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Habilitationskolloquium
Dr. Holden Härtl
Humboldt-Universität zu BerlinPhilosophische Fakultät II
Versteht man ohne Sprache die Welt nicht mehr?
Neue Sichtung eines alten Themas.
Ein Dialog
Wenn wir annehmen, dass
die Art einer Sprache unser Denken beeinflusst,
können wir dann daraus schließen, dass
Chinesen anders denken als Engländer?
2
Mein Ziel
Ich zeige aus kognitiv-mentalistischer Perspektive, dass
• die traditionelle „Language and Thought“-Frageungelöst bleiben muss und zwar
• aufgrund der zahlreichen Dimensionen, die sie anspricht, und den
• häufig anzutreffenden Indizienbeweisen bei den Antwortversuchen.
Mein Ziel
Einen Ausweg bietet
• die Spezifizierung der Ausgangsfrage bei
• der Interpretation von sachdienlichen Befunden aus neuen empirischen Verfahren bei gleichzeitiger
• Berücksichtigung der Paradigmenwechsel in der jüngeren Kognitionsforschung.
3
Übersicht
1. Geschichte
2. Empirie
3. Diskussion
4. Schlussfolgerung
5. Literatur
Bestimmt die Sprache unser Denken?
Geschichte || Empirie || Diskussion || Schlussfolgerung || Literatur
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Wilhelm von Humboldt
Geschichte || Empirie || Diskussion || Schlussfolgerung || Literatur �
Sprache ist das formative Organ des Denkens,welches dem unbestimmten Denken ein Gepräge verleiht.
Sprache und Denken sind untrennbar voneinander.
Sprache als Vorbedingung für das Denken
Ludwig Wittgenstein
Geschichte || Empirie || Diskussion || Schlussfolgerung || Literatur �
„Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzenmeiner Welt.“ (Tractatus logico-philosophicus)
Sprachliche Logik reflektiert Weltverständnis und vice versa.
Sprache als Vorbedingung für das Denken
Grenzen des Denkbaren
5
Edward Sapir
Geschichte || Empirie || Diskussion || Schlussfolgerung || Literatur �
Sprache repräsentiert die zeichenbezogene Anleitung für Kultur.
Demnach wird Denken durch die sprachlicheStruktur geformt.
Grammatische Variationen etablieren Personalität.
Sprache als Vorbedingung für das Denken
Grenzen des Denkbaren
Nicht-Modularität der
Kognition
Benjamin Whorf
Geschichte || Empirie || Diskussion || Schlussfolgerung || Literatur �
Die Grammatik organisiert und segmentiert die Eindrücke und Erfahrungen.
Begriffe wie Raum / Zeit / Materie sind von Sprache abgeleitet.
Denken ist demnach kulturell-sprachspezifisch geprägt.
Sprache als Vorbedingung für das Denken
Grenzen des Denkbaren?
Nicht-Modularität der
Kognition
Nicht-Universalität der Kognition
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Bestimmt die Sprache unser Denken?
Geschichte || Empirie || Diskussion || Schlussfolgerung || Literatur �
Sprache als Vorbedingung für das Denken
Grenzen des Denkbaren?
Nicht-Modularität der
Kognition
Nicht-Universalität der Kognition
Geschichte || Empirie || Diskussion || Schlussfolgerung || Literatur
Abb. 1: Modell der Sprachproduktion, Levelt (1989)
„Denken“
„Sprache“
�
Sprache als Vorbedingung für das Denken
Grenzen des Denkbaren?
Nicht-Modularität der
Kognition
Nicht-Universalität der Kognition
Linking
Lexikon
Präverbale Struktur
Konzeptuali-sierung
Enzyklopä-disches Wissen
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Geschichte || Empirie || Diskussion || Schlussfolgerung || Literatur �
Empirische Daten kommen aus den Bereichen:Sprache als
Vorbedingung für das Denken
Grenzen des Denkbaren?
Nicht-Modularität der
Kognition
Nicht-Universalität der Kognition
Linking
Lexikon
Präverbale Struktur
Konzeptuali-sierung
Enzyklopä-disches Wissen
Farbwahrnehmung, Genus/Sexus, Kontrafaktizität,
Situationsbeschreibung, Linking, Artefaktbenennung,
Raumkognition, Numerus/Anzahl, Mass/Count, Bewegung,
Tempus/Zeit, Lokalisierung, geometrische Formen,
individuelle Persönlichkeit, Ergativität ...
Geschichte || Empirie || Diskussion || Schlussfolgerung || Literatur �
Im Lexikon:
Das Dani verfügt über keine geometrischen Formkonzepte.Rosch (1973) zeigt, dass Sprecher des Dani bei geometrischen Formen, die prototypisch sind, trotzdem weniger Lernfehler produzieren.
Sprache als Vorbedingung für das Denken
Grenzen des Denkbaren?
Nicht-Modularität der
Kognition
Nicht-Universalität der Kognition
Linking
Lexikon
Präverbale Struktur
Konzeptuali-sierung
Enzyklopä-disches Wissen
Formkonzepte
Prototypen
Diese Prototypen sind demnach Instanzen sprachunabhängiger, natürlicher und universeller Kategorien.
Die Einzelsprache bestimmt das Denken demnach nicht.
�
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Geschichte || Empirie || Diskussion || Schlussfolgerung || Literatur �
Im Lexikon:
Das Himba unterscheidet andere ‚basic color terms‘ (BCT) als das Englische, s. Roberson et al. (2005).
Wahrgenommene Farbunterschiede bzw. -ähnlichkeiten korrelierten mit BCTs. Sprache bestimmt demzufolge die perzeptuell-kognitiven Kontinua.
‚dumbu‘ ‚burou‘
‚green‘ ‚blue‘
Sprache als Vorbedingung für das Denken
Grenzen des Denkbaren?
Nicht-Modularität der
Kognition
Nicht-Universalität der Kognition
Linking
Lexikon
Präverbale Struktur
Konzeptuali-sierung
Enzyklopä-disches Wissen
Formkonzepte
Prototypen
Farbkonzepte
Geschichte || Empirie || Diskussion || Schlussfolgerung || Literatur �
Beim Linking:Sprecher des Spanischen (eine ‚verb-framed‘-Sprache) fokussieren eher auf Lokationen, Bewegungsabläufe müssen häufig inferiert werden (s. Slobin (1996)).
Sprecher des Englischen (eine ‚satellite-framed‘-Sprache) fokussieren auf Bewegungs-abläufe, hier muss häufig der Endzustand inferiert werden.
Slobin schließt, dass die einer Beschreibung (i.e. einer Verbalisierung) zugrundeliegende Konzeptualisierung (‚preverbal message‘) der Einzelsprache angepasst sein muss.
Sprache als Vorbedingung für das Denken
Grenzen des Denkbaren?
Nicht-Modularität der
Kognition
Nicht-Universalität der Kognition
Linking
Lexikon
Präverbale Struktur
Konzeptuali-sierung
Enzyklopä-disches Wissen
Formkonzepte
Prototypen
Farbkonzepte
Thinking forspeaking:Bewegung
“... y el niño se cae”
“... the boy tumbles down from the branch”
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Geschichte || Empirie || Diskussion || Schlussfolgerung �
Li & Gleitman (2002):
Sprecher des Englischen nutzen normalerweise einen relativen räumlichen Referenzrahmen (i.e. „rechts“, „links“etc.) bei einer zu reproduzierenden Anordnung von Objekten:
Sprache als Vorbedingung für das Denken
Grenzen des Denkbaren?
Nicht-Modularität der
Kognition
Nicht-Universalität der Kognition
Linking
Lexikon
Präverbale Struktur
Konzeptuali-sierung
Enzyklopä-disches Wissen
Formkonzepte
Prototypen
Farbkonzepte
Thinking forspeaking:Bewegung
Geschichte || Empirie || Diskussion || Schlussfolgerung �
Li & Gleitman (2002):
Sprecher des Englischen nutzen normalerweise einen relativen räumlichen Referenzrahmen (i.e. „rechts“, „links“etc.) bei einer zu reproduzierenden Anordnung von Objekten:
Sprache als Vorbedingung für das Denken
Grenzen des Denkbaren?
Nicht-Modularität der
Kognition
Nicht-Universalität der Kognition
Linking
Lexikon
Präverbale Struktur
Konzeptuali-sierung
Enzyklopä-disches Wissen
Formkonzepte
Prototypen
Farbkonzepte
Thinking forspeaking:Bewegung
Raum-orientierung
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Geschichte || Empirie || Diskussion || Schlussfolgerung �
Sobald aber genügend externe („Landmarken-“) Information zugänglich ist, verwenden auch Englisch-Sprecher einen absoluten Referenzrahmen.
Dann verhalten sie sich - ganz universalistisch - eher wie Sprecher des Tzeltal (Maya), welches die „rechts-links“-Unterscheidungnicht aufweist.
Sprache als Vorbedingung für das Denken
Grenzen des Denkbaren?
Nicht-Modularität der
Kognition
Nicht-Universalität der Kognition
Linking
Lexikon
Präverbale Struktur
Konzeptuali-sierung
Enzyklopä-disches Wissen
Formkonzepte
Prototypen
Farbkonzepte
Thinking forspeaking:Bewegung
Raum-orientierung
Bestimmt die Sprache das Denken?
Geschichte || Empirie || Diskussion || Schlussfolgerung || Literatur
Aus der Pattsituation hilft uns die Übersetzung der o.g. Frage in Hinblick auf die jeweiligenAnwendungsdomänen.
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Sprache als Vorbedingung für das Denken
Grenzen des Denkbaren?
Nicht-Modularität der
Kognition
Nicht-Universalität der Kognition
Linking
Lexikon
Präverbale Struktur
Konzeptuali-sierung
Enzyklopä-disches Wissen
Formkonzepte
Prototypen
Farbkonzepte
Thinking forspeaking:Bewegung
Raum-orientierung
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Bestimmt die Sprache das Denken?
Geschichte || Empirie || Diskussion || Schlussfolgerung || Literatur
Variante 1:
Verursachen in den Sprachen unterschiedlich vorhandende lexikalische Konzepte Unterschiede im enzyklopädischen Wissenssystem?
Ja, s. Farb- und Raumbegriffe.
�
Dabei geht es um Denkinhalte, die von Denkweisen zu unterscheiden sind, vgl. Lehmann (1998).
Sprache als Vorbedingung für das Denken
Grenzen des Denkbaren?
Nicht-Modularität der
Kognition
Nicht-Universalität der Kognition
Linking
Lexikon
Präverbale Struktur
Konzeptuali-sierung
Enzyklopä-disches Wissen
Formkonzepte
Prototypen
Farbkonzepte
Thinking forspeaking:Bewegung
Raum-orientierung
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Bestimmt die Sprache das Denken?
Geschichte || Empirie || Diskussion || Schlussfolgerung || Literatur
Variante 2:
Können unterschiedliche Linking-Strategienals Hinweis auf eine unterschiedliche Situations-Konzeptualisierung gewertet werden?
Eventuell, s. Bild- und Ereignisbeschreibungen.
Allerdings wird dabei meist in reduktiver Weise von Sprachunterschieden auf Denkunterschiede geschlossen.
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Sprache als Vorbedingung für das Denken
Grenzen des Denkbaren?
Nicht-Modularität der
Kognition
Nicht-Universalität der Kognition
Linking
Lexikon
Präverbale Struktur
Konzeptuali-sierung
Enzyklopä-disches Wissen
Formkonzepte
Prototypen
Farbkonzepte
Thinking forspeaking:Bewegung
Raum-orientierung
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Bestimmt die Sprache das Denken?
Geschichte || Empirie || Diskussion || Schlussfolgerung || Literatur
Variante n + 1:
Kann die Verschiedenheit bestimmter Linking-Strategien als Hinweis auf die Nicht-Universalität sprachlicher Kognition gewertet werden?
Nein.
Dieser Schluss hängt mit eher mit theoretischen Vorlieben zusammen und ist in dieser Form nicht haltbar.
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Sprache als Vorbedingung für das Denken
Grenzen des Denkbaren?
Nicht-Modularität der
Kognition
Nicht-Universalität der Kognition
Linking
Lexikon
Präverbale Struktur
Konzeptuali-sierung
Enzyklopä-disches Wissen
Formkonzepte
Prototypen
Farbkonzepte
Thinking forspeaking:Bewegung
Raum-orientierung
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Drei Einsichten ...
Geschichte || Empirie || Diskussion || Schlussfolgerung || Literatur
Die Frage nach sprachlicher Relativität muss für die jeweiligen Phänomenbereiche spezifiziert werden.
Reduktive Schlüsse („Indizienbeweise“) müssen aussortiert werden.
Die vertrauten theoretischen Paradigmen müssen bei der Untersuchung sprachlicher Relativität neutralisiert werden.
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Sprache als Vorbedingung für das Denken
Grenzen des Denkbaren?
Nicht-Modularität der
Kognition
Nicht-Universalität der Kognition
Linking
Lexikon
Präverbale Struktur
Konzeptuali-sierung
Enzyklopä-disches Wissen
Formkonzepte
Prototypen
Farbkonzepte
Thinking forspeaking:Bewegung
Raum-orientierung
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... und eine Antwort:
Geschichte || Empirie || Diskussion || Schlussfolgerung || Literatur �
Versteht man ohne Sprache die Welt nicht mehr?
Benötigen wir für die uns eigene menschliche Kognition sprachliche Grammatik und Kombinatorik?
Sprache als Vorbedingung für das Denken
Grenzen des Denkbaren?
Nicht-Modularität der
Kognition
Nicht-Universalität der Kognition
Linking
Lexikon
Präverbale Struktur
Konzeptuali-sierung
Enzyklopä-disches Wissen
Formkonzepte
Prototypen
Farbkonzepte
Thinking forspeaking:Bewegung
Raum-orientierung
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... und eine Antwort:
Geschichte || Empirie || Diskussion || Schlussfolgerung || Literatur �
Spelke (2003): Menschliche Intelligenz hängt von den kombinatorischen Fähigkeiten ab, die wir über Sprache erlangen.
Sprache erzeugt aus dem „core knowledge“, das wir mit vielen nicht-menschlichen Organismen teilen, einevernunftbegabte Kognition, die konzeptuelle Produktivität als Kerneigenschaft aufweist.
Diese neue Position löst eine alte Sicht ab, die „guided [our] research for 20 years, but I nowbelieve it is wrong“, s. Spelke (2003:278).
Sprache als Vorbedingung für das Denken
Grenzen des Denkbaren?
Nicht-Modularität der
Kognition
Nicht-Universalität der Kognition
Linking
Lexikon
Präverbale Struktur
Konzeptuali-sierung
Enzyklopä-disches Wissen
Formkonzepte
Prototypen
Farbkonzepte
Thinking forspeaking:Bewegung
Raum-orientierung
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Geschichte || Empirie || Diskussion || Schlussfolgerung || Literatur
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Geschichte || Empirie || Diskussion || Schlussfolgerung || Literatur �
Literatur
Borsche, T. (Hrsg.) Klassiker der Sprachphilosophie: von Platon bis Noam Chomsky. München: Beck.
Humboldt, Wilhelm v. (1997) Essays on Language. On the Origins of Grammatical Forms and theirInfluence on the Development of Ideas (Ed. by T. Harden et al.) Frankfurt am Main: Lang, 23-51.
Joseph, John, Nigel Love & Talbot Taylor (2001) Landmarks in Linguistic Thought - Volume 2, TheWestern in the 20th century (section 8). New York/London: Routledge, 106-121.
Lehmann, Beat (1998) ROT ist nicht „rot“ ist nicht [rot]. Eine Bilanz und Neuinterpretation der linguistischen Relativitätstheorie. Narr: Tübingen.
Levelt, Willem (1989) Speaking - From Intention to Articulation, Cambridge (MA): The MIT Press.
Li, Peggy & Gleitman, Lila (2002) Turning the tables. Language and spatial reasoning. Cognition, 83: 265-294.
Roberson, Debi, Jules Davidoff, Ian Davies & Laura Shapiro (2005) Color categories: Evidence for thecultural relativity hypothesis. Cognitive Psychology, 50, 378-411.
Rosch, Eleanor (1973) Natural categories. Cognitive Psychology, 4, 328-350.
Spelke, Elizabeth (2003) What makes us smart? Core knowledge and natural language. In: Gentner, Dedre & Susan Goldin-Meadow (Hrsg.) Language in Mind. Advances in the Study of Language and Thought. Cambridge (MA): The MIT Press, 277-312.
Slobin, Dan (1996) From ‘thought and language’ to ‘thinking for speaking’. In: John J. Gumperz, John & Stephen C. Levinson (Hrsg.). Rethinking Linguistic Relativity. Cambrigde (MA): Cambridge University Press, 70-96.
Whorf, Benjamin L. (1956) Language, Thought, and Reality - The Relation of Habitual Thought and Behavior to Language. Cambridge (MA): The MIT Press.
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