ausstellung über die zerschlagung der gewerk- schaften in … · 2017. 11. 24. · info verleih...
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Ausstellung
über die
Zerschlagung
der Gewerk-
schaften
in Duisburg
Foto
: Ale
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bg.
Flexible Ausstellung in 5 Rollup-Bannern
I nfo Verleih der Ausstellung DGB Jugend Duisburg/Niederrhein · Eric Schley
Stapeltor 17–19 · 47051 Duisburg · Fon 0203.992 7515 · E-mail: [email protected]
Eine Ausstellung
gegen das Vergessen!
Am 2. Mai 1933 wurden in ganz Deutschland
die Häuser der freien Gewerkschaften von
den Nationalsozialisten besetzt und die Ge-
werkschaftssekretäre verhaftet, gefoltert
und, wie in Duisburg, ermordet. Mit diesem
Tag wurde auch die stolze Gewerkschafts-
bewegung endgültig Opfer des nationalsozia-
listischen Terrors. Dies war jedoch erst der
Auftakt eines beispiellosen, enthemmten
Mordens und Tötens, dem mehr als 55 Mil-
lionen Menschen zum Opfer ielen.
Als Gewerkschaftsjugend nahmen wir den
Antikriegstag zum Anlass, an unsere Duis -
burger Kollegen Birck, Schlösser, Roden -
stock und Rentmeister mit einer kleinen
Ausstellung zu erinnern. Alle Vier wurden
auf grausame Art und Weise von der SS er-
mordet und im Hünxer Wald verscharrt.
Im Anschluss belogen die Täter deren
Familien über den Verbleib und setzten
dreiste Lügen in die Welt. So wurde be-
hauptet, sie wären mit der Gewerkschafts-
kasse in die Niederlanden geflohen.
Uns jungen GewerkschafterInnen geht das
Schicksal von Emil Rentmeister besonders
nahe. Mit nur 27 Jahren iel er in die Hände
der Nazis. Ihm war bewusst, dass er im Fokus
stand und dennoch gab er seine Überzeugung
nicht auf. Diese vier Gewerkschafter stehen
für tausende Kolleginnen und Kollegen, die
Opfer des Nationalsozialismus wurden, aber
auch früh Widerstand geleistet haben. Hätte
es mehr von ihnen gegeben, dann wäre so -
viel Leid verhindert worden.
Auch wenn der Nationalsozialismus so weit
weg erscheint, so sind solche menschenfeind-
lichen Ideologien noch lange nicht überwun-
den. Als GewerkschafterInnen und somit als
DemokratInnen bleibt es unsere Aufgabe,
für Demokratie einzustehen und dafür zu
werben – im Betrieb, in der Berufsschule
und im privaten Umfeld. Denn nur durch
das aktive Eintreten für Demokratie, Gleich-
heit und Freiheit kann dieser Wahnsinn
verhindert werden.
Diese Ausstellung wäre ohne die umfang-
reichen Forschungen unserer älteren Kolle -
gen nicht möglich gewesen. Unser Dank
gilt im Besonderen Jürgen Dzudzek, dem
1. Bevollmächtigten der IG Metall Duisburg-
Dinslaken.
Wir hoffen, dass diese Ausstellung neue
Erkenntnisse liefert und zum Handeln
aktiviert.
Ünsal Baser Vorsitzender DGB Jugend Duisburg/Niederrhein
Eric Schley Jugendbildungsreferent DGB Jugend Duisburg/Niederrhein
S2
„Man hatte das Gefühl, dass
man gar nicht wusste, was
auf uns zukommen würde.“
Julius BirckGeboren: 12. Juli 1885 Ermordet: 2. Mai 1933
Johann SchlösserGeboren: 4. Januar 1876 Ermordet: 2. Mai 1933
Michael RodenstockGeboren: 11. März 1885 Ermordet: 2. Mai 1933
Emil RentmeisterGeborean: 1905 Ermordet: 2. Mai 1933
August Seeling – Gewerkschaftssekretär
und Oberbürgermeister von Duisburg
S3
ie Machtübertragung an die Nazis erfolgte in mehreren
Schritten. Nachdem Adolf Hitler am 30. Januar 1933
zum Reichskanzler ernannt wurde, erhielt er am 23. März
uneingeschränkte Befugnis durch den Reichstag. Bei dieser
Abstimmung über das Ermächtigungsgesetz hat nur noch die
SPD dagegen ge stimmt. Die KPD Abgeordneten waren bereits
in »wilden« KZs interniert oder auf der Flucht vor den Nazis.
Reichskanzler Hitler erklärte den 1. Mai zum Feiertag der »natio -
nalen Arbeit« und vereinnahmte damit diesen wichtigen Tag
der internationalen Gewerkschaftsbewegung. Den Gewerk-
schaften war es nicht mehr möglich eigene 1. Mai Kundgebungen
abzuhalten. Bereits am 16. April haben die Nazis im Geheimen
beschlossen, die Gewerkschaftshäuser am 2. Mai zu besetzen,
alle Gewerkschafts sekre täre zu verhaften und die Kontrolle
über die Freie Gewerkschaftsbewegung, durch Nazi-Funktio-
näre, zu übernehmen.
Die Niederschlagung der Gewerkschaften
Die KPD
Abgeordneten
waren bereits
verhaftet.
Duisburg am
1. Mai 1933
Hitler
vereinnahmte
den 1. Mai
S4
PARDON WIRD NICHT GEGEBEN Am Morgen des 2. Mai wurden 22 Gewerk schafter in das Duisburger
Gewerkschaftshaus, in die Ruhrorter Straße 11, zum »Verhör« gebracht.
Diese »Folterverhöre« wurden durch SA und SS durchgeführt. Die
Kollegen Birck, Schlösser, Roden stock und Rentmeister wurden
während dieser Folter ermordet.
WER FLÜCHTET WIRD ERSCHOSSEN! Die verbliebenen Gewerkschafter wurden in einem Marsch durch die
Innenstadt geführt. Sie mussten mit erhobenen Händen die »Interna-
tionale« singen. Ihnen wurden Schilder umgehangen, mit der Auf-
schrift: »Wir haben die Arbeiter verraten«. Wer nicht mehr konnte
wurde mit Gummiknüppeln geschla gen. Die Duisburger Bevölkerung
stand teilnahmslos daneben. Nur einige wenige zeigten Protest, wie
eine Frau die aus dem Fenster rief: »Rettet eure Arbeiter-Führer!«.
WER HAT SIE GESEHEN? Den Familien der ermordeten Gewerkschafts sekretäre wurde am
3. Mai mitgeteilt; ihre Männer wären nach der Unterschlagung von
4 000,– Mark Gewerkschaftsgelder, nach Holland gelüchtet. Als
Gipfel des Zynismus schickten die Nazis, die mittlerweile die Gewerk-
schaften übernommen hatten, schriftliche Aufforderungen, dass sich
die Vermissten wieder auf der Arbeit einzuinden haben, sonst drohe
die Kündigung. Diese folgte dann auch. Aufgrund der fristlosen
Kündigungen erhielten die Familien auch keine Unterstützungszah-
lungen. Die neuen Macht haber vertuschten dieses Verbrechen.
Erst ein Jahr später wurden die Ermordeten im Hünxer Wald bei
Dinslaken von Spaziergängern gefunden. Eine Untersuchung des
Verbrechens wurde angeblich wegen fehlender Beweise nicht
mehr aufgenommen.
Erst nach dem Krieg kam es zu einer Aufklärung dieses Verbrechens.
Es ist den engagierten Gewerkschaftern Adam Dienst und Gustav
Sander zu verdanken, dass sich die englische Militärgerichtsbarkeit
mit diesem Verbrechen befasste. Der sog. Maiver brecherprozess
führte zu etlichen Freisprüchen, da nach so langer Zeit Beweismittel
fehlten. Lediglich Jacob Baltes wurde schuldig gesprochen und zum
Tode verurteilt.
Die neuen
Machthaber
vertuschten
dieses
Verbrechen
Erst 14 Jahre
später
kam es
zur Aufklärung
S5
Duisburger
Straßenbahn
vor dem
Depot
Aufruf
der NSDAP
in die Deutsche
Arbeitsfront
zu wechseln
1. Mai 1933
im Stadion
Wedau
S6
S7
Duisburger
Gewerkschafts-
jugend
um 1928
S8
Julius BirckVorsitzender der Gewerkschaft der Binnenschiffer Rhein
Geboren: 12. Juli 1885
Ermordet: 2. Mai 1933
„… und der Tag wird hoffentlich
nicht allzufern sein, wo wir den Arbeit-
gebern wieder die ersten Kämpfe
liefern können! “ Julius Birck
JULIUSBirck
ulius Birck wurde 1885 in Wiesbaden geboren. Nach seiner
Ausbildung zum Schlosser nahm er auf einem Rheinschlep-
per eine Stelle als Maschinist an. Durch diese Tätigkeit kam er
1903 erstmals nach Duisburg-Ruhrort. Ab diesen Zeitpunkt lässt
sich auch seine Mitgliedschaft in der Gewerkschaft nachweisen.
1914 wurde Julius Birck als Heizer für die Kaiserliche Marine
eingezogen und überstand den 1. Weltkrieg ohne Verwundungen.
1918 zog es ihn wieder zurück nach Duisburg, wo er 1920 Vor-
sitzender der Gewerkschaft der Binnenschiffer des Rheins
wurde. Es waren keine leichten Zeiten, in denen Julius Birck
die inzwischen 10.000 Mitglieder zählende Gewerkschaftsab-
teilung leitete. Zwar hatte die Revolution die Republik gebracht
und dadurch einige grundsätzliche Verbesserungen für die
Arbeiter, aber das bedeutete nicht, dass die Unternehmer nach-
giebiger geworden wären. Ohne die Solidarität der holländi-
schen, belgischen und französischen Kollegen war kaum ein
Arbeitskampf zu gewinnen. Dadurch waren die internationalen
Kontakte der Binnenschiffer sehr gut ausgebaut.
Die Schiffer waren ein eigenes Völk chen. Man war auch privat
viel zusammen. Treffpunkt war die Gaststätte im Gewerkschafts-
haus an der Beekstraße. Außer in der Gewerkschaft waren fast
alle Mitglied in der SPD und in anderen Organisationen der
Arbeiter bewegung wie den Naturfreunden, oder auch bei den
Freidenkern wie Julius Birck. Er war zudem noch Mitglied des
»Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold«, der republikanischen Wehr-
organisation von SPD, DDP und Zentrumspartei.
Nach der Machtübertragung an die Nazis stellte sich Julius Birck
auch die Frage wie es mit den Gewerkschaften weiter geht. Von
einem letzten Treffen mit Kollegen, am 30. 4.1933 wurde berich-
tet, dass er überlegte, ob man das Schild am Gewerkschaftshaus
nicht abnehmen sollte, um die Nazis nicht unnötig zu provozie-
ren. Sein Kollege Adam Dienst soll daraufhin bissig bemerkt
haben, er solle das ganze »Hüsken« anstecken, damit die Nazis S9
… 1914 als Heizer
für die Kaiser-
liche Marine …
… oder auch
bei den Frei-
denkern wie
Julius Birck …
… 10.000 Mitglieder
zählende Gewerk
schaftsabteilung
leitete …
S10
nichts mehr damit anfangen könnten. Julius Birck erwartete,
dass ein Kommissar eingesetzt werde, die Nazis aber nicht auf
die Mitarbeit der alten Gewerkschaftssekretäre verzichten
könnten – ähnlich wie in Italien. Diesen Irrtum teilten viele in
den Gewerkschaften und wurden wie Julius Birck von den
Nazis ermordet.
WER WAREN D IE MÖRDER? H E I n Z M U LT H A U P T
Arbeiter. Mitglied der NSDAP und Reichstagsabgeordneter. In seiner
Funktion als Leiter der Nationalsozialistischen Betriebszellenorga -
ni sation (NSBO) führte er den Befehl zur Zerschlagung der Duis-
burger Gewerkschaften aus. Er organi sierte die Verhaftungen und
führte die Verhöre durch. Heinz Multhaupt starb 1937.
D R . K A R L W E YA n D
Syndikus (Firmenanwalt) der Industrie- und Handelskammer. Mit -
glied der NSDAP seit 1925. Seit 1931 war Weyand SS-Sturmführer.
Er befehligte die SS-Abteilungen am 2. Mai und war somit mitver-
antwortlich für die Morde. Weyand führte den Marsch durch die
Innenstadt durch. Weyand entging seiner Verurteilung 1947 durch
Selbstmord.
JACoB BALTES
Mitglied der NSDAP seit 1931 und SS-Mann der berüchtigten SS-
Abteilung »Dr. Weyand«. Jacob Baltes führte die Folterungen und
Morde im Keller aus und wurde 1947 wegen Verbrechen gegen
die Menschlichkeit schuldig ge sprochen und zum Tode verurteilt.
… Julius Birck
erwartete, dass ein
Kommissar ein-
gesetzt werde …
…diesen Irrtum
teilten viele
in den Gewerk-
schaften und
wurden wie
Julius Birck
von den Nazis
ermordet …
S11
AUSSAGE VON FRAU ADRIENNE B IRCK
Am 2. Mai 1933 verließ mein Mann um 7:15 das Haus, um sich wie
gewöhnlich zum Gewerkschaftshaus zu begeben. Während seiner
Abwesenheit erschien bei mir die SS und machte Haussuchung. Es
wurden alle Bücher mit genommen. Bilder von August Bebel und
Liebknecht wurden zerstört. (...) Mein Ehemann wurde während-
dessen in den Keller des Gewerkschafts hauses gebracht, wo er in
den Abendstunden erschlagen wurde. (...) Die Leichen wurden sehr
wahr scheinlich von der SS nachts in den Hünxer Wald gebracht
und dort verscharrt. Ein Jahr später fand man die Leichen. (...)
An den Kleiderstücken erkannte ich meinen Mann. Nach Aussagen
des Gerichtsarztes hatten alle 4 opfer einen Schädelbruch.
d
… An den
Kleiderstücken
erkannte ich
meinen Mann …
S12
Johann Schlösser2. Bevollmächtigter des »Deutschen Metall-arbeiter-Verbandes« Vorläufer der IG Metall
Geboren: 4. Januar 1876
Ermordet: 2. Mai 1933
„Wir wollen alles tun und von uns
aus soll alles geschehen, dass niemals
mehr Menschen Gewalt angetan
wird.“ Hermann Müsken, Vorsitzender DGB Duisburg
JOHANNSchloSSer
S13
ohann Schlösser wurde am 4. Januar 1876 in Boisheim ge -
boren und lernte den Beruf des Formers, einen sehr quali-
i zier ten und für die damalige Eisenindustrie herausragenden
Beruf. Mitte der 1920er Jahre wurde er zum 2. Bevollmächtigten
des »Deutschen Metallarbeiter-Verbandes«, dem Vorläufer der
IG Metall, in Duisburg gewählt. Er war unter den Kollegen auf-
grund seiner fröhlichen und lebensbejahenden Art sehr beliebt.
Allerdings nahm er auch kein Blatt vor den Bund, wenn es um
die Interessen der Arbeiter ging. Das machte ihn so sympathisch
bei seinen Kollegen – aber den Nazis vermutlich so verhasst.
Die Ironie des Schicksals wollte es so, dass der Glaube an das
Gute im Menschen Johann Schlösser zum Verhängnis wurde.
Als er am 2. Mai 1933 ins Büro des Deutschen Metallarbeiter Ver-
bandes (DMV) gehen wollte, fand er es durch SA besetzt. Um
Schutz zu suchen, ging er auf das Polizeipräsidium, wo er der
SA ausgeliefert wurde. Johann Schlösser wurde in die Geschäfts-
stelle des DMV gebracht. In seinem Büro, an seinem Schreibtisch
hatte der Vor sitzende der Nationalsozialistischen Betriebszel-
lenorganisation (NSBO), Heinz Multhaupt, Platz genommen.
Multhaupt war es, der das »chinesische Verhör« anordnete, bei
dem im Keller SS- Leute Johann Schlösser auf unglaublich
bru tale Weise erschlugen.
n er
… Mitte der
1920er Jahre
wurde er
zum 2. Bevoll-
mächtigten …
… im Keller
erschulgen
SS-Leute Johann
Schlösser auf
unglaublich
brutale Weise …
S14
DIE ZERSCHLAGUNG DER GEWERKSCHAFTS BEWEGUNG
Der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB) wurde 1919
als neuer Dachverband gegründet. Er war ein Zusammenschluss
von 52 Gewerkschaften. Seinen Namen mit dem Zusatz »Allge-
meiner« erhielt er, da im März 1919 die christlichen und liberalen
Gewerkschaften mit der Gründung eines eigenen Dachverbandes
den Namen Deutscher Gewerkschaftsbund bereits besetzt hatten.
Der ungebrochene Terror der vorangegangenen Monate
im frühjahr 1933 hatte die Gewerkschaften in einen
Schockzustand versetzt und nahezu handlungsunfähig gemacht.
Die Nazis ihrerseits erklärten den 1. Mai, den traditio nellen Festtag
der internationalen Arbeiterbewegung, zu einem arbeitsfreien Feier -
tag, den sog. »Tag der nationalen Arbeit« und begannen mit um-
fangreichen Vorbe reitungen für Umzüge und Kundgebungen auch in
Duisburg. Der ADGB bekundete seine Bereitschaft, die eigenen Mit-
glieder – die gleichzeitig Zielscheibe von SA-Übergriffen waren! –
zur Teilnahme an diesen Jubelfeiern aufzurufen. Durch an gepasstes
Verhalten und Distanzierung zur SPD versuchte man, die eigene
Organisation zu retten. All dies verhinderte nicht die Zerschlagung
der Freien Gewerkschaften am 2. Mai 1933.
Morgen werden wir die
Gewerkschaftshäuser
besetzen. Widerstand ist
nirgends zu erwarten.
Der Kampf geht weiter.
Joseph Goebbels Tagebucheintrag 1. Mai 1933
Durch
angepasstes
Verhalten
versuchte man,
die eigene
Organisation
zu retten.
S15
AUSSAGE VON AUGUSTE SCHLÖSSER
Mein Mann Johann Schlösser verließ am Montag des 2. Mai 1933
unsere Wohnung, um bei der Polizei Schutz zu suchen vor evtl.
Angriffen durch SS und SA. Als er zum Polizeipräsidium kam
und dort um Schutz bat, erklärte man ihm: »Sie kommen gerade
recht, sie können gleich hier bleiben.« (...) Er wurde zum
Gewerkschaftshaus nach der Ruhrorter Straße gebracht. Von
diesem Zeitpunkt an sah ich meinen Mann nicht mehr wieder. (...)
Ich erkundigte mich in der Folgezeit ständig beim Polizeipräsidium
nach meinem Mann. Es wurde mir erklärt: »Beruhigen sie sich,
Ihr Mann ist nach dem Ausland gelüchtet und beindet sich nicht
mehr hier«. Der Reichstagsabgeordnete Multhaupt, der an der Er-
mordung meines Mannes beteiligt war, versuchte seine Mordtat
dadurch zu verschleiern, indem er mehrere Briefe an die Adresse
meines Mannes sandte, die ich in Empfang nahm, und worin er
meinen Mann aufforderte, sich im Gewerkschaftsbüro vorzustellen.
Aufforderung
vom Mai 1933
an Johann Schlösser,
wieder
zur Arbeit
zu erscheinen.
S16
Michael Roden-stockGewerkschaftssekretär des »Gesamtverbandes der Arbeitnehmer« (GVA) Vorläufer ÖTV /Ver.di
Geboren: 11. März 1885
Ermordet: 2. Mai 1933
„Freiheit und Leben
kann man uns nehmen,
die Ehre nicht.“ Otto Wels, 23. April 1933
MICHAELroDeNStock
S17
ichael Rodenstock wurde am 11. März 1885 in Ilberstädt,
im heutigen Sachsen-Anhalt, geboren. Mit Beginn seiner
Ausbildung zum Schmied organisierte er sich gewerkschaftlich
im »Deutschen Metallarbeiter Verband« und fühlte sich poli -
tisch von der Sozialdemokratie angezogen, welcher er zeitgleich
beitrat. Nach wenigen Monaten der Wanderschaft kam er 1906
nach Duisburg, wo er Beschäftigung bei der Niederrheinischen
Hütte in Duisburg-Hochfeld fand. Michael Rodenstock musste
nicht als Soldat in den 1. Weltkrieg ziehen. Als unabkömmlicher
Arbeiter wurde er frei gestellt, was seiner antimilitaristischen
Haltung sehr entgegen kam. So lehnte er auch konsequent die
»Burgfriedenspolitik« seiner Partei und der Gewerkschafts-
mehrheit ab. Diese besagte, dass man im Kriegsfall als Deutsche
zusammenstehen muss. Kaiser Wilhelm II. erklärte dies am
4. August 1914 so: »Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne
nur noch Deutsche! «
Da sich im Verlauf des Krieges keine Änderung der »Burg-
friedenspolitik« abzeichnete, trat Rodenstock 1916 der USPD
in Duisburg bei, die bei Kriegsende eine beachtliche politische
Kraft in Duisburg darstellte. Nach Gründung der KPD (1919)
schloss er sich dem linken Flügel der USPD an. Am 13. März
1920 versuchten Rechtsradikale mit dem sog. Kapp-Lüttwitz-
Putsch die junge Republik zu beseitigen. Durch einen gewerk-
schaftlichen Generalstreik konnte dies verhindert werden.
Rodenstock wurde während dieses Kampfes inhaftiert. Da er
in Folge seiner Gewerkschafts tätigkeit auf der »Schwarzen
Liste« der Unternehmer stand, erhielt er keine weitere Anstel-
lung. Er bewarb sich als Gewerkschafts sekretär und arbeitete
bis zu seinem Tod für den »Gesamtverband der Arbeitnehmer
der öffentl. Betriebe«. Während seiner Mandatszeit als Stadt-
verordneter wechselte er 1925 wieder zur SPD, wo er bis 1933
auch Vorsitzender der SPD Wanheimerort war. Neben seinem
Engagement für die Gewerkschaft war er auch Vorsitzen der
l
A)
Seine Familie
sah ihn lebend
nicht mehr
wieder.
Mit Beginn
seiner Ausbildung
organisierte
er sich gewerk-
schaftlich.
S18
des örtlichen »Reichsbanners« und ab 1932 der »Eisernen
Front«. Am 2. Mai 1933 wurde Michael Rodenstock von
SA- Banden in seiner Wohnung verhaftet. Seine Familie
sah ihn lebend nicht mehr wieder.
DAS REICHSBANNER SCHWARZ-ROT-GOLD
Gegründet wurde das Bündnis 1924 als Reaktion auf den Hitler -
putsch und dem kommunistischen Hamburger Aufstand Mitglieds-
organisa tionen waren die SPD, die Deutsche Zentrumspartei und
die Deutsche Demokratische Partei. Dem Reichsbanner gehörten
1932 nach eigenen Angaben drei Millionen Mitglieder an. Seine
Hauptaufgabe sah das Reichsbanner in der Verteidigung der
Weimarer Republik und der Demokratie gegen Feinde aus den
nationalsozialistischen, monarchistischen und kommunistischen
Lagern.
DIE EISERNE FRONT
Nach dem Zusammenschluss der Rechtsextremen zur Harzburger
Front wurde auf Seiten der Demokraten 1931 ein Gegengewicht
gegründet, die Eiserne Front. Diesem traten neben dem Reichs -
banner, der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund, der Arbeiter-
Turn- und Sportbund und zahlreiche Vorfeldorganisationen der
Arbeiter bewegung bei, um gemeinsam Widerstand zu leisten.
Symbol der Eisernen Front waren drei Pfeile, die sich gut eig ne-
ten, um ein Hakenkreuz durch Übermalung zu »zerstören«.
Die drei Pfeile wurden unterschiedlich interpretiert. Sie standen
für die Gegner der Eisernen Front, die drei Feinde der Demo-
kratie: Kommunisten, Monarchisten und Nationalsozialisten, aber
auch für die drei Pfeiler der Arbeiterbewegung: Partei, Gewerk-
schaft und Reichsbanner als Symbole für die politische, wirt-
schaftliche und physische Kraft der Eisernen Front.
Gegen
die Feinde
der Demokratie.
Das Zeichen
der Eisernen
Front
S19
AUSSAGE DES GEWERKSCHAFTERS ADAM DIENST
Nach dem glorreichen Umzug des 1. Mai 1933, als die Stimmung
hoch ging, wurde am 2. Mai der Aufruf erlassen, daß alle Gewerk-
schaftsangestellten sich auf ihrem Büro einzuinden hätten.
Gegen 9:30 Uhr fand die Besetzung von SA-, SS- und früheren
NSBO-Leuten statt. (...) Einzeln wurden wir herausgeholt und von
Multhaupt (...) vernommen. Auf dem Tisch lag ein Knüppel von
un gefähr 80 cm Länge. Als die Antworten nicht zu seiner Zufrie-
denheit ausielen, war jedes zweite Wort: »Soll ich dir diesen
Knüppel auf den Kopf fahren lassen?«. Nach der Vernehmung
wurden wir wieder in den Sitzungssaal gebracht. Es wurden ein-
zelne Kollegen herausgeholt, in den Keller gebracht und dort
verprügelt. Der Kollege Birck saß neben mir (...) und gab mir zu
verstehen, dass es im Keller hoch hergegangen sei. Es wurden
auch die Kollegen Rodenstock und Schlösser des öfteren heraus-
geholt und in den Keller gebracht. Gegen Abend verlas Multhaupt
unsere Namen alle der Reihe nach. Als er an die Namen der feh-
lenden Kollegen kam, (...) betonte er, dass diese bereits weg
wären.
… »Soll ich dir
diesen Knüppel
auf den Kopf
fahren lassen?« …
S20
Emil Rent-meisterGewerkschafts- funktionär des »Zentralverbandes der Angestellten«
Geboren: 1905
Ermordet: 2. Mai 1933
„Ich kann meine Gesinnung
nicht wechseln wie ein Hemd“Emil Rentmeister 1932
EMILreNtMeiSter
S21
eine frühe Kindheit verbrachte Emil Rentmeister in
Duisburg-Duissern. Die Schule musste er schon ein
halbes Jahr früher verlassen, da er bei der AEG, als erster
Volksschüler die Mög lichkeit hatte, eine kaufmännische Aus-
bildung zu ab solvieren. Trotz guter Leistungen hatte er es als
Volks schüler schwer, unter den Angestellten Anerkennung
zu inden.
Die Grundlagen für sein gewerkschaftliches Engagement hatte
Emil bereits im Elternhaus erhalten. Aus den schrecklichen
Ereignissen des 1. Weltkrieges zog er die Konsequenz und schloss
sich dem Bund der Kriegsgegner an. Neben seiner Mitgliedschaft
im freigewerkschaftlichen »Zentralverband der Angestellten«
(ZDA), trat Emil auch der SPD und dem Freidenkerverband
bei. Bei der AEG arbeitete er in der internen Verwaltung. Zwar
war Emil Rentmeister kein gewerkschaftlicher Vertrauensmann,
doch engagierte er sich überbetrieblich in der Fachgruppe
»Industrie« des ZDA. Mit Beginn der großen Arbeitslosigkeit
wurde Emil bei der AEG entlassen. Dadurch verlor er seine ge-
werkschaftliche Funktion jedoch nicht, vielmehr stellte er seine
vermehrte Freizeit in den Dienst seiner Gewerkschaft. August
Seeling, Geschäftsführer des ZDA und späterer Oberbürger-
meister von Duisburg, charakterisierte ihn als einen »willigen
und engagierten Kollegen«.
Der Kampf gegen den Nationalsozialismus erhielt für Emil Rent-
meister immer größere Bedeutung, denn er erlebte seine Gegen-
wart und sein Treiben tagtäglich. Gegenüber seiner Wohnung
hatte eine SA-Standarte ihr Quartier bezogen. Auch wohnte
Benno Baltes im Nebenhaus. Sein Bruder war Jacob Baltes, einer
der Mörder Emil Rentmeisters. Anfang 1932 sprachen die Brüder
ihn an und boten ihm eine Stelle bei einer Bank an, falls er in
die NSDAP eintreten würde. Emil lehnte konsequent ab.
r
… Er stellte
seine Freizeit
in den Dienst
seiner
Gewerkschaft …
S22
Im März 1933 entging Emil knapp einer Verhaftung, die sich
gegen die sozialdemokratischen Naturfreunde richtete, denen
er sich bereits in den 20er Jahren angeschlossen hatte. Nach-
dem Hitler Reichskanzler wurde, kam es auch zum Verbot
der Duisburger Naturfreunde. Nun trafen sie sich illegal im
Gewerkschaftshaus. Emil wollte gerade in den Gruppenraum
gehen, als ihm Gruppenmitglieder, abgeführt von der SS, ent-
gegenkamen.
Um der Teilnahme an der nationalsozialistischen Verkehrung
der 1. Mai-Feier als »Tag der nationalen Arbeit« zu entgehen,
machte Emil und Vertraute aus dem Kreis der Naturfreunde
am 1. Mai einen Auslug nach Holland. Keiner ahnte, dass Emil
am anderen Tag seinen Schergen zufällig in die Hand iel, die
ihn mit den Worten empingen: »Aha, das ist der Richtige«.
Dieser Ausspruch war praktisch sein Todesurteil. Er musste
für die Gewerkschafts bewegung sterben.
BERG FREI! – DIE NATURFREUNDE
Die Naturfreunde wurden 1905 in Deutschland gegründet und
bekennen sich zum Demokratischen Sozialismus und sind somit
abzugrenzen gegenüber den bürgerlichen Gebirgs- und Wander-
vereinen oder den kurze Zeit später entstandenen jugendlichen
Wandervögeln. Während des Nationalsozialismus war die Orga -
ni sation verboten, ihre Mitglieder wurden verfolgt, die Natur -
freunde häuser beschlagnahmt. Der Verband setzt sich seit seiner
Grün dung für gerechte Arbeits- und Lebensbedingungen –
gegen die Ausbeutung von Mensch und Natur ein.
Der Gruß der Naturfreunde lautet »Berg frei!«, im Gegen-
satz zum »Berg Heil!« der Alpenvereine.
Keiner ahnte,
dass Emil
am anderen Tag
seinen Schergen
in die Hände iel.
Während
des National-
sozialismus
war die Organi-
sation verboten.
S23
… Arbeiter,
wandert mit
den Natur-
freunden …
… Der Gruß
der Naturfreunde
lautet
Berg frei! …
S24
2. Mai 1933
TAToRT Duisburg
5 Ausstellungs- banner 220 85 cmRollup-Systemeinkl. robusterTragetasche
I nfo
Anfragen zum Verleih
der Ausstellung an:
DGB Jugend Duisburg/Niederrhein Eric Schley
Stapeltor 17–1947051 Duisburg
Fon 0203.992 7515Email: [email protected]
DGB Jugend
Duisburg/Niederrhein
Stapeltor 17–19
47051 Duisburg