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Atomwaffenarsenale
Die USA haben die Atombombe als Erste bis zu Einsatzfähigkeit entwickelt. 1945 starben auf Befehl des
amerikanischen Präsidenten Truman innerhalb von wenigen Minuten 86.000 Menschen und der größte Teil der
Stadt Hiroshima wurde zerstört. In Kenntnis dieser furchtbaren Auswirkungen wurde drei Tage später eine
zweite Atombombe auf Nagasaki geworfen. Auch danach wurde in vollem Bewusstsein der katastrophalen
Auswirkungen dieser Waffe die Entwicklung von den USA nicht eingestellt. In Anbetracht der Erfahrung, dass
die USA nicht gezögert hatten, auch die zweite Atombombe auf Nagasaki abzuwerfen, obwohl es dafür keine
militärische Notwendigkeit gegeben hatte, reagierte die Sowjetunion mit der Entwicklung einer eigenen
Atombombe, die vier Jahre später eingeführt wurde. Im Kalten Krieg erlebten wir dann eine gefährliche
Eskalation des nuklearen Wettrüstens. Beide Seiten modernisierten ihre Atomwaffenarsenale, wobei eine
genauere Betrachtung zeigt, dass die USA.
Seitdem gehört der Kampf für die Abschaffung aller Atomwaffen zu den zentralen Zielen der Friedensbewegung
in allen Ländern der Welt. Es konnten zumindest Abkommen zur Begrenzung atomarer Rüstung erzielt werden.
Im Atomwaffensperrvertrag aus dem Jahr 1970 verpflichten sich die Vertragsstaaten „in redlicher Absicht
Verhandlungen zu führen über wirksame Maßnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher
Zukunft und zur nuklearen Abrüstung sowie über einen Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung
unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle.“
Wir sind Zeuge einer neuen Eskalationsspirale
Das Gegenteil ist der Fall. Obwohl der Einsatz dieser Waffen die gesamte Existenz der Menschheit
bedroht, werden wir heute wieder Zeuge einer neuen atomaren Eskalationsspirale. Dabei bekommt das
Atomwaffenarsenal durch Modernisierung und Weiterentwicklung in Richtung auf kleinere und flexiblere
Einheiten eine neue Qualität. Dies könnte die Hemmschwelle für ihren Einsatz senken und erhöht damit enorm
die Gefahr eines tatsächlichen atomaren Krieges.
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Im Juli 2016 bestärkte der NATO-Gipfel in Warschau einmal mehr eine Politik der Konfrontation und der
militärischen Stärke an der russischen Westgrenze, die auch eine atomare Aufrüstung einschließt. In der
Warschauer Erklärung heißt es, vor allem die Atomwaffen der USA stellten die „wichtigste Garantie für die
Sicherheit der Verbündeten“ dar. Die verantwortlichen Politiker rechtfertigen dies mit notwendiger
Abschreckung gegen die atomare Aufrüstung in einem zum Atomkrieg bereiten Russland. Eine genauere
Betrachtung zeigt, dass wiederum die USA lange vor der Ukraine-Krise die ersten Schritte in das neue atomare
Wettrüsten getan haben. Denn bereist der Beschluss zur Stationierung des Raketenschirms von 1999 war die
Basis für eine neue Asymmetrie und damit der Beginn der neuen atomaren Aufrüstungsspirale. Die russische
Antwort wurde in Kauf genommen. Es ging dabei nicht mehr um Systemkonkurrenz, sondern um die
Absicherung der neuen globalen Vormachtstellung der USA mit allen Mitteln.
Die US-Strategien für ein atomares Inferno
„No-Rivals-Plan“ 1992
Schon 1992, kurz nach dem Untergang der Sowjetunion, veröffentlichte die New York Times Auszüge aus einer
neuen strategischen Leitlinie des Pentagon mit dem bezeichnenden Namen "No-Rivals-Plan": "Unser Ziel ist es,
den Aufstieg eines globalen Rivalen zu verhüten ... wir müssen unsere Strategie jetzt darauf konzentrieren, dem
Aufstieg jedes möglichen Konkurrenten globaler Dimension zuvorzukommen."
Weitere atomare Aufrüstung gehörte allerdings zunächst nicht zu den Mitteln, mit denen die neu gewonnene
Vormachtstellung verteidigt und ausgebaut werden sollte. 1993 wurde unter der Clinton-Regierung die teure
Produktion von atomaren Sprengköpfen eingestellt und der US-Kongress hat Wünsche des Militärs nach
besonders kleinen Atomwaffen mit möglichst geringem Kollateralschaden in den nächsten Jahren wiederholt
gestoppt.
Die Nuklearstrategie der USA von 2002
Aber 10 Jahre später unter George Bush bekam dann auch die Atompolitik einen Platz in der Absicherung der
neuen Vormachtstellung. Eine neue Strategie für den Einsatz von Atomwaffen (Nuclear Posture Review) von
2002 bezog erstmals einen tatsächlichen Einsatz von Atomwaffen ins Kalkül mit ein. Sie sah zwar vor, eine
große Zahl nuklearer strategischer Offensivwaffen mit großer Reichweite aus dem Verkehr zu ziehen (ohne sie
wirklich zu zerstören!), hob aber den zehn Jahre alten Bann zur Entwicklung und Produktion von kleineren,
zielgenaueren Waffen mit geringerer Reichweite auf. Mit diesen Mini-Nukes und bunkerbrechenden
Atombomben, die immer noch eine Sprengkraft bis zum 6fachen der Hiroshima-Bombe besitzen, sollten nach
der neuen Strategie "begrenzte Atomkriege" tatsächlich geführt und gewonnen werden können.
Prompt Global Strike (umgehender, weltweiter Schlag)
Dieses Rüstungsvorhaben der USA von 2003 sieht den Einsatz von unkonventionellen, nichtnuklearen
Hyperschall-Sprengköpfen vor, die vom US-Territorium aus jedes beliebige Ziel auf der Erde binnen einer
Stunde treffen sollen. Sie können dabei auch Raketenabwehrsysteme umgehen und Nuklearstreitkräfte
entwaffnen. Erste Tests mit diesen Hyperschall-Systemen verliefen zwar bisher nicht erfolgreich. Das Vorhaben
zeigt aber, dass die Orientierung auf militärische Überlegenheit weit älter ist als die wachsenden Spannungen
zwischen den USA und Russland und erst recht als die Ukrainekrise.
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"Doktrin für vereinte Nuklearoperationen" 2005
Ein weiteres Strategiepapier mit dem Titel "Doktrin für vereinte Nuklearoperationen" erlaubte 2005 dann sogar
den Ersteinsatz taktischer Atomwaffen selbst gegen Nicht-Atomwaffenstaaten. Dies sollte erlaubt sein z.B. bei
dem Verdacht, dass der Gegner biologische oder chemische Massenvernichtungswaffen besitzt (der Irak-Krieg
zeigt, wie ein solcher Verdacht konstruiert werden kann), aber auch als letztes Mittel zur Bekämpfung
überlegener feindlicher konventioneller Streitkräfte. Der Entwurf war kurzfristig im Internet einzusehen, wurde
aber vom Pentagon schnell zurückgezogen.
Nuklearstrategie der USA "Nuclear Posture Review" 2010
Unter dem Friedens-Nobelpreisträger Obama wurde 2010 eine weitere Atomwaffenstrategie veröffentlicht, die
als Ziel eine nuklearwaffenfreie Welt angab, allerdings nur für eine ferne Zukunft. Für die Gegenwart wurde
auch in dieser Strategie an der Option eines Nuklearwaffeneinsatzes festgehalten, um "unter extremen
Umständen die vitalen Interessen der USA, ihrer Verbündeten und Partner zu verteidigen". Auch Obama war
nicht bereit zu garantieren, dass die USA niemals als erste Atomwaffen einsetzen. Die USA garantierten damals
lediglich Ländern, die keine Atomwaffen besitzen, Vertragsparteien im Atomwaffensperrvertrag sind und ihren
Vertragsverpflichtungen nachkommen, sie weder mit Atomwaffen zu bedrohen, noch welche gegen sie
einzusetzen.
NATO-Strategie für den Einsatz von Atomwaffen
Auch die NATO arbeitete 2008 in ihrem Strategiepapier „Towards a Grand Strategy for an Uncertain World“
(etwa: Zu einer Gesamtstrategie für eine unsichere Welt) an Szenarios für den Ersteinsatz von
Atomwaffen. Das Papier sieht eine Eskalationsstrategie bis zum Äußersten vor. Selbst der Ersteinsatz von
Atomwaffen gegen Staaten, von denen keine entsprechende Bedrohung ausgeht, ist vorgesehen, wenn die
Interessen der NATO -Staaten anders nicht durchzusetzen sind. Nach Klaus Naumann, einem der 5 Autoren,
muss die NATO zeigen, „dass es einen großen Knüppel gibt, den wir eventuell benutzen müssen, wenn es keine
andere Option gibt.“ (The Guardian, 22.1.2008). Robert Cooper, Mitarbeiter von Javier Solana, dem Hohen
Beauftragten für die Außen- und Sicherheitspolitik der EU, plauderte gegenüber dem Guardian aus, dass es sich
dabei nicht um bloße Gedankenspiele handelt: "Vielleicht werden wir eher als alle anderen Atomwaffen
einsetzen, aber ich würde mich hüten, das laut zu sagen."
Die US-Aufrüstungsprogramme
Entsprechend der erneuten Orientierung auf Atomwaffen als Mittel der Abschreckung wie auch als taktische
Einsatzwaffe wurde ein umfangreiches Modernisierungsprogramm des Atomwaffenarsenals eingeleitet. Es
besteht aus see-, land- und luftgestützten Systemen, welche aus den eigentlichen Atomsprengköpfen und den
erforderlichen Träger- und Abschuss-Systemen zusammengesetzt sind. Alle drei Systeme werden nun
„modernisiert“ und dabei in vielen Fällen mit vollständig neuen Teilen versehen oder durch zielgenauere Typen
ersetzt. Das Ergebnis ist eine neue Qualität von Atomwaffen.
Ab 2003 wurde zunächst die atomare Infrastruktur (also Entwicklungslabors, Produktionsstätten und
Testanlagen) wieder ausgebaut und modernisiert. Beispielsweise wurde das Atomwaffen-Testgelände in Nevada
mit 25 Millionen Dollar auf den aktuellen technischen Standard nachgerüstet. Weitere Beispiele sind die
„Chemie und Metallurgie Forschung Replacement (CMRR) Plutonium-Anlage“ im Los Alamos National
Laboratory, New Mexico oder die Uran-Processing Facility (UPF) in Oak Ridge, Tennessee etc..
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Ab 2010 wurde dann auch unter Obama die mit Russland vertraglich vereinbarte Reduzierung des
Atomwaffenarsenals verlangsamt und stattdessen deutlich mehr Geld für die umfassende Modernisierung der
Atomwaffen zur Verfügung gestellt:
Schon für 2010 waren im US-Militärhaushalt 16,5 Milliarden US-Dollar für die Modernisierung der
Nuklearwaffen, u.a. für die Entwicklung von „Mini-Nukes“ vorgesehen.
2011 wurden 7 Milliarden Dollar in die technische Erneuerung der Sprengköpfe und in verschiedene
Trägersysteme von U-Booten bis zu landgestützten Raketen investiert.
Seitdem geben die USA jährlich mehr als 33 Milliarden Dollar für die Unterhaltung und
Modernisierung ihres Atomwaffenarsenals aus. Aktuelle Schätzungen für die Kosten der
Modernisierung innerhalb der nächsten 30 Jahre bewegen sich nach SIPRI-Angaben zwischen 355 Mrd.
und 1.000 Mrd. Dollar. SIPRI nennt allein 348 Milliarden Dollar für die Zeit von 2015 – 2024.
Landgestütztes System: Interkontinentalraketen und atomare Sprengköpfe
Die USA verfügen derzeit über 450 landgestützte Interkontinentalraketen vom Typ Minuteman III mit jeweils
einem Atomsprengkopf. Sie sollen aus finanziellen Gründen zunächst modernisiert und erst ab 2028 durch ein
Nachfolgemodell abgelöst werden. Eine Studie der RAND Corporation von 2014 bezifferte die Kosten für eine
Modernisierung der Minuteman-Raketen auf 60 bis 90 Milliarden Dollar, für die Entwicklung und Beschaffung
eines neuen Silo-gestützten Raketentyps dagegen auf 84 bis 125 Milliarden Dollar. Aber schon über die
Modernisierung wird die Minuteman 3 zielgenauer und Verbesserungen der Trägersysteme und
Flugeigenschaften machen sie auch „überlebensfähiger“ beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre.
Schritt für Schritt sollen auch die atomaren Sprengköpfe modernisiert werden. Drei Sprengkopftypen für
ballistische Raketen und zwei für luftgestützte Atomwaffen sollen langfristig alle bisherigen Kernwaffentypen
ersetzen.
Seegestütztes System: U-Boote, Trident-Raketen und atomare Sprengköpfe
Dieses System aus U-Booten, die nicht so leicht zerstört werden können wie landgestützte Silos, Raketen und
atomaren Sprengköpfen bildet die Hauptstütze der nuklearen Abschreckung der USA.
Die seegestützten Trident-Interkontinentalraketen werden von 12 U-Booten der USA und weiteren U-Booten
Großbritanniens aus eingesetzt. Die USA planen, für ca. 96 Mrd. US-Dollar bis 2035 jedes dieser U-Boote durch
eine Neu-Entwicklung zu ersetzen, die mit jeweils 16 Trident-Lenkwaffen bewaffnet werden kann. Eine der
ersten Abstimmungen im britischen Unterhaus unter der neuen britischen Premierministerin Theresa May betraf
die Modernisierung des britischen Anteils an diesem Atomwaffenarsenal. Mit 472 zu 117 Stimmen beschlossen
Großbritanniens Abgeordnete im Juli 2016 den Bau von neuen U-Booten für die Trident-Raketen für 31
Milliarden Pfund, obwohl noch im Februar 2016 in London 300.000 Menschen gegen dieses Vorhaben und für
die weltweite nukleare Abrüstung demonstriert hatten. Auf die Frage hin, ob sie denn bereit wäre, einen
nuklearen Angriff zu starten und 100.000 unschuldige Menschen zu töten, antwortete May mit einem „Yes“
https://www.euractiv.de/section/eu-aussenpolitik/news/britisches-parlament-will-atomwaffenarsenal-
modernisieren/
Für die Bestückung der U-Boote besitzen die USA zurzeit 288 Trident-Raketen. Die maximale Reichweite der
älteren Trident-I-Raketen beträgt 7400 km. Eine neuere Trident-II-Rakete mit einer Reichweite von über 10.000
km wurde 1990 in Betrieb genommen. Eine im Jahr 2015 abgeschlossene Modernisierung der Trident-II-
Raketen, die noch bis 2042 weiter verwendet werden sollen, brachte vor allem eine verlängerte Einsatzfähigkeit.
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Die Modernisierung des Atomwaffenarsenals umfasst vor allem auch eine Verbesserung der Sprengköpfe für die
Trident-Raketen durch höhere Präzision und auch Sprengkraft. Insgesamt sollen bis 2019 davon für 3,7 Mrd.
US-Dollar 1.600 Stück produziert werden und nach und nach die alten ersetzen.
Luftgestütztes System: Bomben und Bomber
2015 begann der Umbau der 180 amerikanischen Atombomben B61, die auf 6 Stützpunkten in Europa gelagert
sind, u.a. in Büchel in der Eifel. Eine neue „All-in-one-Bombe“, die B61-12, soll alle bislang vorhandenen
strategischen und taktischen Atombomben der USA schrittweise ablösen. Sie kann sowohl strategische als auch
nicht-strategische Funktionen erfüllen und sowohl mit Jagdbombern als auch mit strategischen Bombern der US-
Luftstreitkräfte und der NATO-Verbündeten zum Einsatz kommen. Nur über das Trägerflugzeug kann noch
unterschieden werden, welchem Zweck die Waffe gerade dient. Diese Bombe kann auch nach dem Abwurf
elektronische Steuerbefehle umsetzen, ist dadurch viel zielgenauer und braucht deshalb keine so große
Sprengkraft mehr. Diese soll je nach Ziel flexibel auf 0,3, 1,5, 10 oder 50 Kilotonnen eingestellt werden können.
Sie kann mehrere Meter tief ins Erdreich eindringen und tief gelegene Bunker zerstören. Nach Angaben der US-
Verwaltung für atomare Sicherheit (NNSA) sind die ingenieurtechnischen Arbeiten für ihre Herstellung
abgeschlossen. Ab 2020 soll die Serienproduktion anlaufen. Die Kosten werden auf 350 bis 450 Milliarden US-
Dollar geschätzt.
Die digitale Steuerung der Bomben erfordert auch eine Digitalisierung der Trägerflugzeuge. Die USA besitzen
20 Tarnkappen- B2-Bomber, welche für ein gegnerisches Radar nur auf kurze Distanzen zu erfassen sind. Sie
dienen als Trägerflugzeug für die B61- und B83-Bomben. Sie sollen ab 2025 durch 80 bis 100 Exemplare eines
neuen B3-Bombers mit verbesserten noch geheimen Eigenschaften abgelöst werden, was Northrop Grumman
einen Auftragswert von 60 Milliarden Dollar beschert hat. Außerdem verfügt die Luftwaffe über 76 B-52-
Bomber, die konventionell und atomar bestückt werden können. Sie sollen noch bis zum Jahr 2040 im Dienst
bleiben, werden aber seit 2010 für 12 Mrd. Dollar modernisiert.
Das Raketenabwehrsystem
1983 forderte Ronald Reagan erstmals die Entwicklung des Raketenabwehrsystems SDI, um durch eigene
Unverwundbarkeit das "Gleichgewicht des Schreckens" zu seinen Gunsten zu verändern. Viele technische
Erwartungen an das teure Programm ließen sich zwar damals nicht realisieren, aber es zwang der Gegenseite
nach der Logik des Gleichgewichtes ebenfalls eine teure Weiterentwicklung der Atomwaffentechnologie auf und
trug so auf ökonomischem Weg zum Zusammenbruch der Sowjetunion bei. Ohne offensichtlichen Gegner war
das teure Pleitenprogramm politisch zunächst nicht mehr zu vermitteln und lief 1993 aus.
Aber schon 1999 wurde der aktuelle "atomare Raketenschirm" beschlossen. Dieses System aus Radaranlagen,
Satelliten sowie land- und seegestützten Raketen soll feindliche Interkontinentalraketen möglichst schon in der
Abschussphase erkennen und auf ihrer Laufbahn mit eigenen Abfangraketen zerstören.
Wie die NZZ am 22.3.2007 ausführt, handelt es sich dabei aber nicht um eine volle Flächendeckung "jedenfalls
nicht in absehbarer Zeit und nicht zu bezahlbaren Preisen. Es kann sich immer nur um bestimmte Bodenanlagen
wie Raketenstellungen, Großradare, Luftstützpunkte, Häfen oder Führungsanlagen handeln, außerdem nur um
eine Abwehr gegen eine geringe Zahl von Angriffsträgern."
Eine Pentagon-Strategie aus dem Jahr 2000 "Vision 2020" legte offen, dass die USA sich mit dem
"Raketenschild" nicht nur vor einem russischen Erstschlag schützen wollen. Es geht auch darum, der Gegenseite
mit einem eigenen Erstschlag drohen zu können, der nicht in gleicher Weise beantwortet werden kann: "Die
Kontrolle von Luft- und Weltraum ist entscheidend, da sie die US-Streitkräfte vor Angriffen schützt und
gleichzeitig die Möglichkeit zum Angriff offenhält [freedom from attack and freedom to attack]... Wir können es
nicht zulassen, dass der Weltraum von unseren Feinden kontrolliert wird."
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Die für diesen Raketenschild erforderlichen satellitengestützten Steuerungssysteme im Weltraum verstoßen
gegen den ABM-Vertrag zur Begrenzung von Raketenabwehrsystemen von 1972. Deshalb kündigten die USA
2001 einseitig den ABM-Vertrag auf und begannen mit der Stationierung von Raketenabwehrsystemen in
Kalifornien und Alaska.
Im Januar 2007 gab das Pentagon dann die amerikanischen Pläne zur Stationierung eines Raketenabwehrsystems
in Europa bekannt, das bis 2020 einsatzfähig sein soll. Vorgeblich war es gegen atomare Bedrohung aus dem
Iran gerichtet. Nach dem Atomabkommen mit dem Iran, das zivile Nutzung der Atomtechnologie erlaubt, aber
die Entwicklung von Atomwaffen ausschließt, ist diese Begründung hinfällig geworden. Von Moskau geforderte
Garantien, dass das System nicht gegen das russische Atomarsenal gerichtet sei, lehnt das westliche
Verteidigungsbündnis ab und baut den Raketenschirm weiter aus:
2011 wurde als Teil des Raketenschirms ein erstes Schiff im Mittelmeer stationiert, das mit dem Aegis-
System zur Raketenabwehr ausgestattet war
In Rumänien wurde mit der Stationierung von 24 Abfangraketen begonnen
ein weiterer Stützpunkt soll in Polen folgen.
Diese Raketenabwehr lässt sich mit geringen technischen Veränderungen in ein nukleares Potenzial für den
Angriff umfunktionieren, wenn von den Basen Marschflugkörper vom Typ „Tomahawk“ abgefeuert werden.
Das sind Angriffswaffen mit einer Reichweite von bis zu 2.000 Kilometern, die wahlweise konventionell oder
atomar bestückt werden können und so tief fliegen, dass sie schwer zu entdecken sind.
Daraufhin brachte die russische Seite ihre Besorgnis über die Absicht der USA, eine Raketenabwehr in direkter
Nähe zu den Grenzen Russlands zu stationieren zum Ausdruck und erklärte: „Wir müssen diese zukünftigen
Einrichtungen bei weiteren militärisch-politischen Maßnahmen Russlands und bei der militärischen Planung
berücksichtigen. Solche Pläne widersprechen der durch die NATO zugesicherten Zurückhaltung bei der
Stationierung von Streitkräften, die in der Russland-NATO-Grundakte festgelegt wurde.“
Die neue Qualität der atomaren Bewaffnung
Durch die neuen Eigenschaften wie verbesserte Lenkbarkeit, Präzision, flexiblere Sprengkraft und größere
„Überlebensfähigkeit“ der Systeme kann die Gesamtzahl der Bomben, ihre Gesamtsprengkraft und die Menge
des verwendeten atomaren Waffenmaterials reduziert werden, ohne die nuklearen „Fähigkeiten“ zu
beeinträchtigen. Das hat verschiedene Konsequenzen:
Die Modernisierung lässt sich formal mit Abrüstungsschritten vereinbaren.
Durch höhere Flexibilität in Sprengkraft und Trägersystemen lässt sich das Arsenal der NATO nicht
mehr in die bisherigen Kategorien der „taktischen“ bzw. „nicht-strategischen“ Nuklearwaffen einordnen.
Dies bedeutet komplexe Folgen und Komplikationen für Abrüstungsverhandlungen mit Russland.
Gleichzeitig kann die Kombination aus niedriger Sprengkraft, hoher Zielgenauigkeit und
vergleichsweise „geringem“ Kollateralschaden auch dazu führen, dass die Hemmschwelle zum Einsatz
einer solchen Waffe sinkt.
Vor allem der Aufbau eines sogenannten „Schutzschildes“ verändert die Qualität der atomaren
Bewaffnung auf Seiten und zugunsten der USA. Die Schaffung dieses einseitigen Schildes ist durch
keinerlei völkerrechtliche Verpflichtungen beschränkt und kann daher die strategische Stabilität in der
Welt grundlegend untergraben. Das Gleichgewicht des Schreckens wird verändert: Im ersten „kalten
Krieg“ wäre ein atomarer Erstschlag mit einem atomaren Gegenschlag des Gegners beantwortet worden
und hätte so die eigene Zerstörung zur Folge gehabt. Sobald eine Seite sich mit einem
Raketenschutzschirm schützen kann, gewinnt sie die Möglichkeit zu einem atomaren Angriff ohne eine
solche Antwort fürchten zu müssen. Eine substantielle Reduzierung der Atomwaffen auf beiden Seiten
und die Errichtung eines Schutzschildes auf nur einer Seite schafft die Erstschlagsfähigkeit dieser Seite,
sobald er so viele Abfangraketen umfasst, dass die verbliebenen Atomraketen der Gegenseite
abgefangen werden können.
Eine us-amerikanische Übersichtsstudie in „Foreign Affairs“ mit dem Titel „Der Aufstieg der USA zur
nuklearen Vorherrschaft“ stellte nach gründlicher Evaluation der us-amerikanischen Atompolitik fest, dass
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das atomare Potential der USA darauf ausgerichtet wird, einen entwaffnenden Erstschlag gegen Russland
oder China zu ermöglichen.
Verzicht auf weitere Abrüstungsmaßnahmen
Dieser langfristig geplante Aufbau des nuklearen Potentials bis zur Erstschlagsfähigkeit wird begleitet von der
Weigerung der USA, in neuen Abrüstungsverhandlungen zeitlich unbefristete Begrenzungen von
Offensivsystemen (nuklear wie konventionell) und Raketenabwehrsystemen vertraglich zu vereinbaren. Die
Abrüstungskonferenz, das weltweit einzige multilaterale Forum für Verhandlungen über Rüstungskontrolle und
Abrüstung, scheiterte erneut daran, sich auf ein Arbeitsprogramm zu einigen.
New START zur Reduzierung der strategischen Atomwaffen
Als gegenwärtig letzter Abrüstungsvertrag trat 2011 der Vertrag „New START“ zur Reduzierung der
strategischen Atomwaffen zwischen den USA und Russland in Kraft, er gilt aber nur bis 2020. Danach soll die
Anzahl der strategischen Nuklearwaffen bis 2018 um 30 Prozent auf 1550 für jede Seite reduziert werden, die
Anzahl der atomaren Trägersysteme auf 800 für jede Seite, von denen 700 aktiv sein dürfen. Der Vertrag macht
den Parteien keine Vorschriften darüber, wie viele inaktivierte Sprengköpfe sie für eine eventuelle Reaktivierung
in Reserve halten dürfen. Es geht also nicht einmal um die Verkleinerung des nuklearen Gesamtpotentials.
Damit wird im Vergleich zum ausgelaufenen START-Vertrag formal die Zahl der Trägersysteme um mehr als
die Hälfte und die Zahl der Sprengköpfe um 74% reduziert. Bei genauerer Betrachtung erweist sich der Vertrag
jedoch nicht nur als ein geschicktes Zahlenwerk, welches den Anschein echter Abrüstung nur vorgaukelt: so
zählen Langstreckenbomber mit Marschflugkörpern künftig nicht mehr als 10, sondern nur noch als eine (1)
stationierte Nuklearwaffe, obwohl sie bis zu 20 Atomwaffen tragen können. Wichtiger ist, dass dieser Vertrag
der NATO die atomare Überlegenheit gegenüber Russland bescherte, denn zusammen dürfen die NATO-Länder
über 2080 strategische Atomsprengköpfe verfügen (USA: 1550, Frankreich: 345, Großbritannien: 185),
Russland dagegen „nur“ über 1550.
Nach Angaben von SIPRI von 2015 hat seit dem New START-Vertrag keiner der Vertragsstaaten seine
strategischen Atomstreitkräfte substantiell verkleinert.
Das russische Nuklearpotential
Nach Nassauer (2014) unterscheidet sich die russische Nuklearwaffenstrategie aus historischen Gründen von der
us-amerikanischen. Das Ziel des Kalten Krieges auf amerikanischer Seite war zunehmend nicht so sehr die
Aufrüstung für einen tatsächlichen Nuklearschlag sondern die Schwächung der Sowjetunion durch kolossale
Militärausgaben, die dann auch erheblich zu ihrem Untergang beitrugen.
Dabei gingen große Teile der Infrastruktur für Entwicklung, Bau und Betrieb atomarer Waffen verloren: so
wurde das verseuchte Atomtestgelände Semipalatinsk in Kasachstan geschlossen. Die Produktionsstätten von
Interkontinentalraketen mit Mehrfachsprengköpfen in der Ukraine gingen zunächst Lieferverträge mit Russland
ein, die aber aufgrund der Ukrainekrise eingestellt wurden. Wartung und relevante Ersatzteile für ältere Raketen
fielen damit aus oder wurden wesentlich erschwert. Das Nuklearpotential blieb jedoch auch für Russland eine
wesentliche Grundlage für die Aufrechterhaltung seiner internationalen Bedeutung als Großmacht. Es soll
deshalb ebenfalls aufrechterhalten und modernisiert werden, aber angesichts der negativen Erfahrungen der
Sowjetunion mit hohen Rüstungskosten möglichst kostengünstig. Die russische Regierung will in den nächsten
zehn Jahren jährlich 75 Milliarden US-Dollar für die Um- und Aufrüstung ausgeben. Die USA geben jährlich
fast doppelt soviel Geld für neue Waffen aus. Die gesamten NATO Rüstungsausgaben sind 13mal so hoch wie
die russischen.
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Nach aktuellen SIPRI-Angaben wird Russlands Modernisierung hauptsächlich angetrieben von einer
notwendigen Erneuerung der alten sowjetischen Modelle durch weniger, aber effizientere Modelle, um in etwa
eine nukleares Gleichgewicht mit den USA aufrechtzuerhalten, aber behindert durch finanzielle
Einschränkungen. Seit der Ankündigung der USA, Atomwaffen notfalls auch für einen Erstschlag einzusetzen
und sich mit einem Raketenabwehrschirm zu schützen, verfolgt Russland mit der Modernisierung des
Nuklearpotentials aber auch das Ziel, auch nach einem US-amerikanischen Erstangriff auf die russischen
Nuklearstreitkräfte noch über eine gesicherte Zweitschlagfähigkeit zu verfügen. Jeder Ausbau des US-
Raketenabwehrsystems führt deshalb auf russischer Seite zu Bemühungen um weitere Erhöhung und
Verbesserung der nuklearen Schlagkraft der land- luft- und seegestützten Funktionseinheiten.
Landgestütztes System: Abschussbasen, Interkontinentalraketen und atomare Sprengköpfe
Das landgestützte System besteht aus festen Raketensilos und mobilen Abschussrampen, von denen aus Raketen
mit nuklearen Sprengköpfen abgeschossen werden können.
Landgestützte Interkontinentalraketen bildeten den größten Teil der sowjetischen Nuklearwaffen, während die
USA als Seemacht schon lange die meisten ihrer atomaren Sprengköpfe weniger angreifbar und flexibler auf U-
Booten stationieren. Um die Flexibilität zu erhöhen, will Russland nun den Anteil von Atomraketen auf mobilen
Abschussrampen von fünfzehn auf 70 Prozent steigern. Dafür werden seit 2016 neue mobile Startrampen
eingeführt. Sie bestehen aus einer mobilen Kommandozentrale, Versorgungsfahrzeugen und mobilen Systemen
zur Tarnung und elektronischen Kriegsführung. Das System kann verdeckt operieren und einen Nuklearangriff
besser überstehen.
Die überalterten landgestützten schweren Interkontinentalraketen mit Mehrfachsprengköpfen aus der Sowjetzeit
mussten seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion aus technischen Gründen ersetzt werden. Wegen des
Verlustes an nuklearer Infrastruktur sollten sie durch eine größere Zahl von leichten Interkontinentalraketen mit
Einfachsprengkopf und den entsprechenden Trägersystemen ersetzt werden. Dies ist wesentlich teurer als der
Ersatz durch Interkontinentalraketen mit Mehrfachsprengköpfen und überstieg die finanziellen Möglichkeiten
Russlands. In den 1990er Jahren produzierte Russland deshalb als Trägersysteme nur ganz wenige leichte
Interkontinentalraketen wie die SS-25 oder später die SS-27:
Die SS-25 ist eine stationär aus Silos oder schwerer lokalisierbar aus mobilen Fahrzeugen
abzuschießende Interkontinentalrakete mit einem Nuklearsprengkopf. Im Dezember 2015 waren davon
noch 72 Raketen einsatzbereit, haben aber das Ende ihrer ursprünglich geplanten Dienstzeit bereits
überschritten und sollen bis 2019 ausgemustert werden.
Als Reaktion auf die ersten US-amerikanischen Pläne zum Aufbau eines Raketenabwehrschildes von
1983 begann man 1991 mit der Entwicklung eines Nachfolgesystems, der SS-27-Serie, auch Topol-M-
Raketen genannt. Die ersten zwei silogebundenen Raketen wurden 1997 eingeführt. Nach der
Ankündigung des neuen Raketenabwehrsystems durch die USA 1999 wurde eine neue, jetzt mobile
Variante entwickelt und 2006 eingeführt. 2007 wurde als weitere neue Variante die SS-27 Mod.2 oder
„Jars“ - Rakete mit einer Reichweite von 11.000 Kilometern getestet, die nun mit mehreren gelenkten
Atomsprengköpfen bestückt werden konnte. Nach SIPRI-Angaben waren die Langstreckenraketen aus
der sowjetischen Ära Ende 2015 zur Hälfte ersetzt, die restlichen müssen bis 2024 ausgemustert
werden. Um in etwa Parität mit der Überlegenheit der USA zu halten, sollen sie durch neue Yars-
Interkontinentalraketen mit Mehrfachsprengköpfen ersetzt werden.
Als neue schwere Interkontinentalrakete werden Sarmat-Raketen entwickelt, die bis zu zehn schwere
oder 15 leichtere unabhängig lenkbare Atomsprengköpfe tragen oder eine Kombination aus
Sprengköpfen und massiven Abwehrmaßnahmen zur Bekämpfung der Raketenabwehrschilde. Sie
sollen 2018 getestet und 2020 einsatzbereit sein. Rund um die Silos der Sarmat werden
Raketenabwehrkanonen stationiert, die Tausende von hochenergetischen Geschossen abgeben, um
angreifende Raketen noch im Flug zu treffen und zu vernichten.
Diese neuen Systeme werden aber aus finanziellen und technischen Gründen nur langsamer eingeführt werden
als alte (SS-19, SS-18 und SS-25) außer Dienst gestellt werden müssen. Vor allem für die Konstruktion der
Sarmat-Raketen ist anstelle der ukrainischen Entwickler der Vorgängermodelle nun ein russisches Unternehmen
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zuständig, woraus sich zeitliche Verzögerungen ergeben. Russlands Nuklearmacht schrumpfte deshalb
kontinuierlich: die Zahl der landgestützten russischen Interkontinentalraketen ging von etwa 1.300 im Jahr 1990
auf nur noch 313 Ende des Jahres 2013 zurück.
Quelle: trends in world nuclear forces, SIPRI 2016
Auch Russland wird seine Atomsprengköpfe umrüsten. Sie sollen nicht nur möglichst leicht und zielgenau sein,
sondern auch gegen eine Raketenabwehr bestmöglich geschützt und manövrierbar, um eine künftige US-
Raketenabwehr durchdringen zu können. Neue Gefechtsköpfe sind in der Lage, nach dem Start von einer
ballistischen in eine semiballistische Flugbahn zu wechseln; dadurch ist es Raketenabwehrsystemen nur sehr
schwer möglich, den Flugkörper zu zerstören.
Luftgestütztes System
Das luftgestützte System besteht aus Bombern, die mit nuklearen Sprengköpfen bestückt werden können.
2015 beschloss auch Russland eine Modernisierung seiner Kampfbomber Tu-160 und Tu-95MS. Bereits die
alten Versionen können mit mehreren Atomsprengköpfen bestückt werden und sind geeignet für die Vernichtung
von besonders wichtigen Zielen im tiefen Hinterland des Gegners mit nuklearen und konventionellen Waffen.
Eine Modernisierung soll auch hier für die nächsten 15 bis 20 Jahre Versionen mit Verbesserungen aller
Funktionen schaffen, z.B. auch mit Systemen zur elektronischen Abwehr von Flugabwehrraketen versehen
werden.
Russlands Bomber können seit 2013 auch mit den ersten Marschflugkörpern ( Lenkflugkörper mit
einem Sprengkopf, der sich selbst ins Ziel steuert) aus russischer Produktion, den Ch-101 mit
Tarnkappentechnik und einer Reichweite von 4500 Kilometern bestückt werden. Als Reaktion auf das US-
Programm Prompt Global Strike soll dies Russland ermöglichen, ebenfalls innerhalb von einer Stunde nach dem
Treffen der Entscheidung Ziele an jedem Ort der Erde anzugreifen.
Langfristig will auch Russland einen neuen Langstreckenbomber PAK DA mit Tarnkappentechnik und
Überschallgeschwindigkeit entwickeln, der aus dem Weltraum Atomschläge ausführen kann. Solche Raketen mit
einer fünf- bis zehnfachen Schallgeschwindigkeit können mit herkömmlichen Abwehrwaffen und
Frühwarnsystemen nicht bekämpft werden.
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Seegestütztes System
Im Gegensatz zu früher verlegt Russland einen größeren Teil der Interkontinentalraketen auf das flexiblere U-
Bootsystem. Dazu wurde eine Erneuerung der U-Boot-Flotte eingeleitet:
In der Sowjetunion waren insgesamt sechs U-Boote der Akula-Klasse (Nato-Code Typhoon) gebaut
worden. Sie sollten der US-amerikanischen Ohio-Klasse Paroli bieten und der Sowjetunion im Falle
eines Atomkrieges die Zweitschlagfähigkeit sichern. Während die USA ihre Ohio-Klasse umrüstete und
mit Tomahawk- Marschflugkörpern bestückte, musste Russland in den 90er Jahren drei dieser Boote
aus finanziellen Gründen verschrotten. Zwei weitere wurden der Reserve zugeordnet, sollen jetzt aber
auch verschrottet werden. Nur eines dieser U-Boote wurde modernisiert und war 2003 mit dem neuen
Namen „Dmitri Donskoj“ einsatzbereit. Es kann 20 dreistufige Interkontinentalraketen aufnehmen.
Auch drei weitere Atom-U-Boote der Borej-Klasse („Juri Dolgoruki“, „Alexander Newski“ und
„Wladimir Monomach“) sind Modifizierungen aus der sowjetischen Zeit.
Bis 2020 sollen insgesamt acht U-Boote einer neuen Borei-A-Klasse mit hoher Tauchtiefe einsatzbereit
sein.
Alle diese U-Boote können mit den neusten Interkontinentalraketen Bulawa-M bestückt werden. Sie Bulava
entsprechen den SS-27, werden aber nicht von Silos oder Landfahrzeugen, sondern von U-Booten aus gestartet.
Diese Raketen haben weniger Sprengkraft, sind aber resistenter gegen „Vernichtungsfakoren“ durch
Atomexplosionen und Laserwaffen. Sie können mit Atomsprengköpfen gleichzeitig bis zu zehn Ziele in einer
Entfernung von 8.000 Kilometern angreifen.
Nicht-strategische Nuklearwaffen
Russland verfügt wie die USA über nicht-strategische Nuklearwaffen. Dazu gehören Sprengköpfe für die Luft-
und Raketenabwehr, für den Seekrieg, atomare Bomben für die Luftwaffe und möglicherweise auch noch
Waffen für Kurzstreckenraketen der Landstreitkräfte.
Auch deren Trägersysteme wurden und werden teilweise modernisiert (Su-34- Jagdbomber, Iskander-M-
Kurzstreckenraketensystem, bodengestützte Marschflugkörper vom Typ R-500). So wurden die Raketen des
„Iskander“-Systems so verändert, dass sie nicht abgefangen werden können. Sie sind im Flug manövrierbar und
sehr treffsicher und haben eine unberechenbare Flugbahn: Kurz nach dem Start wie kurz vor dem Ziel ändern sie
mehrmals abrupt ihre Flugbahn.
Aktuelle Bewaffnung mit atomaren Sprengköpfen 2016
In den Medien wird gerne eine atomare Bedrohung durch Russland nahegelegt, so z.B. durch die höhere
Gesamtzahl der atomaren Sprengköpfe im Vergleich Russland gegen USA, nämlich 7290 gegen 7000. Eine
genauere Betrachtung zeigt, dass die USA bei den stationierten einsatzfähigen Sprengköpfen bereits alleine eine
Überlegenheit von 1930 zu 1790 haben und erst Recht alle NATO-Atomstaaten zusammen mit 2330. (Aktuelle
SIPRI-Angaben). Bei der Verteilung auf strategische und taktische Sprengköpfe „in Reserve“ wird die
Überlegenheit des Gesamtpotentials der USA noch deutlicher. Strategische Atomwaffen sind weitreichende
Bomben mit großer Sprengkraft für den Einsatz im Hinterland des Gegners, taktische Waffen zur Bekämpfung
gegnerischer Streitkräfte haben weniger Reichweite und Sprengkraft.
Land/Macht Stationierte
Sprengköpfe
Sprengköpfe
in Reserve
Andere Sprengköpfe Gesamtbestand
USA 1,930 2570 2500 7000
USA + NATO-
Atommächte
2330 2675 2510 7515
Russland 1790 2700 2800 7,290
Die 1930 „stationierten Sprengköpfe“ der USA verteilen sich auf 1750 strategische und 180 nicht-strategische
(taktische) Sprengköpfe. Die Sprengköpfe der Reserve der USA verteilen sich auf 2270 strategische und 300
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taktische Sprengköpfe. Die „anderen Sprengköpfe“ sind für die Zerstörung und die Rückgewinnung des
nuklearen Materials vorgesehen.
Über die Zusammensetzung der von Russland stationierten 1790 Sprengköpfe macht SIPRI keine Angaben, die
2700 in Reserve bestehen aus 700 strategischen und 2000 taktischen Waffen. Die „anderen Sprengköpfe“ sind
für die Zerstörung und die Rückgewinnung des nuklearen Materials vorgesehen.
Russlands Reaktion auf den us-amerikanischen Raketenschirm
Als Reaktion auf den amerikanischen Plan, ein Raketenabwehrsystem in Europa aufzubauen, kündigte Russland
an:
Ausbau der strategischen Nuklearkräfte mit ballistischen Raketen und neuesten Sprengköpfen , die den
Raketenschirm durchbrechen können.
Aufstellung dieser modernen Waffen, welche den europäischen Raketenschild zerstören können, im
Westen und im Süden des Landes, so z.B. die Stationierung von Iskander-Raketen in Kaliningrad
Verstärkter Schutz der Atomwaffenanlagen und Aufbau von Verteidigungsanlagen mit einem
Raketenfrühwarnradar und Errichtung eines eigenen Abwehrsystems zunächst um Moskau und das
zentrale Industriegebiet. Später soll es als Grundlage für einen Schild über ganz Russland dienen. Dafür
werden Abfangraketen entwickelt, die ballistische Langstreckenraketen möglichst präzise und bei
Bedarf schon im Weltraum zerstören können.
Hinweis an alle Länder wie Dänemark, die sich unter den Schutzschirm der USA stellen wollen, dass
sie damit zu „Ziele russischer Atomraketen" werden.
Notfalls Verzicht auf die Abrüstungspolitik und der Ausstieg aus den Abrüstungsverträgen, so z.B. aus
dem Vertrag über nukleare Mittelstreckensystem von 1987.
Senkung der atomaren Schwelle. Russland hat in seiner Militärdoktrin offen erklärt, dass es sich eine
nukleare Antwort auch auf einen konventionellen Angriff vorbehält.
Mehr Sicherheit durch Atomwaffen?
Das Gegenteil ist der Fall: Wie aus den oben genannten Plänen hervorgeht, wächst mit zunehmender Aufrüstung
auf beiden Seiten die sogenannte „atomare Hemmschwelle“, eine beschönigende Bezeichnung für die
Bereitschaft, diese Waffen auch tatsächlich einzusetzen, um gefährdete Machtpositionen zu behaupten. Sobald
die amerikanische Raketenabwehr um Russland herum errichtet und einsatzfähig ist, steigt die Versuchung,
einen atomaren Erstschlag gegen das russische Atomwaffenarsenal zu richten. Trump persönlich machte mit
seiner Bereitschaft für den Einsatz einer Atombombe deutlich, dass eine Bewerbung um das Präsidentenamt
keine Garantie für Besonnenheit ist. Dies wird auf der Gegenseite zu ähnlichen präventiven Plänen führen. Die
neue Phase des Kalten Krieges kann also sehr schnell in einen „heißen Krieg“ umschlagen.
Auch ein „Krieg durch Versehen“ wird mit zunehmender Aufrüstung immer wahrscheinlicher. In den
vergangenen 60 Jahren gab es zumindest zwanzig äußerst kritischer Situationen - sowohl im Osten als auch im
Westen. Letztlich hat nur die Reaktion von Offizieren Schlimmeres verhindert hat. Vor allem Überlegungen in
den USA, Interkontinentalraketen auf U-Booten nicht nur mit nuklearen, sondern auch mit konventionellen
Gefechtsköpfen auszurüsten, beispielsweise um terroristische Zellen über Tausende von Kilometern zu
bekämpfen, birgt große Gefahren. Solch ein Abschuss einer konventionellen Rakete würde z.B. Russland vor die
Frage stellen, ob es sich dabei wirklich „nur“ um einen konventionellen Schlag gegen ein Ziel in einem Drittland
oder um den Beginn einer nuklearen Attacke gegen Russland handelt.
Soziale Unsicherheit wächst
Auf jeden Fall wird schon ohne tatsächlichen Einsatz von Atomwaffen die soziale Sicherheit weiter abnehmen,
weil noch mehr Mittel in den Rüstungshaushalt fließen sollen. In der Bundesrepublik soll der Rüstungshaushalt
von derzeit 35 Milliarden Euro innerhalb von acht Jahren auf etwa 60 Milliarden Euro erhöht und damit fast
verdoppelt werden.
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Forderungen: Die Konfrontation mit Russland und die dadurch ausgelöste neue Rüstungsspirale muss beendet werden.
Statt Konfrontation brauchen wir endlich wieder Schritte der Deeskalation gegenüber Russland, d.h.
Kooperation und Dialog statt Sanktionen und militärischem Aufmarsch vor seinen Grenzen.
Statt weiterer atomarer Hochrüstung muss der völlige Stillstand bei der Rüstungskontrolle überwunden
werden und die Abrüstungsverhandlungen müssen wieder aufgenommen werden.
Wir brauchen ein gemeinsames, kooperatives Sicherheitssystem, das allen Staaten die Sicherheit gibt,
nicht angegriffen zu werden.