vorlesung einführung in die soziologie februar 2007 gralki empirische sozialforschung
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Vorlesung Einführung in die Soziologie
Februar 2007
Gralki
Empirische Sozialforschung
Gralki - WS 06/07 Feb. 07 – Vorlesung: Einführung in die Soziologie – Thema: Empirische Sozialforschung
Eine Bemerkung vorab 1
Worum geht es der Wissenschaft? Nach landläufiger Meinung darum,die Wahrheit zu finden.
Wissenschaft ist der Prozess, mit dem man immer mehr Wissen über diese Welt anhäuft.
Diese Wahrheiten werden in der Welt der Wissenschaft und außerhalb allseits akzeptiert.
Der Wissenschaftsphilosoph Thomas Kuhn (1922 – 1996) sieht das aber anders
Er führt den Begriff “Paradigma“ ein und stellt den Wissenschaftsverlauf ganz anders dar
Er sagt, dass Wissenschaft eher wie ein demokratisches System funktioniert. Es gibt eine herrschende Wissenschaftsauffassung und es gibt die Wissenschaftler,die etwas anderes für wahr halten. Diese Gruppe versucht die vorherrschende Vorstellung zu widerlegen und übernimmt eines Tages die Macht
Dies bezeichnet Kuhn als Paradigmenwechel
Gralki - WS 06/07 Feb. 07 – Vorlesung: Einführung in die Soziologie – Thema: Empirische Sozialforschung
Bei einem Paradigmenwechsel ändert sich die Auffassung der Wissenschaftler radikal obwohl sich die Sache nicht ändert
Eine Bemerkung vorab 2
Beispiele für Paradigmenwechsel in der Wissenschaft (nach Kuhn)
Phlogiston Sauerstoff
Geozentrik Heliozentrik
Diese Bemerkung vorab nur um festzuhalten, dass auch die ES keine festen Wahrheiten liefert. Ein Paradigmenwechsel könnte die Sichtweise auf die Daten veränder´n
Gralki - WS 06/07 Feb. 07 – Vorlesung: Einführung in die Soziologie – Thema: Empirische Sozialforschung
Was ist empirische Sozialforschung?
Empirische Sozialforschung = Daten erheben, auswerten und interpretieren
ES kann einfach sein – und ist deswegen nicht automatisch schlecht
ES kann kompliziert sein – und ist deswegen nicht automatisch gut
Gut und schlecht korreliert auch nicht immer mit bedeutungsvoll und bedeutungslos
ES ist ein großer Bereich der Soziologie
ES wird häufig mit Forschung gleich gesetzt
Gralki - WS 06/07 Feb. 07 – Vorlesung: Einführung in die Soziologie – Thema: Empirische Sozialforschung
Wozu braucht man empirische Sozialforschung?
Um Hypothesen und Theorien zu überprüfen
Um Hypothesen und Theorien entwickeln
Um Planungs- und Entscheidungsprozesse zu fundieren
Um praktische Probleme zu bewältigen
Um Qualität und Erfolg zu messen (Evaluation)
Gralki - WS 06/07 Feb. 07 – Vorlesung: Einführung in die Soziologie – Thema: Empirische Sozialforschung
Methoden sozialwissenschaftlicher empirischer Forschung: Das Experiment
Welche Forschungsmethoden stehen zur Verfügung?
Experiment
Beobachtung
Befragung
Inhaltsanalyse
Mit diesen vier Bergriffen sind Gruppen von Methoden benannt
Wir beginnen mit der Methodengruppe Experiment
Gralki - WS 06/07 Feb. 07 – Vorlesung: Einführung in die Soziologie – Thema: Empirische Sozialforschung
Methoden sozialwissenschaftlicher empirischer Forschung: Das Experiment
Start
Ende
Experimentalgruppe Kontrollgruppe
Veränderung: Form, Farbe, Distanz
Veränderung: keine
Experimente sind selten in der Soziologie / Gründe
Gralki - WS 06/07 Feb. 07 – Vorlesung: Einführung in die Soziologie – Thema: Empirische Sozialforschung
Methoden sozialwissenschaftlicher empirischer Forschung: Das Experiment
Das Ex-post-facto Experiment
Experimente problematisch, aber einzige Möglichkeit Ursache/Wirkung zu bestimmen
Ersatz: Ex-post-facto Experiment / kein Beweis
Ursachen liegen in der Vergangenheit bzw sind nicht beeinflussbar.
prospektive EPF-Forschung: welche Wirkung kann bekanntes UV auf AV haben? Atomkraftwerke, CO2-Ausstoß, Handys
retrospektive EPF-Forschung Es werden Ereignisse festgestellt, deren potentielle Ursachen man rückwirkend zu finden hofft.AV liegt vor und man hofft UV zu identifizieren
2 Arten
Befragungen / Kindergartenbeispiel
Gralki - WS 06/07 Feb. 07 – Vorlesung: Einführung in die Soziologie – Thema: Empirische Sozialforschung
Methoden sozialwissenschaftlicher empirischer Forschung Berühmte Experimente
Hawthorne: 1924 bis 1932 in den Hawthorne Werken (Western Electric) in Illinois
Die Hawthorne Experimente
Untersuchungen zur Erhöhung der Arbeitseffektivität
Veränderung der Beleuchtung
Arbeitsleistung stieg
Die Arbeitsleistung stieg aber auch in der Kontrollgruppe
Die Arbeitsleistung fiel nicht als die Helligkeit wieder vermindert wurde
Hawthorne Effekt: Verhalten ändert sich wenn man im Mittelpunkt steht
Vom Taylorismus zum human-relation Ansatz
Gralki - WS 06/07 Feb. 07 – Vorlesung: Einführung in die Soziologie – Thema: Empirische Sozialforschung
Methoden sozialwissenschaftlicher empirischer Forschung Berühmte Experimente
Das Milgram Experiment
Problem: Gehorsam / Nationalsozialismus (Germans are different)
V = Versuchsleiter
L = „Lehrer“
S = „Schüler“
S soll Aufgaben lösen, L soll ihn bestrafen,wenn die Antwort falsch ist.
Die Stärke der Stromstöße steigt vonMal zu Mal in 15V Schritten
S ist ein Schauspieler!
Gralki - WS 06/07 Feb. 07 – Vorlesung: Einführung in die Soziologie – Thema: Empirische Sozialforschung
Methoden sozialwissenschaftlicher empirischer Forschung Berühmte Experimente
Spannung Reaktion des „Schülers“
75 V Grunzen
120 V Schmerzensschreie
150 V sagt, dass er an dem Experiment nicht mehr teilnehmen will
200 V Schreie, „die das Blut in den Adern gefrieren lassen“
300 V Er lehnt es ab zu antworten
über 330 V Stille
Das Milgram Experiment
Gralki - WS 06/07 Feb. 07 – Vorlesung: Einführung in die Soziologie – Thema: Empirische Sozialforschung
Methoden sozialwissenschaftlicher empirischer Forschung Berühmte Experimente
Das Milgram Experiment
Spannung (Volt)Anzahl
Vpn: Abbruch
bis 300 V 0
300 V 5
315 V 4
330 V 2
345 V 1
360 V 1
375 V 1
390 V bis 435 V 0
450 V 26
62,5% der „Lehrer“ bestraften bis 450 V. Der Lehrer bestand auf Fortsetzung
Gralki - WS 06/07 Feb. 07 – Vorlesung: Einführung in die Soziologie – Thema: Empirische Sozialforschung
Methoden sozialwissenschaftlicher empirischer Forschung: die Beobachtung
Teilnehmende Beobachtung
Die teilnehmende Beobachtung wird in der natürlichen Lebenswelt des Beobachteten eingesetzt wird.
Bei teilnehmender Beobachtung nimmt der Sozialforscher als Beobachter am Alltagsleben der ihn interessierenden Personen oder Gruppen teil.
Die Beobachtung wird vornehmlich dort praktiziert, wo es um ansonsten schwer zugängliche soziale Felder geht, bzw. relatives Neuland betreten wird.
Die (teilnehmende) Beobachtung soll es ermöglichen, wissenschaftlich abgesichert fremde (Sub)Kulturen zu verstehen. Das Fremdverstehen ist Voraussetzung und Methode der Beobachtung.
Das alltägliche Verstehen unterscheidet sich u.a. von dem wissenschaftlichen der Beobachtung dadurch, dass ersteres eher pragmatisch, emotional-teilnehmend, letzteres eher kognitiv-betrachtend und analytisch ist.
Gralki - WS 06/07 Feb. 07 – Vorlesung: Einführung in die Soziologie – Thema: Empirische Sozialforschung
Methoden sozialwissenschaftlicher empirischer Forschung: die Beobachtung
Teilnehmende Beobachtung
Das angestrebte Sinnverstehen durch teilnehmende Beobachtung erfordert jedoch beide Elemente. Je nach Rolle des Beobachters im Feld ergeben sich unterschiedliche Verhältnisse.
Das Sinnverstehen muss methodisch kontrolliert erfolgen.
Exkurs: Flander´sche Interaktionsanalyse
1 = Dozent spricht
2 = Student spricht
3 = Frage des Dozenten
4 = Frage des Studenten
5 = Stille
Ergebnisse:
1,1,1,1,1,3,3,3,5,5,5,5,1,1,1
Gralki - WS 06/07 Feb. 07 – Vorlesung: Einführung in die Soziologie – Thema: Empirische Sozialforschung
Methoden sozialwissenschaftlicher empirischer Forschung: die Befragung
s. Dokument auf Benjamin
Gralki - WS 06/07 Feb. 07 – Vorlesung: Einführung in die Soziologie – Thema: Empirische Sozialforschung
Methoden sozialwissenschaftlicher empirischer Forschung: die BefragungBerühmte Befragungen: Die Arbeitslosen von Marienthal
Gralki - WS 06/07 Feb. 07 – Vorlesung: Einführung in die Soziologie – Thema: Empirische Sozialforschung
Methoden sozialwissenschaftlicher empirischer Forschung: die BefragungBerühmte Befragungen: Die Arbeitslosen von Marienthal
Marie Jahoda Hans Zeisel Paul Lazarsfeld
Was für eine Arbeit war das? Beobachtung? Befragung? Action research?Auf jeden Fall ein Meilenstein der Soziologie
Gralki - WS 06/07 Feb. 07 – Vorlesung: Einführung in die Soziologie – Thema: Empirische Sozialforschung
Methoden sozialwissenschaftlicher empirischer Forschung: die BefragungBerühmte Befragungen: Die Arbeitslosen von Marienthal
Marienthal
Gralki - WS 06/07 Feb. 07 – Vorlesung: Einführung in die Soziologie – Thema: Empirische Sozialforschung
Methoden sozialwissenschaftlicher empirischer Forschung: die BefragungBerühmte Befragungen: Die Arbeitslosen von Marienthal
Marienthal Dorf Nähe Wiens. 1830 Textilfabrik, Je größer Betrieb, desto organisierter Arbeiter. Einwohner überwiegend sozialdemokratisch. Partei, Gewerkschaft gegründet;Konsumverein sowie verschieden Arbeitertheater und diverse Vereine bilden sich( z.B. Hasenzüchterverein ). Marienthal besitzt aktive und engagierte Bewohner 1929 schließt die Fabrik mit der Konsequenz einer nahezu totalen Arbeitslosigkeit, dies ist Untersuchungsgegenstand der Studie die eine Gruppe von Sozialwissenschaftlern unter der Leitung von Marie Jahoda Paul Lazarsfeld Hans Zeisel.
Gralki - WS 06/07 Feb. 07 – Vorlesung: Einführung in die Soziologie – Thema: Empirische Sozialforschung
Methoden sozialwissenschaftlicher empirischer Forschung: die BefragungBerühmte Befragungen: Die Arbeitslosen von Marienthal
Methodik der Untersuchung:
Kombination von qualitativen und quantitativen Methoden verwendet. Begriffssysteme empirisch belegt, statistische Daten und soziale Reportagen.Die Studie begann mit offenen Fragen und nicht mit einer Theorie oder einem festem Methodenplan. Material der Auswertung: Katastenblätter 478 Familien, Zeitverwendungsbögen, Lebensgeschichten, Anzeigen, Beschwerden, Protokolle ärztlicher Untersuchungen, Schulaufsätze, Wahlergebnisse, Geschäftsbücher des Konsumvereins, Mitgliederverzeichnisse der Vereine, diverse Statistiken und Interviews
Gralki - WS 06/07 Feb. 07 – Vorlesung: Einführung in die Soziologie – Thema: Empirische Sozialforschung
Methoden sozialwissenschaftlicher empirischer Forschung: die BefragungBerühmte Befragungen: Die Arbeitslosen von Marienthal
Arbeitslosigkeit und Zeitverwendung (Langzeit)- Arbeitslosigkeit verändert Lebenstempo. Um nicht alleine zu Hause zu sitzen, verbringen die Männer ihre Zeit auf der Strasse „trödeln herum“. Beobachtet wurde dies durch Messung der Gehtempi auf der Hauptstrasse. Von hundert Männern die durch die Strasse gehen, bleiben mindestens 2/3 zweimal stehen Frauen nur 1/6, diese haben immer noch ihre festen Aufgaben im Haushalt zu verrichten, wodurch der Tag strukturiert wird. Durch Arbeitslosigkeit gewonnene freie Zeit erweist sich nicht als Gewinn im Sinne von Freizeit, es ist viel eher leere Zeit. Es fehlen materielle und moralische Möglichkeiten die Zeit zu verwenden um z.B. zu lesen oder. „Das Nichtstun beherrscht den Tag“ und die Menschen haben verlernt ich zu beeilen, verlieren das Zeitgefühl >> was bedeutet das für einen möglichen Widereinstieg in das Arbeitsleben nach der Langzeitarbeitslosigkeit?
Gralki - WS 06/07 Feb. 07 – Vorlesung: Einführung in die Soziologie – Thema: Empirische Sozialforschung
Methoden sozialwissenschaftlicher empirischer Forschung: die BefragungBerühmte Befragungen: Die Arbeitslosen von Marienthal
Schrumpfen der Lebensäußerungen – Gleichgültigkeit - nachlassendes Interesse an der Politik, sinkende Mitgliederzahlen an VereinenBeispiel: Arbeitslosigkeit beeinflusst Leselust und Art der Lektüre. Nach Schließung der Fabrik, sinkende Ausleihzahlen an der Marienthaler Bibliothek, Rückgang der Abonnementenzahlen der Arbeiterzeitung um 60%, obwohl sehr billig, „Kleines Blatt“ obwohl gleiche polit. Richtung und mehr um das doppelte teuer, aber mehr Unterhaltung nur 27%.>> Betroffene sagen selber aus, dass sie keine Muße zum Lesen haben (auch Frauen)
Gralki - WS 06/07 Feb. 07 – Vorlesung: Einführung in die Soziologie – Thema: Empirische Sozialforschung
Methoden sozialwissenschaftlicher empirischer Forschung: die BefragungBerühmte Befragungen: Die Arbeitslosen von MarienthalAuswirkung der Situation auf die Kinder:- a) Resignation der Eltern: schränkt kindlichen Horizont,Wünsche und Phantasien ein.Auch: „Infektionsmodell“ genannt. - Kinder haben keine typischen „Traumberufe“ vor Augen, viele schreiben im Aufsatz: „Was ich einmal werden will“, dass sie Fabrikarbeiter werden wollen, bzw. sehen sich teilweise selbst als Arbeitslose in der Zukunft.- Weihnachtswünsche hatten im Durchschnitt einen Preis von 12 Schilling, in anderen Orten ohne Arbeitslosigkeit: 36 Schilling. Aufsätze oft im Konjunktiv geschrieben: „Wenn die Eltern Arbeit hätten würde ich mir … wünschen“.- b) Gesundheitszustand aller Marienthaler Kinder unter 14 Jahren: Stufen I (gut), II (mittel) und III (schlecht) - eigentlich nicht subjektiv, aber hängt stark damit zusammen:
G. zustand I II III Anzahl Kinder
Eltern mit Arbeit
19 15 0 34
Eltern ohne Arbeit
31 144 103
278
314
Gralki - WS 06/07 Feb. 07 – Vorlesung: Einführung in die Soziologie – Thema: Empirische Sozialforschung
Methoden sozialwissenschaftlicher empirischer Forschung: die BefragungBerühmte Befragungen: Die Arbeitslosen von Marienthal
Extrem knappes Einkommen zwingt Menschen zu Verhaltensweisen, die sonst nicht zum Vorschein gekommen wären/Essen von Hund und Katze /Diebstähle z.B. Kohlediebstähle bei der Bahn (Behörden verfolgen diese noch nicht einmal mehr
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