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Jan  Assmann s  Bild des Vaters im lten  Ägypten Vorbemerkung De r  altägyptische Vater ist eine paradoxe Erscheinung. Auf der einen Seite  eine Figur von bescheidenen fast möchte man sagen »bürgerli- chen«  Dimensionen die in ihrer Unscheinbarkeit ebenso auffallend v o n  den antiken Nachbarkulturen absticht wie sie vom Standpunkt unserer  eigenen Kultur aus vertraut geradezu selbstverständlich wirkt  - und auf der anderen Seite eine Schlüsselgestalt die das ge- samte  geistige Gesicht der ägyptischen Kultur so entscheidend geprägt hat daß Begriffe wie »Vaterreligion« ja »Vaterkultur« hier durch- aus  nicht ins Leere treffen. Wenn man versuchen will diese Wider- sprüche  aufzulösen muß man differenzieren. Die drei Aspekte in de- ne n  sich das Vaterbild wohl jeder Kultur darstellt: Erzeuger Ernäh- r er  und Erzieher müssen in ihrer für Ägypten charakteristischen Ge- wichtung  jeder für sich und in ihrer wechselseitigen Bedingtheit unter- sucht  werden; vor allem aber müssen diese universalen Aspekte des »lebenden  Vaters« ergänzt werden um den spezifisch ägyptischen As- pekt  des »toten Vaters« in dem das Eigenste dieser uns räumlich zeitlich  und geistig gleich fernen Kultur in den Blick kommt. So las- sen  sich in dem einen Thema des Vaterbildes das dem Ägyptologen hier  gestellt ist das scheinbar Vertrauteste und das Unvertrauteste verbinden  und zueinander in Beziehung setzen. Das eröffnet Chancen des  Verstehens die er dankbar ergreift dankbar sowohl dem Initiator dieses  Unternehmens als auch den Teilnehmern der von diesem gelei- teten  Heidelberger »Vater-Seminare« in deren Gesprächsrunde die nachfolgenden  Betrachtungen entstanden und in vielfältigster Weise verwurzelt  sind. Erster  Teil: er  lebende Vater »Herr  ist der Vater Diener der Sohn«l Originalveröffentlichun g in: G.Bornkamm, H.G.Gadamer et al.(Hg.), Das Vaterbild in Mythos und Geschichte, Stuttgart 1976, S. 12-49

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Jan Assmann

Das Bild des Vaters im Alten Ä g y p t e n

Vorbemerkung

Der altägyptische Vater is t eine paradoxe Erscheinung. Auf der einen

Seite eine Figur von bescheidenen, fas t möchte man sagen »bürgerl i-chen« Dimens ionen, d ie in ihrer Unscheinbarkei t ebenso auffa l lendvon den an t iken N ach bark u l tu ren abst ich t, w ie sie vom S ta nd pu nk tunserer eigenen K ul tur aus ve r t ra ut , g eradezu se lbstverständl ichwirkt - u nd auf d er an de ren Seite eine Schlü sselgestalt , die das ge-samte geis t ige Gesicht der ägyptischen Kultur so entscheidend geprägthat, da ß Be gr i f fe wie »Vater re l ig ion«, ja »Va terku l tur« h ier durch-aus nicht ins Leere treffen. Wenn man versuchen wil l , diese Wider-

sprüche aufzulösen, muß man di f ferenzieren . Die dre i Aspekte , in de-nen s ich das Vaterbi ld wohl jeder Kul tur dars te l l t : Erzeuger , Ernäh-rer und Erzieher , müssen in ihrer für Ägypten charakter is t i schen Ge-wichtung jeder für s ich und in ihrer wechselsei t igen Bedingtheit unter-sucht werden; vor a l lem aber müssen d iese universa len Aspekte des»lebenden Vaters« ergänzt werden um den spezif isch ägyptischen As-pekt des »toten Vaters«, in dem das Eigenste dieser uns räumlich,zeitlich und geis t ig gleich fernen Kultur in den Blick kommt. So las-

sen s ich in dem einen Thema des Vaterbildes , das dem Ägyptologenhier ges te l l t i s t , das scheinbar Ver t rautes te und das Unver t rautes teverbinden und zue inander in Bez iehung se tzen . Das e rö f fne t Chancendes Vers tehens , d ie er dankbar ergre i f t , dankbar sowohl dem Ini t ia tordieses Unternehmens a ls auch den Tei lnehmern der von d iesem gele i -teten Heidelberger »Vater -Seminare« , in deren Gesprächsrunde d ienachfolgenden Betrachtungen ents tanden und in v ie l fä l t igs ter Weiseverwurzelt s ind .

Erster Teil:

Der lebende Vater

»Herr ist der Vater, Diener d er Sohn«l

1. Der Vater a ls Erzeuger : Geschlecht und Abs tammung

Im Alten Ägypten spie l t d ie Abs tammung, sehr im Gegensatz zu densemitischen Nachbarku l tu ren , e ine verhä l tn i smäßig ger inge Rol le . Fa-

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Originalveröffentlichung in: G.Bornkamm, H.G.Gadamer et al.(Hg.), Das Vaterbild 

in Mythos und Geschichte, Stuttgart 1976, S. 12-49

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milien-, Geschlechts- oder Stammesnamen gibt es nicht . Fil ia t ionsan-

gaben dienen nur in Ausnahmefäl len dem sozia len Pres t ige: dann,

wird der vornehmere El tern te i l angegeben, was of t d ie Mut ter se inkann; in der Regel dienen s ie der Unterscheidung gegenüber Gleich-

namigen, und geben je nach der jeweils herrschenden Sit te Vaterna-men, Mutte rnamen oder be ides an . 2 Herkunf tss to lz bezieht s ich a lso ,wenn überhaupt , auf beide El tern , und n icht e ine besondere Wer t -besetzung von genealogischen Bindungen wie »Blut« oder »Samen«,sondern die auf einer ganz anderen Ebene l iegende Sit te der Amts-vererbung bringt es mit s ich, wenn in Einzelfäl len auf die Abstam-mung Wert gelegt wird , wenn s ich ident i f iz ierende Fi l ia t ionsanga-ben zu g lo r i f i z ie renden S tammbäumen e rwei te rn , und wenn e iner

stolz bekennt: »Ich bin ein Priester, Sohn eines Priesters« oder »Ichbin ein Großer , Sohn e ines Großen«. Die Bindungen der Kul tur ,Amt, Erbe , Trad i t ion , Unte rweisung , domin ie ren d ie de r Na tu r . Da-her i s t auch d ie Adopt ion in Ägypten zu a l len Zei ten häuf ig .3

Die Vererbung des Amtes in der e igenen Famlie gal t zwar in Ägyp-ten zu al len Zeiten als ein ers trebenswertes Ziel , bedurf te aber immerder Zust immung des Königs , von dem die e igent l iche Berufung aus-ging.

4 Nur be i den P r ies te rn war d ie Herkunf t , d ie Abs tammung voneinem Pries ter , im Laufe der Zei t zu e iner notwendigen Vorbedingungund Qual i f ikat ion für e ine Pr ies ters te l le geworden. Hier scheinen re-ligiöse Reinheitsvorstel lungen eine Rolle zu spielen.5

Der Name wi rd nun in Ägypten n ich t , w ie e twa in Mesopo tamien ,mit dem väter l ichen Pr inzip , dem Samen, in Verbindung gebracht ,sondern vie lmehr mi t der Mut ter , d ie ihn genau wie das Kind zurWelt br ingt . Entweder g ib t d ie Mut ter dem Kind bei der Gebur t se i -nen Namen, oder de r Va te r fo rmul ie r t den Namen aus den Wor ten ,die die Mut ter bei der Gebur t spr icht .6 Der Name aber g i l t a ls dasinnerste Selbst des Menschen, ebenso wie das Herz. Daher ist es indiesem Zusammenhang höchs t aufschlußreich , daß der Ägypter auchdas Herz des Kindes von der Mut ter able i te t . Der wicht igs te Belegfür diese Vorstel lung is t das sehr häufige 30. Kapitel des Toten-buchs,

7 das s ich mit der Rolle des Herzens beim Totengericht beschäf-tigt und mi t den Wor ten beg inn t :

»O Herz von meiner Mutter her,o Bewußtsein von meinem Dasein auf Erden her,steh nicht auf gegen mich als Zeuge!«

Dieser Text ve rwende t zwei Wor te fü r Herz , von denen wi r e inesmit »Bewußtsein« übersetzt haben. Der eine Aspekt des Herzens lei-tet sich, wie der N am e, von der Mu t ter her , der and ere kon s t i tu ier tsich als indiv iduel les Bew ußtse in w äh ren d des Erdendaseins . 8

Wir sehen also, daß im Alten Ägypten das biologische Erzeugertumdes Vater s n ich t mi t besonderen Wer tvors te l lungen verbunden war .

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Das Pr inz ip der pa t r i l inearen Fi l ia t ion f ühr te n ich t zu Hypos ta s i e -rungen ( im Sinne vo n konz eptue l l f ix ie r ten un d wer tbese tz tenGrößen) wie »Same«, »Stamm«, »Geschlecht« und entsprechend fehl thier auch e ine Überhöhung der Vater f igur im Sinne des Stammvatersund Ahnherrn , wie wir s ie aus dem Al ten Testament kennen . In denFragen der b io log ischen Herkunf t dominier ten d ie Vors te l lungen vomMutterleib d ie vom Va te r samen ,9 i n de r Abkunf t vom Va te r s t ehendie kul ture l len und ge is t igen Aspekte , Amt und Unterweisung , imVordergrund. Mit der b loßen Abstammung is t es n ich t ge tan : derSohn hat sich als solcher zu erweisen. Der Same (als solcher) ist nuneinmal aufsässig , sagt der Weise Ptahhotep: 1 0

»Wenn du ein reifer Mann geworden bist,dann schaffe dir einen Sohn, um Gott gn ädig zu stimmen.Wenn er gerade ist und sich zu deiner Art wendet,sich um dein Gut in gehöriger Weise kümmert,dann erweise ihm alles Gute:er ist dein Sohn, er gehört zu den Zeugungen deines Ka,du darfst dein Herz nicht von ihm trennen.

Aber der Same ist aufsässig.Wenn er in die Irre geht, deine Pläne übertritt,wenn

er sich allem Gesagten widersetzt,und sein Mund geht mit üblen Reden:verstoße ihn, er ist nicht dein Sohn,er ist dir nicht geboren.So wie sein Mund ist sein ganzes Wesen.Wer gegen dich stößt, ist einer, den sie verworfen haben,dessen Verderben schon im Mutterleib verhängt wurde.Wen sie leiten, der kann nicht irre gehn,wen sie schifflos lassen, der findet keine Überfahrt.«

Ich möchte hier nur e inen Punkt dieses bedeutenden Textes unter-streichen: die Vo rs te l lung von der Auf kü nd ba rke i t der V atersch af t .Dieser Gedanke ist nicht auf das l i terarische Genos der Weisheitsli te-ratur und d ie soz iokul ture l le Si tua t ion der Unterweisung beschränkt .Wir f in de n sie z . B. auch in einer K önigsins chrif t Ses ostr is ' I I I . (um1850 v. Chr . ) in a l le r Schär fe formul ie r t : 1 1

»Wer nun aber von meinen Söhnendiese Grenze verteidigen wird, die ich gemacht habe,der ist mein Sohn, der wurde mir geboren.Das Ebenbild eines/des Sohnes, der für seinen Vater eintritt,ist derjenige, der die Grenze seines Erzeugers verteidigt.Wer sie aber preisgeben wird, wer nicht für sie kämpft,der ist nicht mein Sohn, der ist mir nicht geboren.«

Zwischen so lche r Aufkündbarke i t de r Va te r scha f t und de r ve rhä l tn i s -mäßig untergeordneten Bedeutung , d ie d ie Ägypter dem natür l ich-biologischen Aspekt der Vaterschaf t im Ganzen ih res Vaterbegr i f f sbeigemessen haben , bes teh t wohl e in Zusammenhang. Die ägypt ischen

Begriffe von Vater und Sohn umfassen of fenbar mehr a ls d ieses na-türliche Band, das unaufkündbar , aber eben nicht a l les , ja nicht e in-

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mal das Entsch eidende ist . Au s dieser um fasse nde n B ede utun g des

Vaterbegriffs ergibt sich nicht nur die Aufk ündbarke i t sondern auchderen Gegente i l , d ie »Eingehbarkei t« d er Vatersch af t . M i t der Z eu-gung ist sie noch nicht gegeben. Der Vater hat den Sohn als solchen

anzuerkennen. Das geschieht , indem er sich in ihm wiedererkennt . Dasaber ist nicht eine Sache der natürlichen, physiognomischen Ähnlich-keit des »Blutes«, sondern einer geistigen Ebenbildlichkeit , die sichim Handeln und Verhal ten manifes t ier t . Nur der i s t Sohn, der inseinem Handeln den Wil len des Vaters »abbi ldet« und s ich dadurchals »lebendes Abbi ld« , twt cn h , tixiov ifiipü/og des Vaters erweist .Mit diesem Begriff der Königstheologie, der sich auf einen jenseitigen,»toten« Vater bezieht , greife ich zwar dem 2. Tei l berei ts etwas vor;aber hier , in den physiologischen Anschauungen von Vaterschaf t , hater se ine Wurze ln . Wer d iese Zusammenhänge verkenn t , l äu f t Gefahr ,die Gottessohnschaft des Königs »adoptianisch« oder »mythisch« zuvereinseitigen. Schon der »normale« Begriff von Vaterschaf t hat , wasman eine »adopt ianische Komponente« nennen könnte , d ie e ingegan-gen sein wil l und die aufkündbar ist . Dadurch lassen sich al le derar-tigen Beziehungen im Sinne der Vater -Sohn-Konste l la t ion vers tehen

und bezeichnen, wo einer dem anderen »nachfolgt«, ihn »abbildet«,der i hm un te rwei send , füh ren d , vo rb i ldh af t vorausgeh t . So ka nnsich auch jeder Grenzsoldat , der lesen kann und die Worte Seso-stris' I I I . auf jenen Inschr i f ten entz i f fer t , a l s Sohn angesprochen füh-len.12 Und wo immer in den zahl losen Dia logen zwischen Got t undKönig, die uns die ägyptischen Königsinschrif ten hinter lassen haben,die Worte »Du bist mein Sohn«, »Ich bin dein Vater« erkl ingen, dahaben sie diesen »rekognoszierenden« Sinn des bestät igenden Zu-

spruchs einer Beziehung, die sich nicht auf das Natürliche beschränkt,sondern sich immer wieder bewähren und als solche erweisenmuß.

Möglicherweise hängt es mit diesen verhäl tnismäßig schwach ent-wickelten genealogischen Begr i f f sb i ldungen und Wer tvors te l lungenzusammen, daß die ägyptische Sprache so arm ist an Verwandtschaf ts-bezeichnungen. Den Kern b i lden nur v ier Lexeme: jtj »Vate r« , mwt

»Mutter«, z3 «Sohn« und sn »Bruder« ; dazu kommen noch h3jj

»Gatte« u n d hmt »Frau« ( im al lgemeinen Sinne und im speziel lenvon Ehefrau , wie im Deutschen) . »Tochter« und »Schwester« werdendurch Anfügung der Femin inendung von den Lexemen »Sohn« und»Bruder« abgele i te t , sekundäre Verwandtschaf tsverhäl tn isse durchGenetivverbindungen ausgedrückt wie »Vater seines Vaters«, »Mut-ter seines Vaters«, »Vater seiner Mutter«, »Bruder seiner Mutter«,»Tochter seiner Schwester«, »Sohn seiner Tochter« usw. 1 3 I m m e r h i nzwingt dieses System, wie man sieht , zu größerer Genauigkei t als dasunsrige, die wi r uns be i Große l t e rn , Enke ln , Onke ln , Tan ten , Nef fen ,Nichten usw. nicht fest legen müssen, ob die Verwandtschaf t über die

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väterliche oder d ie müt te r l iche Lin ie läuf t . Dafür waren d ie Ägypteraber in anderer Weise ungenau, indem sie ihre Verwandtschaf tsbe-zeichnungen, je nach Anlaß und Kontext , sowohl im speziel len, a ls

auch im erwei te r ten Sinne verwendeten . »Vater« kann »Großvater ,Vorfahr« bedeuten, »Mutter« entsprechend, »Bruder« kann fürSchwager, Vet ter oder Neffe , »Schwester« für Tante oder Cousine ,»Sohn« für Nef fe , Schwiegersohn , Nachfahre , »Tochter« für Nich te ,Enkelin, Nachfahrin stehen. Liebende und Eheleute nennen sich »Bru-der« und »Schwester« , was zu merkwürdigen Vors te l lungen überägyptische Geschwisterheirat geführt hat und nichts weiter is t a ls derübertragene Gebrauch von Verwandtschaf tsbeze ichnungen .1 4

2. Der Vater a l s Ernährer : Versorgung und Schutz

Auf der ökonomischen Ebene stell t sich die Familie als eine Versor-gungsgemeinschaft dar , d ie vom Vermögen und den Zutei lungen desErnährers lebt , der das Haupt dieser Versorgungsgemeinschaf t b i ldet .Hier betreten wir nun, im Gegensatz zum Vorhergehenden, e in Ge-biet, das die ägyptische Kultur aufs re ichste ausgestal te t hat mit dem,was wir als Begrif fsbi ldungen und Wertvorstel lungen bezeichnet ha-ben. Trotzdem aber fehlen, in genauer Entsprechung zur genealogi-schen Ebene , in Ägypten so große Ernährer , Häupter so großer Ver-sorgungsgemeinschaften, wie e twa Pr i amus und Jakob . Hie r habenwir es mi t Großfamil ien zu tun , wo d ie verhe i ra te ten Söhne mi t ih -ren Kin dern im Va te rhaus wohnen , wä hrend in Äg yp ten d ie J i l e in -familie das Übliche ist , die sich immer wieder aufspaltet , wenn einKind hei ra te t und das El te rnhaus ver läß t .Die ägyptische Ehe war also, genau wie die europäische, in der Regelneolokal.15 Sich verheiraten heißt ägyptisch »ein Haus gründen«. Da-zu bedurfte es eines gewissen Vermögens, und die Ehe war ein Zeichenvon Wohlstand. So konnte ein junger Ägypter erst daran denken, s ichzu verheiraten und »ein Haus zu gründen«, wenn er e ine Stel lung in-nehatte und über en tsprechende Einkünf te ver füg te , auch wenn e inespäte Weishei t s lehre empf ieh l t :

»Nimm di r e ine Frau , wenn du 20 Jahre a l t b i s t ,

damit du e inen Sohn has t , während du noch jung b i s t .«1

"In der Lehre des Ani l iest man:

»Sage nich t : ' e s g ib t j a e in Haus be i unserem Vate r und unsere r Mut te rzuhause'. Die Schwalben f l iegen for t und lassen s ich (woanders) nieder .« 1 7

In der Praxis war das nicht e ine Frage des Alters , sondern des Ver-mögens.

18 Auch da rin entsprechen sich die altäg yptisc hen un d dieeuropäischen Verhäl tn isse , und es w äre zu f rag en , ob der Zus am m en-

hang, den man für Europa postu l ie r t ha t zwischen dem Pr inz ip derneolokalen Ehe und dem wir tschaf t l ichen Aufst ieg, den die europä-

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ischen L änder in den le tz ten Jahrhunder ten e r leb t haben , n ich t inähnlicher Weise auch für das Al te Ägypten in Anspruch genommenwerden könnte , das im Altertum so auffal lend in dieser Hinsicht ge-gen seine Nachbarn abstach.19

Während also die ägypt ische Famil ie , was das Zusammenleben derGenerationen angeht , in der Regel nicht über die Einhei t der Klein-familie hinausgeht , bemißt s ich die Größe eines Haushal ts , a lso dieMenge derer, d ie von einem Vermögen leben und eine Versorgungs-gemeinschaft bi lden , nach der Größe des vorhandenen Vermögens . DerHaushalt eines Heqanachte , der a ls Totenpriester e ines Vezirs um dasJahr 2000 in zwar wohlhabenden , aber ke inesfa l l s feuda len Verhä l t -nissen lebte , umfaßte e twa 30 Personen, die te i ls Famil ienmitgl ieder,teils Partner oder Pächter , t e i l s Diens t leu te waren . 2 0 Generel l g i l t ,daß die vä te r l iche Versorgung im Austausch gewährt wi rd für Diens t -leistungen; nur die Töchter und die jüngeren Söhne brauchen in demmeist l andwir t schaf t l i chen Bet r ieb n ich t mi tzuarbe i ten , während d ieälteren Söhne wie abhängige Pächter e ingesetzt und ( jedenfal ls in denBriefen des Heqanachte) behandel t werden . Andererse i t s werden auchdie Diener und Lohnabhängigen zur Fami l ie im Sinne der »Versor-gungsgemeinschaft«, ägypt isch »Haus«, gerechnet2 1 (das Ägypt ischehat dann noch ein Wort für »Famil ie« im engeren Sinne der biolo-gischen Verwand t scha f t sve rhä l tn i s se2 2 ) , wie übe rhaup t de r Aufbaueiner großen Versorgungsgemeinschaft n icht a ls Besi tzst reben undUnternehmertum, sondern als Wohltä t igkei t betrachtet wird und sichwenigstens der Idee nach auch auf solche erstreckt, die darauf ange-wiesen s ind ohne Gegenle i s tungen erbr ingen zu können: Arme, Wi t -wen und Waisen, Al te und Schwache.23 Versorgen heißt sowohl er-

nähren wie beschützen. Als Versorger verkörpert der ägypt ische Va-ter im engeren Famil ienkreise Eigenschaften wie Zärt l ichkei t , Milde,Güte, im wei te ren Kre ise se ines wohl tä t igen Wirkens Barmherz igke i t ,Großzügigkeit, G ast f re un dsc haf t un d Gerecht igke it . G erechtigke it ,weil er d ie a l s Unrecht empfundenen Untersch iede der Bes i tzverhä l t -nisse ausgleichen helfen soll , dem Schwachen beistehen gegen denStarken, dem Armen helfen gegenüber dem Reichen. In der Praxisentwickelt sich daraus im Laufe der Zei t e in System der Patronage,

wo sich Leute geradezu in die Versorgungsgemeinschaft eines Mächti-gen e inkaufen (durch Arrogat ion , dem Gegenstück zur Adopt ion) , inder Ideologie entsteht das Bi ld e ines Über-Vaters , das erst auf denKönig und spä ter auf d ie Got the i t über t ragen wird . Wir werden d iehistorische Situat ion der Entstehung dieses Vaterbi ldes und die Be-dingungen se iner Ü ber t rag un g auf d ie G ot the i t noch ku rz beh an-deln.

Insofern sich die väterl iche Autori tä t nun aus dieser Versorgerrol le

herleitete, war sie in dreifacher Weise e ingeschränkt :a) Aus der ökonomischen Fundierung des ägypt i schen Haushal t s und

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seiner Auto r i tätsst rukturen ergibt s ich nicht nur die Ste l lung des Va-ters, sondern auch die für Ägypten charakteris t ische und es gegen-über al len ant iken Kulturen scharf unterscheidende Ste l lung der Frau,die durchaus gleichberechtigt ist . Die Frau hat nicht nur ihr eigenesVermögen un d ka nn es in Form e ines Dar leh ens in d ie G rü nd un g desHausstands einbringen, ihr gehört auch e in Dri t te l von dem, was dieEheleute im Laufe de r Ze i t an Güte rn dazue rwerben . 2 4 Sie ist gleich-berechtigte Tei lhabe r in am gemeinsamen H au ss ta nd un d t r äg t a l ssolche den Ti te l »Herrin des Hauses«. So te i len s ich auch Vater undMutter in die Versorgerrol le , jedenfal ls was den engeren häusl ichenKreis angeht , und wenn man im über t ragenen S inne d ie Got the i t inihrem Versorger-Aspekt pre isen wil l , nennt man sie nicht »Vater«,sondern »Va te r -und-Mut t e r« de r Menschhe i t .25

b) Man muß es wohl ebenfal ls a ls e ine gewisse Einschränkung der vä-terlichen A uto r i tä t ansehen, we nn die vä te r liche Verso rgung m ehrund mehr zu e inem geschulde ten Entge l t für Diens t le i s tungen wird .So schreibt auch Heqanachte se inen ä l teren Söhnen nicht e twa nur:»Eßt ihr nicht mein Brot?«,2 6 sondern auch »Seid ihr nicht mit mirals P a r t n e r ? « 2 7 D er auf Ve rsorgung gegründe te Au tor i t ä t sabs t andzwischen Vätern und Söhnen tendie r t dazu, s ich zu verr ingern , b i sschließlich der zum Amtsnachfolger herangewachsene Erbsohn a l s sog.»Stab des Alters« se inerse i ts die Versorgung des Vaters übernimmt.c) Da die Ägypte r nun e inmal Herrschaf t s - und Diens tverhä l tn i ssein den konkre ten ökonomischen Formen von Versorgungsbez iehungendenken, und da s ie andererse i ts keine Grenze z iehen zwischen Privat-recht und öffent l ichem Recht , Fami l ie und S taa t , sondern v ie lmehrauch den Staat insgesamt a ls e ine gewal t ige Versorgungsgemeinschaftmit dem König a l s »Landes-Vate r« an der Spi tze auffassen ,2 8 ergib tsich als Bi ld der Gesel lschaft e ine Hierarchie von Versorgungsgemein-schaften, in die auch der Vater e ingebunden is t .Dieser dr i t te Punkt i s t für unsere Be t rachtung des ägypt i schen Va-ters besonders wicht ig; denn hier is t se ine Ste l lung und Einschätzungnaturgemäß am s tä rks ten vom Wande l de r h i s tor i schen Bedingungenabhängig. Die Idee der Gesel lschaft a ls e iner s t raff zentra l is iertenHierarchie von Versorgungsgemeinschaf ten mi t dem König a l s dem

alleinigen Ursprung a l le r Versorgung ( im Sinne von Brot und Ge-rechtigkeit29) an der Spitze, läßt solange sie sich in der Wirklichkeit

einigermaßen in takt abbi lde t , den indiv idue l len Vate r a l s Ernähre rgroßen Sti ls nicht recht aufkommen. Umso bezeichnender is t es aber,daß das Bi ld des großen Patrons a ls e ines Über-Vaters se ine Geneseden Zerfa l l s -Per ioden der königl ichen Zent ra lgewal t ve rdankt , e rs t ,nach dem Ende des Alten Reichs, auf der soziologischen Ebene, 30

dann, sehr vie l später , nach der Krise von Amarna, auf der re l igiösen

Ebene, als m an bei G ot th ei te n in der R ol le des Patr on s Schutzsucht.31

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Man muß diese F igur a l so auf dem dunklen Hintergrund a l lgemeiner

Unordnung, Hungersnot , Recht losigkei t , Existenzangst sehen, wie sie '

in den Zei ten in takter königl icher Zent ra lgewal t per def in i t ionemausgeschlossen und wahrscheinl ich auch de facto nicht in diesem Um-

fang vorhanden waren. Ein Vater , wie er uns in den Heqanachte-Briefen entgegent r i t t , kann se iner mi t ihren le icht gekürz ten Nah-rungsrationen unzufr iedenen Famil ie immerhin schre iben:

»Seht, das ganze Land geht zugrunde , aber ihr braucht n icht zu hungern .Seht, a l s i ch h ierherkam, ha t te i ch eure Rat ionen ans tändig fes tgese tz t . I s tnun die Überschwemmung e twa sehr hoch? Unsere Rat ionen bemessen s ichaber fü r uns nach dem S tand de r Über schwemmung . Seh t : de r ganze Haus -halt i s t wie meine Kinder , a l les gehört mir - denn es heißt : »ein halbes

Leben ist besser als ein ganzer Tod«. Seht, >Hunger< sagt man (nur) zu(wirklichem) Hunger . Hier , schaut , fangen s ie an , Menschen zu essen . Seht ,es gibt n i rgendwo Leute , d ie so lche Rat ionen wie ihr bekommen.« 8 2

»Dies i s t nicht die Zei t für e inen Mann, nachlässig zu sein gegenüber seinemHerrn, se inem Vater oder se inem Bruder .« 3 3

Man kennt aus der Josephsgeschichte, wie in Zei ten intakter Zentral-gewalt der G efa hr so lcher Hun gers nö te vorgebeu gt w urde .3 4 I mGrunde beruht der ägyptische Staat auf dem System einer Speicher-wirtschaft, die das ganze Land ernähr t und zur Versorgungsgemein-schaft zusammenschl ießt . Jetzt aber ist die Versorgung der hungern-den Bevölkerung dem Organ i sa t ions ta l en t de r loka le n M ach thaberanheimgestellt. In ihren autobiographischen Grabinschrif ten beschrei-ben s ie ihr Wirken in den Kategor ien der Väter l ichkei t :

»Ich war e in guter Mann in se iner Stadt ,ich re t t e te ihre Leute aus dem großen Unglück,

als es im ganzen Land en t s t anden war .Nichts Gleiches geschah in diesem Land.Ich schützte den Schwachen vor dem Mächt igenund re t t e te den Furchtsamen, wenn se in Fa l l an d ie Reihe kam.Ich erwies ihnen a l le Wohl ta ten , a l s es Zei t war , es zu tun . ( . . . )Ich berei te te ein Begräbnis dem, der keines hat te ,ich erhie l t a l l e ihre Kinider am Leben,ich begründete a l l e ihre Häuser fes t ,ich erwies ihnen a l le Wohl ta tenwie e in Vater für se inen Sohn,

als das große Unglück in d iesem Gau ents tanden warals e in sehr großes Unglück, das im ganzen Lande her rschte . «85

Diese Inschrif t s tammt zwar erst aus der Perserzei t , a lso 1700 Jahrenach Heqanachte , aber s ie fußt auf der damals ents tandenen Tradi -tion und ze ig t , wie das damals formul ier te Vater - Ideal immer wiederhervortrat, wenn die Umstände seiner Genese sich wiederhol ten.Das Übliche und Typische aber , wir wollen es, diesen Abschnit t zu-sammenfassend, noch einmal wiederholen, is t der auch als Ernährerin übergeordne te Ver sorgungsgemeinschaf t en und Autor i t ä t s s t ruk tu -ren eingebundene Vater , dessen aus seinem Versorger tum abgelei tete

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Autorität nicht zu einer absoluten pat r ia potes tas ins t i tu t ional is ier twird, sondern im Gegentei l darauf angelegt is t , s ich im Laufe derZeit zu verr ingern; dem Sohne so schon im Famil ienkreis die Mögl ich-keit se lbs tändiger Veran twor t l i chkei t , vor a l l em aber der Ehefrauals der »Herr in des Hauses« einen gleichberecht igten Platz an derSeite des Vaters einräumend (vgl . n . 24) .

3. Der Vater a l s Erz ieher : Unterweisung und Sozia l i sa t ion

Auf der dr i t ten, der pädagogischen Ebene, t r i t t uns der ägypt ischeVater nun in seinem ureigensten Bereich und in seiner reichsten Ent-faltung entgegen.36 Die Erziehung des Sohnes (bei den Töchtern mag

es sich anders verhalten) war al lein Sache des Vaters. Bereits in derältesten Lehre, d ie uns aus Ägypten erhal ten is t , heißt es :

»Lehre deinen Sohn sdireiben, ackern, jagen und Fallenstellen entsprechenddem Zyklus des Jahres«

Derselbe Satz taucht in der spätesten Lehre, die in demotischer Spra-che abgefaßt i s t und aus spätptolemäischer Zei t s tammt, fas t wört l ichso wieder auf : e r i s t zum Spr ichwor t geworden und faß t den Inbe-

griff ägypt i scher Vaterpf l i ch ten bündig zusammen.

3 7

Die l i terarischenLebenslehren, die aus dem Alten Ägypten in bet rächt l icher Anzahlauf uns gekommen s ind, s ind al le in die Form dieser väter l ichen Un-terweisung gekleidet .Aus diesen Lehren geht nun klar hervor , daß es bei dieser väter l ichenUnterweisung keineswegs um Ackern und Fal lenstel len, um i rgend-eine Ausb i ldung in spez ie l len Fer t igkei ten un d Ü ber m i t t lung vonSpezialwissen ging. Es ging vielleicht sogar gar nicht so sehr um die

Vermittlung von Wissen , a l s eher von Hal tung und Eins te l lung . DieLehren sagen nichts eigentl ich Neues, sondern stel len das Vertrautein das Licht e iner bes t immten Wert igkei t , s ie befes t igen den Unter-wiesenen in seiner Hal tung zur Wel t , d ie s ie weniger beschreibendlehren, als vielmehr begründen und in einer al lgemeinen, got tgewol l -ten Ordnung der Dinge verankern . Es geh t a l so um Unterweisung aufeiner sehr generel len Ebene; a l le Spezial -Informat ionen s ind in dieverschiedenen Formen der Fachausbi ldung abgeschoben, die in anderer

Weise und oft auch durch andere als den Vater geschah. Gegenüberall diesen verschiedenen Formen der Ausbi ldung, Erziehung und An-leitung i s t d ie väter l iche Unterweisung durch ihre hohe General i tä ts-stufe als eine eigene Form herausgehoben, als ein Sprech-Ereignis suigeneris, bei dem es um nichts geringeres als das Leben selbst ging.Eine Erziehung zum Leben im a l lgemeins ten Sinne , unabhängig undvor aller arbeitstei l igen Spezial isierung. Diese Lehren nennen sich da-her selbs t »Weg des Lebens«, die Unterweisung heißt »auf den Weg

des Lebens setzen«.

3 8

Wir wol len sehen, was s ie im Einzelnen unter»Leben« vers tehen .

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Zunächst frappieren diese Lehren durch eine gewisse mondäne Ver-nünftigkeit, der die W ür de einer a l lgem einen Leben sphi losophiedurchaus abzugehen scheint .

»Wenn du mit einem Großen zu Tisch sitzt, rede nur, wenn du gefragtwirst, lache, wenn er lacht und sei nidit neidisch, wenn dein Nachbar mehr

bekommt.«39

»Wenn du eine Botschaft zu überbringen hast, dann bleibe bei der Wahr-heit, aber üb ertreibe sie auch nicht. M an wie der ho lt keine Herzensergüsse«40

»Wenn du ein Leitender bist, so höre das Wort eines Bittstellers ruhig an.Weise ihn nicht ab, bis er seinen Leib ausgefegt hat von dem, was er dir

zu sagen gedachte. Denn ein Bedrüdtter l iebt seine Herzenserleichterung

mehr, als daß geschieht , weswegen er gekommen ist« 4 1

In den Leh ren geht es - so darf m an viel le icht zusam m enfasse nd un dvereinfachend sagen, denn für e ine detai l l ier te Behandlung der ägyp-tischen Weisheit ist hier nicht der Ort - um gesellschaftl iches Wohl-verhalten im al leral lgemeinsten Sinne. Der Sohn wird zu einem ge-sellschaftsfähigen Wesen erzogen, lernt das richtige Benehmen beiTisch, im Gespräch und in a l lgemeinen berufl ichen Si tuat ionen, ge-genüber Vorgesetzten, Kol legen und Untergebenen, die Wicht igkei t

eine Famil ie zu gründen und sich ein Grab anzulegen, die Gefahrendes Umgangs mi t zwei fe lhaf ten Freunden und Frauen , d ie Kunst desrechten Redens und vor a l lem Schweigens. Ziel i s t d ie Einführungun d Einbindung des Einze lnen in d ie Gemeinschaf t , nach dem Grund-satz »Gut ist, was den Beifall der Menschen findet«.42 Das ist nichtetwa primit ive Liebedienerei , sondern ein sensus communis, in denes den Eigen-Sinn des Kindes umzuformen gi l t . Dieser common sense,das über sich selbst hinausdenken, von sich selbst absehen können in

allen Lebenslagen, ist die Grundlage eines Lebens nicht nur im Ein-klang mit der Gesel lschaft und zum Beifal l der Menschen, sondernzugleich auch im Einklang mi t den gö t t l i chen Geboten , zum Wohl-gefallen der G ot the i t . Die auf d ie gö tt li che O rd nu ng gegründetemenschliche Gesellschaft steht als ein ungeteil tes Ganzes im Blick; dieBösen gehören einfach nicht dazu. So kann der Einklang mit der Ge-sellschaft und der beruf l iche Erfo lg a l s unmi t te lbare Mani fes ta t iondes göt t l ichen Segens gel ten. Der Einklang des Individuums mit der

Gesellschaft i s t Eink lang mi t Got t , so daß dieser »Weg des Lebens«im Jense i t s se ine For t se tzung f inde t und zu dem führ t , was d ie Ägyp-ter sich unter ewiger Seligkeit vorgestell t haben.Das harmonische Zusammenleben der Menschen untere inander , dasdieser Ethik als das Höchste gi l t , überl ießen die Ägypter nicht demglücklichen Zufa l l der Verhä l tn i sse und der ind iv idue l len Veran la-gung, sondern machten daraus e ine lehrbare , t rad ie rbare Kunst . Tra-diert und eingeübt wurde sie in der Form einer Kasuist ik , d ie amkonkreten Einzelfall das Richtige veranschaulicht , und nicht in derForm eines abstrakten Sit tengesetzes, das in al lgemeinen Regeln das

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Rechte vorschre ib t . In der Form d ieser Unterweisung t r i t t der ä g y p -tische Vater seinem Sohn nicht mit einem kategorischen »du sollst« —oder vielmehr: »du sollst nicht« - gegenüber, er macht ihm keineVorschriften, sondern er g ih t . ihm Ratsch läge , d ie ra t ional begründet

werden. Ihre Befo lgung erwi rb t ke ine f rommen Verd iens te , sondernbringt diessei t ige Vortei le , entspricht dem »wohlvers tandenen Eigen-interesse« des Belehr ten . Das Idea lb i ld d ieser Erz iehung faß t derÄgypter selbst unter dem Begriff des »rechten Schweigers« zusam-men.43 Der Schweiger ist der zurückhaltende Weise, der aus Einsichtin die al lgemeinen Ordnungen das Gesetz des eigenen Herzens , d iespontanen Regungen vo n W i llen un d Leidenschaf t , dem a l lgemei -nen Maß des Zusammenlebens , der »Maat« 4 4 u n t e r z u o r d n e n u n d z u

vermitteln gelernt ha t . Bescheidenheit un d Selbstbeherrschung s indhöchste Tug enden , H ab gie r u nd vers tock t -e i fe rnder E igens inn d ieschlimmsten Laster . Das Ideal des »rechten Schweigers« hat e twasmit Triebverzicht zu tun, es stecken einige »du sollst nicht«s dahin-ter.45 Um ein solches im höchsten Grade gesellschaftsfähiges Wesen zuwerden, wie es d ie vä ter l i che Unterweisung ans t reb t , werden vomSohn Opfer ver langt . Er muß se inen Eigen-Sinn dem Gemein-Sinnunterordnen. Jedenfal ls wird ihm so geraten, n icht wei l e in Got t es

von ihm fordert , sondern wei l Got t d ie Wel t so eingerichtet hat , daßdieses Verhal ten a l l e in l e tz t l i ch zum Zie l führ t und dem »wohlver-standenen Eigen-Interesse« des Einzelnen entspricht .Die A u t o r i t ä t ,4 6 aus der heraus ein Vater seinem Sohn diesen Ratgeben kann, beruht auf einer Einsicht in die Einrichtung der Wel t , indie got tgewol l t en Gese tzmäßigkei ten von Bewährung und Segen , d ieüberindividuell i s t , e in Erfahrungswissen von Generat ionen, das s ichauf e ine j ah rhun der t ea l t e T r ad i t i on b e ru f t . A ufg run d die se r Ü ber -

Individualität is t das eine Autori tät , die absolut is t , s ich nicht aufein Gespräch e in läß t , sondern bed ingungs loses Zuhören forder t . Aberes i s t d ie Autor i t ä t der Trad i t ion , d ie der Vater nur verkörper t imAugenblick der Unterweisung, nicht die persönl iche Autori tä t desVaters. Es is t d ie Autori tä t der Einsicht , des Arguments , der Erfah-rung, die s ich der Sohn, der zuhören kann, zu eigen machen kann.Und auf der anderen Sei te i s t es auch wieder kein Zufal l , sondern inunserem Zusammenhang höchs t bedeutsam, daß d ie ägypt i sd ie Kul tur

und Gesel l schaf t n ich t durch den Mund von Göt tern , Pr ies te rn , Köni -gen, Gesetzgebern , sondern durch den ver t rau ten Mund der Väter zuihren Söhnen spricht , zu den »jungen Barbaren«, die immer wiederin sie hineingeboren und auf diese Weise in sie eingegliedert werdenmüssen.Wenn wir a l so dem ägypt i schen Vater d ie Funkt ion des Normen-Sen-ders zuzuerkennen haben, müssen wir ihn zugleich doch als »Verweis-Figur«, vers tehen. Hinter ihm s teht die Gesel lschaft a ls Ganzes , ihre

jahrhundertealten Erfahrungen und Eins ich ten in d ie go t tgewol l t e

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Ordnung der Dinge und die Natur der Menschen. Der Vater weis t

den Sohn in diese Ordnungen ein, nicht indem er sich ihm gebieterisch

gegenüberstellt, sondern indem er, g le ichsam hinter ihm stehend undin dieselbe Richtung blickend, von der Warte seines Überblicks aus

die Ordnungen am e inze lnen Fa l l veranschaul ich t . Der hörende Sohn,der die Lehre in sich aufnimmt und sie sich zu eigen macht, wird zumVater aufste igen und, in der gewiesenen Richtung, über ihn hinaus-gehen.47 »Jeder Edle - heiß t es in e iner spr ich tw orth afte n Sen tenz -der den Menschen Gutes tun wird und die Art dessen übert r i ff t , derihn erzeugt ha t , der wi rd dauern auf Erden« . 4 8 Dies ist die einzigeForm, in der Innovat ion mögl ich is t in der t radi t ionsgebundenenägyptischen Kul tu r . Nur das Neue , das au f dem Überkommenen au f -baut, und - so können wir ergänzen - nur das Individuel le , Beson-dere, das mit dem Allgemeinen vermit te l t i s t , hat Bestand, indem esseinerseits Tradi t ion wi rd . In d ieser Form i s t Innovat ion aber n ich tnur mögl ich , sondern no twendig . Jeder rühmt s ich , das Vorgefundeneverbessert, das Bestehende vermehrt zu haben, über die Väter hinaus-gegangen zu sein. Es geht ja bei dem, was die Ägypter das »Tun derMaat« gen ann t hab en, nicht um die E rf ül lu ng eines r i tual is ierten G e-

setzes, sondern um e ine lebendige Bewährung , d ie d ie Normen erfü l l t ,indem sie darüber hinausgeht .Soviel zur Autori tä t des erziehenden Vaters , d ie keine absolute Auto-rität i s t , sondern ihm durch die Rol le zuwächst , durch die Kul tur , d iesich in d ieser Unterweisung for tpf lanzen , in neuem Leben verkörpernwill. Auch der Vater handel t in Erfü l lung der Normen, e r fo lg t e inerPflicht zu r Un te rwe i sung .4 9 Diese Pfl icht zur väterl ichen Unterwei-sung (deren die Kul tur bedarf , um am Leben zu bleiben - und sie

blieb immerhin über 3000 Jahre lang am Leben!) , d iese Pfl icht bi ldetselbst e inen Hauptgegenstand der l i t e ra r i schen Lehren . Der Vaterspricht in ihnen ja nicht zu einem unmündigen Kinde, sondern zueinem Menschen, der selbst einmal Vater werden und die durch eigeneErfahrung bereicherte Lehre seinen Söhnen wei tergeben wird. 5 0 D e rSohn soll nicht nur lernen, ein guter Sohn zu sein, sondern auch einguter Vater. Die Kul tur , zu der er erzogen wird, sol l ihm nicht nurErfolg und Anerkennung bringen, s ie sol l s ich auch in ihm verkörpern

und weiterleben, indem er s ie vermehrt und über seinen Vater hinaus-geht. Beide, Vater und Sohn, handeln also in diesem Unterweisungs-gespräch im Dienst der Gesel lschaft und ihrer Kul tur .In diesem Zurücktreten hinter dem, was er seinem Sohne vermit te l t ,äußert sich im Vater jene Bescheidenheit , die er als oberste Tugendseinem Sohne empfiehl t . Auch und gerade als Erzieher is t der ägyp-tische Vater e ingebunden in höhere Ordnungen , e r e r fü l l t e ine ge-sellschaftliche Pfl icht und steht im Dienst von etwas, wir haben es»Kultur« oder »Tradi t ion« genannt , das durch den Mund der VäterZ u r Jugend spricht und sich in diesem Sprechen fortpflanzt . Betrach-

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ten wir , zur I l lustra t ion dieses Gedankens, die Erzählung, in die dieLehre des Ptahhotep e ingekle ide t i s t : 5 1

»Die Lehre des Vezi r s P tahho tep , der sag t :Herrscher, m e i n H e r r :das Greisentum is t einget reten , das Al ter herabges t iegen,die Schwäche is t gekommen, d ie k indische Hi l f los igkei t hat s ich erneuer t ,deretwegen der zum Kind gewordene a l l e Tage im Liegen verb r ing t ,die Augen s ind schwach, d ie Ohren taub,die Kr af t s ch wi n d e t au s Mat t i g k e i t d es Her zen s ,der Mund schweigt und kann n icht mehr sprechen,das Herz is t vergeßl ich und kann s ich des ges t r igen Tages n icht mehr

erinnern,die Knochen schmerzen wegen der Länge (der Jah re) ,Gutes i s t zu Schlechtem geworden,jeder Geschmack is t vergangen.Das i s t , was das Al ter den Menschen antu t :Schlechtes an a l l en Dingen .Die Nas e i s t v e r s t o p f t u n d k an n n i ch t meh r a t menaus Schwädie in j eg l i cher Hand lung .Möge darum dem Diener da befoh len werden , ( s i ch ) e inen Stab des

Alters zu schaf fen ,möge veran laß t werden , daß mein Sohn an meine Ste l l e t r i t t ,damit ich ihm die Worte derer sage, d ie hören konnten ,die Rat s ch l äg e d e r Vo r f ah r en ,

die v o r d em au f d i e Gö t t e r g eh ö r t h a t t en ;so daß für d ich in g leicher Weise gehandel t werde,daß d er S t r e i t n i ed e r g eh a l t en wer d e u n t e r d en Un t e r t an enund d ie be iden Ufer fü r d ich arbe i t en .Da sag te d ie Majes tä t d ieses Got tes :Unterrichte ihn nach den Wor ten der Vorze i t(oder: l eh re ihn zuers t e inmal r eden)damit er e in Vorb i ld abgebe fü r d ie Kinder der Großen .Möge das Hören in ihn e in t re ten und a l l e Herzensgradhei t dessen , der zu

ihm spr icht .Keiner is t weise geboren.«

Man s ieh t daraus , daß der l ehrende Vater e rs t den König um Er laub-nis f ragen muß. Denn was er se inem Sohn wei te rgeben möchte , ge-hört ihm nicht so zu eigen, daß er selbs therr l ich damit verfahrenkönnte. Denn zugleich mit der Unterweisung qual i f iz ier t er seinenSohn für das Amt des Vaters, er schafft s ich in ihm einen »Stab desAlters«, d. h. einen Amtsnachfolger, den er noch selbst einweisen und

der ihm schon während seiner eigenen Amtsausübung zur Sei te s tehenkann. Das aber geht nicht ohne die Einwil l igung des Königs , derallein die Ämter vergibt , »der Gewohnhei t entsprechend (wie es ein-mal heißt ) , daß der König einen Mann in sein Amt einsetzt und daßder Sohn die Stel le seines Vaters einnimmt«. 5 2 Die Lehre, d ie der Va-ter seinem Sohn übermit tel t , i s t n icht nur al lgemein eine Ini t ia t ion indie Gesel lschaft , sondern auch speziel l e ine Einführung in die Stel lungdes Vaters . Ferner w i rd in d ieser Ra hm ene rzä h lun g deutl ich , da ß

Ptahhotep seinem Sohn nicht sein eigenes Wissen, sondern die »Rat?

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Schläge der Vorfahren« vermi t te ln möchte , e ine ura l t e Trad i t ion , d ie

letztendlich von den Göttern stammt. Und schließlich ist in unserem

Zusammenhang auch die Schilderung der Altersbeschwerden höchst

bedeutsam, die bei w eitem ausfü hrl ichs te Alterssch ilderung in der

ägyptischen Literatur und dabei al les andere als ein l i terarischer To-pos, sondern eine höchst ungewöhnl iche Stel le , d ie im Zusammenhang

des Ganzen wichtig sein muß. Sie stel l t uns den lehrenden Vater als

einen »schwachen«, und zwar al tersschwachen Vater dar, der sich in

seinem Sohne einen »Stab des Al ters«, e ine Unters tützung und gleich-

berechtigten Pa r tne r schaffen wi l l . De r Pf l i ch t zur Unterw eisung en t -

spricht auf seiner Sei te das Bedürfnis oder die Bedürf t igkei t ; der Va-

ter braucht den Sohn und zwar den unterwiesenen und daher gleich-

berechtigten Sohn. Die väter l iche Unterweisung, das heißt : d ie Ini -tiation eines Neophyten in die Gesel lschaft und ihre Kul tur , geschieht

aus dem Wunsch, sich selbst zurückzuziehen zu dürfen aus dieser Ge-

sellschaft und ih ren Aufgaben .

Die Figur des al tersschwachen, hinfäl l ige n, be dü rf t ige n Va ters , d ie

einen Aspekt des erziehenden Vaters darstel l t , möchte ich in einem

kurzen Exkurs noch etwas näher beleuchten. Wir kennen diese Figur

aus der ägyptischen Mythologie, und wenn ich sagte, daß die Alters-

schilderung des Ptahhotep ein Unikum dars tel le , muß ich diese Aus-sage im Hinbl ick auf einen best immten Mythos etwas einschränken.

Die ers ten Anspielungen auf diesen Mythos f inden wir in den Pyra-

midentexten, den königl ichen T oten texte n aus dem A.R . (um 2500) :5 3

»Was das angeht, Re, was du sagtest:>0 hätte ich doch einen Sohn,< als du König warst, Re,'der >Ba< wäre, mächtig und angesehen,mit bringenden Armen, mit weitem Schritt,'

Siehe N , Re, N ist dein Sohn !«

Die Situat ion, auf die hier angespiel t wird, a ls der Sonnengot t , der in

der Urzeit als erster König über die Welt , seine Schöpfung herrschte,

sich einen Sohn wünschte, offenbar wei l auch er al t geworden war

und den Wunsch verspürte , s ich aus dem Getr iebe zurückzuziehen,

diese Situation schildert uns eine mythologische Erzählung, die in

sehr viel späterer Zeit aufgeschrieben worden ist (auch hier wiederum

im Zusa m me nhan g könig l icher Jense i tszurüs tungen) :5 4

»Es geschah aber, daß Re aufging, der Gott, der aus sich selbst entstand,nachdem er König über Menschen und Götter zusammen gewesen war.Die Menschen aber schmiedeten Pläne gegen Re.Nun war aber Seine Majestät alt geworden,seine Knochen waren aus Silber,seine Glieder aus Gold,sein Haar aus echtem Lapislazuli.Seine Majestät aber erfuhr von den Plänen,

die von den Menschen gegen ihn geschmiedet worden waren.«

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Es folgt nun eine längere Erzählung , wie Re d ie undankbare Mensch-heit samt und sonders vernichten will , sich aber im letzten Augenblicknoch eines anderen besinnt , aber über a l l dem doch die Lust daranverliert, wei ter mi t ihnen a ls König zusammen zu se in :55

»So wahr ich mir lebemein Herz ist es müde geworden, mit ihnen zusammen zu sein«

Dies is t d ie Si tuat ion, auf die die a l te Fassung des Mythos anspiel t :»Was das angeht, Re, was du sagtest: Ach hätte ich doch einen Sohn!«Der Text sch l ieß t mi t der Erzäh lung , wie der Sonnengot t das König-tum se inem Sohn, dem Luf tgo t t über läß t und s ich an den Himmelzurückzieht, der nun durch den Luf tgo t t hoch über d ie Erde empor-gestemmt w ird , um dem Wunsch des ab t re ten den Go t tes nach A bsonde-rung von se inen undankbaren Geschöpfen Rechnung zu t ragen . Soentsteht die zweistöckige Welt , in der Götter und Menschen getrenntsind.

Dieser Exkurs in die e inigermaßen burleske Welt der ägyptischenMythologie sollte uns nur die Sprechsituation veranschaulichen, diehinter den ägyptischen Lehren und der väter l ichen Unterweisung imallgemeinen steht , d ie Si tuat ion des al tersschwachen und bedürf t igenVaters, der sich im Sohn einen »Stab des Alters« heranziehen will ,dem er seinen Platz in der Gesellschaft überlassen kann, um selbstsich in Ruhe davon zurückziehen zu können .Zum Abschluß dieses Abschnitts obliegt es uns noch, auch an das Er-ziehertum des ägyptischen Vaters jene beiden Fragen zu stellen, diewir an d ie be iden anderen Aspekte , Erzeuger - und Ernährer tum, ge-stellt h a b e n :(1) Gibt es im Zusammenhang mi t der vä ter l ichen Unterweisung das ,was wir e twas schwerfä l l ig a ls »konzeptue l l f ix ie r te und wer tbese tz teZentralbegriffe« bezeichnet haben?(2) Gibt es e ine Über -Höhung des e rz iehenden Vaters in Ägypten ,so wie sie s ich für den Erzeuger a ls Stammvater , für den Ernährer a lsLandesvater oder »Pa t ron« denken und z . T . in Ägyp ten au f f indenließ?

(1) Als Zent ra lbegr i f fe der vä ter l ichen Untersuchung würde manwohl vor allem drei ägyptische Begriffe nennen, die sich deutsch als»Leben«, »Ordnung /Wahrhe i t« und »Hören« wiede rgeben l a ssen .Diese Dreihei t is t jedoch unbedingt zu ergänzen durch einen vier tenBegriff, den wir mit »Gemeinschaf t« bezeichnen können, dem jedochauf entsprechend abst rak ter Ebene ke ine ägypt ische Wor tprägungund Begriffsbi ldung zu entsprechen scheint . Ein Kenner des Altägyp-tischen würde daher gewiß energisch protest ieren, wenn ich den Be-griff »Gemeinschaf t« in e ine Reihe ste l len woll te mit »Leben, Wahr-

heit, Hören« . Um diese Kenner zu beruhigen , wi l l ich das Wor t »Ge-meinschaft« ersetzen durch das Wort »Gunst«, äg. hzwt.5e V o n

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»Gunst« ist in den ägyptischen Texten sehr viel die Rede, und ichmeine, daß in al len diesen Fällen implizite auch von Gemeinschaft dieRede i s t : im Sinne des Oberbegri ffs oder der Klasse a l l derer , vondenen diese Gunst ausgeht . Worin besteht nun die große Bedeutung

dieser »Gunst«? Der so Ausgezeichnete erwirbt sich durch das Lobder Gemeinschaft e inen Status, der ihm die ewige Sel igkei t verbürgt : 5 7

»Wer die Jahre verbringt als >Gelobter<,

dessen >Ba< wird leben zur Seite des Allherrn,

dessen Name bleibt gut im Munde der Menschen,dessen gedenkt man und verklärt ihn in Ewigkeit.«

Der im Diesseitsleben erreichte Einklang mit der Gemeinschaft , der sichin ihrer »Gunst« (ihrem »Beifall«) ausdrückt, reicht ins Jenseits hin-über. Wir können das Wort daher geradezu mit »Segen« übersetzen. 5 8

Mit diesem Wort steigt zugleich die Gestalt des israeli t ischen Patriar-chen, des Spenders des Segens, vor uns auf. Wie klein und bürgerlichnimmt sich der ägyptische Vater neben ihm aus! Und wir sehen jetztklar den Unterschied: wei l der ägypt ische Vater eben nicht der al leini-ge i rdische Spender des Segens ist , sondern nur eine »Verweisfigur«,eingebunden in eine Hierarchie sich überordnender Kreise, bis hin

zur »Gesellschaft« und ihren beiden, diesseit igen und jenseit igen, Expo-nenten, dem König und dem Got t . Das e rg ib t s ich vo l lkommen k laraus einer Analyse der ägypt ischen Texte , vor a l lem der Autobiogra-phien in den Gräbern, auf das hin, was sie als »segnende Instanzen«erwähnen. Der Vater ist nur eine von ihnen, neben ihm erscheint re-gelmäßig die Mutter , oft d ie Geschwister , und darüber hinaus die»Stadt«, der »G au«, das »ganze La nd «, »al le Menschen« ( = Ä gy p-ter), »der König« und »der Got t« , immer wei te re Kre ise , immer

höhere Ins tanzen , in deren Ordnungen und Zusammenhänge das Le-ben des Einzelnen im Laufe seiner geschichtl ichen Entfaltung eintri t t .»Leben« - und dami t kommen wir zu e inem wei te ren unserer Grund-begriffe - heißt , s ich im Zusammenhang dieser Kreise entfal ten, d iesich konzentrisch und hierarchisch um und über der Familie als demengsten Kreis aufbauen. Für dieses sozial e ingebundene und einbe-zogene, sozusagen »gesell te« Dasein soll die väterl iche Unterweisungden Sohn vorb erei ten , indem sie ihn »gesel lschaftsfähig« und das

heißt: im eigentl ichen Sinne lebensfähig macht. Daher bezeichnet siesich als den »Weg des Lebens«, geht es doch um nichts geringeres alsdas »wahre« Leben im Einklang mit der Gesel lschaft und mit Got t .Nur der Unterwiesene und Wissende kann seinen Platz in der Ge-meinschaft f inden. Der Unwissende tappt im Dunkel . Die Lehre desPtahhotep nennt ihn den »Sucher, der nicht hört« und diagnost iz iertihn als einen, der »lebendig tot ist«, weil er »Gut und Böse nicht un-terscheiden kann« . 5 9 Wer für diesen Unterschied blind ist , kann sichnicht in die Gesellschaft einfügen, er ist »tot«, weil der Tod dasschlechthin Vere inze lnde , Absondernde i s t .60 »Einer lebt , wenn der

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andere ihn leitet« sagt ein ägyptisches Sprichwort .6 1 Er s t i rb t , wenner sich nicht lei ten läßt , d . h . taub ist gegenüber der Unterweisung unddaher unfähig, sein eigenes Selbst in die Ordnungen der Tradi t ionund der Al lgemeinhei t e inzubinden, mi t dem Ganzen zu vermi t te lnund im Ganzen zu ent fa l ten »Wer für d ie Maat taub i s t , ha t ke inenFreund.«62

Wenn hie r von Ordnungen , Normen , Bindungen d ie Rede i s t , so um-schreibt das den ägyptischen Begriff der »Maat«. 6 3 Maat ist der Geist ,der die menschliche Gesellschaft durchwaltet und sie im Sinne einerkulturellen Gemeinschaf t zusammenhäl t . S ie geht von Got t , a l s demletztendlichen Normensender aus , und wird ihm durch e in rechtschaf -fenes Leben zurückgegeben. Maat he iß t daher n icht nur Ordnung,

Recht, Gerecht igkei t , sondern auch »Opfer«, denn sie st i f tet nicht nurdie Kommunika t ion de r Menschen un te re inander (durch Wohl ta t enund »G unst«) , sondern ermögl icht auch d ie K om m un ika t ion vonMensch und Got t (deren re ins ter Ausdruck das Opfer i s t ) . Maat he iß tschließlich und vor al lem auch »Wahrhei t«, s ie ist das Rechte undRichtige nicht nur im Handeln , sondern auch im Reden. Dabei han-delt es sich nicht um ein Reden in Übereinst immung mit den Fak-ten, sondern um eine sprachl iche Kommunikat ion von Maat , e in Re-

den in Übereinst immung mit der göt t l ichen Weltordnung, die sichauch in der Sprache darstel len läßt . Die väter l iche Unterweisung istein solches Reden in reinster Ausprägung. Hier geht die Maat durchdes Medium der Sprache vom aufbewahrenden Geis t des Vaters durchMund und Ohr in den aufnehmenden Geis t des Sohnes über . Für»Geist« sag t de r Ägypte r »Herz« .6 4 »Herz« , Mund und Ohr s ind a l sodie zen t r a l en Organe d iese r Kommunika t ion von Maa t , d i e , wie wi rnun wissen, ein Akt der Belebung ist , und zwar der eigent l ichen Be-lebung, die im ägyptischen Denken eine wesent l iche größere Rollespielt als die Zeugung. Daher überrascht es nicht , daß wir nun in die-sem Bereich jene Hypostasierungen antreffen, die wir im biologischenvermißt haben. Das Herz wird a ls »Got t im Menschen« bezeichnet , 62

weil es das Organ d ieses Lebens aus der von Got t kommenden Maatist, »Ausspruch« und »Erkenntnis« werden a ls Got thei ten personi f i -ziert, die dem Schöpfe rgo t t be i de r Er sch af fung und Erh a l tun g der

Welt beistehen.

6 6

Mit dem »Wort« , das aus der »Erkenntnis« kommt und den Unwis-senden wissend macht , rühr t der ägypt i sche Vater an d ie Urkräf te derSchöpfung. Erst diese geist ige Zeugung, die neues Leben in der Maatschafft, macht ihn vol l zum Vater .(2) Abschließend möchte ich noch kurz auf die Frage eingehen nacheiner Überhöhung des Vaters in se iner unterweisenden Funkt ion . Wirhaben gesehen, daß eine solche Überhöhung im Fal le des zeugenden

Vaters - zum Pat r iarchen und Stammvater - n icht nachweisbar i s t ,der ernährende und beschü tzende Va te r dagegen im Zusammenhang

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einer best immten his tor ischen Si tuat ion über den engen häuslichenKreis zu einer Rolle hinausgewachsen ist , die dann auf den Königund später die Gottheit übergegangen ist . Wie steht es damit im Falledes unterweisenden Vaters?Einer Überhöhung in diesem Sinne verdanken wir es , daß wir überdiesen Aspekt des ägypt ischen Vaters so gut unterr ichte t s ind. Denndie Rolle oder Persona des »unterweisenden Vaters«, in der die Ver-fasser von l i terar ischen Lebenslehren zu ihrem Publikum sprechen,läßt sich durchaus als eine solche Überhöhung bezeichnen. Die l i te-rarische Unterweisung gi l t ja nicht e inem best immten Sohn, sondernganzen Generationen von Söhnen. Solche »Über-Väter« scheint es je-

doch nicht nur als literarische Figuren gegeben zu haben. Es ist durch-aus möglich, daß hin und wieder einzelne Weise eine besondere Le-bens-Lehre, einen »Weg des Lebens« nicht nur im häuslichen Kreise,sondern öffentlich oder in einem größeren Kreise von Schülern (odersoll m an sagen: Jüngern?) ver kü nd e t habe n . An d ie N am en desImhotep, des Baumeisters und Wesirs König Djosers in der 3. Dyn. ,und des Am enoph is , e ines Beam ten un ter Am enoph is I I I . in der18. Dyn. haben s ich derar t ige Trad i t ionen geknüpf t . 6 7 Vor a l lem aber

scheint König Echnaton seine revolutionären religiösen Ideen in dieserWeise verkündet zu haben. Die Texte der Zei t sprechen immer wie-der von der »Lehre« des Königs, die auch als »Weg des Lebens« be-zeichnet w i r d .6 8 Und nach Echnaton scheint auch dieser dergestaltüberhöhte Aspekt des Vaters in den Gottesbegriff eingegangen zu sein.So l iest man z. B. in der Biographie eines gewissen Kiki, mit Mutter-namen Zimut , der un te r Ramses I l . l eb te : 6 9

»Ihn aber ha t nun se in Got t unterwiesen,er hat ihn unterr ichte t gemäß se iner Lehre .Er hat ihn auf den Weg des Lebens gese tz t ,um seinen Leib zu beschützen«

Damit ist eine Entwicklung eingeleitet , die sich in der Spätzeit vorallem mit dem Kul t des Got tes Toth in Hermupol is verb inde t . Aufdiesem Nährboden ents tanden dann in gr iechisch-römischer Zei t d iehermetischen Schrif ten und besonders der Traktat XIII , der s ich a lsLehrgespräch zwischen Vater und Sohn, Hermes Trismegis tos undTat, gibt.

»Gut ist, ein S ohn für seinen Vater^O

Zweiter Teil: Der tote Vater

Wir haben den Komplex VATER in dre i Aspekte aufge te i l t : Erzeu-ger, Ernährer und Erzieher . Wir haben gesehen, daß der Aspekt desErzeugers, der »natür l iche« Aspekt der Vaterschaft , gegenüber denanderen beiden mehr kul turel len und sozia len Aspekten in den Hin-

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tergrund t r i t t . Erzeuger , Ern ährer und Erz ieher s ind jedoch Aspekteoder Rollen, die sich nicht ausschließen sondern ergänzen, und zwarin einem zeit l ichen Nacheinander, es sind Phasen einer geschichtl ichemWandel un te rworfenen Va te r -Sohn-Bez iehung . Der Va te r man i fe s t i e r t

sich zuers t a l s Erzeuger , dann a l s Ernährer und zu le tz t a l s Erz ieher(wir haben ja gesehen, daß die Unterweisung dem erwachsenen Sohngilt, den sie in die Gesel lschaft e inführt und so gewissermaßen aus derväterlichen Ernährung und Verso rgung en t l äß t ) . Das Va te rb i ld be -schreibt also in Ägypten eine ansteigende Bedeutungskurve. Je ä l terder Sohn, des to bedeutender wi rd der Vater für ihn . In den Zeni thdieser Kurve t r i t t der Vater jedoch erst nach seinem Tode. Erst d ieGestalt des toten bzw. jensei t igen Vaters gewinnt jene dominierenden

Züge und reicht in jene Tiefenschichten der Kultur, die uns das Rechtgeben, i n f ragendem Sinne mi t Begr i f fen wie »Va te r -Ku l tu r« und»Vater-Religion« an das Al t e Ägyp ten he ranzu t re t en . Dami t ge l an -gen wir a l lerdings in e in Terrain , wo sich unsere Aufgabe wesent l ichschwieriger gestaltet als im Falle des diesseit igen Vaters. Der jensei-tige Vater wi rd zu e iner Art »Tiefenvater« , der s ich in den ver-schiedensten Zusammenhängen - der Rel ig ion , des König tums, desTotenkults, der Mythologie , der Anthropologie usw. - mani fes t ie r t .

Als eine terminologische Orient ierungshi l fe möchte ich den Begriff derKonstellation e inführen . Denn der »Tiefenvater« i s t e ine b loße Chi -märe; die e igent l iche Konstante is t v ie lmehr e in Rol lenzusammen-hang, e ine mi t besonderen Verha l tensmustern und Wertvors te l lungenverbundene und spezif iz ierte Form zwischenmenschl icher Beziehungen,z. B. der Vater-Sohn-Beziehung, wie s ie in der Regel in Mythen, a lsBeziehung zwischen G ot the i ten , u r b i ld ha f t f ix ie r t un d übe r l ie fe r twird. Die unendliche Vielfalt möglicher zwischenmenschlicher Bezie-hungen, Rol lenerwartungen , Verha l tensweisen , wi rd durch so lchekomplexe K ons tan ten in ku l turspez i f ischer u nd bedeutung sha l t igerWeise eingeschränkt . Wir haben es a lso hier nicht a l le in mit dem Va-ter, sondern mi t e inem spez i f iz ie r ten Rol lenzusammenhang zu tun ,und a l les , was zum Thema VATER herangezogen werden so l l , l i eßesich mit gleichem, gelegentl ich sogar größerem Recht unter das ThemaSOHN ste l len. Mit dem Begriff der Konstel la t ion steht uns e in beideumfassender Oberbegr i f f zu r Ver fügung . 7 1

Das Alte Ägypten konfront ie r t uns , was den jense i t igen Vater angeht ,mit zwei versch iedenen Konste l la t ionen . Die e ine be t r i f f t das Problemder Nachfo lge und des Totenkul t s , abs t rak ter und a l lgemeiner d ieFormulierung eines Begriffes von Pietät, die das Diesseits mit demJenseits in Beziehung häl t , e ine Form »jensei ts-bewußten« Lebens inder Veran twor tung vo r dem » to t en Va te r« , d i e ande re be t r i f f t dasProblem der Verkörperung , des Wei te r lebens im Sohne , abs t rak ter

und al lgemeiner die Formulierung eines Begriffs von Unsterblichkeitoder Kontinuität, in der e ine unvergängl iche Lebensenergie vom Va-

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ter auf den Sohn übergeht und s ich in der Abfolge der Generat ionen

immer w iede r au f s neue ve r kö r pe r t .

Die Konstel lat ion der Pietät , die einen jensei t igen Vater und einen

diesseitigen Sohn aufeinander bezieht , wol len wir die Horns- oder

-f/aw/et-Konstellation nennen, und s ie damit sowohl in ihrem kul tur -spezifisch ägypt ischen, a ls auch in ihrem universalen Aspekt kenn-

zeichnen (daß wir uns nur und bes tenfal ls für den ers teren zus tändig

fühlen, braucht kaum betont zu werden; es erscheint aber wichtig, die

Möglichkeiten der Genera l i s i e rung von Anfang an of fenzuhal ten) . D ie

Konstellation der Unsterbl ichkeit , die ein unvergängliches, und als

spezifisch männl ich aufg efaß tes Pr in z ip durch Verm i t t lung des W eib-

lichen an die diessei t ige Ket te der Generat ionen, den Zyklus der Ver-

körperungen bindet , nennen wir nach dem gleichen Pr inzip der dop-

pelten Kennzeichnung auf kul turspezi f ischer und universaler Ebene

die Kamutef- oder Oe<&/>«s-Konstellation. Kamutef ist ein ägypti-

scher Göt te rname und he iß t »S t ie r se iner Mut te r« . So werden Göt te r

genannt, die a l s Exponenten der männl ichen Zeugungskraf t (und in

diesem Sinne gewissermaßen a l s Erzvä te r ) verehr t werden und von

denen man annimmt, daß s ie s ich in e iner ihnen als Mut ter und Gat-

tin zugeo rdne ten M ut te rg o t the i t ( a ls Ex pon ent in d er weib li chenFruchtbarkeit) immer wieder auf s neue hervorbr ingen . D ie Kons te l -

lation verbindet a lso e in unvergängl iches , im Zyklus der Verkörpe-

rungen in Vater und Sohn ause inander t re tendes männl iches Pr inz ip

mit einem ebenfal ls unvergängl ichen, aber a ls Mut tergat t in in s ich

selbst verhar renden weib l i chen Pr inz ip .7 2

'

Die Horus - oder Hamle t -Kons te l l a t ion themat i s i e r t den Gegensa tz

der Generat ionen, während der Gegensatz der Geschlechter hier keine

Rolle spiel t . In der Gegenübers te l lung und Verbindung von Sohn und

totem Vater wird der abs t rakte Gegensatz von Diessei ts und Jensei ts

gedacht und zugleich die Mögl ichkei t e iner Mediat ion, e iner Grenz-

überschreitung formul ier t im Sinne einer pietas als e ines Programms

von H and lungen und H a l tungen . I n genauem G egens a t z dazu t hema-

tisiert die Kamutef - oder Oedipus -Kons te l l a t ion den Gegensa tz der

Geschlechter, w äh ren d s ie den Gegensa tz der Gen era t ionen expl iz i t

aufhebt (Vater und Sohn sind identisch) . Der s ich mit dem Weib ver-einigende Mann wird zum Vater se iner selbs t und br ingt s ich im Sohn

selbst hervor . In d ieser Kons te l l a t ion werden zwei abs t rak te Gegen-

satzpaare geda cht : e inm al die begr i f fl iche Un terscheidung, die de r

Ägypter vorn immt zwischen e iner b le ibenden und e iner kommenden

Zeit (die bleibende Zeit is t das weibl iche, die kommende Zeit das

männliche Element ) ,7 3 zum anderen der Gegensatz zwischen der Außer-

zeitlichkeit Gottes und der Zei t l ichkei t se iner innerzei t l ichen Mani-

festationen, anders gesagt : der Gegensatz zwischen dem t ranszenden-ten Einen und der Vielhei t se iner zykl ischen immanenten Verkörpe-

rungen.74

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Der Sohn erscheint in der Kamutef-Konste l la t ion a ls Wiederverk ö r-perung seines Vaters bzw. eines überindividuellen und beiden gemein-samen genealogischen Pr inzips , das vor ihm im Vater verkörper t war ;in der Horus-Kons te l la t ion erschein t er a ls Nachfolger und Sta t thal -

ter, dem die Aufgabe obliegt , den Tod seines Vaters zu rächen bzw. ,allgemeiner und zugleich ägyptischer: zu heilen. Es liegt auf derHand, in d iesen beiden Kons te l la t ionen den Gegensatz von Naturund Kultur wiederzuerkennen, der s ich beim diessei t igen Vater alsErzeuger und Erz ieher man i fes t i e r t . In de r Kamutef -Kons te l l a t ionüberwiegen die irrat ionalen Züge der Vaterschaft als eines natürl ichenMysteriums, in der Horus-Kons te l la t ion dagegen d ie ra t ionalen Zü-ge der Vaterschaft als eines kulturel len und gesel lschaft l ichen Phäno-

mens.Hier zeichnet s ich sowohl eine Beziehung zwischen dem Vater als Er-zeuger und der Kamutef -Kons te l la t ion , a ls auch vor a l lem zwischendem Vater a ls Erz ieher und der Horus-Kons te l la t ion ab , d ie uns imFolgenden noch eingehender beschäftigen soll. Wir haben schon ge-sehen, daß es dem unterweisenden Vater um das Problem der Nach-folge geht . E r ka nn d ie Lehre dah er imm er nu r Einem wei tergeben,den er damit zugleich in sein Amt und seinen Platz in der Gesell-

schaft einführ t . Und wir haben ferner gesehen, daß für den Vater d ie-se speziel le Unterweisung des Sohnes (wie s ie in den überl iefer tenWeisheitslehren ihre l i terar ische Ausprägung f indet) einen Schri t t aufseinen eigenen Tod zu bedeute t : der unterweisende Vater i s t deraltersschwache Vater , der das Bedürfnis verspürt , s ich aus der Gesell-schaft zurückzuziehen. Die Bindung, d ie mi t der Unterweisung ge-stiftet wird , i s t n ichts anderes a ls d ie Vors tufe der Horus-Kons te l -lation, die mi t dem Tod des Vaters dann vol l in Kraf t t r i t t . Die Zu-

rückhaltung des Ägypters gegenüber den natürl ichen und sein sovielgrößeres Interesse an den kulturel l-gesel lschaft l ichen Aspekten derVaterschaft f inden wir auch im Jenseits bzw. auf der uns hier be-schäftigenden Tiefenebene der ägypt ischen Kul tur wieder : der ägyp-tische Hamlet spiel t in den Texten eine ungleich größere Rolle alsder ägypt ische Oedipus . Wir werden le tz teren daher nur exkursar t igbehandeln und unser Haup taugenmerk auf d ie Hamle tges ta l t des r ä -chenden Sohnes r ichten oder vielmehr auf die den toten Vater einbe-

ziehende Konstel lat ion. Diese gehört , wie gesagt , einer kulturel len Tie-fenschicht an und manifest ier t s ich an der Oberf läche in verschieden-sten Zusammenhängen, von denen wir a ls d ie wicht igs ten auswählen:1. T o t e n k u l t2. M y t h o s3. K ö n i g t u mDie Reihenfolge erscheint etwas wil lkürl ich. Logisch r ichtiger wäre es

wohl, mit dem Mythos anzufangen, der d ie archetypischen Kons te l -lationen auf de r Ebene der Göt te r in Erzäh lungen en t fa l t e t und u r -

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b i ldha f t f i x i e r t - U r b i l d e r , d i e d a n n i n d e r m e n s c h l i ch e n P r a x i s i m

Totenkul t u n d i m K ö n i g t u m a b b i l d h a f t n a c h g e l e b t u n d r e a l is i e r t

werden . U n s e r e R e i h e n f o l g e k o m m t d a g e g e n d e r z u e r s c h l i e ß e n d e n

historischen E n t w i c k l u n g n ä h e r . D e r T o t e n k u l t sc he in t d a s U r s p r ü n g -

liche z u s e in ; a u s s e i n e r P r a x i s i st d e r M y t h o s v o n O s i r i s u n d H o r a s

allmählich h e r v o r g e w a c h s e n , d e r d a n n s p ä t e r s e i n e r s e i t s f o r m e n d u n d

umformend a u f d e n T o t e n k u l t z u r ü c k s t r a h l t . D a s K ö n i g t u m o d e r

vielmehr d a s k ö n i g l i c h e S o h n s c h a f t s d o g m a s e t z t b e id e s, T o t e n k u l t u n d

Mythos , v o r a u s u n d r e i c h t i n s e i n e n A n f ä n g e n n i c h t v o r d i e 4 . D y n a -

stie z u r ü c k .

1. D i e H o r u s - K o n s t e l l a t i o n i m T o t e n k u l t

Mit d e m T o d e d e s V a t e r s t r e t e n b e i d e , V a t e r u n d S o h n , i n e i n e K o n -

stellation e i n , d i e , w i e s c h o n g e s a g t , e i n e d i e s s e i t i g e V o r s t u f e b e s a ß i n

dem B ü n d n i s , d a ß d e r a l t e r s s c h w a c h e V a t e r u n d d e r z u m N a c h f o l g e r

erwähl te E r b s o h n i n d e r U n t e r w e i s u n g e i n g e g a n g e n si n d . D i e A u f g a -

ben, d i e d e m e r w ä h l t e n E r b s o h n b e i m T o d e d e s V a t e r s z u f a l l e n , v e r -

teilen sic h d a h e r a u f z w e i B e r e i c h e :

(1) d e r T o t e n k u l t d e s V a t e r s

(2) d i e N a c h f o l g e de s V a t e r s

Tod u n d N a c h f o l g e s te h e n i n e n g s te m Z u s a m m e n h a n g . E i n a l t e r T e x t

sagt z u m g e s t o rb e n e n K ö n i g :

»Geh nun dahin nach deinen Tagen, reinige dich,auf daß du de in Haus de inem Sohn übe r l äß t , de r de in Sproß i s t « 7 5

und i m m e r w i e d e r w i r d d e m T o t e n z u g e r u f e n :

»Dein Sohn is t auf deinem Platz!«™Wer i n d e r e r w ü n s c h t e n R o l l e d e s » t o t e n V a t e r s « i n s J e n s e i t s h i n -

übergeht, b l e i b t i n d i e G e m e i n s c h a f t d e r L e b e n d e n e i n b e z o g e n , u n d

zwar k r a f t d i es e r K o n s t e l l a t i o n , d i e d e n T o d ü b e r g r e i f t u n d ü b e r -

windet , i n d e m sie s e in e v e r e i n z e l n d e , a u s d e r G e m e i n s c h a f t a b s o n -

dernde W i r k u n g a u f h e b t . I n d ie s er K o n s t e l l a t i o n v e r t e i l e n sich V a t e r

und S o h n z w a r a u f D i e s se i ts u n d J e n s e i t s , b l e i b e n a b e r i n i h r e m T u n

einander v e r b u n d e n . E i n k ö n i g l i c h e r T o t e n t e x t a u s d e m A . R . s te l lt

das s o d a r :

»Du s tehs t auf , o Phiops , a l s König , gerächt ,ausgerüstet a l s Got t ,ausgerüstet mit der Erscheinungsform des Osi r i s ,auf dem T hr on des Ers ten d er W est li chen.Du tus t , wa s e r vo rde m ta t u nte r den Ge is te rn , den unve rgängl ichen S terne n.Dein Sohn s teht auf a l s König auf de inem Thron,ausgerüstet mit deinen Insignien,er tu t , was du vordem getan has t an der Spi tze der Lebenden

auf Geheiß des Re , des Großen Got tes .Er baut Gers te an , e r baut Weizen an ,um d i r dami t zu opfe rn .«

7 7

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Hie r t e i l e n s ic h V a t e r u n d S o h n i n d i e W e l t h e r r s c h a f t , d e r e in e i m

Jenseits ü b e r d i e G e i s t e r , d e r a n d e r e i m D i e s s e i t s ü b e r d i e L e b e n d e n ,

wobei d a s B i l d d a d u r c h e t w a s v e r k o m p l i z i e r t w i r d , d a ß a u c h d e r V a -

ter i m J e n s e i t s e i n e n n o c h j e n s e i t i g e r e n V a t e r , d e n G o t t O s i r is , b e -

erbt . W i e sic h d i e se B e z i e h u n g e n z w i s c h e n V a t e r u n d S o h n , z w i s c h e nJenseits u n d D i e s s e it s a u f d e r a l l g e m e i n - m e n s c h l i c h e n E b e n e d a r s t e l -

len, z e i g t u n s e in e G r u p p e v o n S p r ü c h e n a u s d e m M . R . , d i e d e r B e -

fürch tung R e c h n u n g t r a g e n , d a ß d e r t o t e V a t e r sic h n i c h t a n d i e m i t

der H o r u s - K o n s t e l l a t i o n v e r b u n d e n e n V e r e i n b a r u n g e n h a l t e n k ö n n t e ,

daß e r ü b e r d e m W u n s c h , s e i n e n S o h n i m J e n s e i t s b e i s ic h z u h a b e n ,

vergessen k ö n n t e , w i e w i c h t i g e s f ü r i h n i s t, d a ß s ei n S o h n i m D i e s -

seits v e r b l e i b t u n d i n d e r W e l t d e r L e b e n d e n f ü r i h n e i n t r i t t .7 8

D e r

Bündn i s -Charak te r d i es e r K o n s t e l l a t i o n k o m m t d a r i n b e s o n d e r s k l a rzum A u s d r u c k . I c h z i t i e re n u r d i e i n u n s e r e m Z u s a m m e n h a n g w i c h -

t igen P a s s a g e n :

O mein Vater , der im Westen is t !Sei verklär t , se i göt t l ich im Wesen,in diesem erhabenen Land, in dem du bis t .Dein >Ba< geh ört dir , dein e Ve rk lä rth ei t is t bei d ir .Geliebt vo n d ir ist dein >Ba<, welches ich bin , auf E rd en .Hast du gesagt , daß ich weggebracht werden sol l zu diesem erhabenen Land,

in welchem du bis t ,damit dann de in Haus ze rs tö r t , dami t dann de in Tor e inger i s sen wi rd ,damit dann dein Erbe Mangel le idet , damit dann deine Feinde über d ich

jubeln?Ich bin doch hier in diesem Lande,dabei, de inen Th ron e inzunehmen, de ine Ve rzag ten zusam m enzu ha l ten ,deine Waisen aufzuz iehen , de in Tor zu be fes t igen ,deinen Namen lebend ig zu e rha l t en auf Erden im Munde de r Lebenden .Hab G e d u l d , h a b G e d u l d ,der du göt t l ich bis t in jenem erhabenen Land, in dem du bis t ,

mit de inem Amt und mi t j enem de inem Bedar f in j enem e rhabenen Land ,wo du bis t !Ich bin doch hier in d iesem Lande der Lebenden,deine Altä re zu bauen , de ine To tenopfe r fes tzuse tzenin de inem Haus de r Ewigke i t (Grab) in de r Feuer inse l

' , . •;*XrMp

Du aber b is t doch zufr ieden in jenem Landals mein Beis tand im Gerichtskol legium des Got tes!Ich dagegen bin hier a ls dein Fürsprecher im Gerichtskol legium der

Menschen,indem ich deinen G renz ste in aufs te l le , indem ich deine V erza gten

zusammenhalte,

indem ich für d ich dein Ebenbi ld abgebe auf Erden

so daß de ine Angehör igen fü r d ich ve rsorg t werden auf Erden

und dir dein Tor befes t ig t wird durch das , was ich tue .

Die A r g u m e n t a t i o n d e s S o h n e s i st k l a r : d e r V a t e r s c h a d e t n u r sic h

selbst, w e n n e r d e n S o h n d u r c h e i n e n f r ü h z e i t i g e n T o d z u s i c h i n s

Jenseits b r i n g e n l a ss e n w i l l . N u r i m D i e ss e it s , i m R a h m e n d e r H o r u s -

Konstel la t ion, k a n n e r f ü r i h n e i n t r e t e n , i n d e m e r s e in H a u s v e r s o r g tunter d e n L e b e n d e n , u n d s e in e A l t ä r e i n d e r T o t e n s t a d t .

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Die Aufgaben, d ie dem Sohn in d ieser Kons te l la t ion zufa l len , s ind

mit diesen Textbeispielen viel leicht deutl ich geworden; von dem aber ,

was wir als ihr eigentl iches Zentrum bezeichnet haben, der Formulie -

rung eines Be griffs vo n P ietä t , w ar bisher noch nicht die Re de. D ie

ausführlichsten und aufschlußre ichs ten Texte für d iese in der Hamlet -Konstellation verankerte Pietät des Diessei ts gegenüber dem Jensei ts

verdanken w ir den ers ten K önig en d er 19. D yn ast ie , die einm al viel-

leicht aus Verbundenhei t mi t der bürger l ichen Vergangenhei t der Fa-

milie, zum ande ren w ohl a ls Re ak t ion auf d ie un m it te lba r v orh er -

gegangene Amarnazei t , d ie als eine Zeit der Pietät los igkeit , der »Jen-

seits-Vergessenheit« em pfun den und geb rand m ark t w i rd , s eh r v ie l

von dem zur Sprache br ingen, was nicht speziel l der Königsideologie,

sondern al lgemein-ägypt ischem Brauchtum und Empf inden entspr ich t .Sethos I . ha t für se inen Vater und Vorgänger , Ramses I . (den Begrün-

der der 19 . Dyn.) , in Abydos e ine Kul tkapel le e inger ich te t .79

D ie

lange Widmungsinschrif t gl ieder t s ich in einen ber ichtenden und einen

betrachtenden Tei l . Der Anfang schi lder t d ie Amarnazei t a ls e inen

Zustand al lgemeiner Gott los igkeit und Jensei ts-Vergessenheit . Dieser

Not beschließen die G ött er da durc h abz uh elfe n, daß s ie Ram ses I .

zum König einsetzen. Sethos s tand dabei seinem Vater schon zu des-

sen Lebzei ten ta tkräf t ig zur Sei te . Nach dem Tode des Vaters be-steigt er den Thron als der rechtmäßige, vom Vater selbs t noch ein-

gesetzte und un te rwiesene Nachfo lge r :

Er war es, der meine Sch önheit gesdiaffen hat (d ie gängige Umsdire ibung

für: ins Kö nigsam t e insetzen)

nachdem er meine Famil ie groß gemacht hat in den Herzen ( in der

allgemeinen Einschätzung)

Er hat mir se ine Ratschlüsse gegeben zu meinem Schutz ,

seine Lehre is t wie e in Schutzwall in meinem Herzen.Ich bin e in Sohn, »Ach«8 0

für den, der mich hervorgebracht hat,

den Namen meines Erzeugers am Leben erhaltend.81

Nachdem er sich mit dem Himmel vereint hat, bin ich an seine Stelle

getreten,denn ich bin es ja, der seinen Namen am Leben erhält .

( . . . ) Ich bin König auf dem Sitz , den er weitgemacht hat ,

auf dem Thron, auf dem er gesessen hatte.

Dieses Land ist in meiner Hand, wie es in der meines Vaters war.

Er aber hat nun angefangen, e in Gott zu se in .8 2

Die folgenden Abschnit te erzählen die Taten des Sohnes als Leiter

des väter l ichen Begräbnisses , w oz u auch die Err ic htu ng der K ap elle

gehört, und als Opfer-Versorger seines Vaters . Der his tor ische Teil

schließt mit der Sentenz:

Gut ist es, tätig zu sein für einen, der im Jenseits ist.

Es bezeugt einen Sohn, der für seinen Vater eintritt (nd)8 3

Der betrachtende Teil der Inschrif t deckt etwas von dem geis t igenHintergrund und den inneren Motiven auf , die hinter den ber ichte-

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ten Taten einer vorbi ldl ichen Sohnes-Pietät stehen. Wir greifen ausdem langen Text die Sätze heraus, d ie in unserem Zusammenhang be-sonders aufschlußreich sind:

»Seht, mein He rz e rma t t e t n i ch t be im Gedenken

an den, der mich erzeugt hat

8 4

»Mein Herz hat mich bei der Arbei t gele i te t . Sein Haus is t err ichte t an derStätte der Ewigkei t , r icht ig und schön, während ich an ihn dachte und andie Leute se iner Fami l ie . Die Schönhe i t se ines Charak te rs ha t mein Herzerfreut.«85

»Mein Herz bau t am Werk se ines Hauses der Ewigke i t , dami t i ch se inenLeib verehren kann , der in der Kape l le i s t« 8 6

»Ich bin e in Sohn, der se inen Vater ehr t . Ich kenne seinen Zustand (a lseines ins Jense i t s en t rück ten , auf den Sohn angewiesenen Toten) wohl undvergesse ihn nicht .« 8 7

»Mein Herz wende t s ich dem zu , de r e rmat te t i s t ,mein Denken t r a ch t e t nach me inem wahren Va te r .Ich bin wie Horus zur Sei te se ines Erzeugers ,und gedenke des Namens meines Erzeugers .Am Or t , wo man e ine s Namens mi l l i onenma l gedenk t ,vernachlässigt man n ich t den Zus tand .« 8 8

»Weil mein Herz so sehr hängt an dem Zus tand se ines Or tes ,(gemeint i s t das Jensei ts , in das das l iebende Herz des Sohnes hinüber-zudenken befäh ig t i s t )gibt es gegen ihn ke inen Überdruß .Mein Denken t rach te t nach se iner Schönhe i t .« 8 9

Die Taten des Sohnes müssen dem Herzen entspr ingen, wenn sie denVater im Jensei ts erreichen wollen. Die Verbindung zwischen beidenberuht auf der vergegenwärt igenden Kraf t des Herzens, das sich denjenseitigen Zustand des Vaters bewußt hä l t . Die wich t igs te Aufgabedes Sohnes ist das Denken an den Vater im Jenseits, die schlimmste

Sünde ist entsprechend die Jenseits-Vergessenheit , deren dieser Texteingangs die vorangegangene Amarnaze i t bez ich t ig t ha t . 9 0 Der Aus-bau von Abydos, dem hei l igen Zentrum dieser auf den jensei t igen Va-ter gerichteten Sohnes-Pietät, in der 19. Dynastie geschieht aus demWunsch, diese Sünde zu sühnen und Osir is zu versöhnen. Auch dieInschrift, in der Ramses I I . Rechenschaf t ablegt über seine pietätvol-len Sohnestaten für Sethos I . , s teht in Abydos.9 1 Sie beginnt mit derThronbesteigung:

»Es geschah aber nun , daß der Sohn , der fü r se inen Vate r e in t r i t t ,wie Horus , wenn e r fü r Os i r i s e in t r i t t ,der den bau t , de r ihn hervorbrach te ,der den Namen se ines Erzeugers am Leben e rhä l t ,König Ramses I I , de r Her r der be iden Länder , den Thron bes t ieg ,um fü r se inen V at er e inz utre ten im Ja hr e 1 . . .«92

Die Titulatur , d ie Ramses I I . h ier in Abydos und in dieser Inschrif t ge-geben wird, is t durchaus ungewöhnlich: s ie häl t s ich ganz im Rahmen

der Vater -Sohn-Konste l la t ion , d ie s ie a ls e in rez iprokes Verhä l tn is

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ausdeutet. Der Sohn, der se inem Vater Denkm äler er r ichte t , »baut«

ihn un d »br ing t ihn herv or« ( in Form v on Statu en) , so w ie er se lbst

vom Vater gebaut und hervorgebracht wurde .

Die Inschr if t erzähl t dann im weiteren von einer Reise nach Theben

mit Bauarbe i ten und Opfers t i f tungen für Se thos I . , d ie mi t den Sä t -

zen e n d e t :

»Sein Anges icht war f reundl ich gegenüber se inem Erzeuger ,sein Herz war dem zugewand t , de r i hn au fgezogen ha t t e .«93

Im Folgenden wird e ine Reise nach Abydos beschr ieben. Der König

besichtigt die unfer t igen und zers tör ten Bauwerke der Vor fahren, be-

schließt, die Arbe i ten zu vol lenden und beruf t e ine Versammlung e in ,

der er se inen Plan vor t rägt :

»Seht, ich habe euch rufen lassen wegen des Planes, der mir vor Augen steht .Ich habe d ie Bauten im Hei l igen Bezi rk gesehen ( . . . )Die Arbei ten daran s ind unfer t ig gebl ieben se i t der Ze i t ih rer Erbauer .Soll ein Sohn sich auf den Platz seines Vaters stellen,ohne die Denkmäler se ines Erzeugers zu renovieren?Daher sprach ich mi t meinem Herzen:ein schöne Tat is t es , das Vergangene zu vol lenden,wohlgefällig, schön, gut und barmherz igist e in Sohn, der se in Herz se inem Vater zuwendet .

Mein H e rz le i te t mich , Se thos I . W oh l ta te n zu e rweisen ,idi wil l bewirken , daß man in Ewigkei t sag t :>sein Sohn war es , der seinen Namen am Leben erhiel t .Dann wird mich mein Vater Osir is mit e iner langen Lebenszei t segnen.« 9*

Nach e iner langen eulogischen A nt w or t der H öf l in ge w ird d ie A no rd -

nung der Bauarbe i ten ber ichte t . Daraufhin spr icht Rames I I . zu se i -

nem Vater und ber ichte t ihm, was er a l les für ihn getan hat :

»König Ramses I I sprach und melde te , was e r a l les ge tan ha t te ,

seinem Vater , Os i r i s König Se thos I .Er sagte : Wach auf , b l icke zum Himmel , daß du d ie Sonne s iehs t ,o mein Vater Sethos, der nun ein Gott is t !Sieh, i ch ha l te de inen Namen am Leben, ich b in für d ich e inge t re ten . . . « 9 5

Es fo lgt nun e in langer Ber icht über d ie Bauarbe i ten und Opfers t i f -

tungen, der mit der Bitte an den Vater endet, sich nun, da er ein

Gott ist,96 der mit Re und Osir is verkehr t , bei diesen für se inen Sohn

zu v e r w e n d e n :

»Mögest du zu Re sagen: Gib Lebensze i t , e r fü l l t mi t Jubi läumsfes ten , demKönig Ramses .

Es is t gut für dich, wenn ich ewig König bin.Ein guter Sohn is t es , der seines Vaters gedenkt .« 9 7

Daraufhin antwor te t der to te Vate r se inem Sohn »wie e in Vate r auf

Erden mit se inem Sohn spr icht« und sagt :

»Freue dich mein Sohn, den ich l iebe, König Ramses!

Siehe, Re gib t d i r Mi l l ionen Jahre ,

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die Ewigkeit auf dem Horusthron der Lebenden.Osiris erf leht für dich die Lebenszei t des Himmels .

Ich sage zu Re mi t l i ebendem Herzen:Gib ihm die Ewigkeit auf Erden wie Chepre!

Ich wiederhole dem Osiris , wenn ich vor ihn trete:verdopple ihm die Lebenszei t deines Sohnes Horus!

( • • • ) , . .Ich bin erhöht durch alles , was du für mich getan hast ,ich stehe an der Spitze des Totenreiches,ich bin gött l ich geworden und habe meine Vol lkommenheit vermehrt ,

seit dein H er z sich mir zug ew an dt (s ich um mich geküm mert) hat ,

während ich in der Unterwelt bin.

Ich bin dein wahrer Vater, der ich Gott bin,den Göttern zugesel l t im Gefolge des Sonnengottes .

(. . .) . . ,D u aber verbringst e ine lange Lebenszei t , d ie Re dir anbefohlen hat .« 9 8

Die zent ra len Mot ive der ägypt ischen Pietas f inden wir in diesemText wieder: das Herz des Sohnes , das den Hiat zwischen Diessei tsund Jensei ts überbrückt , und den Charakter e ines Bündnisses , e inesVertrags gegensei t igen Füreinander Eint retens , der dieser Vater-Sohn-Konstellation eigentümlich ist .

2. Die myth i sche Fassung der Horus-Kons te l l a t ionWir wol len nun kurz auf den Mythos e ingehen , auf den der NameHorus anspiel t , und mit dem die Ägypter dieser Konstel la t ion vonSohn und to tem Vater e ine urb i ldhaf te Form gegeben haben . Den In-begriff a l le r Sohnes-Pie tä t faß t der Ägypter in der Wendung zusam-men: »was Horus t a t fü r se inen Vater Os i r i s« . Die Kons te l l a t ionselbst aber i s t ä l ter a ls der Mythos und im Totenkul t sei t a l ters ver-ankert, aus dem der Mythos ers t sekundär s inngebend hervorgewach-sen is t . In der Frühzeit t rat der Sohn als er selbst an das Grab desVaters, e twa m i t den Wor t en :

»O mein Vater ,erhebe dich von deiner l inken Seite,leg dich auf deine rechte Seite,nimm dir dieses Brot, das ich dir gegeben habe,

ich bin dein Sohn, dein Erbe!« 9 9

Später aber genügt diese einfache Selbstvors tel lung nicht mehr, um dieKonstellation zu beschwören , in der Vater und Sohn mi te inanderkommunizieren, un d es bedarf der ausdrücklichen Id en t i f ika t ion m i tder mythischen Rol lenver te i lung:

»Erwache, erwache, o mein Vater Osiris!

ich bin dein Sohn, der dich l iebt,ich bin dein Sohn Horus, der dich l iebt.«100

Die Geschichte vo n O sir is , H o ru s un d Isis auf die diese In de nt i f ik at io ne n

anspielen, i s t ausgespannt zwischen zwei Polen, dem Tod des Osir is

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und dem Tr iumph des Horus , a l s zwei entgegengese tz ten Zust ä n d e n ,von denen der zwei te die Aufhebung des ers ten is t .1 01 Die »Mange l -situation« des Anfangs , de ren Überwindung das Thema der Geschichteist, bi ldet das vol ls tändige Tot-se in des Osir is , dessen Leichnam zer-stückelt, in den Ni l geworfen und über ganz Ägypten ver te i l t i s t .Zur Aufhebung dieses ka tas t ropha len Mange ls an Leben bedarf esfünf verschiedener Schrit te , die jeder für sich einen Kristall isations-punkt bi lden für e ine Fül le e igener Mythen, Legenden und hei l igerHandlungen:

I D ie Suche der Isis, die Sammlung und Zusammenfügung de r e in -zelnen Körpe r t e i l e

II Die Beweinung des Leichnams, die ihn soweit wiederbelebt , daßIsis noch e in Kind von ihrem to ten Gat ten empfangen kann, sodaß dieser zwar nicht zum Leben, aber zu dem aufersteht , wasihm die Rol le des »Toten Vaters« an Seinsmöglichkei ten eröff-net.102

II I Die Gebur t und Aufzucht des göt t l i chen Kindes a l s Harpokra tes»Horus-das-Kind« im Verborgenen .1 0 3

IV Die Kämpfe des Horus um das Erbe des Vaters , das er dessenMörder Seth entre ißen muß. Seth is t der Bruder beider El tern,die ja Geschwister sind, kehrt aber in dieser Phase der Geschichteseine Eigenschaf t a l s Mut te rbruder heraus .1 0 4

V D e r Triumph des Horus, der a ls Sieger den Thron beste igt undsich nu n a ls Ha rendo te s , »H orus -de r - fü r - se inen-V a te r -e in t r i t t«mit »l iebendem Herzen« se inem Vate r zuwende t und a l l j enewunderkräftigen Riten des Totenkul t s für ihn ausführ t , d ie zueiner v o l l k o m m e n e n A u fh e b u n g d e s A n fa n g s z u s t a n d s fü h re n . 1 0 5

Die Geschichte erzähl t a lso 5 Stufen der Überwindung zwischen e inem

Ausgangszustand, der a l lem E rzä hl te n vora usl iegt (erst Plutarch sVersion106 verlängert es nach rückwärts in den Bereich des Voraus-

gesetzten und unterscheidet sich dadurch erheblich von den ägyptischenFassungen) un d e inem E nd zus tand , de r h in te r a l lem Er zäh l ten l iegt, un dzwar dadurch, daß e r , wie wi r im fo lgenden Abschni t t ausführ l icherdarlegen werden, das Zie l unausgesetz ter Bemühungen bi ldet , die demägyptischen König tum ob l i egen . D ie se 5 S tu fen de r Übe rwindung fo r -mulieren zugle ich 5 Konste l la t ionen. Osir is is t in a l len präsent : a ls di-

rektes Objekt auf ihn bezogener Handlungen in der 1. (die Suche derIsis) und 5 . (Nachfolge und Totenkul t des Horus) , a l s Dri t te r in denmittleren, von denen die 2. (Beweinung) die beiden Schwestern Isisund Nephthys , d ie 3 . (Gebur t und Aufzucht des Kindes) Is i s und Ho-rus, und die 4 . (de r rächende Kampf um das Erbe) Neffe und Onke l ,Horus und Se th mi te inander verbinde t . I s i s dominie r t in den e rs tenbeiden, Horus in den be iden le tz ten S tufen , d ie mi t t le re verbinde tsie beide zu e iner Konste l la t ion.

Wir haben es hier vor a l lem mit der 5. Stufe zu tun, mit der Kon-

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stellation des toten Vaters und des Sohnes, der f ür diesen Vater ein-tritt, müssen aber auch die 4. miteinbeziehen, denn sie definiert denSohn a l s Rächer und ver le ih t ihm durch d ie Konfronta t ion mi t demMörder und Onkel die Züge eines ägypt ischen Hamlet .

Wir wollen nun aus diesem Mythos drei Punkte herausgrei fen, d ieim Zusammenhang unseres Themas von Bedeutung s ind :(1) Die Vorstel lung, daß der Tod hei lbar i s t , und zwar nicht imSinne einer individuel len (von diessei t igen Bindungen unabhängigen)Auferstehung, sondern durch den Triumph, d . h . den Tod bezwingen-den Sieg des Sohnes, der den Tod des Vaters dadurch rächt , daß ersein Erbe antr i t t und seine Stel le e innimmt.(2) Der Begri ff von Pietät , der diese Aufers tehung im Sohne nicht zu

einem natürl ichen Myster ium, einer geheimnisvol len Unsterbl ichkei tder männl ichen Lebenskraf t macht - darum geht es vielmehr in jeneranderen, der Kamutef oder Oedipus-Kons te l l a t ion - sondern zu e inerSache der Kul tur , des Bewußtseins , des »Herzens«. Der Sohn läßtkraft dieser Pietät den Vater in s ich aufers tehen. Das ägypt ische Wortfür diesen Pietätsbegriff is t das Verbum ND, das in al l diesen Textenständig'wiederkehrt, und das wi r e twas b laß mi t » für j emanden e in-treten« wiedergaben. Wir müssen es je nach Kontext mi t »rächen,

heilen, schützen , bew ahren« überse tzen . N D fa ß t a ll es zusamm en, w asein Sohn unternehmen muß, um den grundsä tz l i ch a l s veränderbaraufgefaßten Zustand des toten Vaters zu verbessern.(3) Der doppel te Bezug dieses Mythos zur Wirkl ichkei t .Auf der al lgemein-menschl ichen Ebene is t d ieser Mythos ein Paradig-ma, das jedes Handeln eines Sohnes für seinen Vater aufs neue ab-bildet. Jede r Sohn hande l t dann »wie Horus« , auch der König , wenner, wie Sethos I . und Ramses II . in al lgemein-menschlichen Bezügen

für seinen leibl ichen toten Vater und Vorgänger eint r i t t . Der Könighandelt aber auch und vor al lem als Horus , und zwar übe ra l l do r t ,wo er als König agiert . Er ist nach ägyptischem Glauben nicht dasEbenbild, sondern d ie unmi t te lbare und le ibhaf t ige Verkörperung desGottes Horus, der im Laufe der Geschichte immer mehr im Sinne desOsiris-Mythos als der Horus der IV. und V. Stufe, d . h . a ls der idealeSohn und Hamlet ausgedeute t wi rd . Hier aber , auf der Ebene desKönigtums, i s t der Mythos nicht Urbi ld , sondern aktuel le Wirkl ich-

keit. Der König bi ldet ihn in seinem Handeln als König nicht ab,sondern se tz t ihn for t . Hier begründet und def in ier t der Myhtos dasägyptische König tum a l s e ine Ins t i tu t ion , der d ie Aufgaben der Soh-nespietät obl iegen, und zwar nicht nur gegenüber Osir is , sondern al -len Göt t e rn . Wi r kom m en dam i t zum 3 . Abschn i t t : de r Horus -Kon-stellation auf der Ebene des Königtums. Kul t und Gesdi ichte werdenin Ägypten auf d ie vom König wahrzunehmende Sohnes-Pie tä t gegen-über den Göt tern zurückgeführt , d ie , überspi tzt ausgedrückt , insge-

samt den »toten Vater« bi lden in der dem kul t i schen Verkehr zwi-

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sehen Mensch und Got t zugrundel iegenden Konstel lat ion, auf der die

offizielle Religion basier t und die ganz nach dem Model l des Toten -

kults gebildet ist .

3. D ie Va ter -Soh n-K ons te l l a t ion auf der Ebene des G öt terk ul t s un d

des ägypt i schen König tums

Seit der 4 . Dyn. führt der ägypt ische König den Ti tel »Sohn des

Sonnengottes«.107 Ungefähr sei t der selben Zei t beginnt die Horus-

gestalt, die s ich in ihm verkörpert , immer mehr im Sinne des Osir is-

mythos ausgedeutet zu werden, als der pietätvol le Sohn kat 'exochen.

In den ägypt ischen Tempeln f inden wir immer nur den König als

Opfernden dargestel l t , auch wenn er diese Rolle in Wirklichkeit an

die lokalen Pries terschaften delegier t hat ; und in al l d iesen Szenenund Texten t r i t t er den jewei l igen Got thei ten als deren Sohn entge-

gen.108 Wir haben hier drei Aspekte des Sohnschaftsdogmas vor uns ,

das im Laufe der geschichtl ichen Entwicklung des ägyptischen König-

tums zum Mi t te lpunkt der Königs ideologie wi rd . E in v ier ter Aspekt

tritt ers t in der 12. Dyn. hinzu: die auf gegensei t ige Erwählung ge-

gründete Vater -Sohn-Beziehung zwischen dem König und e inem be-

stimmten Gott des ägypt ischen Pantheons, die gegenüber dem Myste-

rium- mehr den Bündnis -Charakter d ieser Kons te l l a t ion in den Vor-dergrund stel l t .1 0 9 In dieser mindestens vierfäl t igen Bedeutungsfül le

reguliert das Sohnschaftsdogma nicht nur das kul t ische, sondern das

gesamte off iz iel le V erh al ten des Kö nigs . Al les königliche H an d el n,

als Feldherr , R ich ter , Pr ies ter und vor a l l em Bauherr fo lg t den Nor-

men der Sohnespietät und entspringt dem Wunsch, sich als ein pietät-

voller Sohn zu bewähren. Die Herrschaft des Königs legi t imiert s ich

als ein diesseit iges Eintreten für die Belange Gottes, der sich ins Jen-

seits zurückgezogen und den König als Stel lvert reter auf Erden ein-gesetzt h a t :

»Re hat den K öng auf der Erde der Lebenden eingesetzt,indem dieser den Menschen Recht spricht und den Göttern opfert,indem er die Macht verwirklicht und die Sünde vernichtet.Er gibt den Göttern Opferspeisenund den Toten Totenopfer .«

1 1 0

Der K önig is t in al lem , w as er ex off ic io tut , vo m Sch öpferg ot t selbst

eingesetzt als dessen Stat thal ter . Das »Haus des Vaters«, das der

Sohn in Ordnung hal ten sol l , i s t d ie gesamte Schöpfung, die »Erde

der Lebenden« .

Das vie ldeut ige Sohnschaf t sdogma verb indet den König mi t a l l en

Göttern und auf verschiedene Weise. So kann z. B. in einem anderen,

für unsere Fragestel lung besonders aufschlußreichen Text der mem-

phitische Schöpfe rgo t t P t ah zum Kön ig fo lgendermaßen sp rechen :1 1 1

»Idi bin dein Vater der dich gezeugt als Gottund alle deine Glieder als Götter.

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Ich ve rwa nde l t e mic h in de n Widde r von Me nde s ,und zeugte dich in deiner erlauchten Mutter .Ich bin mir bewußt, daß du es bis t , der f ür mich e in t r i t t ,daß du der jen ig e b is t , de r meinem K A W oh l ta t en e rw eis t .

1 1 2

HIch be t rach te d ich mi t jube lndem Herzen ,ich umfa nge d ic h mi t me ine r Uma rmung a us Go ld ,ich uma rme d ic h mi t Da ue r und He r r s c ha f t ,ich durchdr inge d ich mi t Gesundhe i t und Freude ,ich vermähle d ich mi t Jauchzen und Vergnügen ,Lust, Fröhl ichke i t und Jube l .Ich mache dein Herz gött l ich wie mich se lbs t ,ich erwähle dich, wäge dich, bere i te dich,daß de in Herz un te rsche idungsfäh ig , de in Ausspruch t re f fend se i ,daß da nichts is t , was du nichts weißt .Ich habe d ich vo l lende t , heu te und vormals ,daß auch du a l le Menschen am Leben erhalten mögest durch deine

Unterweisung.113

Ich habe dich a ls König e ingesetz t für a l le Zeit ,als He rrs c he r , de r e wig da ue r t ;ich habe deinen Leib aus Gold gegossen,deine Knochen aus Eisen.Ich habe dir jenes gött l iche Amt gegeben,daß du ,die beiden L än de r a ls K ön ig beherrschest .Ich habe dir den Nil gegebenund d i r d ie be ide n Lä nde r mi t Re ic h tum e r fü l l t ,Nahrung, Spe i s e n und Kos tba rke i t e n , wo imme r du h in t r i t t s t .

1 1 4

Der K ö n i g a n t w o r t e t :

Ich bin dein Sohn, du has t mich auf den Thron gesetz t ,du has t mir de in König tum überwiesen ,du hast mich geschaffen nach deinem Bild ,du has t mir überwiesen , was du geschaffen has t .Ich aber b in es, de r do pp e l t a l le s G ute tu t f ü r de in H erz .

1 1^

I n d i e s e m T e x t t r e t e n a ls A s p e k t e d e r V a t e r s c h a f t n e b e n d e m Z e u -

gungsmyster ium u n d d e r A m t s e i n s e t z u n g a u c h d i e s e g n e n d e U m a r m u n g ,

Erwäh lung u n d U n t e r w e i s u n g a u f , A s p e k t e d es u n t e r w e i s e n d e n V a -

ters, d e r E i n e n a u s w ä h l t f ü r d a s B ü n d n i s , d a s ü b e r D i es s ei ts u n d J e n -

seits h i n w e g g es c hl o ss e n w e r d e n s o l l . I n d e n I n s c h r i f t e n v o r a l l e m d e s

N . R . w e r d e n K ö n i g u n d G o t t ( h i e r h a n d e l t es sic h v o r a l l e m u m d e n

»Reichsgott« A m u n - R e ) n i c ht m ü d e , e i n a n d e r d ie se s B ü n d n i s s e s i m -

mer w i e d e r z u v e r s i c h e r n .

»Mein Name is t : >Der an de r Sp i tze de r Göt te r<,dein Name is t : >Die an der Spitze a l ler Lebenden<

sagt A m u n z u r K ö n i g i n H a t s c h e p s u t ,1 1 6

g e n a u w i e V a t e r u n d S o h n sic h

in d e n T o t e n t e x t e n d e r P y r a m i d e n d es A l t e n R e ic h s i n d i e W e l t h e r r -

schaft t e i l e n .1 1 7

N e b e n d e m » a d o p t i a n i s c h e n « A s p e k t d e s B ü n d n i s s e s

steht d e r » m y t h i s c h e « A s p e k t d e r G o t t e s s o h n s c h a f t P h a r a o s , d e n d i e

Texte n i c h t n u r i n d e r F o r m d e s t r a d i t i o n e l l e n M y t h o s v o n d e r » G e -

bur t d e s G o t t k ö n i g s «1 1 8

e r z ä h l e n , a l s I n t e r v e n t i o n d e s G o t t e s i n d e r

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Rolle u n d G e s t a l t d e s k ö n i g l i c h e n V a t e r s 1 1 9 , s o n d e r n a u c h i n e i n e

Form k l e id e n , d i e m a n a ls V o r w e g n a h m e d e r » P r ä e x i s t e n z - C h r i s t o l o -

gie«120 v e r s t e h e n m u ß :

»Ich bin de in Vater , der de ine Schönhei t geschaf fen ha t ,ich habe d i ch he rvorgebrach t i n Gegenwar t von Schu und Te fnu t ,aber du b is t noch vor ihnen hervorge t re ten aus meinem Leib .Ich habe d ich aufgezogen, a l s i ch aus dem Urwasser hervor t ra t ;bevor ich noch (je ) meinen M un d zu m Sprechen ge öf fn e t ha t teda sagte ich : Er i s t mein Sohn auf meinem Thron,gemäß dem Befeh l de r Gö t t e r .Er is t es der für mich eintreten wird und al les tun wird, was ich sage.Du bis t mein ge l ieb ter Sohn, der aus meinem Leibe kam,mein Ebenbi ld , das ich auf Erden e ingese tz t habe .« 1 2 1

Die E r z e u g u n g v o n S c hu u n d T e f n u t ( » L u f t « u n d » F e u c h t e « ) i st d a s

erste S c h ö p f u n g s e r e i g n i s i n e i n e r n o c h c h a o t is c h e n , r ä u m - u n d z e i t l o s e n

Vor-Wel t :1 2 2 d a m a l s u n d n o c h v o r h e r h a t d e r G o t t se in e n k ö n i g l i -

chen S o h n h e r v o r g e b r a c h t . E s i st k l a r , d a ß d i e se T a t n ic h t d i e h i s t o -

rische P e r s o n A m e n o p h i s ' I I I . b e t r i f f t , d e r n ac h a l l e m , w a s w i r w i s -

sen, a m 7 . J u n i 1 4 0 2 v . C h r . d e n ä g y p t i sc h e n T h r o n b e st ie g . S o n d e r n

dieses e r s t e W o r t , d a s d e r G o t t s p r a c h , n o c h v o r j e n e r g r o ß e n R e d e ,

aus d e r d i e G ö t t e r u n d m i t i h n e n d ie W e l t h e r v o r g i n g e n , 1 2 3 w a r d i e

Idee d e s S o h n e s u n d P h a r a o s , d i e s ic h e r st i n A m e n o p h i s I I I . in g a n -zer R e i n h e i t u n d F ü l l e v e r k ö r p e r t e : e r i st d e r S o h n , d e n G o t t v o r a l l e r

Zeit g e s c h a f f e n h a t , u n d s e in e T a t e n , s ei ne p r a c h t v o l l e n B a u w e r k e ,

sind e s, a n d e n e n d e r G o t t i h n a ls s o l c h e n e r k e n n t .

Betrachten w i r , u m d a s B i l d a b z u r u n d e n , no c h e i ni g e w e i t e r e P r o b e n

aus d e r a r t i g e n V a t e r - S o h n - D i a l o g e n z w i sc h e n G o t t u n d K ö n i g :

Ramses I I I . s a g t z u A m u n :

»Ich bin de in Sohn, aus d i r b in ich hervorgegangen,

du hast mich als König eingesetzt , a ls ich noch im Ei war«1 2

*und d e r G o t t a n w o r t e t :

»Du bis t e in Sohn, der se inem Vater wohlgefä l l ig i s t ,der ihn s ich ins Herz gibt .« 1 2 5

Das H e r z s p ie l t a u c h h i e r d i e R o l l e , d i e w i r i m T o t e n k u l t a n g e t r o f f e n

haben :

»o mein Vater , i ch b in König auf de inen Befehl ,o mein Herr , mein Herz i s t auf de ine Pläne ger ich te t Tag für Tag,seit d u m i c h e r w ä h l t e s t u n t e r H u n d e r t t a u s e n d e nzum König und Her r sche r de r be iden Ufe r ,als du mich f andes t a l s K ind an de r Mut t e rb rus t .Du has t mich fes tgese tz t auf de inem T hr on ,ich ver lasse mich ganz auf de ine Kraf t ,denn ich b in mir der S tärk e de ines Arm es b ew uß t .Ich hand le fü r d i ch mi t l i ebendem Herzen ,um de in H au s , de inen Tem pe l zu ve r so rgen . « 1 2 6

In e i ne m H y m n u s R a m s e s ' I I I . a n A m u n - R e h e i ß t es e i n m a l :

»Wer >mein Vater< zu dir sagt , der is t Herr über die neun Bogen!« 1 2?

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Daraus wird zweier le i k lar : e inmal , daß nur e in K önig zu Got t »Va-ter« sagen kann, und zwei tens , daß dem König , der zu Amun-Re»mein Vater« sagt , d . h . s ich Amun-Re zum Vater erwähl t , d ieserGott den Sieg über die Feinde (die »neun Bogen«) schenkt. Das Bünd-

nis der Got tessohnschaf t , das Got t und König mite inander e ingehen,verpflichtet aber n icht nur den König zu Treue , Gehorsam und jenemganzen P ro g ra mm v o n Ha n d lu n g e n , d a s i n d e m Ve rb u m ND, d e mägyptischen Pietätsbegriff beschlossen l iegt , es verpfl ichtet auch denGott. Im Gedicht auf die Schlacht von Qades is t auch das Stoßgebetenthalten, das Ramses II . an Amun-Re gerichtet hatte als er s ich al leinvon fe ind l ichen Truppen umr ing t sah :

»Wasist das, mein Vater Amun?Hätte ein Vater jemals seinen Sohn vergessen?

Die Taten, die ich vollbracht habe, wären sie ohne dich geschehen?Bin ich nicht vorgegangen und still gestanden auf dein Wort?Niemals habe ich die Plän e übertreten, die du beschlossen h a s t . . .«

1 2 8

Zugleich zeigt uns dieser Text deutl ich genug, daß die Gottessohn-schaft keine Rol le war , d ie der König nur im Kult sp ie l te - s ie um-faßte d a s g a n z e Kö n ig tu m.Wir müssen nun f ragen, was d iese Konzept ion des Königtums a lseiner E rfü l lun g vo n Sohnespf l ich ten fü r den ägyp ti schen Go t tesbe-griff bedeute t . Haben wir es h ier mit e iner Vater-Rel ig ion, gar miteiner R eligion des »toten V aters « zu tun ? M u ß m an nicht diesenSchluß z iehen , wenn d ie Bez iehung von Sohn und Va te r im Toten-kult das Grundmode l l abg ib t fü r a l le Re l ig ion und Königsher rschaf tin Ä g y p t e n ?Die Sohnschaf t des Königs rea l is ier t zunächst und vor a l lem den Un-

terschied zwischen Mensch und Gott , Diesseits und Jenseits . Grenzenwerden gezogen und zug le ich Formen der Vermi t t lung ge funden . Mo-dell dieser Vermitt lung zwischen Diesseits und Jenseits is t der Toten-kult. Durch den König wi rd Got t zum Vate r , und das he iß t : zug le ichentrückt und zugängl ich . Got t schaff t s ich im König e inen Sohn undstiftet auf diese Weise ein Band zwischen sich und der Welt , der ersich en t rück t ha t .Als Vater des Königs is t Got t verborgen und der Welt nur über e inenMittler zugänglich, dessen auch er s ich bedient , um seine Herrschaftim Diesseits auszuüben. Und er is t zweitens als Vater des Königs einpersönlicher Got t , de r Gebo te aufs te l l t und Gehorsam fo rder t , de rRatschlüsse t r i f f t und für d ie Welt sorgt . Tei l t aber d ieser Got t , wennman auf d ie P ie tä t der Könige b l ickt , ihr unabläss iges Eintre ten fürden göt t l ichen Vater , n icht auch d ie Bedürf t igkei t des to ten Vaters ,die jenseit ige Mangelsi tuation, der das diesseit ige Eintreten des Soh-

nes Abhi l fe schaf f t?Nein: es geht zwar auch h ier um die Aufrechterhal tung der Wechsel-beziehung von Diesseits und Jenseits - soweit reicht die Parallele

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zum T ot en ku lt - abe r es sind nicht die G öt ter , d ie davon leben, son-dern die Menschen.Wenn dieses Band abrisse, würde geschehen, was der Ägypter in derAmarnazeit e r f ah r en u n d f o l g en d e r m aß en f o r m u l i e r t h a t :

»Das Land machte eine Krankheit durch.Die G ötter hatten sich von diesem Land abgewendet.Wenn ein Heer nach Syrien geschickt wurde um die Grenzen Ägyptens zu

erweitern, konnte es nichts ausrichten.Wenn man einen Gott bat, von ihm sich Rat zu holen, kam er nicht.Denn sie waren an ihren Kulten geschädigt.« 12 9

Nicht die Göt ter , sondern das Land, d ie Kul tur , d ie ägypt i sche Ge-sellschaft würden dabei zugrundegehen. Eine ägypt i sche Sentenz sagt :

»Wenn man die Opferbrote der Götter schädigt,dann gehen Millionen Menschen zugrunde in diesem Land.« 13"

Die Gestal t des Ketzers Echnaton hat in der Geschichte des Sohn-schaftsdogmas eine besondere Rolle gespiel t . Vieles spr icht dafür , daßdieser König seine rel igiöse Revolut ion im Zeichen einer ins Wahn-hafte übers te iger ten Form dieses Dogmas verkündet ha t .1 3 1 Er h a tsich offenbar mi t der ihm durch das Königtum aufer legten Rol le ineiner ganz realen und persönl ichen Weise ident if izier t und al les r igo-ros abge scha f f t , wa s zu d ieser persönl ichen V ater -Sohn -Bezieh ung mi tder Gotthei t n icht passen wol l te : d ie Vie lhei t der Väter und Müt ter ,die V ieldeu t igkei t der Soh nscha ftsbeziehu ng, die Deleg at ion dieserEigenschaft, die für ihn ja ke ine Rol le mehr war und kein Bündnis ,sondern wesensmäßig , an Pr ies ter . Für ihn konnte es nur e inen Got tgeben, weil es nur einen Vater gibt , und nur einen Propheten, demdieser Gott s ich of fenbar te . Dieser Eine Got t konnte nur d ie Sonnesein, der Inbegriff al les Einzigen, die Quel le des al les hervorbr ingen-den Lichts. Daß im Ägyptischen die Worte für Sonne (»Aton«, r icht i -ger Jat i ) und Vater bzw. »mein Vater« ( jat bzw. jat i ) gleich lauten,mußte dem König a ls d ie le tz te Bestä t igung dieser Offenbarungen er -scheinen.131 Jedenfal ls machen die Texte sehr viel aus diesem Wort-spiel.

Gott is t die Sonne (Jat i ) und offenbart s ich im König als »mein Va-ter« (Jati) , anders gesagt: Gott ist kosmisch, das Licht als allesher-

vorbringender Urgrund des Seins , und n immt in der Vater -Sohn-Konstellation, die er mit dem König eingeht , die personalen Zügedes Vaters an . Die Jensei t igkei t oder Transzendenz d ieses Vaters be-steht in seiner kosmischen Impersonal i tät , die ihn, wie die Texte im-mer wieder betonen, den Augen der Menschen zugle ich of fenbar t undverbirgt. In der Welt is t er als Licht , nur im Herzen des Königs ister a l s Per son anwesend :

»Bist du gegangen, und es ist kein Auge mehr da, dessen Sehkraftdu geschaffen hast, damit du dich nicht selbst sehen müßtest,allein als einziges deiner Geschöpfe,

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dann bis t du doch in meinem Herzen, und ke in anderer kennt d ich ,

außer de inem Sohn Echna ton ,

den du deiner Pläne has t kund ig werden l a s sen und de ine r Kra f t . «1 3 3

In der A m arna -Re l ig ion haben wir e ine Va ter-Re l ig ion re ins ter Aus-

prägung vor uns. Als Gott is t die Sonne Vater und nichts als Vater,und zwar nicht absolut , wie die römischen Götter , und auch nicht in

Bezug auf die Menschheit insgesamt oder gar die, die an ihn glauben

(an die Sonne kann man nicht glauben), sondern in Bezug auf den

Einen Sohn, welcher der König ist - Vater also im Sinne der beson-

deren Konstel lat ion, die uns hier beschäft igt . In dieser einen Kon-

stellation, und das heißt : in der Gestal t des Königs, Sohnes und Mit t -

lers s ind daher d ie personalen Züge der Got the i t vere in ig t . 1 3 4

Darin wird zugleich auch der Unterschied zur t radi t ionel len polythei-stischen Rel ig ion s ichtbar . Im Polytheismus s teht zwar der König ge-

genüber den Göt t e rn , dem Sonnengo t t , dem e rwäh l t en und e rwäh-

lenden Got t und dem Totengot t Osi r i s in den Bindungen der Sohn-

schafts-Konstellation, die Götter aber stehen ihrersei ts untereinander

in einer V ielfa l t vo n K ons tel lat ion en, wie sie sich in M yth en en tfa l ten ,

und sind fern davon, ihre personalen Aspekte al lein in Bezug auf den

königlichen »Sohn« zu def in ieren . Auch wenn der König ihnen a ls

»Sohn« gegenübertri t t , erschöpft sich ihr Wesen doch nicht in der kor-respondierenden V ate rro l le dieses Bündnisses, auf dem die off iziel le

Religion und d ie Königsideologie beruhen.

2. D i e » K a m u t e f -K o n s t e l l a t i o n

Abschließend möchte ich nun noch kurz e ingehen auf jene Kamutef-

oder Oedipus-Konste l la t ion , d ie in mancher Hinsicht das Gegenstückzur H oru s-K on ste l la t ion b i lde t , auch wen n s ie ursprüngl ich mi t jener

vermutlich nicht das geringste zu tun hat, da sie erstens wesentlich

älter zu sein und zweitens aus dem Bereich astraler Mythen, also aus

ganz anderen Ursprüngen hervorgegangen zu se in schein t . Die Ver-

bindung beider zu e iner komplementären Opposi t ion hat jedoch be-

reits die ägypt ische Königstheologie zuwege gebracht , die auf zwei

Dogmen basier t . Das e ine i s t das im vors tehenden erör ter te Sohn-

schaftsdogma, das sich erst ve rhä l tnis m äß ig spä t im Lauf der G e-schichte nach dem M odel l des To tenk ul t s ausgebi lde t ha t . D as and ere

ist das Inkorpora t ionsdogma, das j eden König a l s Verkörperung des

Gottes Horus e rk lä r t und in wohl kaum mehr e rg ründ l i che T ie fen

der ägyptisch-afrikanischen Vorgeschichte hinabreicht , ohne sich jedoch

für ägypt i sches Denken mi t dem später h inzugekommenen Sohn-

schaftsdogma zu widersp rechen . Das Inkorpora t ionsdogma aber be -

ruht auf der Kamutef-Konste l la t ion . Mi t d iesem Dogma f ix ier te der

Ägypter die überze i t l ichen und über indiv iduel len Aspekte des König-

tums, die wir heute in dem Begri f f der »Inst i tu t ion« zusammenfas-

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sen w ürden . Ins t i tu t ionen s ind e twas Abst rak tes und bes i tzen e ineandere Zeit l ichkei t a ls die Individuen, die sie verkörpern. Das Mit te l-alter ordnete sie dem aevum zu und ste l l te s ie mit den Engeln aufeine Stufe. Der Ägypter dachte die spezif ische Unsterbl ichkei t desKönigtums im inst i tu t ionel len Sinne als die Konstel la t ion eines Got-

tes Horus , der s ich in e inem unendl ichen Zyklus von Verkörperungenin e inem weib lichen K om plem ent , der G öt t i n I si s, im me r wiede rselbst h e r v o r b r i n g t .Das Sohnschaf tsdogma ordnet das Diessei ts , d ie Menschhei t in ihremExponenten, dem König , den jense i t igen Göt te rn zu . Das Kamutef -Modell anderersei ts verbindet das Gött l iche als e twas Uberwelt l ichesund Außerzei t l iches mit der Welt der Erscheinungen. Die Vater-Sohn-Konstellation is t vom Sohn aus gedacht und bindet rückwärts ge-wandt d ie Gegenwar t und Zukunf t an d ie Vergangenhe i t . D ie Ka-mutef-Konstellation i s t vom Vater aus gedacht und b indet e twasÜberzeitliches und Immater ie l les an e ine in d ie Zukunf t fo r t schre i ten-de Gegenwar t . Beide formul ie ren e inen Begr i f f von Kont inu i tä t , d ieeine a ls Pie tä t , a l s e in Handeln in Veran twor tung vor dem Vergange-nen, die andere aber a ls Unsterb l ichkei t .Daß es bei der Kamutef-Idee le tz tendlich um den Ausdruck einerUnsterblichkeitssehnsucht geht, zeigt sich aufs klarste in der dominie-renden Rolle , d ie s ie in den Totentexten spiel t . Auch hier , in denVorstellungen von der Seinsweise des Toten, verbinden sich die bei-den Kons te l l a t ionen »Kamute f« und »Horus« zu e ine r komplexenEinheit. Der Tote is t a ls Osir is sowohl Träger der Rolle des totenVaters und als solcher jenseitig auf einen diesseitigen Sohn bezogen,als auch Par tner e iner Kamutef -Konste l la t ion , d ie e r mi t der Him-mels- und Mut tergo t the i t Nut e ingeht . Als Osi r i s im Sinne des to ten

Vaters bleibt er dem Diessei ts zugleich entrückt und verbunden, a lsOsiris im S inne des Sohn-Ga t t en de r Mut te rga t t in Nu t gewinn t e rdie spezif isch ägyptische Unsterbl ichkei t e ines im zyklischen Wandelder Wiedergeburten mit s ich selbst ident isch bleibenden Wesens. Durchdiese Deutung des Todes a ls Vere in igung mi t der Mut te r wird d ie Le-benslinie zur Kre isbahn umgebogen und auf d iese Weise d ie Unend-lichkeit der bewegenden Lebensenerg ie garan t ie r t . 1 3 5

Auch die Kamutef-Idee hat , a l lerdings sehr viel weniger deut l ich, ihr

Korrelat auf der menschlichen, »alltagsweltl ichen« Ebene, nämlich indem t ie f e ingewurze l ten Glauben , daß der Vater im Sohn wei te r leb t .Dies is t es , was wir oben als das »natür l iche Myster ium« der Vater-schaft bezeichneten. Der Vater sagt zu dem Sohn, den er durch dieUmarmung als echtbürt ig anerkennt: »Das bin ich!«, 136 und ein inÄgypten häuf iger Personenname lau te t »Der se inen Vater wieder -bringt«. Genauer gesagt glaubt der Vater wohl nicht selbst im Sohneweiterzuleben, sondern in Gesta l t e ines be iden Gemeinsamen, Über -

individuellen und Immater ie l len , das von ihm auf den Sohn übergeht .

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Auf der königl ichen Ebene is t das der Got t Horus, auf der Ebene derallgemeinen al tägypt ischen Anthropologie is t das der KA. 1 3 7 Es istdasselbe Wort wie KA »St ie r« , das wi r in der Verbindung Kamutef»Stier seiner Mutter« antreffen, und bezeichnet wohl ursprüngl ich soetwas wie Zeugungskraft im Sinne e iner »bewegenden Lebensenergie«,die sich in zykl ischen Verkörperungen vom Vater auf den Sohn fort -pflanzt. In geschichtl icher Zeit werden diese Vorstellungen stark ver-geistigt. Wir haben bere i ts die Ste l le bei Ptahhotep kennen gelernt ,der lehrt , daß nur »der Sohn, der auf deine Lehre hört« e in Kind is t ,»das dein KA dir gezeugt hat«. 1 3 8 Das Vate r und Sohn Gemeinsame,das ihre Kommunika t ion über d ie Todesgrenze h inaus e rmögl icht , dassich in be iden verkörpernde Über individue l le , wi rd aus dem Bere ichdes Samens (KA: Stier) in den Bereich des »Herzens« ausgeweitet , denBereich der Sprache , de r Zeugung durch Mund und Ohr , d ie das denTod übe rdaue rnde Bündni s s t i f t e t .Dieser vergeis t igte KA-Begriff , a ls e in Bündnis und geis t iges Band,gewinnt im Osir is-Mythos Gesta l t , dessen auf dem Schabaka-Ste infestgehaltene Version mit den Worten schl ießt :

»Sein Sohn Horus erschien als König von Ober- und Unterägypten in denArmen seines Vaters Osiris«13^

»in den Armen«: das i s t de r Ges tus , den d ie KA-Hieroglyphe dar-stellt.

140 Der Sohn, der die Stelle seines Vaters einnimmt (d. h. dessenüberindividuellen Aspekt a l s Amts t räger verkörper t ) und se inem jen-seitigen Vater mi t l i ebendem Herzen verbunden b le ib t , wi rd von demschützenden Segen des Vate rs wie von e iner Umarmung umfangen. 1 4 1

Erinnern wir uns in d i e sem Zusammenhang de r »Umarmung vonGold«, mit der der Got t Ptah se inen königl ichen Sohn gesegnet hat . 1 4 2

Die Umarmung i s t d ie Veranschaul ichung e iner rez iproken Bez iehung.Dem Vate r we rden in d i e se r Umarmung den Tod übe rwindende Le -benskräfte zugeführ t . In e inem sehr a l ten Myste r ienspie l sagt Horus :»Ich ha l te d iesen meinen Vate r in meiner Umarmung, de r müde ge-worden i s t , damit er wieder gesund wird.« 1 4 3

Beide, V ate r un d Sohn , z iehen aus dieser über die To desgre nzehinübergreifenden Kommunion im KA e inen Gewinn , den da s Ägyp-tische mit dem Wor t ACH ausdrück t . 1 4 4 »ACH is t e in Vater für se i -nen Sohn, ACH is t e in Sohn für se inen Vater« heißt es in e inem To-tenopferspruch.145 ACH für den A ton (was genauso k l ing t w ie »ACHfür meinen Vate r«) i s t d ie Bedeutung des Namens Echna ton, de r , wiewir sahen, se ine gesamte Rel igion auf der königl ichen Vater-Sohn-Konstellation a u fb a u t e .1 4 6 ACH beze ichne t auch d ie Exis tenzform desseligen Toten, den Zustand, in den es die Mangelsi tuat ion des totenVaters zu verwande ln g i l t .1 4 7 Diese Ve rwandlung ve rmag d i e P i e t ä tdes Sohnes zu bewirken.Der KA-Begri f f beze ichne t den Schni t tpunkt der be iden Konste l la -

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tionen, in denen wir das Ph änomen VATER be t r ach te t haben : de r

Beziehung des Sohnes zum toten Vater , wie s ie der Osir is-Mythos er-

zählt, und de r Kamute f -Kons te l l a t ion . Das Kamute f -Mot iv z ie l t au f

den KA als eine immater iel le und unsterbl iche Größe, die s ich immer

wieder verkörper t in der Ket te der Genera t ionen , d ie Vater -Sohn-

Konstellation ziel t auf den KA als eine überindividuelle , die Genera-tionen um spannende Größe , d ie e ine K om m unik a t ion vo n Va te r u nd

Sohn über die Tod esgrenz e hinaus ermöglicht un d auch den C ha ra k -

ter eines geis t igen Bandes , eines im »Herzen« verankerten Bündnis-

ses a n n e h m e n k a n n .

Im ägyptischen Begriff des KA scheint nun, wie wir vorbehalt l ich

einer neuerlichen Untersu chu ng dieses schwier igen Be griffs nu r an de u-

ten kön nen, a lles zusam m eng efaßt , w as den in tens ionalen Bedeu-

tungsgehalt des ägyptischen Vater-Bildes ausmacht . Denn KA heißt(1) »Stier« - der Vater als Erzeuger

(2) »Nahrung« - de r Va te r a l s Ernähre r

(3) »Geis t , Wil le , Unterscheidungsvermögen« - der Vater als Erzieher

KA i s t der Inbegr i f f a l le r zeugenden Lebenskräf te , d ie vom Vater

auf den Sohn und von den Göt tern auf den König und von ihm auf

die menschliche Gesel lschaft übergeh en - der Inbeg riff der Pa te rn al i -

tät.