apoplex — gut betreut von anfang an

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54 Heilberufe / Das Pflegemagazin 2014; 66 (5) PflegeKarriere Besondere Arbeitsplätze Arbeiten als Schlaganfall-Lotse Apoplex – gut betreut von Anfang an Ein Schlaganfall trifft den Patienten und seine Angehörigen aus heiterem Himmel und verändert oft das ganze Leben. Nichts ist mehr, wie es vorher war: Vielleicht müssen die Wohnung rollstuhlgerecht umgebaut oder Hilfsmittel beantragt werden. Vielleicht braucht der Patient Unterstützung, um alle für ihn möglichen Therapien in An- spruch zu nehmen, die seine Situation verbessern können. Anke Sieb- drat unterstützt als Schlaganfall-Lotse seit einem Jahr Patienten in dieser besonderen Lebenssituation. D as Pilotprojekt Schlaganfall-Lotse am Sankt Elisabeth Hospital Gü- tersloh orientiert sich am Konzept der Stiftung Deutsche Schlaganfall- Hilfe. Finanziert wird es von der Bürger- stiftung Gütersloh für einen Zeitraum von drei Jahren. Innerhalb dieses Projek- tes werden Patienten, die einen Schlag- anfall oder eine TIA (Transitorisch isch- ämische Attacke) erlitten haben, ein bis anderthalb Jahre begleitet. Betreuung beginnt in der Akutphase Angefangen hat diese Arbeit als Lotsin für mich mit einer Stellenausschreibung des Sankt Elisabeth Hospitals und der Bürgerstiftung Gütersloh vor zwei Jah- ren. Gesucht wurde ein Schlaganfall- Lotse – also, genau das Richtige für mich. Profitiert habe ich von meiner langjäh- rigen Berufserfahrung als Ergotherapeu- tin/Bobath-Therapeutin und der Zusatz- qualifikation Case-Management. Nach meinem Fachhochschulstudium „Ma- nagement Sozial- und Gesundheitswe- sen“ (B.A.) habe ich eine solche Stelle gesucht, denn ich wollte Patienten be- treuen – von der Akutphase bis über die Nachsorge hinaus. Auf der Stroke Unit nehme ich den ersten Kontakt zu den Patienten auf und dokumentiere alle Versorgungs- aspekte, Ressourcen und Risikofaktoren. Danach erstelle ich einen Hilfeplan, um die weitere Versorgung koordinieren und wichtige Informationen weiterleiten zu können. Zudem wird ein Risiko- und Me- dikationsplan erstellt, der dem Arzt als Übersicht dient. Darin werden nicht nur die Medikamente aufgeführt, die der Pa- tient aufgrund des Schlaganfalls be- kommt, sondern auch diejenigen, die der Patient zusätzlich einnimmt. Hier koope- riere ich mit der Krankenhausapotheke, die alle Medikamente überprüft und dem Hausarzt bei Bedarf Rückmeldung geben kann. Kommt der Patient in eine Rehabilita- tionsklinik, besprechen wir vor Ort die Nachsorge, damit die notwendigen Maß- nahmen eingeleitet werden können. Nach der Entlassung aus der Reha schließt sich ein Hausbesuch an, bei dem ich über- prüfe, ob der Patient seine Medikamente selbstständig einnehmen und einsortieren kann und ob und wie er allein zurecht- kommt. In der Nachsorge werden so die sektorenübergreifende Behandlung und Diagnostik unterstützt, Termine koordi- niert, Patienten und Angehörige über alle relevanten Geschehnisse informiert. Ich erkläre fachspezifische Zusammenhänge, unterstütze die vom Arzt verordnete Se- kundärprävention und vermerke jegliche Veränderung. In Abstimmung mit den Bedürfnissen des Patienten prüfe ich die häusliche Situation und die Nutzung aller Ressourcen im Heilmittelbereich, anste- hende Untersuchungen, die regelmäßige Heilmitteleinnahme und kontaktiere Selbsthilfegruppen. Natürlich wird dabei nicht in die Arbeit anderer Berufsgruppen eingegriffen. Unser Anliegen ist es, sie in ihrer Arbeit zu unterstützen. Sobald Ab- weichungen von Standards zu vermuten sind, versuche ich diese zu beheben und leite die Informationen an die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe weiter, damit meine persönlichen Erfahrungen auch der Weiterentwicklung des Projektes dienlich sind. Deutliche Versorgungslücken Gerade in der Nachsorge treten leider immer wieder Versorgungslücken auf: DOI : 10.1007/s00058-014-0568-z Akut Reha Nachsorge Ansprechpartnerin über die gesamte Versorgungskette über mindestens ein Jahr • Vorstellung • Einschreibung • Aufnahm e • Schlaganfallpass • Versorgungsplan • Medikationsplan • Risikofaktorenplan • QS- Doku zur Reha- Versorgung • Info über Entlassung und Koordination der Nachsorge • Aktualisierung Schlaganfallpass und Versorgungsplan • Ein Termin vor Ort • Infos sammeln u. QS • Aktualisierter Versorgungsplan • Schlaganfallpass • Termine Orga • Orga Hilfsmittel • Sekundärprävention • Selbsthilfe, Schulungen Darstellung der Tätigkeit eines Schlaganfall-Lotsen im Überblick

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Page 1: Apoplex — gut betreut von Anfang an

54 Heilberufe / Das P� egemagazin 2014; 66 (5)

PflegeKarriere Besondere Arbeitsplätze

Arbeiten als Schlaganfall-Lotse

Apoplex – gut betreut von Anfang anEin Schlaganfall trifft den Patienten und seine Angehörigen aus heiterem Himmel und verändert oft das ganze Leben. Nichts ist mehr, wie es vorher war: Vielleicht müssen die Wohnung rollstuhlgerecht umgebaut oder Hilfsmittel beantragt werden. Vielleicht braucht der Patient Unterstützung, um alle für ihn möglichen Therapien in An-spruch zu nehmen, die seine Situation verbessern können. Anke Sieb-drat unterstützt als Schlaganfall-Lotse seit einem Jahr Patienten in dieser besonderen Lebenssituation.

Das Pilotprojekt Schlaganfall-Lotse am Sankt Elisabeth Hospital Gü-tersloh orientiert sich am Konzept

der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe. Finanziert wird es von der Bürger-stiftung Gütersloh für einen Zeitraum von drei Jahren. Innerhalb dieses Projek-tes werden Patienten, die einen Schlag-anfall oder eine TIA (Transitorisch isch-ämische Attacke) erlitten haben, ein bis anderthalb Jahre begleitet.

Betreuung beginnt in der Akutphase Angefangen hat diese Arbeit als Lotsin für mich mit einer Stellenausschreibung des Sankt Elisabeth Hospitals und der Bürgerstiftung Gütersloh vor zwei Jah-

ren. Gesucht wurde ein Schlaganfall-Lotse – also, genau das Richtige für mich. Profitiert habe ich von meiner langjäh-rigen Berufserfahrung als Ergotherapeu-tin/Bobath-Therapeutin und der Zusatz-qualifikation Case-Management. Nach meinem Fachhochschulstudium „Ma-nagement Sozial- und Gesundheitswe-sen“ (B.A.) habe ich eine solche Stelle gesucht, denn ich wollte Patienten be-treuen – von der Akutphase bis über die Nachsorge hinaus.Auf der Stroke Unit nehme ich den ersten Kontakt zu den Patienten aufund dokumentiere alle Versorgungs-aspekte, Ressourcen und Risikofaktoren. Danach erstelle ich einen Hilfeplan, um die weitere Versorgung koordinieren und

wichtige Informationen weiterleiten zu können. Zudem wird ein Risiko- und Me-dikationsplan erstellt, der dem Arzt als Übersicht dient. Darin werden nicht nur die Medikamente aufgeführt, die der Pa-tient aufgrund des Schlaganfalls be-kommt, sondern auch diejenigen, die der Patient zusätzlich einnimmt. Hier koope-riere ich mit der Krankenhausapotheke, die alle Medikamente überprüft und dem Hausarzt bei Bedarf Rückmeldung geben kann.

Kommt der Patient in eine Rehabilita-tionsklinik, besprechen wir vor Ort die Nachsorge, damit die notwendigen Maß-nahmen eingeleitet werden können. Nach der Entlassung aus der Reha schließt sich ein Hausbesuch an, bei dem ich über-prüfe, ob der Patient seine Medikamente selbstständig einnehmen und einsortieren kann und ob und wie er allein zurecht-kommt. In der Nachsorge werden so die sektorenübergreifende Behandlung und Diagnostik unterstützt, Termine koordi-niert, Patienten und Angehörige über alle relevanten Geschehnisse informiert. Ich erkläre fachspezifische Zusammenhänge, unterstütze die vom Arzt verordnete Se-kundärprävention und vermerke jegliche Veränderung. In Abstimmung mit den Bedürfnissen des Patienten prüfe ich die häusliche Situation und die Nutzung aller Ressourcen im Heilmittelbereich, anste-hende Untersuchungen, die regelmäßige Heilmitteleinnahme und kontaktiere Selbsthilfegruppen. Natürlich wird dabei nicht in die Arbeit anderer Berufsgruppen eingegriffen. Unser Anliegen ist es, sie in ihrer Arbeit zu unterstützen. Sobald Ab-weichungen von Standards zu vermuten sind, versuche ich diese zu beheben und leite die Informationen an die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe weiter, damit meine persönlichen Erfahrungen auch der Weiterentwicklung des Projektes dienlich sind.

Deutliche VersorgungslückenGerade in der Nachsorge treten leider immer wieder Versorgungslücken auf: D

OI :

10.

1007

/s00

058-

014-

0568

-zAkut Reha Nachsorge

Ansprechpartnerin über die gesamte Versorgungskette über mindestens ein Jahr

• Vorstellung• Einschreibung• Aufnahme• Schlaganfallpass• Versorgungsplan• Medikationsplan• Risikofaktorenplan• QS- Doku zur Reha-

Versorgung

• Info über Entlassung und Koordination der Nachsorge

• Aktualisierung Schlaganfallpass und Versorgungsplan

• Ein Termin vor Ort• Infos sammeln u. QS

• Aktualisierter Versorgungsplan

• Schlaganfallpass• Termine Orga• Orga Hilfsmittel• Sekundärprävention• Selbsthilfe, Schulungen

Darstellung der Tätigkeit eines Schlaganfall-Lotsen im Überblick

Page 2: Apoplex — gut betreut von Anfang an

55Heilberufe / Das P� egemagazin 2014; 66 (5)

Medikation. Patienten und Angehörige stehen beim Auftreten eines Schlaganfalls regelrecht unter einem Schock und ver-stehen oftmals gar nicht, aus welchem Grund sie bestimmte Medikamente ein-nehmen sollen. Nicht selten bauen sie eine große Angst vor schädlichen Nebenwir-kungen auf. Aus diesem Grund erhalten die Patienten einen Medikationsplan, auf dem nicht nur die Medikamente gelistet sind, sondern auch der Grund der Ein-nahme erklärt wird.

Sekundärprävention. Auch wenn Pati-enten von ihren Ärzten über Risikofak-toren aufgeklärt werden, zeigt sich im Alltag dennoch schnell ein Rückfall in alte Lebensgewohnheiten. Dieses Projekt kann das nicht verhindern. Aber aufgrund der langfristigen individuellen Betreuung und der gemeinsamen Entwicklung von Zielen besteht für den Schlaganfall-Lotsen die Möglichkeit, vermehrt auf die persönliche Einstellung in Bezug auf die Risikofak-toren hinzuweisen und die Patienten da-für zu sensibilisieren. Durch die Transpa-renz aller individuellen Risikofaktoren und die unmittelbare Vermittlung von Informationen und konkreten Maßnah-men konnten in diesem Projekt bereits erste Erfolge vermerkt werden.

Überleitung in die Rehabilitation. Pati-enten, die nach dem Schlaganfall keine motorischen Ausfälle aufweisen, aber dennoch unter neuropsychologischen Symptomen leiden, bekommen oft keine

Reha, weil die Aufnahme vom so genann-ten Bartel-Index abhängt. Dieser zeigt auf, wie viel Hilfebedarf der Patient im Alltag hat. Patienten mit neuropsychologischen Einschränkungen können in diesem Be-reich häufig eine hohe Punktzahl errei-chen, obgleich sie starke Einschränkungen im Bereich der Sprache, der Konzentrati-on oder des Sehfeldes zeigen. Diese Para-meter werden in dem Screening nicht erfasst. Von ihrem sozialen Umfeld wer-den sie als gesund wahrgenommen und als scheinbar Gesunde oft überfordert.

Soziale Wiedereingliederung. Die beruf-liche Wiedereingliederung ist ein wesent-licher Aspekt in der Schlaganfall-Nach-sorge. Häufig als zunächst arbeitsunfähig aus der Rehaklinik entlassen, erweist sich der Weg zurück in das Berufsleben als große Herausforderung für den Patienten. Obwohl das Gesundheitssystem viele Un-terstützungsmöglichkeiten bietet, ist dies den Patienten nicht bekannt. Auch hier stehe ich ihnen beratend zur Seite.

Ein erheblicher Bedarf an Hilfe entsteht zudem im Zusammenhang mit Behörden oder bei der Frage nach psychotherapeu-tischer Unterstützung: Arzttermine sind schwer zu bekommen und es gibt sehr wenige niedergelassene Neuropsycholo-gen mit kassenärztlicher Zulassung. So geht es auch darum, möglichst schnell den richtigen Ansprechpartner zu finden. Aber ich bin auch Ansprechpartner für

die Angehörigen, die sich oftmals mit der Situation überfordert fühlen.Hilfsmittel. Was passiert, wenn der Patient Hilfsmittel nach Hause bekommt, sie aber gar nicht dort anwenden kann, weil zum Beispiel die Türrahmen mit der Breite des Rollstuhls nicht kompatibel sind? Hier gilt es, schon während der Reha Kontakt mit der Wohnraumberatung aufnehmen. Sie kann schon im Vorfeld die Grundlage schaffen, um im gewohnten Umfeld wie-der mobil sein zu können. Manche Pati-enten würden von bestimmten Hilfsmit-teln profitieren, wissen aber gar nicht, dass es sie gibt. Hier kann der gezielte Kontakt zu Sanitätshäusern Hilfe verschaffen.

Dies sind nur einige Versorgungs-lücken, die im Rahmen der Pilotphase evaluiert werden konnten. Diese Evalua-tion findet parallel zu meiner Lotsentä-tigkeit statt mit dem Ziel, die Versorgung von Schlaganfallpatienten insgesamt zu optimieren. Laut aktuellen Umfragen wird das Projekt von Betroffenen und ihren Familien gut angenommen. Allerdings befindet es sich noch in der Aufbauphase.

Buchtipp

Fiedler, Christine, Köhr-mann, Martin, Kollmar, Rainer (Hrsg.)

Pflegewissen Stroke Unit. Für die Fortbil-dung und die Praxis.

Springer Verlag 2013.ISBN 978-3-642-29995-734,99 €

Von der Erstversorgung eines Schlaganfallpatienten bis zu dessen Entlassung – hier finden Sie das notwendige Spezialwissen für die Pflege auf der Stroke Unit. Profitieren Sie vom Erfahrungsschatz des interdisziplinären Autorenteams.

Das Projekt „Schlaganfall-Lotse“

Zu den Zielen des Projektes gehören:

▶ Senkung der Reinfarkt-Rate durch verbesserte Risikofaktoreneinstellung undSchulungen.

▶ Verbesserung der Lebensqualität und der Zufriedenheit der Patienten.

▶ Erhöhung des Anteils der Patienten, die nach dem Schlaganfall in ihre gewohnte Lebensumgebung zurückkehren bzw. dort bleiben können.

▶ Eine verbesserte und individuell vernetzte Versorgung – unter Nutzung allerMöglichkeiten, die das Gesundheitssystem bereit hält für Schlaganfall-Patienten.

▶ Erhöhung der Compliance der Betroffenen durch Information und den beständigen Kontakt zur Lotsin.

▶ Vermittlung in die Selbsthilfe zur psychischen Stabilität.

▶ Stärkung der Patienten in ihrer Selbstverantwortung mit dem Ziel „Hilfe zur Selbsthilfe“.

▶ Aufdecken von Versorgungslücken zur Versorgungsverbesserung.

Anke Siebdrat Schlaganfall-LotsinSankt Elisabeth HospitalStadtring Kattenstroth 130 33332 Gü[email protected]