planungen miteinbezogen. Die Kooperation wird
in Reggio mit „,insieme‘, was man mit ‚zusammen‘, ‚gemeinsam‘, ‚beieinander‘ übersetzen
kann“(GÖHLICH 1993, 55 In ULLRICH und BROCKSCHNIEDER 2009, 20) ausgedrückt.
Grundlage und Orientierung für den gemeinsamen Weg bildet das „regolamento“. Es dient allen
Mitarbeitern als Orientierungshilfe und wird jährlich von jeder Einrichtung mit einer
individuellen Feinkonzeption ergänzt. (vgl. RIEBER 2002, 58)
Malaguzzi beschreibt die Zusammenarbeit aller und die damit verbundenen Herausforderungen
mit den Worten:
„Die starke Beteiligung der Familien und ihre intensive Beziehung zum Kindergarten sind ganz
wichtige Momente für die Organisation der pädagogischen Arbeit und letztlich auch für die in ihr
erreichbare Qualität.
Wir versuchen also, die Eltern ständig dabei zu haben. Natürlich bedeutet dies für die
Erzieherinnen eine große Anstrengung.
3 DAS KONZEPT
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Dieser Ansatz löste eine darauf verpflichtete pädagogische Forschung aus und förderte die
Entwicklung einer neuen Didaktik – einer Didaktik der Kommunikation zwischen Familien und
Institution.
Dafür gab es keine pädagogischen Modelle, auf die hätte zurückgegriffen werden können.
Und es gab für dieses Konzept keine Fachkräfte“ (MALAGUZZI 1992a, 20 In RIEBER 2002,
58).
ZIELE DER REGGIO-PÄDAGOGIK
Förderung von Autonomie und Solidarität
Entwicklung zur Kritikfähigkeit
Unterstützung von experimentellem Denken und Kreativität
Bildung von kooperativem und sozialem Verhalten
Gleichberechtigung beider Geschlechter
Inklusion
Kindern Lernfreude vermitteln
Individuelle Persönlichkeit und Kompetenzen des Kindes fördern
(vgl. DREIER 1993, 65 In KRIEG und KRIEG 2002, 32) (vgl. FORUM REGGIO-
PÄDAGOGIK ÖSTERREICH www.reggio-paedagogik.at/pdfs/verein-leitbild.pdf/
30.08.2017)
THEORIE-PRAXIS-VERHÄLTNIS
Die jahrzehntelangen Fachdiskussionen die Malaguzzi in Reggio nell‘Emilia organisierte
sorgten für ein umfassendes, theoretisches Fundament welches laufend durch internationale
Erkenntnisse aus den unterschiedlichsten Wissenschaften wie der Pädagogik, Psychologie,
Neurobiologie, Gehirnforschung und Kybernetik5, erweitert wird. (vgl. RIEBER 2002, 58)
„Nach Malaguzzis Aussage kommen wichtige Anregungen zur erziehenden Rolle der
Erwachsenen von Ferrière, Dewey, Wigotsky, Bruner, Piaget, Bronfenbrenner, Hawkins und den
späten Erkenntnissen von Kaye. Impulse zur Beziehung zwischen Sprache und sozialer
Interaktion nehmen die Reggianer von Shaffer, zur Entstehung der Darstellung und der
Wichtigkeit der interpersonalen kognitiven Konstruktion von Moscovici und Mugny und zu den
Formen der Intelligenz und offenen Neigungen von Gardner auf. Von psycholinguistischen
Forschungsergebnissen erhalten sie Anregungen zu der Frage, wie Erwachsene und Kinder
gemeinsam Kontexte der Bedeutungen konstruieren“ (KRIEG 2013, 84).
Die Mitarbeiter einer Einrichtung überprüfen diese wissenschaftlichen, theoretischen
Hypothesen im Praxisalltag und reflektieren ihre Ergebnisse in Folge mit Beratern des
pädagogischen Zentrums (siehe Punkt 7.1). Die Reggio-Pädagogik hat sich unter Partizipation
5 Wissenschaftliche Forschungsrichtung, die Systeme verschiedenster Art (z.B. biologische, soziologische
Systeme) auf selbsttätige Regelungs- und Steuerungsmechanismen hin untersucht.
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vieler Beteiligter, demnach aus einer fortlaufenden Reflexion der Praxis entwickelt. (vgl.
RIEBER 2002, 58f) Die Pädagogen wenden nicht einfach nur Theorien in der Praxis an,
sondern entwickeln auf Basis ihrer praktischen Erfahrungen und Reflexionen selbst Theorien.
Zusammenfassend kann man sagen, dass in der Reggio-Pädagogik ein großer Theorie-Praxis-
Bezug vorhanden ist, der sich laufend an die Bedürfnisse der Kinder anpasst und sich unter
Berücksichtigung auf das Heute ständig weiterentwickelt. (vgl. RIEBER 2002, 60) Gute
materielle und personelle Bedingungen fördern die qualitative Umsetzung.
So galt erst Malaguzzi als Berater der Reggio-Pädagogik, nach ihm seine Nachfolgerin Carla
Rinaldi und heutzutage ist es ein Gremium aus wissenschaftlichen Beratern die mit
Universitäten und den Einrichtungen zusammenarbeiten. Zu den Beratern zählen unter anderem
Dr. Howard Gardner6, Peter Moss und bis 2016 Jerome Bruner7. (vgl. SEYRL 2017a und
SEYRL 2017, Interview)
6 Howard Gardner geboren 1943 7 Jerome Bruner geboren 1915 - gestorben 2016
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LEITUNGSRAT UND SATZUNG
Die Leitung eines Kindergartens hat nicht eine einzelne Person sondern der autonome
gemeinschaftliche Leitungsrat („consiglio di gestione sociale“). Dieser wird alle zwei Jahre
gewählt und besteht aus den Bürgern, den Eltern und den Pädagogen. Die Verantwortung eines
Kindergartens ist somit zur Hälfte von Eltern getragen. Den Eltern wird dadurch die
Partizipation und eine Gleichwertigkeit garantiert. Die Aufgaben des Rates sind in einer
Satzung dem „regolamento“ schriftlich festgehalten. Im „regolamento“ gibt es vier
Arbeitsgruppen welche sich um Organisatorisches, Finanzielles und Praktisches rund um den
Kindergarten bemühen. Die Eltern und Pädagogen wählen frei in welcher Arbeitsgruppe sie
tätig sind. Das Recht auf individuelle Freiheit ist damit auch den Pädagogen gesichert. Die
Reggio-Pädagogik nimmt an, dass Pädagogen den Kindern nur dann Freiraum gewährleisten
können wenn sie selbst Freiraum erfahren. Das „regolamento“ definiert außerdem die
pädagogischen Ziele und Aufgaben der Kindereinrichtungen. Es bildet eine Orientierungshilfe
und verbindliche Grundlage, ohne dass es sich um ein starres Erziehungsprogramm handelt. Es
ist eine Erfassung von Grundsätzen die jährlich von Mitarbeitern der Einrichtungen selbst
erstellt wird. (vgl. GÖHLICH 1997, 78ff In LINGENAUBER 2013, 111) (vgl. DREIER 2015,
51)
PERSONELLE SITUATION
Die Mitarbeiter eines Kindergartens in Reggio nell‘Emilia sehen sich als Team und leiten
gemeinsam mit den Eltern. In jeder Einrichtung arbeiten zwei Pädagogen gleichberechtigt in
einer Gruppe. Die Wirtschaftskräfte sind ebenfalls in die pädagogische Arbeit eingebunden.
Eine nach Dienstjahren aliquote Bezahlung, anstatt anhand des Ausbildungsgrades,
symbolisiert die Gleichwertigkeit jedes Individuums. Zum Team einer Einrichtung gehören
außerdem ein Koordinator zur Integration, der Puppenspieler Mariano Dolci, die
Werkstattleiter („atelierista“) und die Fachberater („pedagonisti“). (vgl. DREIER 2015, 42f)
Die Werkstattleiter besitzen eine künstlerische, jedoch keine pädagogische Ausbildung. Sie
arbeiten mit allen Pädagogen und Kinder einer Einrichtung zusammen. Ihre fachlichen
Kenntnisse und Fähigkeiten ermöglichen eine Spektrumserweiterung der pädagogischen
Arbeit. Es geht im Atelier nicht um die Erzeugung von Kunst, sondern um den Ausdruck der
hundert Sprachen (siehe Punkt 6.6). Die Kinder sollen sich schöpferisch wahrnehmen und
4 STRUKTURELEMENTE DER REGGIO-PÄDAGOGIK
-
17
ausdrücken können, denn künstlerische Ausdrucksmittel sind eine Möglichkeit Gedanken
darzustellen. Diese Gedanken können durch das gestalterische Schaffen weiterentwickelt
werden. (vgl. KRIEG und KRIEG 2002, 73) Die Werkstattleiter beobachten und dokumentieren
die Kinder bei ihrem Prozess. Ihre künstlerischen Kompetenzen bilden die Grundlage für die
professionellen Standards der zahlreichen Veröffentlichungen von Reggio nell‘Emilia. (vgl.
SCHÄFER und VON DER BEEK 2013, 67) Seit 1968 sind die Werkstattleiter in sämtlichen
reggianischen Kindergärten angestellt. Die Rolle einer „atelierista“ wird unter anderem
beschrieben mit: „Sie ist eine Art Feldforscherin, bringt ihre eigenen, kulturellen Kompetenzen
in die Arbeitsgruppen ein und trägt dazu bei, die Kindertagesstätte in ein Laboratorium zu
verwandeln, einen Ort, an dem geforscht, experimentiert und gelernt wird“ (REGGIO
CHILDEREN 2002, 93).
Die „Pedagonisti“ sind Fachberater die den Pädagogen bei fachspezifischen Fragen, den
Forschungen und der Zusammenarbeit innerhalb der Einrichtungen unterstützen. (vgl. DREIER
2015, 58) Die Fachberater arbeiten an vier Tagen der Woche in der Einrichtung mit, den fünften
Tag sind sie im Pädagogischen Zentrum und arbeiten an der wissenschaftlichen Aufarbeitung
der Beobachtungen. Fachberater können das Team über neue wissenschaftliche Erkenntnisse
der Pädagogik, Psychologie und aus anderen Bereichen informieren. Sie können aber auch,
durch ihre aktive Mitarbeit in der Praxis, gemeinsam mit den Pädagogen und Eltern der
Einrichtungen die pädagogische Arbeit weiterentwickeln. (vgl. KRIEG 2002, 30f)
„Es gilt, der Einsamkeit des Erziehers gegenüber einer Gruppe von Kindern entgegenzuwirken“
(MALAGUZZI 1990 In DREIER 2015, 42). Deshalb arbeiten in der Reggio-Pädagogik immer
zwei Pädagogen in einer Gruppe zusammen. Diese Kooperation in einer Gruppe ist für die
Pädagogen bereichernd, da sie durch gegenseitige Reflexionen die Möglichkeit erhalten neue
Perspektiven einzunehmen. Sie reflektieren gemeinsam die Aussagen und Tätigkeiten der
Kinder und erarbeiten daraus Folgeschritte.
Alle Mitarbeiter treffen sich einmal wöchentlich, zu einer fixen Zeit und diskutieren über ihre
pädagogische Arbeit und Beobachtungen. Diese fixen Zeiten für einen Austausch im Team
garantieren dessen Kooperation.
Aufgrund dem von allen Beteiligten gewünschten Ziel einer gemeinschaftlichen, befruchtenden
Arbeit entsteht auch eine solidarische Kommunikationskultur in der Konflikte als Möglichkeit
für produktive Ergebnisse und nicht als Problem betrachtet werden. (vgl. KRIEG 2002, 39f)
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18
ALTERSHOMOGENITÄT
Eine weitere Besonderheit der Organisationsstruktur von Krippen und Kindergärten in Reggio
nell‘Emilia ist die altershomogene Gruppenführung. Die Entscheidung für dieses Modell
basiert auf zwei Annahmen:
1. Die Entwicklungsdivergenzen innerhalb einer Jahresgruppe reichen aus um eine
wechselseitige Impulsgebung bei den Kindern hervorzurufen.
2. Die Altershomogenität hat Vorteile für die gezielte und systematische
Entwicklungsanregung innerhalb von Projektangeboten. (vgl. ULLRICH und
BROCKSCHNIEDER 2001, 42f)
Bezugnehmend auf Theorien von Wygotski8 misst die Reggio-Pädagogik der Stimulation durch
Gleichaltrige eine wesentliche Rolle in der kognitiven Entwicklung zu. (vgl. RIEBER 2002,
29)
Die Kinder in einer altershomogenen Gruppe sind auf einem ähnlichen Entwicklungsstand und
regen sich gegenseitig zu kognitiven Konflikten an, die sie in ihren Selbst-Lern-Prozessen
weiterbringen. (vgl. RIEBER 2002, 119)
Da sich Gleichaltrige in der Art des Denkens näher sind, bilden sie füreinander einen geeigneten
Resonanzboden für Ideen und treiben ihre Denkprozesse gegenseitig so voran, wie es ihrer
gedanklichen Reihenfolge entspricht. Zudem haben Kinder gleichen Alters mehr Zeit ihre
eigenen Lösungsansätze zu verfolgen ohne von älteren Kindern aufgrund ihrer Erfahrungen
beeinflusst zu werden. (vgl. SCHÄFER und VON DER BEEK 2013, 79)
Ein weiterer Vorteil der Altershomogenität ist die Sicherung der Kontinuität und die Förderung
der Gruppenidentität durch gemeinsame Erfahrungen. Das Zusammenbleiben der
Gruppenmitglieder über die gesamte Kindergartenzeit, stärkt bei den Kindern zudem das
Sicherheitsgefühl, welches wesentlich zur Exploration9 innerhalb der Einrichtung beiträgt. Es
ermöglicht längerfristige, jahresüberschreitende Projekte. (vgl. KRIEG 2002, 20) (vgl. SEYRL
2017, Interview)
Trotz des Prinzips der altershomogenen Gruppen innerhalb der Einrichtungen findet zwischen
den unterschiedlichen Altersstufen ein Austausch statt. Die Kinder können sich gegenseitig
8 Lew Wygotski (1896-1934) war russischer Psychologe. Er schuf Beiträge u.a. zur Entwicklungspsychologie des
Kindes und zum Verhältnis von Sprachentwicklung und Denken. 9 Exploration meint hier Erkundung, Entdeckung, Erforschung. Bezug nehmend auf die Bindungstheorie von John
Bowlby, John Robertson und Mary Ainsworth.
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19
besuchen und auch gemeinsam Aktivitäten starten. Durch diese Möglichkeiten werden sowohl
das sachbezogene, als auch das soziale Lernen aktiviert. Das sachbezogene Lernen durch
Projekte und Aktivitäten mit Gleichaltrigen, das soziale Lernen durch Kontakte zu jüngeren
und älteren Kindern. (vgl. KRIEG und KRIEG 2002, 74)
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20
Bevor auf die Grundzüge der Reggio-Pädagogik eingegangen wird, soll nochmals ihre
„Offenheit“ für Veränderungen betont werden. Durch Veränderungen innerhalb der
Gesellschaft verändern sich auch das Bild vom Kind, die Anforderungen an die Individuen und
die Rahmenbedingungen. Der Reggio-Pädagogik ist es immer ein Anliegen, die Kinder in den
Mittelpunkt der pädagogischen Arbeit zu stellen und nicht die Vorstellung Erwachsener über
sie. Malaguzzi betont: „Es ist erforderlich, für Veränderungen offen zu sein; deshalb ist vor
einem zu rigiden zu engen Rahmen für solche Bilder zu warnen“ (Malaguzzi 1992a, 18 In
RIEBER 2002, 24).
CHARTA DER DREI RECHTE
Wie im Kapitel 2.2 erwähnt setzte sich Loris Malaguzzi für die Rechte der Kinder ein. Er
forderte über dies hinaus auch Rechte für Eltern und Pädagogen und hielt diese in der „Charta
der drei Rechte“ im Jahr 1993 schriftlich fest. Diese Rechte stehen in Beziehung zueinander
und dürfen sich gegenseitig nicht beschränken. Eine gegenseitige Wertschätzung und Achtung
der Beteiligten ist Grundlage für die Umsetzung und für die sich daraus ergebende
pädagogische Arbeit. (vgl. ULLRICH und BROCKSCHNIEDER 2001, 20f) (vgl.
LINGENAUBER 2009, 51)
2017 ist dieses „alte Thema…der Menschenrechte (und) Kinderrechte“ (SEYRL 2017,
Interview) unter anderem aufgrund der Flüchtlingsthematik höchst aktuell und in jeder
Einrichtung in Reggio nell‘Emilia wird bereits im Eingangsbereich auf diese Rechte
aufmerksam gemacht und erinnert. Dieses Beispiel zeigt, dass es nicht immer darum geht für
gesellschaftliche Veränderungen neue Maßnahmen zu erfinden, sondern Bewährtes bewusst zu
machen und aufzuzeigen. (vgl. SEYRL 2017, Interview)
5.1.1 DIE RECHTE DER KINDER
Durch das Zuschreiben von Rechten an die Kinder begeben sich die Erwachsenen mit ihnen auf
gleiche Augenhöhe. Dies bedeutet, dass die Kinder nicht mehr ein Objekt einer Erziehung sind
sondern gleichwertige Teile der Gemeinschaft und ihren Platz in der Gesellschaft haben. (vgl.
ULLRICH und BROCKSCHNIEDER 2001, 21) (vgl. SEYRL 2017b, 4f) Die Wichtigkeit der
kindlichen Partizipation am Erziehungsprozess lässt sich mit folgendem Zitat verdeutlichen:
„Ausgangspunkt ist, dass Kinder […] über natürliche Gaben und Potentiale von ungeheurer
Vielfalt und Vitalität verfügen. Werden diese natürlichen Voraussetzungen der Kinder nicht
5 PÄDAGOGISCHE GRUNDZÜGE DER REGGIO-PÄDAGOGIK
-
21
erkannt, nicht geachtet und nicht genutzt, dann werden Leiden der Kinder und eine oft nicht mehr
rückgängig zu machende Verarmung ihrer Entwicklung provoziert. Von daher kommt das Recht
der Kinder, ihre individuellen Fähigkeiten zu verwirklichen und zu erweitern […]“ (Reggio
Children 1998a, 63 In LINGENAUBER 2009, 51).
Kinder haben zum Schutz vor Verarmung und Leiden folgende Rechte:
Recht als Subjekt anerkannt zu werden und aktiv an der Entwicklung ihrer Identität,
Autonomie und Kompetenz integriert zu sein
Recht auf Erfahrungen und Austausch mit Gleichaltrigen und Erwachsenen
Recht auf Äußerung ihrer Gedanken und Meinungen
Recht auf die Entwicklung eigener und kreativer Lösungsstrategien
Recht auf ihre eigene Persönlichkeit
Recht Fehler machen zu dürfen
Recht auf Lernen und Wissenserkenntnis
Recht auf Liebe, Wertschätzung und Vertrauen
Recht auf Formulierung eigener Rechte
Recht auf Freiheit und Zeit zum Spielen und Ausprobieren
(vgl. LINGENAUBER 2013, 146f) (vgl. ULLRICH und BROCKSCHNIEDER 2001, 21) (vgl.
MALAGUZZI 1993 In REGGIO CHILDREN 2002a, 214) (vgl. KNAUF 2017, 17)
Durch den Zuspruch dieser Rechte seitens der Pädagogen und Eltern, sowie durch die in den
Kindergärten geschaffene Atmosphäre in der die Kinder ein Forum für die Artikulation ihrer
Gedanken haben, können die Kinder ihre Rechte auch nützen. (vgl. LINGENBAUER 2009, 54)
5.1.2 DIE RECHTE DER PÄDAGOGEN
Malaguzzi räumt den Pädagogen eine Vielzahl von Rechten ein. Dazu zählen:
Recht auf aktive Partizipation an der Ausarbeitung der Richtlinien, der Konzeption und
am gemeinschaftlichen Erziehungsprozess
Recht auf Beratung und Weiterbildung
Recht auf Dialog, Reflexion und Teamarbeit
Recht auf Auswahl thematischer Schwerpunkte und Beobachtungsmethoden sowie der
Raumnutzung (vgl. MALAGUZZI 1993 In REGGIO CHILDREN 2002a, 215) (vgl.
ULLRICH und BROCKSCHNIEDER 2001, 21) (vgl. LINGENAUBER 2013, 147f)
Diese Rechte sichern den Pädagogen einen lebendigen und offenen Weg der Wissensaneignung
und Weltbetrachtung und ermöglichen ihnen zudem eine angemessene Handlungsfreiheit die
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22
Kinder auf ihrem Weg zu begleiten und deren Entwicklung zu dokumentieren. (vgl.
LINGENBAUER 2009, 54ff)
5.1.3 DIE RECHTE DER ELTERN
Da die Reggio-Pädagogik die Erziehung als gemeinschaftliche Aufgabe betrachtet, sind Eltern
ein wichtiger Bestandteil des Sozialaggregats10 und werden mit ihren Ansichten in den
Kindergärten als wertvolle Partner wahrgenommen. Aus diesem Grund besitzen auch sie
folgende Rechte:
Recht auf aktive Partizipation an den Erfahrungen des Sorgens, des Wachsens und der
Bildung der Kinder und deren Erziehungsprozess, auch innerhalb der Kindergärten
Recht auf Dialog und Gedankenaustausch mit Pädagogen in Bezug auf den
Erziehungsverlauf
Recht auf gemeinsame Suche nach Erziehungszielen, -inhalten und –werten
(vgl. MALAGUZZI 1993 In REGGIO CHILDREN 2002a, 215) (vgl. ULLRICH und
BROCKSCHNIEDER 2001, 21) (vgl. LINGENAUBER 2013, 149)
Die Eltern in Reggio nehmen von ihrem Recht auf Beteiligung in der Praxis vielfältig Gebrauch.
Sie sind sich bewusst, dass die Rechte der Kinder auch außerhalb des Kindergartens ihre
Gültigkeit besitzen. (vgl. LINGENAUBER 2009, 58)
PEDAGOGICA PARTICIPAZIONE
Die Geschichte der Reggio-Pädagogik begann wie im Kapitel 2.1 beschrieben, mit einer
engagierten Bürgerinitiative. Dieses gemeinschaftliche Zusammenarbeiten zum Wohle des
Kindes existiert bis heute. „Pedagogia partecipazione“ steht für die gemeinsame Verantwortung
des Erziehens und drückt sich durch das Leitungsgremium welches aus Pädagogen, Bürgern
und Eltern besteht, in der Praxis aus. Die Reggio-Pädagogik sichert damit die Partizipation
konzeptioneller Struktur und in der pädagogischen Gestaltung des Kindergartenalltages.
Kernpunkt des Konzeptes sind die drei Hauptakteure: Kind, Pädagoge und die Eltern die in
einem dynamischen Austausch untereinander stehen. Somit wird die Reggio-Pädagogik von
einem humanistischen Menschenbild und einer demokratischen Gesellschaftsvorstellung
geprägt. (vgl. SCHÄFER und VON DER BEEK 2013, 75) (vgl. RIEBER 2002, 60) (vgl.
FORUM REGGIO-PÄDAGOGIK ÖSTERREICH www.reggio-paedagogik.at/pdfs/verein-
leitbild.pdf / 30.08.2017)
10 Sozialaggregat meint hier laut Sabine Jobst die drei sozialen Hauptakteure: Pädagoge, Eltern, Kind.
http://www.reggio-paedagogik.at/pdfs/verein-leitbild.pdfhttp://www.reggio-paedagogik.at/pdfs/verein-leitbild.pdf
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23
„Partizipation ist aktive Demokratie durch die Subjekte in der Gesellschaft…Partizipation von
Kindern und Jugendlichen bedeutet, dass auch sie das Recht auf die Fähigkeit zur Teilhabe am
demokratischen Prozess haben und zwar in allen sie betreffenden gesellschaftlichen Feldern
und Fragen“ (FORUM REGGIO-PÄDAGOGIK ÖSTERREICH o.J., 22)
Der Fokus des Konzeptes liegt in Reggio auf der wechselseitigen Beziehung aller Akteure und
ihrer Umgebung. Alle Beteiligten sind aufeinander angewiesen und tragen füreinander
Verantwortung. So werden alle Lebensbereiche des Kindes wahrgenommen und anerkannt.
(vgl. SEYRL 2016a, 11)
Die Reggio-Pädagogik hat Formen der Partizipation entwickelt, die für die praktische
Umsetzung der theoretisch erstellten „Charta der drei Rechte“ hilfreich sind. (vgl. SCHÄFER
und VON DER BEEK 2013, 75)
Durch die Partizipationsmöglichkeit werden auf Basis gegenseitigen Vertrauens alle Beteiligten
als kompetente Partner mit ihren eigenen Interessen und Bedürfnissen wahrgenommen. Sie
bilden gemeinsam das Bildungssystem. (vgl. SEYRL 2016a, 9)
Im Folgenden soll ein Einblick in die Möglichkeiten der Partizipation aller Beteiligten gegeben
werden.
5.2.1 PARTIZIPATION DER KINDER
Kinder fühlen sich als Ganzes und haben ihre eigene Weltanschauung mit ihrer eigenen Art zu
Denken und Sprechen. Sie verlangen nach einem ganzheitlichen Verständnis, da sie nicht in
einem abgetrennten Schonraum leben, sondern in der gegenwärtigen Wirklichkeit. Deshalb
sollen Kinder aktive Protagonisten ihrer Erziehung sein. (vgl. MALAGUZZI 1985, 2 In
RIEBER 2002, 26)
Die Kinder können im „gioco del che fare“ (dt.: Planungsspiel des „Was tun wir?“) in einer Art
Kinderparlament gemeinsam mit den Pädagogen über Projektideen kommunizieren und
abstimmen. Kinder werden aktiv in die Planung eingebunden und erhalten die Möglichkeit ihre
Ideen innerhalb einer Gemeinschaft kundzutun und demokratisch abzustimmen. Bei diesem
Prozess sammeln die Kinder Diskussionserfahrungen und werden dabei von den Pädagogen
begleitet und unterstützt. (vgl. LINGENAUBER 2009, 59f) Mehr dazu im Kapitel Projektarbeit
und –planung (siehe Punkt 6.4.1).
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24
5.2.2 PARTIZIPATION DER PÄDAGOGEN
Die Pädagogen können das im Kapitel 3 beschriebene Erziehungskonzept durch die gemeinsam
entwickelte Satzung mitbestimmen.
Sie sind in Publikationen von Dokumentationen als Autoren beteiligt und namentlich erwähnt.
Dadurch erhalten sie für ihre Beiträge, ihre Tätigkeiten und ihre Position eine sichtbare
Anerkennung.
Für die laufende interne und externe Weiterbildung, die Reflexion und die Projektentwicklung
der Pädagogen ist in den Arbeitszeiten wöchentlich Zeit vorgesehen. Dies bedeutet, dass
Teambesprechungen, fachliche Beratungen und Fortbildungsseminare in die Arbeitszeit
integriert sind. Neue empirische Erkenntnisse aus Pädagogik, Soziologie, Psychologie und
anderen Wissenschaften sollen den Pädagogen bei der Beobachtung und der Reflexion helfen
und eine Verbindung von Theorie und Praxis ermöglichen. (vgl. LINGENAUBER 2009, 61-
66) (vgl. DREIER 2015, 138-143) (vgl. KRIEG 2002, 53)
5.2.3 PARTIZIPATION DER ELTERN
Die Formen der Partizipation sind im „regolamento“ fixiert und ermöglichen den Eltern ein
Mitspracherecht und die Möglichkeit des Eingreifens in den pädagogischen Prozess des
Kindergartens.
Diese Möglichkeit der Partizipation am Erziehungsprozess der eigenen Kinder vermittelt vielen
Eltern ein Gefühl von Wertschätzung der eigenen Kompetenzen und als Experten für ihre
Kinder. Die Eltern fühlen sich durch die gemeinsam erstellten Erziehungsziele auch
verantwortlich für das gesamte Kollektiv der Einrichtung.
Konkret können die Eltern über organisatorische Inhalte mitbestimmen wie zum Beispiel die
Öffnungszeiten und Tagesstrukturen der Kindergärten oder die Planung von Elternabenden und
Festen. Die Kindergärten werden dadurch zu einem Ort, der auch die Bedürfnisse der Eltern
wahrnimmt und auf ihre Lebenssituation abgestimmt ist. Aber auch inhaltliche Beteiligung wie
zum Beispiel an Projekten wird den Eltern ermöglicht. Da die Projektideen meist von den
Kindern stammen orientieren sich die Inhalte an der Lebenswelt der Kinder. Dies bietet Eltern
eine breite Aktionspalette und ermöglicht ihnen einen wesentlichen Beitrag zur
Kindergartenpraxis zu leisten. Eltern werden dadurch mit ihren individuellen Fähigkeiten und
Interessen wahrgenommen und zu Partnern der pädagogischen Arbeit. (vgl. LINGENAUBER
2009, 66-70)
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25
Durch Konfrontationen mit der Umwelt und das Einlassen auf Interaktionen und Beziehungen
mit anderen Menschen erschaffen Erwachsene und Kinder ihre Identität immer wieder neu.
Kinder, Eltern und Pädagogen werden dadurch zu gemeinsamen Konstrukteuren des täglichen
Erziehungsprozesses. (vgl. REGGIO CHILDREN 2013, 10)
DAS BILD VOM KIND
Einleitend ist zu erwähnen, dass in Reggio nell‘Emilia das Konzept der Reggio-Pädagogik nur
in den kommunalen Krippen und Kindergärten umgesetzt wird. Diese Einrichtungen werden
„scuola dell’infanzia“ genannt. Dies kann mit „Schule der Kindheit“ übersetzt werden und
drückt bereits ein neues Verständnis dieser aus. (vgl. KRIEG 2002, 81-85)
Die Kindheit soll Angelpunkt für pädagogische Überlegungen sein. (vgl. RIEBER 2002, 23)
Die „Reggianer“ gehen davon aus, dass die Kinder „reich“ sind und „über natürliche Gaben
und Potentiale von ungeheurer Vielfalt und Vitalität“ verfügen (REGGIO CHILDREN 1998,
63 In KNAUF 2017, 14). Dieses Bild ist bedeutend für die praktische, pädagogische Arbeit und
war zu Beginn der Reggio-Pädagogik ein vollkommen radikales, neues Bild. Indem die
„Reggianer“ behaupteten, dass Kinder bereits alle Potentiale in sich tragen, wandten sie sich
von der damaligen defizitorientierten Pädagogik ab. Sie betrachten die Kinder als von Geburt
an gleichgestellte Menschen, welche auf eigene Art die Welt wahrnehmen und sich äußern. Die
Individualität jedes Einzelnen ist Ausgangspunkt pädagogischer Bemühungen. Die
„Reggianer“ begegnen sich untereinander und deshalb auch den Kindern mit Respekt und
Wertschätzung. Ausgehend von der Erkenntnistheorie des Konstruktivismus11, Piagets12
Entwicklungspsychologie und Erkenntnissen der Gehirnforschung nehmen die „Reggianer“ an,
dass sich die Realität nicht einfach abbildet sondern eine Konstruktion des Wahrnehmenden ist.
Deshalb spielt das Umfeld in der Entwicklung der Kinder eine große Rolle und trägt zu ihren
Eigenarten bei. Die kindliche Entwicklung und der kindliche Lernprozess kann demnach nicht
als Ursache-Wirkungsverhältnis betrachtet werden, sondern als ein vielschichtiges
Aneignungs-Wirkungsverhältnis. Nur in Begleitung durch Pädagogen und Eltern kann das Kind
sein Potential entwickeln. Dies bedeutet, dass es alle drei Hauptakteure für eine Erziehung
braucht: das Kind, den Pädagogen und die Eltern. (vgl. ULLRICH und BROCKSCHNIEDER
11 Konstruktivismus ist eine Erkenntnistheorie. Sie beschäftigt sich mit der Frage wie wir unsere Erkenntnisse und
unser Wissen erlangen und geht davon aus, dass gewisse Zweifel am Glauben, dass Wissen und Wirklichkeit
übereinstimmen angebracht sind. 12 Jean Piaget (1896-1980), Schweizer Biologe und Pionier der kognitiven Entwicklungspsychologie. Begründer
der genetischen Epistemologie (Erkenntnistheorie).
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26
2001, 23f) (vgl. GÖHLICH 1997, 191 In RIEBER 2002, 28) (vgl. Filippini 1994, 10 In RIEBER
2002, 29)
5.3.1 DAS KIND HAT HUNDERT SPRACHEN
„Und es gibt Hundert doch…Ein Kind hat hundert Sprachen, hundert Hände, hundert Gedanken,
hundert Weisen zu denken…Ein Kind hat hundert Sprachen…aber neunundneunzig werden ihm
geraubt…“ (MALAGUZZI, o.J. In REGGIO CHILDREN 1996, 2).
Das Gedicht macht deutlich, dass der gesamte Körper des Kindes sprechen kann. Es gibt
unzählige Möglichkeiten sich auszudrücken, wenn die Gesellschaft einen nicht davon beraubt.
„Das Kind hat hundert Sprachen und die Gesellschaft raubt ihm neunundneunzig, nämlich alle
Ausdrucks- und Wahrnehmungs-formen außer der Verbalsprache, so lautet das Postulat der
Reggio-Pädagogik. Wahr-nehmungs- und Ausdrucksförderung sind deshalb zentrales Anliegen
der reggianischen KiTa“ (Göhlich 1997, 192 In BUMANN 2008, 49f).
Gewöhnlich werden Kindern im Laufe der Jahre die meisten Sprachen genommen, da man
ihnen beibringt nur mit einer davon zu sprechen. Dadurch werden sie auch der Vielfalt ihrer
Ausdrucksmöglichkeiten beraubt. (vgl. JOBST 2007, 132)
In Reggio nell‘Emilia nimmt man an, dass jedes Kind über hundert Sprachen zur Verfügung
hat und nur eine davon ist verbal. Die „Hundert“ ist nur eine symbolische Zahl für die
unzähligen Ausdrucksformen der Kinder. Kinder haben in Reggio die Möglichkeit ihre
Eindrücke auf individuelle und kreative Weise auszudrücken und werden dabei von den
Erwachsenen begleitet. Mehr im Kapitel Ästhetik (siehe Punkt 6.6). Grundlage der hundert
Sprachen sind die Empfindungen, die Materialien und Arbeitsmittel wie auch die kulturellen,
gesellschaftlich verfügbaren Formen (Rituale, Konventionen). (vgl. SCHÄFER und VON DER
BEEK 2013, 38f)
In einer Publikation des „Internationalen Zentrums für den Schutz und die Förderung der
Rechte und Fähigkeiten der Kinder“ wird deutlich, dass es den Pädagogen in Reggio wichtig
ist, den Kindern die Entwicklung der hundert Sprachen zu ermöglichen.
„Das Ziel dieser Praxis ist die Förderung der Kindererziehung durch die Entwicklung all ihrer
Sprachen: expressive, kommunikative, symbolische, kognitive, ethische, metaphorische,
logische, imaginative und beziehungsmäßige“ (Reggio Children 2000, 7 In LINGENAUBER
2013, 18).
Nach Annahme der „Reggianer“ besitzen die Kinder von Geburt an diese Vielfalt an Sprachen.
So drücken sich zum Beispiel jüngere Kinder bereits früh mit Mimik und Gestik aus. Diese
Sprachen sind interaktiv, weshalb Kinder auch in der Sprachentwicklung auf die Interaktion
mit anderen Kindern und Erwachsenen angewiesen sind. Damit die Entwicklung der hundert
Sprachen möglich ist, müssen die anfänglich noch wortlosen Sprachen, von einem Gegenüber
-
27
verstanden werden. (vgl. LINGENAUBER 2009, 25ff) Dazu ist eine neue Art des Zuhörens
erforderlich (siehe Punkt 5.4).
Die Bedeutung der Interaktion für die Entwicklung der Kinder drückt Malaguzzi
folgendermaßen aus:
„Die Fähigkeit, sich zu sozialisieren und zu erinnern, zu kommunizieren, Rückschlüsse zu ziehen
oder abzuwandeln, aufzunehmen und zu verstehen, ist den Kindern genetisch gegeben. Über den
Umgang mit Menschen, Dingen, Ideen entwickeln sie sich weiter“ (Malaguzzi 1998a, 13 In
LINGENAUBER 2009, 28).
5.3.2 DAS KIND ALS AKTIVER FORSCHER
Für die Pädagogen in Reggio sind Kinder kreative und aktive Gestalter ihrer Entwicklung.
Grundlagen für das kindliche Forschen sind die reiche Wahrnehmung der Welt, die
Entwicklung von Fragen und die Neugierde. Von Geburt an nehmen Kinder ihre Umwelt mit
allen Sinnen wahr. (vgl. LINGENAUBER 2009, 17f)
„Kinder sind- ebenso wie Dichter, Musiker und Naturwissenschaftler-eifrige Forscher und
Gestalter. Sie besitzen die Kunst des Forschens und sind sehr empfänglich für den Genuss, den
das Erstaunen bereitet. Unsere Aufgabe besteht darin, den Kindern bei ihrer Auseinandersetzung
mit der Welt zu helfen, wobei all ihre Fähigkeiten, Kräfte und Ausdrucksweisen eingesetzt
werden“ (Malaguzzi 1990. In DREIER 2015, 63).
Malaguzzi schreibt mit dieser Aussage den Kindern den Begriff „Forscher“ zu, der bis dato in
der Pädagogik ungewöhnlich war. Der Begriff „Forschen“ bezeichnet eine natur-, geistes- und
sozialwissenschaftliche Tätigkeit aus der Erwachsenenwelt. Mit der Verwendung dieses
Ausdrucks drückt Malaguzzi ein Bild vom Kind aus, welches bereits die Kunst des Forschens
als Potential von Geburt an mit sich trägt um seinen Wissensdurst zu stillen. Den Antrieb die
Welt zu entdecken stammt seiner Meinung nach aus der Freude, der Neugierde und dem
Erstaunen. (vgl. Malaguzzi 1984, 4 In LINGENAUBER 2013, 17)
So wollen Kinder ihre Welt erkunden und verstehen. Um dies zu tun, müssen sie die
Lebewesen, Dinge und Vorgänge aus ihrer Umgebung in eine emotionale und
handlungspraktische Beziehung zu sich selbst bringen. Durch Experimente und den daraus
folgenden Ergebnissen sowie dem Austesten von eigenen Grenzen möchten sie ihre
Handlungskompetenzen erweitern. Kleinkinder bringen diesen Wunsch oftmals mit den
Wörtern „selber“ oder „alleine machen“ zum Ausdruck. (vgl. KNAUF 2017, 14)
Die Erforschung der Welt und die Wahrnehmung mit allen Sinnen sind wichtig für die Bildung
der Ich-Identität. Die vielfältigen Beziehungen die Kinder mit ihrer Umwelt eingehen, gestalten
und verändern auch ihr Selbstbild. (vgl. STENGER 2002, 233)
-
28
Eifrige Forscher sind auch Konstrukteure von eigenem Wissen. Diese Aussage wird im
folgenden Kapitel erläutert.
5.3.3 DAS KIND ALS KONSTRUKTEUR SEINES WISSENS
Kinder sind aktive, kompetente und kreative Gestalter ihres eigenen Wissens. Dies bedeutet sie
sind selbst Hauptakteure ihres Wissenserwerbs, sie lernen durch sich selbst und kreieren ihr
eigenes individuelles Wissen durch das Erstellen, Prüfen und Verwerfen von Hypothesen. Ihr
Wissen ist demnach keine übernommene Kopie, sondern wächst anhand ihrer Interessen und
Fragen an die Welt. Bereichernd für diesen kindlichen Selbstlernprozess ist der Dialog und
Erfahrungsaustausch mit Gleichaltrigen. Die Kindergärten in Reggio bieten durch die
altershomogenen Gruppen einen Ort, indem die Kinder interaktiv durch sich selbst in einer
Gemeinschaft lernen. Diese Gemeinschaft wird als Schmelztiegel von Bildung und
Leidenschaft und wertvoller Ort für die Entwicklung der Kinder betrachtet. Kinder stellen dort
aktiv eine Beziehung zu den Menschen und den Dingen um sie herum her. Dies fördert in Folge
den selbsttätigen Wissenserwerb. (vgl. LINGENAUBER 2013, 18f)
Zusammenfassend kann man sagen, dass die Reggio-Pädagogik Kinder als aktive
Konstrukteure ihrer Entwicklung sowie ihres Wissens und Könnens beschreibt. Für die
Entwicklung all dieser Potentiale braucht das Kind allerdings Erwachsene, die es unterstützen
und mit seinen Kompetenzen wahrnehmen.
ROLLENVERSTÄNDNIS
5.4.1 DIE ROLLE DER PÄDAGOGEN
Einleitend möchte ich mit einem Zitat von Carla Rinaldi, welches die Arbeit der Pädagogen
und ihre Einstellung zu ihrem Beruf in Reggio nell‘Emilia gut beschreibt, beginnen.
Carla Rinaldi meint Erziehung wird von den „Reggianern“:
„ als Forschungsarbeit, als Erziehungsversuch bzw. als –modell mit Kindern, Erziehern und Eltern
in unserer heutigen Gesellschaft verstanden. Das Experiment umfaßt die ganze Stadt, nicht nur
Kindergärten oder einen Kindergarten. Wir verstehen den Erziehungsprozeß als Plan oder
Entwurf, als Ausprobieren, Bestätigen und Wiederholen, als Projekt, das Antworten gibt und die
Rechte des Kindes in den Vordergrund stellt bzw. neue Rechte begründet. Dies ist ein Versuch,
der uns nicht nur als Erzieher, sondern alle ganz persönlich als Menschen interessiert, als eine
neue Art, Menschen und Individuen zu sein. Es geht nicht nur darum, ein guter Erzieher zu sein,
sondern ein neuer Mensch…“ (RINALDI o.J. In KASEMI-VEISARI o.J., 11 In KRIEG 2002,
85).
Wie im vorherigen Kapitel erwähnt, ist das Bild von Kind optimistisch. Die Pädagogen sind in
Reggio keine Vermittler von Fähigkeiten oder bekannten Inhalten und müssen auch keine
Defizite ausgleichen. Vielmehr sind sie Begleiter und machen sich mit den Kindern und deren
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Eltern auf einen gemeinsamen Weg des Lernens und Forschens. Die Schaffung einer
Atmosphäre des Wohlbefindens, in der Haltungen wie Achtung, Wertschätzung, Empathie,
Kongruenz gelebt werden, ist ein wichtiger Faktor für das Begleiten und Bestärken der Kinder.
In drei Prinzipien lassen sich diese Haltungen konkretisieren.
1. Prinzip des Vertrauens:
Dieses Prinzip knüpft am Begriff „Urvertrauen“ an, welcher vom
Entwicklungspsychologen Erik Erikson13 als entscheidende Voraussetzung für die
frühkindliche Entwicklung bezeichnet wurde. Es meint aber auch das Vertrauen das
Kindern in Reggio geschenkt wird und das Zutrauen in ihre Kompetenzen.
2. Prinzip der Freiheit:
Dieses Prinzip ist ähnlich dem Prinzip „Freiheit der Wahl“ von Maria Montessori14 in
der Kinder frei ihre Tätigkeiten, die Zeit, den Raum und ihre Partner wählen. Malaguzzi
sieht diesen Begriff noch radikaler. Er geht davon aus, dass ein Kind nur dann nachhaltig
lernt, wenn es in den Gegenstand verliebt ist. Und die Verliebtheit verlangt nach Freiheit
(siehe Flirt unter Punkt 6.2).
3. Prinzip der Zeit:
Dieses Prinzip ist eng mit der Einzigartigkeit und den individuellen Bedürfnissen und
Rhythmen jedes Menschen verbunden. Gesellschaftliche Erwartungen können Stress
und Druck erzeugen. Deshalb versucht Reggio einfache Zeitstrukturen zu entwickeln,
indem eine Balance zwischen äußeren Zeitanforderungen (Mahlzeiten, Morgenkreise,
Ritualen usw.) und Freiräumen (freien Zeitnutzung) geschaffen wird. Dies dient auch
der Orientierung der Kinder im Kindergartenalltag. (vgl. KNAUF 2017, 37ff)
Die Pädagogen unterstützen die Kinder in Forschungsprozessen indem sie
zuhören und Diskussionen aktivieren
einzelne Vorschläge von Kindern verstärken
inhaltliche und methodische Impulse geben und die Neugierde aktivieren
Vorgangsweisen der Kinder anregen oder einbremsen
Außerdem sollen Pädagogen die Kinder in ihren Forschungsprozessen unterstützen indem sie
sie ernst nehmen und offen für alle Richtungen, Lösungsstrategien und Antworten sind.
13 Erik Homburger Erikson (1902-1994) war amerikanische Psychologe deutscher Herkunft. Er ist bekannt für sein
Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung. 14 Maria Montessori (1870-1952) war u.a. italienische Ärztin, Reformpädagogin und entwickelte ab 1907 die
Montessori-Pädagogik auf dem Bild des Kindes „als Baumeister seiner Selbst“.
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Erwachsene dürfen ihre eigenen Erfahrungen einbringen, sie jedoch nicht als allgemeingültig
darlegen. In der Reggio-Pädagogik spricht man von „Wissens- und Kompetenzleihgaben“
(LINGENAUBER 2009, 30). Die Pädagogen fassen dazu während des Prozesses immer wieder
die Ergebnisse, Meinungen und Annahmen zusammen, um den Kindern dadurch einen neuen
Impuls zu geben, der sie zum Weiterforschen anregt. Durch diese zurückhaltende Begleitung
drücken die Pädagogen ihre Wertschätzung den Kindern gegenüber und Vertrauen in ihre
Potentiale aus. Wichtig für diesen Prozess ist es, den Kindern genügend Zeit und Freiheit für
ihren eigenen Rhythmus einzuräumen. Die Pädagogen haben für ein Gefühl der Sicherheit zu
sorgen, da Kinder dieses zum freien Forschen benötigen. (vgl. RIEBER 2002, 30f) (vgl.
LINGENAUBER 2009, 31f)
Durch das aktive und passive Begleiten der Kinder in Projekten und Selbstlernprozessen
werden die Pädagogen selbst zu Forschern und ihr Wissensrepertoire in Bezug auf das kindliche
Denken, Fühlen, Handeln und Lernen wird erweitert. Sie werden dadurch zu Experten für die
Verschiedenheit und die Gemeinsamkeiten der Kinder in den unterschiedlichen
Entwicklungsaltern. (vgl. KNAUF 2017, 39f)
Pädagogen sind demnach auch „Zeugen“ (LINGENAUBER 2009, 34) kindlicher Entwicklung.
Das Zuhören ist hierfür von besonderer Bedeutung und bezieht sich nicht alleinig auf die
verbale Sprache. Ausgehend von hundert Sprachen die das Kind besitzt, bezieht sich das
Zuhören auf die Wahrnehmung sämtlicher Ausdrucks- und Mitteilungsformen. Dies dient auch
zur Erfassung der kindlichen Bedürfnisse und Interessen und ist der Schlüssel zu den
fantasievollen Erfindungen der Kinder. Hilfreiche Methoden zur Entschlüsselung dieser sind
Beobachtung, Dokumentation und Reflexion. Aus diesen Erkenntnissen heraus wählen sie ihre
Interventionen für den Kindergartenalltag. (vgl. KNAUF 2017, 41) (vgl. LINGENAUBER
2009, 34ff)
Um Kinder bestmöglich bei ihrem Wissenserwerb zu begleiten ist die Pädagogik des Zuhörens
eine wichtige Voraussetzung. Carlina Rinaldi erklärt dies folgendermaßen:
„Wenn wir davon ausgehen, dass Kinder ihre eigenen Theorien, Interpretationen und Fragen
besitzen und Ko-Protagonisten im Prozess des Wissenserwerbs sind, dann ist das wichtigste Verb
in der pädagogischen Praxis nicht mehr länger das ‚Sprechen‘, das ‚Erklären‘ oder das
‚Vermitteln‘, sondern das ‚Zuhören‘. Zuhören bedeutet, offen zu sein gegenüber anderen und
dem, was sie zu sagen haben, den hundert oder mehr Sprachen mit all unseren Sinnen zuzuhören.
Zuhören ist ein aktives Verb, weil es bedeutet, eine Nachricht nicht nur wahrzunehmen, sondern
sie auch zu interpretieren, so dass diese Nachricht in dem Augenblick eine Bedeutung erlangt, in
dem der Zuhörer sie erhält und auswertet“ (RINALDI 2006, 125f In JOBST 2007, 62).
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Die Pädagogen versuchen genau wahrzunehmen, wie Kinder denken und was sie gerne tun,
bevor sie pädagogische Maßnahmen setzen. Sie richten ihre Aufmerksamkeit auf ein
Wahrnehmen aller möglichen Sprachen der Kinder. Dieses Wahrnehmen wird „multiple
listening“ genannt und ist die Grundlage für die Pädagogik des Zuhörens. Pädagogen benützen
für das „multiple-listening“ Hilfsmittel wie Aufnahmegeräte, um die Kinder zu dokumentieren.
Das Gesprochene wird im Anschluss für Reflexionen oder auch für andere transkribiert. Damit
möchten die Pädagogen in Reggio nell‘Emilia die Ideen der Kinder festhalten und
wertschätzen. Da die Ausdrucksweisen der Kinder sich nicht allein auf die verbale Sprache
beschränken, haben die Pädagogen auch eine neue Variante des Zusehens entwickelt. Das
bedeutet, dass sie „die Kinder bei ihren Interaktionen mit hundert Sinnen15“ (LINGENAUBER
2009, 37) beobachten. Hilfsmittel hierfür sind Fotoapparate und Videogeräte mit denen die
Mimik und Gestik der Kinder festgehalten werden, in Ergänzung zu den auditiven Aufnahmen.
(vgl. LINGENAUBER 2009, 36f) Es wurde bereits erwähnt, dass die Beobachtung von Mimik
und Gestik vor allem bei jungen Kindern wichtig ist. Lernprozesse und die damit verbundenen
Gefühle sind am ganzen Körper sichtbar und der Schlüssel für eine optimale Begleitung. (vgl.
KRIEG 2002, 50)
Durch die vorangegangene Rollenbeschreibung der Pädagogen wird deutlich, dass die Reggio-
Pädagogik von den Pädagogen eine veränderte Rolle fordert. Es sind keine planenden und
didaktisch-anleitenden Fachkräfte gefragt, die mit gesetzten Angeboten und spielerischen
Impulsen Bildungsziele anstreben. (vgl. KNAUF 2017, 9) Die Pädagogen sind „Wegbegleiter“
(LINGENAUBER 2009, 29) die den Kindern aufmerksam zuhören, sie beobachten und ihnen
eigene Erfahrungsprozesse zugestehen. Sie nehmen dem Kind keine Antworten vorweg,
sondern unterstützen es ermutigend auf seinem Weg des selbständigen Wissenserwerbes. Wenn
Kinder dabei Hilfe benötigen, geben die Pädagogen kleine Impulse, um es den Kindern zu
ermöglichen ihre eigenen Lösungen zu finden, Erfahrungen zu sammeln und ihre Lernfreude
zu erhalten. Es wird somit ein Prozess angeregt, der die Kinder wachsen lässt. (vgl. STENGER
2002, 222) Das individuelle Eingehen auf die heterogenen Bedürfnisse der Kinder, der Eltern
und Teamkollegen verlangt viel Engagement, Sensibilität und Aufmerksamkeit im
Berufsalltag. (vgl. KNAUF 2017, 9)
Dass die Pädagogen in Reggio ständige Lernbereitschaft zeigen wird durch folgendes Zitat
sichtbar: „ …Erziehung als einen von Erwachsenen und Kindern gestalteten und verantworteten
15 Der Begriff „hundert Sinne“ wird in Analogie zu den „hundert Sprachen“ der Kinder benutzt. (vgl.
LINGENAUBER 2009, 37)
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Interaktionsprozess, in dem sie und die Kinder gleichermaßen zum Staunen, Nachdenken,
Fragenstellen und Experimentieren herausgefordert werden“ (KNAUF 1998, 16 In
LINGENAUBER 2009, 33).
Wichtig zu erwähnen ist, dass die sensible Begleitung der Kinder und die aufmerksame
Beobachtung das Gegenteil einer gleichgültigen Haltung der Erziehung ist. Es handelt sich
nicht um einen „laissez-faire“ Stil der Kindererziehung.
Auch die Offenheit der Themen für die Kinder seitens der Pädagogen bedeutet nicht, dass es
keine Planung für den Alltag in den Kindergärten gibt. Vielmehr werden die für Kinder
interessanten Themen und Projekte laufend von Pädagogen, Kunstpädagogen und Kindern
überarbeitet. Dies erfordert eine hohe Flexibilität seitens des Teams. (vgl. DREIER 2015, 77f)
Die Haltung der Pädagogen stets auf die aktuellen Themen und Bedürfnisse der Kinder
einzugehen und sich die Zeit zu nehmen, ihren augenblicklichen Interessen und Aussagen
Aufmerksamkeit zu schenken, erinnert an das „Recht des Kindes auf den heutigen Tag“
(KORCZAK o.J. In FEUCHTNER) von Janusz Korczak16.
Zusammenfassend kann man sagen, dass die Pädagogen in Reggio nell‘Emilia ermutigende und
empathische Wegbegleiter, Forscher und zuhörende sowie zusehende Zeugen kindlicher
Entwicklung eines kompetenten Kindes mit seinen hundert Sprachen sind. Die
Herausforderung liegt in der Schaffung der Kombinationen passender Impulse und notwendiger
Rahmenbedingungen um alle Kinder individuell zu begleiten und ihre Lernbegierde zu
unterstützen. Dazu zählen auch die Gestaltung der Räume und die Bereitstellung von
Materialien. (vgl. KNAUF 2017, 27)
Weitere Aufgaben der Pädagogen sind außerdem auch der Austausch mit Eltern und dem Team
sowie das gemeinsame Leiten des Kindergartens.
5.4.2 DIE ROLLE DER ELTERN UND DER FAMILIEN
Wie bereits mehrfach erwähnt vollzieht sich die Erziehung in Reggio nell‘Emilia
gemeinschaftlich. Das bedeutet, dass die Erziehung im Kindergarten und die Erziehung
innerhalb der Familie nicht als getrennt betrachtet werden. Sie bilden eine Einheit, denn die
Kindergärten sehen sich nicht als Bewahrungsanstalten für Kinder von berufstätigen Eltern oder
16 Janusz Korczak (1878 oder 1879-1942) war jüdisch-polnischer Kinderarzt, Schriftsteller und Pädagoge, der sich
für die Grundrechte der Kinder einsetzte.
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die Eltern als Konsumenten einer Dienstleistung. Alle Beteiligten sollen sich angenommen
fühlen.
Eltern werden in der Reggioarbeit als Experten für ihre Kinder angesehen. Dieses
kindspezifische Wissen (zum Beispiel über Gewohnheiten der Kinder, Lebensgeschichte und
Kultur, Vorlieben, Einschlafrituale…) bringen sie in Elterngesprächen im Kindergarten ein, wo
es in den pädagogischen Alltag integriert wird. Eltern sind eingeladen ihre persönlichen
Kompetenzen in den Kindergartenalltag einzubringen, indem ihre Ideen, Interessen und
beruflichen Qualifikationen aktiv in Projekten eingebunden werden. Dies hat zur Folge, dass
sich Eltern jederzeit auch innerhalb des Kindergartens aufhalten und am Tagesgeschehen
teilnehmen können. Sie beteiligen sich unter anderem bei Festen, Elternabenden, Aktivitäten
des Kindergartens und auch an der Öffentlichkeitsarbeit. Projekte werden von ihnen ideell oder
materiell unterstützt. Außerdem sind sie aufgrund des „regolamentos“ in pädagogische und
strukturelle Entscheidungsprozesse integriert. Sie dürfen ihre Gedanken, Aktionsvorschläge
und Ängste sowohl in den Einzelgesprächen mit den Pädagogen als auch in
Gruppenkonferenzen einbringen. Eltern haben das Recht auf Beteiligung, jedoch besteht keine
Pflicht dazu. (vgl. LINGENAUBER 2009, 40-45) (vgl. DREIER 2006 und GÖHLICH 1997 In
BAMLER und SCHÖNBERGER und WUSTMANN 2010, 136f) (vgl. KNAUF 2017, 67)
In Reggio ist es üblich, dass Kontakte innerhalb der Einrichtungen ausgetauscht werden. Die
Familien treffen sich mit dem Team des Kindergartens zu gemeinsamen Ausflügen oder
Aktivitäten. Der Kindergarten ist außerdem ein Ort, der von Familien auch ohne Pädagogen
genützt werden kann um einander zu treffen oder auch Familienfeste zu feiern. (vgl. KRIEG
2002, 29)
In einem gemeinschaftlichen Prozess der Erziehung hat jeder Akteur seinen Platz. Durch die
Offenheit und Aufmerksamkeit füreinander beeinflussen sich die Akteure gegenseitig und
verstärken dadurch ihre eigenen Kompetenzen.
Durch die Aufhebung einer Separation zwischen Familie und Kindergarten und dem intensiven
Dialog untereinander, kommt es zu einer Verbindung von den zwei Lebenswelten der Kinder.
Diese begünstigt für die Kinder eine ganzheitliche Entwicklung. (vgl. DREIER 2015, 57)
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DIE RÄUME
„Die Gegenstände und Objekte der Umwelt sind wichtige und aktive Gesprächspartner des
Kindes. Wir können von einem Dialog zwischen Kind und Objekten und einem Lernen durch
sie sprechen“ (RINALDI 1984, 217 In DREIER 2015, 33).
Wie aus Rinaldis Zitat deutlich wird, wird in der Reggio-Pädagogik dem Raum die Funktion
„als dritter Erzieher“ (DREIER 2015, 39) zugesprochen. Die Qualität eines Raums und seines
Materials hat demnach Einfluss auf die Qualität der Lernprozesse. Deshalb folgt die gesamte
Gestaltung und Planung der Gebäude und deren Einrichtung diesem Prinzip. Anregende
Materialien sollen Kinder zum Forschen und Lernen einladen, indem sie die Freude und
Neugierde bei den Kindern wecken. Transparente räumliche Strukturen ermöglichen dem Kind
eine sichere Exploration und Orientierung. Die Räume sind offene Lernorte, die Möglichkeiten
zum Einzelspiel bieten, zahlreiche Kommunikationsformen forcieren und gemeinsames Tun
von Kindern und Erwachsenen anregen. (vgl. KNAUF 2017,48-52)
Den Pädagogen ist, trotz zahlreicher Materialien und vieler einzelner Tätigkeitsbereiche, eine
ästhetische Ordnung wichtig. Die Reggio-Pädagogen stellen, ähnlich wie Maria Montessori,
einen Bezug der äußeren Ordnung auf die innere Ordnung17 bei Kindern her. (vgl. ULLRICH
und BROCKSCHNEIDER 2009 In BAMLER und SCHÖNBERGER und WUSTMANN 2010,
137)
Die Räume sollen bei den Kindern wahrnehmungs- und ausdrucksfördernde sowie
identitätsbildende pädagogische Prozesse auslösen. Ausgehend vom Kind als aktivem Forscher
mit hundert Sprachen, sollen diese daher autonomes Lernen anregen und alle Sinne ansprechen.
(vgl. RIEBER 2002, 71)
Für die Schaffung eines geeigneten Lernortes, an dem ein Lernen über die Sinne stattfinden
kann, spielen die „soft qualities“ eine wichtige Rolle. Zu diesen zählen Licht, Farbe, Akustik,
Geruch, Materialqualitäten und die räumlichen Beziehungen. Sie werden als aktive
Gesprächspartner der Kinder verstanden. In neuen Einrichtungen wird darauf Rücksicht
genommen, da Kinder mit ihren Sinnesorganen die Welt entdecken. (vgl. SCHÄFER und VON
DER BEEK 2013, 68f)
17 Montessoris „innere Ordnung“: Die vorbereitete Umgebung und äußere Ordnung verhilft dem Geist des Kindes
sich zu orientieren. Durch die resultierende Aufforderung zu einer für das Kind passenden Aktivität kommt es in
Folge zur inneren Ordnung.
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Die Architektur der Gebäude sieht viel Glas und bodentiefe Fenster vor. Die großen Glasfenster
spenden natürliches Licht und so bietet sich oft für die Kinder die Gelegenheit mit Licht und
Schatten sowie mit Transparenz und Reflexion zu experimentieren. Durch die Veränderung der
Lichtverhältnisse werden Tagesrhythmen und der Jahreskreislauf beobachtbar. Auch das
Wetter und seine Auswirkungen auf die Natur kann beobachtet werden. Die Transparenz durch
Glasscheiben innerhalb der Einrichtung ermöglicht einen bleibenden Sichtkontakt mit der
Gemeinschaft trotz räumlicher Trennung. (vgl. RIEBER 2002, 71f) (vgl. KRIEG und KRIEG
2002, 70) Schlauchtelefone zwischen den Räumen ermöglichen eine Kommunikation unter den
Kindern mit Sichtkontakt durch die Scheiben. (vgl. RINALDI 1990, 106 In LINGENAUBER
2013, 141)
Pädagogische Einrichtungen werden in Reggio als Fusion von Kunst, Architektur und
Wissenschaft betrachtet. So arbeiten bei der Planung einer Einrichtung Architekten mit Eltern
und Pädagogen zusammen und tauschen sich über ihre Sichtweisen und Erfahrungen aus. (vgl.
KRIEG und KRIEG 2002, 68)
In die Architektur und Raumgestaltung integrierte Elemente:
Spiegel
Es gibt Spiegel in allen Größen, Zerrspiegel, Handspiegel, Übereckspiegel, usw.
Spiegel dienen in Reggio der Selbstwahrnehmung und der Selbstbeobachtung und
unterstützen, indem Kinder ihre Mimik und Gestik studieren können, die
Identitätsfindung. Diese ist für die „Reggianer“ sehr wichtig und wird deshalb gefördert.
Jedes Kind soll mit seiner Einzigartigkeit anerkannt werden. Reichhaltige Körper-
sowie Gesichtserfahrungen sind eine wichtige Voraussetzung des „Ich“-Werdens.
Bilder im Spiegel sollen außerdem Fragen und Spielvarianten anregen. (vgl. GÖHLICH
1997. ULLRICH und BROCKSCHNIEDER 2009 In BAMLER und SCHÖNBERGER
und WUSTMANN 2010, 142)
So gibt es in den Einrichtungen Spiegelzelte, in die die Kinder gehen können und sich
selbst und andere beobachten können. Durch diese Betrachtung eröffnen sich den
Kindern neue Perspektiven. (vgl. RIEBER 2002, 153)
Spiegel ermöglichen ein kreatives Spiel mit der Wahrnehmung und das Erkennen der
Wirklichkeit. (vgl. DREIER 2015, 70)
Fotos
Fotos von einzelnen Kindern dienen der Selbstwahrnehmung. Fotos von Gruppen, den
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Teammitgliedern und der Stadt unterstützen die Entwicklung eines
Gemeinschaftsgefühls. Sie dienen der Erinnerung und sind Ausdruck der äußeren
Wertschätzung für das Kind und seine Tätigkeiten. Fotos von Gegenständen u
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