antifaschistischer weckruf

2
Am 20.09.2012 fand vor dem Amtsgericht Göttin gen ein Strafprozess gegen einen Genossen der SDAJ statt. Ihm wurde von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, Widerstand und Körperverletzung gegen einen Polizeibeamten begangen zu haben. Politischer Hintergrund dieses Verfahrens war ein gemeinsamer Auftritt des Göttinger Polizeipräsi denten Robert Kruse und des niedersächsischen Innenministers Uwe Schünemann auf einer Wahl kampfveranstaltung des rechten Studentenver bands RCDS im Januar 2012. Gegen diese Ver anstaltung hatte ein breites Bündnis aus studentischen, antirassistischen und antifaschisti schen Gruppen zu Protesten aufgerufen. Rund 250 Menschen sammelten sich vor dem Hörsaal, in dem die Veranstaltung stattfinden sollte, und blockierten friedlich die Haupteingänge. Mit Sprechchören und auf Transparenten kritisierten sie das Abschieberegime und die LawandOrder Politik Schünemanns und Kruses. Auf Anordnung des Polizeipräsidenten Kruse wurden die Protes tierenden im Eingangsbereich durch einen bruta len und unverhältnismäßigen Polizeieinsatz ange griffen und aus dem UniGebäude gedrängt. Dabei wurden mehrere Demonstranten durch die Polizei verletzt. Ein im NDRFernsehen ausge strahltes Video zeigt, wie ein geschlossener Ein satzzug der Polizei unvermittelt auf die Versamm lung zustürmte und wahllos in die Menschenmenge prügelte. An diesem Tag wurde das Versammlungsrecht und das Recht auf friedli che Meinungsäußerung von der Göttinger Polizei führung faktisch abgeschafft. Staatsanwaltschaft für Freispruch Die Tatvorwürfe gegen den Angeklagten stürzten, wie zu erwarten, während der Gerichtsverhand lung völlig in sich zusammen, nachdem ein Poli zeizeuge befragt wurde und zwei Videomitschnitte vom Gericht ausgewertet wurden. Die Videoauf nahmen belegten eindeutig, dass der Angeklagte weder einen Widerstand noch eine Körperverlet zung begangen hatte. Aufgrund all dieser Sach beweise forderte sogar die Staatsanwaltschaft einen Freispruch, dem sich Richter Hoefer in sei nem Urteilsspruch anschloss. "Wenn es aber dem Minister nun einmal nicht gefällt ..." Jetzt, wenige Wochen später, will die Staatsan waltschaft von ihrem damaligen Plädoyer nichts mehr wissen und hat Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichtes eingelegt. Dem Rechtslaien ist vermutlich kaum argumentativ vermittelbar, warum eine Staatsanwaltschaft gegen ihr eigenes Plä doyer rechtlich vorgeht. Formal ist das zwar alles legal, denn die Strafprozessordnung (anders als z.B. die Zivilprozessordnung) bietet dieses völlig abstruse Rechtskonstrukt, aber ein Geschmäckle bleibt. Das überraschende Vorgehen der Staats anwaltschaft beruht zudem nicht auf neuen Er mittlungserkenntnissen (die Videomitschnitte ha ben den gesamten Tatzeitraum aus zwei unterschiedlichen Richtungen erfasst), sondern entspringt rein politischer Motivation. Es spricht Nummer 2 [Januar 2013] Berufungsprozess gegen einen Göttinger Antifaschisten „Der Göttinger Polizei geht es heute mit die sem Prozess darum, ihr Gesicht zu bewahren, nachdem sie in bürgerlichen Medien wie dem NDR als Prügelpolizei dargestellt wurde. Es geht um Nachlieferung einer Begründung für ihre brutale Gewaltorgie gegen demokrati sche und antifaschistische Studierende wie mich." (Aus der Prozesserklärung des freigesprochenen Antifaschisten vom 20.09.2012)

Upload: sdaj-goettingen

Post on 08-Mar-2016

212 views

Category:

Documents


0 download

DESCRIPTION

Infobulletin der VVN/BdA Kreisverband Göttingen

TRANSCRIPT

Page 1: Antifaschistischer Weckruf

Am 20.09.2012 fand vor dem Amtsgericht Göttin­gen ein Strafprozess gegen einen Genossen derSDAJ statt. Ihm wurde von der Staatsanwaltschaftvorgeworfen, Widerstand und Körperverletzunggegen einen Polizeibeamten begangen zu haben.Politischer Hintergrund dieses Verfahrens war eingemeinsamer Auftritt des Göttinger Polizeipräsi­denten Robert Kruse und des niedersächsischenInnenministers Uwe Schünemann auf einer Wahl­kampfveranstaltung des rechten Studentenver­bands RCDS im Januar 2012. Gegen diese Ver­anstaltung hatte ein breites Bündnis ausstudentischen, antirassistischen und antifaschisti­schen Gruppen zu Protesten aufgerufen. Rund250 Menschen sammelten sich vor dem Hörsaal,in dem die Veranstaltung stattfinden sollte, undblockierten friedlich die Haupteingänge. MitSprechchören und auf Transparenten kritisiertensie das Abschieberegime und die Law­and­Order­Politik Schünemanns und Kruses. Auf Anordnungdes Polizeipräsidenten Kruse wurden die Protes­tierenden im Eingangsbereich durch einen bruta­len und unverhältnismäßigen Polizeieinsatz ange­griffen und aus dem Uni­Gebäude gedrängt.Dabei wurden mehrere Demonstranten durch diePolizei verletzt. Ein im NDR­Fernsehen ausge­strahltes Video zeigt, wie ein geschlossener Ein­satzzug der Polizei unvermittelt auf die Versamm­lung zustürmte und wahllos in dieMenschenmenge prügelte. An diesem Tag wurdedas Versammlungsrecht und das Recht auf friedli­che Meinungsäußerung von der Göttinger Polizei­führung faktisch abgeschafft.

Staatsanwaltschaft für FreispruchDie Tatvorwürfe gegen den Angeklagten stürzten,wie zu erwarten, während der Gerichtsverhand­

lung völlig in sich zusammen, nachdem ein Poli­zeizeuge befragt wurde und zwei Videomitschnittevom Gericht ausgewertet wurden. Die Videoauf­nahmen belegten eindeutig, dass der Angeklagteweder einen Widerstand noch eine Körperverlet­zung begangen hatte. Aufgrund all dieser Sach­beweise forderte sogar die Staatsanwaltschafteinen Freispruch, dem sich Richter Hoefer in sei­nem Urteilsspruch anschloss.

"Wenn es aber dem Minister nuneinmal nicht gefällt ..."Jetzt, wenige Wochen später, will die Staatsan­waltschaft von ihrem damaligen Plädoyer nichtsmehr wissen und hat Berufung gegen das Urteildes Amtsgerichtes eingelegt. Dem Rechtslaien istvermutlich kaum argumentativ vermittelbar, warumeine Staatsanwaltschaft gegen ihr eigenes Plä­doyer rechtlich vorgeht. Formal ist das zwar alleslegal, denn die Strafprozessordnung (anders alsz.B. die Zivilprozessordnung) bietet dieses völligabstruse Rechtskonstrukt, aber ein Geschmäcklebleibt. Das überraschende Vorgehen der Staats­anwaltschaft beruht zudem nicht auf neuen Er­mittlungserkenntnissen (die Videomitschnitte ha­ben den gesamten Tatzeitraum aus zweiunterschiedlichen Richtungen erfasst), sondernentspringt rein politischer Motivation. Es spricht

Nummer 2 [Januar 2013]

Berufungsprozess gegen einen Göttinger Antifaschisten„Der Göttinger Polizei geht es heute mit die­sem Prozess darum, ihr Gesicht zu bewahren,nachdem sie in bürgerlichen Medien wie demNDR als Prügelpolizei dargestellt wurde. Esgeht um Nachlieferung einer Begründung fürihre brutale Gewaltorgie gegen demokrati­sche und antifaschistische Studierende wiemich."(Aus der Prozesserklärung des freigesprochenenAntifaschisten vom 20.09.2012)

Page 2: Antifaschistischer Weckruf

vieles dafür, dass mittels direkter Einflussnahmedes niedersächsischen Innenministers Schüne­mann und des Göttinger Polizeichefs Kruse Druckgegenüber der Staatsanwaltschaft ausgeübt wur­de, um vor dem Landgericht in eine Berufungsver­handlung zu gehen. Offenbar waren die beidenpersönlich mit dem Ausgang des Prozesses nichteinverstanden. (Würde diese Art des strafrechtli­chen Vorgehen z.B. in Russland oder der Ukraineablaufen, wäre in hiesigen Medien wohl von„Rechtsbeugung“, „politischer Einflussnahme aufeinen Prozess“ oder gar „Unrechtsstaat“ die Rede.Aber wir sind ja nicht in der fernen Ukraine oderRussland, sondern in Deutschland … )Einen Solidaritätsaufruf für den angeklagten An­tifaschisten unterzeichneten im September 2012zwanzig Göttinger Organisationen:Rote Hilfe Ortsgruppe Göttingen, VVN­BdA Kreis­vereinigung Göttingen, SDAJ Göttingen, ver.di Ju­gend Göttingen, DKP Kreisverband Göttingen, DieLinke. Kreisverband Göttingen, WählervereinigungGöttinger Linke, Juso Hochschulgruppe, Antiras­sistisches Aktionsplenum Göttingen, Grüne Ju­gend Göttingen, Jusos Göttingen, Die Linke.SDSGöttingen, ver.di Ortsverein Göttingen, Antifa­schistische Linke International, attac Göttingen,AStA der Uni Göttingen, Verband der Studieren­den aus Kurdistan (YXK) Göttingen, Schöner Le­ben Göttingen, Anarcho­Syndikalistische Jugend(ASJ) Göttingen, Jugend Antifa Göttingen (JAG).Auch diesmal ist öffentliche Unterstützung ge­fordert, damit die Rechnung von Schünemannund Konsorten nicht aufgeht. Wir rufen daherzur Teilnahme am Prozess auf:

Montag, der 14. Januarum 10:30 in Saal B 19

Da wieder schikanöse Vorkontrollen anzunehmensind, sollten sich alle Prozessbesucher nach Mög­lichkeit schon gegen 10:00 im Gericht einfinden.

Vereinigung der Verfolgten desNaziregimes ­ Bund derAntifaschistinnen und Antifaschisten(VVN­BdA) Kreisvereinigung Göttingenc/o Buchladen Rote StraßeNikolaikirchhof 7, 37073 GöttingenV.i.S.d.P.: J. Steyer

Diese und andere Verfahren kosten Geld.Spendet daher auf das Solidaritätskontoder Roten Hilfe Göttingen:Konto 13 50 20Sparkasse GöttingenBLZ 260 500 01Stichwort: Antifaschismus

Kommende Veranstaltungender VVN­BdA Göttingenim Januar und Februar 2013:Donnerstag, 24. Januar, 19:00"Hunderte solcher Helden": Der Aufstand jü­discher Gefangener im NS­VernichtungslagerSobibór. Lesung mit der Historikerin FranziskaBruder, die neue geschichtliche Erkenntnisseüber die am Aufstand Beteiligten zusammenge­tragen hat.im Buchladen Rote Straße (Nikolaikirchhof 7),Göttingenin Kooperation mit dem Buchladen Rote Straße,der Geschichtswerkstatt Göttingen und ver.diGöttingenSamstag, 26. Januar, 19:30"Die Seele der Dinge". Lesung und Zeitzeu­gengespräch mit der Shoa­Überlebenden ÉvaPusztai. Mehr als 60 Jahre nach ihrer Lagerhaftim KZ Auschwitz­Birkenau und dem KZ Buchen­wald schrieb Éva Pusztai die Erlebnisse auf, dieihr als ungarische Jüdin in der NS­Zeit wieder­fuhren. "Man wird Auschwitz nie los. Es sitzt inden Fingerspitzen, in den Haaren, in der Seele.Überall. Man kann es nicht abschütteln." (ÉvaPusztai)in der Reformierten Gemeinde (Untere Kar­spüle 11), Göttingengemeinsame Veranstaltung des Bündnisses"Gedenken an die Opfer des Nationalsozialis­mus"Dienstag, 12. Februar, 19:00"Wer brachte Hitler an die Macht?" Veranstal­tung mit Prof. Manfred Weißbecker anlässlichdes 80. Jahrestages der Machtübertragungan Hitler vom 30. Januar 1933.im Holbornschen Haus (Rote Str. 34), Göttin­genin Kooperation mit dem DKP Kreisverband Göt­tingen, der SDAJ Göttingen und der Marx EngelsStiftung